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CORRESPONDENZ-BLATT
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben
von
Dr. E. Halfter
In Frauen fei d.
und Prof. Dr. A. Jaqnet
in Baeel.
Jahrgang XXXV.
1905.
BASEL.
Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung.
1905.
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R 1'J-
o 'S ^ ^
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j
Register.
I. Sachregister*
(0 = Originalarbeiten.)
Absinth verkauf, Verbot 408.
Abszess, peritonsill. 406.
Acconchement forc6 347.
Achsenzngzange 729.
Aerztetag in Bern 150.
Aerzte und Krankenkassen 239.
Aerzte und Unfallversicherungsgesellsch. 374, 394.
Aerzte, Verband der 408, 501.
Akademie f. prakt. Medizin, Köln 269
Akademien f. prakt. Medizin 501.
Akademie f. prakt. Medizin in Köln, Kurs für
Aerzte 629.
Aktinomykose der Tonsillen 96.
Akne, Beh. 535.
Alkoholverbände 440.
Amylnitrit bei Hämoptoe 533.
Anämie 239.
Aneurysma’ der Art. vertebr. dextra 261.
Aogiome, Beh. 438.
Antipyrininjektionen 790.
Appendicitis, seltener Befand 0 2, 49, 260
Diagn. 440, 471.
Appetitmangel 600.
Arterienerkranknngen durch Adrenalin 0 634.
Arteriosklerose. Jodwirkung 127.
Arzneilose Heilweise, Freigabe 117.
Arzneimittel, Beförderung 600.
Arzneimittel-Wirkungen O 419.
Arztwahl, freie 31, 750.
Atropin intoxikation 548.
Aussatz in Deutschland 408.
Austern infektionen 630.
Automobil im Dienste des Arztes 467.
Beilagen: Nr. 2: Hoffmann-La Boche Thigenol;
W. Natterer, Antisclerosin; Wollwäscherei
Dohren, Prä validin. Nr. 3: E. Merck, Tro-
pacocain; Kalle, Bioferrin; Stuber’s Verlag.
Nr. 4: Hoffmann-La Boche, Sirolin, Airol.
Nr. 5: Riedel, Salinirin, Beiersdorff. Pebeco;
Hermann, CoderoL Tniderol; E. Merck, Dionin.
S Nr. 6: Hoffmann-La Boche, Thiocol; Bayer &
Co., Salophen; Merck, Veronal; Kalle & Co.,
2 Bioferrin; Biedel. Bornyval; Hermann, Coderol
nnd Thiderol. Nr. 7 : Bayer & Co., Dnotal
und Kreosotal; Merck, Antjthyreoidin; Biedel,
Gonosan; Mammern. Nr. 8: Hoffmann-La Boche,
^Sirolin, Airol: Bayer & Co., Somatose; E.
^ Merck, Ragaz-Pföfers; Biedel, Thiol; C. Werl.
Nr. 9: Krewel & Co., Mitin; Bayer & Co.,
Helmitol; Beiersdorff & Co. Nr. 10: Hoffmann-
La Roche, Thigenol, Thiocol; Bayer & Co.,
Veronal; E. Merck, Dionin; Hotel Kigi-Scheid-
egg; Riedel, Gonosan; Hotel Bristol, Arosa;
Chem. Fabrik, Exodin; Bayer, Chirurgie in
der Landpraxis. Nr. 11: Ges. für chem. In¬
dustrie Basel, Phytin; Krewel & Co., Tannoform;
Kurort Stoos; Merck, Stypticin; Riedel, Go¬
nosan; Knapp, Oreson. Nr. 12: Camera
Union; Hoffmann-La Roche, Sirolin; Merck,
Paranephrin; Riedel, Bornyval; Bromlecithin
„Agfa“. Nr. 13: Bayer & Co., Tannigen;
Merck, Bromalin, Riedel, Gonosan; Böhringer,
Filmaron; Eternit; Hausmann kohlensaure
Bäder; Kalle, Bismutose; Aigle, Grand Hotel.
Nr. 14: Chem. Industrie, FortosBan; Merck,
Fibrolysin; Hausmann’s tonische Essenz; Riedel,
Borny val; Gynäkolog, helvetica. Nr. 15: Merck,
Jodipin, Böhringer, Cerolin; Riedel, Gonosan;
Bex, Hotel des Salines; Knoll,Tannalbin; Soxhlet’s
Nährzucker-Kakao. Nr. 16: Merck, Veronal,
Antithyreodin. Nr. 17: Hoffmann-La Roche,
Digalen; Riedel, Borny val; Böhringer, Jod-
ferratose; Süddeutsche Automobilfabrik. Nr. 18:
Bayer & Co., Jothion; Tannobromin; Merck,
Dionin. Nr. 19: Ges. für chera. Industrie,
Phytin; Beiersdorff, Pebeco; Kalle, Dormiol.
No. 21: Bayer & Co., Aspirin, Mesotan; Riedel,
Gonosan; Tolhausen & Klein, Tutulin. Nr. 21:
Beiersdorff, Pebeco; Extract. China Nanning;
Andrees Handatlas. Nr. 22: Bayer & Co.,
flüssige Somatose; Merck, Jodipin; Riedel,
Borny val; Eichhorst, spez. Pathol. u. Therapie;
Hugo Stöcking, Astigmate. Nr. 23: Bayer &
Co., Alypin; Hoffmann-La Roche, Digalen,
Schweiz. Serum-InBtitut; C. Werl, Zürich.
Belladonna-Vergiftung 0 107.
Beriberi 328.
Berufsgeheimnis 471.
Bitterstoffe 205.
Bleiintoxikation 265.
Blutdruck und Blutdruckmessung 0 97.
Blutleere 408.
Blutuntersuchungen, morph. 0 761.
Borsäure, Wirkungen 271.
Bronchitis, capill. Beh. 240.
Bronchopneumonie, Beh. 0 7.
Bronchoskopie 111.
Buttermilch, zur Ernährung kranker Säuglinge
0 666 .
Betriebszählung, eidg. 500.
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IV
Ctfliüg 567.
Calomel bei Vit. cordis 256.
Carcinoma lingu» 151.
Carcinoma papill. vaginse 752.
Carcinom, Beh. 159.
Carcinom d. Flexura bepatica 114.
Carcinom d. Flexura sigmoidea 115.
Carcinom in Amerika 568.
Carcinom, Serumbeh. 502.
Cerebrospinalmeningitis 683.
Chinin 160.
Chiningeschmack, Corrig. 631.
Cholelithiasis 152.
Cholera 599, in Deutschland 693.
Cholesteatom der Kieferhöhle 263.
Chorea 153.
Citarin 536.
Cocaineuprarenintabletten 362.
Cruralhernien, rad. Beh. O 346.
Darm, Funktionsprüfung 232.
Dannperforation O 74.
Darm, Resorption 791.
Darmverscbluss 80.
Dekapsulation der Niere 230.
Demonstrationen ; patliolog.-anatom 16, 266; 293.
— chirurgische 150 , 230 , 363 . 394 , 457, 558.
— geburtshilfliche 185, 425.
— medizinische 152, 368, 431.
Dextrokardie 250.
— angeborene 0 111.
Diabetesprognose 28.
Diflmufti 4er ofeftön Extremität 325.
Digalen 437.
Digitalis 405.
— und Leukozytose 728.
Dilatation der Cervicalkanals 0 713»
Dilatator von Bossi 186.
Dispensaires antitubereuleux 361.
Dissertationen, med. Verzeichnis 200.
Diurese 691.
Ductos arter. Botölli 431.
Duodenalgeschwür 632.
Durst 4. Diabetiker 472.
Echinokokkus hepatis 458.
Eklampsia gravid. O 615.
Empyreform 30.
Entropiumoperation 524.
Enuresis, Äh. 0 537, 578.
Enuresis 63.
Epidiaskop 459.
Epigastrius papyrac. 262.
Epilepsie, Diät bei 205.
Epistaxis, Beh. 791.
Erbrechen, Schwangerer 206.
Erysipelbehandlung 696, 791.
Essen, Kunst richtig zu 271.
Euchiuin 29.
Eumydrin 536.
Exsudative Diathese 250.
Fachprtifung, eidg. med. 124.
Fakultät«*, med. Frequenz 59, 470.
Farnwurzelextrakt 360.
Ferienkurse in Berlin 30Q.
Ferienkurs in München 402.
Ferienkurse in Würzburg 159, 471.
Fibrolysin 536.
Fingernägel, bei Polyneuritis 0 390.
Fischvergiftung 0 137, 146.
Flatulinpillen 632.
Furunkel, Beh. 472.
Femuropexie des Leistenhodens 347.
Fremdkörper in Vagina 778.
Grallensteine, Auflösung 565.
Gallensteinleiden, Diagn. 566.
Gangraena senilis, Beh. 533.
Gastroenteritis der Säuglinge, Beh. 789.
Geburtstraumen 429.
Geburt, Vernichtung des Kindes 0 65.
Gelatine, gerinnungsbef. Wirk. 791.
Gelenkrheumatismus, Jodbförm bei 206.
Gelenkwunden, Beh. 586.
Genickstarre, epid. 337, 405:
Genickstarre, epid. Beh. 303.
Glandula carotica Tumor 262.
Gleitmittel für Katheter 96.
Glioma retinae und Eetimdblutungen 43.
Gonosan 0 473, rektale Applikat. 777.
Graslaufen 598.
Griserin 240.
Gutachten, ärztl. für Heilpräparate 694.
Gynaecologia helvetica 597.
Hämorrhoiden, Beh. 239.
Hämorrhoidalblutungen 694.
Hafergrütze 760.
Haferkur bei Diabetes 534.
Haller, Fall vor Militärgericht 661, 696.
Halswirbelsäule. Luxat. 621.
Handschrift, unleserl. 600.
Hauspflege 650.
Hautemphysem 461.
Hautkrankheiten, Anästhesie bei 502.
Heisswasseralkoholdesinffektieit 296
Helmitoi 237, 535.
Hemianopsie, bitemporale 524.
Hernia cruralis 52.
Hernia cruralis incarc. 84.
Hernia diaphragmatica 262.
Herzarterienstämme, Transposü. 683.
Herzfehler im Militärdienst 231, 0 273.
Herzhypertrophie 260.
Herzkühlapparat 199.
Hilfskasse f. Schweizerärzte, Beil, zu Nr. 2, 4, 6,
8, 10, 12, 14, 18, 2CK 22, 24.
Bioterkauptslagen, Beh. 294»
Hirntuberkel 458.
Hirsehsprung’sehe Krankheit O 569.
Bistosan 566.
Höhenklima 620t
Hoffbauer-StiftuBg 96.
Hythroaephres» 432.
Bydrenephrese, tareemat. 231.
Byeeein 531.
Hyperacukrtöt, Therapie 503.
•Jahreswechsel 1.
Jejuftoetoarie 586.
Iieeeeecaltumor 113.
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y
Ileus nach Salpingitis gon. 0 322.
Indische Spruw 328.
Influenzadiagnose 631.
Influenza, Hyperthermie 324.
Infuse und Dekokte 30.
Ischias, Eeh. 160.
Jodismus 695.
Jothiou 536.
Iritis mit Knötchenbildung 430.
Kammerscheidewand angeb. Lücke 432.
Karzinom 597.
Kassenärztliche Bewegung 407.
Katbetersterilisat. 792.
Kind, Vernichtung des während d. Geburt 0 65.
Kinder, Abhärtung 0 386.
Kompressen in d. Bauchhöhle 534.
Kongresse: 34. K. der deutsch. Ges. f. Chirurgie 94.
22. K. für inn. Medizin 94, 204. 5. internat. K.
f. Gynäkol. 204. Röntgenkongress 204, 337.
34. K. d. deutsch. Ges. f. Chirurg. 269, 337.
1. internat. K. f. Chirurgie 269, 664. 77. Vers,
deutscher Naturforscher und Aerzte 337, 664.
Internat. Tuberkulose K. 405. 691. Deutscher
Ver. f. offentl. Gesundheitspfl. 405. X. internat.
K. gegen den Alkoholismus 564. VI. Vers. d.
Schweiz, balneol. Ges. 597. Soc. medic. Suisse
rom. 628.
Krankenpflege Zürich 469.
Krankenkassen, Schweiz. 661.
Kranken- und Unfallversicherang 268.
Krankenversicherungsfrage 26, 92, 93, 526.
Krankenversicherung, Statistik 341.
Krebsforschung in England 593, 625, 657.
Krebs, Verbreitung in den Lymphbahnen 488.
Kuhpockenlymphe 584.
Kurpfuscherei 270.
Kurpfuscher, Reklame 406.
X^axans 504.
Leberfistel 568.
Lehrstuhl f. physikal. Heilmethoden 296.
Leistenhoden, Beh. 0 515.
Lepra 433.
Lunge, Fremdkörper 112.
Lungensarkom 53.
Lungensteine 262.
Lues hereditaria 0 671.
Lumbalpunktion im Kindesalter 0 209.
Lupus, Beh. 95.
Lvssaforschung 555.
Ulasse und Gewichte, englische 128.
Magenchemismus, Prüfung 0 242, 286.
Magenkrämpfe Beh. 304.
Magenresektion 230.
Mandelentzündung, Beh. 128.
Maretin 536.
Maturität, ei dg. 125.
Medizin. Ablösung von d. Oniversität 59.
Medizin. Fachexamen in Genf 628.
Medizin. Nachr. a. d. fernen Osten 62.
Medizin. Presse, internat. Association 373.
Medizin. Psychologie, Kurs 788.
Medizinstudium 6$&.
Meningitis, eitrige 750.
Mesotanvaselin 536.
MesBapparate f. Rückgratsverkrümm. 461.
Metapnenylendiamin 535.
Milchdiät 694.
Milchpasteurisierang 0 521.
Militärsanitätswesen 236.
Militärversicherungsgesetz 125, 158, 206, 368,
434, 527, 660.
Milzcyste 458.
Mineralwässer, bündnerische 788.
Mückenplage 504.
Murphyknopf 346.
Muttermund, man. Erweiterung 294.
Myom, Komplikat. von Schwangersch. 525.
Myome, subseröse 294.
Myomektomie 457.
IVachtschweisse der Phthisiker 631.
Nagelab8tossung 631.
Nasensyphilis 432.
Nebennierencyste 458.
Nebennierenextrakt 586.
Nebennierentumor 425.
Nekrologe: 0. Rahm 57. P. Bernhard 91. H.
Menzi 123. A. Kottmann 144. Ed. Keller
157. W. Walker 191. Bruggisser 237, 297.
P. Glatz 301. Hoechner 335. H. Isler 373.
E. Fisch 401. K. Reiffer 465. Mikulicz 471.
F. A. Good 499. A. Kündig 530. A. Wytten-
bach623. E. Burckhardt 691, 746. K. Schüler
691. A. v. Kölliker 725.
Nephritis bei Scharlach 632.
Nephrolithiasis 458.
Nierengeschwülste 0 409, 464.
Nierensteine 303.
Nierentätigkeit 589.
Nieren- und Blasentuberkulose 0 161.
Nitroglyzerin 407.
Nolda 757.
Obstipatio spastica, Beh. 629.
Oedem. traumat. 690.
Oesophagoskopie 111.
Oesophaguscarcinom, Beh. 197.
Olivenöl bei Magenkrankheiten 728.
Omentum, subkut. Verlagerung 564.
Ozaena 408.
I?apierwindeln 185.
Paracelsus 483.
Paratyphus 228.
Patella, percutane Naht 349.
Perityphlitis 439.
Perityphlitis, Operat. 534.
Permanentextension, Apparate zur 0 697.
Personalien: Dr. Guillaume 27. Krönlem 92.
Kaufmann 236. Brunner, Guillaume, W. Meyer,
J. J. Sigg 337. Garre 500. Krönlein 531.
Roux 597. Krönlein 691. Ziegler 792.
Pflegepersonal 650.
Pharyngitis, sicca. Beh. 344.
Phenacetin Vergiftung 127.
Phlebitis, Beh. 343.
Physostigmin in der Darmtherapie 0 545.
Pinkpillen 534.
Polyarthritis syphilitica 497.
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r
— VI —
Pseudärthrosen, Beb. 30.
Pseudarthrosenbehandlung 0 452.
Publizistik, Ueberproduktion der med, 27.
Pulmonalstenose, angeb. 682.
Purgen 568.
Pyloruskarzinom 152.
Pylorustenose 152.
Radium 339.
Radiusluxation 496.
Redaktionsartikel 1, 305, 633.
Reklame, aufdringliche 96.
Reklame, Standesunwürdige 727.
Resorzinpaste, Intoxikat. 789.
Retinalblutungen während der Geburt 43.
Rhinopharyngitis, Beh. 30.
Riesennaevus 432.
Röntgenbilder 395, 462.
Röntgenkurse, Aschaffenburg 94, 405.
Röntgographie 19.
Röntgenstrablen b. Leukämie 0 601.
Rost, Entfernung 343.
Rückwärtslagerung der Gebärmutter, Beb. 740.
Rihekur bei Neurosen 238.
Ruhezustände, bei Erschöpfungsneurosen 349.
Salzsäure und Magensäuren 556.
Salicyl, Nierenreizung 792.
Samenstrang, Verlagerung 347.
Sanatorium, schwimmendes 31.
Säuglingsheim 296, 326.
Säuglingssterblichkeit 93.
Scheidenstreptokokken 551.
Schnupfen, Beh. 204.
Schutzpockenimpfung 304.
Schwangerschaftstraumen 429.
Schweissfuss 760.
Schwerhörige, Kurs 791.
Schwindel als Krankheitssymptom 0 441, 477.
Sectio Caesarea 428.
Sehnen- und Nerventrennung 587.
Senfwassereinwickelungen 497.
Setzbohne in der Trachea 112.
Sims’sche Seitenlage 185.
Sinusklappen 17.
Skalpierung, Ueberhäutung nach 0 701.
Skoliose 461.
Smegmabazill, Differenzierung 790.
Speisepilze 30.
Sphygmomanometer 152.
Spirochaeten bei Syphilis 439.
Spirochaete pallida 753.
Staaroperation 430.
Standesordnung, ärztliche 28.
Staphyfohämie 0 377.
Stauungsblutung 458.
Stauungshypersemie 302, 339.
Streptomykosen 0 129, 172, 220.
— Beh. 0 766.
Strychninvergiftung, Beh. 789.
Studienreisen, ärztliche 438.
Subkutanspritze 456.
Suprarenin-Kokaintabletten 294.
Sycosis, Beh. 31.
Syphilis und progr. Paralyse 342.
I Tabes 432.
I Tabes. Quecksilberkur 728.
j Tauchkropf 151.
Telephon. Konsultationen 728.
Tetanus 151.
i Theophyllingebrauch 532.
Thiosinamininfektionen 356.
Thrombus im r. Vorhof 17.
Tibianekrose 460.
Tomaten, Vergiftung 303.
Tonsillenkarzinom 151.
Trachea, Fremdkörper 112.
Trauma und organ. Nervenkrankheiten 0 306,
327.
TrichinoBis 0 505, 563, 0 645.
Trichophytie, Beh. 30.
Trichorrhexis nodosa 760.
Trommelfell, Lage 619.
Tuberkulinbehandlung 153.
Tuberkulose, auf <L Soldküste 15.
Tuberkulose nach Altersklassen 497.
Tuberkulose-Kongresse, internat. 721, 725, 757.
Tumoren 357.
Typhusepidemie in Bern 258.
Typhusrezidive 344.
TJeberhäutung 600.
Ultramikroskop 491.
Unfallversicherangsgesellschaften 26, 368.
Unfall, Vortäuschung 757.
Unguentum Plumbi Hebrae 269.
Unterkiefersarkom 151.
Unterschenkelgeschwüre, Beh. 160.
Uterusmucosa, Missbildung 261.
Uterussonde, galvanokaustische 348.
Ureterocystanastomose 0 33.
Ureterresektion 0 33.
! Urethritis staphylococcica 550.
Uterusmyom 553.
Uterusruptur 427.
Vaginalportion, Abreissung 426.
Veraauung, Lehre von der 259.
Veronal 535.
Veronalismus 664.
Veronal Vergiftung 691.
Verschlingungen 16.
Versicherungsgesetzgebung, deutsche 875.
Versicherungsvertrag 26.
Vesal, Originalportrait8 681.
Vierte Krankheit 237.
Warzen 632.
Wundklemme, Bernhard’sche 724.
Wurmfortsatz, Fibromyxom 0 2.
Xenophon, mediz. aus 778.
Zähne, Pflege 471.
Zange, Indikationsstellung 0 729.
Zuckerprobe mit Nitro-Propioltabletten 47.
Zwetschgenstein in d. Trachea 112.
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VII
II. Autorenregister.
Amrein, 0. 0 47.
Asher 190, 235, 259, 367, 586, 689.
Bsr 690.
Barth, P. 497.
Beck 778.
Bernhard 0 357.
Bernheim 93, 326.
Benttner 654.
Biland 0 377.
Böhi 335.
Bossard 327.
Bnrckhardt A. E. 861.
Oampiche 298, 333, 370, 593, 625, 657.
Carini 584.
Christ, H. 15.
Christen, Th. 720.
Cloetta 236, 0 419.
Deucher 21, 87, 399.
Dumont 366, 559, 591, 689.
änderten 363.
Enz 0 701.
Ernst 16, 488.
Feer 592, 621, 756.
Frei 0 615.
v. Freudenreich 0 521.
Frey, H. 456.
Fricker 121.
Fricker 556.
Friolet 0 33.
Gebhardt 156, 396.
Gelpke 230, 345.
Gönner 20, 90, 397, 591, 622, 691, 783.
Gubler 402.
Maab 430.
Hägler 558.
Halter 465, 786.
Hagenbach-Burckhardt 19, 267, 750.
Hedinger 119, 260, 622, 0 634, 653, 654.
Heer 650.
Hegetschweiler 262.
Held 157.
Heller 555.
Henggeier 328.
Hensler 721
v. Herff 294, 363, 752.
Herzog 364.
Hitzig 256.
Hoffmann 111.
Hosch 90, 332, 400, 784.
Hottinger 0 473, 781.
Hüssy 253.
Hngnenin 0 441, 477.
«Jaquet 360, 498, 526, 662, 563, 688, 718, 756.
Jonquiere 586.
Karcher 123.
Kaufmann, C. 720.
Keller 154.
Kielholz 753.
Knapp, P. 524.
Kocher 150.
Kummer 717.
Kummer 623.
Krönlein, 0. 409, 457.
Hiauper 0 74, 0 452.
Lotz, Th. 496.
Martin, A. 0 97.
Metzner 233, 497, 785.
de Meuron 0 713.
Meyer, A. 548.
Meyer, H. 778.
Meyer-Rüegg 185.
Meyer-Wirz 0 65.
Michel 324.
Monnier 0 2.
Müller, A. 0 601.
Müller, Herrn. 431, 682.
Müller, M. 0 349.
Müller, R. 777.
Münch 120, 656.
v. Muralt, W. 459.
IVaef 296.
Naegeli, H. O 645.
Naegeli-Helbing 325.
Naegeli-Naef 265, O 761.
Nas:er 86.
Niebergall 525, 778.
Naeggerath 228.
Ost 258.
Faly 684.
Perrin 0 322.
Pfister 122, 156, 235, 498, 560.
Philippi 52.
Plattner 499.
Renggli 0 386.
Respinger, W. 0 601.
Rheiner 0 671.
Rodari 0 544.
Roth, M. 483, 681.
Sahli 152, 0 241, 286, 358.
Schaffner 293.
Scheurer 553.
Schlüpfer 0 390, 686.
Schmid-Florinet 91.
Schneider, K. 356.
Schönemann 589, 619.
Schnlthess 461.
Schwarzenbach 0 129, 172, 220, 0 767.
Seitz 19, 20, 55. 56.
Siebenmann 111, 331, 498, 628, 714, 716.
Sigg 189, 236.
Silberschmidt 332, 655, 656, 683.
Stähelin, A. 232.
Stähelin, R. 0 273, 753.
Stäabli 0 505.
Steinmann 0 515, 587, 621.
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— VIII
Stirnimann 0 570.
Stöcker 0 107.
Stöcker, S. 0 740.
StoU 0 137.
Stoos 592, 655, 0 665, 686.
Suter 562, 746.
Tobler 0 209.
Tschudy 80.
Ulrich 560.
Vannod 550.
Veragath O 306, 364, 366, 687, 688, 717.
VonderMühll 718.
TValthard 89, 368, 399, 551, 655, 755.
Wehrli, E. O 43.
Wieland 88.
Wildbolz O 161.
Wille 22, 56, 266.
Wyder 425, 0 729.
Wyss, M. O. 590.
Zangger, Th. O 7, 537, 578.
Zuppiuger 0 697.
HL Yereinswesen.
a. Schweizerische Vereine.
Schweizerische Aerzte-Kommission:
Rechnung der Hilfskasse für Schweizer Aerzte
192.
Protokoll der Sitzungen 368, 526.
Gutachten über das Militärversicberungsgesetz
434.
Centralverein, ärztliche Delegiertenversammlung,
Protokoll 22.
LXV1II. Vers, in Zürich, Einladung 336, 660.
Protokoll 424, 457, 488.
Socidte medicale de la Suisse romande, Programm
der Jahressitzung 690.
Schweiz, balneolog. Gesellschaft 154, 691.
b. Kantonale Vereine.
Basel. Medizinische Gesellschaft 19, 111, 228,
293, 360. 496, 524, 558, 584, 586, 750, 778.
Bern. Mediz. pharmac. Bezirksverein 258, 650,
555, 556, 619, 621.
Mediz.-chirurg. Gesellschaft des Kantons 358.
St. Gallen. 71. Vers, des ärztl. Vereins d. Kan¬
tons 393.
Zug. Aerztl. Gesellschaft 327.
Zürich. Gesellschaft der Aerzte 16, 49, 81, 113,
146, 262, 325, 650, 682.
Gesellschaft der Aerzte des Kantons 184, 296.
Bündnerischer Aerzteverein 52.
IV. Kantonale Korrespondenzen.
Aargau 297.
Appenzell 401.
Basel 530.
Bern 623.
St. Gallen 499.
Graubünden 91.
Schaffhausen 57.
Solothurn 191.
Thurgau 465.
Unterwalden 757.
Waadt 721.
Zürich 123, 157, 335, 690.
Ausländische Korrespondenzen.
London 298, 333, 370.
München. Herbstferienkurs 402.
Krebsforschung in England 593, 625. 657.
Y. Referate und Kritiken.
Alte Schweizer Trachten 90.
Baginsky, Lehrb. d. Kinderkrankh. 592.
Baraeleben, Handb. der Anatomie 787.
Berger und Löwy, Troubles oculaires d’origine
genitale 784.
Bayer, Befruchtung u. Geschlechtsbildung 20.
Biedert, Kinderernährung im Säuglingsaher 267.
Blumenthal, Soz. Bekämpfung d. Tuberkulose 718.
Bock, Herzmuskelerkrankungen 123.
Borrmann, Entstehung u. Wachstum d. Haut¬
karzinoms 622.
Bossi, Malattie utero-ovariche e Malthusianismo
622.
Botazzi, Physiologische Chemie 190.
Bresler, Simulat. von Geistesstörung 560.
Büdinger, Einwilligung zu ärztl. Eingriffen 719.
Bumke, Pupillen Störungen b. Geisteskranken 687.
Ohiari, Krankh. d. Kehlkopfes 498.
Denker, Otosklerose 331.
Döderlein, Geburtsb. Operationskurs 89.
Döderlein U. Krönig, Operat. Gynäkologie 755.
Eberth, Männliche Geschlechtsorgane 119.
Ebstein, Handb. der Medizin 686.
Ebstein, W., Fettleibigkeit 20.
Ebstein u. Schreiber, Jahresber. über die Fort¬
schritte der inn. Medizin 562.
Eichhorst, Spez. Pathol. u. Therapie 120.
Eichhorst, Das Herz 121.
Engel, Untersuchung des Blutes 123.
Eulenburg, Kolie u. Weintraud, Klinische Unter¬
suchungsmethoden 562.
Ferdy, Selbstbeschränkung 397.
Fick, Anatomie der Gelenke 119.
Finger, Blennorrhoe d. Sexualorg. 781.
Finkeistein, Säuglingskrankheiten 686.
Fränkel. S., Leitfaden d. Harnanalyse 19.
Friedrich, Eiterungen des Ohrlabvriuths 716.
v. Frisch und ZucKerkandl, Handbuch der Uro¬
logie 782.
Fritsch, Geburtshilfe 189.
Grelpke, Kulturschäden 465.
Gerber, Atlas d. Operat. am Schläfenbein 87.
Goldscheider, Diagnostik der Nervenkrankheiten
365.
Gurwitsch, Morphologie der Zelle 233.
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— IX
Haab. Pflege der Augen 234.
Hagenbach-Burckhardt, Mnaknl. d. Rachitischen 88.
Hamburger, Osmot. Druck u. Jonenlehre 235.
Hammarsten, Physiologische Chemie 190.
Harnack, Hantelektrizität 785.
Hecker n. Trampp, Atlas der Kinderheilkunde 654.
Henkel, Gynäkol. Diagnostik 787.
Hermann, Jahresber. über die Fortschr. der Phy¬
siologie 563.
Hitschmann, Tabul. Gynäkologie. 400.
Hofmeier, Gynäkol. Operationen 783.
Holländer, Karikatur in der Medizin 786.
Holst, Erfahrungen aus neurol. Praxis 366.
«Joachimsthal, Orthopäd. Chirurgie 396.
Jussuf Bey, Pylorusstenose im Säuglingsalter 363.
Kehr, Technik der Gallensteinoperationen 689.
Kehrer, Bez. d. w. Sexualorg. z. Intest, tractus 591.
Kielholz, Prognose d. Alkoholismus 753.
Kirstein, Leitfaden für Desinfektoren 656.
Klemperer, Guttmann’s Untersuchungsmethoden
122 .
Kobert, Intoxikationen 498.
Koppen, Gerichtl. Gutachten 22.
Köve<i u. Roth-Schulz, Niereninsuffizienz 398.
Krehl, Pathol. Physiologie 562.
Kuttner, Die nasalen Reflexnenrosen 331.
I^abbd, Mddication phosphoree 156.
Landau, Wurmfortsatz u. Frauenleiden 236.
Landois, Physiologie des Menschen 367.
Landois, Lehrbuch der Physiologie 689.
Leser, Spez. Chirurgie 559.
v. Leube, Diagnose innerer Krankheiten 756.
Lewin u. Guulery, Wirkungen d. Arzneimittel
auf das Auge 498, 561.
Lewin, Fruchtabtreibung durch Gifte 89.
Lexer, Kuliga, Türk, Untersuch, über Knochen¬
arterien 7ö7.
Ligowski.J., Therapie d. inn. Krankheiten 20.
Luciani, Physiol. d. Menschen 234, 785.
Kann, Elektrodiagnostik u. Elektrotherapie 365.
Marburg, Phvsikal. Heilmethoden 720.
Meyer, G., Erste ärztliche Hilfe 656.
Meyer-Ruegg, Frauenkrankheiten 654, 755.
Michaelis, Entwicklungsgesch. d. Menschen 119.
Mindes, Rezeptar 756.
Müller, Ed., Multiple Sklerose 717.
Müller, P. Th., Infektion u. Immunität 364.
Neuburgel* u. Pagel, Geschichte der Medizin 56.
Neurath, Nervöse Komplikat. d. Keuchhustens 687.
Oefele, Koprologie bei fieberlosen Patienten 87.
Oppenheimer, Augengläser 122.
Otbmann, Gynäkolog. Operationskurs 399.
Rassow, Verletzungen des Gehörorgans 714.
Pilcz, Spec. Psychiatrie 56.
Pincus, Beiastungslagerung 367.
Pollack, Färbeteclinik für das Nervensystem 688.
Preyer, Seele des Kindes 756.
Raimann, Hysterische Geistesstörungen 266.
Ribbert, Entstehung des Karzinoms 654.
Rodari, Therapie d. Magen- u. Darmkrankh. 87.
Rodari, Verdauungsorgane 399.
Röthig, Embryologische Technik 118.
Roth, Beleuchtung der Schulräume 560,
Rosenbach, Nervöse Zustände 365.
Sämisch, Handb. d. Augenheilkunde 332, 400.
Salge, Therap. Taschenbuch f. Kinderpraxis 621.
Schaidler, Blindenfrage in Bayern 684.
Schlesinger, H., Chirurg. Eingriffe b. inn. Krankh.
55.
Schmidt u. Strassburger, Faeces d. Menschen 121.
Schmidt, Funktionsprüfung des Darmes 21.
Schnorf, Untersuchung der Milch 332.
Schönemann, Topogr. d. menschl. Gehörorgans
528, 589.
Schüle, H., Heiraten früherer Geisteskranker 22.
Schwalbe, Praktische Medizin 120.
Schwarz, Augenärztliche Winke 156.
Selter, Verwertung der Fäcesuntersuchung 399.
Senator u. Kaminer, Krankheiten u. Ehe 90.
Senn, Subkunjunktivaltherapie 122.
Siebenmann, Anat. u. Pathogen, d. Taubstumm¬
heit 86.
Sobotta, Atlas der Anatomie 591.
Sommerfeld, Gewerbearzt 688.
Steffen, Maligne Geschwülste im Kindesalter 592.
Stein, Paraffin-Injektionen 366.
Stockmann, Gummiknoten im Herzfleisch 119.
Stolper, Beckenbrüche 717.
Stratz, Erkennung des Uteruskrebses 398.
Tappeinen Arzneimittellehre 236.
Testut et Jacob, Anatomie topographique 118.
Thel, Bau von Krankenhäusern 655.
Tiling, Geistesartung und Geistesstörung 56.
Tillmanns, Verletzungen u. chirurg. Krankh. d.
Beckens 719.
TJexküll, Biologie d. Wassertiere 497.
Weygandt, Lehre von den psychischen Epide-
mieu 367.
Wilbrand u. Sänger, Neurologie d. Auges 89.
Winkel, Handb. d. Geburtshilfe 89, 655.
Ziegler, Lehrb. d. pathol. Anatomie 653.
Ziehen, Anatomie des Gehirns 118.
Zuckerkandl, Chirurg. Operationslehre 590.
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CORRESPONDEN Z-BLATT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitaeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgaugs:
Fr. 12. — für die Schweis,
Fr. 10. — für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. JE. Halfter und Prof. A. Jaquet
in Franenfeld. in Basel.
N2 1. XXXV. Jahrg. 1905. 1. Januar.
Inhalts Zum Jahreswechsel. — 1) Ori gi n a 1 a rb ei t en: Dr. B. Monnier: Ueber einen seltenen Befand bei Appen-
dlcitin. — Dr. Theodor Sanggor: Znr Therapie der infantilen Bronchopneumonie. — Dr. H. Christ: Znr „Aetiologie der Tuber¬
kulose auf der Goldkütto“. —-2) Vereinsberichte: Gesellschaft der Aerzte in Zürich. — Medizinische Gesellschaft Basel. —
8) Hefe rate und Kritiken: Dr. 8. Fr&iikd s Harnanalyse nebst Analyse des Magensaftes. — Dr. J. IAgomkt: Therapie der
inneren Krankheiten. — Dr. W. Bbotein: Die Fettleibigkeit. — Prof. Dr. H. Bayer: Befruchtung und Geschlechtsbildung. —
Adolf Schmidt: Die Funktionsprülung des Darmes. — Prof. Dr. Jf. Köppen: Sammlung von gerichtlichen Gutachten. — Beinr.
8cJmU: Heirat von früher Geisteskranken. — 4) Akten des schweif. Ärztlichen Zentralvereins. — 5) Wochenbericht: 60-
jAhriges DoktorjobilAum von Dt. Quülaumc. — Die Pharroncopae, ein Spiegel ihrer Zeit.— Überproduktion in der medizinischen
Publizistik. — Was sollen wir den Kranken über ihre Krankheit sagen ? — Prognose des Diabetes. — Euchinln. — Infase und
Dekokte. — Gegen Ekzem. — Trichophytie des Bartes. — Gefroren gewesene Speisepilze. — Katarrhalische Entzündungen des
Bespirationstraktus. — Biuteinspritzung bei Pseudarthrosen. — Sycosis. — Schwimmendes Sanatorium. — Freie Arztwahl. —
Berichtigung. — Pro memoria. — 6) Briefkasten. — 6) Bibliographisches.
Zum Jahreswechsel!
Und wieder ist ein Jahr zu Ende gegangen! Es ist eingereiht in die Geschichte;
kein Jota mehr lässt sich daran auswischen oder zusetzen. Die Kreise, die wir mit
unserm Tun und Lassen erzeugten, sind längst aus unserm Bereiche entschwunden,
in der Richtung: Ewigkeit, und durch nichts mehr aufzuhalten.
Was gut davon war, oder doch gut gewollt, das kann uns auch in der
Erinnerung noch beglücken; wo wir fehlten oder Irrwege gingen — da liegt eine
Sühne darin, dass wir die drückende Schuld nicht abzuwerfen suchen, sondern sie
auf uns nehmen und sie möglichst über der Bewusstseinsschwelle erhalten, um sie
für die Zukunft als Lebenserfahrung zum Guten zu verwenden.
Das gilt namentlich auch vom ärztlichen Handeln. Wir haben übrigens
auch dafür keine bessere Richtschnur, als die Grundsätze der Ethik, wie sie von
allen gutgesinnten, an Herz und Geist gebildeten Menschen anerkannt werden.
Aus den Ereignissen des vergangenen Jahres leuchtet hervor der Entscheid
eines Volkes über die Freigebung der arzneilosen Heilkunde — des Naturheilver¬
fahrens, wie ihre ausschliesslichen Anhänger sie benannt wissen wollen. Als ob nicht
das ganze Bestreben der wissenschaftlichen Medizin darauf hinausginge, der Natur
ihre Geheimnisse bei den Heilungsvorgängen abzulauschen und sie nachzuahmen!
So auch und erst recht die von kritiklosen Hassern der ärztlichen Wissenschaft so
geschmähte Serotherapie.
Die energische Willensäusserung des Zürchervolkes bat nicht nur die Bedeutung
einer Anerkennung der wissenschaftlichen Medizin und ihrer Vertreter, und nebenbei
wohl auch eines unwilligen Protestes gegen die Aufdringlichkeiten der sogenannten
Naturärzte — sie birgt noch ein weiteres wohltuendes Moment in sich, ist ein
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Zutrauensvotum zum Arzt als Menschen, eine Anerkennung seiner sozialen Eigen¬
schaften und zeigt, dass seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft — entgegen
pessimistischen oder böswilligen Meinungsäusserungen — immer noch eine angesehene
achtunggebietende und auch einflussreiche ist. Den dankbaren Händedruck, den das
Zürchervolk seinen Aerzten gab, haben alle schweizerischen Kollegen — ja weit
über die Landesgrenzen hinaus — mitempfunden und als freundliches Symptom
gedeutet, dass das Yerhältnis zwischen Arzt und Yolk ein richtiges und schönes ist.
Und so möge es bleiben -— in allen Gauen unseres lieben Yaterlandes!
Noch andere schöne Früchte zeitigte die Zürcherabstimmung. Die arztfeind¬
liche Bewegung war eine ernste Prüfung für den ganzen Aerztestand und hat das
Gefühl der Zusammengehörigkeit und Solidarität mächtig gesteigert; akademische
Lehrer und praktische Aerzte — zwischen welchen seit Jahren gewisse Gegensätze
bestanden — haben sich einander wieder genähert und in einer vorberatenden Kom¬
mission über die rein akademische Frage der Errichtung neuer medizinischer Lehr¬
stühle an der Universität Zürich sitzen neben klinischen Lehrern auch praktische
Aerzte. Das ist herzerfreuend und gestattet eine schöne Perspektive. Und so wollen
wir denn vertrauensvoll in die Zukunft schauen.
Herzlichen Neujahrsgruss allen lieben Kollegen; vielen Dank unsern verehrten
Mitarbeitern und die freundliche Bitte, unser Corr.-Blatt auch fernerhin stützen und
nähren zu helfen.
Wir grüssen das schweizerische Doktorhaus als den Hort der Menschenliebe,
der Wohltätigkeit und der Gastlichkeit, als die stets offene Zuflucht der Kranken
und Hilfesuchenden und wünschen ihm und seinen Insassen Glück und reichen Segen
im neuen Jahre. Die Redaktion des Corr.-Blattes.
Or igf in al - Ar bei teil.
Aus der chirurgischen Klinik Zürich.
lieber einen seltenen Befund bei Appendicitis — Fibromyxom des Wurm¬
fortsatzes.
Yon Dr. E. Monnier, Sekundararzt der Klinik.
Hierzu 1 Tafel mit Abbildungen.
Die Perityphlitis ist für den Operateur eine an Ueberraschungen sehr reiche
Krankheit. Wie oft kommt es doch vor, dass der Chirurg vor der Operation auf
erhebliche Schwierigkeiten gefasst ist, und siehe da, anstatt wie vermutet einen mit
der Umgebung verwachsenen Wurmfortsatz zu finden, sieht er sich einem leicht
exstirpierbaren freien Processus gegenüber. Umgekehrt, ein für die Operation
relativ leicht aussehender Fall bereitet unter Umständen Schwierigkeiten, welche die
grössten Anforderungen an die chirurgische Technik, an die Ruhe und Geduld des
Operateurs stellen; es sind diejenigen Fälle, welche die unter gewöhnlichen Umständen
hie und da spielend leichte Appendixresektion zu einer technisch höchst schweren
Operation gestalten können. Die mannigfaltigen Stellimgsanomalien des Wurrafort-
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satzes, seinVerhalten zur Umgebung, entziehen sich leider allzuoft der sorgfältigsten Unter¬
suchung, und die öfters für den Processus angesehenen Stränge und Tumoren entpuppen
sich meistens bei der Operation als Netzstrange oder einfach als Darmteile etc.
Einen solchen unerwarteten Befund trafen wir bei einem Patienten, den wir
am 28. April 1904 zu operieren Gelegenheit hatten. Es handelte sich um einen
Tumor des Wurmfortsatzes. Sowohl die Seltenheit des Befundes, als die klinische
Geschichte des leider ungünstig verlaufenen Falles scheinen mir die Veröffentlichung
dieser interessanten Beobachtung zu rechtfertigen. Klinisch stellt der Fall eine
Dlustration zu den furchtbaren Verheerungen dar, welche das in der Appendix ent¬
standene Gift in dem Organismus anrichten kann.
Nun im Kurzen die Krankengeschichte:
Der Patient, ein kräftiger Arbeiter von 29 Jahren, erkrankte urplötzlich nach Genuss
von kaltem Wasser mit heftigen Leibschmerzen, am Albend des 26. April 1904. Früher
soll er nie Beschwerden gehabt haben. Am 27. April lassen die Schmerzen nicht nach,
einmal stellt sich Erbrechen ein; am Abend sind die Beschwerden so intensiv, dass ein
Arzt gerufen wird. Am 28. April morgens schickt der Kollege den Patienten auf die
medizinische Klinik. Da die Symptome sehr bedrohlich erscheinen, die Temperaturauf 39°
steigt, wird am gleichen Abend der Patient auf die chirurgische Klinik transferiert.
Wir konstatieren bei dem sehr kräftigen Patienten ein verfallenes Aussehen, das
Gesicht mit Schweiss bedeckt und vor Schmerzen verzogen. Puls 120. Temperatur 38,8.
Zunge belegt, trocken. Schmerzen heftigster Natur im ganzen Abdomen, namentlich um
den Nabel herum. Abdomen mässig aufgetrieben, hart, schmerzhaft bei jeder Palpation.
Eine Dämpfung oder Resistenz ist nirgends zu fühlen, höchstens konstatiert man, dass
die Bauchdecken in der Coecalgegend etwas resistenter sind. Wir stellten gleich die
Diagnose auf eine schwere Appendicitis. Die stürmischen Erscheinungen: Heftigkeit der
Schmerzen, hohe Temperatur, verfallenes Aussehen bei dem relativ noch ordentlichen Puls,
namentlich die brettharten Bauchdecken, waren so viele Symptome, welche in unserer
Klinik als eine unbedingte Operationsindikation gelten. Deswegen wurde die Operation
gleich vorgenommen, also zweimal 24 Stunden nach Eintritt der ersten Symptome.
Schon bei der Inzision der Bauchdecken fiel die üdematÖBe Durchtränkung derselben
auf; nach Spaltung der Fascia transversa quoll Eiter heraus; dieser Eiter in einer Menge
von ca. 100 ccm war stark stinkend und enthielt hauptsächlich Staphylokokken und Bact.
coli. Der Abszess war nicht abgekapselt, die umgebenden, stark dilatierten Darmschlingen
waren sehr stark injiziert. Der Wurmfortsatz wurde ohne Schwierigkeit gefunden, er
war durch leichte Adhäsionen am Netze fixiert. Sofort fiel uns eine w a 1 1 n u s s -
grossetumorartige Verdickung seiner Wand etwas unterhalb der Basis auf.
Der Tumor sass auf der dem Mesenteriolum gegenüberliegenden Seite, war von harter
Konsistenz und machte zunächst den Eindruck eines grossen Kotsteines. Hinter seinem
peripheren Rande zeigte der Wurmfortsatz eine Perforation, welche dem Abszess entsprach.
Rasch wurde die Abtragung unter successiver Ligatur des Mesenteriolum vorgenommen
und der Stumpf mit einer doppelten Nahtreihe versorgt. Reinigung des Herdes und des
Beckens, wo sich trübes Exsudat befand. Drainage mit Jodoformgaze.
Der Verlauf war in kurzen Zügen folgender:
30. April. Kein Fieber, keine Schmerzen. Puls 90. Stuhlgang. Leichte ikterische
Verfärbung der Skleren.
1. bis 4. Mai. Verschlimmerung des Zustandes. Temperatur bis 39,4. Puls um
120. Pleuro-pneumonische Erscheinungen im rechten Unterlappen. Reichlicher schlei¬
miger Auswurf. Hartnäckige Diarrhoe. Abdomen nicht empfindlich, weich, etwas Mete¬
orismus. Kein Erbrechen, keine peritonitischen Symptome. Stimulation mit Kochsalz-
infusionen, Kampber, Kaffee etc.
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7. Mai. Zustand immer schlimmer. Frösteln, Temperatursteigeningen bis 41,4.
Abdomen nicht druckempfindlich. Wunde secerniert wenig. Kein Erbrechen.
10. Mai. Zustand immer schlimmer. Temperatur 39. Puls 160. Keine peritoni-
tischen Symptome. Patient macht den Eindruck eines schwer Septischen. Dämpfung auf
der unteren Thoraxseite rechts.
12. Mai. Zunehmender Kollaps. Exitus.
Die Sektion ergab kein Exsudat im kleinen Becken, Coecum mit schmutzigem Ex¬
sudat belegt. Einzelne Darmschlingen der Umgebung durch fibrinös eitriges Exsudat ver¬
klebt. Nieren schwer verändert, sie zeigen mehrere Infarkte, Trübungen des Parenchyms
und grosse Erweichungsherde mit Nekrosen. Fibrinöse Pleuritis rechts unten.
Wir hatten es also mit einer derjenigen Formen der Appendicitis zu tun, bei
welchen die toxischen Erscheinungen in den Vordergrund treten. Während die infek¬
tiösen peritonitischen Erscheinungen zur Ruhe gekommen waren, gaben sich die
toxischen Symptome durch die hohen Temperaturen, die subikterische Farbe und die
schweren Veränderungen in ded Nieren kund. Die pleuralen Komplikationen sind
nicht allzu selten bei der Appendicitis; von Dieulafoy als „Pleuresies appendiculaires“
bezeichnet, können sie sich vom leichten fibrinösen Exsudate bis zum schweren fötiden
Empyeme entwickeln; meist mit heftigen Schmerzen eingeleitet, macht zunächst die
Pleuritis den Eindruck eines subphrenischen Abszesses; bald wird aber die Atmung
oberflächlich und die physikalischen Symptome lassen deutlich die Beteiligung der
Pleura erkennen.
Nun kommen wir auf die genauere Beschreibung des Processus zurück:
Der gewonnene Processus vermiformis ist 8 cm lang, sein dünnerer Teil klein¬
fingerdick. Dicht unterhalb der Mündung ins Coecum findet sich in der Wand ein Tnmor
von kugeliger Form, wall nussgross. Sein Durchmesser beträgt 3 cm, seine Konsistenz
ist ziemlich derb. Die Serosa der Appendix ist wulstig, infiltriert, teilweise eitrig imbi-
biert; auf der hinteren Seite findet sich ein Gefäss, dessen Inhalt gelblich durchschimmert.
Am Uebergang des Processus auf den Tumor besteht eine Perforation der Wand, welche
nekrotisch schmutzig verfärbt ist. Eine in das Lumen eingeführte Sonde stösst in einer
Tiefe von 8 mm auf ein Hindernis; das Lumen ist dort vollständig obliteriert. Nach dem
Aufschneiden zeigt* sich das folgende, ganz unerwartete Bild: Das proximale Drittel der
Wand ist vollständig in einen Tumor verwandelt. Auf einer Strecke von 1 cm ist der
Processus vollständig unterbrochen und im Tumor aufgegangen, während die Basis in der
Länge von 1 cm gesund und normal aussieht. Auf der Schnittfläche zeigt die Geschwulst
eine gelbliche Farbe; sie ist etwas gallertig durchscheinend; ihr Gewebe ist fibrös, ziem¬
lich hart, durchaus homogen und etwas ödematös. Im mikroskopischen Präparate sieht
man spindel- und netzförmige Zellen, die Zwischensubstanz ist teils aufgequollen und
erweicht, sie färbt sich in den myxomatösen, aus Sternzellen aufgebauten Partien, leicht
blau. Im Tumor finden sich in auffälliger Menge eosinophile Zellen, zellreiche Gefässe,
die, zum Ausdruck, dass der Tumor am Entzündungsprozesse teilgenommen hat, resp. von
ihm in Mitleidenschaft gezogen worden ist, entzündliche Leukocytose und Leukocyten-
transsudation der Gefässwände zeigen. Einzelne Gefässe sind umsäumt von einem Mantel
emigrierter polynukleärer Leukocyten.
Die Frage, aus welchen Schichten des Wurmfortsatzes sich der Tumor entwickelte,
versuchten wir durch die Betrachtung von mikroskopischen Schnitten der Uebergangsstelle
der Appendixwand in den Tumor zu beantworten. Die Verhältnisse waren folgende: die
Mucosa wird in der Nähe des Tumors immer dünner und dünner und nur als feine
Schicht überkleidet sie noch die Abszessböhle. Die Submucosa und die stark entwickelten
Ring- und Längsfaserschichten hören scharf am Tumor auf. Allein die Serosa ist ganz
erhalten, sie setzt sich als Membran über den Tumor fort, an der Uebergangsstelle ist
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Processus vermi
7. Mn;. Zu- : > t ( vi i*. .• s. ■ rr nvr. / “••■•du I er* oonitursteigertingen bis 41,4.
Abdomen nicht der o ■ - %* -mir «h. ‘Kein Erbrochen.
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^ytiipiouio i J : 1 ;- ■ i:. * . ; E .j .it d • vv h\\er Septischen. Dämpfung auf
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% i' .. "-1 - i . .. :>•'• hPirK «\ Trübungen dos Parenchyme
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Nun hw*.;- **. .* eif die g.■:vairr n Jn^r-iirCitKing des Pracessus zurück:
Per g' WvM.!. - >o i reor^sn ■ ermourmis ist 3 cm lang, sein dünnerer Teil klein-
Üngei'diok. ihi :u '» . ttm’b uer Mümlueg ins Oeacum ümiet sich in der Wand ein Tumor
von kuqvhuor Fc fn, % ■» hatHsgr*>ss, S«m i Mrchiwc^-r beträgt 3 cm. seuie Keosistenz
M ii U’eh. Die e-'r v. der Appendix ist wuK g üoOtriort. Teilweise eitrig imbi-
biert *, auf <ter lautere 3 ’ Seite rindet sieh etn Gebiss, dessen Inualt ge)bli*di durehschimmert.
/ ‘ii Debergacg D:.* ‘(‘.ssus auf den i'emor besteht eine Porferutton der Wand, wtü he
nekrotisch sclmmtz’g verhirbt ist. »ane in »hm i,umen eincefürate Sonde stösst in eurer
T** iV- von 8 mm auf eir. llind^rnH; (1 :m Lumen ist d«et voilstä:.- l, nblit^riert. N;n*h dem
Anfscbneiden zoigf siclr das iftir'':. i*u ga:v/. unerwui u* a* Kild : Das proximale Jh'htel de r
War:! ost v* : tir.O.i* in eu'" n inm- r v«*rv' urbdt A t e’ner S;-c du* von 1 cm *st der
Iho'Tv'v^ voi: Ovi g un».*r^f%dien noui m; i urnc.r itilgctange-u. w'iiirend die Bads in der
5 ujgv von 1 cTri gesund nnd i:o eia 1 , m; vsi -n> Auf der >chmt..lache /e.gt dm hiosrlrruDt
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■• h höre durcha-js h inregeM und ^ b’.CMiuuö . tr: 1 m-Lrosi.ot*isobon IViiparaO:
vO'i .-.r.ndei- %f 1 nc : w.i“;“mu e. Zod-a. die VIn isciierr.su i)<;a*• / o’ teils aufge.uiolleii und
. . *»: sir färbt, rdtdi L: .* n r 1 yx nnftib'-en. ans ' ,r rn.ml’en aatg^rtaaton Partien, »eicht
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sie ca. 2 mm dick und enthält zahlreiche dilatierte Gefässe. Makroskopisch hat der
Tumor einige Aehnlichkeit mit der verdickten Serosa. Allem Anschein nach bildete sieb
der Tumor auf Kosten des Bindegewebes der Serosa oder der Muskularis. Jedenfalls
werden Muskelfasern absolut vermisst.
Der periphere Teil des Processus zeigt jedenfalls eine starke Verdickung sämtlicher
Schichten, namentlich der Muscularis. Sie ist mehr der Ausdruck einer entzündlichen
Durchtränkung und Quellung als einer wirklichen Dickenzunahme der Muskelelemente.
Die Mucosa zeigt eine sehr starke Desquamation des Epithel Überzuges und eine aus¬
gesprochene Rundzelleninfiltration der Follikel, welche nicht sehr zahlreich, aber sehr
stark geschwollen sind. Endlich beweisen Schnitte des proximal erhaltenen Teiles des
Wurmfortsatzes, das heisst der relativ gesund aussehenden Basis, dass die Mucosa hier
sehr reich an Follikeln ist. Die Muscularis ist hier viel dünner als im distalen Teile,
die Serosa aber auch stark entzündet und reich an Blutgefässen.
Dieser anatomische Befund erlaubt uns, den wahrscheinlichen Mechanis¬
mus der ganzen Affektion zu verfolgen. Ich nehme an, dass der Tumor sich
langsam in der Wand des Processus entwickelte; während er nach aussen sich zu¬
nächst frei ausdehnen konnte, erreichte er bald nach innen die entgegengesetzte
Wand des Lumens. Die durch den Druck komprimierte Schleimhaut wurde all¬
mählich atrophisch und verschwand an einer Stelle vollständig. Damit war die voll¬
kommene Obliteration vollzogen. Ich nehme nun an, dass zu der Zeit, als das Lumen
noch durchgängig war, ein kleiner Kotteil in den Processus gelangte und sich dort,
nach dem bekannten Yorgang der Bildung von Kotsteinen, durch Auflagerung von
abgestorbenen Epithelien, Schleim etc. auf den festen Kern, zu einem Kotstein ent¬
wickelte, der die inzwischen enger gewordene Passage nicht mehr zu überwinden
vermochte. Die Aushöhlung des Tumors lässt an eine Arrosion infolge des Druckes
des Kotsteines denken. Durch seine Anwesenheit bildeten sich geschwürige Druck¬
nekrosen. Da das Hindernis nicht zu überwinden war, bohrte sich der Kotstein
einen leichteren Weg durch die entzündete Wand des Wurmfortsatzes nach aussen.
Nun konnten die im Wurmfortsätze enthaltenen septischen Produkte sich ins Peri¬
toneum entleeren und dort einen Abszess bilden. Hand in Hand damit gelangten
die Toxine in die Zirkulation, bevor die peritonitischen Symptome sehr ausge¬
sprochen waren und verursachten bald den Symptomenkomplex, den wir beschrieben
haben.
Wie wir am Anfang dieser Arbeit bemerkten, sind die gutartigen Tumoren
des Wurmfortsatzes ausserordentlich selten. In der sehr reichen Literatur der Ap¬
pendix- und Darmaffektionen konnten wir bloss 2 Fälle finden. Den einen beschreibt
Steiner in seiner Abhandlung über die Myome des Darmtraktus. Es handelte sich
um ein Myom, welches als zufälliger Befund bei einer Sektion gefunden wurde. Der
Tumor war kleinapfelgross und hatte seinen Sitz ebenfalls an der Basis des Wurm¬
fortsatzes. Allmählich hatte er sich ins Coecum entwickelt und das Lumen des Pro¬
cessus obliteriert. Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Fibromyom. Die
Muscularis war an der Spitze kaum gewuchert, an der Basis dagegen, infolge
einer sehr starken Entwickelung der Quermuskulatur in einen Tumor verwandelt.
Durch diese allmähliche Yergrösserung wurde das mucöse und submucöse Ge¬
webe immer mehr gegen das Lumen hergeschoben, bis zur vollständigen Oblite¬
ration desselben.
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Einen zweiten Fall beschreibt Rosi . Es handelte sich um einen Tumor der
Inguinalgegend, der seit 20 Jahren empfindlich war. Man konstatierte eine Hernie
und verordnete ein Bruchband, das nicht vertragen wurde. Nach 2 Jahren bemerkte der
Patient einen Tumor von Nussgrösse im Scrotum. Dieser Tumor erstreckte sich
durch den Leistenkanal und war in der Fossa iliaca noch zu fühlen. Die Operation
ergab, dass der Inguinalkanal einen länglichen Tumor enthielt, der aus dem Wurm¬
fortsatz hervorging und eine Länge von 9 cm, eine Dicke von 4 cm aufwies. Die
Untersuchung ergab ein bindegewebsarmes Myom. — Andere benigne Tumoren des
Processus, wie Adenome, Lipome fand ich nicht beschrieben.
In seiner grösseren Abhandlung über die Myome des Darmes diskutiert Steiner
eingehend die Frage der Aetiologie dieser Geschwülste. Obwohl unsere Geschwulst
fibröser und nicht myoraatöser Natur ist, können wir uns doch die Frage vorlegen,
ob in unserem Fall der Tumor sich zufällig an diesem Orte, etwa aus einem kon¬
genitalen Keim entwickelt habe oder ob seine Entstehung einfach auf die entzünd¬
lichen irritativen Vorgänge des Wurmfortsatzes zurückzuführen sei. Die Histogenese
dieser Darmtumoren wurde lebhaft diskutiert; Virchow wies auf die örtlichen Rei¬
zungen hin, welche dem Muskelgewebe Anlass zur Wucherung geben 'und sprach
den Gedanken aus, dass immer neue analoge Irritation geeignet sei, am Magen und
am Darme die Geschwulstbildung zu begünstigen. Steiner konnte in 19 seiner Fälle
lokale und allgemeine Reizungsvorgänge des Darmes nachweisen: Typhus, Influenza,
Tuberkulose etc.; er legt aber diesen anamnestischen Daten keine allzu grosse Be¬
deutung und nur einen untergeordneten Einfluss bei.
Eine ganz andere Auffassung haben die Autoren, welche diese Darmtumoren
als kongenitale Gebilde im Sinne von Cohnheim-Ribbert ansehen. Auf Grund einer
kongenitalen Anlage entwickeln sich die Tumoren allmählich, wobei allerdings der
primäre Tumorknoten von dem irritativen Einfluss einer Entzündung betroffen und
nun zum weiteren Wachstum angeregt werden kann.
Wir sind geneigt, für die Auffassung der Genese unseres Falles die zweite
Theorie namentlich aus folgenden Gründen anzunehmen. Die grosse Seltenheit
solcher Tumoren spricht gegen einen reinen irritativen Ursprung, denn gerade am
Wurmfortsätze dürfte man erwarten, solche Gebilde häufiger zu treffen, ist doch
dieses Organ, wie fast kein anderes am Darmkanal, Knickungen, Lage- und Zirkula¬
tionsstörungen ausgesetzt. Ausserdem hatte unser Patient nie Zeichen von einer
Entzündung vor dem Anfall gehabt, was allerdings nicht beweist, dass eine solche
nicht schon im Anzug war; findet man doch oft gewaltige Alterationen des Processus,
ohne dass entsprechende Symptome sich kund gegeben hätten. Jedenfalls habe ich bei
den ca. 450 Appendixresektionen, denen ich beizuwohnen Gelegenheit hatte, nie einen
auch annähernd gleichen Befund erheben können.
Wir kommen also zu dem Schlüsse, dass unser Tumor wohl kongenital war,
dass er durch sein Wachstum den Processus obliterierte. Die Appendicitis wurde
wahrscheinlich durch die Anwesenheit eines Kotsteins ausgelöst, nachdem vielleicht
der Tumor einen schädlichen Einfluss auf die Ernährung und Vaskularisation des Wurm¬
fortsatzes ausgeübt hatte. Ich lasse dahingestellt, ob die Bildung einer „Cavite close“ im
Sinne Dieulafoy vielleicht einen Einfluss auf die Toxizität der Appendicitis hatte; be-
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kanntlich soll nach diesem Autor die Virulenz der Mikroorganismen in einem geschlosse¬
nen Raum, in einer Cavitö close, wie er sich ausdrückt, sich bedeutend vermehren.
Dieser Fall zeigt uns wiederum, wie wichtig es ist, bei schweren Fällen, sobald
wie möglich die Ursache der Intoxikation zu eliminieren. Auf Grund unserer Er¬
fahrungen sind wir in der chirurgischen Klinik Zürich seit längerer Zeit entschlossene
Anhänger der Frühoperation, um nicht zu sagen der „frühesten Operation“, nament¬
lich bei von vornherein schwer aussehenden Fällen geworden.
Beitrag zur Therapie der infantilen Bronchopneumonie.
Von Dr. med. Theodor Zangger, dirigierendem Arzte der Kuranstalt „Mühlebach“ Zürich.
Die Lungenentzündung knickt manch 7 junges vielversprechendes Leben, rafft
Männer in der schönsten Blüte ihrer Jahre jählings dahin und bedroht das Leben
des Greises. Heute wollen wir uns allein mit unsern Kindern befassen; wie werden
sie alljährlich in unserm Vaterlande fast dezimiert, ja von dieser Krankheit zu Tau¬
senden weggerafft! In den 5 Jahren von 1896—1900 fielen ihr in der Schweiz laut
Mitteilungen des eidgenössischen statistischen Amtes 2 4,47 5 Kinder (0—14 Jahre
alt) zum Opfer, ein Durchschnitt von 4895 Todesfällen pro Jahr. Mit einer Prozent¬
ziffer von 8,38 ist das fast genau der zwölfte Teil aller Todesfälle in der Schweiz.
Damit ist ihre traurige Bedeutung für unsere Familienleben gekennzeichnet, ihre
Wichtigkeit für die therapeutischen Massnahmen, insbesondere des praktischen Arztes
zu Stadt und Land gebührend hervorgehoben. Wie kann der Lungenentzündung
vorgebeugt werden, durch welche Mittel kann ihr Verlauf abgekürzt, wie kann ihre
Mortalitätsziffer herabgesetzt werden ? Das sind Fragen, welche jahraus jahrein den Arzt
von Fall zu Fall wieder beschäftigen. Die Beantwortung dieser Fragen liegt teils auf
hygienischem, teils auf sozialem, teils auf therapeutischem Gebiete.* Vernünftige,
richtig individualisierte Abhärtung, Sorge für Trockenheit, Luft und Sonnenlicht in
Wohnungen, sorgfältige Behandlung von Masern und Keuchhusten, Krankheiten,
welche bei der Entstehung der Kinderpneumonie ganz wesentlich berücksichtigt
werden müssen, Verbesserung der sozialen Lage unserer armen Bevölkerung, endlich
— last not least — Verbesserung unserer Therapie. Diese Dinge sind es, welche
hauptsächlich in Frage kommen. Selbst da, wo sich uns derzeit unlösbare soziale
Probleme starr entgegenstellen, oder vielmehr gerade hier tut die Verbesserung
der Therapie am meisten not. Von der genuinen Pneumonie, der sogenannten crou-
pösen Pneumonie, die auch ätiologisch eine Krankheit sui generis ist, und eine min¬
destens um das vierfache günstigere Prognose bietet, will ich heute ganz absehen
und mich nur mit der Bronchopneumonie beschäftigen.
Ueber die Mortalitätsziffer der Kinderpneumonie genauere Daten zu erhalten ist
schwierig, da sich hierüber in der Literatur nur spärliche Angaben vorfinden. In der
Evleriburg'whsTi Realencyclopädie (1897 J ) findet sich folgender Passus: „Die Prognose der
Katarrhalpneumonie ist immer ernst zu stellen. Das Sterblichkeitsprozent ist nament¬
lich im ersten und in den nächstfolgenden Kindesjahren ein sehr hohes. Jürgensen
hat aus der Zusammenstellung mehrseitiger genauer Beobachtungen ein durchschnitt-
l ) Bd. XIII, pag. 607.
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liches Sterblichkeitsprozent von 48,3 gefunden. Die Statistik der letzten Jahrzehnte
ergibt etwas günstigere Zahlen.“ Genauere Angaben über ein nur mässig grosses
Zahlenmaterial finden sich im Gerhardt' sehen Lehrbuch der Kinderkrankheiten
(1878), Artikel von Prof. Oscar Wyss 1 ). Unter Valleix und Trousseau starben fast
alle Kinder, 149 von 150!! bei möglichst entkräftigender Therapie (Schröpfungen,
Aderlässe, Brechmittel etc.). Bartels hat 43,3 Zietnssen 30,5 °/o, Steffen 53 °/o
Mortalität, oder bei einer Gesamtzahl von freilich nur 231 Fällen eine Sterblichkeits¬
zahl von 41,4 °/o. Prof. Wyss sagt, seine Erfahrungen reihten sich mehr denen
Zietnssens an. Dieselben sind offenbar (siehe unten Statistik aus dem Kinderspital)
in den letzten Jahrzehnten bessere geworden.
Selbst dem grossen Werke von Grancher und Cothby (Traite des maladies
de Tenfance), Paris 1904, sind nur wenige Daten über Mortalität zu entnehmen.
Roger berichtet, dass unter 431 Fällen von Keuchhusten, welche im Spital behandelt
wurden, 68 Bronchopneumonie bekamen. Yon diesen 68 Kindern mit Pneumonie
starben 51 oder 75°/o! Cornby gibt Aufschluss über 715 Fälle von Masern, die im
Jahre 1895 im Höpital Trousseau verpflegt wurden. Es kamen 85 Bronchopneu¬
monien vor == 12°/o. Die Mortalitätsziffer dieser Pneumonien war 81 °/o! Das sind
für Statistiken neueren Datums noch bedenklich hohe Zahlen. In Monti'a „Kinder¬
heilkunde in Einzeldarstellungen 1902“, Artikel Lungenentzündung, Heft 17, finden
sich keine weitern Angaben.
Es wäre wünschenswert, dass man an einem möglichst gleichwertigen Material
eine grössere Anzahl von Kinderpneumonien, genau ätiologisch geordnet zusammen¬
stellen würde. Indessen habe ich einerseits aus den Jahresberichten des Kinder¬
spitals in Zürich (Prof. Oscar Wyss ), andererseits aus denen der medizinischen Poli¬
klinik (Prof. Hermann Müller) folgende Zahlen aufgefunden: In den Jahren 1898
bis 1903 wurden im Kinderspitale Zürich 97 Kinder an Katarrhalpneumonie be¬
handelt. Die Mortalitätsziffer war 20 °/o> indem 19 Patientchen erlagen. Oft bildet
das Kinderspital die letzte Zufluchtsstätte für ganz schwere Fälle, nachdem sich die
häusliche Pflege als ganz ungenügend erwiesen hat.
Yon der medizinischen Poliklinik, welche seit dem Jahre 1900 die Fälle von
infantiler Bronchopneumonie nach ihrer Aetiologie gesondert anführt, kann ich fol¬
gende kleine Statistik anführen.
Anzahl des Alters
Masern
Keuchhusten
Broncho¬
Jahrgang
0—14 Jahren
ohne
m i t
ohne
m i t
pneumonie
Pneumonie
Pneumonie
1900
Fälle
515
75
134
20
109
Todesfälle
1
12
0
8
28
1901
Fälle
27
3
106
30
102
Todesfälle
0
0
0
4
24
1902
Fälle
585
62
172
47
147
Todesfälle
0
13
0
11
26
1903
Fälle
4
6
110
11
118
Todesfälle
0
0
0
4
16
f Fälle
1132
146
522
108
476
1903J
-|- 18 Erwachsene
lProzentzahl der Todesfälle
0,1%
<7,17«
0»/o
257«
19°/o
*) Bd. ID», pag. 769 ff.
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9
11,4 Prozent aller (1277) Masernfalle sind mit Lungenentzündung kompliziert,
17,1 Prozent aller (630) Keuchhustenfälle.
Die Gesamtmortalität der einzelnen Formen von Pneumonie beträgt:
Masernpneumonie 17,1 °/o ? )
Keuchhustenpneumonie 25°/o,|im Durchschnitt also 20,4 °/o.
Bronchopneumonie 19 °/o,J
Die letzte Zahl ist für Kinder nur approximativ, da zu den 476 Kindern noch
18 Pneumonien bei Erwachsenen hinzukamen.
Trotzdem sich diese Ziffern gegenüber den französischen recht günstig hervor¬
heben, so müssen wir doch darauf bedacht sein, diese Mortalität von 1:5 noch
weiter herabzusetzen. Dazu gibt uns die Hydrotherapie die Mittel an die Hand.
Persönlich habe ich keinen Grund gehabt, mit der Kombination von medika¬
mentöser Therapie mit hydrotherapeutischen Massnahmen (erst Brustwickel, dann laue
Bader von 35 auf 33° C., dann Packungen, endlich Kombination verschiedener
Prozeduren) unzufrieden zu sein, denn ich verzeichne auf 30 Fälle von infantiler
Bronchopneumonie, von welchen ich genauere Notizen besitze, nur einen einzigen
Todesfall, trotzdem in einzelnen Fällen die hygienischen Verhältnisse sehr ungünstig
lagen, das Alter der Kinder bedenklich gering war (je ein Fall von 3 Monaten,
6 Monaten, 11 Monaten), der Ernährungszustand der Kinder mehrmals ein ganz
ungünstiger war und in einem Falle das 2jährige Kind durch vorangegangenen,
6 Wochen dauernden heftigen Keuchhusten erschöpft war. Selbstverständlich sollen
Fälle aus der Privatpraxis, selbst wenn sie sich aus sozial verschieden gestellten
Kreisen des Publikums rekrutieren, denen aus dem Kinderspital oder der Poliklinik
nicht gegenüber gestellt werden, denn ihre Mortalität sollte mindestens um die Hälfte
günstiger sein. Von Prozenten in meinem Falle zu sprechen, wäre unstatthaft, so¬
lange nicht mindestens einhundert genau registrierte Fälle vorliegen. Es wäre ja
sogar sehr bequem und fehlte mir nicht an Vorbilden bekannter Autoren, wenn ich
diesen unbequemen Todesfall, als „moribund zur Behandlung gelangt“, einfach aus
meiner Statistik eliminierte. Statt dessen will ich ihn lieber, trotzdem er therapeu¬
tisch nicht in den Rahmen dieser Mitteilung hineingehört, kurz obenansetzen.
R. St., 3 Monate alt, das 6. Kind schwächlicher Eltern. Der Vater (Kommis) litt
an Phthise und hustet jeden Winter, die Mutter ist anämisch und unterleibsleidend. Das
Kind soll seit der Geburt zart gewesen sein. Dasselbe tritt am 2. Dezember 1902 in
meine Behandlung, nachdem es erst einen Tag fieberhaft erkrankt ist. Ein Blick auf
das armselige kleine Patientchen, das zart, anämisch, mager, mit Zeichen hochgradiger
Dyspnoe und Cyanose stöhnend im Bettchen liegt, genügt, um die allerernsteste Prognose
zu stellen. Der Befand ergibt ausgedehnte baBale Pneumonie des rechten Unterlappens,
daneben Bronchiolitis. T. 39,4. R. 45. P. 150. Es wird ein aromatisches Bad mit
Pfefferminzkraut von 36 0 C., in der Dauer von 3 Minuten verordnet, daneben werden
Stimulantien verabreicht. Kleine Besserung mehrerer Stunden nach dem Bade. Abends
zunehmender Kollaps bei unzählbarem Pulse. Exitus am 3. Dezember, 16 Stunden nach¬
dem ich das Patientchen gesehen habe.
Wir haben hier das Bild der foudroyanten Pneumonie, das meistens jeder
Behandlung in diesem zarten Alter, bei ungünstigen hereditären Verhältnissen trotzen
würde.
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Aber nun zu meinem Thema. Meine Versuche erstrecken sich auf alle Fälle
von infantiler Bronchopneumonie, welche in den Jahren 1902 bis Mitte 1904 zur
Behandlung gekommen sind, und es sind keine Auswahlfälle. Es wurde ein und
dieselbe Badeprozedur (Halbbad) bis zur definitiven Entfieberung verordnet. Aus
praktischen Gründen wurde, statt des in hydriatrischer Literatur warm empfohlenen
Halbbad von 20—18° C., das von 30—28° C. auf 24° C. abgekühlte Halbbad mit
Friktionen in der Dauer von 3—6 Minuten verschrieben, weil das Publikum zu
kälteren Bädern oft grosses Misstrauen hat. Nach Versuchen eines italienischen Hydro-
therapeuten, Dr. Mercadino 1 ) erwies sich, dass das abgekühlte Bad den Blutdruck
ebenso steigert, wie das kühle, die reflektorische Reizwirkung ist eine geringe, was
von den Patientchen angenehm empfunden wird. Es galt eine Badeprozedur ausfindig
zu machen, die allen therapeutischen Indikationen genügte, aber auch in der Praxis
überall bei Eindem leicht angewendet werden kann.
Nun zur Kasuistik. Einige dieser Fälle wurden schon früher publiziert. 8 )
Fall 1. A. M., kräftiges Kind von 4 Jahren. Vater Zimmermann, Mutter
Wäscherin, 6 Kinder unter 10 Jahren. Wohnung klein und ungesund. Eltern und drei
Kinder teilen ein Schlafzimmer. Pat. tritt am 21. Januar 1902 hochfiebernd in Behand¬
lung. Am 22. Januar M a 8 e r n exanthem, das sich rasch über die ganze Körperober-
fiäche verbreitet. Aeusserst intensive Conjunctivitis, Pharyngitis, Laryngitis, dann Bron¬
chitis. Absolut unstillbarer Reizhusten. Das Kind macht einen schwerkranken Eindruck.
Es worden Dämpfe neben dem Bett verordnet, ferner zweimal täglich kalte Dreiviertel¬
packungen zweimal wiederholt. Am 25. Januar fällt das Fieber von 39—40 0 C. auf
38 0 C. ab, steigt am 26. Januar wieder auf 39,5 bei anhaltendem Reizhusten. Das
Kind liegt somnolent da und reagiert wenig. T. 39,5. R. 35. Puls 120. R. H. V.
kleine krepitierende Rasselgeräusche an zirkumskripter Stelle, bronchiales Atmen und
leichte Dämpfung. Es wird die Diagnose auf Katarrbaipneumonie gestellt und ein Halb¬
bad von 30 auf 24 0 C. in der Dauer von 4 Minuten verordnet, in 12 Stunden zu
wiederholen. Am 26. Januar sieht das Kind viel munterer aus. T. 37,5, bleibt fieber¬
frei. Die Zeichen von Lungen in filtration gehen innert 3 Tagen zurück, ebenso unter
mehrmals täglich applizierten kalten Kreuzbinden die begleitende Bronchitis. Pat. kann
am 30. Januar entlassen werden und bleibt gesund.
F a 11 2. R. St., zarter Knabe von 3 Jabren, von gesunden Eltern. Vater Kom¬
mis. 5 Geschwister. Erkrankt am 26. Januar an Masern und wird ohne Arzt zu
Hause behandelt. Da das Fieber nicht nachlässt, werde ich am 1. Februar 1902 zuge¬
zogen. Haut fleckig, wie nach überstandenen Masern. T. 38,6—39,2 0 C. Die Unter¬
suchung ergibt einen pneumonischen Herd im linken Unterlappen, daneben diffusen Ka¬
tarrh. Der Knabe sieht schwer krank aus. Ord.: Halbbad alle 24 Stunden 30° auf
24 0 C., 4 Minuten. Nach 3 Tagen (3 Halbbäder) Nachlass des Fiebers und der Zeichen
von Lungeninfiltration. Keine Erscheinungen von Bronchitis mehr nach 10. Februar. Zur
Stärkung wird Vin de Vial verschrieben.
Fall 3 betrifft meine eigene Tochter. E. Z., gesundes Kind von 11 Monaten,
von gesunden Eltern. 3 gesunde Geschwister. Pat. erkrankt an äusserst heftigen Va¬
ricellen am 20. April 1902. Mehrere hundert Bläschen bedecken die Haut, einzelne
sind auch auf der Schleimhaut der Konjunktiven, des weichen und harten Gaumens zu
finden. T. vom 20. bis 22. April nur 37,8—38,9. Am 23. April hustet das Kind
auffallend viel, wird apathisch, nimmt wenig Nahrung. Die Behandlung bestand in lauen
Vollbädern von 34—35 0 C. mit Krüscbzusatz, die bei Varicellen juckreizlinderod wirken.
*) Blätter für klin. Hydrotherapie 1900, pag. 241 ff.
*) Lancet 1902, pag. 1826.
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Dauer 5—10 Minuten, je nach der Körpertemperatur. Am 24. April stieg die Tempe¬
ratur auf 39,4; die Atmung wird rapide, es besteht trockener Reizhusten. Prof. Oscar
Wyss stellt die Diagnose auf beginnende Lungenentzündung. Wir einigen uns auf ein
Bad von 35 auf 30 0 C. abgekühlt. Nacht schlecht. Am 25. April Zeichen von Lungen¬
infiltration deutlich L. H. O. mit leichter Dämpfung und Knisterrasseln. Kind sehr
schwaeh, hustet viel, zunehmende Somnolenz. T. 39,7. Ich gebe der Kleinen ein Voll¬
bad yon 30 auf 26 0 C. abgekühlt, von 6 Minuten Dauer, ohne Friktionen, da diese
beim Zustand der Haut unzulässig sind. Gute Nacht. Am 26. April Temperatur mor¬
gens 37,6° C., abends 37,0° C.; bleibt normal. Am 27. April ist die Dämpfung über
der Lunge noch deutlicher. Weiterbehandlung mit Krüschbädern von 35 auf 32 0 0.,
einmal täglich, da Kreuzbinden und Wickel die Haut zu sehr mazerieren würden. Bis
zum 30. April verschwinden alle objektiven Lungensymptome. Unter Vin de Vial
schnelle Genesung, die nur durch eine akute febrile lacunäre Angina verzögert wird.
F a 11 4. B. T., 5 Jahre alt, Kind gesunder Eltern. Vater 55, Mutter 43 Jahre
alt. Die Vorgeschichte bietet mehrfach Interessantes. Das Kind, das von Milch mit
Zusatz von Hafermehl (auf ärztlichen Rat hin) ernährt wurde, erkrankte im zweiten
Monat an Ekzem des Gesichts. Am 10. Mai 1897 im Alter von 4*/* Monaten kommt
lokale Diphtherie dazu, mit diphtberitischen Membranen beider Konjunktiven. Durch
Prof. Oscar Wyss Antitoxininjektion am 11. Mai. Es bestand kein Fieber (T. 37,1).
Ich übernehme die Behandlung am 12. Mai und ziehe Prof. Haab zu. Unter weiterer
lokaler Behandlung mit Sublimat 1 : 10,000 und Eis für die Augen heilt die Diphthe-
ritis in 10 Tagen ganz. Bazillärer Nachweis von Wangenhaut und Conjunctiva positiv,
zum Ueberfluss erkrankt eine Stiefschwester, 14 Jahre alt, an leichter Angina dipbthe-
ritica (Bazillennachweis) und eine Magd, welche infizierte Lappen wusch, an einer Pana-
ritium mit diphtheritischen Belägen. Das Kind bleibt in der Folge schwächlich, dys¬
peptisch, neigt zu Erkältungen, das Ekzem persistiert trotz aller Behandlung bis im Juli
des Jahres.
Patientchen, nun 5 Jahre alt, erkrankt am 2. Januar 1902 mit Fieber und Husten.
Als die Temperatur am 5. Januar auf 40 0 steigt, werde ich gerufen. Das Kind, äusserst
mager und welk, leidet an ausgedehnter Bronchitis und Bronchiolitis. Kein
Lungenherd nachweisbar. Trotz Drei Viertelpackungen (von unter den Armen bis an die
Knöchel) verschlimmert sich der Zustand des Kindes. Kühle Bäder, die ich proponiere,
werden abgelebnt. Die Respirationsfrequenz steigt auf 40, der Puls auf 160. Bei an¬
dauernden Temperaturen von 39—40 0 C. treten Cyanose und Zeichen von Herzkollaps
auf. Am 8. Januar kann ein Entzündungsherd im rechten Unterlappen nach¬
gewiesen werden. Endlich durfte ich am 8. Jauuar ein Halbbad von 28 auf 26 0 0. in
der Dauer von 7 Minuten geben. Auffallende Besserung, welche die Umgebung sehr
erstaunt. Pat. schläft gut. Abfall des Fiebers am 9. Januar auf 38,0 °, in 24 Stunden
ist das Kind fieberfrei. Die Zeichen von Lungeninfiltration waren noch 3 Tage nach¬
weisbar. Unter kalten Kreuzpackungen (2—3 mal täglich) gehen die Erscheinungen von
Bronchitis auffallend rasch zurück. Bei diesem Pat. war die Prognose eine zweifelhafte;
noch mehr war dies bei folgender Kleinen der Fall.
F a 11 5. B. J., 4 Jahre alt. Vater Schneider, schlecht genährt, leidet an Herz¬
fehler und chronischem Auswurf, mit Verdacht auf Phthise, ist hereditär tuberkulös be¬
lastet. Mutter schwächlich. Früher Spitzeninfiltration, Prozess derzeit latent. Der Vater
ist ein begeisterter, ja fanatischer Anhänger der Kneipp’schen Kurmethoden. Die Kinder
werden von der Geburt an nur allzuviel mit kaltem Wasser traktiert. Das Kind erkrankt
am 8. Mai 1902 an Masern. Am 4. Tage tritt bei anhaltend heftigem Husten und
hohem Fieber eine Pneumonie R. H. 0. dazu. Statt der bisher angewendeten Dreiviertel¬
packungen verordne ich küble Halbbäder mit Friktion. Der Vater verweigert die Aus¬
führung dieser, in seinen Augen zu angreifenden Behandlung. Dafür bekommt das Kind,
das schon sehr mager ist und schlecht reagiert, Tauchbäder von 10° 0.1! Ich streike
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und empfehle mich. Auf die dringende Bitte der Mutter übernehme ich die tägliche
Beobachtung des Kindes und überlasse dem Vater die Therapie samt der Verantwortung.
Es gebt dem Kind unter täglich zweimal wiederholten Packungen mit kaltem Tauchbad
von Tag zu Tag schlechter. Die Temperatur variiert von 39—39,5 0 C., die Kräfte
nehmen ab. Es treten rechts auch unten pneumonische Herde auf. Abfall des Fiebers
am 17. Mai, aber unter Kollapserscheinungen. Wiederansteigen des Fiebers am 18. Mai
auf 39,0 0 morgens, 39,5 0 abends. Herztöne sehr schwach. Pneumonische Infiltration
nun auch links nacbgewiesen. Das Kind ist in Lebensgefahr. Ich gehe auf die Schneider¬
bude und halte eine kurze, ernste Rede. Der Fanatiker — merkwürdige Ausnahme!
— gibt nach. Die Erfahrung des Arztes kommt zum Rechte. Am 27. Mai wird das
erste Halbbad mit Friktion, T. 28 auf 26 0 C., Dauer 4 Minuten, verabreicht. Merk¬
würdig rasche Besserung des Allgemeinbefindens, des Kollapses, der Temperatur, Stärkung
des Herzens. Innert 16 Stunden ist das Kind fieberfrei. Puls 90. R. 30. Es werden
im ganzen 3 Halbbäder verabreicht, dann nur noch Kreuzpackungen mit nachfolgenden
kalten Abwaschungen. Das Kind, äusserst erschöpft und bis zum Gerippe abgemagert,
braucht noch 14 Tage zur Erholung, kann am 15. Juni entlassen werden. Dieser Fall
ist sehr prägnant, weil die Prognose ganz ungünstig lag.
Unterdessen hatten die andern Geschwister Masern bekommen und beim ältern
Bruder (7 Jahre) zeigten sich die Symptome von Bronchitis, Bronchiolitis, mit Temperatur
von 38,5—39,5 mehrere Tage nach Ablauf des morbillösen Fiebers. War auch da eine
Pneumonie im Anzuge? Auf 2 Halbbäder innert 12 Stunden wie oben, wurde dieser
Knabe fieberfrei — die Frage bleibt ungelöst —, umso besser für den Patienten.
Nicht in allen Fällen gelingt es, in 1—2 Tagen die Entfieberung durchzusetzen,
aber man beharre bei der Verabreichung des Halbbades, zweimal täglich bis zur
Entfieberung. Mehr Bäder pro 24 Stunden zu verabreichen, wird wohl selten not¬
wendig sein, man kann da nichts erzwingen, wohl aber durch zu viel Baden Schaden
anrichten.
F a 1 1 6. G. B., 11 Monate alt. Kind gut situierter Eltern erkrankt am 16.
Februar 1903 an heftiger rechtsseitiger Bronchopneumonie mit Temperaturen von 38 bis
39,5 0 C. Auf Halbbad von 28 auf 24 0 C., zweimal täglich wiederholt, geht das Fieber
innert 3 Tagen herunter, die Infiltration in 6 Tagen. Die Bronchitis persistiert, der
Husten kommt anfallsweise und am 27. muss die Diagnose auf Keuchhusten gestellt
werden. Unter Dreiviertelpackungen, Kreuzbinden und interner Verabreichung von Extrakt
Thymi saccharat. wird er nie sehr heftig (Maximum 20 Anfalle in 24 Stunden) und
dauert in abnehmendem Masse 4 Wochen. Kind sieht heute blühend aus. Es handelte
sich um einen jener selteneren Fälle mit Initialpneumonie, während sonst die Pneumonie
erst in der 2. bis 4. Woche zum Keuchhusten bei überhandnehmender Bronchitis dazu¬
kommt.
F a 11 7. J. J., 7 Jahre, kräftiger Knabe von gesunden Eltern. Skrophulöser
Habitus. Erkrankt mit Katarrhalpneumonie am 22. März 1903. T. 38,7.
Temperaturen 23. März: 39,6—40,3; am 24. März: 38,0 — 40,0; am 25. März: 39,5
bis 3 7,0; am 26. März: 3 6,2 — 3 6,5: definitive Entfieberung nach 7 Halbbädern.
Geheilt entlassen am 3. April 1903.
F a l 1 8. V. Sch., 11 Jahre, schwächlicher Knabe von schwächlichen Eltern. Mutter
tuberkulös belastet, wurde von 1900—1902 wegen tuberkulösem Spitzenkatarrh und mehr¬
fachen Attacken von trockener Pleuritis behandelt. Der Vater ist sehr mager und sieht
zart aus. Aus der Vorgeschichte des Knaben erwähnenswert ist eine Erkrankung an
Katarrhalpneumonie im Alter von 3 Jahren. Patient war 6 Wochen an Pertussis er¬
krankt, von einem Quaksalber erfolglos behandelt worden und kam mit der Komplikation
einer ernsten Pneumonie in meine Behandlung. Therapie bloss hydriatrisch. Bäder und
Wickel. Heilung in ca. 14 Tagen.
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Dieser Patient erkrankt am 6. Juli 1904 mit Husten und hohem Fieber 39,2—39,8
das nach 4 Tagen der Behandlung mit Dreiviertelpackungen noch persistierte. Es
wurde der Verdacht auf Miliartuberkulose wach, da der Knabe mit einem Onkel ver¬
kehrt hatte, der seither seiner Phthise erlegen ist. Die Therapie wurde geändert. Nun
wurden morgens und abends Halbbäder (im ganzen 7) gegeben, während derer die
Temperatur auf 38,5—37,2 zurückging. Die Diagnose auf Pneumonie wird erst am
6. Tage sicher. Die res tierende Bronchitis weicht unter Kreuzpackungen. Entlassung
am 20. Juli.
Doch genug der Kasuistik. Es wäre eine nutzlose Repetition, noch die zwei
andern Fälle von Bronchopneumonie bei Knaben im Alter von 3 Monaten und 11
Jahren im Detail anzuführen, die in diesen 2 */2 Jahren in meine Behandlung ge¬
kommen sind.
Fassen wir das Resultat kurz zusammen: Bei 10 Fällen von infantiler Broncho¬
pneumonie im Alter von 3 Monaten bis 11 Jahren, aus verschiedenen sozialen Kreisen,
von denen zwei (Fall 4 und 5) eine zweifelhafte Prognose hatten, wurden die Pa-
tientchen nach Applikation von 1—7 Halbbädern in der Dauer von 4—7 Minuten
und der Temperatur von 30 — 28° C., das langsam auf 26—24° abgekühlt wurde,
innert 1—4 Tagen fieberfrei. Aehnliche,Resultate vermochte ich früher mit andern
Prozeduren, wie zweistündlichen kalten Brustwickeln und Bädern in hoher Tempe¬
ratur, 35 auf 32 0 C., nicht zu erzielen. Auch die Drei Viertelpackungen, zweimal
täglich wiederholt, ergaben nicht die gleichen Resultate (siehe Fälle 4, 5, 8). Diese
Fälle sollen nicht dienen, um die medikamentöse Therapie der Bronchopneumonie
zu diskreditieren, auf Medikamente musste ich verzichten, um einwandfrei den
hohen Nutzen der Hydrotherapie darzulegen. Es scheint mir das umso wichtiger,
als die speziell hydriatrische Literatur den praktischen Aerzten selten zu Qesichte
kommt.
Sollen wir denn auf diese Therapie verzichten, bis die Diagnose auf Pneumonie
wie in obigen Fällen sicher gestellt werden kann? Gewiss nicht. Denn der Nachweis
der pneumonischen Infiltration kann bei kleinen disseminierten Herden lange fehlen,
oder gar ganz ausbleiben und muss die Diagnose ex juvantibus gestellt werden
(Temperaturverlauf, Puls, Respiration, kleinblasige Rasselgeräusche etc.). Warum er¬
fahrene Kliniker solche Prozeduren als ultimum refugium aufsparen und dann ihre
lebensrettende Wirkung betonen, ist mir unerklärlich. Warum denn warten, bis
die kleinen Kranken durch wochenlanges Fieber erschöpft sind, ihr Herz geschädigt
ist und der Prozess (wie in Fall 5) multipel geworden ist? Periculum in mora!
Wir sollen recht früh mit den Halbbädern einsetzen, dann werden wir präventiv
wirken können.
Ueberlegen wir noch eines. Die Mortalität von Masern und Keuchhusten ist
fast ausschliesslich davon abhängig, ob eine Pneumonie dazutritt. Das ergibt sich
mit bester Evidenz aus dem wertvollen Zahlenmaterial der medizinischen Poliklinik
in Zürich.
Auf 1131 Fälle von Masern ohne Pneumonie kommt nur ein Todesfall =
0,1 °/o, auf 146 Fälle von Masern mit Pneumonie 25 Todesfälle = 17,1 °/o.- Aehnlich
beim Keuchhusten. Die unkomplizierte Pertussis ergibt auf 522 Fälle keinen Todes¬
fall, die Pertussis mit Pneumonie (Anzahl 108 Fälle) 27 Todesfälle = 25 °/o.
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Meine eigenen Erfahrungen in mehreren hundert Fällen von Masern und Keuch¬
husten lehren, dass wenn man diese Krankheit zweckmässig hydriatrisch behandelt,
sehr wenige an Pneumonie erkranken und daher die Mortalität ganz gering ist. So
sind die beiden Fälle 1 (Masern) und 6 (Keuchhusten) die einzigen, bei denen die
Pneumonie während der Behandlung als Komplikation dazukam. Freilich traten eine
ganze Reihe von Patienten (10—12) mit schon bestehender Lungenentzündung in meine
Behandlung.
Damit glaube ich diese Halbbäder meinen Kollegen empfehlen zu können.
Heroische Temperatur, wie sie Jürgensscn anwandte, von 26 bis auf 8 0 C. oder
Buzbaum 22 auf 18 0 C. werden wohl nur in schweren Fällen nötig sein.
Nicht dass ich ihre vortreffliche Wirkung in den Händen eines erfahrenen
Hydrotherapeuten bezweifelte. Im Gegenteil, ich will noch kurz eine Kranken¬
geschichte anführen, die ich einem vorzüglichen Artikel von Dr. Buxbaum: „DieHydro¬
therapie der Pneumonie im Kindesalter“, Blätter für klinische Hydrotherapie 1896,
pag. 141 ff. entnehme.
Kind von 9 Monaten. Pertussis seit 2 Monaten, sehr verfallen, cyanotische, bren¬
nend heisse, welke Haut. Grosse Abmagerung. T. 39,6. R. 52. P. 140. Inspirator.
Einziehungen des Thorax. Seit 4 Wochen tritt ein pneumonischer Herd nach dem andern
auf. Prognose ganz ungünstig. Ord.: Bad von 20° C., 3 Minuten mit kräftigen Frot¬
tierungen, dann Kreuzbinde. Milch mit russischem Tee als Stimulans. Auffallende Bes¬
serung. Verabreichung der Bäder zweimal täglich. Nach 2 Tagen bleibt das Fieber
unter 38 0 C., das Kind schläft, nimmt Nahrung. Puls kräftiger. Heilung nach 10 Tagen.
Die Technik von Halbbädern und Kreuzbinden ist eine einfache. Das Kind
wird in einem warmen Raume (18 — 20° C.) in eine Badewanne mit nur soviel
Wasser gelegt, dass das Wasser die Brust nicht ganz bedeckt, dann während der Dauer
des Bades frottiert. Nach 2 Minuten langsamer Zuguss von kaltem Wasser bis zur
gewünschten Abkühlung des Badewassers. Das Kind wird mit warmem Tuche frot¬
tiert und zu Bett gelegt. Diese Bäder gibt man morgens und abends. Die Kreuz¬
binden ersetzen die üblichen Brustwickel und werden 1—2—3 mal täglich 1—2
Stunden appliziert. Die Leinwandbinde oder Rohseidenbinde, die in Wasser von
15 —8 0 C. getaucht, und je nach dem gewünschten Effekt (grössere oder kleinere
Wärmeentziehung), wenig oder viel ausgedrückt wird, wird in 3 Touren appliziert.
Von der rechten Achselhöhe über die rechte Schulter den Rücken hinunter zur rechten
Achselhöhle, über die Brust zur linken Achselhöhle und zurück über den Rücken und
die linke Schulter zur linken Achselhöhe, dann noch eine Tour um die Brust. Ueber
diese nasse Binde, welche je nach dem Alter des Kindes 3—10 cm breit und 1 bis
2 m lang ist, kommt eine um 1-2 cm breitere trockene Flanellbinde, die zuletzt
mit Heftnadeln festgemacht wird.
Zum Schlüsse noch einen kurzen theoretischen Exkurs. Kühle Halbbäder mit
Frottierungen wirken nicht bloss palliativ, sondern direkt kurativ. Man redet immer
von Bekämpfung des Fiebers. Dieselbe ist nur dann indiziert, wo der Patient durch
andauerndes und hohes Fieber (über 40 0 C.) geschädigt wird oder in Lebensgefahr
kommt. Es treten da degenerative Prozesse am Herzen auf {Zenker), aber ist da nicht
die Hauptsache doch die Toxinwirkung und nicht die Hyperthermie? Nicht der
temporäre Abfall des Fiebers nach jedem Halbbade, wohl aber die definitive Ent-
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fieberung gibt uns Kunde, dass die Infektion erloschen ist. Ich sehe selbstverständ¬
lich von den Fällen von Infektionen ab, wo infolge von Schwäche, Entkräftigung,
Kollaps, Alter (z. B. Greisenpneumonie) das Fehlen des Fiebers ein Zeichen der
schwersten Infektion und mangelhaften Reaktion des Organismus sein kann. Die
Halbbäder wirken blutdruckerhöhend und .damit herzstärkend, auch durch Entlastung
des zentralen Kreislaufes zugunsten der peripheren, befördern die Expektoration,
wirken als Analepticum sowohl auf die Herznerven, wie auch auf die vasomotorischen
Zentren. Die Exkretion nimmt zu, der Stuhlgang wird beschleunigt, die Diurese
steigt, die toxische Coeffizient des Harns geht auch in die Höhe. Wir besitzen kein
medikamentöses Mittel, weder im singularis noch im pluralis, das auf schadlose Weise
diesen mannigfachen Indikationen gerecht zu werden vermöchte, und welche, wie das
Halbbad bei der infantilen Bronchopneumonie tuto, cito et jucundo zum gewünschten
Ziele führt. Ferne sei es von mir, zu behaupten, dass dadurch jede Pneumonie cou-
piert, jede Gefahr abgewendet werden könne, aber es sollte doch durch diese The¬
rapie die Prognose verbessert, die Mortalitätsziffer noch weiter herabgesetzt werden
können.
Es ist gut, wenn die ersten Bäder unter der Aufsicht des Arztes verabreicht
werden. Vorher und nachher bekommt das Kind etwas Milch, eventuell mit Schwarz¬
tee. Die Temperatur des Wassers, die Dauer des Bades, der Grad des mechani¬
schen Reizes können dann besser dem Einzelfall angepasst werden. Da heisst es
individualisieren. Das Krankenzimmer soll 16 — 20 0 C. Wärme haben, besonders
zur Badezeit. Wasserdämpfe, eventuell mit Kamillen, mehrmals täglich V 4 —V 2
Stunde lang im Zimmer entwickelt über Kochapparat mit F e i n s p r i t erleichtern
die Expektoration. (NB. Warum sorgt die emporstrebende Chemie nicht dafür, dass
unser Bundessprit ohne Störungen für unseren Geruchsinn denaturiert wird ?) Neben
einer blanden Diät aus purer oder mit Kamillentee oder Schleim verdünnter Milch
kommt als Diuretikum das Trinken von ganz kaltem Quellwasser, schluckweise, in
Betracht. In der Rekonvaleszenz ist auf eine genau vorgeschriebene roborierende Diät
zu achten, eventuell auf Nachkuren an geschützten Orten, auf Bade- und Trinkkuren
(Soolbäder, Eisenwässer).
Zu dem Artikel „Aetiologie der Tuberkulose auf der Goldküste“
in Nr. 28 erlaube ich mir einige Beobachtungen aus der asiatischen Türkei (Ober-Meso¬
potamien) beizufügen:
Im betreffenden Teile des Orientes wird Kuh- und Schafmilch fast ausschliesslich
in Form von Sauermilch — aus gekochter Milch bereitet — oder von Käse genossen.
Das Volk hält die rohe Milch für ungesund und mit Recht, da die klimatisohen Ver¬
hältnisse rasche Zersetzung bedingen.
Die kleinen Kinder bekommen allgemein Muttermilch, in der Regel zwei Jahre
lang. Das mohamedanische Gesetz — so erzählte mir ein Lehrer der Moschee — schreibt
den Müttern vor, ihre Kinder 30 Monate lang zu nähren, 10 Monate im Mutterleibe,
20 Monate an der Brust. Muss eine Mutter aus irgend einem Grunde ihr Kind früher
von der Brust absetzen oder stirbt das Kind, bevor die 20 Monate erfüllt sind, so hat
das Kind das Recht, die Zeit, um die es zu kurz kam, im Jenseits an der Mutter Brust
nachzuholen. Diese mohamedanische Vorschrift ist in die Sitte der verschiedenen orien¬
talischen Völker — die christlichen Syrer und Armenier inbegriffen — übergegangen.
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Was die Fleischnahrung betrifft, so wird im Innern der asiatischen Türkei fast nur
Schaffleisoh gegessen.
Tuberkulose kommt nun vielfach vor. (Unter den ambulanten Patienten eines
Jahres zählte ich 9 °/o mit tuberkulösen Erkankungen.) Die Lungentuberkulose verläuft
in der Regel sehr rapid unter dem Bilde der Phthisis florida. Sehr häutig ist ferner
Tuberkulose der Lymphdriisen und der Knochen. Gelenktuberkulose schien mir
seltener.
Infektionsgelegenheit durch Einatmen und Verschlucken ist bei dem engen Zusam-
menleben der städtischen Bevölkerung in vielfach ganz lichtlosen, höhlenartigen Gemächern,
wo der Staub rücksichtslos aufgewirbelt wird, sehr reichlich vorhanden. Ueberaus häufig
sind Tonsillarhypertrophien bei Kindern. Sie stellen möglicherweise eine Haupteintritts¬
pforte für das tuberkulöse Virus dar.
Dem Allem nach spielt auch im Orient die Uebertragung der Tuberkulose durch
die Kuh und deren Milch jedenfalls eine sehr geringe Rolle, respektive kommt nicht in
Betracht. Dr. B. C/iml-Hundwil, früher in Ourfa, asiat. Türkei.
Vereinsberichte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
II. SoMersltiiDf den 16. Jili 1904 !■ pathologischen listitit 1 )
Präsident: Prof. Paul Ernst. — Aktuar: Dr. Meyer-Hiirlimann.
1. Prof. Cloetta : lieber dosierbare Dlgltallspriparate. Autoreferat nicht ein¬
gegangen.)
2. Prof. Paul Emst : Demonstrationen, I. Ein knotenförmig geschlun¬
gener Thrombus im rechten Vorhof. Bei der Herzsektion einer 52jährigen
Frau mit Arteriosklerose, Aortenstenose, Uterusmyom, Schrumpfniere, rechtsseitiger Pneu¬
monie und Dementia paralytica wird im rechten Herzabschnitt und in den Lungenarterien
eine Anzahl grosser ufcd kleiner Gerinnsel und embolischer Pfropfe gefunden, worunter
ein wunderliches Gebilde von 39 cm Länge, Bleistiftdicke, roter Farbe
mit grauer Sprenkelung, unebener, sogar etwas höckeriger Oberfläche, stellenweise leicht
spiraliger Drehung. 6 cm vom einen dünnen Ende entfernt sitzt ein vollkommen
g e s c h 1 un gener, festgezogener Knoten, der bei oberflächlichem Zusehen
durch frischere thrombotische Absoheidungen leicht versteckt ist. Nach unserer sorg¬
fältigen und umsichtigen Orientierung in der Literatur, dürfte es sich um eine Rarität,
vielleicht um ein Unikum handeln. Was die äussere Gestalt der Thromben anlangt, so
sind mehrfach geschlängelte Thromben mit Ein- und Ausbiegungen in Aeste der Lungeo-
arlerie bekannt, ferner haben die Kugelthromben Aufsehen erregt, dann hat namentlich
Bonome auf lange und ungewöhnliche Verläufe der Thromben geachtet. Verschlin¬
gungen aber und Knotenbildung waren bisher unbekannt. Unserem Fall am
nächsten kommt eine Beobachtung v. Schrötter's (Handbuch der speziellen Pathologie und
Therapie von Nothnagel). Ein langer, 5—10 mm breiter Embolus steckt mit seinem
vordem Teil in der Arteria pulmonalis, mit dem mittleren Teil schleifenförmig im Ven¬
trikel, mit dem hintern Ende im Vorhof. Das letztere bildet eine elliptische Sohlinge,
und quer über ihr liegt das äusserste Ende, sodass es nur noch eines Stosses bedurft
hätte, um das Ende durch die Schlinge zu treiben und einen Knoten zu bewirken.
Ueber den Mechanismus des Knotenschlingens kann nur Ver¬
mutungen Raum gegeben werden. Wir haben uns darüber folgende Vorstellungen ge¬
macht : Aus der vena femoralis, der mutmasslichen Bildungsstätte, wurde der Thrombus
l ) Eingegangen 12. Dez. 1904. Red.
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nach dem rechten Vorhof geschwemmt, bei seinem Eintritt in den Vorhof durch die
Gegenströmung aus der obern Hohlader aber gehemmt, wobei wegen
der Schwere und der freien Bahn im Gegensatz zum Strömungshindernis in der untern
Hohlader die Stromgeschwindigkeit vielleicht in der obern eine grössere war. So geriet
das vordere Thrombusende in ein neues abweichendes Fahrwasser, unterstützt vielleicht
durch Wirbelbildungen, die ohnehin beim Einströmen von Flüssigkeit aus engem in weites
Rohr entstehen. Abgebogen, beschreibt das freie Ende eine Kreisbewegung,
kommt, unten angelangt, wieder in den Machtbereich der untern Hohlader, folgt dieser
Strömung, bis die Schleife vollendet ist und gerät dann unter die Wirkung der
Vorhofsystole, die den Durchtritt des Endes durch die gelegte Schlinge
und dadurch die Knotenbi ldung bewirkt. Die 2 entgegengesetzten
Strömungsrichtungen der beiden Hohladern und die V orhofsystole wirken
demnach als 3 Kräfte, die mit einander abwechseln, die ersten beiden sind fortlaufend
ohne Unterbrechung tätig, die dritte ruckweise.
Die seltene Beobachtung wird, durch Zeichnungen veranschaulicht, durch eine Disser¬
tation ausführlich veröffentlicht werden.
II. Die Ansiedelung eines kugeligen Thrombus auf Netzen
und gefensterten Membranen im rechten Vorhof.
Bei einer 64jährigen Frau findet sich zwischen crista terminalis und der Gegend
der valvula Eustachii eine teils glatte, teils gefensterte ungewöhnlich grosse
Membran aus Klappengewebe ausgespannt. Jegliche Andeutung an Valvula Thebesii
und Eustachii fehlt, nur eine kleine Leiste erhebt sich zwischen unterer Hohlader und
Sinus coronarius. Die Membran ist 8 cm lang, 2 l /t breit, hängt ins ostium atrioven-
triculare hinein. Auf ihr sitzt ein kirschgrosser runder Thrombus. Die
Insertionen der Membran stimmen überein mit der valvula venosa dextra des fötalen
Herzens. Die Scheidung der fötalen Klappe in eustachische und thebesische Klappe ist
ausgeb lieben. So muss die Membran als eine Hemmungsbildung in doppeltem
Sinne erklärt werden: 1. infolge mangelhafter Ausbildung des obern Teils der rechten
Sinusklappe und 2. infolge ausgebliebener Differenzierung des unteren Teils derselben in
Valvula Eustachii und Thebesii. Die Literatur über Herzmissbildungen kennt mehrfach
persistente Sinusklappen, auch beim Neugeborenen sind sie angetroffen worden. Grössere
Netzo und fädige Reste, die auf die Sinusklappe, d. b. die den Sinus reuniens flankie¬
renden Klappen bezogen werden müssen, sind in verdienstlicher Weise vor einigen Jahren
von Chiari gesammelt und in ausgeprägten Formen vorgewiesen worden. Nach Chiari
soll auch das Septum spurium an der Bildung solcher Gitter beteiligt sein.
Die Schicksale der Sinusklappen sind geschichtlich sowohl bei
der Keimesentwicklung als in der Tierreihe zu verfolgen. Beim Fisch-
herz umsäumen die Sinusklappen einen selbständigen Herzabschnitt, den Sinus venosus.
Bei Amphibien stülpt sich der Sinus venosus in don rechten Vorhof und mündet
als Schlitz zwischen 2 Sinusklappen, die oben in einen Spannmuskel auslaufen. Bei
Reptilien wird mehr und mehr der Sinus in den Vorhof einbezogen, bildet immer¬
hin einen besonderen, fast selbständigen Herzteil und mündet mit Klappen, die einen
Spannmuskel besitzen. - Bei den Vögeln hat sich die Einverleibung des Sinus in den
Vorhof vollzogen, sodass die beiden obern Hohlvenen und die untere gesondert in den
Vorhof münden. Damit geht die Rückbildung der Sinusklappen Hand in
Hand. Am längsten erhält sich als eustachische Klappe ein Rest der rechten Sinusklappe.
Bei den Monotremen sind die Sinusklappen als Säume angedeutet. Bei den Mar-
supialiern sind sie verschwunden, der Sinus gehört nun ganz zum Vorhof. Diese
Dinge sind nur an der Hand des biogenetischen Grundgesetzes dem Ver¬
ständnis zugänglich und es wird an diesem Beispiel die Unentbehrlichkeit die¬
ses Gesetzes auch für die Pathologie erläutert und proklamiert. (Die tat¬
sächlichen Verhältnisse werden an wertvollen Präparaten der vergleichend anatomischen
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Sammlung der anatomischen Anstalt, vor allem an einem Pythonherz vorgewiesen, Ob¬
jekten, die Herr Kollege Buge freundlich geliehen hatte.)
Ob nun der kirschgrosse gestielte Thrombus autochthon auf der Gittermembran ent¬
standen sei oder aus der femoralis, saphena, spermatica, renalis etc. stamme, jedenfalls
lehrt die Beobachtung, dass jene Gitternetze Bildung oder Haftung von Thromben begün¬
stigen. Durch Abreissen des Stiels hätte jederzeit aus dem fixen ein bewege
Hoher, d. h. ein Kugelthrombus entstehen können. Somit ist auch für die Lehre der
Kugelthromben unsere Beobachtung von nicht geringer Bedeutung.
Das Eigenartige und Fesselnde an dem Gegenstand ist aber vor allem das pa¬
thologische Ereignis der Gerinnung auf dem Boden einer angebo¬
renen Anomalie. Mit seltener Deutlichkeit ist hiermit ein Beitrag geliefert für die
verhängnisvolle Bedeutung kongenitaler Ueberreste aus der Entwick¬
lungszeit. Wird schon der Morphologe mit Eifer solche Reste sammeln als Denk¬
mäler der Vergangenheit des menschlichen Körpers, so wird ihnen der Patho¬
loge ein doppeltes Interesse abgewinnen müssen, wenn sie sich gelegentlich als Aus¬
gangspunkte krankhafter Veränderungen, als prädisponierte Stellen
pathologischer Ereignisse, als wahrhafte loca minoris resistenti® in einem neuen und kla¬
reren Sinne enthüllen.
III. In dritter Linie wird eine Probe abgelegt über die nun 4jährigen Bemühungen,
eine Sammlung von Präparaten mit Erhaltung der natürlichen
Farben zu schaffen. Von den 310 gewonnenen Stücken werden 150 vorgezeigt,
systematisch aufgestellt. Die leitenden Gesichtspunkte werden mit wenigen Worten er¬
läutert :
a) es soll nicht ein Raritätenkabinet entstehen, sondern auch das ganz
alltägliche soll in musterhaften Exemplaren zur Anschauung gelangen, z. B.
pind alle Arten ulzeröser, verruköser, chronisch atheromatöser Endocarditis mit verschie¬
denen Formveränderungen der Klappen etwa durch ein Dutzend Objekte vertreten.
b) Da wir niemals V orgänge, sondern nur Zustände sehen, sollen Serien
von Präparaten die Etappen oder Stadien verkörpern, aus denen dann der Vor¬
gang herausgelesen werden kann, so ist das Schicksal des hsematoma durse matris und
daneben der Vorgang der pachymeningitis hsemorrhagioa interna durch eine solche Serie
veranschaulicht. Der vaskulöse Charakter der Entzündung kommt bei dem einen Objekt,
die Bildung der Pseudomembran, gewissermassen einer dritten Hirnhaut bei einem andern
zur Geltung, ein drittes weist auf die Verwandlung des Blutfarbstoffs.
Eine andere Serie verdeutlicht die Veränderungen der Gehirnblutungen. Ein
günstiger Zufall Hess 2 Präparate finden mit identischem Sitz der Blutung und ursprüng¬
lich wohl gleicher Ausdehnung; das eine zeigt den frischen Zustand, das andere die Ver¬
änderung nach Jahren.
c) dem diagnostischen Gedankengang der Klinik kommen Prä¬
parate zu Hilfe mit der Parole: Verschiedener pathologischer Charak¬
ter bei gleichem Sitz. Dafür sorgen 2 Präparate von Neubildungen im Klein¬
hirn mit identischem Sitz, mit gleichen Folgen (Hydrocephalus, durch je eine frontale
Scheibe des Grosshirns vergegenwärtigt), nur ist das eine ein Conglumerattuberkel, das
andere ein hämorrhagisches Gliom.
d) Als Präparate, die nur bei Erhaltung der natürlichen Farben
Sinn und Wert haben, sind folgende aufgestellt:
Hsematoma du ree matris, Ruptura renis mit pararenaler Blutung, Blutungen im
Nierenbecken bei perniciöser Aneemie, Enteritis hsemorrhagica, Nephritis hmmorrhagica bei
Scharlach, hämorrhagische Infektion (Lunge und Magen) beim Kind nach Angina, Stau¬
ungsdarm mit Cbyluscysten, Blutaspiration der Lunge, Siuusthrombose, Thromben in Herz
und Gefässen u. s. w.
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19
Medizinische Gesellschaft Basel.
Sitzug vom 3. November 1904.')
Präsident: Dr. A. Hoffmann. — Aktuar: Dr. J. Karcher .
Prof. Dr. Hagenbach-Burckhardt spricht über Riotgographle bei Kindera. Seit
drei Jahren ist das Kinderspital in Basel im Besitz einer Röntgeneinrichtung von der
Firma Klingelfuss, die vielfach bei den verschiedensten Krankheiten benützt worden ist.
Der Vortragende macht auf die Differenzen zwischen den Aufnahmen von Kindern und
Erwachsenen aufmerksam und zeigt, wie dieselben einerseits günstiger sind bei Kindern
wegen der geringeren Volumina, auf der anderen Seite schwieriger durch die Unruhe
jüngerer Kinder, welcher Umstand fixierende Verbände aller Art nötig macht.
Um Röntgenaufnahmen von kindlichen Knochen richtig beurteilen zu können, muss
man sich notwendig mit dem Knochenwachstum, also mit dem Auftreten der Knochen¬
kerne, mit dem Verschmelzen von Epi- und Diaphyse vertraut machen, wenn man nicht
in diagnostische Irrtümer verfallen will, wie solche vielfach, namentlich früher vorge¬
kommen und auch veröffentlicht worden sind — z. B. Deutung des normalen Kernes des
Olecranons als fractura olecrani, dann des Knochenkerns der tuberositas tibi® als abge*
sprengtes Knochenstück u. s. w. Die Zeit des Auftretens der Knochenkerne unter nor¬
malen Verhältnissen schwankt schon ziemlich stark; bedeutende Abweichungen haben
wir aber bei gewissen Krankheiten, so bei Myxoedem eine sehr bedeutende Verzögerung
des Knochenwachstums, bei Rachitis jedoch trotz vielfacher Aufnahme kein verzögertes
Auftreten der Knochenkerne. Von der Knochentuberkulose ist mehrfach behauptet worden,
dass sie fördernd auf das Knochen Wachstum einwirke; die Beobachtungen am Material
des Kinderspitals können diese Vermutungen nur bestätigen.
Es wird dann von dem Vortragenden eine im Kinderspital angefertigte Tabelle über
das zeitliche Auftreten der Knochenkerne erklärt und eine grössere Anzahl von Röntgen¬
photographien von Knochenkrankheiten, die im Spital beobachtet wurden, besprochen und
herumgegeben und zwar von Knochentuberkulose, Rachitis, Fussgelenkluxationen, Osteo¬
myelitis, Frakturen, Myxoedem.
Referate und Kritiken.
Praktischer Leitfaden der qualitativen und quantitativen Harnanalyse nebst Analyse des
Magensaftes
für Aerzte, Apotheker und Chemiker. Von Dr. Sigmund Frankel , Dozent für medizinische
Chemie an der Wiener Universität. Mit 5 Tafeln. Wiesbaden 1904, J. F. Bergmann.
Fr. 3. 20.
Bei jedem Kranken den Harn auf Eiweiss und Zucker zu untersuchen, sodass kein
Brightiker und kein Diabetiker unerkannt durchwische, wird stets eine Hauptsache bleibeo.
Aber das genügt nicht. Die Magensaftproben sind hinzugekommen als eine ebenso uner¬
lässliche Forderung, und die Harnanalyse verlangt jetzt ein Mehreres. Bleiben eigentliche
Stoffwechseluntersuchungen wesentlich der Klinik und chemischen Laboratorien Vorbehalten,
so hat doch die gewöhnliche Praxis einen Einblick in dieselben festzuhalten, und als
unabwendbare Aufgabe fallen ihr zur Untersuchung auf, die verschiedenen Eiweissarten,
Zucker, Lävulose, Pentose, die Derivate der ß Oxybuttersäure, Blut und Blutfarbstoffe,
Gallenfarbstoffe, Indican, Diazoreaktion, Arzneimittel im Harn, Harnsteine, mikroskopische
Bestandteile.
Einen kurzen, auf das notwendigste beschränkten Ratgeber stellt das kleine Büch¬
lein vor. Schon viele Winke und Verbesserungen in den bisher üblichen Methoden machen
dessen Anschaffung lohnend. Seite*
l ) Eingegangen 3. Dezember 1904. Red.
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Leitfaden der Therapie der inneren Krankheiten, mit besonderer Berücksichtigung der
therapeutischen Begründung und Technik.
Ein Handbuch für praktische Aerzte und Studierende. Von Dr. J. Ligowski. 2. Auflage.
Berlin 1904, Julius Springer. Preis Fr. 5. 40.
Statt sieben Bänden ein Büchlein von 284 Seiten, und sehr viele derselben noch
gefüllt mit ausgedehnten klinischen Exkursen; es geht eben auf einen kleinen Raum,
was durchaus wirksame und zuverlässige Heilmittel sind. Der eine sieht mehr, was noch
fehlt; der andere freut sich vor allem, oft auch ohne Grund, über seine „Erfolge“.
Glücklicherweise sind beide einig, dass das Ziel und Ende alles medizinischen Wissens
das Heilen sein muss. Und beide arbeiten für den gleichen Zweck, der erbarmungslose
Kritiker und der begeisterte; beide schieben am fast nicht rückenden Felsblock der natür¬
lichen Widerstände gegen die Heilbestrebungen.
Hören wir also bald den Skeptiker, der fein scheiden will, was die Natur leistet,
was die Kunst, bald denjenigen, der uns lehren will, es besser zu machen, als wir es
bisher gekonnt. Und dies und das werden wir aus diesem „Leitfaden“ lernen, das, ein
gutes Buch, mit vollem Recht auf dem Standpunkt steht: „Nicht Grübler und Virtuosen
soll der medizinische Unterricht züchten, sondern wissende, denkende und fühlende
Aerzte.“ Seite.
Oie Fettleibigkeit (Korpulenz) und ihre Behandlung nach physiologischen Grundsätzen.
Von Dr. Wilhelm Ebstein , Geh. Medizinalrat, o. ö. Professor der Medizin und Direktor
der medizinischen Klinik und Poliklinik in Göttingen. Achte sehr vermehrte Auflage.
Wiesbaden 1904, J. F. Bergmann. Preis Fr. 4. 80.
„Mein erstes Prinzip ist dabei, dass dieses Resultat nicht zu schnell, in einigen
Wochen oder ein paar Monaten, vollständig erzielt werden soll, sondern es muss das
Regime derart eingerichtet werden, dass es sich der Kranke für seine weitere Lebenszeit
zu eigen macht und es mutatis mu tan dis auch nach vollzogener Entfettung dauernd bei¬
behalten kann.“
„Ich setze lediglich auch bei ihnen — den Fettleibigen — das Fett in die ihm
als Nahrungsmittel zukommenden Rechte ein.“
„Es genügt ein tätiges Leben mit angemessener Körperbewegung.“
„Ich gewähre drei Mahlzeiten: das Frühstück, wozu Kaffee oder Tee — ohne
Milch und ohne Zucker — genossen werden kann; das Mittagessen ist selbstredend die
wichtigste Mahlzeit; auch das Abendessen soll eine relativ untergeordnete Rolle ein¬
nehmen. “
„Von Alkoholicis gestatte ich zwei bis drei Glas leichten Wein, sei es Weiss¬
oder Rotwein, bei dem Mittagessen. Es kann ein diskreter Biergenuss versuchsweise ge¬
stattet werden.“
„Stark gesalzene Speisen sind zu vermeiden. Das Würzen der Speisen ist nur
soweit zuzulassen, als es zum Schmackhaftmachen der Speisen unerlässlich ist.“
In der speziellen Kostordnung erscheinen geröstetes Weiss- oder Graubrot, Butter,
Suppenfleisch, Gemüse, mit Ausschluss von Rüben und Kartoffeln, Obst, Salat, kein Zucker,
Ei, Schinken, Cervelatwurst, Fisch, Käse.
Das genauere ist im Buche selber nachzulesen, wo Physiologie, Kasuistik, Klinik,
Geschichtliches, Polemisches, Literarisches, allgemein Menschliches beisammen sind mit eines
geistreichen Mannes Lebenserfahrung. Seite.
Befruchtung und Geschlechtsbildung.
Von Prof. Dr. Heinrich Bayer . Strassburg 1904, Schlesier & Schweikhardt.
Preis Fr. 2. —.
Bayer's Broschüre gibt einen Vortrag wieder, welcher im Februar 1904 im medi¬
zinisch-naturwissenschaftlichen Verein zu Strassburg gehalten worden ist. — „Die durch
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Teilung sich fortpflanzenden Tiere sind nnsterblich, mit der Differenzierung zwischen
somatischen and Körperzellen trat der Tod in die Welt. Die Geschlechtszelle allein ist
die Trägerin der Unsterblichkeit. Da der Vater nur die Kernsubstanz der einen zeugen¬
den Spermie liefert und alles andere von der Muttor stammt, aber trotzdem das Kind
körperlich und geistig beiden Eltern gleicht, so müssen in den minimalen Mengen der
beiderseitigen Kernsubstanzen, die sich im Befruchtungsakt vereinigen, die gesamten Ver¬
erbungspotenzen enthalten sein.“ Die tiefere Bedeutung des Befruclitungsaktes liegt nicht
darin, dass das Ei entwicklungsfähig gemacht wird, sondern in der Mischung von Quali¬
täten, Amphimixis. Die Amphimixis ist nötig zur Erhaltung der Art. Darum finden
sich auch bei monöcischeu Tieren Vorrichtungen gegen Selbstbefruchtung durch Reifung
der beiden Geschlechtsprodukte zu verschiedenen Zeiten. Vererbbare Qualitäten und
prospektive Potenzen sind leere Worte, hinter denen nicht der Schimmer eines Begriffs
steckt.
Der II. Teil des Vortrags bespricht die Ursachen der Geschlechtsbildung. Vier
Wochen lang ist der menschliche Embryo geschlechtslos; denn er besitzt keine Keim¬
drüse. Die Hypothese, dass das Geschlecht im Ei präformiert sei, ist neuerdings wieder
mehr aufgekommen, aber die von Lenhossek dafür angeführten Gründe halten einer
strengen Kritik nicht Stand, seine Beweisführung kann nur mit bedeutenden Einschrän¬
kungen als giltig anerkannt werden. Bei parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern ist
das Geschlecht selbtverständlich präformiert, anders wird die Sache, sobald die Befruchtung
dazu kommt. Die Gleichgeschlechtlichkeit eineiiger Zwillinge ist kein Beweis für die
Präfonnationslehre mehr, seit man weiss, dass sie auch nur aus einer Spermie stammen.
Wenn die Beobachtung von Berthold über männliche Parthenogenese, besser Androgenese
bei Algen richtig ist, so hat man keinen Grund^ an der sexuellen Präformation auch bei
der Spermie zu zweifeln.
Bayer hält es für wahrscheinlich, dass das Geschlecht bei der Befruchtung gebildet
wird. Das Centrosoma der Spermie gibt der Keimbahn einen bestimmten Entwicklungs¬
rhythmus und nimmt so an der Geschlechtsbildung Teil. Beweisen lässt sich das zwar
nicht, aber dafür spricht, dass man bei zwei sechs wöchentlichen menschlichen Embryonen
das eine Mal einen starken weiblichen Keimepithel wall, das andere Mal eine männliche
Bildung mit vorwiegender Urnierenproliferation findet. Der Entwicklungserreger, der
Samen hat da verschieden eingewirkt. Stärkere vitale Energie des Samens
gegenüber dem Ei bedingt nach Bayer das weibliche Geschlecht der Frucht,
herabgesetzte Leistungsfähigkeit desselben das männliche. Dafür
spricht auch, dass bei Aborten und Totgeburten die Knaben über wiegen. Der kranke
oder schwache Vater hat nur einen Knaben zeugen können und die Frucht ist an der
Infektion, die Ursache der Schwäche war, zu Grunde gegangen.
Von allen Erfahrungen über Geschlechtsbildung sind nur zwei bewiesen, der Knaben-
Überschuss alter Erstgebärenden und der Ueberschuss männlicher Fohlen bei Ueber-
anstrengung des Hengstes, den Düsing aus einer Million Würfen der preussischen Gestüte
festgestellt hat.
Das Buch orientiert gut über den Stand dieser Fragen und ist allen den Kollegen
zu empfehlen, die, durch die Aufgaben der Praxis in Anspruch genommen, sich seit ihrer
Studienzeit nicht mehr mit diesen Dingen abgegeben haben und die ihre Kenntnisse in
dieser Richtung auffrischen und ergänzen wollen. Alfred Goenner .
Oie Funktionsprüfung des Darmes mittels der Probekost.
Von Adolf Schmidt. 60 Seiten und eine Tafel. Wiesbaden 1904, Bergmann.
Preis Fr. 3. 20.
Das vorliegende Werk bringt das praktische Ergebnis und die Summe dessen, was
der Autor zum. Teil allein, zum Teil mit seinem Mitarbeiter Strasburger aus seinen mehr¬
jährigen Untersuchungen und Beobachtungen gewonnen hat.
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Hiernach kann in wirklich unkomplizierter Weise die Funktion des Darms durch
eine einfache dreitägige Probekost ähnlich geprüft werden, wie die des Magens durch die
Probemahlzeit. Die Hauptmethoden sind: genaue makroskopische und mikroskopische
Beobachtung, die Subliraatprobe für die Unterscheidung von Hydrobilirubin und Bilirubin
und die Gährungs- oder Brutschrankprobe, welche durch einfache Reaktionsbestimmung
die eventuelle Anwesenheit abnormer Gährung (Kohlebydratzersetzung) oder abnormer
Fäulnis (Eiweisszersetzung) anzeigt. Die normalen und pathologischen Ergebnisse werden
besprochen, auch im Zusammenhang mit den Störungen, welche von den Erkrankungen
des Magens, des Darmes und des Pankreas hervorgerufen werden.
Die neu vorgeschlagene „Kernprobe“ als Ersatz oder Ergänzung der £aft# 1 schen
Glutoidprobe, welche bei gänzlicher Unverdautheit der Kerne eines in einem Gazesäckchen
eingeschlossenen Fleischstückes eine hochgradige Störung der Pankreassekretion beweist,
ist aber wohl überflüssig und auch viel komplizierter als die* Glutoidprobe.
Für jeden Magen- und Darmspezialisten ist das Buch wohl unentbehrlich.
Deucher.
Sammlung von gerichtlichen Gutachten
aus der psychiatrischen Klinik der Charite zu Berlin. Von Prof. Dr. M. Köppeti , I. As¬
sistenten der psychiatrischen Klinik. Mit einem Vorwort von Prof. Jolly, Berlin. 546 Seiten.
Berlin 1904, S. Karger.
Eine Stadt wie Berlin weist interessante Fälle in ärztlicher, wie richterlicher
Beziehung alljährlich in grösserer Anzahl auf. Dass daher die königliche Charitö und
ihre Aerzte im Verlaufe der Zeit zahlreiche Fälle zu untersuchen und zu begutachten
Gelegenheit haben, ist selbstverständlich. Prof. Köppen veröffentlicht die wichtigeren und
schwierigeren dieser Fälle, 47 an der Zahl, die, 3 ausgenommen, welche Prof. A. West-
phal begutachtete, alle von ihm begutachtet wurden. Sie betreffen verschiedene Formen
geistiger Störung, am zahlreichsten den Schwachsinn.
Ebenso verschieden sind die begangenen Verbrechen, unter denen der Diebstahl,
die Betrug8vergehen und Verbrechen und die sexuellen Vergehen am meisten Vorkommen.
Das Buch ist in jeder Beziehung zum Studium empfehlenswert. L. W.
Ueber die Frage des Heiratens von früher Geisteskranken.
Vortrag von Heinr . Schule . Leipzig 1904, S. Hirzel. Preis Fr. —. 80.
Verfasser erörtert in eingehender und, wie gewohnt, geistreicher Weise obige Frage.
Auf Grund seiner Erfahrung kommt er zur Ansicht, dass die Angaben einzelner Autoren,
dass die Ehe unter diesen Umständen prophylaktisch wirke, überwiegenden Zweifel und
Bedenken bervorrufen müssen, welcher Ansicht ich mich nach meiner eigenen Erfahrung
im ganzen anschliesse. Das nur 25 Seiten umfassende Schriftchen ist den ärztlichen
Praktikern zum Studium sehr zu empfehlen. L. Wille .
Akten des ärztlichen Centralvereins.
TI. Deleglertenversammlung des ärztlichen Zentralvereins.
Sitzung den 4. Dezenber 1904, NachniUag 2 Uhr ls Zürich (Schnidstuhe).
Vorsitzender: Dr. Ferner. — Schriftführer: Dr. VonderMühll.
Anwesend; Aargau: Bircher, Frey; Appenzell: Wiesmann; Basel-Stadt: Lote,
Jaquet, VonderMühll ; Bern: Ost, Ganguillet, Lane; Glarus: Heftig Graubünden: Bene,
Köhl, Turban; Luzern: Attenhofer; St. Gallen: F eurer, Reichenbach; Schaffhausen: Rahm;
Solothurn: von Arx ; Tessin: Reali; Thurgau: Brunner; Zürich: Huber, Näf, Oehninger,
Ziegler , Leuch; Zug: Merz. Total: 27.
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Entschuldigt abwesend: Ha fft er, Trechsel , Saxer , Siraumann , Häberlin.
Total: 5.
Unentschuldigt abwesend: Kocher , Ceppi, Stöcker, Sandoz , Noseda.
Total: 5.
Als Stimmenzähler werden bezeichnet: von Ara;, Rahm.
Der Präsident begrüsst die Versammlung und wünscht den Zürcher Kollegen
dazu Glück, dass der gesunde Sinn des Zürcher Volkes letzten Sonntag das Initiativ¬
begehren zur Freigabe der ärztlichen Praxis mit glänzendem Mehr verworfen habe; nicht
zum mindesten ist den Zürcher Aerzten das Verdienst an diesem Resultat zuzuschreiben,
das nicht nur für den Kanton Zürich, sondern für die ganze Schweiz von grosser Be¬
deutung ist.
Trakt. 1. Wahl des leitenden Ausschusses. Es hatte sich in der
Mitte des Ausschusses die Frage erhoben, ob es nicht nötig sei, in der heutigen Sitzung
eine Neuwahl des Ausschusses vorzunehmen; deshalb war als Traktandum 1 der Dele¬
giertenversammlung „Neuwahl des Ausschusses“ vorgelegt worden. Nachdem eine Dis¬
kussion über diese Angelegenheit Klarheit gebracht hatte, wird auf Antrag von Dr.
Th. Lotz einstimmig beschlossen:
I. Die Wahl des leitenden Ausschusses wird, da sie im Widerspruch stände mit § 9
der Statuten des Zentralvereins, heute nicht vorgenommen.
II. Da die dreijährige Amtsdauer der Delegierten mit dem Herbst 1905 abgelaufen
sein wird, so sollen die den Zentral verein bildenden Gesellschaften vom leitenden Aus¬
schuss rechtzeitig eingeladen werden, die statutengemässe Wahl ihrer Delegierten vor dem
1. Dezember 1905 vorzunehmen.
Trakt. 2. Aerztliche Standesordnung. In der Sitzung der Dele¬
giertenversammlung vom 29. März 1903 hatte die medizinische Gesellschaft des Kantons
Aargau folgenden Antrag an den Zentralverein gestellt:
„Der Zentralverein möohte die nötigen Vorkehrungen zur Einführung einer ärzt¬
lichen Standesordnung in der ganzen Schweiz treffen.“
Der Antrag war dem leitenden Ausschuss zur Begutachtung und Antragstellung
überwiesen worden (siehe Corresp.-Blatt 1903, S. 305).
Dr. VonderMÜhll als Berichterstatter des Ausschusses: Der Aus¬
schuss konnte nur prüfen, ob ihm eine allgemeine Standesordnung für das Gebiet des
Zentralvereins wünschbar und möglich erscheine; die Frage einer Standesordnung für die
ganze Schweiz wäre von der Aerztekommission in Beratung zu ziehen gewesen. Aber
auch nur sohon eine für das Gebiet des Zentral Vereins passende Standesordnung aufzu¬
stellen, wäre ausserordentlich schwierig gewesen; denn über das, was im Verkehr mit
den Kollegen und dem Publikum als erlaubt und nicht erlaubt gilt, herrschen — offen¬
bar den lokalen Bedürfnissen angepasst — in den verschiedenen Landesgegenden gänzlich
verschiedene Ansichten und zwar teilweise in grundlegenden Fragen. Darüber geben am
besten die bereits vorhandenen Standesordnungen einzelner ärztlicher Gesellschaften Auf¬
schluss. Dieselben weisen z. B. über den Empfang der Kranken im Sprechzimmer des
Arztes an dem einen Ort sehr streng beschränkende Bestimmungen auf, während an einem
andern Orte die absolute Neutralität des Sprechzimmers als Grundsatz aufgestellt wird.
Ebenso bestehen über die Konsultationen mit Homöopathen in den verschiedenen vorhan¬
denen Standesordnungen erheblich von einander abweichende Bestimmungen.
Für eine für den ganzen Zentralverein geltende Standesordnnng müsste auch eine
zentrale Instanz vorhanden sein, welche die Einhaltung dieser Ordnung zu überwachen
hätte. Man könnte daran denken, dem leitenden Ausschuss diese Aufgabe zuzuweisen
oder neben ihm eine neue Behörde, eine Art Ehrenrat des Zentral Vereins, zu schaffen.
Der Ausschuss ist jedoch der Ansicht, dass der Zentralverein für eine derartig zentrali¬
sierende Organisation heute noch bei weitem nicht fest genug gefügt sei: weder die
Delegiertenversammlung noch der Ausschuss haben den kantonalen Gesellschaften gegen-
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über Kompetenzen, die erlauben würden, den Bestimmungen einer allgemeinen Standes¬
ordnung auch wirklich Geltung zu verschaffen. Es fragt sich aber, ob die Zeit schon da
ist, um eine straffere Organisation des Zentralvereins anzustreben, und ob bei der Mehr¬
zahl der kantonalen Gesellschaften hierfür Geneigtheit vorhanden wäre.
Andererseits wurde schon durch den Sprecher der medizinischen Gesellschaft des
Kantons Aargau bei der Motivierung seines Antrages betont, dass eine Standesordnung
ein treffliches Mittel sei, um das Solidaritätsgefühl unter den Aerzten zu stärken. Der
leitende Ausschuss schliesst sich dieser Ansicht an. Die Beispiele derjenigen ärztlichen
Gesellschaften, welche bereits Standeaordnungen besitzen, lassen erkennen, dass das Inter¬
esse der Aerzte an ethischen und sozialökonornischen Standesfragen durch die Beratungen
über Standesordnungen geweckt und verbreitet wurde, und dass Gesellschaften mit Standes¬
ordnungen allfalligen unwürdigen Anforderungen von Krankenkassen und Versicherungs¬
gesellschaften an die Aerzte wirksam entgegenzutreten vermögen.
In Erledigung seines Auftrages stellt der Ausschuss folgenden Antrag:
„Der Zentral verein möge einstweilen auf den Antrag der medizinischen Gesellschaft
des Kantons Aargau auf Einführung einer ärztlichen Standesordnung für die ganze Schweiz
nicht eintreten.“
Ferner fügt der Ausschuss als weiteren Antrag bei:
„Der leitende Ausschuss spricht der Delegierten Versammlung gegenüber den Wunsch
aus, es möchten sich die kantonalen Aerztegesellschaften oder kleinere ärztliche Gesell¬
schaften fester organisieren; als das geeignete Mittel hiezu' empfiehlt er die Aufstellung
von Standesordnungen, eventuell mit Taxeordnungen. 4
In der eingehenden Diskussion wird auf die Frage, ob es möglich sei, eine für das
Gebiet des Zentral Vereins geltende Standesordnung durchzuführen, nicht mehr näher ein¬
getreten; hingegen ergibt sich, dass im allgemeinen das Bedürfnis nach besserer Organi¬
sation der Aerzte mit Hilfe von Standesordnungen vorhanden ist; des weiteren wird von
mehreren Rednern betont, auch über die kantonalen Grenzen hinausreichende Bestim¬
mungen über Standesfragen wären an manchen Orten erwünscht.
Verschiedene Meinungen ergehen sich dann über die Frage, ob es wünschbar sei,
der Ausschuss stelle mit Genehmigung der Delegiertenversammlung mehr oder weniger
bindende Grundsätze über Standesfragen fest; hierüber werden folgende Ansichten aus¬
gesprochen und teilweise durch Anträge präzisiert:
Dr. Ganguillet wünscht, der leitende Ausschuss möge an Hand der Rchon bestehen¬
den Standesordnungen eine unverbindliche Wegleitung zur Redaktion einer Standes¬
ordnung ausarbeiten und dieselbe den kantonalen Gesellschaften zur Verfügung stellen. —
Dr. Mere glaubt, dass gewisse Grundsätze über den Verkehr der Aerzte unter sich und
mit dem Publikum für das Gebiet des Zentral Vereins allgemein geltend sein sollten; er
will den Ausschuss beauftragen, solche allgemein gültige Grundsätze zu Händen der
Delegiertenversammlung zu formulieren; dieselben müssten dann den kantonalen Gesell¬
schaften bei der Ausarbeitung von Standesordnungen als bindende Richtschnur dienen. So
würde wenigstens in den Hauptpunkten über Standesfragen unter den Aerzten Einigkeit
erzielt.
Dr. Brunner weist darauf hin, dass im Kanton Thurgau dieselben Bedenken gegen
eine Standesordnung für den ganzen Zentralverein geltend gemacht wurden, wie sie bereits
ausgesprochen wurden. Immerhin hält er für wichtig, dass unter den Aerzten über
gewisse sozialökonomische Fragen, namentlich aber über das Verhalten gegenüber Kranken¬
kassen und Versicherungsgesellschaften Uebereinstimmung erzielt würde. — Dr. Huber ver¬
tritt nochmals den Standpunkt des Ausschusses; er hält es für unnötig, irgendwelche
bindende oder nur anleitende Vorschriften aufzustellen; die bereits vorhandenen Standes¬
ordnungen geben hinreichend Anleitung und der leitende Ausschuss macht ausdrücklich
auf dieselben aufmerksam. — Dr. Reichenbach ist der Meinung, es wäre nicht ratsam,
mit irgendwelchen Normalien zu einer Standesordnung vor die kantonalen Gesellschaften
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za treten; et sei eben doch noch nicht sicher, ob überhaupt in allen Kantonen das
Bedürfnis nach Standesordnungen vorhanden sei; er beantragt, die Delegiertenversammlung
Bolle die kantonalen Gesellschaften ersuchen, in ihrem Schosse die Frage der Einführung
von Standeßorduungen zu beraten und hierüber bis Ende 1905 dem leitenden Ausschuss
Bericht zu erstatten.
Nach verschiedenen Abstimmungen über eventuelle Anträge werden die beiden
Anträge des leitenden Ausschusses ohne weitere Zusätze mit
25 Stimmen angenommen.
Trakt. 8. Aerzte, die keiner kantonalen Gesellschaft an¬
geboren. Es hat sich ergeben, dass ca. 300 Aerzte im Gebiete des Zentralvereins
keiner kantonalen Gesellschaft und somit auch nicht dem Zentral verein angehören. Im
Hinblick auf die wichtigen Fragen, welche in der nächsten Zeit an den Aerztestand
herantreten werden, ist aber sehr zu wünschen, dass möglichst alle Aerzte ärztlichen
Gesellschaften beitreten, damit die Delegiertenversammlung und der Ausschuss tatsächlich
als Vertreter des gesamten Aerztestandes des Zentralvereinsgebietes aufzutreten in der
Lage seien. — Der Ausschuss richtet daher an die Delegierten die
Aufforderung, in ihren kantonalen Gesellschaften auf diese Verhältnisse aufmerk¬
sam zu machen und mit Nachdruck darauf hinznweisen, dass ein Zusammenschluss der
Aerzte Not tue. In einigen Gegenden wird es sich vielleicht ergeben, dass die Aerzte
an der Zugehörigkeit zu kantonalen Gesellschaften kein grosses Interesse haben können;
hier soll die Gründung neuer und die Belebung wenig tätiger Bezirksvereine angestrebt
und sollen dann diese kleineren Aerztevereine in globo den kantonalen Gesellschaften
angegliedert werden.
Die Versammlung nimmt diese Aufforderung ohne weitere Bemerkungen entgegen.
Trakt. 4. Rechnungsabnahme des Zentralvereins durch den
Kassier Dr. Huber , abgeschlossen auf 30. Juni 1904:
Am 1. Juli 1903 war das Saldo.Fr. 1264. 20
Beitrag der kantonalen Gesellschaften .... * 1397. —
Beitrag der Sociötö medic. de la Suisse romande „ 12. —
Zinse.„ 39. 75
Zahlung an die Delegierten bei Anlass der Ver¬
sammlung in Olten.
Ausgaben bei Versammlung des Ausschusses des
Zentralvereins.
Ausgaben für die Aerztekommission . . . .
Drucksachen und Porti (Basel, St. Gallen, Zürich)
Saalmiete und Diverses.
Fr. 2712. 95
Fr. 319. 25
„ 29. 50
„ 53. 86
„ 175. 50
« 35. 50
Fr. 613. 61
Einnahmen .... Fr. 2712. 95
Ausgaben.„ 613. 61
Saldo am 1. Juli 1904 Fr. 2099. 34
Saldo am 1. Juli 1903 Fr. 1264. 20
Saldo am 1. Juli 1904 „ 2099. 34
Vermehrung des Saldo Fr. 835. 14
Laut schriftlichem Bericht haben Dr. Häberlin und Dr. Näf die Rechnung geprüft
und richtig befunden; sie beantragen die Rechnung zu genehmigen und dem Kassier
bestens zu verdanken.
Die Versammlung stimmt bei.
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Trakt. 5. Vorläufiger Bericht über die Kr&nkenver-
eicher u ng8frage. Prof. Jaquet referiert: Es haben sich an der Enquete der
schweizerischen Aerztekommission etwa 1 /s sämtlicher Aerzte beteiligt; dies kann nicht
als Misserfolg aufgefasst werden, da in Deutschland sich an ähnlichen Enqueten ein
wesentlich kleinerer Bruchteil der Aerzte beteiligt hat Zudem kann aus den kantonalen
Berichten über manche Punkte eine gute Uebersicht gewonnen werden, so z. B. nament¬
lich über die Frage der Selbstdispension, über die durchschnittlichen Honoraransätze und
die Honorarverluste. Prof. Jaquet gibt über einige kantonale Berichte nähere Auskunft,
Der von ihm verfasste zusammenfassende Bericht hat jetzt bei den von der Aerztekommission
ernannten Sachverständigen zirkuliert; dieselben werden nun in der nächsten Zeit ihr
Gutachten ausarbeiten und, gestützt darauf, der Aerztekommission ihre Anträge unterbreiten.
Trakt. 6. Anregung betr. Botschaft des Bundesrates über
den Versicherungsvertrag. Prof. Jaquet , als Referent des Aus¬
schusses: Das Gesetz über den Versicherungsvertrag liegt gegenwärtig bei den bundes-
rätlichen Kommissionen zur Vorberatung. Einige Artikel, namentlich 16, 17 und 71
könnten für die Aerzte von Wichtigkeit sein, namentlich auf die Durchführung freier Arzt¬
wahl bei der Behandlung haftpflichtiger Unfallpatienten.
Vorerst wird darauf hingewieseu, dass eine Eingabe der Aerzte an die bundes*
rätlichen Kommissionen als Sache aller Schweizer Aerzte von der Aerztekommission aus-
gehen müsste, und hierauf bewegt sich die Diskussion in zwei Richtungen: Einmal näm¬
lich sprechen sich mehrere Herren (Dr. Feurer, Heftig Mers) dahin aus, dass das Haft-
pfiichtgesetz die Stellung der Aerzte in Unfallfragen genügend feststelle und die freie
Arztwahl durch dasselbe bereits gewährleistet sei; es sei also nicht nötig, dass die Aerzte
in dem neuen Gesetz über diesen Punkt Zusätze wünschen. — Schliesslich wird der
Ausschuss beauftragt, die Angelegenheit in der Aerztekommission zur Sprache
zu bringen. —
Die andere Seite der Diskussion ergibt namentlich durch Voten von Dr. Hefti,
Prof. Jaquet , Dr. Kohl und Dr. E. Lanz , dass zwei französische Unfallversicherungs-
Gesellschaften jeweils da und dort wieder versuchen, mit einzelnen Aerzten Verträge ab-
zuschliessen, die das Gemeinsame haben, dass sie das Prinzip der freien Arztwahl durch¬
brechen und zudem den Aerzten unwürdig niedrige Honorare gewähren. An einigen
Orten sind einzelne Aerzte auf derartige Sonderverträge eingegangen, namentlich dort, wo
ein Zusammenhalten des ärztlichen Standes nicht vorhanden ist; an andern Orten haben
sich sämtliche Aerzte gegen die unwürdigen Zumutungen dieser Versicherungs-Gesell¬
schaften gewehrt und haben dadurch stets erreicht, dass die Gesellschaften nachgeben
und sich auf den Boden des Haftpflichtgesetzes stellen mussten.
Es wird darauf hingewiesen, dass das eidgenössische Versicherungsamt in der Lage
sei, ungesetzliches Vorgehen von Versicherungs-Gesellschaften zu verhindern, sobald ihm
ein solches überhaupt bekannt werde; nach Antrag von Dr. Merz wird daher be¬
schlossen, die Aerztekommission zu ersuchen, dem Versicherungsamt an Hand von
bestimmten Fällen die nötigen Mitteilungen über die in Frage stehenden Gesellschaften
zu machen. Ferner wird nach Antrag von Dr. Huber der leitende Ausschuss beauf¬
tragt, im Corresp.-Blatt für Schweizer Aerzte eine Veröffentlichung zu veranlassen, welche
die Aerzte zu korrektem und standesgemässem Verhalten den beiden französischen Gesell¬
schaften gegenüber auffordern soll. *
In der allgemeinen Umfrage macht Dr. von Arx die Anregung, der Ausschuss möge
untersuchen, ob es nicht ratsam sei, bei der Herbstversammlung des Zentral Vereins auch
Themata über Standesfragen auf die Traktandenliste zu setzen. Der Präsident
bemerkt, es sei diese Frage schon mehrfach im Schosse des Ausschusses erwogen worden ;
einstweilen habe die Meinung vorgeherrscht, dasB die Jahresversammlung ein zu grosses
Forum sei, um über Standesfragen eingehend zu diskutieren, doch werde der Ausschuss
bei Gelegenheit die Frage von neuem prüfen. — Schluss 5 Uhr 20.
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W oohenberioht.
Schweiz.
— Unser verehrte Kollege Dr. Guillaume , der sehr geschätzte Direktor des eid¬
genössischen statistischen Bureaus, hat unlängst sein 50jibriges Doktorjobllion gefeiert
und bei dieser Gelegenheit zahlreiche, verdiente Ehrungen erfahren. Wir wollen dem
Lebenden und hoffentlich noch lange an Körper und Geist Gesunden und Arbeitsfreudigen
keinen Nekrolog schreiben, aber dankend anerkennen möchten wir hier, daB8 Dr. Guillaume
ausserordentlich viel für die Yolkswohlfahrt und für die Erkenntnis speziell auch in
unserer ärztlichen Wissenschaft getan hat und noch tut und dass er zu jenen liebens¬
würdigen Vielbeschäftigten gehört, die auf jede an sie gestellte Frage oder Bitte um
Auskunft und Belehrung sofort eine erschöpfende Antwort senden. Wir schweizerischen
Aerzte verehren und lieben ihn und senden ihm unsere wärmsten Glückswünsche.
— In der Schweiz. Wochenschrift für Chemie und Pharmacie 1904 Nr. 45 ff. er¬
schien soeben eine sehr interessante, mit prächtigen künstlerischen Beilagen ausgestattete
historische Arbeit von Prof. Tschirch , Bern: Die Pharmacop®, eio Spiegel Ihrer Zelt.
Die 44 Druckseiten umfassende Abhandlung ist nicht nur lehrreich, sondern nebenbei
auch recht kurzweilig zu lesen.
Au s I and.
— Die ‘ Ueberprodaktloa Io der medlsioiscbeo Publizistik. Kohn teilt in einem
Artikel der deutschen medizinischen Wochenschrift mit, dass die medizinische Welt zur¬
zeit über 240 in deutscher Sprache erscheinende Publikationsorgaue verfügt, während
fortwährend noch neue erscheinen. In dieser literarischen Fruchtbarkeit dürfte jedoch
nicht ein Masstab für die Fruchtbarkeit der medizinischen Forschung erblickt werden;
denn ganze Nummern mancher Fachblätter kann man ruhig bei Seite legen, ohne be¬
furchten zu müssen, etwas belangreiches versäumt zu haben. Viele dieser Arbeiten ver¬
danken ihre Entstehung nicht einem inneren Drange des Autors, sondern ganz äusser*
lieben Momenten: die meisten werden auf Aufforderung eines Redakteurs, der Material
braucht, um seine Spalten zu füllen, geschrieben, andere auf Veranlassung des „Chefs“,
der seinem Ruhm zu dienen glaubt, wenn aus seinem Institut alljährlich so und so viele
Arbeiten hervorgehen, auch die unberechtigte Breite der Darstellung in vielen Arbeiten,
das „Wattieren mit Literatur“, kommt in Betracht. Ein wichtiger Umstand, der zur
Füllung der Journale beiträgt, ist der Missbrauch, ein und dieselbe Arbeit gleichzeitig an
mehreren Stellen zu publizieren. „Da hält ein Autor einen Vortrag, z. B. in der Ber¬
liner medizinischen Gesellschaft, lässt ihn als Originalartikel in der Berliner klinischen
Wochenschrift in extenso abdrucken, gibt aber gleichzeitig eine ausführliche Darstellung
in irgend einem Archiv und hält es vielleicht für angebracht, diese letztere noch in Form
einer Monographie gesondert erscheinen zu lassen.“
Dass nun alle diese Blätter sich zu halten vermögen, beruht nicht etwa darauf, dass
dieselben genügend Leser finden, also nicht auf einem gesunden Verhältnis zwischen Angebot
ui)d Nachfrage, sondern viele von ihnen verdanken ihre Existenz den Inseraten. Welche
bedauerlichen moralischen Schäden die Jagd nach Annoncen zur Folge hat, deutet Kohn nur
an. Der intellektuelle Schaden, den die Ueberproduktion und die Zersplitterung in der
medizinischen Literatur verursacht, besteht nach Kohn darin, dass es dem wissenschaft¬
lichen Arbeiter und dem Arzt, der mit den Fortschritten der Gesamtmedizin in Fühlung
zu bleiben wünscht, ausserordentlich erschwert wird, die für seine Zwecke nötigen Journale
zu beschaffen; sie zu halten ist meist zu teuer, er ist also auf Bibliotheken und Lese¬
zirkel angewiesen, oder er begnügt sich gar mit der Lektüre von Referaten. Um Wandel
zu schaffen, wünscht Kohn , dass die akademischen Lehrer ihre Schüler veranlassen, weniger
zu schreiben, und dass sie dieselben zu knapperer Darstellung und Weglassung unnötigen
Beiwerks anhalten; dass sie ferner nicht aus Gutmütigkeit, oder Eitelkeit, oder aus finan-
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zielten Rücksichten neu entstehende Blätter unterstützen. Gr erinnert sie daran, dass
der Titel eines Redakteurs nichts weniger als eine Empfehlung in wissenschaftlicher Hin¬
sicht darstellt, und wünscht endlich, dass, wo eine übergrosse literarische Fruchtbarkeit
sich breit macht, eine freimütige und unabhängige Kritik hemmend eingreife.
(Münchner med. Wochenschr. Nr. 44.)
Eine Sanierung der gegenwärtigen Zustände wird erst eintreten, wenn der deutsche
Buchhandel ein so schlechtes Geschäft geworden ist, dass er sich den Luxus unrentabler
Zeitschriften nicht mehr leisten kann. Viele Zeitschriften leben eigentlich nur aus
den Inseraten der täglich auf den Markt geworfenen neuen Arzneimittel. Ein Krebs¬
schaden unterstützt den anderen. Wenn sich einmal die Fabrikation und das Annoncieren
neuer Arzneimittel nicht mehr lohnt, wird die Zahl der medizinischen Zeitschriften bald
zurückgehen.
— Einem sehr lesenswerten Spitzenartikel von Prof. Krehl in der Strassburger
medizinischen Zeitung 1904/9 über das Thema: Was sollen wir den Kranken Uber
ihre Krankheit sagen? entnehmen wir folgende zutreffende Schlussworte:
„ Weiter aber spielen die Kranken verschieden klingende Aeusserungen der Aerzte
gegen einander aus. Schon wenn wir uns als Fachleute unter einander über Auflassung
und Benennung eines selbst einfachen Krankheitszustandes mit Hilfe der wissenschaftlichen
Terminologie unterhalten, wie verschieden zeigt sich selbst dann häufig die Ausdrucks-
weise! Wie ganz anders wachsen aber noch die Schwierigkeiten, wenn man Laien einen
Krankheitszustand beschreiben, erklären und benennen will. Schliesslich hat dann doch
jeder Arzt das natürliche Bestreben, den Kranken zu schonen. Wer von uns hätte nicht
erlebt, dass eine Lungenphthise dem Kranken gegenüber von dem einen als Bronchitis,
von dem andern als Spitzenkatarrh, von einem dritten als Tuberkulose bezeichnet wird,
und der Kranke nun die beiden ersten für Ignoranten hält! Dazu kommen dann nooh
die Phantasie des Kranken, die allmähliche Umbildung der „Begriffe“, die für den
Kranken ja keine wirklichen Begriffe sind, die daraus erfolgenden Umdeutungen und Um*
nennungen. Jeder von aus hat doch schon Aeusserungen, welche er an Kranke tat, von
diesen oder ihren Angehörigen nach Jahren wieder gehört. Und wie wieder gehört!
Wem ist dabei nicht schon der Aufruf entfahren: Das soll ich gesagt haben! Also im
Interesse des Kranken und unseres Standes sollen wir mit unseren Aeusserungen zu den
Kranken äusserst vorsichtig sein. Wir sollten immer bedenken, dass wir mit detaillierten
Schilderungen den Frieden des Kranken stören, dass wir seine weitere Beurteilung und
Behandlung auf das äusserste erschweren, dass wir das Ansehen unseres Standes beim
Publikum möglicherweise gefährden. Denn vielfach werden die verschieden klingenden
Aeusserungen verschiedener Aerzte über ein und den gleichen Zustand dazu benutzt, sie
gegen einander auszuspielen. Selbst bei Wohlwollenden kommt das vor. Und wieviel
uns dadurch geschadet wird, sieht man am besten aus der Enttäuschung der Menschen,
wenn es nicht gelingt, uns zu trennen.“
— Zur Prognose des Diabetes, von F, Hirschfeld, Während die Prognose der
„schweren“ Fälle von Diabetes relativ einfach ist, die Krankheit 1, selten 5, sehr selten
mehr Jahre dauert, ist diejenige der „leichten“ Fälle nicht so klar. Eine erhebliche
Lebensverkürzung soll nach Naunyn nicht vorhanden sein, nach allgemeiner Ansicht soll
die Lebensdauer 15—20 Jahre betragen. Immerhin glaubt Hirschfeld , dass eine Anzahl
dieser leichten Fälle zu einer Verkürzung des Lebens führt, wenn man die Zahlen der
Lebensversicherung zu Grunde legt. Auch in Külz , Zusammenstellungen (herausgegeben
von Rumpf) finden sich unter den 200 Todesfällen eine Anzahl ungünstig verlaufener
„leichter“ Fälle. Hirschfeld hat nun eigenes und ihm von Kollegen zur Verfügung ge¬
stelltes Material zur Untersuchung der Prognosestellung verarbeitet. Er räumt der Höhe
der Glycosurie eine wesentliche Bedeutung bei. Das alte Traube *sehe Einteilungsprinzip:
„Leichte Fälle sind solche, die bei kohlehydratfreier Diät zuckerfrei werden, schwere solche,
die trotzdem noch Zucker ausscheiden,“ genügt nicht. Es ist besser, längere Zeit 100 gr
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Kohlehydrate zu geben und während einiger Monate die Zuckerausscheidung wiederholt zu
bestimmen. Als leichtere Fälle charakterisieren sich dann solche, die bei 100 gr Kohle¬
hydrate 20—30 gr Zucker ausscheiden, als mittelschwere, die 20—25 gr Zucker
ausscheiden. Gerade letztere Fälle stellen eine bestimmte Gruppe dar. — Nephritis
fand sich häufiger, bei 10°/ o der Fälle: bei den schweren einmal, bei den mittelschweren
unter 69 21 mal, bei den leichteren unter 44 fünfmal, bei den ganz leichten unter 74
zweimal.
Die in den mittleren Jahren stehenden Diabetiker scheinen am meisten von Ne¬
phritis bedroht. Begünstigend auf die Entstehung einer Nephritis scheint Polyurie zu
wirken. Trat ein Diabetes zu einer Nephrolithiasis hinzu, so kam bald die Nephritis
hervor. Etwas Cystitis hat jeder Diabetiker. Die Diabetiker mit Nephritis sind ungünstig
gestellt, doch zog sich die Nephritis oft auch 6—7 Jahre hin. Oedeme kommen bei
Diabetes auch ohne Nephritis vor.
Es fragt sich nun: was ist das für eine Nephritis? Bei schweren Fällen ist es
eine akute Form. Neuerdings wird die Nephritis mit der Sklerose der Gefasse in Zu¬
sammenhang gebracht (Senator)] aber es findet sich bei schweren Fällen eine akute, bei
den mittelschweren eine mehr chronische, bei ganz leichten gar keine Nephritis. Des¬
halb ist doch wohl dasselbe ätiologische Moment anzunehmen, das nur der Schwere des
Falles nach langsamer wirkt. Es finden sich oft charakteristische Zylinder (hyaliner Art,
seltener granulierte). Oft ist nicht eine echte Nephritis, sondern eine Nierenreizung an¬
zunehmen.
Die Therapie soll nicht in einer Milchernährung bestehen, sondern man soll sich
auf die Sahne beschränken (fehlender Milchzucker).
Von Todesarten unter den mittelschweren Fällen sind zu nennen: die Nephritis,
Coma diabeticum, Apoplexie, Herzschwäche; ferner ist erwähnenswert die mindere Re¬
sistenz gegen Infektionskrankheiten. Selten wurde Gangrän beobachtet, die meisten
Gangränfälle beziehen sich auf unbehandelte Individuen. Relativ selten kam auch Tuber¬
kulose vor. Tuberkulose, ebenso wie die Furunkulose und Karbunkulose, wurden bei der
ärmeren Bevölkerung angetroffen. Von den mittelschweren Fällen starben kaum 8 °/o,
von den leichten ein Drittel an interkurrenten Krankheiten. Nach Art der Lebensver¬
sicherung berechnet, erreichen die mittelschweren Fälle eine Lebensdauer von 10, die
leichten von 20 Krankheitsjahren. Die leichten (mit den Fällen von alimentärer Glyko-
surie zusammen verrechnet) beeinflussen die Lebensdauer kaum. Hirschfeld vergleicht
den Diabetes mit dem Alkoholismus, bezüglich der individuellen Widerstandsfähigkeit.
Die Lebensweise kommt manchmal bei den mittelschweren Fällen nicht in Betracht.
Progressive Fälle finden sich meist in der Jugend. — Zum Schluss weist Hirschfeld
nochmals darauf hin, dass die bisher leicht genannten Fälle diesen Namen in toto nicht
verdienen, sondern dass von ihnen die Gruppe der mittelschweren (100 gr Kohlehydrate
zu 20—25 gr Zucker) abzutrennen sei.
(Berl. Ver. f. inn. Med. 7. Nov. Centralbl. f. inn. Med. Nr. 47.)
— Eochlnlo ia Mlxtarea. Es ist der Vorschlag gemacht worden, Euchinin, sofern
es in Mixturen verordnet wird, mit Hilfe von Acid. citric. in Lösung zu bringen. Dass
sich Euchinin mit Säuren in Lösung bringen lässt, ist eine bekannte Tatsache. Dieser Ausweg
scheint aber unstatthaft zu sein aus dem Grunde, als solche Lösungen sehr bitter schmecken.
Will der Arzt also durch Verordnung von Euchinin, das ja ziemlich geschmacklos ist,
den bitteren Geschmack der Chininpräparate umgehen, so darf der Apotheker diese Ab¬
sicht nicht dadurch illusorisch machen, dass er das Euchinin in ein bitteres Derivat über¬
führt. Er muss also, vorausgesetzt, dass ein genügender Alkoholzusatz nicht statthaft ist
(da Euchinin in den weitaus meisten Fällen in der Kinderpraxis verordnet wird, dürfte
dies fast stets zutreffen), das Euchinin in der Mixtur suspendieren. Das Richtigste wäre
wohl, wenn der Arzt Euchinin stets als Pulver verschreiben würde.
(Schweiz. Wochenschr. für Chem. und Pharm. 29. Okt.)
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— Ueber lofuse ood Dekokte. Daeis empfiehlt, um möglichst wirksame Arzneien
zu bereiten, die Droge zunächst mit kaltem Wasser zu macerieren. Wenn man eine
Droge mit siedendem Wasser behandelt, so gerinnen die Eiweisskörper und wahrschein¬
lich noch andere Zellbestandteile, wodurch die Auflösung der wirksamen Substanzen er¬
schwert wird. Die der Hitzeeinwirkung vorangehende Maceration ist namentlich für
Rinden, Hölzer, W r urzeln zu empfehlen; während die Drogen mit zarteren Geweben eine
solche eher entbehren können. Besonders wirksame Infuse erhält man durch Maceration
der pulverisierten Drogen, welche dann bis zur Siedhitze erwärmt und erst nach dem
Erkalten filtriert werden. Speziell für Digitalis erhält man eine wirksamere Arznei,
wenn man das Pulver zunächst macerieren lässt und dann auf 70° 0. erwärmt, als wenn
man es direkt mit siedendem Wasser behandelt. Für Chinadekokte ist es erforderlich,
warm zu filtrieren; ausserdem ist ein geringer Säurezusatz zum Dekokt zweckmässig.
(Rev. pharmac. beige. Rev. therap. mödic. chirurg. Nr. 21.)
— Gegen Ekzem empfiehlt Mayer (Münchner medizinische Wochenschrift) das E m -
pyroform in folgender, rasch ein trocknender Schüttelmixtur: Rp. Empyroformi 15,0;
Talei venet., Glycerini ää 10,0; Aq. dest. 20,0. „Das Präparat, dem infolge seines
Formalingehaltes stark antiparasitäre Eigenschaften innewohnen, reizt in keiner Weise,
beseitigt den letzten Rest von Juckreiz sehr prompt und befähigt die empfindlichste Haut,
weil selbst eine Teerkombination, zur Nachbehandlung, Ertragung stärkster Teerkonzen¬
trationen. Die in der Wäsche verursachten Flecken sind leicht zu entfernen. In leichtern
Fällen ersetzt es den Teer vollkommen, was in Anbetracht des lästigen Geruches des
letztem bei ambulanter Behandlung ins Gewicht fallen dürfte.“
— Behandioog der Trichophytie des Barles. Brocq empfiehlt folgende Lösung:
Quecksilberchlorid 0,2, Formol 0,75, Aceton 10,0, Kampherspiritus 100,0. Damit werden
die kranken Stellen morgens und abends betupft. Für die Nacht wird folgende Salbe
appliziert: Jod. pur. 0,2, Vaselin 20,0. Aceton erleichtert das Eindringen der Lotion
in die Haut.
(Journ. de möd. et chir. prat. 10 Sept. Rev. de therap. mödic-chirurg. Nr. 20.)
— Gefroren gewesene Speisepilze gehen rasch in Zersetzung über und wirken
dann leicht toxisch. Steinpilz, Eierschwamm, Sandpilz etc., welche leichten Nachtfrost
durchgemacht hatten, und welche äusserlicb absolut nicht darunter gelitten zu haben
schienen, erzeugten wenige Stunden nach dem Genüsse Uebelkeit, Erbrechen, Krämpfe,
Gliederschmerzen, die erst nach 8 Tagen völlig schwanden. Es ist daher vor dem Ge¬
nüsse solcher Pilze, die Nachtfrost durchmachten, sehr zu warnen.
(Schweiz. Wochenschr. f. Chemie u. Pharm, nach Südd. Apoth.-Ztg.)
— Bei allen akaten katarrhalischen Entzündungen des Respiratlonstraktas
empfiehlt Weitlaner (Insbruck) als bestes internes Mittel das salioylsaure Natron in Ver¬
bindung mit Opium nach folgendem Rezept: Natr. salicyl. 30,0; Pulv. Ipecac. opiat 3,0;
Ol. menth. pip. gutt. I. m. f. p. Div. in part. mq. Nr. XX. D. 8.: 3—5 Pulver täg¬
lich in V 4 Glas Wasser gelöst und umgeschüttelt zu nehmen. Diese Medikation wendet
W. vor allem auch bei der so lästigen akuten Rhinopharyngitis an und
rühmt namentlich, dass schon eine Stunde nach Einnahme des Pulvers die so lästige Ex¬
sudation in der Nase gänzlich sistiert. (Dieses Aufhören der Exsudation ist auch beim
Gelenkrheumatismus die Ursache des Aufhörens der Schmerzen.) Beim akuten Schnupfen
genügen durchschnittlich 4 Pulver täglich und „es ist eindringlichst ratsam, auch einem
so unscheinbar Kranken die Wohltat des 10 °/o Salicylnatron-Dowerpulvers angedeihen
zu lassen und auf die äusserlichen Medizinalanwendungen ganz zu verzichten.“
(Wiener med. Presse 49/1904.)
— Behandlung der Pseodarthrosea doreb Blnteinspritzong. Prof. Bier (Bonn)
macht, gestüzt auf die Beobachtung, dass überall, wo ein grosser Bluterguss vorhanden
ist, erhebliche Knochen- und Bindegewebsneubildung entsteht, den ingeniösen Vorschlag,
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auf Knochenbrüche, die nicht heilen wollen oder schon zu Pseudarthrosen geführt haben,
Blut einzuspritzen. Die Wirksamkeit dieser Methode belegt er mit Krankengeschichten,
z. B.: Ein 56jähriger Bauer mit Fraktur des rechten Unterschenkels kommt 14 Monate
nach dem Unfälle mit Pseudarthrose ins Krankenhaus. In Abständen von 3—6 Wochen
wurden — im ganzon 6 mal — 20 ccm defibriniertes Blut eingespritzt (teils eigenes,
teils durch Aderlass zufällig verfügbares fremdes). Nach 6 Monaten war die Fraktur
vollständig konsolisiert. (Mediz. Klinik I, 1.)
— Behandlung der Sycosis. Belgodkre empfiehlt Zerstäubungen von 1 prozentigen
Resorcinlösungen als zuverlässiges und einfaches Mittel gegen Sycosis. Der Sprayapparat
Wird etwa 50—60 cm von der kranken Stelle entfernt gehalten und die Sitzungen dauern
10—20 Minuten.
Die Resorcindämpfe dringen leicht durch die Haare bis zur Haut hindurch, sodass
es meist nicht notwendig ist, behaarte Stellen zu rasieren, resp. zu epilieren, wenigstens
wenn es sich um einfache Fälle handelt, ohne tiefgehende Infiltration. Ferner ist ein
weiterer Verband überflüssig, mit Ausnahme der schweren Fälle, in welchen es sich em¬
pfiehlt, während der Nacht Resorcinkompressen zu applizieren. Die Heilungsdauer betrug
mit dieser Behandlung je nach den Fällen 2—17 Wochen.
— Als schwimmendes Sanatorium stellt die Hamburg-Amerikalinie den im Bau
befindlichen Doppelschraubendampfer „Fürst Bismarck“ in Dienst. Das Schiff wird im
April nächsten Jahres fertiggestellt sein; es enthält besondere Einrichtungen für die in
Aussicht genommene Verwendung. Im Mai soll es die erste Reise an treten, welche sich
innerhalb des Mittelmeeres vollziehen wird. Ausgeschlossen von der Aufnahme sind Per¬
sonen mit Infektionskrankheiten; der „Fürst Bismarck 6 soll vielmehr in erster Linie
erholungs- und kräftigungsbedürftige Personen auf die See führen.
(Zeitschr. für ärztliche Fortbildung Nr. 23.)
— Das System der frelea Arztwahl in Berlin geben mit dem 1. Januar 1905
folgende Kassen auf: die allgemeine Ortskrankenkasse der gewerblichen Arbeiter (eine
der grössten Krankenkassen Berlins), die Ortskrankenkasse der Schneider, der Bureau-
Beamten, Gürtler, Goldschmiede, Sattler, Drechsler und Stellmacher. Diese Kassen, welche
bisher'Verträge mit dem Verein der freigewählten Kassenärzte geschlossen hatten, haben
insgesamt 137,600 Mitglieder. Dem letztgenannten Verein, welchem fast sämtliche Aerzte
Berlins angehören, bleibt nunmehr nur die Behandlung von 84,000 Versicherten.
Berichtigung.
In meinem Autoreferat über Diskussionsbemerkungen zum Vortrag Wormser'*s (Nr. 24
des Corr.-Blattes für Schweizer Aerzte 1904) haben sich einige den Sinn verwirrende
Druckfehler eingeschlichen.
Seite 801, dritter Absatz von unten, 26. Zeile von unten: unter vaginöser Adre¬
nalin . . . . = unter regionärer Adrenalin . . . .;
dortselbst letzter Absatz, 10. Zeile von unten: sehr leichteres = weit halt¬
bareres;
dortselbst 9. Zeile von unten: Adrenalinum und = Adrenalinum, d. h.;
dortselbst 5. und 4. Zeile von unten : 0,05 Cocain muriatic. 0,45, Natr. = 0,05
Cocain muriatic., 0,45 Natr.
Seite 803, zweiter Absatz, 17. Zeile von oben: Suggestivnarkose schon das =
Suggestivnarkose sehr das;
dortselbst dritter Absatz, 23. Zeile von unten: anfangs mit Anästhesie = anfangs
mit Anästhesin.
Ich nehme nochmals die Gelegenheit, trotz der Ausführungen Herrn Wormser ’s auf
Grund meiner doch sehr viel grösserer Erfahrung die Herren Kollegen vor der Anwendung
der ÄocÄ’schen Lösung ohne weitere Verdünnung zu warnen. Zwei und einhalb Fläschchen
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der 0,02 Kokainlösung kommen schon der Maximaldosis gleich und reichen für grossere
Dammrisse kaum aus! Herr Wormser stützt sich auf Erfahrungen, die in der chirur¬
gischen Poliklinik zu Leipzig bei 763 Fällen gesammelt worden sind: „niemals schädliche
AUgemeinWirkungen! tt — aber diese Fälle beweisen nichts! Bei Adrenalinzusatz wird
die Kokainvergiftung zeitlich verschoben, aber nicht aufgehoben. Die Er¬
scheinungen traten nach meinen Erfahrungen in mehreren Fällen nicht gleich ein, sondern
viel später, 4—5 Stunden und noch später, ganz gemäss den jüngsten Untersuchungen
Thies (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 74, 1904). In Polikliniken verlassen die
Kranken bald die Anstalt und deren Aerzte können in der Regel nichts erfahren, jeden*
fall8 nicht selbst beobachten, welche Nachwirkungen sich nach Stunden geltend
machen; hier entscheidet einzig und allein klinische, dauernde Beobachtung und diese
eben veranlasst mich zur obigen Warnung!
Uebrigens ist auch die Bemerkung Wormser 's unzutreffend, dass Rand und Lappen¬
nekrose nur bei schlecht ernährten, wenig vaskularisierten Wundrändern in Betracht
kommen kann. Ich habe direkt das Gegenteil gesehen, allerdings bei Infiltrations¬
anästhesie mit Adrenalin. Prof. Dr. v . Her ff.
Den verehr!» Herren Mitarbeitern pro memoria.
Alle Zusendungen für die Redaktion (Originalarbeiten, Vereins¬
protokolle — möglichst gedrängt und in den Diskussionen zusammen fassend erbeten
— Kantonale Korrespondenzen, Referate, Wünsche, Be¬
schwerden etc.) — mit Ausnahme der Rezensionsexem plare von Büchern,
Broschüren, Separatabzügen etc. — sind zu adressieren an Dr. E. Hafter, Frmnenfeld; alle
Korrekturen, Abonnementsbestellungen, Inserate, Adressen¬
änderungen etc. und die Rezensionsexemplare an Herrn Benno
Sehwabe, Buchbindler In Basel. Die Herren Verfasser von Originalarbeiten erhalten
jeweilen 10 Exemplare der betr. Nummer. (Die Herren Einsender von Vereinsberichten 3.)
Separatabzüge von Originalarbeiten werden nur auf Wunsch angefertigt und zwar
bis zu 30 Exemplaren gratis.
Briefkasten.
Die Herren Universitätskorrespondenten werden um gefl. Einsendung der Studentenfrequenz
gebeten.
Für das japanische rote Kreuz sind bei Unterzeichnetem folgende Gaben eingegangen und
werden hiemit bestens verdankt: Ungenannt 100 Fr.; Poststempel Lenzburg 5 Fr.: Apotheke Kür¬
steiner, Thun 20 Fr.; Dr. W. in W. 20 Fr.; Sektion des Schweiz, roten Kreuzes: Emmenthal 50 Fr.;
Ungenannt St. Gallen 50 Fr. E. H.
Ueber ein© 35jährige Dame, Elsässerin, die deutsche und französische Examina absolvierte
und auch etwas englisch spricht, sehr viel Erfahrung in der Leitung grösserer Hauswesen hat, und
welche nun eine Stelle als Leiterin eines Sanatoriums, eines Familienhaushaltes, als Hausdame oder
als Begleiterin für Kranke nach dem Süden sucht, erteilt gerne Auskunft E. H.
Dr. H. in Pegli: Die Reklamation ist berechtigt. Ein Nekrolog von f Oberst Göldlin ist
noch nicht erschienen, wurde dem Corr.-Blatt aber längst zugesagt und wird nun hoffentlich bald
eingehen. — Grass aus frostigem Norden ins Paradies Pegli.
Das Aerzte-Album dankt für die Photographie von f Collega Dr. Otto Rahm .
Dr. B. in Genf: Bis zum Jahre 1889 (inkl.) erschien alljährlich das Verzeichnis der Disser¬
tationen an den Schweiz, medizin. Fakultäten, seither nicht mehr. Nach dem Muster der Revue
mldicale, welche die ärztlichen Dissertationen von Genf und Lausanne jeweils in der ersten Nummer
des Jahres bringt, soll in Zukunft im Corr.-Blatt das Verzeichnis der Doktor-Arbeiten aus Basel,
Bern und Zürich gedruckt werden, was aber natürlich nicht in der am 1. Januar ausgegebenen
Nummer geschehen kann.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung io Basel,
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CORRESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
36 Cts. diegesp. Petitzeile.
för
Schweizer Aerzte.
Heransgegeben von
Preis des Jahrgangs:
Pr. 12. — für die Schweis,
Pr. 16. — für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. R. Ilaffler und Prof« A* Jaquet,
in Prauenfeld. in Basel.
NJ 2. XXXV. Jalirg. 1905. 15. Januar.
Inlralti 1) Ori g\ n *1 zrbei len: Dr. Benri Friolet: UreterreKektion mit konaekuilTer Ureteroeptanutoinoee. — Dr.
2 hegen WekrH : Retinalblntangen das K>zdaa. — Dr. 0. Amrein: Zuckerprobe mit „Nitro-PropioUTabletten*. — S> Vereine-
b*» rieht#: GeaePachaft der Aerzte in ZBrieb. — BBnd tierischer AerzteTerein. — 81 Iteternte and Kritiken: Prof. Dr.
Bermann Schlesinger: Chirurgleche Eingriffe bei Innern Erkrankungen. — Dr. Max Neuburger nnd Prof. Dr. Juliue Pagel: Hend-
barh der Geechielite der Meditin. — Dr. TA. T Hing: Geieteenrtnng nnd Geieteeetörong. — Dr. Alex. Pike: Lehrbuch der
speziellen Psychiatrie. — 4) Kantonnle Korrespondenten: ßcbaffhaueen: Dr. Otto Rabm +. — 6) Wochenbericht:
Frequenz der medizinischen FZkzit&ten. — Abldenng der Medizin Ton der Unirersit&t. — Medizinische Nachrichten ans dem
fernen Oeten. — Ennresis der Kinder. — 8) Uriefkaaten. — 7) Hilfskasse fttr Schweiz. Aerzte. — 8) Biblio¬
graph iech es.
Original-Arbeiten.
Aus dem Frauenspital Basel-Stadt. (Direktor Prof. Dr. von Herff.)
Kasuistischer Beitrag zur Ureterresektion mit konsekutiver
Ureterocystanastomose.
Von Dr. Henri Friolet, I. Assistenzarzt der Klinik.
Auf dem Gebiete der Ureterenchirurgie, das eigentlich mehr den Gynaekologen
als den Chirurgen interessiert, weil ersterer viel häufiger bei seinen operativen Ein¬
griffen mit dem Harnleiter in Kollision gerät, sind in den letzten Jahren ganz wesent¬
liche Fortschritte zu verzeichnen. Das kasuistische Material, das in der Literatur
niedergelegt ist, häuft sich rasch an und erhält bereits täglich neuen Zuwachs. Die
Technik der Ureterimplantation in die Blase — die früher öfters ausgeführte Ein¬
pflanzung des Harnleiters in den Darm wird heutzutage wohl kaum mehr als das
„Verfahren der Wahl* betrachtet werden können — hat einen hohen Grad der Voll¬
kommenheit erlangt; sie hat sich in zahlreichen Thierexperimenten und bei der Nutz¬
anwendung am Menschen als völlig den billigen Anforderungen entsprechend er¬
wiesen. Das gegenwärtig wohl am häufigsten geübte Verfahren ist die Uretero¬
cystanastomose nach Krause. Ich kann mir füglich ersparen, hier eine
nähere Beschreibung dieser Methode einzufügen, da sie sich vielfach in der dies¬
bezüglichen Fachliteratur vorfindet (vergl. die neueren Arbeiten von Sänger , die einen
ausgezeichneten Ueberblick gibt, Stöckel , Trane, Lichtenauer , Krönig , etc.); das Ver¬
fahren ist im ganzen nicht besonders kompliziert und ergibt nach übereinstimmender
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Angabe der meisten Autoren in der Tat recht befriedigende Resultate in der Mehr¬
zahl der Fälle.
Trotz der stattlichen Anzahl der publizierten Fälle von Ureterimplantationen in
die Blase, sind die Meinungen über verschiedene diesbezügliche Punkte zur Zeit noch
nicht genügend abgeklärt, so dass weitere Erfahrungen nicht ohne Wert sind.
Namentlich der eine Punkt ist noch wenig sichergestellt, nämlich die Frage nach
dem Zeitpunkt des Infunktiontretens des frisch implantierten Harnleiters, sowie nach
den Gründen, welche eine Funktionsbehinderung in der ersten Zeit bedingen. Diese
Frage ist von hoher Bedeutung, da wir uns unter Umständen genötigt sehen können,
beide Ureteren gleichzeitig resezieren und implantieren zu müssen, z. B. bei radikalen
Operationen von vorgeschrittenen Uteruskarzinomen, um nur eine der häufigsten In¬
dikationen anzuführen. Diese Operation ist schon von einer Anzahl glücklicher
Operateure mit Erfolg ausgeführt worden, ich erwähne nur die Fälle von Sampson ,
Krönig , Bumm , u. a.
In der Cystoskopie haben wir allerdings ein bequemes Mittel in der Hand,
um die Funktion des implantierten Ureters schon kurze Zeit nach der Operation
sicher prüfen zu können {Stöckel, Franz , Krönig , u. a.). Leider ist gerade diese
einzig massgebende Kontrolle über den Erfolg der Einpflanzung bisher nur in einer
beschränkten Anzahl von Fällen ausgeführt worden.
Die Anregung zu dieser kasuistischen Publikation gab die neueste Arbeit von
Franz , welcher durch Tierexperimente den Grund der mangelhaften oder ganz
fehlenden Funktion des frisch implantierten Ureters zu eruieren suchte. — Nach deinen
Untersuchungen, die er zum Teil auch am Menschen nachzukontrollieren Gelegen¬
heit hatte, fasst dieser Autor, gleich wie vor ihm Stöckel , einen oedematösen
Schwellungs-Zustand der Ureterwand an der Implantations¬
stelle als Grund für die anfängliche Unwegsamkeit des
Ureters auf. Infolge dieses Wandoedems kommt es zu temporärer mehr oder
weniger vollständiger Obstruktion des Ureterlumens an dieser Stelle, weshalb in der
ersten Zeit nach der Operation entweder gar kein Urin in die Blase geleitet wird,
oder die Entleerung nur in „trägem Strahl“ erfolgt. Als direkte Folge dieser Strom¬
behinderung „bildet sich für gewöhnlich in kurzer Zeit eine
Dilatation des eingepflanzten Ureters und eine Hydrone-
phrose derselben Seite aus“ {Franz).
Da wir jüngst eine Patientin auf unserer Klinik beobachten konnten und bei
ihr Befunde erhoben, welche diese experimentellen Ergebnisse von Franz zu stützen
und zu bestätigen scheinen, so folge ich hiermit gerne einer Anregung meines hochgeehrten
Chefs, Herr Prof, von Herff , diesen Fall einem weitern Kreise von Interessenten mit¬
zuteilen. Ich lasse hier etwas ausführlich die Krankengeschichte der Patientin, den
Operationsbericht und die Ergebnisse der Nekropsie folgen:
Frau B. ist 60 Jahre alt. Von malignen Tumoren in der Familie ist nichts
zu eruieren.
Sie war früher nie nennenswert krank. Vom 16. bis zum 57. (?) Lebensjahre war
sie stets regelmässig menstruiert. Patientin machte 3 normale Geburten durch. Meno¬
pause trat vor 3 Jahren ein.
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35
*Das Leiden begann laut Angaben der Pat. vor ca. i Monaten. Es trat damals
znm ersten Mal eitrig-wässeriger Fluor auf, zu dem sich nach ca. Monatsfrist noch un¬
regelmässige Blutungen per vaginam gesellten, die zeitweise ziemlich profus gewesen sein
sollen. Gleichzeitig lit Pat. an Kreuzschmerzen und hatte ein Gefühl von unbestimmtem
Druck und Spannung im Leib; 9onst will sie sich ganz wohl befunden haben. Stuhlgang
seit Jahren obstipiert, erfolgte aber immer ohne Kunsthilfe. Miction normal; Urin war
nie trüb. Der Appetit hat in letzter Zeit sehr viel abgenommen und Pat. will beträcht¬
lich abgemagert und von Kräften gekommen sein.
Als Pat. am 11. April 1904 bei uns eintrat, wurde folgender Eintrittsstatus
aufgenommen:
Befriedigender allgemeiner Ernährungszustand; gute Gesichtsfarbe. Keine Spur
von Kachexie.
Herzdämpfung nach links vergrössert. Ueber dor Herzspitze im 5. I. R. ein systol.
Geräusch; 2. Puimonalton verstärkt. Lungen zeigen über der linken-Spitze leichte relative
Dämpfung; Atmung hier unbestimmt. Keine Rasselgeräusche; sonst überall vesikulär.
Weder Husten, noch Auswurf.
Straffe Bauchdecken mit alten Strise. Abdomen nirgends druckempfindlich, überall
weich und eindrückbar. Kein Ascites.
Die vaginale Untersuchung ergab: Vulva und Vagina ohne Besonderheiten. Portio
in eine zerfallene Geschwulstmasse verwandelt, welche ringsherum bis an den Scheidenansatz
heranreicht, die Vagina aber frei lässt. Corpus Uteri klein, beweglich. Die Parametrien
scheinen von der Vagina aus nicht wesentlich verändert zu sein. Die rektale Exploration
ergab rechterseits Freisein der Ligamente, während links das Lig. cardinale und die 1. Plica
Douglasii infiltriert erscheinen.
Diagnose: Carcinoma portionis exnlcerans mit Uebergreifen auf das 1. Parametrium
und die I. Douglas ?sehe Falte.
Am Tage nach dem Eintritt wurden die zerfallenden Karzinommassen der Portio
mit dem scharfen Löffel entfernt und die Wundfläche mit Xeroformgaze fest tampo¬
niert. — Yom darauffolgenden Tage an wurden je zweimal tägl. Vaginalspülungen
mit l°/oo Sublimatlösung gemacht.
Am sechsten Tage nach der Spitalaufnahme wurde Pat. operiert.
Operationsbericht: (16. April 1904).
Abdominale Totalexstirpation des Uterus samt der Adnexe, mit Resektion des linken
Ureters und folgender Ureterocystanastomose. (Operateur: Prof, von Herff ):
Ausgedehnte Laparotomie in der Medianlinie zwischen Nabel und Symphyse in
Beckenhochlagerung. Einlegen des Doyen '*chen ecarteur abdominal, 1 ) der in tadelloser
Weise das Operationsfeld zugänglich und übersichtlich macht.
Nach Eröffnung der Peritonealhöhle liegen massig geblähte Dünndarmschlingen vor;
Ascites fehlt. Der Uterusfundus wird mit einer Mueeux 'sehen Hakenzange gefasst
und hervorgezogen. Umstechen der linken Plica infundibulo-pelvica und Ligatur derselben
möglichst peripherwärts nach proximaler Sicherung mit einer Klemme. Die beiden Blätter
des breiten Mutterbandes werden entfaltet, um die Arteria uterina dicht an ihrem Ab¬
gang aus der Hypogastrica aufzusuchen und nach doppelter Ligatur zu durch trennen.
Nunmehr wird der iinke Ureter, der nicht erweitert ist, auf seinem
Wege durch das Parametrium freigelegt; er ist von Karzinommassen derart umwuchert,
dass an eine konservative Ausschälung dieses Abschnittes wegen der Gefahr sekundärer
Nekrose nicht zu denken ist. Es wird daher ein 5 cm langes Stück desselben, das in
den Krebsmas8en eingebettet liegt, zwischen zwei angelegten Klemmen reseziert. — Jetzt
werden reehterBeits the Adnexe in entsprechender Weise abgetragen wie links. Hier bleibt
*) Vergl. Corresp.-Bl. 1904. No. 2. pag. 43.
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aber der Ureter intakt, obsobon auch auf dieser Seite seine Isolierung mit Schwierigkeiten
verbunden war, da er in alte parametritische Schwielen eingebaeken lag. Unterbindung
nnd Durchtrennung der reohten Arteria uterina.
Die Uterusserosa wird nun vorne im Qrund der Excavatio vesico-uterina quer duroh-
trennt, die Harnblase vom Uterus und der 'Vagina weit herab losgelöst, was in diesem
Fall sehr schwierig war wegen fester Adhärenz der Blasenmuskularis. Das Peritoneum
wird auch hinten im Douglas durchtrennt samt den Douglas 'sehen Falten, nach vor¬
heriger Umstechung mit der Dtchamps 'sehen Nadel. Die Lig. rotonda werden auf-
gesuebt und dicht an der Beckenwand nach vorheriger Unterbindung, möglichst vollständig
mitentfernt.
Der nunmehr allseitig völlig isolierte Uterus wird emporgezogen, die Vagina mit
Wertheim'scheu Klemmen von rechts und links möglichst peripher zugequetscht und das
Scheidengewölbe fusswärts der Klemmen durchtrennt. Dabei läuft ein wenig Krebsjauohe,
die aus dem Uterus inzwischen ausgeflossen war und sich im Fornix vaginss an gesammelt
hatte in das Wundbett; sie wird sogleich möglichst gründlich weggetupft. Zur weiteren
Sicherung wird eine Xeroformgazem^che durch den Sch ei den t rieh ter von oben zur Vagina
herausgeleitet.
Nunmehr wird der renale Stumpf des linken Ureters in den Blasenfuudus implantiert:
medial vom vesikalen Ureterstumpf, der nicht weiter versorgt wurde — die meisten Autoren
erklären eine weitere Versorgung des peripheren Stumpfes für überflüssig — wird die
Blasenwand durch Einstechen mit einem Skalpell eröffnet, das zentrale Ureterende wird
nach Basy und Krause längs geschlitzt, der Stumpf ca. 2 cm tief durch die Oeffnung in die
Blase eingeführt. (Es werden keine Seidonzügel angelegt!) Fixationsnaht der Blasen¬
schleimhaut mit den beiden Ureterzipfeln (mit Katgut). Diese Naht wird durch zwei
Etagennähte, welche aus der Blasenwandung eine Manchette um den Ureter formieren,
Überdeckt. Der Blasenzipfel, mit welchem die Ureterocystanastomose hergestellt worden
war, wird nach Empfehlung von Kelly und später von Witzei zur Immobilisation der
Anastomosenstelle an der Fascie des M. ili&cus festgenäht.
Die Beckenhöhle, sowie die grossen Gefässe bis über die Bifurkation der Aorta
werden auf etwaige Drüsenmetastasen abgesucht; es finden sich aber keine vergrösserten
Lymph-DrÜBen.
Nunmehr werden die Stümpfe der Lig. lata mit Katgut fortlaufend vernäht; Schluss
des Beckenperitoneum’s über der Xeroformgazemöche, die nach der Vagina führt. Toilette
der Bauchhöhle. Naht der Laparotomie wunde in 2 Etagen: Peritoneum mit Katgut fort¬
laufend ; Haut-Mu6kel'Fascie mit Zwirnknopfnähten. — Bestreichen der Nahtlinie mit
Xeroformpaste; Abschliessen der Wunde mit einem Kollodialstreifen und aseptischen Deck¬
verband.
Beim Katheterismus der Blase entleert sich etwas Urin, der kaum blutig gefärbt ist;
Borspühlung der Blase.
Ueber die Nachbehandlung und den weitern Verlauf ist Folgendes
zu erwähnen:
16. April. Pat. erholte sich gut von dem Eingriff; kein Brechen nach der Narkose.
Abends Temperatursteigerung auf 38,4°, Puls 116. — Pat. erhält ausser 0.01 Morphium
noch 0.001 Physostigminum subcutan injiziert.
17. April. Pat. verbrachte eine recht ordentliche Nacht; wenig Schmerzen. Da
der Urin noch nicht spontan gelöst werden kann, wird katheterisiert; es entleert sich
klarer, nicht blutig gefärbter Urin. Temp. abends 38,5°, Puls 116.
18. April. Pat. erhält abends nochmals 0.001 Physostigminnim, worauf heute morgen
Winde abgingen. Allgemeinbefinden recht befriedigend. Miction spontan, Urin klar.
21. April. Heute klagt Pat., die sich bisher durchaus wohl gefühlt hatte, über
unwillkürlichen Urinabgang. Sorge für Stuhlgang mit Oleum Ricini.
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22. April. Trotz Rizinusöl und Glyzerinklysraa noch kein Stahl; daher abermals
1Y« ESwlöffel Ol. Ricini. Pat. klagt über keinerlei Leibsohmerzen. Kein Aufstossen oder
Brechreiz. Leib weich. Keine Incontinentia urinm mehr.
23. April. Heute zum ersten Mal etwas Stuhl. Zeitweise Aufstossen. Viel Durst.
Entfernung des Vaginaltampons, der grau-braun durchtränkt ist und faulig riecht. Lysol¬
spülungen der Scheide. Temp. 86,7°, Puls 100.
23« April. Pat. hatte heute 6 diarrhoiscbe Stühle; keinerlei Leibschmerzen. Appetit
massig.
25. April. Verbandwechsel; Entfernung der Nähte. Wunde äußerlich anscheinend
reaktionslos verheilt. Bei der Herausnahme der obersten Zwirnnaht in der Nähe des
Nabels sickert aus einem Stichkanal etwas dünner Eiter mit Luftblasen untermischt, die
unter hörbarem Geräusch hervorzischen. Bei leichtem Druck entleert sich ziemlich viel
Eiter aus dem Stichkanal. Mit der Pinzette wird die verklebte Wunde am obern Ende
stumpf eröffnet; es quillt dabei eine Menge grünlichen, rahmigen Eiters, 1 ) von kotartigem
Geruch aus der Tiefe hervor. Die Wundränder werden daher in der ganzen Ausdehnung
zum Klaffen gebracht, um dem Eiter gehörigen Abfluss zu verschaffen. — Es handelt sich
um einen nahezu afebril*) enstandenen Bauchabszess, der zweifelsohne durch Infektion vom
Vaginaltrichter aus entstand. Im Wundgrund liegen Dünndarmschlingen bloss, die unter¬
einander und mit der Bauchwand verklebt sind; sie sind zum Teil sohmierig belegt. Spü¬
lung der Wunde mit 4°/o Karbollösung. Einlegen eines fingerdicken Drainrohres, das mit
Xeroformgaze umtamponiert wird; darüber werden mit 4°/o Karbollösung durchtränkte
Gazeläppchen gelegt.
Abends wieder Verband-Wechsel; keine Temperatursteigerung. 37,3°. Pat. klagt
über keinerlei Beschwerden.
27. April. Pat. verbrachte eine ordentliche Nacht. Heute wieder zweimal Ver¬
band-Wechsel und Spülung der Wundhöhle mit Wasserstoffsuperoxydlösung. Es stossen
sich dabei nekrot. Gewebsfetzen von den Wundrändern ab. Wunde nach oben zu ab¬
geschlossen, nach unten und beiden Seiten hin sind die Ränder unterminiert.
Pat. leidet seit vier Tagen an ziemlich starken Diarrhrnn (4—5 Stühle pro die.);
es wird Pulv. Doveri 2 mal 0,6 verordnet.
28. April. Verband-Wechsel. Wunde sieht gut aus. Weniger Randnekrosen.
Trockener Verband mit Xeroformgaze, da die Sekretion bedeutend geringer war. Diarrh©
anhaltend. Gegen das Brennen in der Vagina zweimal täglich Borspühlungen.
29. April. Pat. klagt über häufigen Harndrang. Urin leicht cystitisch getrübt. Gegen
den Durchfall dreimal täglich 1 gr Tannigen; abends noch 15 gr. Tinct. opii Simplex.
30. April. Verband-Wechsel. Wunde sieht sauber aus. Spülung mit Wasser¬
stoffsuperoxydlösung; heute wiederum mehr nekrotische Fetzen im Wundgrund; die Leib¬
schmerzen haben sich auch gesteigert, besonders in der linken Hälfte des Abdomens, von
der Blasengegend nach dem 1. Hypochondrium ausstrahlend. Tinct. opii 12 gr. Tannigen
dreimal täglich 1.0.
1. Mai. Pat. schläft ruhig die ganze Nacht.
Das Brennen bei der Miction ist stärker geworden; Pat. empfindet überdies spon¬
tane Schmerzen in der Blasengegend auch ausserhalb der Miction; sie erhält daher drei¬
mal täglich 1.0 Aspirin; gegen die diarrhoischen Stühle weiter Opium und Tannigen.
Abends Temperatursteigerung auf 38,3°, Puls 120. nachdem der Verlauf bisher fieberfrei
gewesen war. Pat. fühlt sich schwach und elend. Der Appetit liegt völlig darnieder.
3. Mai. Beim heutigen Verband-Wechsel ist das Aussehen der Wunde unverändert;
statt des Gummidrains wird eine mit 4°/o Karbollösung durchtränkte Xeroformgazemöche
eingeführt. — Pat. klagt über Sohmerzen in der linken Nierengegend spontan und aut
*) im Eiter fanden sich Kolibazillen und »Stäbchen von der Vazinalflora.
*) Die Morgentemperatoren betragen seit dem vierten Tage post operatiouein nie mehr als
36,9; die Abendtemperataren überstiegen an keinem Tage 37,9.
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palpatorischen Druck. Stuhl war gestern und heute geformt, nur zweimal täglich. Es
wird nur spärlicher, trüber Urin gelöst; dabei Dysurie und Strangurie.
4. Mai. Der Urin heute noch stärker getrübt als gestern, stinkt faulig, stark alkal.
Reaktion. Mikroskopisch finden sich darin massenhafter Detritus und nur wenige geformte
Elemente. Stuhlgang wieder diarrhoisch, fünfmal täglich, trotz Opium.
Beim Katheterisieren zur Blasenspülung entleert sich eine dickliche, braunrote
Brühe; 1 ) Spühlung mit Borlösuug; sehr heftige Dysurie und häufiger Harndrang. Vulva
ist gerötet, die kleinen Labien leicht oedematös. Per vaginam geht eine braune, stinkende
Flüssigkeit ab; Ljsolspülungen der Scheide.
6. Mai. Verband-Wechsel. Wunde stets gleich.
Um Mittag hat Pat. einen heftigen Schüttelfrost, der l /t Stunde andauerte; die
Temperatur stieg darnach auf 40,1°. — Immer noch Diarrhraen. Pat. sehr schwach und
somnolent.
6. Mai. Pat. klagt nicht mehr über Schmerzen im Leib. Abdomen nicht auf¬
getrieben ; kein Brechen. Am Vormittag wieder ein Schüttelfrost mit Temperatur-Anstieg
auf 39,8°, Puls 128. Kein Kopfweh. Völlige Anorexie.
7. Mai. Pat. zeigt einen rapiden Kräfteverfall. Sie liegt ruhig im Bett, klagt kaum
noch über Schmerzen im Leib oder in der Blase. Sie schläft tagsüber viel. Trotz täg¬
licher zweimaliger Blasenspühlung bildet der Urin eine braunrote Brühe; sie erhält 3 gr
Helmitol.
8. Mai. In der Nacht verschlimmert sich der Zustand; Pat. wird soporös, reagiert
kaum mehr auf Anrufen. Schnarchende Atmung. Pupillen mittelbreit, reagieren sehr
träge. Pat. lässt Urin und Stuhl unter sich gehen; kein Brechen, keine Krämpfe; Leib
nicht aufgetrieben; keine Nackenstarro. Temp. 36,7°. Puls elend, 160 in der Minute,
kaum zählbar. Diagnose: Urmmie (?)
9. Mai. In tiefem Coma erfolgt im Laufe der Nacht, ohne dass sich weitere Ver¬
änderungen des Krankheitsbildes gezeigt hätten, der Exitus letalis.
Bei der am folgenden Tage vorgenommenen Sektion interessierten uns besonders
die Verhältnisse der Harnwege im Operationsgebiet. Das Sektion sprotokoll,
der im hiesigen pathologischen Institut (Dir. Prof. E. Kaufmann ) vorgenommenen
Obduktion lautet im Auszug folgendermassen.
Klinische Diagnose: Karzinoma uteri (portionis). Hysterektomia per
laparotoroiam mit Resektion des 1. Ureters und Implantation desselben in die Blase.
Cystitis gangraenosa. Pyelitis und Pyelonephritis duplex. Bauchabszess. Ureomie?
Am Abdomen eine vom Nabel bis zur Symphyse reichende tamponierte Laparoto¬
miewunde (19 cm lang, 6 cm grösste Breite); im Wundgrund erblickt man grün-braun
belegte Darmschlingen. Nach oben und seitlich ist die Wunde gegen die Bauchhöhle
abgeschlossen; nach unten gelangt man in eine Tasche, welche in die Tiefe führt.
Herz entsprechend gross von weicher Konsistenz. Epikard glatt, mässig fettreich.
R. Ventrikel etwas erweitert; Endokard nirgends verdickt. Trikuspidalis für zwei Finger
durchgängig; Klappengewebe leicht diffus verdickt.
Endokard des liuken Ventrikels mässig diffus verdickt, ebenso an den Aortenklappen.
Aortenintima mit einzelnen gelbweissen Flecken, leicht beetartig prominierend. Mitralis
für drei Finger durchgängig. Foramen ovale geschlossen.
Myokard am Ansatz des vordem Papillar-Muskels bis 2 cm dick, von braunroter
Farbe, von weicher Konsistenz; nirgends schwielige Veränderungen.
Rechte Lunge: Pleura glatt, Parenchym graubraun. Bronchien mit spärlichem
Sekret. In der Spitze mehrere Knoten von schieferigem, schwieligem Gewebe mit zentralen
Käsemassen. Uebriges Parenchym überall lufthaltig.
l ) Wie die Obduktion ergab, war der Bauckabszess nach der Blase perforiert; daher diese
plötzliche Veränderung des Urins.
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Linke Longe: In der Spitze eine kleine Kaverne mit gelbgrünem, eitrigem Inhalt,
daneben einzelne käsige Herde; übrige Teile flaumig, lufthaltig.
Gehirn ohne abnormen Befand.
Abdomen: Dünnd&rmschlingen in der Umgebung der klaffenden Laparotomie*
wunde rings durch Adhäsionen mit der Bauchwand verklebt. Zwischen den verklebten
Darmschlingen finden sich bis haselnassgrosse Eiterherde in grosser Anzahl. Das Netz ist
mit den Darmschlingsn verbacken. — Serosa matt, nicht spiegelnd. Bei der Isolierung
der Darmschlingen geben die Adhmrenzen leicht nach; die Eiteransammlungen zwischen
den Verklebungen finden sich rechterseits bis zur Leber hinauf; links bedeutend weniger
ausgedehnt.
Milz nur leicht vergrdssert; Konsistenz schlaff. Trabekel deutlich, ebenso die
Follikel.
Nach Herausnahme des Dünndarm-Convolutes und des Colons erblickt man den
linken Ureter, der bis stark Zeigfingerdicke dilatiert ist und in
den obern Partien etwas geschlängelt verläuft. Die 1. Niere ist vergrossert (12 cm lang),
von weicher Konsistenz; Kapsel ohne Substanzverlust abziehbar. Ihre Oberfläche zeigt
flacbbuckelige, leicht prominierende Stellen und dazwischen eingesunkene Partien. Das
ebenfalls erweiterte linke Nierenbecken wird durch den Sektionschnitt eröffnet; es er«
giesst sich dabei eine ziemliche Menge trüben, flockig-eitrigen Urins aus demselben. Beim
Einleiten des Wasserstrahles unter geringem Druck in den linken Ureter vom Nieren¬
becken aus erweist sich der implantierte Ureter als nach der Blase g u t
durchgängig.
Die Schleimhaut der eröffneten Blase ist stark geschwollen und gewulstet, über¬
all mit Harnsalzen fest inkrustiert; zwischen beetartig vorspringenden Partien von miss¬
farbenem Kolorit verlaufen tiefe Furchen. Der linke Ureter mündet in der Nähe des
Blasenscheitels in sohräger Richtung die Wand durchsetzend. Von dem peripheren Resek-
tionsstumpf ist nichts mehr zu sehen. In der linken Seiteuwand der Harnblase besteht
ein ca. Zweifrankenstück grosser rundlicher Defekt, der das Blaseninnere mit der
Abszesshöhle im kleinen Becken verbindet. Sämtliche Organe des kleinen Beckens sind
von dem Bauchabszess umspült, der sich rechts und links neben der Wirbelsäule zwischen
den Darmschlingen links bis zur Niere, rechts bis unter die Leber herauferstreckt. Eine
weitere Kommunikation von Bleistiftdicke besteht zwischen der Beckenhöhle und dem
Vaginaltrichter.
Die Oberfläche der linken Niere zeigt überall kleine Hmmorrhagien; die Farbe ist
trüb graurot, stellenweise mehr graugelb. Auf dem Querschnitt ist die Rinde stark ver¬
breitert ; auch auf der Schnittfläche finden sich die oben erwähnten eingesunkenen Partien
von gelbgrauer Farbe. Die mittleren Abschnitte sind vorwiegend graugelb, von weicher
Konsistenz und quellen deutlich vor. Gegen beide Pole zu ist die Nierensobstanz von
zahlreichen Blutungen durchsetzt.
Linkes Nierenbecken deutlich erweitert; Schleimhaut gerötet mit injizierten
Gefä88en.
Rechte Niere ist ebenfalls vergrossert (10 cm lang), von etwas derberer Konsistenz.
8ie zeigt analoge Veränderungen wie die linke, nur nicht so hochgradig; weniger er¬
weichte Partien, aber zahlreiche Hmmorrhagien.
Rechtes Nierenbecken von normalem Aussehen; es ist ebenso wie der rechte Ureter
nicht erweitert.
Iliacale und paraortale Lymphdrüsen zeigen keine Verhärtung; auf dem Querschnitt
überall normales Drüsengewebe.
Anatomische Diagnose:
Status post h y s t e r e o t o m i a m per laparotomian. Status
post implantationem ureteris sinistri invesicam urinariam.
Peritonitis suppurativa. Nekrosis vesicse urinarite. P y e 1 o •
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nephritis. Nephritis parenchymatösa. Tuberculosis obsoleta
p u l m o n u m.
Die Nekropsie bestägtigte also unsere klinische Diagnose, die wir auf JPeritonitis
und Urämie wegen doppelseitiger Pyelonephritis gestellt hatten.
Unser Interesse richtet sich in diesem Fall auf die Befunde am linken Ureter
und der linken Niere. Wie die Obduktion ergab, war der implantierte Ureter voll¬
kommen fest in die Blasenwand eingeheilt. Die Implantationstelle wurde auch mi¬
kroskopisch auf Querschnittsbildern untersucht. Das Ureterlumen war post mortem
jedenfalls durchgängig, wie der Obduzent durch Einleiten des Wasserstrahles (ohne
stärkeren Druck) vom linken Nierenbecken aus demonstrierte. Ob dieser Harnleiter
auch intra vitam funktioniert hat, muss dahingestellt bleiben, da eine cystoskopische
Kontrolle leider aus diversen Gründen im Interesse der Pat. unterbleiben musste. Dass
aber an der Implantationstelle ein Passagehindemis bestand und bis zum Tode^be-
standen haben musste, dafür spricht unzweifelhaft die bei der Sektion gefundene
beträchtliche Dilatation des linken Ureters in seiner ganzen Länge, sowie des gleich¬
seitigen Nierenbeckens. Ueber die nähere Beschaffenheit und Natur dieser Stenose
ist aber schwer etwas Einwandfreies zu berichten. Bei der Sektion fand sich weder
an der Implatationstelle noch im untern Abschnitt des linken Ureters eine etwaige
Abknickung, welche zu einer partiellen oder totalen Verlegung des Harnleiters^ ge¬
führt haben könnte. Auf den mikroskopischen Querschnitten war das Ureterlumen
sternförmig verästelt; eine besonders augenfällige Verdickung der Mucosa war aber
nicht mehr nachweisbar; immerhin ist es aber sehr wohl denkbar, dass intra vitam
ein 'Oßdematöser Schwellungszustand der Ureterschleimhaut an der Implantationsstelle
zur Obstruktion des Lumens und damit zur Harnstauung mit ihren üblichen Folgen
geführt hat; derartige Oedeme können ja post mortem rasch verschwinden und sind
besonders an Schnitten, die zur Anfertigung mit verschiedenen wasserentziehenden
Reagentien behandelt wurden, nachträglich kaum mehr nachzuweisen. Wir'glauben
uns daher gleichwohl berechtigt, in unserem Fall eine Stenosierung durch Wandoedem,
das bis zum Exitus dauernd bestanden haben musste, annehmen zu dürfen, da sonst
jede plausible Ursache für die Harnstauung fehlte; die Angaben von Franz über die
Ergebnisse seiner Experimente an Hunden würden somit durch unsere Befunde ge¬
stützt. Jedenfalls ist diese Dilatation des linken Ureters bei unserer Pat. erst nach
der Operation entstanden; denn bei der Implantation fanden wir ja den linken Harn¬
leiter noch normal weit. — Ob dabei nur ein „Oedem der Ureterwand“ — ver¬
ursacht durch die gewöhnliche Reaktion der Gewebe in der Umgebung einer Wunde —
das Lumen stenosierte, wie das bei sonst glatter Einheilung der Fall zu sein scheint,
oder ob noch anderweitige entzündliche Vorgänge, die sich an der Implantationsstelle
und deren Umgebung in unserem Fall zweifellos abspielten, zur Verlegung der Passage
beitrugen, das lässt sich nachträglich nicht mehr mit der nötigen Sicherheit ent¬
scheiden.
Bei unserer Patientin ist ferner noch bemerkenswert die Tatsache, dass sich
ein so ausgedehnter, durch Kolibazillen und Scheidenstäbchen erzeugter Bauchabszess
ohne wesentliche peritonitische Reizerscheinung — wenn man nicht den etwas ver¬
zögerten Windabgang (am dritten Tag) und das leichte Aufstossen am sechsten Tag
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als solche auffassen will — entwickeln konnte und ohne jegliche Störung in der
Verheilung der Laparotomiewunde. Denn beim ersten Verbandwechsel am zehnten
Tag war die Bauchschnittwunde äusseriich derart reizlos und oberflächlich schön
verheilt, dass man schon einen gewöhnlichen leichten Okklusivverband mit Heft-
pflasterstreifen aulegen wollte, als zufälligerweise einige Glasblasen, die durch einen
Stich kanal' sich entwickelten, auf einen krankhaften Prozess in der Tiefe aufmerksam
machten. Als Infektionsquelle dürfen wir wohl die geringe Menge jauchiger Flüssig,
keit ansehen, die sich im Moment der Durchtrennung der Vagina an ihrem zentralen
Ende in die Bauchhöhle ergossen hatte, oder eine vpn der tamponierten Scheide auf¬
steigende Infektion. Um ihren verderblichen Folgen prophylaktisch zu begegnen,
hätten wir das Operationsgebiet nach oben oder unten zu ausgedehnt drainieren
sollen, wie wir das sonst in der Regel mit ausgezeichnetem Erfolg zu tun pflegten.
Die Pat würde aber die Komplikation durch den Bauchabszess wahrscheinlich doch
überstanden haben, wenn nicht ein Durchbruch desselben in die Blase erfolgt wäre
und daran anschliessend eine ascendierende doppelseitige Pyelonephritis, links be¬
günstigt durch die Harnstauung, dem Leben so rasch ein Ende bereitet hätte.
Die Obduktionergab ferner völliges Fehlen von metastatischen Karzinomherden
in den regionären Drüsen und auch in jenen entlang der Aorta und in den innern
Organen; demnach wäre also die Prognose quoad Radikalheilung des KarzinomVsehr
günstig gewesen. — Hätten wir die Frau auf vaginalem Weg zu operieren versucht,
so wäre sie mit grosser Wahrscheinlichkeit mit dem Leben und mit Aussicht auf
Dauerheilung davongekommen. Allerdings der linke Ureter, oder vielleicht beide,
wären verletzt worden; es wäre mit fast absoluter Sicherheit eine Ureterenscheiden-
fistel entstanden, zumal die Einpflanzung des Ureters in die Blase von der Scheide
her nach^den Erfahrungen unseres Chefs nur wenig Aussicht auf Erfolg darbietet.
Die Cystitis, die schon vor der Perforation des Bauchabszesses in die Blase in
leichtem Qrade bestand, verdankt ihre Genese dem notwendig gewesenen Katheteris.
mus bei geschwächter Blase.
Noch in einer andern Hinsicht ist unser Fall instruktiv, weil er nämlich be¬
weist, dass man auch mit einer einfacheren Implantationsmethode als mit der Krause *-
sehen, d. h. ohne Anlegen von Seidenzügeln, welche zur Urethra herausgeleitet
das eingepflanzte Ureterende in situ erhalten sollen und ohne Verweilkatheter aus¬
kommt; ferner, dass ein eitriger Prozess in der Umgebung der Implantationsstelle
die feste Einheilung keineswegs zu vereiteln braucht. Die in diesem Fall angewandte
Operationsmethode, die sich Hr. Prof. v. Herff schon bei zahlreichen Ureterimplan¬
tationen in die Blase aufs Beste hewährt hat, ist somit wegen ihrer Einfachheit und
Sicherheit mit gutem Gewissen warm zu empfehlen.
Meinem verehrten Chef, Herr Prof. v. Herff\ danke ich an dieser Stelle bestens
für die Anregung zu dieser Publikation und für die gütige Ueberlassung der Kranken¬
geschichte.
Nachtrag bei der Korrektur: Die von Krönig ausgehende Empfehlung
bei der Wertheim’achen Radikaloperation des Uteruskarzinom’s das gefährdete distale
Ureterende prinzipiell zu resezieren und alsdann in die Blase zu implantieren, ist
doch nicht^ganz ohne Bedenken; wenigstens schliesst es die nachträgliche Entstehung
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einer Ureterscheidenfistel nicht aus. Jüngsthin hatten wir Gelegenheit, in unserer
Anstalt einen von Prof, v . Herff operierten Fall zu beobachten, wo nach glattem
Heilungsverlauf am 37. Tag post operationem eine Harnleitersoheidefistel manifest
wurde, als solche durch Pyoktanininjektion in die Blase erkannt. Vorher war die
Urinentleerung stets völlig in Ordnung gewesen. Ob die Fistel infolge Durchbruchs eines
Fadenabszesses oder durch nachträgliche Nekrose der Ureterwand an der Implan¬
tationsstelle zustande kam, muss dahingestellt bleiben.
Ferner kam vor einiger Zeit ein weiterer Fall von WertfAeim’scher Operation
wegen Gebärmutterkrebses mit Ureterresektion und Ureterocystanastomose, die 6 Stun¬
den nach dem Eingriff starb, zur Obduktion. — Der Ureter, der nach der oben er¬
wähnten Methode in die Blase eingepflanzt worden war, erwies sich als gut durch¬
gängig und die Implantationsstelle war völlig dicht. — Ein Wandoedem des Harn¬
leiters konnte auch hier nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Eine Dilatation
des Ureters oberhalb der Implantationsstelle war nicht eingetreten, da die Pat. zu
rasch nach der Operation ad exitum gelangte.
Literaturverzeichnis.
1) Bertram: Die Einpflanzung des verletzten Ureters in die Blase (3 geheilte B'älle).
Dissert Halle 1902..
2) Dührsscn : Ueber eine neue Heilmethode der HarnleiterscheidenfistelD, nebst Be¬
merkungen über die Heilung der übrigen Harnleiterflsteln. (Sammlung klein. Vorträge.
No. 114. 1894).
3) Franz: Zur Chirurgie des Ureters. (Zeitschr. f. Geburtsh. und Gynmk. Bd. 50.
Heft 3).
4) Füih : Beitrag zur Ureterenchirurgie. (Centralbl. f. Gynask. 30. April 1904).
ö) Krönig; Beitrag zur Ureterenchirurgie. (Archiv f. Gynask. Bd. 72. 1904).
6) Derselbe: Ueber doppelseitige Uretereinpflanzung in die Blase. (Centralbl. f.
Gynsek. No. 11. 1904).
7) K. Lichtenauer: Zur Ureterenchirurgie. (Monatsschr. f. Geburtsh. und Gynask.
Bd. 19. Heft 1. 1904).
8) A. Martin: Zur Ureterenchirurgie. (Sonderabdruok aus Bd. X der Monatsschr.
f. Geburtsh. und Gynmk).
9) Michalski: Ueber Hydronephrosis intermittens. (Jnaug. Dissert. Zürich. 1902).
10) Sänger und Lichtemtem : Kapitel über Ureter, Ureterverletzungen und Ureter¬
operationen in der Encyklopaedie der Geburtsh. und Gynäkologie. 1901).
11) Schede : Die Verletzungen der Harnleiter. (Handbuch der prakt. Chirurgie.
III Bd. 1903).
12) W. Stöckel: Ureterfisteln und Ureter Verletzungen. Leipzig. 1900).
13. Derselbe: Ueber Implantation des Ureters in die Blase. (Sonderabdruck aus
den Sitzungsberichten der niederrbeiniscben Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde zu Bonn.
9. Dez. 1901).
14) Derselbe: Weitere Erfahrungen über Ureterfisteln und Ureterverletzungen
(Archiv f. Gynssk. Bd. 67. 1902).
15) Derselbe: Die intraperitone&le Implantation des Ureters in die Blase. (Zeitschr.
f. Geburtsh. uod Gynssk. Bd. 51. 1904).
Streitberger: Ueber die Implantation des Ureters in die Harnblase. (Jnaug-Diss).
Jena. 1904).
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Ueber die Beziehungen der während der Geburt entstehenden Retinal¬
blutungen des Kindes zur Pathogenese des Glioma retinae.
Von Dr. med. Eugen Wehrii, Augenarzt in Frauenfeld.
Anlässlich einer pathologisch-anatomischen Arbeit über Netzhautmissbildungen
wurde ich bei der Besprechung der Befunde in die Notwendigkeit versetzt, auch
auf die Pathogenese des Qlioma retinae einzugehen, dessen Entstehung, wie allgemein
angenommen wird, mit Recht auf persistierendes embryonales Zellmaterial zurückzu¬
führen ist. Das Studium dieser Frage hat nun neben anderen von mehr akademi¬
schem Werte ein Resultat gezeitigt, dem auch in praktischer Hinsicht einige Bedeu¬
tung zukommt und zwar in Bezug auf die Prophylaxe bei familiärem Auftreten,
dem der Arzt bisher machtlos gegenüber stand.
Das Hauptbestreben der neueren Autoren richtete sich bisher ausschliesslich
darauf, den Ausgangspunkt des Glioms, d. h. die histologische Art der Tumorkeime,
herauszufinden; bei dieser Gelegenheit wurde im Eifer das Wichtigste, die eigent¬
liche ätiologische Frage, deren Beantwortung die Hoffnung auf Verhütung der
Krankheit neu belebt hätte, gänzlich aus den Augen verloren. Das Wesentliche in
der Pathogenese des Glioms liegt nicht darin, zu wissen, von welchen Zellen der
Tumor seinen Ursprung nimmt, sondern zu entscheiden, warum eine nnd dieselbe
Zellgruppe der gleichen Missbildung, mit welcher, sagen wir 1000 Augen behaftet
sind, nur in einem einzigen zu Geschwulstbildung Anlass gibt, während die übrigen
zeitlebens verschont bleiben; die Faktoren kerinen zu lernen, welche die Zellproliferation
anfachen und weit übers Ziel hinausgehen lassen. Will man sich hinsichtlich der
Aetiologie der Tumoren in der allgemeinen Pathologie Rat holen, wird man nicht
befriedigt; es genügt hiebei der Hinweis auf die Parasitensuche beim Karzinom.
Wohl sind für die Entstehung einer Anzahl Geschwülste gewisse, oft sich wieder¬
holende traumatische Schädigungen verantwortlich gemacht worden, die indessen für
das Auge nur allgemein als Trauma, nicht im speziellen, in Betracht fallen. Auch
für die Umwandlung jahrelang bestehender Neurofibrome in echte Sarkome scheinen
Verletzungen als Gelegenheitsursache von Bedeutung zu sein (nach Westphal x )\ und
Oarre *) kommt bei den multiplen Neuromen der peripheren Nerven, welch erstere unter
Umständen lange Zeit gutartig sind, zum gleichen Schluss und führte für dieselben
den Namen „secundär maligne Neurome“ ein. Hinsichtlich des Aderhautsarkoms
„möchte Leber*) nicht in Abrede stellen, dass die Verletzungen des Auges vielleicht
eine bedeutendere Rolle spielen, als sich bis jetzt nachweisen lässt.“ Diese Beispiele
der ätiologischen Bedeutung des Traumas mögen genügen. In Bezug auf das Netz-
haut&lioma sagt Knapp*), gegen das Trauma als ätiologisches Moment sich ausspre¬
chend : „Da, wo das Trauma unbestreitbar, war die Diagnose mehr als zweifelhaft und
wo die Diagnose sicher ist, scheint das Trauma zufällig zu sein.“ Aehnlich äussert
sich Wintersteiner*). Ebenso verwerfen das Trauma als Ursache Maeken$ie , Himly ,
») Arch. f. Paych. XXIV. 1894.
*) Beiträge zur klin. Chirurgie. IX. 1892.
®) Th. Leber und A. Krahnstöver Grafe'» Arch. XLV. 1. p. 221 und 222.
4 ) Cit. n. Hirschberg , der Markschwamm. 1869. p. 176.
*) Das Neuroepithelioma retin®. 1897. p. 192.
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Stellwag, Lerche , Hirschberg, Leber, Mittendorf, Lincke, v. Grafe'). Akzidentelle
* Verletzungen werden angeschuldigt von Mohrenheim , Wardrop, Homer, j Wishart,
Beck, Kulck, Maudt, Twinning, Helling, Waleberg, Steinheim, Bull.
Keiner der bisherigen Autoren erwähnte dasjenige
Trauma, welches ich, ne b e n En t w i c k 1 u n g s s t ö r u n g e n, als Ur¬
sache für die meisten Fälle der Gliombildung bezeichnen mochte
Trotz der oben zitierten, wenig ermunternden Ansichten suchte ich nach Einwirkungen,
dazu angetan, Zellteilungsvorgänge zu verursachen und anzuregen, nach Momenten,
die geeignet sind, die Wachstumsenergie soweit zu steigern, dass die Zellvermehrung
aus dem Rahmen der normalen Gewebsentwicklung heraustritt und sich; ins Unge¬
messene potenziert, und gelangte dazu, eine bisher gänzlich unbeachtete Schädlichkeit
aufzufinden, welche sowohl in bezug auf die Anamnese, als auch hinsichtlich des
klinischen Verhaltens und vor allem in der pathologisch-anatomischen Begründung
einer sicheren, nicht wegdiskutierbaren Grundlage nicht entbehrt.
Diese schädlichen Einflüsse, die hier in der [Mehrzahl
der Fälle in Frage kommen, sind die mannigfachen Insult e y
'welchen das kindliche Auge während des Passieren» der
Geburtswege ausgesetzt ist und welche nachgewi e]s‘e n]e r-
.massen sehr häufig und fast ausschliesslich dieRetijna in
Mitleidenschaft ziehen.
Der Begründung seien vorangestellt: 1. Die pathologisch-anatomi¬
schen Tatsachen.
a) In einer verdienstvollen Arbeit hat Hippel % ) unter 24 histologisch un¬
tersuchten Augen Neugeborener 10 mal (46 °/o) Blutungen ver¬
schiedener Grösse und Zahl in der Retina nachzuweisen vermocht, indem er
damit bestätigte, was Naumoff •) in ausführlicher Weise über die von ihm in der
Retina Neugeborener beobachteten, histologisch genau beschriebene Blutextravasate
berichtet hat. Die Blutungen beschränken im Augapfel sich
fast ausschliesslich auf die Netzhaut, was für unsere Frage von
fundamentaler Bedeutung ist. Hippel fand in 24 Augen nur 2 mal Chorioidal-
blutungen. Naumoff kommt ferner zu folgenden, für uns sehr wichtigen Schlüssen
a) „Veränderungen in den Augen Neugeborener finden auch bei durchaus nor¬
malen Geburten statt, ß) Kinder, die von Müttern mit engem Becken
geboren sind, weisen Veränderungen in den Augen häufiger auf als solche, deren
Mütter ein normales Becken besitzen, q) Das Entstehen der Blutungen in den Augen
Neugeborener steht im Zusammenhang mit der langen Dauer des Ge¬
burtsaktes. 8) Bei Erstgeborenen kommen sie aus demselben Grunde
häufige r vor als bei später Geborenen.“ Schleich*) erwähnt zumJTroste^ für
die Geburtshelfer, dass bei Kindern, deren Geburt operative Eingriffe erheischte,
*) Cit. nach Wintersteinei' 1. c.
*) E. v. Hippel , Pathol. und anat. Befunde am Auge des Neugeborenen. Grafe'8 Arch. XLV. 2.
*) Naumoff. Einige pathol.-anat. Veränderungen im Augenhintergrund Neugeborener. Grafe'8
Arch. XXXVI. 8.
4 ) Schleich, die Augen Neugeborener ophthalmoskopisch untersucht. Mitteilungen etc. Tü¬
bingen. 1884.
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Blutungeq nicht häufiger waren, als bei solchen, die auf natürliche Weise zur Welt
kamen. — Nach t;. Hippel 1 ) neigt die missbildete Retina erheblich mehr zu Blu¬
tungen, als die normale.
b) Auch im ophthalmoskopischen Bilde wurden diese Blutextra¬
vasate der Netzhaut Neugeborener ausser von Schleich (32°/o) noch von Königstein 1 )
und Bjerrum 3 ) u. a. beobachtet, von welchen Autoren (und von t>. Hippel) die angeborene
Amblyopie ohne Befund aus diesen Blutungen der Netzhaut hergeleitet wird. Nach
Naumoff u. a. hinterlassen die Extravasate oft bleibende ophthalmoskopisch sichtbare
graue bis weissliche, Flecken.
2. Das klinische Verhalten, a) Das Alter der von Gliom
befallenen Kinder. Die Betrachtung nebenstehender instruktiver Kurve 4 ),
welche die Morbidität der einzelnen Lebensjahre
er a rsv a i iu • a- i i. a i ska,a der ‘Häufigkeit des Glloma in den
für das Gliom darstellt, muss einen direkt darauf zahl verschiedenen Lebensjahren.
:
i
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ri
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t.
1
>
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s
fv
N
Auftreten des Glioms für die Mehrzahl der Fälle
ein inniger kausaler Zusammenhang notwendig 100
besteht. Dieses plötzliche Hinaufschnellen der !,<)
Kurve zum Maximum im 1. Lebensjahre, das 80 1
rasche Zurückfallen zwingen geradezu zur Beach- 70
tung der wichtigen Rolle, die dem Zeitpunkt der < ;()
Geburt zukommen muss. Von 467 Kindern hatten >n
nach der Winter steinet sehen Statistik 314, also
mehr als */* das 3. Lebensjahr noch nicht voll-
endet, als schon für die Eltern auffällige Symp¬
tome sich einstellten. Die Geburtstraumen müssen 20
selbstverständlich nicht in allen Fällen ätiologisch 10
mitgewirkt haben. Ausgeschlossen sind jedenfalls - - 9 s 4 5 ? s
die 34 (7 %) schon bei der Geburt beobachteten
Gliome, von welchen aber lange nicht alle histologisch untersucht wurden. Für
diese kommen teilweise die nicht so seltenen intrauterinen Traumen und entzündliche
Veränderungen in Frage. Für die vom 5. Jahre an aufgetretenen Markschwämme,
62 an der Zahl (13 °/o), von welchen etwa */* punkto Diagnose zweifelhaft sind, kann,
obwohl ein durch Jahre sich hinziehender, sehr chronischer Verlauf sicher beobachtet
wurde, nicht mehr gut das Geburtstrauma verantwortlich gemacht werden, wohl
aber zufällige Verletzungen und in diesem Alter häufige entzündliche Prozesse.
b) Das familiäre Auftreten. In einer Reihe einwandfreier Beobach¬
tungen wird das häufige Befallensein mehrerer von ein und derselben Mutter stam¬
mender Kinder verzeichnet, wofür bisher noch keine befriedigende Erklärung gefunden
worden war. So berichtet z. B. Lerche 5 ) von einer Familie, in der von den 7 Ge-
*) Embryol. Unters, aber die Entstehung der typ. angeb. Colobome des Auges. Grafe* Arch.
LV. p. 643.
*) Untersuch, an den Augen neugeb. Kinder. Wiener med. Jahrb. 1881.
*) Ueber die Refraktion der Neogeborenen. Internat, ophth. Kongr. Kopenhagen 1884.
4 ) Von Wintersteiner zu andern Zwecke hergesteilt. l.c. pag. 112.
6 ) Siehe Abhandlungen Petersburg 1821.
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Bohwistern 5 dem Gliom erlagen; nach Sichel 1 ) sämtliche 4 Kinder; nach Wilson*)
von 8 Kindern alle; nach Mac Gregor 8 ) 3 von 5 Kindern, nach Calderini 3 von 14
etc. Yon neueren Autoren erwähne ich Steinhaus , Volenti . Einflüsse der Heredität
wurden trotz der 16,3 °/o Gliomheilungen noch durch keinen einzigen Fall in der
Literatur erhärtet, wohl dürfte aber die Vererbung von Beckenanomalien von Mutter
auf Kind in Frage kommen. . Dieses exquisit familiäre Auftreten des Glioms, unter
Ausschluss der Heredität, spricht in ganz entschiedener Weise für Einwirkung einer
einheitlichen Noxe und da gibt nach den oben angeführten Erwägungen die Annahme
von durch ein und dieselbe Anomalie verursachten Geburtstraumen die allerunge¬
zwungenste Erklärung, vor allem das am häufigsten zu retinalen Blutungen führende
enge Becken und andere, die Geburt protrahierende Abnormitäten.
c) Auch das Vorkommen des Tumors gleichzeitig in beiden
Augen 19,1 °/°> das man sich bisher nicht erklären konnte, wird verständlich, wenn
man sich daran erinnert, dass die retinalen Geburtsblutungen fast regelmässig doppel¬
seitig auftreten.
d) Die Tatsache, dass, wie im Mac Gregor' sehen Falle u. a., von sämtlichen
Kindern dasselbe Auge, z. B. das linke, allein oder zuerst er¬
krankte, dürfte ebenfalls auf ein und dasselbe Geburtshindernis in gleicher Lage
zurück zu führen sein.
Den Vorgang der Tumorbildung hat man sich wohl in folgender
Weise vorzustellen: Die einwirkende Schädlichkeit, am häufigsten Geburtstraumen,
welche mit retinalen Blutungen verknüpft sind, die ihrerseits Zerreissungen und Ge-
web8zertrümmerungen verursachen, rufen an den getroffenen Stellen eine reaktive
Zellwucherung hervor, welche zur Heilung des Schadens tendiert. Treten bei dieser
Gelegenheit nur definitiv differenzierte Zellen in Aktion, so wird der ganze Prozess
innerhalb gewohnter Bahnen vor sich gehen und mit erfolgter Heilung den endgül¬
tigen Abschluss finden. Ganz anders gestaltet sich aber der Vorgang im Auge des
Neugeborenen, wenn durch grobes Trauma in den Wucherungsprozess jene in der
Netzhaut nachgewiesenen gehäuften unvollendeten embryonalen Zellgruppen einbezogen
werden, welchen wohl noch eine bedeutend intensivere Wachstumsenergie innewohnt;
dann können die Teilungsvorgänge die normalen Grenzen überschreiten, das Wachs¬
tum ein atypisches werden, die Proliferation in unzweckmässiger Weise vor sich und
die Zellvermehrung ins Ungemessene gehen. Das Trauma allein genügt also zur
Tumorbildung nicht; ebenso wenig die Persistenz embryonaler Keime für sich allein.
— Vielleicht kommt noch ein weniger wichtiges, drittes Moment in Frage, das sich
unserer Untersuchung entzieht, eine erhöhte Reaktionsfähigkeit der Gewebe auf lä¬
dierende Einflüsse, wie sie z. B. in der Bildung von Narbenkeloiden ihren Ausdruck
findet.
Wenn man sich die trostlose Lage des Hausarztes solchen familiären Gliomer¬
krankungen gegenüber vergegenwärtigt und sich erinnert, was Hirschberg 4 ) in dieser
Beziehung sagt: „Vergeblich forschte man in diesen Fällen nach den speziellen Ursa¬
chen so schrecklicher Erbschaft; vergeblich durch die ersten trüben Erfahrungen ge-
l ) Monographie ophth. — *) Pathol. boc. of Dublin. — *> A. Mc. (tregor, Diioma of retina.
Med. Times, London July 11, 1885. — 4 ) Hirschberg, 1. e. p. 174.
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warnt, nach prophylaktischen Massregein, um die später Geborenen von dem traurigen
Schicksal der ersten zu bewahren 11 , so muss man froh sein über jeden Anhaltspunkt,
der in solchen Ffillen die Hoffnung auf wirksame Vorbeugung in Aussicht stellt.
Die Art der Prophylaxe ergibt sich eigentlich nach dem gesagten von selbst. Ist
in einer Familie ein Kind an Gliom erkrankt, so ist in erster Linie vom Hausarzt
nach Anomalien der Geburtswege der Mutter oder sonst nach Ursachen für den pro¬
trahierten Verlauf des Geburtsaktes zu forschen und es wird dann Sache des Geburts¬
helfers sein, die folgenden Schwangerschaften genau zu überwachen und für einen
möglichst raschen und glatten Verlauf der späteren Geburten zu sorgen, um so alle
Chancen für das Auftreten des Glioms bei den später geborenen.Kindern nach Mög¬
lichkeit zu vermindern. Bei engem Becken wäre für die folgenden Kinder eine In¬
dikation für Einleitung der Frühgeburt gegeben.
Die Genese des Glioms lässt siohdemnachableitenvon
persistierendem Embryonalgewebe, welches durch schädi¬
gende Einflüsse am häufigsten traumatische Zerreissungen
und Blutungen der Retina bei der Geburt, in Wucherung ver¬
setzt wird. Die Entstehung des Tumors kann bei drohendem
familiärem Auftreten durch prophylaktische Massregein
hintangehalten werden.
Naumoff erwähnt ausdrücklich, dass er in 22 Augen frühgeborener Kinder
(7.-8. Lunarmonat) niemals Blutextravasate fand.
Zu der neuen Zuckerprobe mit „Nltro-Propiol-Tabletten.“
Von Dr. 0. Amrein, Aroia.
Die Firma Hollfelder, Rhiem & Co. in Köln-Ehrenfeld hat Nitropropioltabletten in
den Handel gebracht (siehe auch Hausmanns Gesch. Ber. 1900, Nr. 3), welche dem
praktischen Arzt eine bequeme und sichere neue Zuckerprobe in die Hand geben sollen.
Die dem Originalfläschchen (& 30 Tabletten) mitgegebene Empfehlung und Gebrauobsan-
leitung sagt:
„Es wird von jedem praktischen Arzt missliebig empfunden, bei der Feblingsehen
Zuckerprobe ein grosses Quantum Harn mitkochen zu müssen, weil die stark alkalisobe
Flüssigkeit durch ihren Geruch oft das ganze Zimmer verpestet. Um diesen Uebelstand
zu vermeiden, bringen wir ein anderes Reagens in den Handel, welches zudem sicherere
Resultate zeitigt als Fehling etc.
Eine Nitro-Propiol-Tablette in ca. 10 cbctm. Wasser gelöst und mit 10 Tropfen
eines diabetischen Harns mindestens 3—5 Minuten lang mäspig gekocht, gibt eine indigo¬
blaue Färbung. Lässt man die Probe einige Zeit stehen, so setzt sich am Boden des
Reagensglases ein Niederschlag von Indigo ab.
Die Reaktion beruht darauf, dass ortho-Nitrophenylpropiolsäure durch Erwärmen mit
Traubenzucker bei Gegenwart von Soda in Indigo übergeht:
2Cs H 4 (NOs) C = C — C 0 0 H + 4H = Cis Hio Nt Os + 2COs+2Ht O
Ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Fehlingschen Probe ist der, dass die Reak¬
tion nicht beeinflusst wird durch Harnsäure, Kreatinin, Glykonsäure, Gallenfarbstoffe,
ebensowenig wenn dem Körper arzneiliche Stoffe, als Rhabarber, Senna, Terpentin, Jod,
Salicyl einverleibt werden. Was die Empfindlichkeit der Probe anbelangt, so übertrifft
sie die Fehlingsehe bei weitem und kommt der Nylanderschen Wismutbprobe gleich,
welche mit Sicherheit noch 0,05 Traubenzucker nach weist-*
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Die Probe mit den Nitropropioltabletten ist non nach der vorgeschriebenen Weise
für den praktischen Arzt ungeeignet, da sie za Irrtümern führt.
Allerdings werden kleinste Mengen von Traubenzucker mit dieser Methode naohge-
wiesen, aber die Probe — Indigofärbung resp. Indigo-Niederschlag — fällt aaoh in sehr
vielen Fällen positiv aus, wo kein Traubenzucker vorhanden ist, wie
aus der nachfolgenden Tabelle durch Vergleichungen mit anderen Zuckerproben ersichtlich
ist. Es war mir aus naheliegenden Gründen nicht möglich, herauszubekommen, was für
andere Substanzen im Harn die Indigoreaktion ergeben; die normalen isolierten und daher
ihrer chemischen Natur naoh bekannten Harnbestandteile geben sie nicht. Höchst wahr¬
scheinlich sind es dieselben in vielen Harnen Vorkommen den, bis heute noch unbekannten
Körper, welche auch die Feblingsche Zuckerprobe stören, welche mit dem Traubenzucker
nicht nur das Redüktionsvermögen gemeinsam haben, sondern auch, wie dieser, befähigt
sind; die Polarisationsebene zu drehen l ) und daher bei quantitativen Zuckerbestimmungen
mit dem Polarisationsapparat erst mit Bleiessig angefüllt werden müssen.
Alle die Harne, welche mit der „Nitropropiolprobe die
Indigoreaktion ergaben, während die andern Zuckerproben
negativ blieben, gaben auch keine Indigo-Färbung, wenn sie
zuerst mit Bleiessigbehandelt wurden. Traubenzuckerhaltiger Harn und
Träubehzuokerlösungen zeigten aber auch nach dem Bleiessigzusatz posi¬
tive Indigoreaktion. — Zur Illustration des Gesagten diene folgende Tabelle:
Farbe des
Name U " n8n , ach
Vogels
Tafel
Reak¬
tion
Spez.
Gew.
Ei-
weiss
i
Fehling
Probe
^Probe mit
.Nvlanders
1 Reagens j
Probe im
Einhorn'schen
Gährnngssac-
charometer
Probe mit Nitro-pro-
pioltabletten
ohne .| mit
Bleiesatg 1 Bleieaaig
1) L. S.
Nr. 3 schw.sauer 1020
—
—
—
—
4-
—
2) 0. A.
Nr. 3
sauer
1016
—
—
—
,—
+
—
3) A. R.
Nr. 2 stark sauer
1010
—
—
—
—
+
—
4) C. M.
2
sauer
1008
—
—
—
—
— 0
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5) H. A.
3
rt
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6) E. H.
3
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7) A. Q.
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—
—
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10) E. B.
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a
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11) H. St.
3
n
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—
—
—
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13) W. H.
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rt
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+ ( , /*°/oo) +
+
14) B.T.
3
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15) B. K.
3
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16) S. Sob.
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17) L. D.
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18) H. B.
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19) H. E.
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—
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20) P. G.
3
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—
—
—
—
+
—
a) lkünstl. Trauben- 1
1 1%0
+
+
+
+ .
b) / zuckerlösung '
l‘/4°/00
+
+
+
+
+
Dazu sei noch erwähnt; Der Zusatz mit Bleiessig geschah in der Weise, dass
ca. 5 ccm Harn mit 5—6 Tropfen der gewöhnlichen Bleiessiglösung (Liq. Plumb.
subacetic. solut.) versetzt, kalt geschüttelt und duroh gutes Fi 1 trierpapier
filtriert wurden. Aus diesem Filtrat wurden dann die 10 Tropfen entnommen und
*) Siehe die inzwischen in Nr. 2 der „Mediz. Klinik“ erschienene Arbeit über „nicht dia¬
betische Glycosurie“ von Hoppe-SeyUr.
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der Losung der Nitro-Propioltablette in ca. 10 ccm Wasser.zugesetzt. Man muss immer
lange kochen, meist 5—6 Minuten; die Iudigofärbung tritt oft sehr spät auf.
Bei den in der Tabelle angeführten negativen, aber mit @ bezeichneten Fällen war
mit 10 Tropfen Harnzusatz zur Ni tropropiol-Lösung kein Indigo zu sehen, wohl aber
nach Zusatz von mehr Harn, und zwar in Fall 4 bei 20 Tropfen, in Fall 5 mit 20
Tropfen sehr schwach, mit 30 Tropfen stärkere Färbung, in Fall 7 und 15 auch mit 20
Tropfen. Ohne diese Fälle- mit in Rechnung zu ziehen, ergaben also (von 20 in der
Tabelle angeführten Proben) 14 Uarne nach der Vorschrift der Fabrik positive Re*
suJtäte, während die Kontroll-Zuckerproben negativ waren; sie alle waren auch negativ
nach Behandlung des Harns mit Bleiesaig.
Von diabetischen Harnen stand mir nur einer (Fall 13) zur Verfügung; er ergab,
wie die Traubenzuekerlösungen, positives Resultat.
Die Zuckerprobe mit Nitropropioltabletten ist also erst in der hier angeführten
Modifikation zuverlässig. Allerdings gewinnt sie dadurch nicht an „Bequemlichkeit“
für den praktischen Arzt; sie ist aber zu Kontrollversucbeu sehr brauchbar und immerhin
ist sie in wenigen Minuten ausführbar. — Nebenbei, bemerkt ist die Verpackung der
Tabletten in den Fläschchen eiue unpraktische, da sie last nicht heraus zu bringen
sind, weil sie aneinander haften und loioht zerbröckeln.
Vereinsberichte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
I. WlDtersItzgof, 22. Oktober 1904 auf der Saffraa.')
Präsident: Prof. Paul Emst . -- Aktuar: Dr. Meyer-Hürlimann .
Dr« Haeberlin: Wann soll bol Appeadleitis operiert worden? (Erschien in
Nr. 24 des Corr.-Blattes 1904.)
Diskussion: Prof. Paul Ernst (Autoreferat): Vielleicht interessiert ^es die'an¬
wesenden Kollegen, auch von neneren anatomischen Befunden und Auffassungen anf dem
Gebiete der Epityphlitis zu vernehmen, and in dieser Voraussetzung] ergreife ich gerne
die Gelegenheit, nm Ihnen über Mitteilungen zu berichten, die in den Püngsttagen Aschoff
ans Marburg den in Berlin versammelten deutschen Pathologen machte. Er hatte die
ansehnliche Zahl von 75 Warm tortsätzen mit seinen Assistenten untersucht, im Anfall
waren 22 operiert, nach dem Anfall 53. Zunächst erkannte A. einen Teil frischer Fälle
als primäre Infektion mit Diplokokken und feinen Stäbchen, die ähnlich wie bei Pneu¬
monie und Meningitis die Leukocyten vollstopften, welch 1 letztere durch Fibrinfaden
znsammengehaltene Pfropfe bildeten, an den von Epithel entblössten Stellen der submu-
cösen Taschen oder Spalten oder L a k u n e u. Diese erste Lokalisation des Ent¬
zündungsvorganges in den Krypten oder Lakunen erinnert an akute. Angina (Tonsillitis),
kann also als eine anatomische Stütze für die Ansicht englischer “und amerikanischer
Autoren, in unserem Lande Sahli'a , gelten, dass es sich recht eigentlich um eine direkte
infektiöse Angina der Wurmfortsatztonsille handle und nicht um
fortgeleiteten Dickdarmkatarrh, auch nicht notwendig um Wirkungen von Kotsteinen oder
frisch eingepresstem Kot. Für toxische Wirkungen mussten Leukocyteninfiltrationen in
der Muscularis gehalten werden, da dort Bakterien fehlten; denselben Ursprung hatten
wohl auch Fibrinausscheidungen in Lymphgefassen und entzündliche ödematöso Schwel¬
lungen des Wurmfortsatzes. Neben diesem selteneren Bilde frischer Infektion ohne Kot
und Fremdkörper fanden sieb als häufigere Vorkommnisse diphtherische Ver¬
änderungen mit Gangrän und Perforation.
Hier konnte man nun wieder 2 verschiedene Bilder unterscheiden: Entweder hatten
sich Leukocyten bis zur Abszessbildung in der Muscularis angebäuft, und
*) Eingegsogeo IÖ. Dezember 19(M. Red.
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es hatte die Muskolerweichung eine Perforation vorbereitet. Die Muskelabszesse
entsprachen den tiefsten Krypten, und diese Hegen immer an der freien Seite dee Wurm¬
fortsatzes; so erklärt sich die Lage der Perforationen dem Mesenteriolum gegenüber. Eine
fortschreitende geschwürige Zerstörung von innen nach aussen, wie es sich wohl die
meisten vorstellen, hat A. nie gesehen und hält es zum mindesten für äusserst selten.
Die häufigste Form ist die diphtherische mit pseudomembranöser
Entzündung, Exsudation ins Lumen und Nekrose der Schleimhaut, sogar
bis in die Submucosa. Auch diese Form nimmt iu den Krypten ihren Anfang, dort
haften die Pseudomembranen fest. Oft fand sich vor und hinter einem Kotstein Diph¬
therie, am Stein selber nicht, sodass der Stein die Schleimhaut fast eher zu schützen,
als durch Druck zu schädigen schien. - Der Stein mag immerhin eine Sekretstookung
begünstigen, durch Hinderung der Kontraktion die Sekretentleerung hindern, sodass die
Bakterienwirkung befördert wird.
Im Intervall operierte Wurmfortsätze waren bald normal, bald obliteriert.
Letztere zeigten immer Muskeldefekte als Ueberreste einer entzündlichen Vor¬
geschichte auf. A . zweifelt an einer physiologischen Obliteration, da er immer Spuren
pathologischer Vergangenheit fand. Häufige Funde obliterierter, also ausgeheilter Wurm¬
fortsätze rechtfertigen die exspektative Behandlung nach A’s. Auffassung.
Obgleich ich bloss A' s. Mitteilungen wiedergab und hier auf die inzwischen in den
Verhandlungen der deutschen pathologischen Gesellschaft erschienene Veröffentlichung
füglich hätte verweisen können, habe ioh doch diese kurzen Bemerkungen auf Wunsch
einiger Kollegen beigefügt, in der Annahme, vielleicht manchen auf bemerkens¬
werte Untersuchungen aufmerksam zu machen, die ihm im Original nicht zu Gesicht
kommen.
Dr. Sturzenegger hielt sich bis in die letzten Jahre an die Sahli'achen Vorschriften
bezüglich Perityphlitisbehandlung. Jetzt ist er aus denselben Gründen wie Dr« Haeberlin
für die Frühoperation. Es wäre nun sehr zu wünsohen, dass auch in Spitälern die Früh¬
operation allgemeinen Eingang fände. So könnten bisweilen sich zeigende Misstände
vermieden werden, wie z. B., dass der Patient vom Arzte mit Mühe und Not zur Ope¬
ration überredet und ins Spital gebracht worden ist, um dort expektativ behandelt zu
werden.
Prof. Het'm. Müller bezweifelt die Angabe von Dr. Haeberlin , dass der Processus
vermiformis je gefühlt werden könne, selbst bei der Operation muss er ja zuweilen erst
lange gesucht werden. Was man als Wurmfortsatz fühlt, sind Dünndärme etc.
Dr. Naegeli-Naef ist nicht einverstanden mit den Ausführungen des Vortragenden.
Die angeführten Zahlen sind viel zu klein für ein sicheres Urteil. Dr. Naegeli hat eine
Anzahl grosser Statistiken konsultiert, diese beweisen nach seiner Ansicht. &aftft’sche
Statistik: 7213 Fälle, 91 °/o spontane Heilungen, bei 473 Operierten 1*/«% Mortalität,
bei rein interner Behandlung 2,5 °/o Mortalität, also alles zusammen noch keine 4 %
Mortalität bei kombinierter Therapie. Statistik der deutschen Armee 2000 Fälle = 4 °/o
Mortalität. Weitere Statistiken von Internen: Biermer , Breslau, 147 Fälle 5 1 /* °/o Mor¬
talität bei interner Behandlung; Stintevng habe seit langen Jahren bei interner Behand¬
lung bloss 2 Todesfälle auf seiner Abteilung erlebt, Leyden sogar gar keinen. Bloss
Jaksch habe schlechte Resultate und wolle von interner Behandlung nichts wissen.
Dagegen die Statistiken der Chirurgen, die auch im intermediären Stadium häufig
operieren: Sonnenburg 208 Fälle 18,7 °/o Mortalität,
Riedel 132 „ 15%
Anger er (der besonders auf die schlechten Resultate der intermediären Operation hinweiet)
hat 10 % Mortalität.
Jonescu , Bukarest, hat bei Frühoperationen 44 % Todesfälle; er sagt direkt, dass
zahlreiche Statistiken beweisen, dass interne Behandlung und Spätoperation viel bessere
Resultate geben.
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Die. Chirurgen sind also unter sich selbst nicht einig, so sagt Rehn, er operiere
in jedem Stadium, die Operation sei nicht gefährlich. Dem ist sehr zu widersprechen.
Wenn noch keine Abkapselung vorhanden ist, ist die Gefahr sogar eine sehr grosse.
Für die Gefährlichkeit der Operation spricht ff. Erfahrung: Auf Grund von Leuko-
oytenzählungon sind eine Menge Schwerkrsnker mit niedrigen Leukocytenwerten nicht
mehr operiert worden, weil man annahm, sie würden die Operation nicht mehr über¬
stehen. Von diesen Aufgegebenen sind eine ganze Anzahl doch durchgekommen, eine Ope¬
ration hätten sie aber nicht überlebt.
Die intermediäre Operation ist heute schon meist verlassen. Zu entscheiden, ob
die interne Behandlung oder die prinzipielle Frühoperation besser sei, ist noch nicht
möglich.
Dr. Tschudy hat schon sogenannte Frühoperationen abgelehnt. Was ist aber eine
Früboperation ? Bloss die Operation in den ersten 24 Stunden. Wenn schon ein Tumor
da ist, handelt es sich um keine eigentliche Frühoperation mehr.
Die Frühoperation ist das Ideal, bei ihr kann der Erfolg garantiert werden. Aber
in praxi erhält der Chirurg die Patienten fast nie in diesem Stadium. Man individuali¬
siere mehr und schabionisiere weniger bei der Behandlung der ganzen Frage. Tschudy
ist gegen radikales Vorgehen im intermediären Stadium. Man sieht auch beim Zuwarten
Heilungen. Wenn die Operation nötig wird, besteht Tschudy nicht auf die Entfernung
der Appendix, im Gegensatz zu Haeberlin. Der Abszess wird eröffnet und mit möglichst
dickem Drain drainiert. Die Appendixentferuung im intermediären Stadium ist gefährlich
wegen der Sprengung der schützenden Adhäsionen.
Unter den 108 Patienten, die Tschudy im kalten Stadium operiert hat, befanden
sich 8, die nie einen eigentlichen perityphlitischen Anfall gehabt, aber längere Zeit an
vagen Beschwerden, Leibschmerzen, Magenschmerzen etc. ohne Fieber gelitten hatten. In
solchen Fällen ist die Operation erlaubt und nützlich, es fanden sich Veränderungen an
der Appendix oder Verwachsungen. Im kalten Stadium sei die Exzision der Appendix
gefahrlos.
Gegenüber den Ansichten von Dr. Naegeli hebt Dr. Wilhelm v. Muralt den rela¬
tiven Wert, aber auch wieder die Unzuverlässigkeit grosser Statistiken hervor. Er verweist
anf die grosse Bedeutung guter Einzelbeobachtungen. Zu der umfassenden 5o/)ft’schen
Statistik hat M. eine Anzahl Fälle als geheilt beigetragen, die jetzt anders rubriziert
werden müssten. Er hat häufige Rezidive gesehen. Die klinische Heilung ist noch nicht
die anatomische, v. Muralt hat Rezidive noch nach 6 Jahren beobachtet.
In Anlehnung an ein Referat von Alapy betont M. den grossen Unterschied im
Krank bei tsbild der Perityphlitis bei Erwachsenen und bei Kindern. Im Gegensatz zu
andern Erkrankungen, wo bei Kindern viel eher konservatives Verhalten angezeigt ist,
erfordert die Perityphlitis bei Kindern viel rascher den operativen Eingriff, als bei Er¬
wachsenen. Auch die chronischen Appendicitisfälle, die nie einen Anfall, keinen typischen
Druckpunkt aufwiesen, die mit chronischen Verdauungsstörungen, Magenschmerzen, Ab¬
magerung qinhergingen, rechtfertigen eine Operation, wie bei Erwachsenen, so bei Kin¬
dern. Trotz des atypischen Verlaufes findet man bei der Operation das typische Bild.
Wie Tschudy ist M. nicht für die Resektion der Appendix ä tout prix; in gewissen
Fällen darf sie wegen der Gefahr, den schützenden Wall zu durchbrechen, nicht gemaoht
werden.
Dr. A. Huber rühmt ebenfalls die guten Resultate der Operation bei den chroni¬
schen Fällen, die das Bild der Colica appendicularis zeigen. Da besteht keine Operations¬
gefahr. Die Frage, ob interne Behandlung oder ob prinzipiell immer Frühoperation,
wird später entschieden werden, jetzt soll noch der praktische Arzt entscheiden, der
genau den Einzelfall in seinem unberechenbaren Verlauf zu beobachten hat. Huber
betont dann ebenfalls die Unzulässigkeit, grosse Statistiken hier mitreden zu lassen, die
eben gemachten Angaben sind ja zum Teil geradezu ungeheuerlich.
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Dr. Widmer fragt an, ob wirklich die Perityphlitis bei Graviden besonders gefähr¬
liche Komplikationen bringe. Man beschuldige sie, Abort, sekundäres Puerperalfieber
verursacht zu haben und rate zu frühzeitigem Eingriff. Es stände das Erwähnte im
Widerspruch zu der sonstigen Erfahrung von der grosseren Widerstandsfähigkeit des Peri¬
toneums bei Frauen überhaupt.
Dr. Haeberlin (Schlusswort, Autoreferat) betont, dass die von Dozent Naegeli zitierte
schweizerische Mortalitätsstatistik unmöglich richtig sein kann, da in Zürich in kurzer
Zeit 8 Kollegen an Appendicitis starben. Der Ansicht Prof. Müller gegenüber, dass
der Processus vermiformis nicht palpabel sei, tritt er entschieden gegenüber, wobei er
allerdings seine Erfahrungen meist bei Frauen und Kindern erwerben konnte. Was die
notwendigen Operationen im akuten Stadium nach dem dritten Tage anbetrifft, so wird
H . trotz den mehrfachen Warnungen eingedenk der reichen Erfahrungen anderer Opera¬
teure und seiner eigenen Beobachtungen radikal Vorgehen, den Processus vermiformis
resezieren und alle Abszesse eröffnen, auch wenn dies nur mit Opferung bestehender
Adhäsionen erreichbar ist, indem er bei richtiger Drainage eine Infektion des noch ge¬
sunden Peritoneums weniger fürchtet, als eventuell einen gangränösen W. F. oder einen
uneröffneten Abszess zurückzu lassen.
Bericht Uber die 85. Jahresversammlung des „BUndnerischen Aerztevereines“
ii llaaz 24. September 1904«
Unser diesjähriger Jahrestag verlief unter recht zahlreicher Beteiligung der Bündner
Aerzte. Nachdem der Präsident, Dr. Lucius Spengler , seinen Bericht über das abgelaufene
Vereinsjahr erstattet hatte, hielt Herr Dr. Köhl, Chur, einen Vortrag über Kerala eroralla
(Autoreferat). Der Redner erörtert an Hand zweier Zeichnungen die Anatomie des Crural-
bruches in seiner gewöhnlichen Form und gibt ein auf Kenntnis der operativen Resultate
aus dem Stadtspitale Chur beruhendes R6sum6. Inklusive einiger weniger privatim
beobachteter und operierter eingeklemmter Brüche zählt seine Statistik (ohne auf
Vollständigkeit Anspruch machen zu können, da die Zeit zur genauen Durchsicht aller
Journale zu kurz war) 62 Fälle eingeklemmter Leisten - und Schenkelbrüche
und zwar:
24 Leistenbrüche, wovon 20 Männer, 4 Frauen,
38 Schenkelbrüche, „ 3 „ 36 *
Von den Leistenbrüchen der Männer sind 19 geheilt, 1 f == 6 °/° Mortalität
» , „ » Frauen „ 8 „ 1 f == 25 ®/o »
„ „ Schenkelbrüchen „ Männer „ 2 „ 1 f = 33 °/o „
» » * Frauen „ 31 „ 4 f = 13 °/o „
Total auf 62 inkarzerierte Hernien 7 gestorben = 11 °/o Mortalität.
Im Anschluss an diese Statistik berichtet der Vortragende über die interessanteren
der zur Beobachtung gelangten Fälle und stellt bezüglich der Cruralhernie und deren
Operation folgende Thesen auf:
1. Die Cruralhernie ist bei der Frau sehr viel häufiger als beim Mann.
2. Dieselbe klemmt sich leichter ein als die Inguinalbernie.
3. Sie ist meist kleiner.
4. Sehr oft verwachsen.
5. Viel öfter als die Iuguinalhernie nicht reponierbar.
6. Sie führt viel leichter zur Gangrän der eingeschnürten Darmschlinge.
7. Sie ist deshalb möglichst rasch zu beseitigen.
8. Die Reposition ist mindestens ebenso gefährlich als die Operation.
9. Es ist deshalb zweckmässiger, die Cruralhernie ohne Repositionsversuche zu
machen, sofort zu operieren.
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— 53 —
Zu der Operation soll
10. der Bruchsack isoliert und
11. eröffnet werden.
12. Die inkarzerierte Schlinge ist vorzuziehen und beide Einklemmungsfurchea sind
genau zu visitieren.
13. Zur Beobachtung der ZirkulationsVerhältnisse der eingeklemmt gewesenen
Schlinge ist diese in dubio einige Zeit nach dem Debridement und dem Yorziehen der
Schlinge liegen zu lassen.
14. Nach Reposition der gesunden Schlinge ist mit dem Finger oder'einem
geeigneten Instrument die Schlinge möglichst weit hinauf zu sohieben, damit sie nicht in
der Nähe der inneren Bruchöffnung liegen bleibt, sondern sich frei im*Abdomen be¬
wegen kann.
15. Verdächtige Schnürfurchen sind durch Lambert 1 sehe Naht zu Ubernähen.
16. Bei ausgedehnter Nekrose ist die Darmresektion ausznföhren (im Spitale).
ln der Privatpraxis dürfte vielleicht Fixierung der Schlinge und Anus präterna-
turam sichet er sein, weil die Darmresektion schwierig ist und viel Zeit in Anspruch
nimmt und ein Murphyknopf durch den engen Brucbkanal nicht hindurchgeht.
17. Der Bruchsack wird mit der „Umstülpungssonde nach Dr. Köhl“ umge¬
stülpt und unter dem unteren Schenkel des ligamentum Pouparti in den Leistenkanal
und durch ein Knopfloch in der Mitte desselben herausgezogen, mit der Fascie des Leisteu-
kanalee vernäht und der überschüssige Rest reseciert, worauf die Operationsstelle ver¬
näht wird.
In der Diskussion bemerkt 0. Bernhard (Samaden), dass er mit Rücksicht
auf das leichte Einklemmen und Gangränöswerden der Cruralhernien immer die Radikal¬
operation empfehle, ob nun Inkarzeration vorliege oder nicht. Er bat 2 Variationen
von Cruralhernien beobachtet, von denen eine durch die Lacuna musculorum und eine
hinter den Gefässen verläuft. Er erwähnt einen Fall, bei welchem die rechte Tube und
das rechte Ovarium im Bruchsack lagen, welche Organe abgebunden wurden. Dann ver¬
liest er den seinerzeit im Correspondenz-Blatt veröffentlichten Fall von Cystooele in einer
Cruralhernie. Peters erwähnt einen Fall von Cruralhernie, der als Drüsentumor im¬
ponierte.
Dann folgte der zweite Vortrag von Dr. Schmidt (Bergün): Ueber einen Fall vou
primäre* LlRgeisarkt*. Redner weist zunächst auf die Schwierigkeit der Diagnose
in solchen Fällen hin. Er konnte in der Literatur nur 3 Fälle eruieren, die schon intra
vitam erkannt worden waren. Aus der Anamnese ist zu entnehmen, dass die Mutter und
der einzige Bruder des 50jährigen Patienten an Lg. tub. starben. Ausser einigen Kinder¬
krankheiten und oinem Augenleiden machte er keine erwähnenswerten Krankheiten durch.
Im Januar 1904 stellten sich heftige Magenbeschwerden ein, die für eine hochgradige
motorische Atonie des Magens mit Gährungsvorgängen sprachen; kein Fieber, keine Nacht-
schweisse; hingegen hie ond da etwas trockener Husten, mit zähem, glasigem Sohleim,
ohne T. B. und ohne Blut. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Der Zustand besserte
sich etwas. Patient wurde dann während 6 Wochen von einem Magenspezialisten in
Zürich behandelt, der die vom Redner gestellte Diagnose bestätigte. Auf den Lungen
wurde nichts Krankhaftes nachgewiesen. Patient wurde gebessert aus der Behandlung
entlassen. Ein anderer Arzt konnte bei dem Patienten bei zweimaliger Untersuchung
nichts Krankhaftes nachweisen. Am 22. Mai wurde Redner wieder konsultiert, wegen
Stechen bei Atmen, Husten, Niesen und völligem Appetitmangel, stark belegter Zunge
und rechtsseitiger Ischias. Aus dem erhobenen Status sei Folgendes erwähnt: Reduzierter
Ernährungszustand, geringe Anämie. Puls 85—90, Temperatur 37,4, sehr wenig Husten,
mit wenig zähem, glasigem Schleim, der keino T. B. enthält. Keine Drüsenschwellungen,
keine Heiserkeit, Atmung ruhig, gleichmässig, Spitzenstoss an normaler Stelle. Perkussion
und Auskultation gibt auf beiden vorderen Lungenpartien und L. H. absolut normale
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Verhältnisse, desgleichen R. H. 0., hingegen über dem rechten Unterlappen deutliches
plearitisches Reiben, mit vereinzelten, kleinblasigen Rasselgeräuschen. Atmung vesikulär,
kaum abgeschwächt, keine ausgesprochene Dämpfung. Stimmfremitus, wie links fühlbar,
nicht abgeschwächt. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Diagnose: Pleuritis sicca, mit
wahrscheinlich beginnender Tuberkulose des rechten Unterlappens.
Krankheitsverlauf: Unter Bettruhe, IVtesswite’schen Umschlägen und Aspirin innerlich,
gingen die Reibe- und Rasselgeräusche, sowie die Schmerzen fast ganz zurück; hingegen Stieg
die Temperatur auf 38—39,9 und nahm einen intermittierend hektischen Charakter an.
Es traten dann noch Nachtschweisse auf. Ein zugezogener Kollege, Dr. Bernhard , Sa-
maden, bestätigte die Diagnose, erwog aber auch die Möglichkeit, dass Actinomykose oder
ein intrapulmonaler, maligner Tumor vorliegen könne. In dem Sputum, dem später
kleine Blutstreifen beigemengt waren, wurden auch weder in Davos noch Zürich Tuberkel¬
bazillen, Actinomycespilze, noch sonst etwas Pathognomonisches gefunden. Das wech¬
selnde Exsudat über dem reohten Unterlappen liess keine genauere physikalische Unter¬
suchung zu. Das Fehlen von Lymphdrilsenschwellungen und abundante Nachtschweisse
sprachen mehr für Tuberkulose. Später kam Heiserkeit dazu; der Churer Spezialarzt
Dr. Schmid konstatierte linksseitige Rekurrenslähmung, wahrscheinlich infolge von Bron¬
chialdrüsenschwellungen in der Gegend des Aortenbogens. Eine Probepunktion Anfang
Juni ergab ein blutig-seröses, fibrinreiches Exsudat. 5 Tage später wurden 900 cm 8
Flüssigkeit weggenommen. Die Untersuchung des Exsudates im hygienischen Institut in
Zürich ergab keine diagnostischen Anhaltspunkte. Das Allgemeinbefinden verschlechterte
sich, es traten heftige Hustenparoxysroen auf, am 2. Juli f durch Lungenoedem;
Von dem Sectionsbefund sei nur das Hauptsächliche wieder gegeben. Linke Lunge
leicht ödematös, sonst keine Besonderheiten; die rechte Lunge total mit der Pleura co-
stalis durch eine dicke Schwarte verwachsen. Im untersten Teil der rechten Pleurahöhle
findet sich ca. 1 Weinglas voll leicht blutig tingierte, seröse Flüssigkeit. Im Bereich
des Hauptbronchus mehrere verkäste und einige vergrösserte und harte Bronchialdrüsen.
Der rechte Ober- und Mittellappen zeigt keine pathologischen Veränderungen, ist überall
lufthaltig und leioht ödematös. Im Zentrum des rechten Unterlappens findet sioh ein
apfelgrosser, scharf abgegrenzter, rundlicher Tumor mit grauweisser Schnittfläche, der in
der Mitte teilweise verkäst ist. Von der Schnittfläche lässt sich ein grauweisser, rahm¬
artiger Saft abstreichen. Das den Tumor umgebende Lungengewebe ist zum Teil noch
lufthaltig, zum Teil derb infiltriert, ohne eingesprengte kleinere Tumoren. In der Leber
und Milz, sowie den Nieren keine pathologischen Veränderungen nachzuweisen. Der
Magen ist etwas dilatiert, die Schleimhaut an einzelnen Stellen hyperämisch, im übrigen
ohne besondere krankhafte Erscheinungen. Der rechte Unterlappen wurde nun an das
pathologische Institut in Zürich geschickt. Die von Dr. Fabian gestellte mikroskopische
Diagnose lautete: Kleinzelliges Rundzellensarkom, wohl von dem Hilus der Mediastinal-
drüsen, eventuell vom lymphatischen Apparat der Bronchien ausgehendes Lymphosarkom.
In der Epikrise vertritt Verfasser die Ansicht, dass es sich um ein primäres Lungen¬
sarkom, und nicht um ein von den Mediastinal- oder Bronchialdrüsen ausgehendes Sarkom
gehandelt habe. Für seine Auffassung macht er folgende Momente geltend: Die immer
mehr zunehmenden, allerdings wechselnden Blutbeimeugungen zum Sputum, die er mit
dem rapiden Wachstum des Tumors in Verbindung bringt, wodurch bald kleinere, bald
grössere Gefässcben platzten; ferner der schon in den ersten Krankheitstagen bestehende
Husten. Für die sekundäre Erkrankung der Bronchialdrüsen spricht mit ziemlicher Sicher¬
heit die erst spät auftretende linksseitige Rekurrenslähmung und das Intaktsein der die
Bronohialdrü8en umgebenden Organe.
Ferner wirft Redner die Frage auf, ob keine Erscheinungen vorhanden waren, die
intra vitam auf die richtige Diagnose hätten führen können. Heredität, Fieberverlauf,
Nachtschweisse sprachen für Tuberkulose. Die Pleuritis war nicht eindeutiger Natur.
Das Fehlen von Drüsenschwellungen schien auch gegen einen Tumor zu sprechen. Das
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blutige Sputum hatte nichts charakteristisches, jedenfalls war es nicht himbeergeleeartig
und grasgrün, respektive olivengrün, wie es bei Sarkomen Vorkommen soll. Redner weist
auf Ebstein hin, der den Blutfarbungen eine diagnostische Bedeutung in dieser Beziehung
abspricht. Die KrankheiUdauer betrug seit dem ersten Auftreten der Magenstörung
6 Monate; in der Literatur sind Falle mit einer Krankbeitsdauer von 7 Monaten bis
3 Jahren mitgeteilt; als Mittel werden 13 Monate angegeben. Spindelzellensarkome sollen
häufiger sein als Rundzellensarkome. Das männliche Geschlecht soll eine Prädisposition
für solche Geschwülste haben. Redner geht noch auf die Aetiologie der Sarkome ein
und bringt die bekannten Theorien. Eine bestimmte Prädilektionsstelle der Lungensarkome
konnte Fuchs bei 12 Fällen nicht eruieren.
In der Diskussion hebt Spengler die Schwierigkeit der Diagnose von Lungen¬
tumoren hervor. Im vorliegenden Falle hätte der Umstand, dass zuerst eine rechts¬
seitige Lungenaffektion und dann eine linksseitige Rekurrenslähmung vorlag, den Ver¬
dacht einer Metastasenbildung in den Bronchialdrüsen wecken können. Bernhard hatte
die Rekurrenslähmung als eine nervöse aufgefasst. Breche ist der Ausicht, dass
Rekurrenslähmungen meist auf Drüsenschwellungen zurückzuführen seien. Er hatte
2 Fälle beobachtet, bei denen intra vitam die Diagnose Lungentumor gestellt worden
war; in einem Fall lag noch ein Tumor am Oberschenkel vor. Auffallend waren in beiden
Fällen intensive Dämpfungen, in dem einen Fall starke Cyanose, ausgesprochene Erwei¬
terung von Hautkapi Haren auf der kranken Seite. Ptattner frägt an, ob nicht eine
Tuberkulininjektion zur diagnostischen Aufklärung hätte beitragen können. Spengler
bemerkt, dass etwa auch Nichttuberkulöse auf Fieber reagieren. Er erwähnt einen Fall
seiner Praxis, bei dem er die Wahrscbeinlichkeitsdiagnose Lungentumor stellte. Ebenso
berichtet Philippi über einen zweifelhaften Fall dieser Art. Ferner weist er auf eine
kürzlich erschienene Publikation hin, wonach mit Tuberkulin — wie später die Autopsie
ergab — bei gleichzeitig vorhandener Karzinomatose und Tuberkulose einerseits keine
Reaktion erzielt wurde, während andrerseits bei Karziuom ohne Tuberkulose Reaktionen
auf Tuberkulin eingetreten waren. Breche bezweifelt in letzterem Falle die Genauigkeit
der Untersuchung bei der Sektion und hält die Tuberkulinprobe für ein absolut sicheres
Kriterium.
Damit war der wissenschaftliche Teil der Versammlung erledigt. Die nun folgen¬
den Vereinsgeschäfte mögen an dieser Stelle übergangen werden. Es sei nur erwähnt,
dass einige Kollegen einer an die Versammlung ergangenen Einladung der Waldbäuser
in Flims Folge leisteten und sich später sehr befriedigt über ihren Ausflug aussprachen.
Der Aktuar: Dr. Philippi .
Referate und Kritiken.
Die Indikationen zu chirurgischen Eingriffen bei Innern Erkrankungen.
Für den Praktiker bearbeitet von Prof. Dr. Hermann Schlesinger , Wien. Zweiter Teil.
Jena 1904, Gustav Fischer. Preis Fr. 4. —.
Mit Bewunderung muss man dem Aufschwung der Chirurgie folgen, ihre Lei¬
stungen anerkennen, und neidlos, nein mit Begeisterung ihr zu weisen, was unsere, der
Internen, Mittel nicht bemeistern können, was der Operateur aber zu gntem Ende zu
führen vermag.
Da kommt uns denn eine Anweisung ganz gelegen, welche die Fälle sachgemäss
zusam mens teilt, in welchen wir zeitig genug an den Helfer zu denken, und was wir
von ihm zu erwarten haben.
Welche Eroberungen in den wenigen Jahrzehnten! Gallenstein, Ergüsse, Krebs
der Gallenblase; Geschwülste, Echinokokkus, Abszess, Schrumpfung, Lageveränderung,
der Leber; Tumoren, Vergrößerung, Zerreissung, Abszess der Milz; Wandermilz;
Entzündung, Nekrose, Zellgewebsnekrose, Steine, Kysten, Geschwülste der Bauch-
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Speicheldrüse; Entzündung, Schrumpfung, Blutung, Verletzung, Steine, La geäuder ungen,
Neoplasmen, Kysten, Echinokokkus, Tuberkulose, Vereiterung der Niere: Entzündung und
Tuberkulose der Blase — allenthalben Angriff und Sieg der Chirurgen. Seite.
Handbuch der Geschichte der Medizin.
üerausgegeben von Dr. med. Max Neuburger , Dozent an der Universität in Wieu und
Dr. med. Julius Vagei, Professor an der Universität in Berlin. Siebente bis zwölfte
Lieferung. Jena'1903—1904, Gustav Fischer. Preis ä Lfg. Fr. 5.35.
Nicht erschrecken! Es gibt nicht mehr so viele Blätter ungelesen umzuschlagen.
Der allgemeine Gang der medizinischen Entwicklung liess Bich noch in auszüglicher Dar¬
stellung wiedergeben. Jetzt ist aber jede einzelne Disziplin für sich in ihrem Waohstum
von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart vorgeführt, und das liefert eiu so gewaltiges
Material, dass demselben keine bruchstückweise Berichterstattung mehr kann gerecht
werden.
Es bleibt nur übrig, den Männern zu danken, welche die Früchte einer solchen
Menge von Wissen und Arbeit uns bieten. Die Geschichte der Anatomie, der Physio¬
logie, der medizinischen Chemie, der pathologischen Anatomie, der Heilmittellehre im
weitesten'Sinne, der innern Medizin, der Chirurgie ist in diesen Lieferungen bearbeitet
von v. Töply, BoruUau, Korn , Chiari , Schaer , v. Oe feie, Vierordt, Fossel , Ott, Husemann ,
Hetfreich . Ewer, Geist-Jacobi. Die Individualität der einzelnen Verfasser macht sich
geltend; es ist das nirgends ein Hindernis vortrefflichster Leistung geworden.
Kein Arzt in unserer gewaltig vorwärts drängenden Zeit sollte es unterlassen, Rück¬
schau zu halten über die Vergangenheit. Mögen diese Abhandlungen in ununterbrochenem
Zuge durohstudiert werden, mag nur daun und wann ein einzelnes Kapitel heraus¬
gegriffen werden — Belehrung und Erhebung werden der sichere Gewinn sein.
8eü*.
Individuelle Geistesartung und Geistesstörung.
Von Direktor Dr. Th. Tiling. XXVII der Grenzfragen dos Nerven- und Seelenlebens.
58 Seiten. Wiesbaden 1904, J. F. Bergmann. Preis Fr. 2. 15.1
Verfasser leitet in eingehender und geistreicher Weise die Seelenstörungen aus einer
Störung der Harmonie zwischen Gefühls- und Gedankenwelt ab. Es werden dadurch
Anomalien und Perversitäten des Charakters erzeugt, die zu pathologischer Verstimmung
und zuletzt zur Geistesstörung führen. Die Beweisführung ist eine rein psychologische.
Die geistige Grundlage des Individuums, als sein Ichbewusstsein, seine Nachhaltigkeit
und Stetigkeit oder ihr Gegenteil, seine Aktivität oder Passivität, sein Ernst und seine
Heiterkeit sind nicht nur für den Ausbruch, sondern auch für die weitere Entwicklung
vielleicht sogar für den Ausgang der Seelenstörung entscheidend. Daneben sind von
Einfluss die Erfahrung und Schulung des Geistes. Die Behandlung des Gegenstandes
verdient durchaus das Interesse aller Gebildeten. L . W.
Lehrbuch der speziellen Psychiatrie.
Für Studierende und Aerzte von Dr. Alex. Pike, Dozent für Neurologie und Psychiatrie
in Wien. 249 Seiten. Leipzig und Wien 1904, Franz Deutike. Preis Fr. 6. 70.
Das Prof. Jul. Wagner von Jauregg gewidmete Buch bringt im allgemeinen dessen
psychiatrische Lehren zum Ausdrnck, ohne andere wichtige Publikationen zu vernach¬
lässigen.
Verfasser bringt die einzelnen Formen mit ihren klinischen Merkmalen in 8 Ab¬
teilungen unter, dieselben in Kürze, aber doch genügend verständlich und charakteristisch
behandelnd. Das Werkchen hat seine Aufgabe in einer Weise gelöst, dass es mit Recht
empfohlen werden kann. L. W.
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Kantonale Korrespondenzen.
Setaaffhnusen. Dr. ned. Otto Rahn. Es war am Abend nach der Frühjahrs-
versammluug in Basel. Da sassen in Eglisau drei Gesellen, drei jugendfrobe Aerzte in
heiterer Tafelrunde beim feurigen Rotwein. Sie waren im Abendsonnenschein rheinauf-
wärts gefahren, hatten den weiter ostwärts strebenden Kollegen muntere Abschiedsworte
zugerufen und warteten nun auf den Zug, dor sie in die Heimat, nach Schaffhausen,
bringen sollte. Die Gläser klangen zusammen auf den so schön verlebten Tag und mit
dem gegenseitigen Versprechen, das nächste Jahr gewiss nicht zu fehlen, wurde der letzte
Tropfen ausgetrunken.
Wenige Wochen später, an einem Sonntag mit schwerem, warmem Sommerregen,
da trugen sie den einen der Gesellen, den lieben unvergesslichen August Müller hinaus
zur ewigen Ruhe und tiefbetrübt schritten die beiden andern im Geleito und dachten
wehmütig der vor kurzer Zeit so froh verlebten Stunden. Und wiederum nur wenige
Wochen. Wieder ein Sonntag, der erste im Monat September. Bis auf deu Talgrund
hingen die Wolken von den Bergen des Gotthard und ein kalter Wind liess den einsamen
Wanderer, der am frühen Morgen einen schweren Gang antrat, bis ins Innerste erschauern.
Ein Telegramm hatte am Abend vorher vou einem schrecklichen Unglücksfall berichtet
und nach langer banger Fahrt war der Schreiber dieser Zeilen morgens nach drei Uhr in
Andermatt angelangt, um dort die traurige Gewissheit zu vernehmen, dass er allein noch
von den fröhlichen Baselfahrern übrig sei, und dass sie drüben, wo in der Kriegskaserne ein
einsames Licht brannte, die Totenwache hielten bei dem Zweiten, und dieser Zweite war
sein innigst geliebter Bruder, dem er vor wenigen Tagen unter Scherzworten ein frohes
„Auf Wiedersehen“ zugerufen hatte.
Das war nun das Wiedersehen. Dort im einsamen Zimmer, wo Freundeshand dem
Toten eine Lagerstätte bereitet hatte, in stundenlangem stummem Zwiegespräch ein Ab¬
schied für immer.
Am andern Tag nahm auch er Abschied von seinen Kameraden und seinen lieben
Bergen. Dröhnend, Schlag auf Schlag, donnerten in abgemessenen Zeiten die Geschütze,
während der militärische Trauerzug unter den dumpfeu Klängen der Musik durch das
Urnerloch und die Schöllenen sich bis zur Grenze der Festung bewegte. Dann geleitete
ein Offizier mit einer kleinen Abteilung den Toten hinaus bis an die Nordgrenze unseres
Landes. — Dort am Rhein, im angestammten Elternhause, sollte er noch einmal kurze
Zeit als stummer Gast weilen unter einem Dache mit seinem geliebten Vater und sei: er
über alles geliebten Mutter, deren Lieblingssohu er immer gewesen war. Tiefe Trauer
herrschte in den Räumen, die der fröhliche Otto sonst mit Sang und Klang erfüllt
hatte, wo er in sonniger Jugendzeit aufgewachseu war, wo er so oft geholfen batte, die
weitbekannte Gastfreundschaft des Hauses auszuüben und wo er im Kreise der Familie
die schönsten Stunden seines Lebens verbrachte.
Ein Leichenbegängnis, wie die Stadt Schaff hausen wohl noch nie gesehen hatte,
zeugte am besten von der allgemeinen Teilnahme und von der Liebe und Achtung, die
der Verstorbene von überall her genoss. Verwandte und Freunde, und besonders die
Kameraden vom Gotthard hatten sich überboten, die schönsten, duftigen Blumengrüsse zu
spenden. Die hohe Regierung hatte eine Abteilung Positionsartillerie Aufgeboten und war
selbst durch den Militärdirektor vertreten; auch die Spitzen der städtischen Behörden
schritten in dem fast endlosen Geleite.
Noch einmal musste der Tote eine Reise antreten und noch einmal wurden ihm
militärische Ehren zu Teil, als er in Zürich ins Krematorium übergeführt wurde. Dort
fand am andern Tag im Beisein der Familie und weniger Freunde eine tiefempfundene
Ansprache und das Gebet eines befreundeten Geistlichen statt, und dann umfing das
lohende Flammengrab die irdische Hülle des lieben Bruders.
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58
Otto Rahm war am 25. August 1866 in Unter-Hallau geboren. Mit seinen Eltern
kam er als kleiner Knabe nach Schaffhausen, wo er die Schulen bis zum Abschluss des
Gymnasiums besuchte. Er ontschloss sich zum Studium der Medizin und folgte darin dem
Beispiel, das in der Familie Grossvater, Vater, Onkel, Vetter und Bruder gegeben hatten.
Er studierte in Neuenburg, Basel, München und Zürich; den grössten Teil seiner Studien¬
zeit verbrachte er in letztgenannter Stadt. Er war ein froher, flotter Student, im
Studentengesangverein Zürich war er bald eines der beliebtesten und angesehensten Mitglieder
Nach gut bestandenem Staatsexamen arbeitete er seine Doktordissertation aus und begab
sich zur weiteren Ausbildung nach Wien. Der Aufenthalt in der Weltstadt an der blauen
Donau gehörte zu seinen schönsten Erinnerungen. Als Assistenzarzt in der Zürcher
Frauenklinik batte er Gelegenheit, seine praktische Tätigkeit zu beginnen und ein schönes
Zeugnis hat ihm Prof. Wyder ausgestellt, als er bei Anlass des Unglücksfalles an den
Vater schrieb: „Ich habe ihren Sohn als trefflichen Schüler, spater als ausgezeichneten
Arzt und als einen in jeder Beziehung zuverlässigen Menschen kennen und lieben gelernt. 4
Es sind jezt acht Jahre her, als im Dezember 1896 Otto Rahm in Neuhausen am
Rheinfall seine Praxis begann. Es würde dem bescheidenen Sinn des Verstorbenen nicht
entsprechen, wollten wir hier seine ärztliche Tätigkeit hervorheben ; er hat in treuer
Pflichterfüllung sein bestes Wissen und Können in den Dienst der leidenden Menschheit
gestellt. Die geradezu lähmende Bestürzung, welche die Gemeinde Nenhausen bei der
Todeskunde befiel, und die aufrichtige, noch jetzt andauernde Trauer bei seinen Patienten
zeigt am besten, welche hervorragende Stellung Otto Rahm in seinem Wirkungskreis ein¬
nahm. Diese Stellung verdankte er am meisten seinen guten Eigenschaften als Mensch,
die ihn auch zum guten Arzt machten.
Otto Rahm war ein edler Mensch von noblem Charakter; ein idealer Sinn ver¬
bunden mit einem flotten Humor, seine stete Liebenswürdigkeit und sein bescheidenes aber
doch festes Auftreten machten ihn überall zum Liebling. Seinen Kranken verschriob er
nicht nur Medikamente, sondern oft viel notwendigere Sachen, und manche arme Familie
wird in dieser Weihnachtszeit einen stillen Wohltäter vermissen.
Als Kollege übte und forderte der Verstorbene strenge Handhabung der Standes-
pflichten ; er hat persönlich ein gutes Beispiel gegeben, als er vor einigen Jahren beim
Krankenkassenstreit schwere finanzielle Einbusse erlitt, aber lieber sich in seinen be¬
scheidenen Bedürfnissen einschränkte, als dass er sein gegebenes Wort gebrochen hätte.
Seine freien Stunden widmete er der Kunst. Sein musikalisches Talent war in der
Familie und in Freundeskreisen sehr geschätzt, auch manches Gelegenheitsgedicht ent¬
sprang seiner poetischen Ader. Mit Kenntnis und seltenem Geschick hatte er sich eine
Sammlung von Altertümern angelegt und er war stolz, wenn er seine Freunde zwischen
seinen alten Schränken und Truhen empfangen und ihnen aus alten Zinnkannen und Bechern
einen frischen Trunk anbieten konnte.
Dem Vaterland hat Otto Rahm stets treu seine Dienste geleistet. Er war als junger
Militärarzt zur Gotthardtruppe eingeteilt worden ; er hat dort den grössten Teil seiner
Dienstzeit verbracht, er hatte sich dort vollständig eingelebt und war als mutiger, guter
und Torsichtiger Bergsteiger bekannt.
Samstag den 3. September war für die Offiziere des Fort Stöckli eine Rekognos¬
zierung befohlen, natürlich war der stets dienstfertige Doktor auch dabei. Oberhalb des
Oberalpsees war ein Grasband zu überschreiten ; der Fortkommandant, Hauptmann Egli,
ging voran, ihm folgten Otto Rahm und dann in grösserem Abstand zwei andere Offiziere.
Plötzlich verliert Hauptmann Egli den Boden unter den Füssen, er fällt, überschlägt sich,
kann { aber % im Fallen einen Strauch ergreifen, so dass der Sturz etwas aufgehalten wird
und er den Kopf oben behalten kann. In schauriger Rutschpartie, immer wieder sich
anklammernd, gleitet der Hauptmann über 100 Meter ab, bis er endlich mit den Füssen
festen Boden fassen kann. Otto Rahm , der unmittelbar hinter seinem Kommandanten
ging, verlor keinen Augenblick die Geistesgegenwart, mit lauter Stimme rief er dem Ab«
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gestürzten die Warnung vor Steinsehlag zu und machte sofort Anstalten, dem Ver¬
unglückten zu Hülfe zu kommen. Den Bergstock fest eingestemmt wollte er über das Gras¬
band hinuntersteigen, als auch er auf dem trügerischen Grunde das Gleichgewicht verlor
und weniger glücklich als sein Hauptmann beim Ueberstürzen mit dem Kopf auf einen
Felsen aufseh log. Offenbar hat Otto Rahm sofort das Bewusstsein verloren, denn nach
Anssagen der Angenzeugeo ist er von diesem Augenblick an ohne eine Bewegung ab¬
gerollt, beinahe 200 Meter tief bis zur Oberalpstrasse.
„Dem in treuer Pflichterfüllung verunglückten Arzte“ lautet die Inschrift auf
der. Schleife des Kranzes, den die Kameraden vom Fort Stöckli gewidmet haben. Otto
Rahm ist im Dienste des Vaterlandes, bei der Ausübung seiner Pflicht einen schönen
aber leider allzufrühen Tod gestorben. Wer ihn gekannt hat, wird ihn nicht vergessen.
Er rohe in Frieden. E . R.
W oohenbericht.
Schweiz.
Sehwels« Uul verslt&ten. Frequenz der medizinischen Fakultäten
im Wintersemester 1904/05.
Aus dem
Kanton
Aus andern
Kantonen
Ausländer
Summa
Total
M.
W.
M.
W.
M.
W.
M.
W.
Basel
Winter
1904/05
44
2
64
3
15
1
123
6
129
Sommer
1904
46
2
56
2
13
—
115
4
119
Winter
1903/04
49
2
73
3
13
—
135
5
139
Sommer
1903
60
1
68
4
16
—
142
5
147
Bern
Winter
1904/05
63
—
68
2
56
405
187
407
594
Sommer
1904
57
—
61
2
41
351
159
353
512
Winter
1903/04
70
—
62
2
35
375
167
377
544
Sommer
1903
67
1
74
2
33
283
174
236
460
Genf
Winter
1904/05
28
2
51
1
65
141
144
144
288
Sommer
1904
27
—
45
1 *
66
123
138
124
262
Winter
1903/04
30
1
46
r
80
149
156
151
307
Sommer
1903
30
1
46
—
98
165
174
166
340
Lausanne Winter
1904/05
30
2
42
—
31
22r
103
223
326
Sommer
1904
27
l
37
—
26
153
90
154
244
Winter
1903/04
32
—
38
—
24
181
94
181
275
Sommer
1903
32
—
31
l
28
135
91
136
227
ZOricb
Winter»
1904/05
49
11
113
4
47
163
209
178
387
Sommer
1904
53
8
121
2
47
163
221
173
394
Winter
1903/04
57
4
119
4
35
169
2U
177
388
Sommer
1903
64
9
119
2
49
183
232
194
426
Total der Medizinstudierenden in der Schweiz im Wintersemester 1904/1905: 1724
(worunter 958 Damen); davon 579 Schweizer (27 Dämon). 1903/1904: 1654 (891
Damen), worunter 593 Schweizer (17 Damen). Ausserdem zählt Basel ?, Bern 12 (4
weibliche), Genf 29 (2 weibliche), Lausanne 2 (1 weibliche) und Zürich 15 (12 weibliche)
Auditoren. — Genf ferner noch 22 (1 weibl.) Schüler und 2 Auditoren (1 weibl.) und
Zürich 17 (1 weibl.) Schüler der zahnärztlichen Schule.
Ausland.
— Die Abllsiiff 4er Medizin von der Universität. Durch Vermittlung des
Schweizer Argus der Presse erhalten wir einen Artikel der Schlesischen Zeitung (27. Okt.)
der sich mit der Zukunft der medizinischen Bildungsanstalten beschäftigt. Diese Frage ist
durch die Gründung der Kölner Akademie für praktische Medizin aktuell geworden. Wir
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geben hier die wichtigsten Stellen dieses Aufsatzes wieder, in der Meinung, dass die in
demselben niedergelegten Gedanken eine ausserordentlich wichtige Frage aoschneiden,
deren Diskussion wohl noch eine Zeit lang hinansgeschoben, aber sohliessiich doch nicht
vermieden werden kann.
Die Gefahr der Akademien liegt gerade darin, dass sie«, nur Fortbildungsanstalten
sein sollen, mit den Universitätsanstalten auf der einen, den Durchschnittskrankenhäusern
auf der anderen Seite also notwendig rivalisieren werden. Ihre Ueberlegenheit nach
beiden Seiten bin ist unzweifelhaft. Sie verfügen — als grosse Krankenhäuser — über
einen ungewöhnlich grossen und vielseitigen Krankenbestand, und es bleiben ihnen die
recht beträchtlichen Zeitverluste und Konzessionen erspart, die den Universitätskliniken
ihre elementare Unterrichtsaufgabe, eben die Aus bildung der Mediziner neben der
Fortbildung der Aerzte auferlegt. Die Akademie wird die beste ärztliche Fortbildungs¬
schule sein, daran können alle Beschwichtigungen nichts andern, und da sie nur einer
kleinen, finanziell besonders günstig situierten Schiebt von Aerzten zugänglich sein kann, so
wird die beste Ausbildung unvermeidlich an die reichlichsten Geldmittel gebunden sein.
Diese Gefahr, dass der Nachwuchs der geistigen Aristokratie des Aerztestandes zunehmend
aus der Plutokratie sich ergänzen muss, wenn die medizinischen Akademien so bleiben,
wie sie heute geplant sind — ist ganz eminent und verdient wahrlich mehr Beachtung,
als man ihr allgemein zu schenken scheint.
Und diese Gefahr kann eben nur umgangen werden, wenn die medizinischen
Akademien aus Fortbildungs- zu Ausbilduugsanst<en sich entwickeln, den medizinischen
Fakultäten der Universitäten mit gleichen Berechtigungen an die Seite tretend. Die
Keime einer solchen Tendenz sind heute schon sichtbar. Hamburgs immer wieder auf¬
tauchendes und mit guten Gründen immer wieder fallen gelassenes Universitätsprojekt
deutet in diese Richtung ; nicht minder die höchst eigentümliche Verkettung der Kölner
medizinischen Akademie mit der Universität Bonn, obwohl diese Verkettung vorläufig
gerade die Bedenken der Akademiegegner zu beschwichtigen bestimmt ist. Denn hier
wird es sich bald erweisen, dass die Vorzüge der Akademie nicht erst mit dem Beginn
der ärztlichen Fortbildung, sondern schon spätestens in der späteren Zeit der medizinischen
Ausbildung nutzbar werden. Man wird, so etwa mag man sich den Lauf der Dinge vor¬
stellen, die Universität von den letzten Semestern entlasten, die für den elementaren
klinischen Unterricht nur eine Last sind, entweder ihn durch ihre Bedürfnisse künstlich
komplizieren oder aber-damit die jüngeren Kollegen beeinträchtigen, welche ihrerseits nicht
auf ihre Rechnung kommen und aus Langeweile schliesslich im Besuch der Klinikeu
säumig worden. Es ist noch nicht lange her, dass mir ein hervorragender Kliniker leb¬
haft die Schädigung des Unterrichts schilderte, die das Zusammensitzen der sechsten und
der neunten Semester in derselben Klinik mit sich bringe.
Die Universität könnte also den mehr naturwissenschaftlichen und den propädeutischen
Teil der Ausbildung behalten, während die grossen Krankenanstalten — mag man sie
dann Akademieu oder sonstwie nennen — den klinisch-praktischen Abschluss der
Aerztebildung übernehmen. Wem das als ein frivoler Eingriff in die Integrität der
,Universitas litterarum* erscheint, den weise ich darauf bin, dass die juristische Ausbildung
schon heute wesentlich in dieser Art sich vollzieht. Nur zeigt hier der praktische Teil
ein Aufrücken von den kleinen zu den grossen Rechtsinstituten; das würde in der Medizin
eher umgekehrt sein müssen, da erfahrungsgemäss die Tätigkeit in den reich ausgestatteten
grossen Krankenhäusern leichter ist als in den kleinen, die den jungen Mediziner viel
selbständiger vor die Nöte der Praxis stellen.
Auf diese Weise allein lässt sich meines Erachtens die sonst drohende völlige Ablösung
der Medizin von der Universität verhüten. Wenigstens vorläufig ! Denn ob diese alte Ver¬
bindung auf die Dauer aufrecht erhalten werden kann, muss stark bezweifelt werden.
Städte wie Hamburg und Frankfurt a. M. besitzen heute schon Institute von einer^Gtross-
artigkeit, gerade auch nicht-klinische, dass wahrscheinlich ganz von selbst die Entwickelung
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61
ihrer medizinischen Akademien in der Richtung auf abgeschlossene selbständige Mediziner-
kollegien hin sich vollziehen dürfte. Ob das — mit Rücksicht gerade anf die oben ari-
gedenteten Uebelstände im klinischen Unterricht — so besonders vorteilhaft wäre, ob
nicht die Verteilung der theoretischen und der ärztlichen Ausbildung auf Universität und
Akademie vorzuziehen ist: das mag hier nicht untersucht werden, einfach darum, weil ich
nicht glaube, dass die Entfaltung jener städtischen Riesenkomplexe durch solche Zweck¬
mässigkeitserwägungen aufgehalten werden kann. So oder so — wir wollen uns nicht
aufs Prophezeien verlegen. Und nur über die ängstliche Sorge, dass die Emanzipation
von der Universität dem wissenschaftlichen Geiste der medizinischen Arbeit und des
medizinischen Unterrichts den Todesstoss versetzen oder doch erheblichen Eintrag tun müsse,
seien noch zwei Worte gestattet.
Dafür, dass der medizinische Wissenschaftsbetrieb irgendwie von seiner Eingliederung
in die ,Universitas litterarum* abhängig wäre, kann kein Faktum ins Feld geführt werden.
Die mehrfach genannten Institute der Grosstädte sind an wissenschaftlichen Leistungen
den Universitätsinstituten auf allen Gebieten ebenbürtig. Das lehrt ein Blick in die Fach¬
literatur. Durch die Sitzungen der ärztlichen Vereinigungen von Hamburg, Frankfurt,
Köln u. 8. w*. weht derselbe wissenschaftliche Geist, wie durch die ähnlichen Veranstaltun¬
gen an den Universitäten. Die Forschungsmittel jener Anstalten sind unvergleichlich
reicher und moderner als mindestens diejenigen der kümmerlich sich hinfristenden Zwerg¬
universitäten. Man darf getrost sagen, der medizinische Wissenschaftsbetrieb hat sich
schon von der Universität emanzipiert; medizinische Forschung blüht heute ausserhalb der
Universitäten in so reicher Farbenpracht, dass von ihrer Gebundenheit an diese ehrwürdige
Lehrin8titution nicht mehr ernsthaft die Rede sein kann. Wer das dennoch behauptet,
verschliesst seine Augen geflissentlich den Tatsachen.
Weiter: Die Unterriehtsfrage. Auch die steht wie die medizinische Faknltät mit
der Universität im denkbar losesten Zusammenhänge. Zur theologischen und juristischen
Fakultät fehlt jede Beziehung. Die rein naturwissenschaftlichen Institute sind in den
Grosstädten, von denen wir sprechen, ebensegut vorhanden, mindestens doch so gut, um
die Propädeutik des jungen Mediziners zu gewährleisten. Der Konnex mit der philoso¬
phischen Faknltät beschränkt sich anf die ,Publica 4 ,. also auf die allgemeinen Bildnngs-
fragen. Dafür aber bietet nun gerade die Universität schlechtere Unterrichtsmöglichkeiten
als die Grosstadt. Die ,Publica 4 werden fast stündlich am Tage gelesen und kollidieren
oft mit medizinischen Unterrichtsstunden ; die Entfernung zwischen dem medizinischen Viertel
and der Universität ist vielfach za gross, als dass die Mediziner das ,Publicum ( recht¬
zeitig erreichen könnten. An den kleinen Universitäten ist die Auswahl der ,Publica 1
so gering, dass jede grössere Stadt heutzutage reichlichere und besser (nämlich am Abend)
gelegene Bildungsmöglichkeiten bietet. Dass vollends jene Grosstädte, welche für die
Ausbildung selbständiger Aerztekollegien zunächst in Frage kommen, den Kontakt des
Mediziners mit der Allgemeinbildung sicherer garantieren als die Zwerguniversitäten,
steht ganz ausser Frage.
So bleibt am Ende nur die ständige Berührung mit den Stadenten der andern Fakultäten.
Deren hoher erzieherischer Wert soll nicht bestritten werden. Aber sie hat auch ihre Kehrseite,
das wollen wir nicht vergessen. Sie ist vielfach die Grundlage jenes akademischen Dün¬
kels, der die studierten Schichten des Bürgertums den wirtschaftlich schaffenden (den länd¬
lichen, industriellen, kaufmännischen, handwerklichen) entfremdet und als eine abge¬
schlossene Käste gegenüberstellt. Diesem Uebel würde die Berührung der Mediziner in
Nicht-Universitätsstädten mit ganz anderen bürgerlichen Groppen (man denke nur an die
Besucher der Handelshochschulen, der technischen Hochschulen * der Frankfurter Akademie
för Sozial Wissenschaft n. s. w.) ansgleichend entgegen wirken können. Es würde damit,
wie heute schon durch die technische Hochschule, ein engeres Band zwischen Wirtschaft und
Wissenschaft geknüpft werden, das sicherlich nicht zum Schaden der letzteren sein könnte:
denn das heute erst ganz spärliche bürgerliche Maeenentum müsste dabei erstarken, was bei
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— 62 ^
der ungeheuren Belastung der öffentlichen Mittel nicht bloss als ein Segen, sondern in
kurzem vielleicht als eine einfache Notwendigkeit sich herausstellen wird. Wer alle diese
Momente ruhig ins Auge fasst, der wird nicht untätig Ober die Möglichkeit einer Durch*
löcherung der ,Universitas litterarum 4 jammern. Sie ist ja längst durchiöohert, wie wir
gezeigt haben; nnd wenn die nenen selbständigen Bildungen, die neben ihr empor ge wachsen,
zur möglichst grossartigen Entfaltung ihrer Mittel and Kräfte drängen, so leisten sicher die-«
jenigen der Wissenschaft den schlechtesten Dienst, die — schliesslich doch aus einer gewissen
Romantik heraus — solchen Strebungen gegenüber das starre Formaldasein der Universität
monopolisiert wissen wollen. Und vollends das Werte schaffende Bürgertum hat allen
Anlass, sich jener Neubildung zu freuen: sind sie doch viel vorheissende Sprossen und damit
auch Wahrzeichen seiner ungebrochenen Kraft; Wahrzeichen ferner jener echt deutsch»
bürgerlichen Art, die den Wohlstand nicht in sattem Genüsse aufzehrt, sondern ihn den
höchsten geistigen Zwecken dienstbar zu machen strebt. Damit aber wird die Mitarbeit
am Ausbau jener Neubildungen ein Stück der Pflege bester bürgerlicher Tradition: keine
zerstörende, sondern eine erhaltende, eine im schönsten Sinne konservative Aufgabe.
— Medizinische Nachrichten ans den fernen Osten. Die Petersburger med. Wo¬
chenschrift veröffentlicht Briefe von russischen Aerzten in der Mandschurei, aus welchen
man ein gewisses Bild erhält der dort herrschenden samtarischen Verhältnisse und der
Schwierigkeiten, mit welchen die Militärärzte zu kämpfen haben. Diesen Briefen entneh¬
men wir einige der prägnantesten Schilderungen.
Cbarbin, 20. August. Infolge des grossen Zustroms von Verwundeten sind die in
Liaojang und Umgegend befindlichen Hospitäler zu Verbandplätzen geworden, in denen
nur die allerschwersten Kranken einige Tage liegen; alle übrigen werden sofort weiter¬
befördert. Die vorhandenen Sanitätszüge genügen natürlich schon lange nicht mehr;
daher werden jedem von ihnen 15—20 Warenwaggons augehängt, in denen etwa 400
Kranke auf Strohmatten liegen, ausserdem werden aber einfache Warenzüge mit einigen
Aerzten und Schwestern zum Transport der Verwundeten benutzt. Unter solchen Um¬
ständen ist natürlich eine rationelle Pflege während der Fahrt unmöglioh.
Eine Sortierung der Kranken in den Waggons ist auch nicht mehr durchführbar:
Typhus, Dysenterie und Schiesswunden werden in einen und denselben Waggon gestopft.
Aehnlich steht es mit der Beköstigung. Neulich wurden uns 50 Typhuskranke gebracht;
auf die Frage, was sie auf der Fahrt zu essen bekommen hätten, antworteten sie: „Fleisch
und Schwarzbrot I* Man kann sich vorstellen, in welchem Zustand sie hier ankamen.
Dies alles ist keineswegs durchweg der Fall — die Glücklichen, die in richtigen
Sanitätswaggons befördert werden, haben es gut — aber es ist auch nicht mehr Aus¬
nahme, eher Regel, dass der Krankentransport auch sehr heruntergeschraubten Anforde¬
rungen der modernen Hygiene nicht mehr genügt.
Charbin, 6. Oktober. Der bisherige Erfolg der Schlachten vom 26.—80. Septem¬
ber sind 32,000 Verwundete unsrerseits. Für diese heisst es jetzt Platz schaffen. Na¬
türlich kann Charbin nicht alle fassen, ein kleiner Teil bleibt südlich und ein grosser
fährt ohne längeren Aufenthalt weiter. Aber auch so werden sich unsere Hospitäler
sehr anstrengen müssen. Natürlich werden wieder die Dielen aller verfügbaren Räume
und die sog. Rekonvaleszenten-Kommandos, wo auch keine Betten, geschweige denn Pflege
und reguläre Behandlung zu haben sind, herhaiten.
Was das doch für Zahlen sind l Vor einem halben Jahre war man entsetzt über
die 2000 Verwundeten, die die Schlacht am Yalu lieferte, und jetzt hott man ruhig
eine 15 mal grössere Zahl nennen, ungefähr soviel, als Buren im letzten südafrikanischen
Kriege gegen die Engländer 2 ! /a Jahre lang kämpften. Einen schlagenderen Beweis
für die Vernichtungskraft eines modernen Krieges braucht man wohl nicht aufzustellen.
Charbin, 15. Oktober. Welch ein Unterschied zwischen Beginn des Krieges und
jetzt im Hinblick auf Mortalität der Verwundeten! Am 19. August bekamen wir ca. 150
Verwundete, fast alle vom 15. August, also 4 Tage nach der Verwundung. In der
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63
Mehrzahl waren es ShrapnellVerletzungen, meist mittelschwere aber auch recht viele
schwere Fülle. Von diesen 150 sind 3 gestorben, einer an Tetanus, einer an Darmver¬
schlingung, einer an Hmmoperikard. Die beiden letzteren hätten vielleioht durch Opera¬
tion gerettet werden können. Etwa 20 konnten schon nach einer Woche wieder in die
Regimenter geschickt werden, die übrigen, darunter nicht wenige Bauch- und Lungen¬
schüsse, sind entweder schon gesund geworden oder erheblich gebessert. Aehnlich^ dürf¬
ten die Resultate der übrigen Hospitäler sein. Jetzt wird alles viel ungünstiger, weil
1. die Verwundeten kommen erst am 8.—12. Tage in die Charbin’schen Hospitäler
(alles was an Lazaretten südlich von Charbin existiert, kommt wegen Winzigkeit nicht
in Betracht); die Verbände auf eiternden Wunden liegen also zu lange, denn anf der
Fahrt werden nur einzelne verbunden.
2. In der kalten Jahreszeit sind die Soldaten schmutziger, die Wunden werden daher
häufiger infiziert.
3. Die Japaner benutzen jetzt dickere Kugeln mit relativ weichem Kupfermantel
(statt Nickelstahl) und abgeplatteter Spitze. — Alles das wird dazu beitragen, die Hei¬
lung angünstiger zu gestalten. Im Frühling starb fast niemand in den Hospitälern an
seinen Wunden. Im Juli und August betrag die Mortalität annähernd 1—2°/o. Jetzt
wird man sich auf ganz andere Ziffern gefasst machen müssen.
Nadarow hat es doch zu Stande gebracht, nahe an 20,000 Verwundete hier in
Charbin unterznbringen. Eine Reihe von Eisenbahn Waggons, der alte Bahnhof, die für
die Truppen der 2. Armee gebauten Kasernen, alle hiesigen Rekonvaleszentenkommando’s
etc. sind zu improvisierten Hospitälern umgewandelt für leichter Verwundete. Schön haben
sie es freilich nicht: Ein Heusack und eine Decke ist so ziemlich alles, was ihnen ge¬
boten wird; dafür werden sie aber gefüttert, verbunden, behandelt und zuweilen sogar
ein bischen gepflegt. Die Schwerverwundeten liegen in ordentlichen Hospitälern. Wer
hier keine Unterkunft gefunden, fuhr weiter nach Nikolsk und Chabarowsk; kurz die
riesige Welle hat sich verlaufen. Von den genannten 20,000 entfallen auf das Rote
Kreuz und die anderen privaten Institutionen höchstens 2000, alle übrigen werden vom
Militärressort verpflegt und das ist eine Leistung, für die Nadarow die höchste Anerken¬
nung verdient. Man spricht, schreibt, druckt, telegraphiert so viel über das Rote Kreuz,
man vergisst daher, dass kaum mehr als 10—12 °/o aller Kranken und Verwundeten
durch die Hände dieses Institutes gehen und es darin allerdings im Durchschnitt besser
haben, als in den entsprechenden Militärinstitutionen, aber mit einem unvergleichlich
grösseren Aufwand an Menschen und Geld. Der Unterhalt eines Kranken kostet in un¬
seren Hospitälern mit allen Nebenausgaben (inkl. Gagen, Medikamente etc.) etwa 90 Ko¬
peken pro Tag, in den benachbarten Lazaretten des Roten Kreuzes sicher das doppelte,
und im Evangelischen Feldlazarett gewiss nicht unter 3 Rubel. Und wieviel auch immer
an unserem Hospital auszusetzen sein mag, das Essen ist reichlich und gut und alles
übrige gibt unseren Nachbarn nur wenig nach und quo ad Reinlichkeit sind wir ihnen
über. Mit dem evangelischen Feldlazarett würden wir uns wohl nicht messen können oder
jedenfalls dabei den kürzeren ziehen, aber der Unterschied wäre doch lange nicht in Pro¬
portion mit dem Kostenunterschiede. Dies alles diene zur bessern Beleuchtung der Be¬
dingungen, unter denen das Rote Kreuz und die Militärhospitäler zu arbeiten haben.
— Enuresis der Kinder von J. O . Rey in Aachen. Unter 52 genau beobachteten
Fällen von Enuresis bei jüngeren und älteren Kindern fand Verf. 19 mal Colicystitis,
24 mal, darunter bei 17 Knaben, einfache schleimige Cystitis, 5 mal Verengerung des
Orificium ext. Urethrm, 1 mal vermehrte Harnsäureausscheidung, in 3 Fällen Smegma-
ballen in der Corona glandis, endlich 2 mal grosse Mengen von Oxyuris. Bei der Co¬
licystitis wurde der frisch gelassene Urin getrübt aus der Blase entleert, die Trübung
rührt nicht von Eiter her, sondern von Bakterien, die meist, in Häufchen angeordnet,
eine Reinkultur von Bact. coli darstellen. Der Urin reagierte meist sauer und roch un¬
angenehm fade. Therapie: Salol neben strenger Milchdiät und Regelmässigkeit der Mahl-
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zeiteu. Im Urin der mit einfacher schleimiger Cvstitis behafteten Kinder fand Yerf. nur
etwas Schleim mit Epithelien neben verschwindend wenigen weissen Blutkörperchen. Der mit
Ammoniaksalzen stark durchsetzte Urin rief Ekzeme der äusseren Haut der Nates hervor, be¬
dingte plötzliches Unterbrechen des Urinierens, das unter Schreien alle halbe Stunden
wiederholt wurde. Regelung der Diät und Salol. In 5 Fällen von zirkumoisierten
Bettnässern, wo die Enuresis unterhalten wurde durch eine Verengerung des äusseren
Orifiziums, dürfte es wohl infolge des Salmiakharns früher zu Urethritis und Cystitis^ge-
kommen sein, ehe die narbige Verengerung des äusseren Orifiziums sich ausbildete.
3 Kinder, darunter 2 Mädchen von 10 rcsp. 15 Jahren, litten an Phosphaturie. Die
vermehrte Harnsäureausscheidung mit Enuresis bei einem 3jährigen Knaben wurde durch
vegetabilische Diät in verhältnismässig kurzer Zeit beseitigt, während bei der Phosphaturie
Milchdiät und Verringerung der vegetabilischen Nahrung zum Ziele führten. In all diesen
Fällen wurde Remission der Enuresis während der warmen, trockenen Jahreszeit und
Exacerbation während der kalten, feuchten Jahreszeit beobachtet. Die Qewohnheit des
häufigen Urinierens, das nicht völlig die Blase zu entleeren vermag, und damit gerade
das Bettnässen kurz nach dem Einschlafen, sobald die völlige Erwärmung des Bettes ein¬
getreten ist, bleiben beim Kinde auch bei geringem Blasenreiz bestehen. Zur Behandlung
des Blasenreizes wurde Salol in nicht zu geringen Mengen nach der Mahlzeit gegeben.
Die Salolbehandlung wurde nach 8 Tagen nur mehr intermittierend fortgesetzt, so dass
an 3 Tagen Salol gegeben, an 3 oder 4 Tagen nicht gegeben wurde. In hartnäckigen
Fällen, besonders bei älteren Kindern, wurde dem Salolpulver Extr. Strychni sicc., dem
Alter entsprechend, hinzugesetzt, wenn nötig wurde auch vor den Mahlzeiten ein Macera-
tionsdekokt von Condurango und Acid. hydrochlor. gereicht. Verf. schliesst: Nachdem
ich an einer Reihe von 52 Fällen von Enuresis der Kinder auf das Verhalten der Blase
und des Urins während einer Zeit von 5 Jahren genau geachtet, bin ich zu der Ueber-
zeugung gelangt, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, in denen keine Erkran¬
kung des Zentralnervensystems, keine Idiotie, Infantilismus, Athyreosis als Ursache gefun¬
den wurde, die Enuresis und Pollakiurie auf einer direkten Erkrankung der Blase oder
deren Nachbarorganen beruht. Damit die Enuresis, die in den ersten zehn Monaten des
Lebens als physiologischer Zustand zu betrachten ist, über diese Zeit und über das dritte
Jahr hinaus andauere, dazu gehört bei im übrigen gesundem Zentralnervensystem ausser
der direkten oder indirekten Reizung der Blase eine gewisse Schwäche und Unfähigkeit
des Willens. Letztere, ebenfalls physiologisch beim Säugling, bleibt infolge von Ange¬
wöhnung an die Unreinlichkeit bei den Kindern bestehen, die vom ersten Lebensjahre an
einer Blasenaffektion durch Erkrankung der Blase oder durch die Eigentümlichkeit ihres
Urins gelitten haben. Diese Willensschwäche kann die Blasenaffektion lange überdauern.
In diesen Fällen erklärt sich die plötzliche Heilung durch Faradisation, epidurale Injek¬
tion etc. ganz zwanglos; aber überall da, wo der Blasenreiz weiter besteht, werden alle
erzieherischen und antihysterischen Versuche vergeblich sein. Häufige chemische und bak¬
teriologische Untersuchungen des Urins von Enuresiskindern sind also notwendig,
(Berl. klin. W. Nr. 35. Wien. klin. W. Nr. 47.)
Brlefkaftten.
Corrigendum: Herr Dr. G. Burckhardt , Basel, schreibt uns, dass der Nekrolog des f Herrn
Direktor Müller in Nr. 24 des Corr.-Blattes 1904 eine unrichtige Angabe enthält: Der Verstorbene
hat seine Dissertation nicht während seiner Assistenz in der Waldau, sondern unter Dr. G. Burck-
hardt's Leitung in Prefargier geschrieben.
Dr. Schmidt , Filisur: Das Aerztealbum dankt für die Photographie von f Collega Dr. P.
Bernhard , Chur.
Schweighauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Erscheint am 1. und 15.
jedes Monats.
Inserate
35 (Hs. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegebeu von
Preis des Jahrgangs:
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 16. — für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen. *
Dr. E. Haflter und Prof. A. Jaquet.
in Fraaenfeld. in Basel.
N“ 3. XXXV. Jalirg. 1905. 1. Februar.
Inhalts 1) Originalarbeiten: Dr. M$n*r-Wirt; Die Vernichtnng de« kindlichen Lebens wihrend der Gebart. —
Dr. Looper t Derraperforation nach Abdomiaalt jpbns. — Verein aberi chtes Gesellschaft der A erste in Zürich. — 5> Ue-
f erste nnd Kritiken: Prof. Dr. F. Siebinmann: Anatomie nnd Pathogenese der Tanbetnmmheit. — Prof. Dr. Gerber;
Operationen am ßcblifenhein. — P. Redari: Therapie der Magen- nnd Darmkrankheiten. — Dr. OefAei Praktische Koprologie. —
Prof. Dr. B. Bagenbach-Burckhardts Ueber die Mnsknletnr der Rachitischen. — T. Winkel: Handbuch der Geburtshilfe. — L.
Istein: Die Prnehtabtreihnng. — Döderlein: Geburtshilflicher Operatlonsknrs. — Wübrcmd and Sänget : Die Nearologie des
Aagee. — Alte Schweiser Trachten. — Senator and Kamintr: Krankheiten and Ehe. — 4) Kantonale Korresponden¬
ten? Granbönden: Dr. Paul Bernhard +. — 5) Woehenbericht: 25jihrigee Professorenjabiläom von Prof. Krönlein. ~
Zar Krankenversichernngsfrage. — Schattenseiten der Versicherang. — S&agtlngssterhlichkelt. — 34. Kongress der deutschen
Gesellschaft für Chirurgie. — Aschaffenburger Röntgenkurse. — 22. Kongress für innere Meditln. — Hoffbaaer-Stiftnng su
Hermannswerder. — Lnpos vulgaris. — Aktinomykose der Tonsillen. — Gegen aufdringliche Reklame. — Gleitmittel für Ka¬
theter.— S) K rief kästen.
Original-Arbeiten.
Die Vernichtung des kindlichen Lebens während der Geburt. 1 )
Von Dr. Meyer-Wirz.
In einem vor zwei Jahren in diesem Blatte erschienenen Artikel 1 ) hat
Qosnner die Berechtigung des künstlichen Abortes und die Möglichkeit von Konflik¬
ten mit dem Strafgesetz bei Ausführung desselben einer eingehenden Besprechung
unterzogen. Die Perforation des lebenden Kindes intra partum wird hierbei nur kurz
gestreift. Gerade diese Operation dürfte jedoch in verschiedener Beziehung, beson¬
ders vom rechtlichen Standpunkte aus, eine andere Stellung cinnehmen als der
künstliche Abort.
Der Zweck nachfolgender Publikation ist, einige der hierbei in Betracht kom¬
menden Punkte näher zu beleuchten.
Seit Jahrhunderten ist die Frage von der Berechtigung der Tötung des Kindes
während der Geburt von Medizinern und Laien in oft leidenschaftlicher Polemik er¬
örtert worden. In blindem Eifer wurde besonders von theologischer Seite, jedoch
auch von Aerzten. gegen die Opferung des Kindes im Interesse der Mutter gewütet,
während wiederum von anderer Seite begeistert für das gefährdete Leben der Mutter
eingetreten worden ist.
Die teilweise fanatischen Verdammungsurteile der Gegner der Perforation des
lebenden Kindes müssen uns um so unbegreiflicher erscheinen, wenn wir die fakti¬
schen Verhältnisse ins Auge fassen, wie sie bis weit über die Mitte des vergangenen
*) Aus einer akademischen Antrittsvorlesung.
*) Corr.-Bl. XXXIII. Jahrg. Nr. 16.
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Jahrhunderts sich unsern Blicken darbieten. Wenn auch bis zu dieser Zeit den
verkleinernden geburtshülflichen Operationen gewiss eine nicht geringe Zahl der
Wöchnerinnen zum Opfer fiel, so stand doch die Mortalität dieser Entbindungsver¬
fahren in keinem Verhältnis zu den geradezu schrecklichen Resultaten, welche die
Statistik derjenigen Operation, welche die Perforation des lebenden Kindes ersetzen
• sollte, — die Sectio caesarea — uns zeigt. So berichtet Späth , dass bis zum Jahr
77 im ganzen grossen Wiener Gebärhaus kein Fall von Kaiserschnitt durchkam. C.
v . Braun führte auf 70,000 Geburten nur zwei Kaiserschnitte aus, welche beide mit
Tod endigten. Peter Müller , der eine grosse Zusammenstellung aus statistischen
Berichten ganzer Länder machte, fand 85 °/o mütterliche Mortalität.
Diese traurigen Zusammenstellungen geben uns nicht einmal ein richtiges Bild
von der Gefährlichkeit des Eingriffes, denn es ist natürlich, dass gerade von den
Fällen, welche einen unglücklichen Ausgang nahmen, viele nicht publiziert wurden.
In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich nun, dank der Uebertragung der
Lister' sehen Prinzipien der Wundbehandlung auf die Geburtshülfe, ferner auch infolge
der grossen Fortschritte der Technik der Kaiserschnittoperationen durch Sänger , Leo¬
pold, Sehauta u. a. die Resultate in ungeahnt glänzender Weise gebessert. Bald
konnte Leopold über 25 Fälle mit 8 %, Sänger über die gleiche Operationszahl mit
nur 4 °/o Mortalität berichten. Braun hatte sogar auf 32 Fälle nur einen Todesfall.
Und wenn auch nicht in allen Kliniken so glänzende Resultate erzielt wurden, so
dürfte doch die heutige Sterblichkeitsziffer bei den in klinischen A n s t a 1-
t e n ausgeführten Kaiserschnittoperationen 10 °/o kaum wesentlich überschreiten. Al¬
lerdings haben sich auch die Resultate der Perforation dementsprechend gebessert
ja sie sind geradezu ideale geworden; ihre Mortalität schwankt zwischen 0 und 3°/o,
aber trotzdem ist mit Hinblick auf die obigen Zahlen gegenwärtig die Frage doch
in ein ganz anderes Licht gerückt und müssen die modernen Anschauungen hierüber
dadurch wesentlich beeinflusst werden.
In der geburtshilflichen Literatur finden wir allerdings immer noch die zwei
sich bekämpfenden Richtungen für und gegen die Vernichtung des kindlichen Lebens
zur Rettung der Mutter vertreten.
Auf der einen Seite steht Pinard in Paris und seine Schüler, die die Perfora¬
tion des lebenden Kindes vollständig verurteilen: „L’embryotomie sur l’enfant vivant
a vecue* ruft Pinard aus, und eine Reihe bedeutender französischer Geburtshelfer,
Vamier, Caeeaux und andere pflichten rückhaltlos diesem Ausspruch bei.
Von deutschen Gynäkologen nimmt Kossmann einen Standpunkt ein, der dem
der Schule Pinard's nahe kommt. Auch er verdammt im Prinzip die Vernichtung
de9 kindlichen Lebens bei drohender Gefahr für die Mutter entschieden und ruft
direkt gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der reifen ungeborenen Frucht auch
der Mutter gegenüber. Nach Kossmann ist die sectio caesarea eine Operation, deren
Technik jeder praktische Arzt beherrschen soll. „Wer für diese einfache Manipula¬
tion nicht die erforderlichen technischen Fertigkeiten besitzt, dürfte gewissermassen
überhaupt keine ärztliche Praxis betreiben.“
Aehnlich drückt sich Sänger aus: „Macht ein Arzt die Kraniotomie des leben¬
den Kindes, während der gleiche Fall in einer Klinik zum Kaiserschnitt käme, so
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ist es eben der Arzt, welcher hinter den Anforderungen der Zeit zurücksteht.“ —
Ich werde später auf diese Yoten zurückkommen.
Yon den übrigen deutschen Geburtshelfern, von denen doch die so ausseror¬
dentlichen Fortschritte in den Resultaten des Kaiserschnitts herstammen, werden die
Pmord’schen Anschauungen im allgemeinen bekämpft und beinahe einstimmig ver¬
worfen. So tritt Leopold in einer für den Amsterdamer Gynäkologenkongress im
Jahre 1899 bestimmten Abhandlung den Anschauungen der Pariser Schule energisch
entgegen und führt seine übrigens schon im Jahre 88 geäusserten Anschauungen
folgendermassen aus: „Die Kraniotomie bietet selbst in verzweifelten Fällen so gün¬
stige Aussichten für die Erhaltung der Mutter, sie weist auch heutzutage noch
weit bessere Erfolge auf, als der Kaiserschnitt und wird sie wahrscheinlich auch
fernerhin behalten. Es ist deshalb diese Operation eventuell auch bei lebendem
Kinde, wenn eine andere schonende Entbindungsart unmöglich ist und für den Kai¬
serschnitt nicht alle notwendigen Bedingungen erfüllt sind, auch ferner nicht nur eine
erlaubte, sondern eine gebotene Operation.“ Und im weitern: „Man suche lieber ein
gesichertes Leben, das der Mutter, als ein erlöschendes zu erhalten, anstatt möglicher¬
weise beide zu verlieren. Man perforiere daher lieber einmal mehr als einmal zu
wenig. Die überlebende Mutter kann noch mehrere Kinder zur Welt bringen und
wenn nötig durch die künstliche Frühgeburt die gefahrvollen Klippen vermeiden.“
Ganz in demselben Sinne spricht sich auch Wyder in einer schon im Jahre 1888»
veröffentlichten Arbeit aus. Er wägt an Hand des grossen Materials der Berliner
Charite die Gefahren der verschiedenen in Betracht kommenden Operationsmethoden
gegen einander ab und bezeichnet die Ansicht derjenigen, welche den Kaiserschnitt
an Stelle der Perforation des lebenden Kindes setzen wollen, als verfrüht. „Selbst¬
verständlich ist das kindliche Leben so lange als möglich zu schützen, wenn jedoch
die Mutter in Gefahr ist, ist diejenige Operation vorzunehmen, welche für die Mutter
die besten Chancen bietet. Im Leben verdient eben neben dem rein wissenschaftli¬
chen Standpunkt auch der humane und soziale einige Berücksichtigung. Es ist gewiss
angemessen im konkreten Falle sich immer die goldene Frage vorzulegen: „Was
würdest du tun, wenn die Betreffende, Kreissende, deine Frau, deine Schwester oder
sonst eiüe nahe Angehörige wäre?“ Ich möchte fast glauben, dass hie und da ein
Operateur, der, wenn ich mich drastisch ausdrücken darf, bereits sich anschickt,
das Messer zur sectio caesarea zu ergreifen, dieses dann zur Seite legt, um eventuell
zur Perforation seine Zuflucht zu nehmen.“
Den gleichen Standpunkt vertritt Dolder aus Stäfa, der in einer von Wyder
noch dem Tode des Yerfassers herausgegebenen Monographie speziell die Yerhältnisse
der praktischen Aerzte gegenüber der Klinik würdigt. Er legt an Hand eines sorg¬
fältig gesammelten einschlägigen Materials die Yerhältnisse dar, wie sie sich im spe¬
ziellen dem Landarzte bieten. Seine Ausführungen gipfeln in folgenden Schluss¬
folgerungen : „Es gibt in bezug auf den Kaiserschnitt eben doch eine klinische und
eine poliklinische resp. landärztliche Geburtshülfe. Da es äussere nicht zu beseitigende
Momente gibt, die einen entscheidenden Einfluss auf das Resultat des geburtshülfli-
chen Handelns in dem Grade ausüben, dass das, was in der Klinik als Pflicht
erscheint, was in der Stadtpraxis vielleicht noch durchführbar ist, in der Landpraxis
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geradezu verboten ist. Der moderne Kaiserschnitt bei relativer Indikation ist und
bleibt vorzugsweise eine Operation der Kliniker, der Anstalten und unter Umständen
der Stadtpraxis, die moderne Perforation des lebenden Kindes aber wird in der
Landpraxis eine bedeutsame Rolle spielen.“ Aehnliche Urteile finden wir in den
neuesten Lehrbüchern von Zweifel . Olshausen^Veit u. a.
Bevor ich meinen Standpunkt hinsichtlich der Berechtigung der Opferung des
Kindes während der Geburt genauer präzisiere, möchte ich vorerst die damit in
Zusammenhang stehende viel diskutierte Frage etwas näher beleuchten, inwiefern
unser Handeln von dem Willen der Frau abhängig ist.
Ich lasse bei meinen Erörterungen diejenigen, glücklicherweise seltenen Fälle
ausser Betracht, in welchen die Beschaffenheit des Geburtshindemisses einen so
hohen Grad erreicht, dass die Geburt auch eines zerstückelten Kindes nicht mehr möglich
ist, wo also die Wahl zwischen Kaiserschnitt und Embryotomie nicht mehr vorliegt,
nur die erstere Operation in Frage kommt.
Ist jedoch diese Zwangslage nicht vorhanden, also Perforation und sectio cae¬
sarea ausführbar und werden wir durch eine unmittelbare Lebensgefahr der Mutter
zu operativem Handeln gedrängt, dürfen oder müssen wir jetzt uns in der Wahl des
Eingriffes von dem Willen der Frau beeinflussen lassen? Die Meinungen der
Geburtshelfer sind, wie wir gesehen, gerade über diesen Punkt sehr divergierend.
— Pinard und seine Schüler nehmen den extremsten Standpunkt ein: „La fecondite
engage la responsabilite de ses generateurs“ ist ihr Wahlspruch. Die Frau wird
gar nicht gefragt, sie wird einfach chloroformiert und in der Narkose getan, was für
gut befunden wird. Nicht so weit geht Kossmann , er will die Frau, wenn sie sich
nicht zum Kaiserschnitt entschliesst, einfach ihrem Schicksal überlassen.
In einem konkreten Falle bestehen nun folgende Möglichkeiten, entweder:
1. Die Frau überlässt die Entscheidung dem Arzt, oder
2. Sie verweigert den Kaiserschnitt und ist einverstanden mit der Kraniotomie.
3. Sie verweigert den Kaiserschnitt, gibt aber auch nicht ihre Einwilligung zur
Vernichtung des kindlichen Lebens.
4. Sie fordert den Kaiserschnitt und verweigert die Embryotomie und schliesslich
5. Sie ist gar nicht in* der Lage, eine Entscheidung zu treffen, bewusstlos oder
in Narkose, denn es kann sich beispielsweise einmal ereignen, dass wahrend eines
bereits begonnenen andern geburtshülflichen Eingriffes die Notwendigkeit der sofor¬
tigen Opferung des Kindes zur Erhaltung des mütterlichen Lebens an den Geburts¬
helfer herantritt.
Bei der Beurteilung der Willensäusserung der Mutter darf der Arzt,
nach meiner Ansicht, sich nicht von ethischen Gefühlen leiten lassen, und dürfen Erwä¬
gungen, ob die Entschliessung der Frau auf moralisch richtigen Grundsätzen beruht,
sein Handeln nicht beeinflussen.
Einen Eingriff gegen deren Wunsch und Willen vorzunehmen hat er, wie
ich glaube, absolut keine Berechtigung und ist gewiss das Vorgehen Pinard '8 in
dieser Hinsicht nicht zu billigen.
Der Strafrechtslehrer Stooss äussert sich in seiner lichtvollen Abhandlung:
„Chirurgische Operationen und ärztliche Behandlung“, welche Arbeit sich durch ein
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volles Verständnis auch der einschlägigen medizinischen Verhältnisse auszeichnet,
hierüber folgendermassen; „Niemand gesteht dem Chirurgen, von besonderen Fällen
abgesehen, das Recht zu, einen Patienten zu behandeln, ohne von ihm oder seinem
OewaltBhaber dazu berechtigt zu sein. Aus der persönlichen Breiheit der Person,
aus der Verfügungsgewalt, die ihr über den Körper zusteht, folgt vielmehr, dass nie¬
mand, selbst in der besten und ehrenwertesten Absicht, Handlungen an dem Körper
einer- Person ohne deren Zustimmung vornehmen darf. Der Arzt handelt rechts¬
widrig, wenn er einen Patienten ohne dessen Zustimmung behandelt resp. operiert“
— Es ist also rechtlich nicht statthaft, dass dann, wenn die Mutter den Kaiserschnitt
verweigert, sie gegen ihren Willen operiert werde. Es darf auch nach meinem Ge¬
fühle der Arzt, dem die Vernichtung des kindlichen Lebens in einem solchen Falle
widerstrebt, die Frau absolut nicht ihrem Schicksal überlassen, wie Kossmann
meint, denn hier bedeutet gewöhnlich die Verweigerung der Hülfe den Tod für die
Mutter und das Kind. Wohl ist von verschiedenen Seiten geraten worden, in
einem solchen Falle zuzuwarten, bis das Kind abgestorben ist, worauf dann das Be¬
denken gegen die Perforation wegfallen würde. Dabei ist aber zu berücksichtigen,
dass in den Fällen, in welchen diese Notlage an den Geburtshelfer herantritt, ge¬
wöhnlich jedes Zuwarten der Mutter den sichern Tod bringen kann.
In die traurige Notwendigkeit des tatenlosen Zuwartens werden wir allerdings
dann versetzt werden, wenn dio Mutter sich einerseits nicht zu einem Kaiserschnitt
entschliessen kann, andrerseits auch das lebende Kind nicht opfern will.
Wie hat nun aber der Geburtshelfer zu handeln, wenn die Mutter ihr Leben
aufs Spiel setzen will, um auch mit Todesgefahr das sehnlich herbeigewünschte Kind
lebend zur Welt zu bringen? — Wenn nach der Ueberzeugung des Arztes der Kai¬
serschnitt günstige Chancen bietet, ist die Entscheidung ja selbstverständlich leicht.
Was soll er aber tun, wenn nach seiner Ansicht die Aussichten dieser Operation
schlechte sind und die Mutter ihren Wunsch wahrscheinlich mit dem Leben bezahlen
muss? Auch dann glaube ich, ist der Arzt verpflichtet, sofern wenigstens die Ge¬
bärende bei klarem ungetrübtem Bewusstsein an ihrer Willensäusserung festhält, den
Kaiserschnitt auszuführen, weil dieser Eingriff dem sichern Tode als Folge des
Nichthandelns jedenfalls noch vorzuziehen ist.
Sehr schwer wird auch bei unserer letzten Annahme, der Unfähigkeit der
Mutter ihren Willen kundzugeben, unsere Entschliessung manchmal sein müssen und
doch drängt gerade in solchen Fällen die drohende Gefahr zu schnellem Handeln.
Den Rechtsstandpunkt für solche Fälle hat Stooss in seiner Monographie eben¬
falls berücksichtigt: „Wenn eine ärztliche Handlung in der Regel nur mit Zustim¬
mung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters durchgeführt werden darf,
so begründet das Leben wichtige Ausnahmen. Hier findet der Satz Anwendung :
Salus segroti suprema lex esto. Auch hier ist es Pflicht des Arztes, zu handeln,
wie es das gesundheitliche Wohl des Patienten erfordert. Selbstverständlich wird
die Verantwortlichkeit des Arztes gesteigert, wenn er die Einwilligung des Pa¬
tienten zu operativen Eingriffen nicht einholen kann, ist aber der Eingriff unab¬
weisbar, so würde sich der Arzt, der untätig bleibt, schwerer Pflichtverletzung schuldig
machen.“
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In den meisten derartigen Lagen wird man jedoch die Zustimmung des gesetz¬
lichen Vertreters der Patienten, des Ehemannes, einholen können. Diesen Ausweg
für alle Fälle zu beschreiten, wie schon vorgeschlagen worden ist, dürfte sich kaum
empfehlen. Wie leicht ist es möglich, dass der Vater durch eigennützige, niedrige
Beweggründe in seinem Uandeln beeinflusst wird. Es kann Vorkommen, dass die
Geburt eines Nachkommen in Erbschaftsfragen für den Mann von solcher Wichtig¬
keit ist, dass dadurch seine Entschliessungen diktiert werden können. Es ist ja
auch denkbar, dass der Tod der Frau dem Manne geradezu erwünscht ist. Dürfen
wir unser Handeln von so niedrigen Beweggründen abhängig machen?
In Praxi werden diese Fragen allerdings meist keine schwierige Lösung finden.
Wohl stets wird es dem Arzt gelingen, durch vernünftige, überzeugende Darlegung
der Sachlage die Mutter oder den Ehemann zu dem unter den obwaltenden Umständen
ihm richtig erscheinenden Vorgehen zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass
die Kreissende in diesen Stunden sich meist in einer Gemütsverfassung befindet, die
cs ihr unmöglich macht, objektiv und unbefangen zu urteilen; sie wünscht um jeden
Preis von ihren Qualen befreit zu werden und wird deshalb gewöhnlich jedem Vor¬
schlag, der ihr diese Erlösung bringt, gerne ihre Zustimmung geben.
Nehmen wir also an, es sei der Arzt in seinen Entschliessungen vollständig
frei; die Mutter, ihrem Geburtshelfer volles Vertrauen entgegenbringend, legt die
Entscheidung über ihr und ihres Kindes Schicksal in seine Hände. Da möchte ich
in erster Linie entgegen den Ansichten Sänger 's und Kossmwm 's als fundamentalen
Grundsatz hin9tellen, dass in den Fällen, in welchen die Wahl zwischen Perforation
und Kaiserschnitt offen steht, der letztere in absehbarer Zeit noch eine klinische
Operation bleiben wird. In der Privatpraxis, besonders auf dem Lande, fehlen in
den meisten Fällen diejenigen Faktoren, die einen guten Ausgang der Operation si¬
chern und ich pflichte in dieser Beziehung ganz den Ausführungen Dolder 's bei, dass
bei Verallgemeinerung des Kaiserschnittes die errungenen glänzenden Resultate wohl
sehr bald wieder der früheren so schrecklich grossen Mortalität Platz machen würden.
Allerdings stellt die sectio ca?sarea dem gewandten Operateur keine schwierigen Auf¬
gaben; allein ausser der vollkommenen Beherrschung der antiseptischen Massnahmen
gehört doch die nur durch Erfahrung und Uebung zu erreichende Ruhe und Kalt¬
blütigkeit dazu, um dem oft mit heftigen Blutungen verbundenen Eingriff einen guten
Ausgang zu sichern. Ausser dieser Befähigung des Operierenden ist auch das Vorhan¬
densein aseptischer Operationseinrichtungen und genügend geschulter Assistenz unum¬
gänglich notwendige Vorbedingung jeder sectio ctesarea und ist all dies jedenfalls in der
Privatpraxis schwer oder gar nicht erhältlich oder meist nur unvollkommen zu im¬
provisieren. So glaube ich, dass der Ausspruch Zweifel 's, der in seinem Lehrbuche
sagt: „Der Kaiserschnitt wird voraussichtlich vorwiegend eine Operation der Gebär¬
anstalten und Spezialisten sein, die Perforation dagegen, die Operation ~ der alltäg¬
lichen Praxis bleiben,“ noch lange zu recht bestehen wird.
Aber auch in Spitälern und andern klinischen Instituten, in welchen alle Be¬
dingungen für den Erfolg einer Operation und für eine zweckmässige Nachbehandlung
erfüllt sind, wird die Perforation auch des lebenden Kindes noch nicht immer zu um¬
gehen sein. So vor allem in den Fällen, welche erst nach längerer Geburtsdauer
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zur Operation kommen, besonders wenn schon wiederholt Entbindungsversuche Yoraus-
gegangen sind. Hier, wo auf einen aseptischen Zustand der Kreissenden nicht mehr
zu rechnen, wird der Kaiserschnitt immer noch grosse Gefahren mit sich bringen. —
Ich möchte auch dann der Perforation vor dem Kaiserschnitt den Vorzug geben,
wenn der Gesundheitszustand des Kindes nach dem Verhalten seiner Herztätigkeit
oder aus andern Gründen als zweifelhaft angesehen werden muss, oder wenn eine
Abnormität der Frucht die Ursache des Geburtshindernisses bildet. Das Leben einer
Mutter wegen einer minderwertigen oder wahrscheinlich absterbenden Frucht aufs
Spiel zu setzen, halte ich geradezu für ein Verbrechen.
Auch andere Erwägungen, welche mehr die sozialen Verhältnisse streifen, dürfen
bei der Wahl der Operation manchmal nicht ausser Acht gelassen werden. Wenn
Fehling sagt: „Es ist ein Unding, wenn einer ledigen Person suggeriert wird, sie
wünsche auch mit Gefahr ihres Lebens ein Kind zu erkaufen und darum der Kaiser¬
schnitt ihr empfohlen wird“, so hat er gewiss recht und wenn wir im fernem das
weitere Schicksal dieser oft ungeliebten Kinder ins Auge fassen und bedenken, welch
grosser Prozentsatz einer mangelhaften Pflege oder geradezu verbrecherischen Nach¬
lässigkeit bei Kostfrauen in den ersten Monaten zum Opfer fällt, so glaube ich, dass
es ein schweres Unrecht wäre, diesen Gesichtspunkten keinen Einfluss auf unser
Handeln einzuräumen und wegen eines so unsichern Gewinnes ein menschliches Leben
zu gefährden.
Gar häufig ist auch der relativ höhere Wert des mütterlichen Lebens gegen¬
über der ungeborenen Frucht zur Verteidigung der Perforatien des lebenden Kindes
ins Feld geführt worden. Solche Vergleiche sind natürlich sehr willkürlich und es
gehen denn auch die Ansichten der verschiedenen Autoren weit auseinander. Koss-
tnann versucht dieses Verhältnis aus der aus Statistiken von Versicherungsgesell¬
schaften zu berechnenden warscheinlichen Lebensdauer für beide Teile zu bemessen.
Nach dieser Berechnung steht das Leben einer 23 jährigen Mutter etwa dem des
Neugeborenen an Wert gleich,
Beachten wir nun noch die gerichtlich -medizinische Seite der uns
beschäftigenden Frage.
Von den Juristen wurde nicht, wie das von der theologischen Seite geschehen, das
Vorgehen der Geburtshelfer einer Kritik unterzogen, sondern die meisten Strafrechts¬
lehrer, die sich mit der Frage beschäftigt, überlassen die Entscheidung über die Be¬
rechtigung der Kraniotomie der medizinischen Wissenschaft und suchen nur die
merkwürdige Tatsache zu erklären, warum diese Tötungshandlung der Strafpflicbt
entzogen ist und wie die Statthaftigkeit derselben, wenn man sie annimmt, juristisch
konstruiert werden müsse.
Denn darüber kann nach Stooss kein Zweifel sein, dass der Geburtshelfer in
den besprochenen Fällen eine Tötungshandlung vollzieht und es ist auffallend, dass
diese Vernichtung eines menschlichen Wesens seit Jahrhunderten ausgefübrt werden
konnte, trotzdem sie direkt der staatlichen Strafpflicht zuwiderläuft. Sie wird, wie
Heimberger , der die Frage einer gründlichen wissenschaftlichen Bearbeitung unter¬
zogen hat, schreibt, gewissermassen unter den Augen der Behörden ausgeführt Kein
Staatsanwalt erhebt Klage, kein Richter würde den Arzt, der sie anweadet, verur-
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teilen, so lange nicht Anhaltspunkte vorhanden sind, dass den Täter eine andere
Absicht, als die, das Leben der Mutter zu retten, geleitet hat. Ein Fall, den ich in
der Literatur gefunden, der im Archiv des Kriminalrechts veröffentlicht ist und der
zu einer Anklage des betreffenden Arztes und zu einer mehrmonatlichen Untersuchung
geführt, beweist immerhin, dass die Annahme Heinibergers nicht absolut '^zu trifft und
dass den juristischen Erörterungen auch eine praktische Bedeutung zukommt.
Eine grosse Reihe von bedeutenden Juristen haben sich damit beschäftigt, die
strafrechtliche Natur der erwähnten ärztlichen Eingriffe näher zu untersuchen und
die Straflosigkeit derselben rechtlich zu begründen.
Oppenheim hat in seiner akademischen Antrittsrede in Basel die Kechtsmässigkeit
der Perforation sowie jeder chirurgischen Operation auf das Gewohnheits¬
recht zurückzuführen gesucht. Er sieht den ärztlichen Zweck als das gewohnheits¬
rechtliche Fundament zu ärztlichen Eingriffen an. Nach ihm ergibt sich aus dem
Gewohnheitsrecht folgender speziell für unsern Fall zutreffender Satz: „Wenn ein
Konflikt zwischen dem Leben der Frucht und dem Leben der Mutter besteht, so ist
der Arzt berechtigt, nach Wahl der Mutter ihr Leben durch Perforation des Kindes
zu retten oder das Leben des Kindes durch Kaiserschnitt zu sichern.“ StoossJ glaubt
jedoch, dass Oppenheim den Nachweis, dass die Regeln, die er aufstellt, Rechtsregeln
seien, die als Gewohnheitsrecht gelten, schuldig geblieben sei. Die Normen Oppen¬
heims entsprechen nach ihm wohl im allgemeinen den Anschauungen der Aerzte, sind
aber nicht in die Rechtsüberzeugung des Volkes eingedrungen und nicht als Recht
angewendet worden, also kein Gewohnheitsrecht.
Auch Lilienthal kritisiert die Oppenheim'sehe Ansicht. Abgesehen von der
Frage, ob der Gewohnheit auf dem Gebiete des Strafrechts rechtsorzeugende Kraft
zukommt, habe Oppenheim den Versuch eines Nachweises, dass ein solches Gewohn¬
heitsrecht bestehe, gar nicht unternommen.
Hugo Meyer , Olshausen u. a. juristische Schriftsteller vertreten die Ansicht, der
Arzt sei vermöge seines rechtlich anerkannten Berufs zu solchen
Handlungen berechtigt. Auch gegen diese Theorie wendet sich Stooss : „Ein Berufe¬
recht setzt doch voraus, dass die Ausübung eines Berufe nur einer beschränkten
Zahl von Personen zusteht, da wo der ärztliche Beruf ein freies Gewerbe ist, wie im
deutschen Reich, kann von einem Berufsrecht gar nicht gesprochen werden. Aber
auch in Staaten, die die Behandlung der Kranken nur geprüften Aerzten gestatten,
führt die Aufstellung eines Beruferechts zu unhaltbaren Konsequenzen. Jeder, der
unbefugt arznet, müsste wegen rechtswidrigem Handeln bestraft werden. Der aus¬
ländische Chirurg, der zu einer Amputation gerufen wurde und sie zum Wohl des
Kranken vollzieht, müsste wegen schwerer Körperverletzung bestraft werden.
Wiederum von andern Juristen ist die Straflosigkeit der Perforation dadurch
begründet worden, dass bei der Opferung des kindlichen Lebens unter der Geburt
eine Notwehr vorliege, so Behlcer , ZeiUer und Herz. Allein ganz abgesehen da¬
von, dass es unserem natürlichen Rechtsempfinden widerstrebt, das neugeborene Kind,
dieses Symbol der Unschuld, als agressor injustus anzuschuldigen, kann von einem
rechtswidrigen Angriff der Frucht auf die Mutter unmöglich die Rede sein und
gehört gerade der Begriff der Rechtswidrigkeit doch unbedingt zur Notwehr.
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Von der grossen Mehrzahl der Strafrechtslehrer Mittermaier , Naegeli , Binding
und vielen andern wird endlich in den geschilderten Geburtsfällen für den Arzt das
Recht des Notstandes vindiziert. Auch Stooss schliesst sich dieser Anschauung
an. Dem Notstand liegt der Gedanke zugrunde, dass die Vernichtung eines Gutes
nicht strafbar sei, wenn sie das einzige Mittel ist, ein anderes, wichtigeres Gut zu
erhalten und zu schützen.
Der neueste Entwurf unseres schweizerischen Strafgesetzes fasst den Begriff des
Notstandes folgendermassen : „Die Tat, die jemand begeht, um sein oder eines andern
Gut, so namentlich Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen aus einer unmittelbaren,
nicht abwendbaren Gefahr zu retten, ist kein Verbrechen, wenn dem Täter den Um¬
ständen nach nicht zugemutet werden kann, das gefährdete Gut preiszugeben. An¬
dernfalls mildert der Richter die Strafe nach freiem Ermessen.“
Diese Fassung des Gesetzes dürfte für die Feststellung der fehlenden Rechts¬
widrigkeit der Embryotomie vollkommen genügen. Der Geburtshelfer, der ein leben¬
des Kind perforiert, sucht gewiss dadurch die Mutter aus einer unmittelbaren nach¬
weisbaren Gefahr zu retten und kann ihm gewiss nicht zugemutet werden, die
Lebensspenderin für das ungeborne Leben zu opfern. Schwierigkeiten dürfte aller¬
dings in manchen Fällen der spätere Nachweis der auf andere Weise nicht abwend¬
baren Gefahr vor Gericht bereiten und wäre es empfehlenswert, in jenem Fall durch
Zuziehung eines Kollegen sich für diese Eventualität zu decken. Doch wird ein sol¬
ches Konsilium gerade unter den obwaltenden Umstanden häufig nicht möglich sein.
Die meisten übrigen Strafgesetzgebungen fassen allerdings den Notstand so eng,
dass der Arzt sich kaum in jedem Fall darauf berufen kann. So tritt nach deutschem
Strafgesetz Notstand nur dann ein, wenn eine gegenwärtige Gefahr Leben und Leib
des Täters oder seines Angehörigen bedroht und wenn die Gefahr
unverschuldet ist und nicht anders als durch eine sonst strafbare Handlung abge¬
wendet werden kann.
Wenn wir diesen Paragraphen in seinem Wortlaut auf unsem Spezialfall an¬
wenden, würde konsequenterweise der Arzt nur dann berechtigt sein, die Perforation
des lebenden Kindes vorzunehmen, wenn er mit der betreffenden Mutter durch einen
nahen Verwandschaftsgrad verbunden wäre. Zwar glaubt Binding in seinem Kommen¬
tar des Gesetzes, dass trotz dieser Fassung die Operation, welche die Vernichtung
des kindlichen Lebens zugunsten der Mutter bezweckt, als Notstandshandlung be¬
trachtet werden müsse. Allein es ist durch diese enge Begrenzung des Notstands¬
begriffes doch eine bedenkliche Rechtsunsicherheit und eine ängstliche Abhängigkeit
von juristischen Auslegungen für die Aerzte bedingt und ruft deshalb Kossmann
in einem Artikel des „Rechts“ dringend nach besonderen Bestimmungen zum Schutze
des Arztes bei Vornahme der uns beschäftigenden Eingriffe. —
Wenn wir, wie oben gesagt, nach Annahme unseres neuen schweizerischen
Strafrechts solcher Spezialartikel auch vollkommen entraten können, so finden wir doch
gegenwärtig in einer ganzen Reihe von kantonalen Strafgesetzbüchern ähnliche Be¬
stimmungen, wie sie im deutschen Strafgesetz enthalten sind. So ist beispielsweise
in den Kantonen Aargau, Bern, Schaffhausen, Waadt, Obwalden, Glarus, Freiburg,
Thurgau der Notstand auf nahe Angehörige oder auf Verwandte in auf- und ab-
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steigender Linie, auf Gatten und Geschwister beschrankt und befinden sich die Ge¬
burtshelfer dieser Kantone in der gleichen unsichern Situation, wie unsere deutschen
Kollegen. Es dürfte dies gewiss neben vielen andern auch für die ärtztlichen Kreise
mit ein Grund sein, eine neue einheitliche Strafgesetzgebung herbeizuwünschen.
Mögen aber die gesetzlichen Bestimmungen den Arzt in seinem Yorgehen auch
vollständig schützen, stets wird eine grosse Summe von Verantwortung auf dem
Geburtshelfer lasten, und nicht nur von juristischen Erwägungen, sondern vor allem
auch von dem ethischen Empfinden des Einzelnen wird seine Entscheidung und sein
Handeln abhangen.
Aus dem Bezirksspital Interlaken.
Darmperforation bei Abdominaltyphus, durch Operation geheilt, 58 Stunden
nach dem Durchbruch.
Von Dr. Lauper, Spitalarzt.
Die amerikanische und englische Literatur weisen schon eine erfreuliche Anzahl
von Heilungen nach operativer Behandlung der Darm Perforationen im Verlaufe des
Typhus abdominalis auf, angeregt durch die einschlägigen Arbeiten von dem Internen
Dr. Osler am John Hopkins-Hospital in Baltimore, dem Chirurgen Kern in Philadel¬
phia, dann von Dieulafoy , Lerebouillet etc. Sehr instruktiv waren die Veröffentli¬
chungen in jüngerer Zeit speziell von Harvey Cushing, Briggs , Finney , Fremde, Eis¬
berg , Escher (Grenzgebiete der Med. und Chir. Band XI. Nr. 1), Tinker , Allyn,
Davis , Abbe u. anderen. Wie sehr das fragliche Thema aktuelle und praktische
Bedeutung verdient, beweisen die Ziffern von Briggs: (American Journal of Medical
Sciences May 1903). Bei einer Typhusmortalität von 7 — 14°/o, wovon ca. Vs durch
Perforation bedingt ist, kommen in den Vereinigten Staaten Nordamerikas jährlich
5000—7500 Todesfälle an Typhus mit Perforation vor.
Die Heilungsquote bei operativer Behandlung, vor 6 Jahren durch Statistiken
auf 19,3 % angegeben, stieg 1900 auf 28 % und seither speziell auf der Abteilung
von Dr. Osler , auf 45 °/o. Dr. Cushing fordert, nicht mit Unrecht, als Grundlage
für eine gute Statistik in erster Linie ein gutes Einvernehmen zwischen Internen
und Chirurgen und glaubt, dass bei genauerem Studium der klinischen Perforations¬
erscheinungen und Frühoperation eine Heilungsquote von 50—60% möglich sein
wird. Briggs geht übrigens noch weiter und glaubt, dass dieselbe gut auf 70 %
steigen kann, wenn der vorliegenden Frage vermehrte Beachtung geschenkt wird und
wenn speziell genauere autoptische Befunde aufgenommen und veröffentlicht werden.
Dass nicht nur in gut eingerichteten Spitälern und grossen Kliniken Typhusperfora¬
tionen durch Operation geheilt werden können, beweist der Fall von Dr. R. T. Davis ,
der in einem Privathause auf dem Lande, vom behandelnden Arzt operiert, (6 Stun¬
den nach der Perforation) günstig verlief (American Medicin January 18. 1902, vol.
HI. p. 116.)
Der vorliegende Fall, dessen Krankengeschichte ich in Kürze folgen lasse, bietet
soviel Eigentümlichkeiten, dass er mir einer Veröffentlichung wohl wert erscheint,
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speziell da die deutsche Literatur sieh mit dem fraglichen Thema noch verhältnis¬
mässig wenig beschäftigt hat. Er soll namentlich beweisen, dass auoh sehr spät zur
Operation kommende Fälle nicht völlig aussichtslos sind, und für die Technik der
operativen Behandlung der konsekutiven Peritonitis einige Fingerzeige geben.
Lüdi Ernst, lljährig, von Heimiswyl, in Bern (Weissensteinstrasse), Spitaleintritt
27. Jnli 1904. Anamnese: Patient ist seit ca. 3 Wochen krank, wurde aber erst
seit einer Woche ärztlich behandelt und vom Arzte als Typhus in das Absonderungshans
des hiesigen Spitals geschickt. Aetiologisch kam namentlich in Betracht, dass einige
Wochen vor Beginn des Leidens 4 Typhusfälle im gleichen Hause vorkamen, die angeb¬
lich lange verheimlicht wurden. Beginn mit Kopfschmerzen, Frösteln, allgemeinem Krank¬
heitsgefühl, Uebelkeit, Appetitlosigkeit und leichten Bauchschmerzen. Sukzessive Ver¬
schlimmerung des Leidens und zu Hause schon Temperaturen bis 40 °. Früher will Pa¬
tient im ganzen immer gesund gewesen sein, litt nur hie und da an Kopfschmerzen, die
öfters mit Erbrechen einhergingen. Keine Kinderkrankheiten, Vater angeblich lungen¬
leidend, sonst in der Familie keine besonderen Krankheiten. Status: (bei Spitaleintritt)
Temperatur abends 39,8°, Puls 96, gerötetes Gesicht, Klagen über Kopfschmerzen, Pu¬
pillen gleich, mittelwoit, gut reagierend, Zunge trocken, stark belegt, Rachen nichts
abnormes. Lungen perkussorisch normal, links hinten unten vereinzelte, klanglose Rassel¬
geräusche, rechts nihil. Herz hat normale Grösse, Töne rein.
Abdomen zeigt normale Wölbung, überall leicht vermehrte Spannung. Leber hat nor¬
male Grenzen, Milz perkussorisch stark vergrössert, palpatorisch genau am Rippenrand nach¬
weisbar. Keine deutliche Roseola mehr; es sollen aber ziemlich zahlreiche, rote Flecken
an Brust- und Bauchoberfläche von ca. 8—10 Tagen bestanden haben. Ileocoecalgurren.
Palpatorisch und perkussorisch im Abdomen sonst nichts abnormes. Urin: Kein Eiweiss,
kein Zucker, Diazo deutlich positiv, Chloride kompakt. Stuhl angehalten, von normaler
Farbe. An den Extremitäten nichts abnormes.
Diagnose: Typhus abdominalis. Widal scheint unnötig speziell wegen der setio-
logischen Momente.
Krankengeschichte. Während der folgenden Tage Temperaturen zwischen
38,0° und 39,5°. Puls bis 110. Stühle werden leicht diarrhoisch, gelblich. Es wurden
kleine Calomeldosen verabreicht. Behandlung mit kalten Einwicklungen.
2. August 1904. 37,7 °, 92; 37,9°, 96; 38,9, 96; 2 leicht diarrhoische Stühle,
darin ein 33 cm langer Wurm (Ascaris), leichte Bauchschmerzen vor der Defäkation.
Nachts ruhiger Schlaf. Abgehen eines zweiten Ascaris (ebenfalls sehr lang) abends.
3. August. 38,9°, 116; 36,7°, 96; 37,7°, 120. Morgens ca. 8 1 /« Uhr
Eintreten von starken Bauchschmerzen, diese anhaltend, namentlich Schmerzen in Nabel¬
gegend, zugleich leichter Stuhldrang ohne Entleerung, Aufstossen, starker Schweissaus¬
bruch. Objektiv starke Spannung der rechtsseitigen Bauchmuskeln (r. Rektus), sehr
schmerzhafte Stelle etwas nach rechts unterhalb des Nabels, aber auch ganzes
Abdomen leicht druckempfindlich. Abhängige Partien nicht gedämpft. Puls 96, kleiner
als vorher und von geringerer Spannung. Eine Perforation wird vermutet, das Bild
könnte eventuell aber auch auf weiteres Abgehen von Ascariden zurückgeführt werden.
Abends dasselbe Bild. Puls 120. Abgehen eines weiteren Ascaris.
4. August. 37,6°, 100; 36,9°, 112; 37,1°, 116. Hat etwas Facies, Zunge
trocken, starke Druckempfindlichkeit des ganzen Abdomens, mehrmals Erbrechen, grosse
Unruhe, morgens aber doch 2 */* Stunden Schlaf. Konsultation mit Kollegen, welcher
trotz grosser Erfahrung und gründlicher Untersuchung wegen des im ganzen wenig ge¬
störten Allgemeinbefindens nicht an Perforation glaubt und von einem operativen Eingriff
abratet.
6. August. 37,5°, 104; 36,2, 116; 37,1°, 116. Immer auffällig starker
Schweiss, kein Brechen mehr während der letzten Nacht. Allgemeinbefinden weniger
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gut, Facies abdominalis, Zunge trocken, Abdomen immer stark gespannt und in toto
druckempfindlich.
Operation. (Abends 6 Uhr.) Bromaethylffitheriiarkose, Mediane Inzision unterhalb
des Nabels. Sofort nach Eröffnung des Peritoneum fliesst trübe, gelbliche, leicht eitrige
Flüssigkeit ab, vermischt mit Fibrinfetzen. Yorgewölbte Dünndärme mit stark geröteter
Serosa. Aus dem Becken heraus entleert sich übelriechendes, dünnflüssiges, graues Ex¬
sudat. Konvolut der Dünndärme nur nach dem Becken zu ganz leicht verklebt. Die
Verwachsungen lassen sich leicht lösen. Nach Austupfen des peritonitischen Exsudates
entleert sich bei leichtem Druck auf die gewölbten Darmschlingen gelblicher, dünnflüssi¬
ger Kot aus der Gegend des Coecum. Bei Eventration findet sich ca. 60 cm oberhalb
der Ileocoecalklappe eine Perforation, gut für den kleinen Finger passierbar, Oeffnung
aber verkleinert durch leicht vorgewölbte Schleimhaut. Perforation dem Mesenterial an-
satze gegenüberliegend, mit etwas fetzigen Rändern. Vernähen der Oeffnung mit durch¬
greifender Naht und 2 Reihen einstülpender Nähte. Oberhalb am Dünndarm lassen sich
mit Leichtigkeit geschwollene jPe^er’sche Plaques resp. Geschwüre durchfühlen. An der
darüberliegenden Serosa keine deutliche Reaktion wahrnehmbar. Trotzdem werden die
betreffenden Stellen Gbernäht. Peritonealtoilette. Oben in der Milzgegend findet sich
ebenfalls Exsudat von dem besagten Charakter. Reichliche Irrigation mit physiologischer
NaCl-Lösung, Glasdrain und Xeroformmeche eingeführt, teilweise Naht der Bauchwand,
Xeroformgazecolloidalverband. — Heisse Salycilcompressen über das ganze Abdomen.
'Während der nächsten Naht 2stündlich Kamphercether-Injektionen, subkutane Infusion und
2 kleine Nährclystiere.
Mikroskopischer Befund des bei der Operation aus dem Becken entnom¬
menen Exsudates: Spärliche Einzelkokken, Diplo ohne Kapseln, ganz vereinzelte kurze
Streptokokkenketten, nur sehr vereinzelte Bazillen (Coli).
Während der nächsten Tage hohe Temperaturen, varierend zwischen 38,0° und 39,5°,
und starke septische Diarrhce. Abdomen immer leicht aufgetrieben, im ganzen aber weich,
keine Dämpfungen. Urin stark konzentriert, ohne Eiweiss. Diazo immer noch positiv.
Subjektiv wenig Klagen. Tampon nach 4 Tagen entfernt, Drain nach 10 Tagen, fa 9 t
keine Sekretion, offene Nachbehandlung der Wunde.
18. August. Eröffnung eines grossen peritonitischen Abszesses in den linken,
abhängigen Partien unter Brommthylsethernarkose. Man kommt in eine gut mannsfaust¬
grosse Höhle, intraperitoneal. Eiter ausserordentlich stark stinkend, ziemlich dickflüssig,
grünliche Fetzen enthaltend.
21. August. Eröffnung eines zweiten Abszesses links, etwas weiter nach
unten, über dem lateralen Drittel des Lig. Pouparti. Eröffnung unter Kokainansesthesie
durch Verlängerung des ersten Schnittes. Eiter vom gleichen Charakter.
25. August. Eröffnung eines grossen Abszesses in den rechten abhängigen
Partien, zuerst Kokain dann kurze oberfl. Brommthylsethernarkose. Eiter etwas dünn¬
flüssiger, ebenfalls sehr stark stinkend.
Von da an Heruntergehen der Temperatur. Mikroskopisch im Eiter aller
Abszesse ungefähr dasselbe Bild: vorherrschend Diplokokken, wenig vereinzelte Kokken
und vereinzelte kurze Streptokokkenketten. Präparat im ganzen eher bakterienarm.
Offene Nachbehandlung der Abszesswunden. Aus der linksseitigen Fistel entleert
sich für ca. 4 Wochen etwas Kot, jedoch nur, wenn die Stühle dünnflüssig sind, sonst
normaler Heilungsverlauf.
27. Oktober. Spitalaustritt. Die median und die rechtsseitigen Wunden
haben sich vollständig geschlossen, links existiert noch eine kleine Fistel von ca. 4 cm
Länge. Seit mehreren Tagen keine Kotbeimengung mehr. Stuhl vollständig regelmässig,
ohne Nachhülfe, Defakation schmerzlos. Patient hat um 18 Pfund an Körpergewicht zuge-
genommen. Appetit gut.
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25. November. Seit einer Woche sind alle Fisteln geschlossen. Die multi¬
plen Narben sind beinahe linear, fest, oben Druckempfindlichkeit. Wegen der Kürze der
Narben, ca. 4 cm lang, von den Abszesseröffnungsstellen herrührend, ist an diesen Stellen
eine rasche Hernienbildung nicht zu befürchten. Patient befindet sich vollständig wohl
und hat sehr erheblich (22 Pfund) zugenommen. Eine erneute Urinuntersuchung ergibt
nichts abnormes, Diazo negativ.
Der gute Verlauf unseres Falles ist z. T. jedenfalls auf die relativ grosse
Widerstandskraft des jugendlichen Individuums zurückzuführen, z. T. vielleicht auch
auf die im ganzen nicht sehr maligne Infektion (Diplokokken und Einzelkokken vor¬
herrschend). Sicher hätte sich aber die Peritonitis besser beherrschen lassen (und
wäre das Krankenlager wesentlich abgekürzt worden) durch frühzeitigere Naht der
Perforation und ich hoffe mir auch in einem nächsten Falle die gemachten Lehren
zu Nutzen zu machen. Wenn wir uns fragen, was im vorliegenden Falle die be¬
stimmte Diagnose Perforation trübte, so fallen zwei Faktoren in Betracht, erstens die
Komplikation mit einer Art von Riesenaskariden und das Faktum, dass bis jetzt der
chirurgischen Behandlung und damit zusammenhängend der diagnostischen Verfolgung
der Typhus-Perforationen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dass Askariden
das Bild einer Darmperforation Vortäuschen können, ist kaum anzunehmen. Im all¬
gemeinen verursachen sie nur leichte Erscheinungen mehr dyspeptischer Natur, bei
Kindern speziell anfallsweise Bauchschmerzen, Krämpfe, Kolik, wenn sie in den
Magen gelangen Erbrechen, von den Gallenwegen aus eventuell Leberabszess, in
überreicher Anzahl Darmstenose, zuweilen Ileus. Auch ist beobachtet, dass sie Darm¬
geschwüre durchbohrt haben und so in die freie Bauchhöhle gelangt sind. Sicher
ist, dass Askariden, bei einer Darmperforation irgendwelcher Ursache zufällig an¬
wesend, das Bild trüben können. So war es hier der Fall. Ob aber die Askariden
in ursächlicher Beziehung zu der Perforation in irgend einem Verhältnis standen, ist
nicht bestimmt zu beantworten. Obschon keine Askariden in der freien Bauchhöhle
gefunden wurden, ist das Moment nicht direkt von der Hand zu weisen und ich hatte
im ganzen immer das subjektive Gefühl, diese auffällig grossen Askariden hätten
vielleicht zur Perforation beigetragen. Auffällig jedenfalls ist, dass Patient vorher
und seither nie über Wurmbeschwerden klagte, von Würmern überhaupt nichts
wusste, auffällig die genaue zeitliche Uebereinstimmung des Abgehens von Askariden
und des Eintretens der typhösen Darmperforation. Auch die Art, d. h. das Geschlecht
der Askariden sagt uns nichts aus über den eventuellen ursächlichen Zusammenhang
mit der Perforation. In unserem Falle gingen alles weibliche Individuen ab. In der
Literatur kann ich aber nichts finden darüber, ob weibliche oder männliche Formen
die beschriebenen Fälle von Durchbruch verursacht haben. Eine andere auffällige
Ursache für die Perforation ist jedenfalls nicht nachzuweisen, kein Transport, keine
besondere Unruhe des Kranken. Diät nur Milch. Nach Osler kommen Perforationen
eher bei schweren Fällen vor, bei Fällen mit Heemorrhagien, nach andern bei Fällen,
die mit eingesunkenem Abdomen und Diarrhoen einhergehen. Von all dem war hier
nichts der Fall. Der Kasus imponiert im ganzen als ein leichter (Sensorium z. B.
nie gestört, guter Appetit), Blutungen waren nie aufgetreten, nie eigentliche Diarrhoe.
So bleibt die Ursache für uns dunkel, wenn nicht, wie oben angedeutet, auf das
Wurmmoment zurückgegriffen wird. Theoretisch ist für mich ein Zusammenhang
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sehr wohl denkbar, ohne dass daran die Forderung geknüpft werden müsste, Aska¬
riden hätten sich in der freien Bauchhöhle finden müssen.
Um kurz auf die Symptome einzugehen, welche die Diagnose auf Perforation
stellen Hessen, so kommt in erster Linie das Sinken der Temperatur in Betracht,
von Diculafoy näher beschrieben, in unserem Falle von 38,9° morgens 7 Uhr, auf
36,7° um 12 Uhr mittags, ohne dass andere Ursachen dafür dagewesen wären (Wickel
oder kalte Bäder etc.). Yom Pulse hätte ich ein Steigen der Frequenz erwartet und
eine Verminderung der Spannung. Statt dessen ging mit der Temperatur ebenfalls
der Puls zurück von 116 morgens auf 96 mittags, um allerdings abends bei 37,7°
auf 120 zu steigen. Dafür war die Qualität im ganzen unverändert und hätte bei
einziger Berücksichtigung des Pulses an eine Perforation nicht denken lassen. Als
weiteres Perforationssymptom war in unserm Falle deutlich ausgeprägt das fast plötz¬
liche Eintreten von spontanen Bauchschmerzen, in der Nabelgegend lokalisiert, ver¬
bunden mit Stuhldrang ohne Stuhlentleerung, ferner auffällig grosse Druckempfind¬
lichkeit einer Stelle nach rechts und unten vom Nabel. Ueberaus heftigen Schmerz
rief das rasche Nachlassen des Druckes hervor, weit weniger das Eindrücken selbst.
Auf eine Perforation hin deutete ferner das fast plötzliche Eintreten von starker
Spannung der Bauchmuskeln, namentlich des rechten Rektus, am zweiten Perforations¬
tag auch auf den linken Rektus übergehend, ferner der starke Schweissausbruch, die
grosse Unruhe, Nausea, Erbrechen (hier erst ca. 24 Stunden nach dem Durchbruch
auftretend), die Aenderung des Atmungstypus, mehr costal werdend. Dieses sonst
sehr wichtige Symptom konnte hier kaum verwertet werden, da die Atmung, wie es
bei Kindern die Regel ist, schon vorher mehr costal war. Tiefes Atmen jedoch löste
leichten Schmerz im Abdomen aus, wenn auch die Angaben in dieser Beziehung
etwas unbestimmt waren. Dämpfungen, Tympanites oder auffällige Auftreibung be¬
standen nicht. Die Leberdämpfung war immer vorhanden und erst am zweiten Tage
um ca. l'/z —2 Querfinger emporgedrängt. Eine Blutdruckkurve wurde leider nicht
aufgenommen, eine solche hätte uns durch plötzliches Sinken wahrscheinlich besseren
Aufschluss gegeben als die ungefähre Abschätzung der Spannung mit dem Finger.
So wurde ebenfalls die Leukopenie resp. Leukocytose nicht bestimmt. Man hat hie
und da verhältnismässig beträchtliche Leukocytosen (bis 50 000) nach Typhus-Per¬
foration festgestellt, ist aber darüber einig, dass im allgemeinen zur Perforationsdiag¬
nose nur eine sorgfältig geführte Leukocytenkurve klaren Aufschluss geben kann.
Von der Zählung der roten Blutkörperchen wäre eventuell noch mehr zu erhoffen
gewesen, dass ich aber auch dies unterliess, werde mit Rücksicht auf das schöne
Sommerwetter und die Nähe der verlockenden Gebirgswelt gütigst entschuldigt. Der
Hämoglobingehalt betrug (laut Hämometer nach Sahli) am zweiten Perforationstage
85—87°/o, ca. 5 Wochen nach der Operation 80—85°/o. Von weitern Perforations¬
erscheinungen wäre der Shok zu nennen, in unserem Falle in ausgesprochenem Masse
nicht vorhanden.
Ein präperforatives Stadium im Sinne Cushings (pre-perforative stage) fehlte in
unserem Falle vollständig. Damit bezeichnet der Autor, als sehr scharfer Beobachter,
die Zeit, welche verfliesst, zwischen den ersten Abdominalerscheinungen auf eine
eventuelle Perforation zu beziehen und der beginnenden Peritonitis. Pathologisch-ana
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tomisch betrachtet, würde diese Zeit der Reaktion der Serosa, welche perforiert
werden soll, entsprechen. Nach Cushing ist dieses präperforative Stadium die günstigste
Zeit zur Operation und im Falle von Unsicherheit soll unter Kokainansesthesic nach
vorangegangener Morphiuminjektion die Probelaparotomie gemacht werden, ein ziel¬
bewusster und sicher beachtenswerter Vorschlag.
Differentialdiagnostisch kamen eventuell in Betracht eine Peritonitis aus anderer
Ursache, vereiterte Retroperitoneal- oder Mesenterialdrüsen, Appendicitis, Cholecystitis
Thrombosen, Meningitis etc., ernstlich aber nur im Beginn Askaridenstörungen, später
eventuell Appendicitis resp. Peritonitis nach Appendix-Perforation. Gegen komplizie¬
rende Appendicitis sprach aber in erster Linie der anfängliche Temperaturabfall.
Wenn man nach Murphy bei initialer Temperatur und erst später auftretenden
Bauchschmerzen an Typhus, bei anfänglichem Klagen über Bauchschmerzen und
erst nachher einsetzendem Fieber an Appendicitis denken soll, so hatte man hier
jedenfalls keine Veranlassung auf Perityphlitis zu rekurrieren. Zudem hat man
naturgemäss bei einem sicher bestehenden Krankheitsbild immer die gerechte Neigung,
alle neu auftretenden Erscheinungen auf dasselbe zurückzuführen.
In einem nächsten Fall werde ich also entschieden nicht so lange zuwarten
und den Patienten durch die Peritonitis beinahe an den Rand des Grabes bringen
lassen. Ich werde früh von einem kleinen Schnitte aus, eventuell nur unter Kokain-
Anästhesie und Morphiuminjektion, den Zustand des Peritoneum und der Eingeweide
sicherstellen. Hätte es sich hier um Appendicitis oder Peritonitis anderer Ursache
gehandelt, so hätte man mit der Probelaparotomie, vorsichtig ausgeführt, sicher nicht
geschadet, sondern genützt. Ueberflüssig wäre sie nur gewesen im Falle von ein¬
fachen Askaridenstörungen, hätte aber auch da, streng aseptisch und rasch ausgeführt,
keinen Schaden gestiftet.
Wie in der Krankengeschichte mitgeteilt, wurden bei der Operation die Dünn¬
darmschlingen der suspekten Gegend (unteres Ileum) eventriert und die Perforationstelle
gründlich vernäht. Ich möchte dem neuen Vorschläge, einfach die Peritonealhöhle
zu drainieren, ohne die Perforationsstelle zu berücksichtigen, nicht beipflichten aus
folgenden Gründen: Erstens neigt das Peritoneum bei Typhus-Patienten weniger zu
Verklebungen und hat so das vorsichtige Eventrieren von dieser Seite keine Ge¬
fahr. Zweitens ist der Zeitverlust, die gewöhnlich kleine Perforation zu vernähen
nicht so gross, dass er sehr in Betracht fallen würde. Drittens ist es für mich keine
Frage, dass der Eingriff bei Naht unendlich mehr Nutzen stiften kann, wenn man
berücksichtigt, dass das untere Ileum, wo die Perforation gewöhnlich stattfindet, bei
Typhuserkrankung eine ganz andere Bakterienflora enthält, als im normalen Zustande,
speziell öfter die gefürchteten Streptokokken enthält, eine Bakterienart, die er-
fahrungsgemäss im untern Ileum sonst selten vorkommt. Nach gründlicher Naht
der Perforationsstelle und Uebernähen von zur Perforation neigenden andern Ge¬
schwüren, folgt die Bauchfelltoilette in Form von reichlicher Irrigation mit ste¬
riler Kochsalzlösung von 40° C. Einführen von dicken Glasdrains (und eventuell '
auch von Tampons) in die Peritonealhöhle und womöglich auch ins kleine
Becken, teilweise Naht der Laparotomiewunde, im Prinzip aber offene Nach¬
behandlung. Nach der Operation wird Patient energisch stimuliert mit subkutaner
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Infusion, heissem Kaffeeclystier, subkutanen Injektionen von Kamphersether, even¬
tuell Transfusion.
Anschliessend noch einige kurze Bemerkungen über die Behandlung der Pe¬
ritonitis in einem solchen oder ähnlichen Falle. Bei der Operation war es mir klar,
dass trotz gründlicher Reinigung der Bauchhöhle im günstigen Falle Absackungen ent¬
stehen würden, d. h. Abszesse später zu inzidieren notwendig sein würden, speziell in den
untern Partien. Der Verlauf bestätigte meine Annahme und ich bereute später bei den
multiplen Abszessinzisionen, durch die und besonders die bei der grossen Empfindlichkeit
des Patienten notwendigen zwei weitern Narkosen, Patient immer wieder stark herunter¬
gebracht wurde, nicht gleich bei der ersten Operation zwei seitliche Inzisionen
gemacht und drainiert (anfänglich drainiert und tamponiert) zu haben. So hätten sich
die Abszedierungen (und die Resorption und Vergiftung des Körpers von diesen aus)
eventuell ganz vermeiden, sicher aber viel leichter erkennen und behandeln lassen.
Die beiden Inzisionen, da ohne Nähte, hätten die ursprüngliche Operation kaum
um ein wesentliches verlängert und für die Zukunft viel Sicherung geboten. Ich
würde vorschlagen in einem ähnlichen Falle nach der medianen oder seitlichen La¬
parotomie gleich anschliessend (wenn in Narkose operiert wird) zwei seitliche In¬
zisionen, ungefähr parallel dem Lig. Pouparti über dem äussern und mittleren Drittel,
1—2 Querfinger breit oberhalb desselben, zu machen, zu drainieren und zu tampo¬
nieren. Die Erfahrung lehrt, dass Abszedierung in dieser Gegend und im kleinen
Becken, wenn nicht immer, so doch in der überaus grossen Mehrzahl der Fälle trotz
gründlicher Bauchfelltoilette aufzutreten pflegt.
Bei Unsicherheit in der Diagnose, ob Typhus-Perforation oder interkurrente
Appendicitis vorliegt, oder Peritonitis nach Appendixperforation, so würde ich Vor¬
schlägen unter Kokain ( l /ioo) seitlich an der Stelle der Appendixresektion einzugehen.
Von dieser Stelle aus wäre beiden Prozessen gleich gut beizukommen. Nur müsste
im Falle von Typhusperforation (oder sonstiger Peritonitis) und konsekutiver Perito¬
nitis mindestens auf der linken Seite ebenfalls eingegangen werden. Die mediane
Laparotomie hat, sobald die Diagnose auf Typhusperforation sicher gemacht werden
kann, den Vorteil, dass die gesamte Peritonealhöhle besser zugänglich gemacht und
gereinigt werden kann. Die Eiterung im kleinen Becken von zwei pararektalen (resp.
paravaginalen) Schnitten aus zu beherrschen, wie jüngst vorgeschlagen wurde, kann
sicher in den meisten Fällen umgangen werden durch sorgfältige anfängliche Reinigung
und Einführen von zwei dicken Glasdrains in die Tiefe des Douglas'Bohen Raumes.
Immerhin müsste man gegebenenfalles auch an dieses Mittel denken.
Vereinsberiohte«
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
II. Wlatersltaaag 5. November 1904.')
Präsident: Prof. Paul Ernst . — Aktuar: Dr. Meyer-Hürlimann.
Dr. E. Tschudy : Kasuistische Mitteilungen ans dem Gebiete der Dsrneklrirfie
(Autoreferat). 1. Mesenterialer Darmverschluss des Duodenums.
Es handelt Bich um einen Fall von Magenresektion wegen Carcinoma pylori, welcher bereits
*) Eingegangen 12. Dezember 1904. Red.
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in den „Beiträgen zur Magenchirurgie tt des Vortragenden (Jahresbericht
des Theodosianum pro 1908) ausführlicher erwähnt ist, auf dessen hohe klinische Be¬
deutung in Bezug auf die post operationein aofgetretenen Ileuserscheinungen der Vor¬
tragende aber erst nachträglich durch die Dissertation des Herrn Kollegen Dr. A, Albrechi
in Uetikon über „arterio-mesenterialen Darmverschluss an der Duodeno* Jejunalgrenze und
seine ursächliche Beziehung zur Magenerweiterung 4 aufmerksam gemacht worden ist. —
Bei der 47jährigen Patientin war am 9. Mai 1904 wegen eines wallnuss¬
grossen beginnenden Adenokarzinoms des Pyloras die Resek¬
tion des Pylorus nach Kocher , also mit Einpflanzung des Duodenalstumpfes in
die hintere Magenwand ausgeführt worden. Der Magen fand sich bei der
Operation hochgradig dilatiert, ebenso wurde eine auffal¬
lende Dilatation des Duodenums gefunden; dasselbe hatte
einen Durchmesser von ca. 7 cm. Der weitere Verlauf gestaltete sich nun
folgendermassen: ln den ersten 3 Tagen bei normalen Pulsen und Temperaturen und
bereits geregelter Darmperistaltik sehr häufiges Erbrechen von gallig
gefärbten Schleimmassen. Auf regelmässige Magenspülungen tritt das Er¬
brechen seltener auf, erscheint am 5. Tage aber wieder sehr häufig,
trotz wiederholter Spülungen; Patientin wird unruhig, klagt
über starkes Spannen im Leibe und unerträgliche Kreuz*
schmerzen; die Temperatur bleibt normal, der Puls dagegen
steigt auf 100 —110. Das Abdomen ist im ganzen, besonders
aber unterhalb des Nabels, aufgetrieben, etwas gespannt und
von der Symphyse bis gegen den Nabel herauf in ganzer Breite
gedämpft. Der Befund ist derjenige eines intraperitonealen Exsudates, und da der
bisherige Verlauf gegen ein entzündliches Exsudat spricht, so wird, besonders auch in
Rücksicht auf das Ansteigen des Pulses, angenommen, es konnte sich um eine Blutung
aus einer Netzarterie handeln und sofortige Laparotomie beschlossen (Aether-
narkose).
Nach Eröffnung des Abdomens stösst man auf den ganz enorm geblähten
u n d g e f ü 111 en , äusserst prall gespannten und bis in’z Becken
herabreichenden Magen. Peritoneum viscerale et parietale spiegelnd, nicht
injiziert, kein Exsudat. Die Dämpfung war also bedingt durch Flüs¬
sigkeit in dem fast das ganze Abdomen e i n n e h m e n d e n M a ge n.
Es wird nun sofort eine Magensonde eingeführt und der Magen durch Auspressen
mit der Hand von Gasen und Flüssigkeit entleert; das Quantum des letztem beträgt
2 Vs Liter.
N u n k o n s t a t i e r t man ferner, dass das schon früher sehr
weite Anfangsstück des Duodenums ebenfalls an der Auf¬
blähung teilgenommen hat; es ist bis zu der Stelle, wo es hinter
die Radix mesenterii tritt, stark erweitert, misst im Durch¬
messer gut 8 cm. Dagegen ist der Darm auf der andern Seite
der Radix mesenterii vollständig kollabiert und leer. Die
Gastroduodenostomiestelle ist für 2 Finger gut durchgängig,
es muss also das Hindernis für d i e M a g e n e n 11 e e r u n g an der
Stelle des Durchtrittes des Duodenums durch die Radix mesen¬
terii liegen. Da dieses Hindernis auf andere Weise nicht zu beseitigen ist, so
wird die Gastroen terostomia antecolica anterior zwischen
Magen und Anfangsteil des Jejunums ausgeführt. Der weitere Ver¬
lauf war insofern ein glatter, als von da an nicht die mindesten Storungen von Seite des
Magendarmtraktus mehr auftraten, leider aber erfolgte am 16. Tage der Exitus letalis
an Pneumonie des linken Unterlappens und rechtsseitigem Empyem, im Anschluss an eine
durch die Aethernarkose bedingte beidseitige diffuse eitrige Bronchitis. Bei derAut-
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opsie fand man an der Stelle des Durchtrittes des Duodenums
hinter der Radix mesenterii keinerlei Obturation des Darmes,
es hatte sich also zur Zeit der 2. Operation um eine reine Kom¬
pressionsstenose gehandelt.
Resümieren wir kurz: Im Anschlüsse an eine Oastrectomie nach Kocher stellt sich
von Anfang an häufiges Erbrechen ein, das trotz mehrmaliger täglicher Magenspülung
nicht aufhört; am 5. Tage post operationem ausgesprochener Magenileus. Bei der
Laparotomie findet man hochgradigste Füllung und Blähung des dilatierten Magens und
ebenso des Duodenums bis zu seioem Durchtritt hinter die Radix mesenterii ; Jejunum
leer. Nach dem Befund bei der Autopsie muss eine reine Kompression des Duodenums
durch das Mesenterium des Dünndarmes angenommen werden.
Nun hat Kollege Albrecht aus dem Kantonsspital St. Gallen über zwei ganz ähn¬
liche Fälle berichtet, welche im Anschlüsse an Operationen an andern Körperstellen beob¬
achtet wurden.
Bei einer 44jährigen Frau, bei welcher die Radikaloperation eines rechtseitigen
Mammakarzinoms ausgeführt worden war, trat bei sonst glattem Verlauf 24 Stunden nach
der Operation unstillbares Erbrechen auf, das am 3. Tage nach der Operation zum Tode
führte. Aus dem Sektionsberichte ist folgendes zu erwähnen: Magen sehr gross,
senkrecht, schwappend. Die grosse Kurvatur reicht bis 6 cm
über die Symphyse. Pars descendens d uodeni auch stark aus¬
gedehnt. Die übrigen Därme eng, namentlich die Dünndärme.
Duodenum weit. Die Erweiterung des Duodenums hört ander
Arteria mesaraica sup. auf. Eine organische Stenose ist nicht
zu finden.
Der zweite Fall betrifft eine 30jährige Frau, bei welcher wegen Tuberkulose des
rechten EUenbogengelenks die Resectio cubiti vorgenommen wurde. Zehn Tage nach der
Operation Exitus letalis nach 6tägigen Ileuserscheinungen. Bei der Autopsie wird
fast die ganze Bauchhöhle von dem senkrecht gestellten,
schwappenden Magen ausgefüllt. Derselbe reicht bis 2 cm oberhalb der
Symphyse. Die Dünndärme kontrahiert, finger- bis daumendick im kleinen Becken. Auf¬
fallend ist, dass das Duodenum schwappend gefüllt und weit
ist. Die Pars ascendens und descendens 6 ] /s om, die Paps hori-
zontalis 5 */* cm im Durchmesser. Es lässt sich in situ weder
der Inhalt des obern Jejunum ins Duodenum drücken, noch
umgekehrt. Vom Duodenum kommt man ins Jejuitum ganz
bequem mit 3 Fingern, Umfang des Duodenum 12 cm. Keine
Narbe, kein Geschwür, kein Tumor. Zieht man nun. das Mesen¬
terium nach unten, so spannt sich die Arteria mesaraica sup.
so prall über das Duodenum weg, dass dasselbe von vorn nach
hinten gegen die Wirbelsäule platt gedrückt wird. Im übrigen
Darme nirgends eine Stenose oder Obturation.
Die beiden Fälle haben sowohl in Bezug auf den klinischen Verlauf, als auch auf
den autoptischen Befund sehr grosse Aehnlichkeit mit dem vom Vortragenden beobach¬
teten ; alle drei zeigten Erscheinungen von Ileus, speziell Magenileus, bedingt durch
Okklusion des Duodenums. Während nach den Untersuchungen von Albrecht schon in
den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Rokitansky , Förster und
Heschl auf die Möglichkeit der Kompression des Duodenums durch das Dünndarmgekröse
und speziell durch die in demselben verlaufende Arteria mesaraica sup. aufmerksam ge¬
macht haben, ist man den klinischen Erscheinungen dieser glücklicherweise recht seltenen
Form von Darmokklusion erst Ende der achtziger und anfangs der neunziger Jahre näher
getreten (Glenard, Nicaise , Treves , Kundrat u. a.). Eine eingehende Studie über den
Mechanismus der Einklemmung brachte Schnitzler 1895, gestützt auf zwei von ihm
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beobachtete Fälle. Er nimmt, wie Kundrat , als ursächliches Moment einmal eine ab*
norme Form des Gekröses an, ferner eine abnorm starke Lordose der Lendenwirbelsäule,
für einige Fälle auch eine relativ tiefe Ijage des Duodenums, wodurch dasselbe der
höchsten Konvexität der Wirbelsäule näher rückt, dazu kommt Herabsinken des Dünn¬
darms ins kleine Becken, begünstigt durch schlaffe Bauchdecken. Albrecht überzeugte
sich an der Leiche, dass das Duodenum, da wo die Mesenterial Wurzel mit der
Art. mes. sup. über dasselbe wegzieht, schon normalerweise ein abgeplat¬
tetes Lumen hat, und dass das letztere durch relativ leichten
Zug a m M e s e n t e r i u m in der Richtung der Beckenachse ganz
verschlossen werden kann. Einen solchen Zug übt nun der Dünndarm aus,
wenn er ganz ins Becken herabsinkt. Es wird also das Duodenum, worauf schon Gl&nard
aufmerksam gemacht hatte, schon unter normalen Umständen an der in Frage stehenden
Stelle in gewissem Grade komprimiert, zur Erklärung des gänzlichen und
dauernden Verschlusses mit seinen deletären Folgen bedarf es aber nach
Albrecht noch weiterer Momente. Es müssen nach seiner Ansicht abnorme mecha¬
nische Verhältnisse vorhanden sein, welche den Zug am Dünn¬
darm nach abwärtsund nachhinten stark steigern und dau¬
ernd erhalten, sodass selbst das Maximum der normalen motorischen Leistungs¬
fähigkeit oberhalb ungenügend ist, um den Verschluss zu forcieren. Eine solche abnorme
Dislokation und Fixation des Dünndarmes findet nun statt durch den Druck des
überfüllten, dilatierten Magens. Je mehr sich der letztere ausdehnt, desto
mehr wird der Dünndarm nach unten gedrängt, desto stärker wird der Zug am Mesen¬
terium und desto kräftiger infolgedessen auch die Kompression des Duodenums. Der
Verschluss des Duodenums hat aber seinerseits wieder eine weitere Stauung des Magen¬
inhaltes zur Folge, sodass, wenn die Okklusion einmal eingeleitet ist, sich durch diesen
verderblichen Circulus vitiosusdie Symptome rasch steigern müssen. Diese Er¬
klärung der Vorgänge, wie sie Albrecht gibt, ist jedenfalls durchaus zutreffend; sie wird
bestätigt sowohl durch den Umstand, dass bei allen zur Autopsie gekommenen Fällen
hochgradigste Ueberfüllung und Dilatation des Magens gefunden wurde, dann aber speziell
durch eine Beobachtung Schnitzler 1 *, Bei dem betreffenden Patienten wurde rechtzeitig
intra vitam die Diagnose gestellt, der Patient zur Entlastung des Dünndarmes in Bauch-
lage gebracht und damit eine prompte Beseitigung der Duodenalkompression und Schwinden
der Okklusionserscheinungen erzielt.
Aus dem Gesagten ergibt sich auch ohne weiteres, dass das Zustandekommen des
ganzen Symptomenkomplexes vor allem begünstigt wird durch bereits vorhandene Dila¬
tation und Atonie des Magens; dazu kommt starkes Herabsinken des Dünndarms in
Rückenlage des Patienten, das seinerseits wieder begünstigt wird durch Leere des Darmes,
schlaffe Bauchdecken, Enteroptose, Schnüren etc. Auffallend ist das relativ häufige Vor¬
kommen der Duodenalokklusion nach Narkosen (7 mal auf 20 Fälle). Hier spielen jeden¬
falls verschiedene Momente mit. Einmal wird der Dünndarm vor Narkosen gewöhnlich
durch Laxantien entleert, er kann also leicht in den tiefsten Teil der Abdominalhöhle
herabsinken; ausserdem wird er auch durch das meist im Anschlüsse an die Narkose
auftretende Erbrechen direkt dorthin getrieben; dazu kommt die nach Narkosen in den
ersten 12—24 Stunden meist vorhandene Atonie des Magens. Im Falle des Vortragen¬
den, der die erste Beobachtung von mesenterialem Verschluss des Duodenums nach Magen¬
resektion repräsentieren dürfte, muss wohl die Hauptschuld der schon vor der Operation
vorhandenen Dilatation und Atonie des Magens zu geschrieben werden, zu welcher die
ungünstigen Wirkungen der Narkose und der Eröffnung des Peritoneums als solcher hin¬
zukamen.
Die Therapie ist, wenn die Sachlage rechtzeitig erkannt wird, unter Umständen
eine sehr einfache, wie der Fall von Schnitzler bewiesen hat. Man wird also den Pati¬
enten in Bauch- oder noch besser in Knieellenbogenlage bringen, am besten nach
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gründlicher Entleerung des Magens mit der Sonde. Sollte dies innerhalb einiger Stunden
nicht zum Ziele führen, so bleibt nur die Laparotomie, d. h. die Herstel¬
lung einer Magendünndarmfistel, wie das im Falle des Vortragenden aus¬
geführt wurde. Dass die einfache Reposition des Dünndarmes und Befreiung des Duo¬
denums von der Kompression durch das Gekröse bei der Laparotomie unter Umständen
nicht genügt, zeigt ein Fall von Kundrat , bei welchem von Hochenegg in der erwähnten
Weise vorgegangen wurde, bei welchem sich aber nach 3 Tagen wieder die alten Okklu¬
sionserscheinungen einstellten und in wenigen Stunden zum Tode führten.
2. Inkarzerierte Schenkelhernie mit schweren postopera¬
tiven Komplikationen. Die 55järige Patientin trat am 2. April 1904, abends
6 Uhr, ins Theodosianum ein, nachdem seit mittags 12 Uhr Inkarzerationserscheinungen
von Seite der rechtsseitigen Schenkeihernie bestanden hatten. Sofortige Operation in
Chloroformnarkose. Die Umgebung des Bruchsackes war bereits entzündlich infiltriert,
im Bruchsacke selbst fanden sich ca. 50 cbcm trübe, sanguinolente Flüssigkeit und eine
hühnereigrosse, tief blauschwarze Dünndarmschlinge. Naoh
Erweiterung der Bruchpforte und Vorziehen des Darmes zeigte es sieb, dass bereits
beginnende Gangrän vorlag. Um genügend weit an den gesunden Darm heran¬
gelangen zu können, musste wegen der Kürze des Mesenteriums die Bruchöffnung noch
ca. 5 cm weit nach oben eröffnet werden, dann Resektion von ca. 12 cm
Dünndarm in typischer Weise. Vereinigung der beiden Darmenden durch doppelte
zirkuläre, fortlaufende Seidennaht. Verschluss der Hernio-Laparotomiewunde durch
Etagennaht.
Der weitere Verlauf war bei leicht erhöhten Abendtemperaturen an den beiden
ersten Tagen ein ungestörter, nur gingen einstweilen keine Darmgase ab. Gegen Morgen
des 3. Tages trat kopiöses Erbrechen auf, der Leib wurde mehr und mehr gebläht, der
Puls stieg auf 120; keine Flatus, auch nicht auf wiederholte hohe Einläufe. Der All¬
gemeinzustand verschlechterte sich rasch. Wegen der bestehenden Ileuserschein -
u n g e n wurde deshalb morgens 8 Uhr zur Laparotomie geschritten. Aethernarkose.
Eröffnung des Abdomens in der Mittellinie. Aus der Bauchhöhle entleerte sich ziemlich
viel sanguinolentes, trübes Serum und der stark geblähte Dünndarm drängte stark vor.
Die nun sofort aufgesuchte resezierte Dünndarmschlinge fand sich rechts unten neben der
linea alba, leicht mit der vordem Bauchwand verklebt. Nachdem dieselbe vorgezogen
worden, konstatierte man, dass sich in der Umgebung der Nahtstelle
der Darm in Form eines S oder Doppelhakens zusammengelegt
hatte; die drei Schenkel des S waren durch membranöse Adhä¬
sionen derart aneinander fixiert und an den Umbiegungs¬
stellen abgeknickt, dass eine vollständige Okklusion zustande
kam. Oberhalb war der Dünndarm gebläht, unterhalb kollabiert. Da bei der sorg¬
fältig ausgeführten Lösung der verwaohsenen Darmschenkel die Darmnaht an einer Stelle
stark gelitten hatte und eine weitere Uebernähung und Einstülpung den Darm zu sehr
verengt haben würde, so wurde die Nahtstelle durch nochmalige
Resektion entfernt und die beiden Darmenden in gewohnter Weise wieder ver¬
einigt. Eingiessen von physiologischer Kochsalzlösung in die Bauchhöhle; Schluss der
Bauchwunde.
Nun zunächst wieder guter Verlauf; kein Erbrechen mehr. Am folgenden Tage
gingen bereits Flatus ab, das Abdomen wurde weicher, der Puls sank. Am zweiten
Tage post opera t. auf Klystier reichliche Gas- und mehr¬
malige diarrhoische Stuhlentleerungen, der Puls sank auf 100. Gegen
Abend war der Leib wieder stärker gebläht, besonders in den obern Partien.
Am 3. Tage nach der Operation war das Abdomen wieder stark aufgetrieben, auch
hatte Patientin trotz Morphium fast gar nicht geschlafen und war sehr unruhig. Zuneh¬
mende Brechneigung. Nach Injektion von 0,005 Atropin, sulf. gingen im Laufe des
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Vormittags auf Klystier ziemlich reichliche Flatus ab und das Abdomen sank etwas ein.
Am Nachmittag dagegen waren trotz nochmaliger Atropininjektion und hoher Einläufe
keine Gase mehr abgegangen; Patientin klagte über starken Brechreiz und Oppressions-
gefühl. Darmbewegungen, welche an den vorhergehenden Tagen ziemlich lebhaft
waren, batten vollständig aufgehört. Der Leib war speziell in den obern Partien stark
gebläht weniger in den untern; der Puls stieg auf 120—130; die Temperaturen waren
normal.
Der Darm war also zweifellos wieder an einer Stelle undurchgängig geworden,
am wahrscheinlichsten wieder in der Umgebung der Resektipnsstelle, und da das rasche
Ansteigen des Pulses und die zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes auf
rasche Abhilfe drängten, so wurde abends 6 Uhr nochmals zur Laparotomie ge¬
schritten. Der Allgemeinzustand der Patientin war derart, dass ein grösserer Eingriff
nicht mehr gewagt werden konnte, es wurde deshalb von einer Aufsuchung des Hinder¬
nisses von vorneherein abgesehen und nur die Anlegung einer Darmfistel in Aussicht
genommen. In leichter Aethernarkose wurde in der linken Bauch¬
seite in Nabelhöhe das Abdomen eröffnet und eine der stark
geblähten Dünndarmschlingen seitlich in die ca. 4cm lange
Peritonealöffnung durch fortlaufende Seidennaht eingenäht.
Dann wurde der Darm durch einen l 1 /* cm langen Schnitt er¬
öffnet. Nachdem spontan eine ziemlich bedeutende Menge dünnflüssigen Stuhles und
zahlreiche Darmgase durch die Fistel abgegangen waren, wurde der Darm durch wieder¬
holte Einläufe und Massage des Abdomens noch soweit entleert, bis das Abdomen flach
und weich geworden war.
Von da an war der weitere Verlauf ein ungestörter. Zwar
war die Patientin in den ersten Tagen nach dem Eingriff äusserst schwach und matt und
der Puls blieb noch mehrere Tage sehr frequent und klein; es mussten grosse Dosen von
Coffein und zwischenhinein auch wiederholt Kampheräther verabreicht werden, um den
mehrmals drohenden Kollaps zu verhindern. Dagegen traten keine Störungen
von Seite des Darmes mehr auf und schon am zweiten Tage nach
Anlegung der Darmfistel gingen auch Stuhl und Gase per rec¬
tum ab.
Die Darmfistel wurde schon am 3. Tage nach der letzten Operation durch fort¬
laufende Seidennaht der Darmwand geschlossen; die Nabt hielt aber nicht, und auch
mehrere spätere Versuche, die Fistel durch Naht zu schliessen, schlugen fehl. Es wurde
deshalb am 7. Mai in Aethernarkose die eingenähte Dünndarm¬
schlinge vom P a r i e t a 1 p e r i t o n e u m abgelöst, vorgezogen und
die Fistelöffnung durch Resektion und nachfolgende zirkuläre
Darmnaht beseitigt. Auch nach diesem Eingriff drohte wieder tagelang Herz¬
insuffizienz sich einzustellen, es traten starke Oedeme der untern Extremitäten auf; aber
der Darm funktionierte dauernd gut. Allmählich erholte sich die Patientin mehr und
mehr und konnte Mitte Juni völlig wieder hergestellt und vollständig frei von Be¬
schwerden dos Spital verlassen. Sie hat bis heute keine Störungen von Seite der Abdo¬
minalorgane mehr gehabt.
Die günstige Wirkung der als ultimum Refugium angelegten Darmfistel ist nur
dadurch verständlich und möglich, dass es sich diesmal nicht um kompleten Darmver¬
schluss, sondern nur um eine Behinderung der Peristaltik durch Darmverklebungen kom¬
biniert mit Parese des Darmes gehandelt hat. Nach Entleerung des geblähten, pareti-
sehen Darmes überwand die zurückgekehrte Motilität dann leicht die durch die Ver¬
klebungen geschaffenen Hindernisse.
Der Fall erscheint in zwei Beziehungen bemerkenswert. Er lehrt vor allem, dass
man nie zu früh die Flinte ins Korn werfen darf, wenn auch die Sachlage noch so
schlimm und die Aussichten auf Erfolg noch so gering sind; er zeigt aber auch, wie viel
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unter dem Schutze der modernen Asepsis gewagt werden kann, wurde doch die 55jährige
Patientin im Zeiträume von 6 Tagen dreimal laparotomiert und im ganzen dreimal einer
Dünndarmresektion unterzogen. (Schluss folgt.)
Referate und Kritiken.
GrundzUge der Anatomie und Pathogenese der Taubstummheit.
Von Prof. Dr. F . Siebenmann , Direktor der Oto-Laryngol. Universitätsklinik in Basel.
Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1904. 99 Seiten.
Seit dem Erscheinen des Bezold'sehen Buches: „Das Hörvermögen der Taubstummen“
(1896) hat die wissenschaftliche Tätigkeit auf diesem lange Zeit vernachlässigten Spezial¬
gebiete einen mächtigen Aufschwung genommen. Bereits 1900 beschloss die zirka 240
Mitglieder zählende deutsche otologische Gesellschaft, eine Sammlung des bezügl. patho¬
logisch-anatomischen Materials zu organisieren und bestimmte auch einzelne Sammelstellen,
an die inskünftig Schläfenbeine Taubstummer zur fachmännischen Untersuchung abzusenden
seien. Für die Schweiz wurde unser Kollege in Basel bezeichnet, aus dessen klinischem
Laboratorium schon früher Arbeiten über Taubstummen-Befunde erschienen waren. Yon
ihm stammt ferner der erste Beitrag zu dem unter der Aegide der nämlichen Gesellschaft
herausgegebenen Atlas der „Anatomie der Taubstummheit“. Auch die vorliegende Studie
wurde veranlasst durch ein Referat, das Siebenmann an der letzten Otologenversammlung
in Berlin zu halten beauftragt war.
Es schien uns nicht überflüssig, zu zeigen, dass der Verfasser der „Grundzüge“
einer der Auserwählten ist unter den wenigen Berufenen, die hier mitsprechen können;
denn ein grosser Teil der von ihm gebotenen Arbeit beruht in der eingehenden, oft ein¬
schneidenden, aber immer sachlichen Kritik der bisher gültigen Anschauungen. In glück¬
licher Weise werden auch öfters zur Ausfüllung der manchfachen Lücken in den ver¬
schiedenen klinischen und pathologisch-anatomischen Beobachtungen, z. B. über die Früb-
Stadien, die einschlägigen Befunde an Ertaubten, aber nicht Taubstummen herbeigezogen.
Der erste Abschnitt behandelt die erworbene Taubstummheit und weist
unter anderem nach, dass weitaus der grösste Teil der bisher bekannten Fälle auf Me¬
ningitis, entweder M. simplex idiopathioa oder cerebro-spinalis epid., zurückzu führen ist. Yon
der letztem offenbar häufig verkannten Form wird gezeigt, wie vielgestaltig ihr klinisches
Krankheitsbild überhaupt ist. Wohl zum ersten Male erhalten wir auch eine genauere
pathol.-anatom. Beschreibung der dabei nicht selten (nach Verf. in ca. 30°/o aller Fälle) auf¬
tretenden Labyrinthitis. Neu wird ferner den meisten Lesern die Mitteilung sein, dass oft ga n z
normale Trommelfellbefunde Vorkommen bei Taubstummheit infolge von Scharlach, ferner,
dass die genuine Mittelohr-Eiterung fast nie Taubstummheit herbeiführt. — Im zweiten
Abschnitt — »die angeborene Taubstummheit“ — mag es etwas über¬
raschen, dass nach der erwähnten kritischen Sichtung des vorhandenen Materials nur noch
17 Doppel'sektionen von Taubstummheit mit positivem Befunde übrig bleiben.
Wenn wir aber bedenken, dass es sich da vorzugsweise um pathologische Veränderungen
im häutigen Labyrinth handelt, also in besonders zarten Geweben, wo erst die neueste
Sektions-Technik zuverlässigere Resultate schaffen konnte, so begreifen wir diese Zahlen.
Der Abschnitt „endemische Taubheit“ beleuchtet kurz die Bircher 'sehe Theorie
vom Zusammenhang der Taubstummheit mit dem Kretinismus; der nachfolgende bringt
die „Beziehungen der Taubstummheit zu anderen patholo¬
gischen Veränderungen“ z. B. zur Tuberkulose, die bekanntlich die Todes¬
ursache fast aller Taubstummen bildet.
Eine sehr dankenswerte Darstellung der makroskopischen und mikroskopischen
Sektiontechnik beschliesst die Arbeit, welche in der Tat grundlegende Bedeutung hat. —
Alle jene, welche dem Verfasser näher stehen, werden mit besonderem Interesse ver-
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nehmen, dass das Buch zum grossen Teile w&hrend eines langen Krankenlagers entstanden
ist. Sie werden aber beim Lesen sich bald überzeugen, dass der willenskräftige Geist
in keiner Weise von körperlichem, jetzt glücklich gehobenen, Leiden beeinflusst wurde,
sondern die grosse und besonders schwierige Aufgabe in ebenso gründlicher als anschau¬
licher Weise gelöst hat. Nager sen.
Handatlas der Operationen am Schläfenbein.
Für Aerzte und Studierende, insbesondere für angehende Spezialärzte, yon Prof. Dr. Gerber ,
Königsberg; mit 10 Tafeln und 9 Abbildg. i. T. Wiesbaden 1904. Bergmann.
Kurz nach dem in No. 13 des letzten Jahrganges besprochenen Buch von Heine ist dieser
ähnlichen Zwecken dienende Atlas herausgekomroen. Auch wenn wir nicht aus dem Vor¬
worte vernähmen, dass das Manuskript schon fertig war beim Erscheinen des Heine *sehen
Leitfadens, so würden wir dennoch ohne Zögern die Existenzberechtigung der beiden Ar¬
beiten anerkennen.
Der „Handatlas“ will vorzugsweise ein Werk sein, „das die bildliche Dar¬
stellung in den Vordergrund rückt und dem Worte nur die zweite Rolle lässt“
und das durch „naturgetreue Abbildungen dem angehenden Operateur und dem noch
wenig Geübten ein vollkommenes Hilfsmittel und ein getreuer Ratgeber" werde. — Wir
müssen gestehen, dass diese Tafeln, deren Operationsbilder fast durchweg in natürlicher
Grösse erscheinen, in ihrer Anschaulichkeit ein ausgezeichnetes Demonstrationsmittel bilden
und dass ihre technische Vollendung dem durch seine vorzüglichen Leistungen wohl-
bekannten Verleger alle Ehre machen. —
Der begleitende Text gibt auf 45 Quartseiten eine klare, alle wichtigen Einzel¬
heiten berührende Darstellung der verschiedenen Operationsmethoden, sowie der Nach¬
behandlung mit Einschluss der bez. Hirnkomplikationen. Nager sen .
Grundriss der medikamentösen Therapie der Magen- und Darmkrankheiten, einschliesslich
GrundzUge der Diagnostik.
Von P. Eodari . 173 Seiten. Wiesbaden 1904, Bergmann. Preis Fr. 4. 80.
Für den praktischen Arzt haben die bekanntesten deutschen Lehrbücher der Magen¬
krankheiten ( Eiegel , Ewald , Boas etc.) den Nachteil, die medikamentöse The¬
rapie zu weoig eingehend und präzis zu behandeln. Eodari füllt in glücklicher Weise
diese Lücke aus mit Berücksichtigung der neuesten Literatur und der letzten Ergebnisse
der physiologischen und pharmakologischen Forschung; was der Titel verspricht, hält der
Inhalt reichlich. Immerhin reicht er nicht heran an die analogen Kapitel des französi¬
schen Lehrbuches von Eobin , welche mit jedem Satze den Geist, die praktische Erfahrung
und die theoretische Grundsätzlichkeit dieses Autors wiederspiegeln.
Ob es ein glücklicher Gedanke war, noch die Grundzüge der Diagnostik anzu-
sch1ie8sen, möchte dahingestellt bleiben. So kurz, wie die Diagnostik hier dargestellt ist,
bietet sie dem Leser viel zu viele Angriffspunkte für die Kritik, da eben der Gedanken¬
gang des Autors und die Begründung aller Theorien auf halbem Wege stehen bleibt.
Kleinere Aussetzungen über die Zusammensetzung der Medikamente (Zusatz von
Salzsäure zu Pillen!) oder ihre Schreibweise haben weniger Bedeutung. Beuchet.
Statistische Vergleichstabellen zur praktischen Koprologie bei fieberlosen Patienten.
Von Baron Dr. Oefele. 180 Seiten. Jena 1904, Gustav Fischer. Preis Fr. 5. 35.
An der Hand von ca. 1000 chemischen Kotanalysen bietet der Autor den Entwurf
zu einer vereinbarten Methode der Kotuntersuchung. Das Werk gibt für spätere Unter¬
sucher die Standardzahlen, wie wir sie ähnlich für viele andere, verwandte Dinge in
Königs Nachschlagebuch finden. Es werden besprochen: Reaktion, Urobilin, Biliverdin,
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Pepton, Albamosen, Stärke, Ammoniak, Asche, Fette, Phosphorsäure, makroskopisches und
mikroskopisches Verhalten u. s. w. Nach dem normalen Kot werden einige typische
pathologische Beispiele gebracht, wie: Diabeteskot, Schlingerkot, Kot bei ungenügendem
Gebisse. Im Anschluss daran sind die therapeutischen Indikationen erörtert. Das Buch
atmet überall Fleiss, Gründlichkeit und „Liebe zur Sache a und man darf wohl sagen,
dass durch den Autor sein Wappenspruch wahr geworden ist: Honos huic quoque luto!
„Ehre auch diesem Dreck . u Deucher.
Klinische Beobachtungen Uber die Muskulatur der Rachitischen.
Von Prof. Dr. E. Hagenbach-Burckhardt. Jahrbuch für Kinderheilkunde. 60. Band.
10. Heft 3.
Bisher wurde den Störungen von Seiten der Muskeln bei Rachitis auffallend
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Pädiater und Orthopäden erblicken die Ursache der
verspäteten und mangelhaften Bewegungsfähigkeit und der verschiedenen Skelettdifformi-
täten bei Rachitischen nach Kassouoitz ’ Vorgang wesentlich in einer Affektion des Band¬
apparates und in Nachgiebigkeit der weichen Knochen. Einzig Yierordl legt daneben
noch der Muskelschlaffbeit eine etwas grössere Bedeutung bei. — Prof. Hagenbach-Burck¬
hardt hat sich auf Grund klinischer Beobachtungen schon längst die Ueberzeugung auf¬
gedrängt, dass die auffallende Unbeweglichkeit und die abnorme Schlaffheit und Ueber-
dehnbarkeit aller Gelenke bei frischer Rachitis, ebenso auch gewisse (nicht alle!) Formen
von Genu valgum, pes valgus, Kyphosen und Skoliosen, ferner die rachitische Thorax-
difförmität im wesentlichen auf eine primäre spezifische Muskelschwäche
zurückgeführt werden müssen; während die allgemein akzeptierte sekundäre Inaktivitäts¬
atrophie der Muskulatur bloss in Ausnahmefallen zu Recht besteht.
Für diese Auffassung macht der Verfasser unter anderm geltend: einerseits das Ein¬
treten der gleichen Gelenkschlaffheit bei nichtrachitischen Kindern nach völ¬
liger Ausschaltung des Muskelzugs durch Operation oder poliomyelitisehe
Lähmung; andrerseits das häufige Vorkommen von Kyphosen bei florid Rachitischen der
ersten Lebensmonate, noch bevor diese frei sitzen können, des pes valgus,
bevor Steh- und Gehversuche gemacht werden; lauter Difformitäten,
für deren Entstehungsweise die übliche Annahme einer übermässigen Belastung des ab¬
norm nachgiebigen ßandapperats und Skeletts durch das Körpergewicht nicht zulässig ist,
und welche man mit dem Kräftigwerden der Muskulatur ausheilen sieht, ähnlich wie die
habituellen Verkrümmungen muskelschwacher Schulmädchen.
Diese durchgehend zu wenig gewürdigte Muskelschlaffheit bei Rachitis
erscheint als die primäre Lokalisation des spezifischen Krank¬
heitsprozesses in den Muskeln und ist den funktionellen rachitischen Stö¬
rungen im Bereiche des Nervensystems, Konvulsionen, Tetanie, Spasmus Glottidis an die
Seite zu stellen. Die allgemein angenommene Gelenkschlaffheit dagegen, ebenso
gewisse frühzeitig auftretende Skelettdifformitäten bilden im wesentlichen bloss eine
Folgeerscheinung dieser Muskelschlaffheit.
Als therapeutische Konsequenz dieser überzeugenden Auffassung, welche eine
Reihe von zumal praktisch wichtigen Rachitissymptomen in einem ganz neuen Lichte er¬
scheinen lässt, ergibt sich die Notwendigkeit systematischer Uebung
der Muskeln bei Rachitis (Massage, Empfehlung des von Epstein angegebenen Kinder¬
schaukelstuhls). — Zum Schluss deutet Verfasser an, dass die auffallend rasche und
günstige Wirkung der Phosphortherapie speziell auf die darniederliegende Bewegungs¬
fähigkeit des Rachitikers, möglicherweise auf einen frühzeitig günstigen Einfluss des
Phosphors auf die Muskelfunktion binweist, noch bevor eine Beschleunigung der
Verknöcherung möglich ist. Wieland .
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Handbuch der Geburtshilfe.
Von V. Winkel . I. Bd. 2. Hälfte. Wiesbaden 1904, J. Bergmann. Preis Fr. 19. 25.
II. Bd. 1. Hälfte. Wiesbaden 1904, J. Bergmann. Preis Fr. 19. 50.
Die grosse Bedeutung dieses vortrefflichen Handbuches und den grossen Nutzen des¬
selben für den erfahrenen praktischen Geburtshelfer, sowie für den praktischen Arzt über¬
haupt, haben wir schon bei der Besprechung des I. Bandes, 1. Hälfte, hervorgehoben.
Trotzdem mochten wir es an dieser Stelle beim Erscheinen der obenerwähnten zwei
Bände nochmals ausdrücklich bervorhebon, dass die beiden neuen Bände, welche in
Monographien die Physiologie und Diätetik der Schwangerschaft, Geburt und des Wochen¬
bettes, sowie die Pathologie und Therapie der Schwangerschaft umfassen, zum Besten und
Vollständigsten gehören, was wir auf diesem Gebiete besitzen. Walthard (Bern).
Die Fruchtabtreibung durch Gifte und andere Mittel.
Von L. Lettin. Ein Handbuch für Aerzte und Juristen. Zweite umgearbeitete und ver¬
mehrte Auflage. Berlin 1904, August Hirschwald.
lieber den Inhalt und die Bedeutung dieses Werkes ist bei Besprechung der ersten
Auflage im Jahrgang XXIX, 1899, Seite 758 gesprochen worden.
Wir unserseits möchten dieses interessante Buch, das seiner Vollständigkeit halber
wirklich den Namen eines Handbuches für dieses wichtige Kapitel verdient, namentlich
allen denen Herren Kollegen empfehlen, welche Gelegenheit haben, sich in foro über Frucht¬
abtreibungsfragen auszusprechen. WaUhard (Bern).
Geburtshilflicher Operationskurs.
Von Döderlein. Sechste Auflage. Leipzig 1904, Georg Tbieme. Preis Fr. 5. 35.
Kaum sind zwei Jahre verstrichen, seit dem Erscheinen der fünften Auflage dieses
vorzüglichen Leitfadens und schon ist der Verfasser genötigt, uns eine sechste Auflage
darzubieten. Dies allein würde genügen, um zu zeigen, wie beliebt der Döderlein 'sehe
Operationskurs seit seinem Erscheinen geworden ist.
Wir möchten unserseits auch noch darauf aufmerksam machen, dass neben alleu
den Vorzügen, welche aus früheren Auflagen in diesem Blatte erwähnt wurden, die sechste
Auflage eine völlige Umarbeitung der Auffassungen über die Ursachen des GeburtsmOcha-
nismus erfahren hat.
Hier ist eine Beigabe, welche für denjenigen, der die natürlichen Vorgänge zu
beurteilen, resp. bei der Zange oder Extraktion am Beckenende möglichst naturgemäss
nachzuahmen hat, von grösstem Werte ist.
Es empfiehlt sich deshalb der Döderlein 'sehe geburtshilfliche Operationskurs in seiner
neuesten VI. Auflage ganz besonders für die Herren Kollegen und keineswegs nur
für Studierende. WaUhard (Bern).
Die Neurologie des Auges.
Von Wübrand und Sänger . Bd. III. Abt. 1. 474 Seiten. Mit 190 Textabbildungen
und 110 Figuren auf 26 Tafeln. Wiesbaden 1904, J. F. Bergmann. Preis Fr. 24. 80.
Der vorliegende Band beschäftigt sich mit den anatomischen und physiologischen
Beziehungen der optisohen Bahnen und Zentren. In 16 Kapiteln kommen die Anatomie
der Netzhaut, des orbitalen Teiles des Sehnerven, der spezielle Faserverlauf im Opticus,
das Chiasma, der Traetus, die primären Opticuszentren, die Sehstrahlung und die Seh¬
rinde, dann der Ort des Energienmsatzes in der Retina, der Verlauf der Erregung in
der Netzhaut, durch die optische Nervenfaserleitung bis zu den primären Zentren, durch
die primären Opticuszentren, durch die Sehstrahlungen, durch die Sehsphäre und endlich
durch das optische Erinnerungsfeld zur Sprache.
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Auch hier muss wieder die erstaunliche Belesenheit — das Literaturverzeichnis
fährt nicht weniger als 809 Nummern auf —, sowie die feine kritische Sichtung des
zum Teil ungemein schwierigen Stoffes hervorgehoben werden. Ausgezeichnete Abbildungen
tragen viel zur Belebung und zum leichtern Verständnis des Textes bei. Wir erwarten
mit grosser Spannung die 2. Abteilung, wo den Verfassern reichliche Gelegenheit gegeben
sein wird, ihr ohne Zweifel grossartiges pathologisches Material in originellster Weise zu
verwerten.
Für die prachtvolle, des Textes würdige Ausstattung des Buches gebührt der Ver¬
lagsbuchhandlung noch ganz besondere Anerkennung. Hosch .
Alte Schweizer Trachten.
18 Farbendrucke iu Mappe. Verlag von Stämpfli & Cie., in Bern. Fr. 12. 50.
Vor uns liegt ein schönes Werk von nationalem Charakter aus dem Gebiete der
schweizerischen Malerei, das es wohl verdient, die Aufmerksamkeit unserer Herren
Kollegen in allen Gauen unseres Landes auf sich zu ziehen.
Wer anders hätte heute mehr Gelegenheit, sich für die Eigentümlichkeiten seines
Volkes zu interessieren als der Arzt.
Die vorliegende Sammlung, im farbenprächtigen Buntdrucke hergestellt, illustriert in
vorzüglicher Weise Physionomie und Kleidung unserer Vorfahren aus dem Anfang des
letzten Jahrhunderts an der Hand von wirklichen Typen aus dem Volke, die uns in voller
Lebensfrische entgegenschauen.
Das Werk ist eine Wiedergabe von 18 der charakteristischsten Bilder aus der im
Berner Kunstmuseum aufbewahrten schweizerischen Trachtensammlung, welche der Luzerner
Maler Joseph Reinhard im Anfang des 18. Jahrhunderts auf Wunsch seines Msecens
J. R. Meyer aus Aarau malte, und zu welchem Zwecke der Maler damals im ganzen
Schweizerlande herumreiste, um naturwahre Typen zu porträtieren.
Die 18 Farbendrucke hat der Verlag Stämpfli & Cie. in Bern auf starkem Karton
hergestellt; sie erscheinen in 6 Lieferungen zum billigen Preise von Fr. 2.— (komplett
in Mappe Fr. 12.50) und werden jedem Freunde altschweizerischer Zustände grosse
Freude bereiten.
Sie eignen sich ausserdem, wenn eingerahmt, als charakteristischer Wandschmuck
im Zimmer, im Style des letzten und vorletzten Jahrhunderts. W.
Krankheiten und Ehe.
Darstellung der Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen und Ehegemeinschaft, ln
Verbindung mit Abelsdorf\ Blumreich , Eberstadt , Eulenburg, Ewald , Für bringet', Gruber ,
Haselburg , Hoffa, Kossmann , Kraus , Ledermann , A. Leppmmn , F. Leppmann , v. Leyden ,
Mendel , Moll , Neisser , Orth , Placzek, Posner , Richter , Rosin , Wolff bearbeitet und herauB-
gegeben von Senator und Kammer . II. und III. Abteilung, München, Lehmann 1904.
Preis des ganzen Werkes geheftet Fr. 24. —, gebunden Fr. 26. 70.
Die erste Abteilung des Buches wurde in Nr. 14, S. 483 des Corr.-Blattes 1904
besprochen, die II. und III. sind nun erschienen und damit ist das Werk zum Abschluss
gebracht. Was damals lobend erwähnt wurde, gilt auch für das Ganze.
Das wichtigste Kapitel der 2. Abteilung ist das über Tuberkulose, in wel¬
chem die üblichen Regeln über das Zusammenleben Kranker mit Gesunden gegeben
werden. Die häufige Ausübung des Beischlafs schadet dem Tuberkulösen, bei Tuberku¬
lose der Genitalien ist er höchstens mit Condom gestattet. Die Einleitung des künstli¬
chen Abortes bei Tuberkulose der Frau, um den Verlauf des Leidens aufzuhalten, ist
berechtigt, aber nicht in der Allgemeinheit, wie es Maragliano will, sondern nur in be¬
stimmten Fällen, die künstliche Frühgeburt dagegen ist nur bei drohendem Tode der
Mutter vorzunehmen.
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Die übrigen Kapitel dieser Abteilung werden weniger interessieren, weil die darin
besprochenen Erkrankungen nicht die gleiche praktische Bedeutung besitzen. Was z. B.
über die Erblichkeit der Kurzsichtigkeit gesagt wird, ist theoretisch ganz lehrreich, aber
wie selten wird man in die Lage kommen, einen diesbezüglichen Rat zu erteilen.
Viel wichtiger ist die III. Abteilung, deren Umfang auch ungefähr das doppelte be¬
trägt. Das ergibt sich schon aus den Ueberschriften der einzelnen Kapitel, nämlich 16.
Hautkrankheiten und Ehe, 17. Syphilis und Ehe, 18. Trippererkrankungen und Ehe, 19.
Erkrankung der tiefem Harnwege, physische Impotenz, 22. Frauenkrankeiten, Empfängnis-
Unfähigkeit, 21. Nervenkrankheiten, 22. Geisteskrankheiten, 23. perverse Sexualempfindung,
psychische Impotenz, 24. Alkoholismus, Morphinismus, 25. Gewerbliche Schädlichkeiten,
26. Aerztliches Berufsgeheimnis, 27. Sozialpolitische Bedeutung der sanitären Verhältnisse der
Ehe. Der grösste Teil des darin enthaltenen betrifft wichtige Dinge des täglichen Lebens.
Da es nicht tunlich ist, auf alles einzugehen, möge nachstehendes gewissennassen als
Probe dienen.
Syphilis ist kein Scheidungsgrund, denn sie lässt sich nicht unter die vom deut¬
schen Gesetze genannten absoluten und relativen Scheidungsgrfinde subsumieren. Da¬
gegen kann sie ein Grund zur Anfechtung der Ehe sein, denn ein Gatte ist über die
Eigenschaften des andern getäuscht worden, wenn man ihm die Erkrankung verheimlicht hat.
Der Wöchnerinnenschutz soll insofern ausgedehnt werden, als statt des
halben der ganze Tagelohn ausbezahlt wird.
Zeugnisverweigerung des Arztes in einer Ehescheidungsklage wurde vom
hanseatischen Obergericht verurteilt, vom Reichsgericht jedoch gutgeheissen. Der Arzt hätte
bezeugen sollen, dass er den Mann an einer als unheilbar geltenden Krankheit behandelt
habe. Playfair wurde zu 240,000 Mk. Entschädigung verurteilt, weil er den Abort einer
Patientin, der auf ausserehelicher Konzeption beruhte, nicht geheimgebalten, sondern vor
der betreffenden Person gewarnt hatte. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das eng¬
lische Gesetz keine Verschwiegenheitspflicht des Arztes kennt.
Das Buch ist gut geheftet, ein Lob, das man nicht allen deutschen Publikationen
erteilen kann. Alfred Gcenner.
Kantonale Korrespondenzen.
GranbAnden. Dr. med. Pani Bernhard, t Am 15. Juni 1904, einem reg¬
nerischen trüben Tage, bewegte sich durch die Strassen Chur’s ein grosser Leichenzug.
Die grosse Zahl der Leidtragenden, der reichgeschmückte Sarg und Leichenwagen legten
beredtes Zeugnis ab, dass die sterbliche Hülle eines allgemein beliebten und geachteten
Mannes zur letzten Ruhestätte begleitet wurde. Unser lieber Freund und Kollege, Dr.
med. Paul Bernhard , Augenarzt in Chur hatte nach langem schwerem aber geduldig er¬
tragenem Leiden am 13. Juni seine müden Augen für immer geschlossen. Geboren zu
Chur am 20. September 1862 als Sohn des Bürgermeisters und Verhörrichters Bernhard
und der Engelina Caviezel, einer trefflichen Mutter, besuchte derselbe die städtischen
Schulen, trat 1875 in das Gymnasium der Graubündnerischen Kantonsschule ein und er¬
warb sieh schon damals durch sein gewecktes, sicheres Auftreten zahlreiche Freunde,
welche ihm bis zu seinem Ende treu ergeben waren. Als flotter fröhlicher Turner war
er ein geschätztes Mitglied des Kantonsscbüler-Turnvereins, zu dessen Ehrenmitglied er
ernannt wurde. Im Jahre 1881 absolvierte er das Gymnasium, um sich dann auf
den Universitäten Zürich, München, Strassbnrg dem medizinischen Studium zu widmen.
Sein klarer Geist, sein fröhlicher gesunder Humor, sein goldlauterer Charakter ver¬
schafften ihm auch auf der Universität zahlreiche Freunde und bildete den Mittelpunkt
des fröhlichen studentischen Lebens wie der ernsten wissenschaftlichen Arbeit. Gut vor¬
bereitet machte er am 21. November 1887 zu Zürich das medizinische Staatsexamen,
ging dann für zwei Jahre nach Lausanne an die Augenklinik von Prof. Dr. Dufmr , wo
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er, angeregt durch den trefflichen Lehrer und Meister, den Entschluss fasste, döfinitiv
sich der Augenheilkunde zu widmen. Nach Zürich zurückgekehrt, arbeitete er an der
Zürcher Augenklinik von Prof. Dr. Haab und doktorierte unter dessen Aegide über:
„Gesichtsfeldstörungen und Sehnervenveränderungen bei Neurasthenie und Hysterie/
Zu Ostern 1890 etablierte sich Kollege Bernhard in seiner Vaterstadt öhur als
Spezialarzt für Augenkrankheiten und hatte sich sehr rasch eine umfangreiche Praxis er¬
worben, welcher er sioh mit Freuden und grosser Hingebung widmete ; rasch wurde er auch
über die Grenzen unseres Kantons hinaus als tüchtiger, zuverlässiger Augenarzt bekannt. Er
war ein guter Diognostiker, ein guter Operateur, aber niemals hörte man ihn über seine Opera¬
tionen, seine Diagnosen oder seine Erfolge sprechen; nichts ärgerte ihn mehr als eigenes Lob.
Selbstredend war er auch bestrebt, mit den Fortschritten der allgemeinen Medizin, insbe¬
sondere mit seinem Spezial fache Stand zu halten und orientierte sieh stets über die
neuesten Fortschritte desselben. In den Musestunden widmete er sich auch der allge¬
meinen Literatur, in der er vortrefflich zu Hause war; das Gelesene verarbeitete er
durch tiofes Denken. „Und da gab es denn keine edlere Erholung/ sagt ein intimer
Freund, „als im trauten Kreise aus seinem Munde ein Urteil zu hören über die ernstesten
Dinge, die unser Dasein bewegen. Mit gleichem Interesse, mit gleicher Gründlichkeit
wusste er sich mit religiös-philosophischen Themata zu befassen, wie mit den wichtigsten
Tagesfragen/
lm Jahre 1891 hatte sich der junge Praktiker seinen eigenen Hausstand gegründet,
indem er sich mit Fräulein Hedwig Gamser vermählte, welche ihm als treue, aufopfernde,
liebevolle Gattin ein behagliches Heim bereitete. Der glücklichen Ehe entsprossen drei
Mädchen, von denen aber das Aelteste im Alter von zwei Jahren verstarb.
Schon seit mehreren Jahren hatte den einst so gesunden, kräftigen jungen Mann
ein schleichendes Lungenleiden in seinem Berufe gestört und ihn gezwungen, zeitweise
Ferien zu machen. Kuren in Heustrich, Wiesen, Davos vermochten das Leiden nicht zu
heilen und über seinen somatischen Zustand gut orientiert, konnte sich Dr. B. dennoch
nicht entschliesseu, seine Praxis aufzugeben, um einzig seiner Gesundheit zu leben. Mit
heroischer Energie und bewunderungswürdiger Ruhe ging er, zeitweise von starker
Dyspnoe geplagt, seinen Berufs pflichten nach und machte noch acht Tage vor seinem Tode
eine StaarOperation. Ein plötzlicher Anfall von heftigster Athemnot warf ihn ins Bett,
welches er lebend nicht mehr verlassen sollte. Allzufrüh, mitten in seiner Arbeit schied
er von uns, der Grosses hätte leisten können ! Ruhe sanft, lieber Freund, uns Allen
wirst du unvergesslich sein ! Ed. Schmid-Florinet , prakt. Arzt.
W oohenberioht.
Schweiz.
— Wenige Tage vor Jahresschluss hätte Prof. KrSalela-ZIrtah sein 25jähriges
Professorenjubiläum feiern können. Wenn auch, dem schlichten Sinn des Jubilaren ent¬
sprechend, jede Feier unterblieb, so seien doch an dieser Stelle dem verehrten aka¬
demischen Lehrer die herzlichsten Glückswünsche der Schweiz. Aerzte dargebracht.
— Zur KraakeBverslehernBfsfrage. Kürzlich brachten die Tagesblätter die
Nachricht, dass das Zentralkomite der schweizerischen Krankenkassen in Bern eine Sitsung
gehabt und auf die Ausführung der Initiative verzichtet habe.
Nach der neuon Glarner Zeitung ist diese Meldung insofern zu berichtigen, indem
nur „vorläufig“ auf die Inszenierung der Initiative verzichtet wurde.
„Aus bester Quelle“ lagen Mitteilungen vor, aus denen hervorgeht, dass der Bun¬
desrat — auch Herr Forrer miteingeschlossen — in neuester Zeit sich geneigt zeigt, den
Oltener Beschlüssen entgegenzukommen. Indem Herr Dr. jur. Oöresole, ein Sohn des
einstigen Bundesrates Ceresoie, mit der Ausarbeitung eines sachbezüglichen Gesetzes be¬
traut wurde, soll seit Anfang November die Frage der Kranken- und Unfallversicherung
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energisch an die Hand genommen sein. Schon habe der Bundesrat drei Sitzungen aus¬
schliesslich dieser Frage gewidmet. Dabei wurde darauf verzichtet, wieder eine eidg.
Anstalt ftir die Krankenversicherung zu schaffen; statt dessen nimmt das in Arbeit be¬
findliche Gesetz Unterstützung der bestehenden Krankenkassen durch den Bund in Aus¬
sicht. Das Obligatorium ist von Buudeswegen fallen gelassen, es wird den Kantonen
überlassen, ob sie dasselbe einführen wollen oder nicht. Ebenso sind aber auch eine
Reihe anderer Fragen den Kantonen zur Entscheidung anheimgestellt. Infolgedessen steht
denn auch nicht wieder ein Gesetz von 450 und mehr Paragraphen in Aussicht, sondern
ein ganz kurzes Gesetz von 40 bis 50 Artikeln, das die Bestimmungen feststellt, unter
denen die bestehenden Krankenkassen von Seiten des Bundes unterstützt werden. Als
solche Bedingung wird vor allem die Freizügigkeit festgelegt; überdies die staatliche
Kontrolle, die verhindern soll, dass nicht Kassen ohne Ueberlegung in den Tag hinein
leben und dann plötzlich ihren Verpflichtungen nicht mehr genügen können. Es würde
sonach die Krankenversicherung ungefähr in dem Sinne geregelt, wie dieses vor vier
Jahren von den Glarner Krankenkassen gewünscht wurde. Das zu erwartende Gesetz
wäre nicht sowohl ein Krankenversicherungsgesetz, als vielmehr ein Gesetz betreffend
Subventionierung der bestehenden Krankenkassen durch den Bund. Aber auch für die
„unentgeltliche Arznung* sollen Bundesbeiträge in Aussicht genommen sein.
Da diese Entscheidungen des Bundesrates ein Entgegenkommen gegenüber den Po-
stulaten der bekannten Oltener-Versammlung bedeuten, verzichtete der Ausschuss des
Zentral Vereins letzten Donnerstag allerdings darauf, in diesem Moment über die Initiative
Beschluss zu fassen, um erst abzuwarten, ob die gemachten Mitteilungen sich als zuver¬
lässig erweisen.
Da aber immerhin noch gewisse Zweifel bestehen, ob der Bundesrat auch wirklich
und definitiv in dem bezeichneten Masse den Wünschen der Oltener-Versammlung entge-
genkommt, findet nach der am 16. Oktober getroffenen Abrede Ende April eine weitere
Sitzung des Zentralkomit6s statt. Ob dannzumal definitiv auf die Initiative verzichtet
wird, wird davon abhangen, ob die Arbeit des Bundesrates in der Zwischenzeit in ge¬
wünschter Weise vorschreitet. Deshalb wurde auch beschlossen, vom Bundesrat bis Ende
Februar eine offizielle Mitteilung über den Stand der Angelegenheit zu verlangen.
— Die Schattenseiten der Verelehernng. Nach und nach scheint man in Kran¬
kenkassenkreisen die Vorteile der Krankenpflegeversicherung gegenüber einer blossen
Krankengeldversicherung auch einzusehen. Wir finden wenigstens unter obiger Aufschrift
einen Artikel im Zofinger Tagblatt (14. Nov. 04) mit folgender Bemerkung:
Die fatale Verzögerung, welche die eidgen. Versicherungsprojekte bei uns erleiden,
hat wenigstens das Gute, dass wir uns indessen in anderen Staaten umschauen und
beobachten können, welche Erfahrungen man dort mit der Versicherung macht. Wir
brauchen aber nicht nach Deutschland zu gehen, um zu erfahren, dass alle Aussichten
auf Geldempfänge zur Simulation, d. h. fälschliche Vorgabe von Krankheiten, führen.
Diejenigen Krankenkassen, welche nur bare Geldunterstützung gewähren, machen, sobald
sie ein höheres Krankengeld gewähren als der ortsübliche Lohn beträgt oder ein annä¬
hernd so hohes Krankengeld, die trübsame Erfahrung, dass viele Kassenmitglieder finden,
es sei bequemer krank zu sein, als zu arbeiten, da man doch mindestens den Lohuaus-
fall zurückbezahlt erhält. So wird denn auch konstatiert, dass seit der Einführung der
obligatorischen Krankenversicherung die Zahl der Betrügereien der Kasse durch Simulation
erheblich zugenommen hat. Hier gibt es neben einer scharfen Kontrolle nur eine Gegen¬
wehr, und die ist, dass die Kasse das Hauptgewicht auf Gewährung von freier ärztlicher
Verpflegung und Arznei legt und daneben noch ein bescheidenes Krankengeld gewährt.
— Ueher die Ursachen und die Verkling der 8lngllngssterbll€hkelt hat im
Verlage von C. F. L e n d o r f f in Basel Dr. E. Wieland , Dozent für Kinderheilkunde,
soeben eine populäre Broschüre erscheinen lassen. Der Zweck der fesselnd geschriebenen
Flugschrift ist die Propaganda für das immer mehr im Abnehmen befindliche Selbst-
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stillen. Dass diese Propaganda der Unterstützung aller Einsichtigen, und dazu gehören
vor allem die Aerzte und die durch eie belehrten Hebammen und Kinderpflegerinnen,
dringend bedarf, darüber braucht man keine Worte zu verlieren. Angesichts der zunehmenden
Ueberschwemmung des Marktes mit künstlichen sogenannten Ersatzmitteln der Muttermilch
und ihrer krassen Anpreisung durch die Industrie ist es dringend notwendig, dass das
Publikum immer von neuem wieder auf die Unersetzlichkeit der Muttermiloh aufgeklärt
werde. Wenn auch nicht durch lange Monate, so könnte doch bei gutem Willen häufig
in den ersten Wochen, eventuell mit Unterstützung der künstlichen Beinahrung die Mut¬
terbrust gereicht werden. Damit wäre aber schon viel gewonnen, denn einerseits ist
erfahrungsgemäss ein grosser Prozentsatz der chronischen Magen-Darmstörungen im Säug¬
lingsalter auf un zweckmässige Ernährungs versuche in den ersten Wochen zurück zu führen.
Andererseits haben biologische Untersuchungen der letzten Jahre wahrscheinlich gemacht,
dass durch die Frauenmilch dem Säugling neben den Nährstoffen im engeren Sinne noch
andere vielleicht ebenso wichtige fermentartige antitoxisch und antibakteriell wirkende
Substanzen einverleibt werden. Wieland spricht daher mit Recht dem in Frankreich viel
geübten Allaitemeut mixte das Wort. — Der Preis der lesenswerten Broschüre beträgt
70 Cts. Bemheim.
Ausland.
— Der 34. Kongress der deutschen Gesellschaft Ar Chirurgie findet unter dem
Vorsitze Krönlein's vom 26.—29. April 1905 im Langenbeckhause in Berlin statt. An¬
kündigungen von Vorträgen und Demonstrationen sind bis zum 11. März d. J. an den
Vorsitzenden (Fluntern-Zürich) zu richten.
Für die Diskussion sind folgende Themata in Aussicht genommen:
1. Ueber die Grösse der Unfallsfolgen bei unblutiger und blutiger Behandlung der
subkutanen Querfraktur der Patella.
2. Zur Perityphlitisfrage: Ueber den günstigsten Zeitpunkt des operativen Ein¬
schreitens.
3. Ueber Vorkommen, Ursachen und Verhütung der postoperativen Pneumonien
nach Bauchoperationen.
4. Welche Indikationen, resp. Kontra-Indikationen sind für die Nephrektomie, ins¬
besondere bei Nierentuberkulose auf Grund der neuesten Erfahrungen bei Verwertung der
funktionellen Nierendiagnostik aufzustellen?
— Asehaflfonbnrger Rffntgenknrse. Vor kurzem wurde in Aschaffenburg der 13.
Röntgenkurs für Aerzte abgehalten. Unter den 22 Teilnehmern waren drei Schweizer.
Alle ohne Ausnahme haben aus dem oben beendeten Kurse den besten Eindruck mitge¬
nommen. Kollegen, die noch keine Kenntnis von diesen Kursen haben, seien hiemit au«
gelegentlich darauf aufmerksam gemacht. Herr Med.-Rat Dr. Roth, Landgerichtsarzt zu
Aschaffenburg, der die Kurse leitet, gibt allen Interessenten bereitwillig jede gewünschte
Auskunft.
Der Unterricht selbst, der 4—5 Tage in Anspruch nimmt, wird von Herrn Inge¬
nieur Fr. JDessauer (physikalisch-technische Grundlagen) in vorzüglicher Weise erteilt.
Die Herren DDr. Wiessner und Metsen demonstrieren das Aufnahmeverfahren, die Durch¬
leuchtungen, das orthodiographisohe Verfahren, die Anwendung der X-Strahlen zu thera¬
peutischen Zwecken und die ganze Entwickelung des Röntgen Verfahrens in typischen
Bildern. Selbständige praktische Uebungen des Einzelnen bilden den Schluss. Die
nächsten Kurse finden am 2. Februar bezw. am 24. März 1905 statt.
Zürich, den 16. Dezember 1904. Dr. Karl Schüler .
— Der 22 . Kongress Ar innere Medizin findet vom 12.—15. April 1905 zu
Wiesbaden statt unter dem Vorsitze des Herrn Geheimrat Erb (Heidelberg).' Als Ver¬
handlungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt: Ueber Vererbung. 1. Re¬
ferat: Ueber den derzeitigen Stand der Vererbungslehre in der Biologie: Herr 27. F. Ziegler
(Jena), 2. Referat: Ueber die Bedeutung der Vererbung und der Disposition in der Pa-
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thologie mit besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose: Herr Martins (Rostock). Vor¬
träge haben angemeldet: Herr A. Hoffmann (Düsseldorf): Ueber Behandlung der Leukämie
mit Röntgenstrahlen; Herr Paul Krause (Breslau): Ueber Röntgenstrahlenbehandlung der
Leukämie und Pseudoleukämie; Herr Schüfe (Wiesbaden): Untersuchungen über die Schleim¬
sekretion des Darmes; Herr M. Malihes (Jena): Ueber Autolyse; Herr Clemm (Darm-
-stadt): Ueber die Bedeutung der Heftpflasterstützverbände für die Behandlung der Bauch¬
organe.
Mit dem Kongresse ist die übliche Ausstellung von Instrumenten, Apparaten und
Präparaten, soweit sie für die innere Medizin von Interesse sind, verbunden.
Anmeldungen von Vorträgen und für die Ausstellung sind zu richten an Geheimrat
Dr. Emil Pfeiffer , Wiesbaden, Parkstrasse 13.
— Die Hefbaaer-Stiftung m Hermannswerder Im Jabrd 1901 trat die nach
ihren Stiftern, dem Ehepaar Hoffbauer benannte Hoffbauerstiftung zu Hermannswerder
bei Potsdam ins Leben. Neben dem Krankenhause, welches Kranken jeden Standes und
jeder Konfession offen steht, bilden den weitern Hauptteil der Stiftung die grossen Wai-
senhäuser, in welchen verwaiste und halbverwaiste Mädchen evangelischer Konfession aus
gebildeten Ständen, vorzugsweise aus dem Kreise von Fabrikanten, Kaufleuten und
A e r s t e n von frühestem Alter an Aufnahme finden können. Die Kinder empfangen die
Schulbildung in einer eigenen höheren Töchterschule, nach deren Absolvierung sie noch
3 Jahre in der Anstalt, welche ihnen eine zweite Heimat sein soll, verbleiben. Die
Begabten besuchen, wenn sie Neigung dazu haben, das Lehrerinnenseminar zunächst in
Potsdam, nach einigen Jahren das eigene der Anstalt. Die übrigen werden in der Fort¬
bildungsschule der Stiftung in den hauswirtschaftlichen Fächern ausgebildet; die dazu
geeigneten Mädchen werden dahin gebracht, dass sie die Prüfung als Lehrerinnen an
Haushaltungssohulen oder als Erzieherinnen I. Klasse ablegen, andere wieder finden die
Ausbildung in kaufmännischen Fächern zu Buchhalterinnen, auf der Handelsschule in
Potsdam. Denen, welche Neigung zum Schwesternberuf haben, steht das Diakonissen-
mutterhaus der Stiftung offen. Nie wird bei der Wahl des Berufes ein Dreck ausgeübt.
Wenn die Mädchen im durchschnittlichen Alter von 18—19 Jahren die Anstalt verlassen,
sollen sie imstande sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Gefordert wird von den Kindern ein jährliches Pflegegeld von 300 Mk., das für
die vor dem 6. Lebensjahre stehenden auf 150 Mk. ermässigt ist. Dafür erhalten die
Zöglinge in der Anstalt alles ausser einer kleinen einmaligen Ausstattung, welche beim
Eintritt mitzubringen ist. (Münch, med. W. Nr. 47)
Eine derartige Anstalt ist nicht nur in Deutschland ein Bedürfnis; bei uns auch
würde sie von vielen als eine Wohltat empfunden. Manchem frühzeitig und mit unerzo¬
genen Kindern sterbenden Kollegen wäre der Gedanke, dass für seine Kinder gesorgt
ist, eine Beruhigung und ein Trost.
— Behandlaag des Lapis vulgaris nach Sequeiro. Die Exzision des Herdes ist
die beste Methode, doch ist die Grösse der erkrankten Stelle oft eine Kontraindikation
für diesen radikalen Weg. Insbesondere im Gesicht entstehen hässliche Narben und nur
48°/o der Fälle bleiben nach der Operation ohne Rezidiv. Das Hauptfeld der Exzision
ist* der Stamm und die Glieder. Häufig ist Transplantation nach Thiersch nötig. Die
Auskratzung ist unzwcckmässig, weil dabei sehr oft die tiefer gelegenen kranken Ge-
webspartien unberührt bleiben und zu Rückfällen Veranlassung geben; die Narben dar¬
nach sind sehr hässlich. Die Auskratzung rechtfertigt sich nur bei luxorierenden fungösen
Geweben. Lupus der Schleimhäute ist nach Sequeiro am besten mit Pyrogallussäure 10°/o
oder mit konzentrierter Kalinmpermanganatlösung zu behandeln. Diese Behandlung ist
jedoch langwierig und schmerzhaft. Bei Gesichtslupus ist die Behandlung nach Finsen
die beste Methode. Es müssen aber die Randpartien der kranken Stelle und die aller¬
nächste Umgebung sorgfältig bestrahlt werden, weil hier häufig Knötchen sind, die dem
freien Auge unsichtbar sind. Die weiehe, zarte Narbe ist sehr schön. Die Lampen mit
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Konzentration der ultravioletten Strahlen sind in ihrer Tiefenwirkung noch unzuverlässig.
Die Finsenbehandlung ist allen anderen Methoden gegenüber als die kostspieligste zu be¬
zeichnen. Die Röntgenstrahlen sind für ausgebreiteten Lupus vulgaris sehr brauchbar,
jedoch ist oft ein Rezidiv zu befürchten. Bei unvorsichtiger Handhabung entstehen schwere
Dermatitiden, die mit teleangiektatischen Narben verheilen. Die Narben sind oft der
Sitz eines beständigen Reizes, selbst Epitheliome sind danach beobachtet worden. Skari-
fikation erzeugt eine schone glatte Narbe, ist jedoch sehr langwierig und nur bei ober¬
flächlichem Sitz anwendbar. Die Erythrosinbehandlung nach Dreyer (Injektion einer
0,2°/o igen Lösung) ist sehr schmerzhaft, die Methode ist auch nooh nicht genügend erprobt,
um ein Urteil abgeben zu können. Radium wurde bisher nur bei Fällen an der Mukosa,
besonders der Nasenschleimhaut, angewendet. Der Erfolg war gut. Gegen die Hooh-
frequenzströme scheint sich Lupus refraktär zu verhalten.
Als Zusammenfassung gibt 8. folgendes Schema: Bei mässiger Ausdehnung des
Lupus im Gesicht Finsenbehandlung ; wenn die Oberfläche exulceriert ist, zuerst Röntgen¬
strahlen; wenn schwartige Massen vorhanden sind, Aetzung mit einer der früher ange¬
gebenen Säuren ; für Lupus der Mukosa X-Strahlen, Radium oder Aetzung; für Lupus
des Stammes oder der Glieder Exzision eventuell mit Plastik; bei ulcerösen Stellen zuerst
X-Strahlen. Nur für weit ausgedehnten Lupus empfiehlt sich ein Versuch mit Tuber*
kulininjektion. (Brit. medic. journ. Okt. 04. Wien. klin. W. No. 48).
— Aktiaemykese der Teaslllen von L. Ttevenot. Das Vorhandensein eines akti-
nomykotischen Herdes in der oberen Halsregion lässt gewöhnlich an eine von den Zähnen
ausgehende Infektion denken ; eines der wichtigsten und frühzeitigsten Symptome bildet der
Trismus und wirklich gelingt es meistens, einen oder den anderen schadhaften Zahn als
Eingangspforte für den Pilz aufzufinden. Ein von Thtvenot beobachteter Fall lässt jedoch
mit Sicherheit den pharyngo-tonsiHären Ursprung der Infektion annehmen. Ein 48 jähriger
Landwirt erkrankte 6 Monate vor der Spitalaufnahme an einer rechtseitigen eitrigen Aflektion
der Tonsille, an die sich eine unregelmässige, bläulich gefärbte, schmerzlose Schwellung unter
dem gleichseitigen Unterkieferwinkel anschloss. Bei Eröffnung der erweichten Partien ent¬
leerte sich Eiter mit Aktinomyoesrasen. Die Tonsille zeigt narbige Stellen einer abge¬
laufenen Entzündung. Dass die Tonsillen die Eingangspforte für allerlei Bakterien dar¬
stellen, ist längst bekannt; für den Strahlenpilz konnte dies hingegen nur an ganz ver¬
einzelten Fällen nachgewiesen werden. (Gaz. des höpit. 27. Sept. Wien. klin. W. No. 48).
— Zar Abwehr gegen anHrlagllehe Reklame. Ein Arzt erhielt vor kurzem eine
Postsendung mit 150 Cigarren, welche nicht bestellt waren, samt Rechnung von 15 Mark.
Der Absender schrieb hinzu: Sie haben mir zwar keine Cigarren bestellt, ich er¬
laube mir dennoch, Ihnen solche zu senden in der Ueberzeugung, dass Ihnen dieselben
vorzüglich schmecken werden.
Der Arzt versuchte die Ware, fand in der Tat die Cigarren vorzüglich, verrauchte
sie zu Ende und schickte hernach dem Händler fünf Rezepte zu je 3 Mark mit folgender
Bemerkung: Sie haben zwar keine Konsultation von mir verlangt, ich erlaube mir den¬
noch Ihnen beiliegende Verordnungen zu senden, in der Ueberzeugung, dass Sie damit
sehr zufrieden sein werden. Wollen Sie gleichzeitig den Betrag zum Ausgleichen Ihrer
Rechnung verwenden.
— Gleitmittel für Katheter, Beugles u. s. w. nach Dr. Strauss. 1,5 gr. Traganth
werden mit 50,0 gr Wasser verrieben und dann 50,0 gr Glyzerin hinzugefügt; darauf
wird das Gemisch behufs Sterilisierung erhitzt und 0,2 Quecksilberoxycyanid zugesetzt.
Die Mischung ist dick, ölig, reizlos, greift die Instrumente nicht an, macht sie überaus
schlüpfrig. (Pharm. Zentralhalle No. 51).
Briefkasten.
Das Aerzte-Album dankt für die Photographien von f Kollegen : Heiler, Menzi und Bernhard.
Schweighanserische Bachdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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Erscheint am 1. and 15.
jedes Monats.
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35 Cts. die gesp. Petitzeile.
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Schweizer Aerzte
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs:
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 16. — für das Ausland.
9 Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. E. Haffler und Prof« A. Jaquet,
in Frauenfeld. in Basel.
NJ 4. XXXV. Jahrg. 1905. 15. Februar.
lahftlts 1) Ori gi n al arbeiten: Dr. Alfted Martini ü#ber Blutdruck und BlutdraoknuMsnng. — Dr. 8todter: Eine
Belltdonnarergiftnng. — i) Vereinabariohta: Meditiniaobe Geselleebaft Beee). — Geaellaebaft der Aeret« in Zftrloh. —
8) lta ternte nnd Kritiken: L Testut et 0. Jacob: Traitd d'anatomie topograpbiqne, »ree applieation« mAdico-ehimrgi-
ealaa. — Paul Röthig: Handbuch der embrjrologiaehen Technik. — Th. Ziehen: Mukroekopiecbe nnd mikroekopbehe Anatomie
des Gehirne. — U Michaelis: Kompendium der Entwicklungagescbichte dee Menschen. — C. J. Bberth: Die männlichen Ge-
achlecbteorgmne. — Prof. Rud. Fick: Anatomie nnd Mechanik der Gelenke. — Wilh. Stockmannr Gnmmiknoten im Hendleiecbe. —
Prof. Dr. Hermann Bichhoret: Handbnob der epesiellen Pathologie nnd Therapie innerer Krankheiten. — Prof. Dr. Julme
Schmdbe: Grundriss der praktischen Medisin. - Prof. Dr. H. Bichhoret: Das Hers im geannden nnd kranken Zustande. —
Ad. Schmidt und J. Straeburgert Die F»cee dee Menschen. — Dr. B. H. Oppenheimert Theorie nnd Praxis der Augenglieer. —
Dr. A. Sen»: Erfahrungen über Sobkonjunktivaltherapie. — Dr. Felix Klemperer: Lehrbuch der klinischen Untersuohungs-
roetboden. — Heinrich Bock: Hersmnakelerkrankungen. — Dr. C. 8. Engel: Untersuchung dee Blntes. — 4) Kantonale
Korrespondenten: Zftriob: Dr. Hilarius Menti f. — 5) Wochenbericht: Eidg. medisinische Facbprftfnng. — Militär-
Tersicherongagesets.— Programme der eidgen. Maturität. — Mitteilungen aus dem Lancet —Jodwirkung bei Arteriosklerose. —
Phenacetinrergiftnng. — Reduktion englischer Masse nnd Gewichte. — Mandelentzündung. — Berichtigung. — •) Brief¬
kasten. — 7) Hilfskasse fftr Sohweis. Aerste. — 8) Bibliographisches.
Original-Arbeiten.
Aus der medizinischen Klinik in Zürich. Direktor: Prof. Dr. H. Eichhorst.
Ueber Blutdruck und Blutdruckmessung/)
Yon Dr. Alfred Martin, Privatdozent und Assistent der medizinischen Klinik
in Zürich.
Bis vor nicht zu langer Zeit war man daran gewöhnt, die Druckverhältnisse
im arteriellen Gefasststem aus der Gestalt der Pulskurve zu schliessen. Schon
v. Frey 1 ) hat das Irrtümliche dieser Ansicht nachgewiesen, und ich will hier einige
Beispiele aus neuerer Zeit anführen, die das bestätigen. Sahli*) fand einmal beim
Hunde mittelst des direkt auf die Femoralarterie applizierten Sphygmographen aus¬
gesprochene Dikrotie, obschon durch Strychnin der Blutdruck weit über die Norm
gesteigert war, wie das mit der Arterie verbundene Manometer anzeigte.
Aus meiner Sammlung gebe ich folgende Fälle. Bei einem Patienten mit Arterio¬
sklerose ond Marasmus senilis bot das Puisbild bei einer Frequenz von 60 in der Minute
einen flachen abfallenden Schenkel mit hochgelegener grosser 1. Elastizitätselevation dar.
Fig. 1. Arteriosklerose, Marasmus senilis. Auf-
geuommen mit Jaquet 's neuem Sphygmochrono-
graphen. Pulsfrequenz 60. Blutdruck mit Riva-
Rocci (10 cm breitem Schlauch) 105 mm.
(Fig. 1.) Der Druck war 105 mm, also ein normaler, der sich sogar der unteren Grenze
näherte. Ein anderer Kranker mit Arteriosklerose, Mitralinsuffizienz, Bradykardie, Nei-
*) Nach einem Vortrag, gehalten in der Herbstversammlung der Gesellschaft der Aerzte des
Kantons Zürich.
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gnng zu Schwindel, Verwirrtheit und Herzinsuffizienz, kurz dem Syvnptomkomplex der
Adam-Stokes sehen Krankheit neben dem Herzklappenfehler zeigte das besprochene Puls¬
bild in noch typischerer Weise (Fig. 2 und 3).
Fig.2. Mitralinaufficienz. Adam-Stokes'&chtr
Symptomkomplex. Aufgenommen mit
Jaquet'% neuem Spbygmochronographen.
Pulsfrequenz 33. Diuretin 1,0. 3 mal
täglich 1 Pulver.
Fi 9* Von demselben Pat. aufgenom-
* Ii men mit Dudgeon’s Sphygmographen.
Pulsfrequenz
Tonometer mm (ohne Arz-
Der Druck betrug unter Dinretingebrauch 125, zu anderer Zeit ohne Arznei 110
mm bei Messung nach Riva-Rocci mit 10 cm breitem Schlauche, öfters 100, auch 97
und 75 mit Gärtner'% Tonometer, und bei all diesen verschiedenen Druckbefanden
war das Pulsbild stets das gleiche. In dem Sahlf sehen Falle trat also ein erschlafftes
Gefäss mit Erhöhung des Druckes auf; bei meinem Patienten war der Druck trotz hoch
gespannten Gefasses niedrig.
Man kann demnach keinen „sicheren Aufschluss" aus der Pulskurve über den
Blutdruck erlangen. Es ist nicht angängig, den Wert eines Blutdruckmessers aus
der Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seiner Angaben mit der Pulskurve
zu schliessen, diese also gleichsam als Eichinstrument für Sphygmomanometer zu be¬
nutzen, wie dies geschehen ist.
Bei allen in der Praxis gebräuchlichen Sphygmomanometern wird die Arterie
unter Druck gesetzt und zwar fast ausschliesslich durch Luft-, seltener Wasserdruck.
Die auf dem Prinzip der Federwage beruhenden haben sich trotz ihrer Handlichkeit
nicht einzubürgern vermocht.
Der verwendete Eompressionsapparat ist bei Basch klein, pelottenartig, zum
Druck auf eine leicht zugängliche Arterie bestimmt, bei den übrigen ringförmig, um
an peripheren Körperteilen die Weichteile inkl. der in ihnen eingeschlossenen Arterie
gegen den Knochen zu drücken.
2 Hauptprinzipien lassen sich unterscheiden. Bei dem einen wird die Arterie
so weit unter Druck gesetzt, bis die im Manometer auftretenden Schwingungen ein
Maximum erreichen. Der gefundene Wert wird als mittlerer, aber auch als diasto¬
lischer Blutdruck bezeichnet. Hierher gehört der Jlfosso’sche Apparat, der die
Schwankungen in den Arterien der Finger benutzt. Da aber bei verschiedenen
Druckstaffeln maximale Schwingungen auftreten (Sahli), die Handhabung auch um¬
ständlich ist, wird der Apparat wenig gebraucht.*)
Bei dem 2. Prinzip steigert man den Druck im Kompressorium so weit, bis
die Puls welle in den peripher von demselben gelegenen Körperteil nicht mehr gelangt,
*) Auch beim Riva-Rocci 1 sehen Sphygmomanometer treten nach Abklemmung des Gebläses
Schwingungen des Quecksilbers im Manometer auf. Ihre Bedentung ist die gleiche wie am Mosso-
sehen Apparate. Schon Riva-Rocci machte auf sie aufmerksam, deutete sie aber anders.
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bezw. lässt man einen hohen Druck, der das Blut nicht mehr in die peripheren Teile
gelangen Hess, absinken, bis es wieder unter dem Kompressorium durchschlägt.
Beide Werte sind annähernd gleich gross und geben den systolischen Blutdruck an.
Apparate dieses Prinzips sind die Sphygmomanometer von Basch und RivarRocci
und das Tonometer von Gärtner . Während bei ersterem das Verschwinden, bezw.
das Wiederauftreten des Pulses mit dem tastenden Finger festgestellt wird, gilt bei
Gärtner 's Tonometer das Auftreten einer Rötung des vorher anämisierten Fingers
als Index.
Das handlichste und die kürzeste Zeit zur Messung erfordernde Instrument ist
entschieden das von Basch . Leider liegt nicht jede Radialis für dasselbe günstig,
und die Temporalis eignet sich auch nicht immer; zudem erfordert das gleich massige
Aufsetzen der Pelotte während der Messung grosse Uebung, so dass heute die etwas
umständlicher zu handhabenden Apparate von Riva-Rocci und Gärtner das Feld
behaupten.
Das Riva-Rocci’sche Sphygmomanometer besteht im wesentlichen aus 3 Teilen,
1. aus einem ca. 5 cm breiten, unnachgiebigen Seidenschlauch, der innen durch einen
Gummischlauch gedichtet ist und um den Oberarm gelegt wird. Geschlossen wird
der Schlauchring durch eine dreibackige Metallklemme. Dieser Kompressionsschlauch
steht mit einem Manometer und einem Richardson' sehen Gebläse in Verbindung, mit
dem Luft in das System gepumpt wird.
Schon RivarRocci und Hcnsen 8 ) wiesen darauf hin, dass sich der vom Arm¬
schlauch ausgehende Druck durch die Weichteile keilförmig fortpflanze, dass also
eine bestimmte Schlauchbreite nötig sei, damit der Druckkeil mit seiner Spitze die
Arterie treffe, v . Recklinghausen 4 ) zeigte nun, dass dies und besonders an dicken
Armen bei dem Riva-Rocci' sehen Originalschlauche nicht der Fall sei. Durch Ver¬
gleichung verschieden breiter Armmanschetten kam er zu dem Resultat, dass eine
solche von 10 cm Breite für einen Arm von 24 cm Umfang gerade eben noch aus.
reiche, eine von 15 cm für fast alle Fälle genüge, sicher und für jeden Fall ausrei¬
chend eine Manschette sei, die 32 cm lang den ganzen Arm von der Achselhöhle
bis zur Mitte des Unterarmes einschliesse.
Gegen die 32 om lange Manschette machte ich schon früher geltend, dass zur An¬
legung ein Strecken des Armes, also Kontraktion von Muskeln nötig sei, und neuerdings
hat Sahli darauf (angewiesen, dass die breiten Manschetten sich dem Relief des Armes
nur unvollkommen anschmiegen. Er wendet sich aber noch aus einem anderen Grunde
gegen dieselben, v. Recklinghausen hob selbst hervor, dass beim Heruntergehen im Druck
die unter der Manschette durchschlagende Pulswelle bei der Wegbahnung Arbeit zu leisten
habe, die mit Zunahme der Manschettenbreite grösser sein müsse. Je breiter die Man¬
schette ist, um so mehr Arteriendruck wird also zu dieser Arbeit aufgebraucht, so dass
das Auftreten des Radialpulses bei einem um so niedrigerem Werte geschieht. Während
nun r. Recklinghausen diese Abdämpfung des Arteriendruckes nicht hoch anschlägt und
glaubt, sie vernachlässigen zu können, legt ihr Sahli ein grösseres Gewicht bei und lässt
den erwähnten Nachteil des breiten Schlauches in den Vordergrund treten. Man könnte
nach ihm die Manschette ad infinitum verlängern und würde dabei immer kleinere und
zwar zu kleine Werte finden. Schliesslich gelangt er zu dem Schluss, dass man bei der
alten Riva-Rocci *sehen Schlauchbreite, die er auf 6 cm ansetzt, bleiben soll.
An Stelle theoretischer Erwägungen bringt hier der Versuch die Entscheidung.
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Dass v. Recklinghausen bei der Forderung nach breiten Manschetten etwas schema¬
tisch verfuhr, zeigt sein Verlangen eines breiteren Ringes am alten Gärtner 1 sehen Tono¬
meter. Er fand mit demselben die Resultate am 5. Finger höher als am 8. Da
die Weiohteile am 5. Finger dünner als am 3. sind, so hätte man nach v. Reckling -
hausen ’s Theorie den höheren Wert am 3. erwarten müssen, also das umgekehrte Ver¬
hältnis des tatsächlichen Befundes.
Bei der Armmanscbette geben die Versuohe ein anderes Resultat. Ich stellte das
Auftreten des Pulses unter Anwendung verschieden breiter Manschetten an einer Person
fest, indem ich auf der einen Seite den breiten, auf der anderen den schmalen Schlauch
anlegte und an beiden Radialarterien zugleich beobachtete. An Armen von 30 cm Um¬
fang fand ich zwischen dem JRtvo-ßoccf’schen Schlauch, der 4 7* cm Breite hatte, und
einem von 7 cm Breite 15 mm Druckunterschied, zwischen solchen von 7 und 10 cm
5 mm, einige Male 7, also zwischen dem JRwa-lfoccs’schen Originalschlauche und dem
10 cm breiten 20—22 mm Quecksilberdruck unterschied. Das sind Werte, die nicht un¬
beachtet bleiben dürfen. Bei einem Arm umfang von 29 cm fand ich aber zwischen 10
und 14 cm breitem Schlauch keinen Unterschied, hie und da mal 2, in einer Messung 5 mm
Differenz.
Die Breite von 10 cm stellt deswegen eine Grenze dar, unter die und über die
man nicht hinausgehen soll. Sahli* s Einwand macht sich hauptsächlich in anderer Rich-
tung geltend. Das Resultat der Messung war an dünnen Armen mit 10 und 14 cm
breitem Schlauch gleich, doch schien mir Öfters der Puls auf der Seite des breiteren
Schlauches etwas kleiner aufzutreten.
Ich halte eine Armmanschette von 10 cm Breite für die geeignetste*)» Auch
Schenk •) hat an seiner kurz nach meiner Veröffentlichung angegebenen Modifikation
dieselbe verwendet.
Auf den grossen v. Recklinghausen 1 sehen Apparat will ich nicht näher eingehen, da
er zu kompliziert ist. Die Manschette desselben besteht aus Gummi, und da die äussere
Lamelle nachgiebig ist, muss über sie ein Band von Messingblech gelegt werden. Dieses
Metallband ging auch auf den kleinen Apparat über und erforderte zu seiner Befestigung
eine 4. Metallbacke an der Klemme. Dadurch stieg das Gewicht des Armschlauches —
wenn ich nicht irre — auf nahezu 1 kg. Eine Belastung des Oberarmes von dieser
Grösse dürfte doch für die Blutdruckmessung nicht gleichgültig sein. Meine Untersuchungen
zeigten nun, dass ein Metallband bei Verwendung eines unnachgiebigen Seidenschlauches
nicht nötig sei. Wenn ich trotzdem einen leiohten Leinengurt über die äussere Lamelle
lege, so geschieht es, um diese bei hohem Druck zu schonen. Der Schlauch ist aus
feinstem, sehr dichtem Gewebe, das sich gut bewährt hat. Seit nahezu zwei Jahren
haben wir einen Schlauch in Gebrauch.*) Die Klemme reduzierte ich auf 2 Metallbacken, so dass
das Gesamtgewicht des Armschlauches mit den zugehörigen Teilen auf 176 gr. herunter¬
gedrückt werden konnte.
Der 2. häufig gebrauchte und in der Praxis wohl am meisten gebrauchte Ap¬
parat ist Gärtner 's Tonometer. Als ein entschiedener Vorzug für die Privatpraxis
muss der Umstand angesehen werden, dass der Patient den Oberarm oder gar den
ganzen Oberkörper nicht zu entblössen braucht, weil die Messung am Finger geschieht.
Das Instrument ist sehr handlich und gut transportal.
Es liegt in der Natur der offenen Quecksilbermanometer, dass sie nur in der Sprech¬
stunde oder im Krankenhause zu gebrauchen sind, obwohl sie durch Anbringung von
eingesebliffenen Hähnen besser transportierbar würden. Immerhin würde ihr hohes Steig¬
rohr als Nachteil empfunden werden. Gärtner 1 ) ist, nachdem sich die Federmanometer
*) Sie sied von Weisn, Zürich I, Schützengasse, bezogen.
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nicht bewährt haben, auf das sogenannte geschlossene Quecksilbermanometer zurückge-
kommen. Bei diesem wird durch einen Quecksilberfaden ein Volumen Luft in einer
Glasrohre abgeschlossen. Bei Erzeugung von Ueberdruck rückt das Quecksilber vor und
presst die abgesperrte Luft zusammen. Wird z. B. das Volumen um die Hälfte vermindert,
so liegt nach dem Martorte’schen Gesetz ein Ueberdruck von 1 Atmosphäre vor. Das
Manometer hängt demnaoh in seinen absoluten Werten vom Barometerstände ab. Um
feinere Abstufungen im Druck sichtbar zu machen, ist das Volumen durch eine kugelige
Erweiterung vermehrt, die ich aus praktischen Gründen nicht mit dem Glasrohr in einer
horizontalen Ebene, sondern darüber anbringen würde.*)
Die Messung geschieht in der Weise, dass man den Ring über die 2. Phalange
eines entsprechend dicken Fingers bringt, den hervorragenden Teil der 3. Phalange
durch einen kleinen Gummiring anämisiert und dann den Druck im Kompressions-
ring bis zu einer Höhe steigert, die über dem Blutdruck liegen muss. Der kleine
Gummiring wird entfernt, und nun erfolgt unter Beobachtung der Fingerkuppe oder
der seitlich vom Hagel gelegenen Hautpartien ein ruckweises Nachlassen im Druck
von 10 oder besser 5 mm. Eine plötzliche auftretende Röte zeigt die Höhe des
Blutdrucks an. Die Hand muss sich dabei in Höhe des Herzens befinden.
Da der Kompressionsring eine bestimmte, unverstellbare Weite hat, muss man
für verschieden dicke Finger mit mehreren Ringen ausgerüstet sein. Den alten
Ringen hafteten Fehler an, die Gärtner in seiner 3. Mitteilung anerkannt hat. Sein
neuer Ring, der eine bessere Befestigung der Gummimembran zeigt, soll frei davon
sein. Er ist in letzter Zeit durch einen 3., konisch geformten ersetzt worden, der
der Gestalt des Fingers eher entspricht. Jedoch ist der für kleine Kinder bestimmte
Ring etwas zu lang ausgefallen. Beim vorschriftsmässigen Anlegen bleibt zur Anämi-
sierung nur die Fingerkuppe übrig.
In seiner heutigen Gestalt kann Gäfiner 's Tonometer zur Orientierung über den
maximalen Druck für die Praxis empfohlen werden, nicht aber ohne Einschränkung
für die Klinik zur Bestimmung des Blutdruckes in Versuchen. Der Vorteil, den es
dem Riva-RoccVsehen Apparate gegenüber dadurch haben soll, dass es den mittleren
Blutdruck angibt, existiert nicht; denn es gibt annähernd denselben Wert an.
Gärtner selbst hat diesbezügliche Vergleichsmessungen mit beiden Apparaten an¬
erkannt.
In einer grösseren Arbeit über das Tonometer bespricht New 8 ) auch den Ein¬
fluss hydrotherapeutischer Prozeduren. Bei einem Vollbad von 22 */a 0 C. fand er
nach 7 und nach 10 Minuten den Druck um 35—40 mm Hg gesunken, während
andere Beobachter nach derartig temperierten Bädern fast durchgehends Steigerung
sahen. Hier lässt also, wie Neu und Gärtner , der den Fall anführt, angeben, das
Tonometer im Stich. Zur Ausschaltung dieses Fehlers empfiehlt Gärtner Aufstauung
des Blutes mit dem unter geringen Druck gesetzten Ringe, auch kräftiges Reiben.
Aber Neu führt ausdrücklich an, dass trotz Fingermassage und passiver Hyperämie
das Resultat dasselbe blieb. Ein Erwärmen der Hand am Ofen ist bei derartigen
Versuchen nicht zulässig.
*) Schlüpft der Quecksilberfaden in eine der kugeligen Erweiterungen, so lässt er sich durch
Luftdruck nicht in die Rohre treiben, weil die Luft über ihn hinwegstreicht, da er sich am tiefsten
Punkt der Kugel befindet. Es geschieht aber, wenn die Erweiterung darüber liegt.
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Die bei warmen und heissen Prozeduren gefundenen Tonometerwerte sind durchge-
hends als richtige hingenommen worden. Müller 9 ) fand mit dem v . Recklinghausen'achen
Apparate bei Dampf-, Heissluft- und elektrischen Glühlichtbädem an Gesunden den Blut¬
druck stets gesteigert, ja bis zu 45 mm, an körperlich etwas heruntergekommenen Kranken
aber vermindert, manchmal nach vorübergehender Steigerung. Das letztere geben andere
Untersucher allgemein an, so Kluge 10 ) bei Verwendung des RoscA’schen Apparates,
der Senkungen bis etwa 20 mm beobachtete. Ich habe 2 mal an einem Rheumatis¬
muskranken im Heissluftbade einen Abfall von 25 mm mit dem Tonometer feststellen
können, das eine Mal nach vorausgegangener geringer Steigerung, das andere Mal
wurde anfangs nicht gemessen. Mir fiel nun eine Arbeit von v. Reetkowski 11 ) auf,
der den Blutdruck nach dem Schweissausbruch im elektrischen Glühlichtbade mit dem To¬
nometer bestimmte. In der Regel fand er eine Senkung von 20—25 mm, aber auch 30, 35,
40 und 70. In letzterem Falle sank der Druck von 115 auf 45. Zwar versieht der
Autor diese Zahl mit einem Ausrufzeichen, hält den Wert aber für richtig. Abge¬
sehen davon, dass andere derartig grosse Senkungen nicht gefunden haben, scheint
sie mir an und für sich nicht wahrscheinlich. Die Erklärung gibt uns Gärtner .
Man fand bei 10 aufeinanderfolgenden Messungen z. B. immer Werte zwischen 100
und 105, dann einmal 70, hierauf wieder 100. Gärtner fiel es nun auf, dass diese
niederen Fehlmessungen an feuchten, schwitzenden Fingern häufiger auftreten als an
trockenen, und v. Reetkowski hat ja nach dem Schweissausbruch gemessen. Gärtner
sagt zwar, dass diese Fehlmessungen als solche leicht kenntlich gewesen seien und
eliminiert werden konnten. Das angeführte Beispiel aber zeigt, dass es nicht immer
geschah. Mehrere Messungen hinter einander vorzunehmen, ist bei Versuchen auch
nicht immer möglich, beim Riva-Rocci 1 sehen Instrument ist es auch nicht nötig. So
bat Kapsamer 12 ) gelegentlich einer Operation am Oberschenkel am Nerv, ischiadicus
gezogen und bei auffallend ruhiger Narkose den Blutdruck von 110 auf 40 mm
unter kolossalem Schweissausbruch am ganzen Körper fallen sehen. Liegt hier nun
tatsächlich eine so grosse Blutdrucksenkung oder ein Versagen des Tonometers vor ?
Da derartige Fehlmessungen auch am nicht schwitzenden Finger auftreten, wird
das Feststellen einer plötzlichen Aenderung des Blutdrucks illusorisch, namentlich bei
Untersuchung von Reizwirkungen.
Auf ein weiteres Versagen des Tonometers hat Pilce 13 ) aufmerksam gemacht.
Nicht selten trat bei marastischen Paralytikern ein Angiospasmus der kleinsten Ge-
fiasse auf, welcher eine Messung unmöglich machte und einen ganz abnorm niederen
Blutdruck vortäuschte. Auch die zwei Gärtner' sehen Kniffe, Massage und Erzeugung
von venöser Hypermmie führten nicht zum Ziele. In zwei anderen Fällen mit kühlen,
livid gefärbten Händen gelang das Anämisieren nicht. Hier nahm die Fingerbeere,
sobald der anämisierende Ring zurückgewälzt wurde, augenblicklich ihr früheres
blaurotes Ansehen an, obgleich das Manometer dauernd auf 260 eingestellt war.
Gärtner hat dies nach persönlicher Mitteilung an PUce auch einmal an einem Geistes¬
gesunden gefunden. Eine hierher gehörige Beobachtung machte ich auch einmal.
Ein tuberkulöser Patient litt an hochgradigster Arteriosklerose, hatte Trommelschlägel¬
finger und cyanotische Hände. Ich Hess den Druck auf 0 herab, und erst nach
einigen Sekunden trat Rötung des Fingers auf. Werden in hochgradigen Fällen die
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Fehlmessungen hier auch leicht erkannt, so ist die Frage nicht unberechtigt, ob die
Messungsresultate bei weniger ausgesprochenen Fällen nicht auch zu tief ausfallen
und ob die Tonometerwerte von einem lokalen Gefässzustande abhängen.*)
Welche neuen Gesichtspunkte für die D i a g n o s t i k , die T h e r a p i e und die
Prognosestellung sind nun durch die Bestimmung des maximalen Drucks
eröffnet worden P Die Frage wird von verschiedenen Autoren sehr verschieden be¬
antwortet. Ich will einige Stellen aus der neuesten Literatur herausgreifen. Die
meisten Blutdruckmessungen hat wohl Federn 14 ) in Wien vorgenommen, und sie sind
deshalb interessant, weil er in seiner Tätigkeit als Hausarzt bei einem Teil seiner
Patienten den Druck schon vor der Erkrankung kannte. Gicht, Arteriosklerose, Hee-
morrhoidalzustände, Neurasthenie entwickeln sich nach ihm nur auf dem Boden eines
hohen Blutdrucks. Ohne einen solchen wird niemand gichtkrank. Die Symptome
der Neurasthenie schwinden, wenn der Blutdruck normal wird, wenn sie jahrelang
bestanden haben.
Bei der luetischen Infektion veranlasst das Ulcus durum noch nicht eine Steigerung
des Blutdrucks, sie kommt aber in allen Fällen vor, wenn Erscheinungen der allge¬
meinen Syphilis vorhanden sind und geht bei entsprechender Behandlung mit und
noch vor Besserung der sichtbaren Symptome zurück. Er hat sie auch in allen
Fällen von progressiver Paralyse, in allen Fällen von Tabes gefunden und glaubt
daraufhin die Frage eines eventuellen Zusammenhanges der beiden Krankheiten mit
der Syphilis eher bejahen als verneinen zu können.
Yon akuten Krankheiten fand Federn den Druck abnorm tief bei der Influenza
und dem Icterus katarrhalis. Bei letzterem geht er, noch bevor eine Spur von Icterus
am Harn oder an den Konjunktiven nachzuweisen ist, schon während der initialen
gastrischen Symptome herab und steigt wieder, während der Icterus noch besteht,
und in diesem Steigen sieht Federn ein günstiges Zeichen für den ferneren Verlauf
der Krankheit. Er hat einige Male, auf Grund der Blutdrucksenkung, den Icterus
richtig vorausgesagt bei gastrischen Symptomen, die 1—2 Tage dauerten. In manchen
Fällen trat aber auch kein Icterus bei gefundener Blutdruckerniedrigung auf. Hier
glaubt er, dass die Stauung schwand, bevor es zum Icterus kam.
Yon akuten Krankheiten findet er den Blutdruck abnorm erhöht bei Cholera
asiatica entgegen der bisherigen aus der Palpation des Pulses gewonnenen Annahme?
bei Malaria im Fieberanfall und bei Scharlach. Die Schwere der Scharlachfalle ist
ganz oder teilweise durch die Höhe des Blutdrucks bedingt oder geht dieser wenig¬
stens parallel. Er hat den Blutdruck vor und nach Einspritzung des Moser 'sehen
Serums bestimmt und bald nach dem Einspritzen ein Sinken festgestellt, was bei
Anwendung gewöhnlichen Pferdeserums nicht geschah. Federn machte noch eine
interessante Beobachtung, die ich anführen möchte. Er benützte zu seinen Unter¬
suchungen das Basch 'sehe Instrument und sah bei Vergleichung mit dem Tonometer
an vielen Personen in Folge der Anämisierung des Fingers eine lokale Blutdruck-
*) Gärtner hat Abänderungen seines Apparates, die an Stelle des starren Ringes eine in der
Weite variierbare Mancbette setzen, ohne Angabe von Gründen für sehr fragwürdig erklärt. Wenn
ich mich diesem Urteil anch nicht anschliessen kann, so halte ich diese Abänderungen — auch die
meinige — heute für überflüssig, da eine genauere Anpassung der Manchette an den Finger die er¬
wähnten Uebelstände nicht beseitigt.
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Steigerung, nur einmal eine Senkung bei einem geistig miu der wertigen Patienten, der
ihn wegen nervöser Zustände konsultierte. Federn untersuchte darauf alle Geistes¬
kranken der Wiener Klinik, und es ergab sich das merkwürdige Resultat, dass bei
den meisten Hebephrenen und bei vielen Imbecillen die Anämisierung den lokalen
Blutdruck erniedrigte.
Leider kam Federn am diesjährigen Kongress für innere Medizin nicht zum
Vortrag und so unterblieb natürlich eine Besprechung der Befunde.
Von Fränkd lh ) wird angegeben, dass bei Pneumonien in der Mehrzahl der
Fälle ein geringes Absinken des Druckes stattfand, bei */s fehlte es. Die Druck¬
abnahme war unabhängig von der Menge der im Blute gefundenen Bakterien und
von dem günstigen oder ungünstigen Ausgang der Krankheit.
Bei anderen akuten und chronischen Infektionskrankheiten wird ein gleiches
Verhalten angegeben, so bei der Tuberkulose (. Frankel , Geisböck 16 ; und beim Typhus
(Frankel). Hier fand ihn Ortner 11 in allen Fällen normal, während man ihn früher
bekanntlich aus der häufig auftretenden dikroten Pulskurve für niedrig erklärte.
Der Druck bei chron. interstitieller Nephritis wird durchgehends als sehr hoch
bezeichnet. Hier finden wir die höchsten Werte. Was die Arteriosklerose betrifft, so
standen sich am letzten Kongress für innere Medizin zwei Ansichten gegenüber. Die
eine Partei vertrat den alten Standpunkt, nach dem der Druck bei Arteriosklerose
hoch ist und nur bei insuffizientem Herzen tief gefunden wird, die andere nahm einen
normalen Druck an.*) Ein hoher Druck findet sich nach ihr in der Minderzahl der
Fälle und nur dann, wenn die Arteriosklerose zu einer Hypertrophie des linken
Ventrikels oder zur Schrumpfniere geführt hat. Ist der Druck bei Arteriosklerose auch
häufig nicht hoch, so sind doch umgekehrt Fälle von hohem Blutdruck auf Arteriosklerose
verdächtig. Orödel ,8 ) hat nach seinen Jahre hindurch fortgesetzten Beobachtungen
gefunden, dass es sich bei hohem Druck, wenn Aorteninsuffizienz**) und Schrumpf-
niere auszuschliessen waren, um Arteriosklerose handelte, auch wenn sonst keine
weiteren Symptome derselben Vorlagen. Ebenso hat Hochhaus 19 ) eine Anzahl Beobach¬
tungen gemacht bei Leuten anfangs der 20 er Jahre, die wegen nervöser Herz¬
beschwerden kamen, hohen Druck zeigten und bei längerer Beobachtung Zeichen
von Arteriosklerose darboten. Bei diesen Fällen wurde Brom ohne Erfolg gegeben,
dagegen gingen die Beschwerden auf geringe Dosen von Digitalis und Kampher
zurück.
Die Ansichten über die Indikationsstellung therapeutischer Anwendungen aus
dem systolischen Blutdruck haben sich in letzter Zeit geändert. Wird man im all¬
gemeinen bei hohem Druck keine drucksteigernden Mittel verordnen, so zeigt das
oben angeführte Beispiel, wie verschieden Gesunde und Kranke auf heisse Applikationen
reagieren. Ruft das Heissluftbad beim einen Steigerung des Druckes hervor, sinkt
er beim andern. Auch zeigte Sahli , dass bei sog. Hochdruckstauungen trotz Anwendung
der blutdrucksteigernden Digitalis der Druck sank. Für wenigstens einen Teil der
*) Ich fand den Drnck bei einem Manne in den 20 er Jahren mit geschlängelter Temporalis
und leicht geschlängelter Radial in 103—108 mm, also niedrig. Die oben wiedergegebenen Pulskurven
zeigen, dass das arteriosklerotische Gefäss trotz niedrigen Allgemeindruckes hochgespannt sein kann.
**) Der Druck ist bei Aorteninsuffizienz nicht immer hoch; ich habe auch tiefe Druckwerte
verzeichnet. Die übrigen Herzklappenfehler bieten nichts besonderes.
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Fälle gab Strasburger 20 ) die Erklärung. Er konnte trotz Erhöhung des Maximal¬
drucks verminderte Herzarbeit nachweiseu, und das geschah durch Bestimmung des
minimalen, des diastolischen Druckes.
Die Aufsuchung des letzteren soll den Schluss meines Yortrags bilden. Unab¬
hängig von einander beschrieben Masing,“ ‘) Strasburger **) und Sahli das Verfahren.
Das benutzte Instrument ist der Biva-Bocci'sche Apparat. Pumpt man Luft in die
Armmanchette, so fühlt der tastende Finger am Radialpuls ein deutliches Grösser¬
werden, bei weiterer Druckerhöhung wird plötzlich der Puls kleiner. Das beobachtete
zuerst Gumprecht , 33 ) und darauf baute Strasburger seine Bestimmung des diasto¬
lischen Drucke. Dieser wird nach ihm im Manometer angezeigt in dem Augenblicke,
wo der grösser gewordene Puls in den kleinen umschlägt. Warum hier der diastolische
Druck vorliegt, das bedarf längerer Auseinandersetzung und muss in Strasburger's
jüngst erschienenen Arbeit nachgesehen werden. An Stelle des tastenden Fingers
haben Masing und Sahli den Sphygmographen gesetzt. Hier wird der diastolische
Druck durch Kleinerwerden der Kurvenhöhe angezeigt. Die Methode ist nicht so
klar begründet. Durch Venenstauung wird der Sphygmograph gehoben, so dass die
Kurve so verändert wird, wie wenn der Sphygmograph lockerer angelegt ist, d. h.
die Kurvenbasis steigt und die Kurve wird niedriger. Dann verändert sich mit Ent¬
spannung der Radiaiarterie der Innendruck und der Federdruck nimmt relativ zu,
wie wenn die Feder straffer gespannt würde, wodurch bei vorher maximaler Kurven¬
höhe die Kurve niedriger wird, und 3. sind die Vorgänge in der Arterie selbst derart,
dass ein Kleinerwerden der Kurve auf der Höhe des diastolischen Drucks zu Stande
kommt. Nach meiner Meinung müsste man auf jeder Druckstaffel maximale Kur¬
venhöhen feststellen und diese miteinander vergleichen, was technisch kaum durch¬
führbar ist. Ein genaueres Resultat würde ein kleiner Plethysmograph an Stelle des
Sphygmographen geben, weil die Federspannung wegfällt. Selbstverständlich wäre
das Anlegen desselben zu umständlich, man könnte aber die nach der Masing' sehen
und ÄiAfö’schen Methode gefundenen Werte prüfen. Vorteilhaft scheint mir Sahli'a
Vorschlag, bei den verschiedenen Druckstaffeln die Basis der Kurven durch Drehen
der Einstellschraube auf eine Höhe zu bringen.
Schon liegen Arbeiten vor, die den systolischen und den diastolischen Druck
verwerten. Ich will mich aber vorsichtig ausdrücken und mit Sahli sagen, dass weitere
Untersuchungen das typische Verhalten von systolischem, resp. diastolischem Druck bei
verschiedenen Zuständen der Zirkulation und bei Krankheiten feststellen müssen, so¬
wie das Verhältnis der Differenz beider zum Gesamtdruck unter physiologischen Zir¬
kulationsverhältnissen und ebenso, ob wir dadurch Anhaltspunkte für die Indikations-
Stellung von Herz- und Vasomotorenmitteln finden können.
Fasse ich kurz zusammen, so gibt uns die Pulskurve keinen Anhalt über die
Druckhöhe. Den systolischen Druck können wir mit Gärtner' s Tonometer und Riva-
Rocci's Sphygmomanometer bei 10 cm Schlauchbreite bestimmen.*) Letzterer Appa¬
rat arbeitet genauer und gestattet ausserdem die Feststellung des diastolischen Drucks.
*) Gärtner’$ neues Touometer wird von Franz Hugershott in Leipzig hergestellt. Es kostet
37,50 Mk. Das Kiva-Hocei’sche Sphygmomanometer mit 10 cm breitem Schlauche und Quecksilber¬
manometer fertigt Mechaniker Gehrike in Jena an. Der Preis ist 25 Mk.
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Die Ausbeute bei den systolischen Druckbestimmungen ist im Verhältnis zur ange¬
wandten Zeit und Mühe keine zu grosse zu nennen, unter Hinzuziehung der neuen
Methoden besteht aber die Hoffnung auf ein besseres Ergebnis.
Literatur.
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Wiener klin. Wochenschrift 1900.
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gresses f. innere Medizin. 21. Kongress. Wiesbaden. 1904.
17) Ortner, Klinische Beobachtungen über das Verhalten der Kreislauforgane bei
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18) Groedel, Ueber den Wert der Blutdruckmessung für die Behandlung der Ar¬
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20) Strasburger, Ein Verfahren zur Messung des diastolischen Blutdruckes und seine
Bedeutung für die Klinik. Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 54. 1904.
21) Masing , Ueber das Verhalten des Blutdrucks des jungen und des bejahrten
Menschen bei Muskelarbeit. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin. Bd. 74. Leipzig 1902.
22) Strasburger, Ein Verfahren zur Messung des diastolischen Blutdruckes und seine
Bedeutuug für die Klinik. Verhandl. d. Kongresses f. innere Medizin. 21. Kongress.
Wiesbaden 1904.
23) Gumprecht, Experimentelle und klinische Prüfung des Riva-Rocci' sehen Sphyg¬
momanometers. Zeitschr. f. klin. Medizin. 1900. Bd. 39.
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Eine Belladonnavergiftung. 1 )
Von Dr. Stöcker, Gross - Wangen.
Dank der allseitigen Belehrung Uber die Giftpflanzen durch die Schule beschränkt
sich die Tollkirsche Vergiftung beinahe ausschliesslich auf das noch nicht schulpflichtige,
nioht Unterscheidung« fähige Alter. Jedenfalls ist die Zeit dahin, wo 500 Soldaten
im Walde Atropabeeren essen und sich vergiften konnten, wie Orfila (zitiert nach van Boeck
aus Ziemssen'a Handb. der Spez. Path. und Ther.), in seiner allgemeinen Toxikologie vom
Jahre 1818 berichtet.— Auch der Standort der Pflanze auf abgeholztem Waldboden, ab¬
seits von den Verkehrswegen, durfte den selteneren Genuss der säuerlich-süss schmecken¬
den Frucht erklären. So finde ich denn nur wenige Fälle von Intoxikation durch die
Tollkirsche in der mir zugänglichen neuern Literatur beschrieben, während KutikeP)
aus der Literatur von 1852—82 103 Vergiftungen durch Atropinpräparat e zusam¬
menstellen kann mit ll,7°/o Mortalität immerhin. Das eidgen. statistische Bureau gibt an,
dass im Jahre 1902 in der ganzen Schweiz 6 Personen infolge Vergiftung durch Beeren ge¬
storben, wobei leider nioht zu ermitteln ist, wie vielmal BelladonnAbeeren die Schuld
tragen. Aus früheren Jahren ist noch weniger verlässliches zu erfahren, weil auch die
Vergiftungen mit Pilzen in der gleichen Rubrik der Mortalitätsstatistik figurieren.
Es scheint mir daher immer noch gerechtfertigt, solche Krankheitsfälle zu buchen.
Am 1. August 1904 wurde ich zu einem 4 l /a jährigen Knaben Al. A. gerufen
und traf morgens zirka 7 Uhr auf dem 20 Minuten entfernten Gehöfte ein. Die
Mutter führt mir den vorzüglich entwickelten und bisher stets gesunden Knabeu, der
angekleidet auf einem Bette des Nebenzimmers gelegen, in die Wohnstube entgegen mit
der Bemerkung: „Der Bub tut auch gar so dumm diesen Morgen.“ Und wirklich strauchelt
er im nämlichen Moment auf der Türschwelle, fällt trotz der mütterlichen Führung gerade¬
wegs platt zu Boden, macht keine Abwehrbewegungen, trifft keine Anstalten sich zu er¬
heben und schreit nicht, wie er in gesundem Zustande nach dem heftigen Aufschlagen
ohne Zweifel getan hätte. Vielmehr wälzt er sich planlos umher, bis ihn die Mutter
aufrichtet. Dann macht er eigentümlich hüpfende, an Chorea gemahnende Bewegungen
mit den obern und untern Extremitäten und fiele gleich wieder hin, wenn er frei stände.
Auf den Tisch gesetzt, bleibt er keinen Augenblick ruhig und erregt fortgesetzt das
Gefühl, als würde er ohne weiteres herunterfallen.
Dabei blickt er ins Leere gleich einem Blinden, fixiert gar nichts, versucht beständig
zu reden, doch bringt er es nur zu unverständlichem Lallen. Der Gesichtsausdruck ist
blöde aber heiter, jedenfalls besteht kein Schmerzgefühl. Die Pupillen sind ad maximum
erweitert, reagieren absolut nicht, erst beim Berühren der Konjunktiva werden die Lider
geschlossen. Die Gesichtshaut sowie die Bindehäute sind gerötet, die Stirne fühlt sich
sehr warm und trocken an. Ins Bett gebracht, wälzt sich Patient bald links, bald
rechts, trifft unzweckmässige Anstalten zum aufsitzen, will aufstehen, ja er würde ohne
beständige Aufsicht blindlings vom Bette stürzen. Angebotenes Wasser verweigert er
anfänglich, nimmt endlich aus dem Löffel einen kleinen Schluck, nachher ist er weder zur
Aufnahme von Milch noch von Wasser zu bewegen, indem er den Mund verbeisst und
dreinschlägt. Pols 130, voll und kräftig. Temp. 36,4, Resp. wegen der beständigen
Unruhe nicht genau zählbar, ungefähr 24 p. M.
Die Anamnese fördert folgendes zu Tage:
Zwei schulpflichtige Schwestern des Al. hatten Tags vorher, den 31. Juli, ein
Exemplar des Tollkrautes im Aufträge des Lehrers, welcher es seiner Klasse demonstrieren
wollte, aus dem Walde mit nach Hause genommen und herumliegen lassen. Etwa um
6 Uhr abends habe Al. „vielleicht einige“ der Kirschen genossen, während ein 2 Vs jäh¬
riger Bruder eine solche nur in den Mund genommen, sogleich aber wieder ausgespieen
*) Nach einem in der ärztlichen Gesellschaft des Kantons Luzern gehaltenen Referat.
Handbuch der Toxikologie 1901.
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habe. Kurz vor 7 Uhr trank Al. Milch mit gutem Appetit, ohne das beigelegte Brot
za berühren. Weil er matt war, herum lag, eia gerötetes und gedunsenes Gesicht hatte,
so dass die Matter glaubte, er kriege die Masern, brachte sie ihn etwas vor 7 l * Uhr in der
Kammer der altern Schwestern zu Bette. Nach Aussage der letzteren — sie erzählten
mir das unter Lachen, weil ihnen der vermeintlich schlaftrunkene Bruder Spaas machte
— wälzte er sich die Nacht über häufig umher, schwatzte unverständliches Zeug and fiel
mehrmals aus dem Bett. Die Eltern wollen den Tumult in der Kammer zirka am Mitter¬
nacht ebenfalls gehört haben, fanden sich aber nicht veranlasst, nachzasehen! Erst als
am Morgen die gleichen Szenen vorkamen, der Kleine in die Luft griff, nichts essen
wollte oder konnte, wurde meine Hilfe verlangt.
Das Corpas delicti hatten die Eltern bereits in den Jauchebehälter geworfen, aus welchem
ich es herausfischen Hess. Ein kurzes Stück des verholzteo Stammes gabelte sich in drei
Zweige, an deren längstem (zirka 60 cm lang) zwölf kurzgestielte, sternförmig aasgebreitete
Kelche alternierend aufsassen, welche, mit Ausnahme der drei untersten,
teils glänzend schwarze, teils grüne Beeren umschlossen. An den beiden anderen Zweigen
waren alle Kelche noch vollzählig mit Früchten in ungefähr gleichem Reife Verhältnis, wie
beim ersten, besetzt.
Da ich in Unkenntnis des Grundes meiner Berufung keine entsprechenden Medika¬
mente mitgenommen, liess ich vorläufig, so gut cs ging, Essig-Umschläge auf den Kopf
und die Füsse machen und probierte mit einer in den Schlund eingeführten Hühnerfeder
Brechen zu erregen, doch vergeblich. Dann eile ich nach Hause, um das nötigste zu holea.
Um 8 1 /* Uhr bin ich wieder dort und finde keine Veränderung des Zustandes.
Ut fiat aliquid suche ich cupr. sulf. 1,0/60,0 mit Sirup alle 10 Minuten 1 Kaffeelöffel voll,
zu verabreichen. Einmal schlackte der Knabe in meiner Gegenwart, dann nach Angabe
der Eltern um die Mittagszeit nochmals. Andere Flüssigkeiten verweigerte er konstant.
Eine subkutane Injektion von 0,01 morphini hyarochlor. um 9 Uhr
appliziert, blieb bis 9 x jt Uhr ohne wahrnehmbaren Erfolg.
2 Uhr nachmittags zweimaliges Erbrechen von etwas Schleim, doch keine Spur von
Beerenhülsen. Abdomen ziemlich aufgetrieben, tympanitisch. Etwas Urin ist ins Bett
gegangen. Da Patient immer sehr unruhig ist und halluziniert, wird eine zweite
Morphininjektion in gleicher Dosis gemacht. Puls 112, weich, regelmässig.
Respir. 20.
6 1 /* Uhr abends. Patient muss im Bett nicht mehr gehalten werden, aber er hastet
beständig umher, hat Gesichtshalluzinationen, sieht mit weiten, starren Pupillen gegen die
Zimmerdecke, fährt mit den Händen in der Luft herum, als ob er Mücken fangen wollte
und spricht halblaut für sich. Respir. tief, nicht schneller, wie früher.
9 Uhr nachts. Patient liegt ruhig mit geschlossenen Augen, doch ohne Schlaf. Auf
Anrufen greift er nach der vernickelten Thermometerhülse, aber die Greifbewegungen sind
sehr unbeh öl flieh, er fährt mehrmals daneben. Die einmal gefasste Hülse zieht er kräftig
gegen sich, die Muskelkraft ist somit gut erhalten. Beim Lampenlicht scheint ge¬
ringe Reaktion der Pupille einzutreten.
Den 2. August morgens 7 Uhr. Patient schläft tief, Gesiebt nicht mehr gerötet,
Stirne feucht. Resp. 16, Puls 104. Er soll, nach Angabe der Mutter, abends 10 Uhr
eingeschlafen sein, dann sei um 2 Uhr morgens nochmals ein Exaltationsstadium mit
Irrereden gefolgt, und erst seit 6 Uhr früh liege er nun in festem Schlafe.
Abends 7 Uhr. Der Knabe hat tagsüber ohne Unterbrach geschlafen. Wie ich
ihn anrufe, erwacht er, sieht heiter umher, verlangt bald nach Milch, die er seit zwei
Tagen gänzlich verweigert hatte, und trinkt sie. Das Aussehen ist blass. Die Pupillen,
immer noch weit, reagieren sehr spärlich und träge.
Den 3. August vormittags wird mir berichtet, dass der Patient in der Nacht eine
Stuhlentleerung gehabt, sich jetzt im Freien auf halte, mit den Geschwistern spiele, aber
noch wortkarg und weniger lebhaft als früher sei.
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Oer beobachtete Fall von Belladonnavergiftung stellt geradezu einen Schulfall dar,
und zwar in zwiefacher Beziehung. Einmal weil die Intoxikationserscheinungen von Seite
des peripherischen und zentralen Nervensystems ziemlich vollständig und gut markiert auf-
treten, sodann weil gerade die Aetiologie dazu angetan ist, der Schuljugend als warnendes
Exempel zu dienen.
Die Erkrankung des Knaben war ja unzweifelhaft eine schwere, denn wir beobachten
ein langdauerndes Agitationsstadium, Sprach- und Koordinationsstörungen (Alalie und Ataxie),
eine gewisse Analgesie, sowie Gesichtshalluzinationen, welch letztere keineswegs regel¬
mässig Vorkommen. Leider sah ich, dank dem Unverstand der Eltern, das erste Stadium
der Intoxikation nicht. Aus der Anamnese können wir entnehmen, dass ungefähr eine
Stunde nach Ingestion der Beeren die ersten Symptome sogar der Mutter aufgefallen, und
es ist wahrscheinlich, dass die Milch (abends 7 Uhr) nur deshalb noch gierig getrunken
wurde, weil Trockenheit und Räuhe im Halse das Bedürfnis zu trinken, das Durstgefühl
erregt hatten. Abgeschlagenheit, Mattigkeit, Erweiterung der peripheren Gefässe (Injektion
der Konjunktiven, Rötung der Haut, von der Mutter als Masern taxiert, in andern Fällen
mehr als scharlachartiges Exanthem angegeben), ferner Aufhören der Schweissbildung
gehören bekanntlich mit zu den ersten Symptomen und waren bei dem Knaben 15—20
Stunden nach der Intoxikation noch deutlich vorhanden. Es ist auch bekannt, dass die
Speichel- und Magensaftsekretion durch Atropin ebenfalls vermindert, resp. aufgehoben wird.
Die Nervenelemente des Gehirns waren jedenfalls schon vor 12 Uhr nachts, also
nach Ablauf von 4—5 Stunden in hohem Grade affiziert, wie die Anamnese erweist.
Dass der Umgebung des Kranken die bei Belladonnavergiftung mit seltener Aus¬
nahme stets und auf die kleinste Atropinmenge prompt eintretende M y d r i a s i 8 nicht
auffiel, ist erklärlich, aber sie charakterisiert das Krankheitsbild und spielte neben den
Jaktationen sicher eine Rolle bei dem wiederholten Fallen des Knaben vom Bette, sowie
auch bei den unbehülflichen Versuchen; das Thermometer zu ergreifen. Die Erweiterung
der Pupille persistierte noch bei meinem letzten Besuche, d. h. nach Ablauf von 49 Stunden
seit Beginn der Vergiftung. Nach von Boeck kann die Mydriasis die übrigen Vergiftungs¬
erscheinungen sogar um 2—3 Wochen überdauern.
In der Akme des Prozesses wechseln gewöhnlich Jaktationen mit Schlaf, Delirien
mit mehr oder weniger Sopor ab, und es tritt allmählich ein sog. narkotisches Stadium
ein (von Boeck ), aus welchem der Kranke entweder langsam in Genesung übergeht, oder
wegen Herzparalyse, vielleicht auoh wegen Lähmung des Respirationszentrums nicht mehr
erwacht. In unserm Fall folgte erst in der Nacht vom 1.—2. August einem scheinbar
ruhigen Schlaf nochmals eine mehrstündige Exaltation und dieser die Lysis.
Der Umstand, dass der Urin einmal unwillkürlich abging, lässt verschiedene Deu¬
tungen zu. Infolge der schweren Beeinträchtigung der Gehirnnerven kann eine vorüber¬
gehende Lähmung des quergestreiften sphincter urethrse vorhanden gewesen sein; oder es
hat vielleicht eine Parese des sog. detrusors vesicce, des mit glatter Muskulatur ausge¬
statteten Hohlmuikels der Blase, bestanden, und eine vorher nicht beachtete Ischurie
wurde durch die vorausgegangene Morphininjektion gehoben.
Ob die Darmtätigkeit infolge Verminderung der Darmsekretion retardiert wurde,
ob die Sensibilität der Darmoberfläche beeinträchtigt oder die Darmmuskulatur durch Parese
ruhig gestellt war, mag der Physiologe entscheiden.
Eine Parese des Darmhemmungsnerven, des n. splanchnicus, müsste ohne Mitwirkung
der eben genannten Faktoren eher die Peristaltik fördern. P. Ostermeier 1 ) vindziert dem
Atropin in Dosen von 1—2 Milligrammen (anlässlich einer Abhandlung über dessen Ver¬
wendung bei inkarzerierten Hernien) eine anregende und zugleich krampfstillende Wirkung
auf die Darmperistaltik.
Was die Herzaktion betrifft, so ist bekannt, dass infolge Lähmung des hemmenden
Vagus die gewöhnliche Zahl der Kontraktionen vermehrt, ja selbst verdoppelt wird. Bei
l ) Münch, med. Wochenschr. Nr. 36, 1902.
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meinem Paiienten zählte ioh ira Maximum 180 Pulsschläge per Minute. Nach Kunkel 1. c.
reagiert das jugendliche und gesunde Herz am kräftigsten auf Atropin,
Anch die Respiration war, soweit meine Boobaohtnng reichte, etwas (bis 24) be¬
schleunigt, während sie im Beginne der Vergiftungserscheinungen verlangsamt sein soll.
Wenn exitus letalis vorkommt, so soll er, den Lehrbüchern gemäss, innert 2—30
Stunden, selten nach 80 Stunden erfolgen.
Die aufgenommene Giftmenge lässt sich nicht genan angeben. Nach meiner
Ueberzeugung hat der Knabe nicht mehr Gift bekommen, als zwei grosse, ansgereifte Atropa-
beeren enthalten können, denn es fehlten au den eingeheimsten Zweigen überhaupt nur
drei, von denen die eine vom kleineren Knaben gepflückt und zum Glück unschädlich gemacht
wurde. v. Boeck (1. c.) führt aus, dass Kinder relativ grössere Gaben als Erwachsene
ertragen, zitiert aber doch aus Medical Times and Gazette vom Jahre 1859 einen Fall
von Seaton , bei dem eine einzige Tollkirsche zu ziemlich heftiger Vergiftung eines jungen
Menschen führte. In einem andern Fall starb ein 8 /ijähriges Kind 24 Stunden nach
Genuss von drei Beeren. Es sind aber auch Fälle bekannt (v. Boeck ), wo grosse Dosen
vertragen wurden und anscheinend intensive Vergiftungen spontan noch in Genesung
übergingen. So wird in Frank 1 s med. Almanach von 1879 aus dem Archiv für ex¬
perimentelle Pathol. und Pharmacol. ein Fall zitiert, der im „praktischen Arzt“ von
Steinebach veröffentlicht war, wonach ein 4 jähriges Mädchen unter den manifesten Symp¬
tomen der Belladonnavergiftung erkrankte, auf dargereichten Tart. stibiat. eine, auf cupr.
sulfur. eine zweite Beerenhülse erbrach, und am folgenden Tag auf ol. ricini (2 Löffel
voll) im reichlichen Stuhl noch 2 0 Hölsen von sich gab und genas!? Allgemeine Into¬
xikationserscheinungen soll Atropin schon bei 0,005 hervorrufen, der letale Ausgang
jedoch bei 0,05 noch selten sein, sondern erst von 0,10 an sicher eintreten. Die pbar-
macop. Helvet. gibt bekanntlich für atrop. sulfur. als zulässige Einzeldosis, bei deren
Anwendung der Arzt noch keine Alarmzeichen nötig hat, auf 0,0 0 1, die Tagesdosis
auf 0,003 an.
Bei den einzelnen Tieren ist die Atropinwirkung ungemein verschieden. Giftfest
sollen sein: Kaninchen, Meerschweinchen (Pflanzenfresser), Tauben, Ratten. Nach Kunkel
ist über das Atropin die Behauptung aufgestellt, dass die Empfänglichkeit in der ganzen
Tierreihe mit der Entwickelung der nervösen Centra zunehme. Binz (Arch. f. experiment.
Pathol. u. Pharmacol. VI. 1877) konstatiert, dass Hunde auf Atropin Wirkung ganz indi¬
viduell reagieren. Warum sollte das beim Menschen nicht auch so sein? Warum sollte dieses
oder jenes Individuum gegenüber dem Belladonnaalcaloid nicht ebenfalls eine relative Immu¬
nität besitzen, wie gegenüber den pathogenen Bakterien und ihren Stoffwechselprodukten ?
Bezüglich der eingeschlagenen Therapie kann ich mich kurz fassen. Schon beim
ersten Besuche des Knaben überlegte ich mir, ob überhaupt so lange nach Ingestion des
Giftes (zirka 13 Stunden) ein Emeticum Wert habe. Das nachmittags nach relativ
kleiner Dosis von cuprum sulf. erfolgte Erbrechen zeigte dann auch wirklich, dass im Magen
nichts mehr vorhanden gewesen war. Deshalb, sowie aus praktischen Gründen, sah ich von
vornherein ab von der Einführung des Magenhebers. Rationeller wäre ein reichliches
Hochclysma gewesen, allein die Applikation hätte unbedingt grosse Schwierigkeiten
geboten.
Einige Verlegenheit bereitete mir die Wahl des sog. Gegengiftes und seiner Dosis.
Wohl wusste ich, dass man Morphin gegen Atropin mit Erfolg angewandt und sogar als
dessen Antidot hingestellt hat. Aber bezüglich der im vorliegenden Fall (4 1 /*jähriges
Kind) zulässigen Dosis war ich unsicher. Wählte ich morph. hydrochlor., so durfte ich
nach der Tabelle der Dosierungen für subkutane Injektionen im Schweiz. Mediz. Kalender
dem Alter des Knaben entsprechend nicht über 0,002 auf einmal einspritzen. Als ich
aber bei der Rückkehr vom ersten Besuche bei meinem Patienten v . Boeck konsultierte,
las ich, dass Abeille (Gaz. med. de Paris 1868) bei einem 6 l /t jährigen Knaben mit gün¬
stigem Erfolg nach uqd nach 0,33 morph. muriat. subkut. eingespritzt habe. Ich griff
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daher dreist zu der Dosis von 0,01; wagte aber, als diese keinen merklichen Effekt batte,
nioht, kurz nachher, z. B. nach Verfluss einer halben Stunde, eine zweite Injektion zu
machen, sondern wartete damit von morgens 9 Uhr bis nachmittags 2 Uhr. Wie ich
nachträglich beim Durchgehen meiner Literatur ersah, ist die Dosis von 0,01 gr bei
ungefähr gleichaltrigen Kindern schon mehrfach antidotarisch appliziert worden, so in dem
bereits aus Frank 1 s Almanach zitierten Fall von Steinebach . Und Strachow (Corresp.-
Bl. f. Schw. Aerzte 1901 Nr. 21, zitiert aus Brit. med. jour.) injizierte sogar einem
5jährigen Knaben 2 mal 0,015 morph. subkutan. Eberschweiler freilich wendet sioh
(ebenda Nr. 28. 1901) gegen diese hohen Dosen, da er bei zwei (3 und 4jähr.) Kindern,
die sich durch Tollkirschen vergiftet hatten, mit einer subkutanen Injektion von 0,002
morph. hydrochlor. ausgekommen sein will. Kunkel (I. c.) rät, bei Kindern diese Injek¬
tionen zu einigen Milligrammen in Absätzen von 15 Minuten bis zu 1 Stunde nach Be¬
dürfnis zu wiederholen, bis Beruhigung und 8chlaf eingetreten.
Es war also von mir nicht richtig, das Morphin in dem grossen Intervall von 4
Stunden zu applizieren. Deshalb wage ich nicht, zu beurteilen, ob iu meinem Falle das
verbrauchte Morphin wirklich das geleistet hat, was man sonst von ihm erwarten durfte,
oder ob die Intoxikation zu jenen schweren gehört, in denen mittlere Morphingaben gegen
die Atropinwirkung nicht aufzukommen vermögen (i v . Boeck ), ob somit die Dosis eher noch
zu klein gewesen? Jedenfalls kam die antidotarische Wirkung nicht deutlich zum Aus¬
druck.
Binz scheint mir in dieser Frage das Richtige zu treffen, wenn er 1. c. zum Schlüsse
kommt, die beruhigende Wirkung des Morphins gegenüber der exzitierenden des AtropinB
sei sicher, von eigentlichem Antagonismus könne aber nicht gesprochen werden.
Uebrigen8 möchte ich nicht verfehlen, bezüglich der Behandlung der Atropin Vergif¬
tung noch auf eine Arbeit von A . Hoffmann (Corresp.-Bl. Nr. 4, 1886) aufmerksam zu
machen, worin im Anschluss an die Berichterstattung über eine medikamentöse Atropiu-
intoxikation die therapeutischen Forschungsresultate eingehend zusammengestellt sind,
namentlich über Morphin und Pilokarpin. Ueber das letztere bricht Kunkel entschieden
den Stab, indem er schreibt: „Von Pilokarpin werden die Sekretionen wohl etwas ver¬
bessert, aber erst nach grossen Gaben. Von diesen aber droht Gefahr des Kollapses,
weshalb man das Pilokarpin zu gunsten des Morphins verlassen soll.“
Vereinsberielite.
Medizinische Gesellschaft Basel.
SitziBg tob 17. November 1904.')
Präsident: Dr. A. Hoffmann. — Aktuar: Dr. J. Karcher .
1. Dr. A . Hoffmann stellt einen Mann vor, der als angeborene Öextroeardie reist.
Die genaue Untersuchung, besonders die radiographische Durchleuchtung des Thorax er¬
gibt, dass es sich um eine weitgehende Verlagerung des Herzens nach rechts bandelt,
wahrscheinlich auf Grund eines tuberkulösen Prozesses. In der Diskussion erwähnt Prof.
Kaufmann einen Fall von partiellem Situs inversus, der im pathologischen Institute zur
Beobachtung kam, und Dr. Hoffmann streift die Theorien zur Erklärung der Entstehung
des Situs inversus.
2. Prof. Siebenmann bespricht kurz die geschichtliche Entwicklung und die Technik
der Untersuchung des Oesophagus, des Kehlkopfes und der Luftröhre auf optischem Wege
mittelst des Spatels und des starren geradlinigen Rohres. — Auf die klinische Bedeutung der
Oesopbogoskopto aad der BroBekoskeple übergehend, bemerkt der Vortragende, dass
— angesichts der heutigen hohen Ausbildung derselben — ihre Unterlassung in Fällen
*) Eingegangen 16. Januar 1905. Red.
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von Aspiration fester Fremdkörper in die Trachea und bei Steckenbleiben solcher im Oeso¬
phagus geradezu als ein sohwerer Kunstfehler zu bezeichneu ist. Denn nicht nur zur
Sicherung der Diagnose und zur Feststellung der Lage des Corpus alienum, sondern auch
zur Extraktion desselben bildet sie das einfachste und sicherste Verfahren. Vorausgesetzt,
dass günstige Beleuchtungseinrichtungen vorhanden sind, wie sie z. B. die Basler oto-
laryngologische Klinik besitzt, ist die Ausführung eine leichte. Auch die Bronchoscopia
superior (ohne Tracheotomie) gelingt auf diesem Wege stets, und meistens ist zu ihrer
Ausführung weder vorausgehende Morphiuminjektion noch tiefe Narkose notwendig; da¬
gegen können wir der letztem nicht entbehren, wenn es sich um die Extraktion von
Fremdkörpern bei Kindern handelt.
Zur Illustrierung werden einige Krankengeschichten aus der Klinik mitgeteilt und
die betreffenden Fremdkörper demonstriert:
Der erste Fall, Knochenstück in einem Hauptbronchus, ist schon
anderweitig publiziert {von Eiken im Aroh. f. Laryngologie 1904).
2. Fall. Hälfte eines Zwetschgensteines in der Trachea.
Extraktion.
8. April 1904. Wahl Rosa, 4jährig, von Olten. Fremdkörper 2 Tage in der
Trachea gelegen. Patientin wird von Dr. Walter Christen in Olten in unsere Abteilung
des Bürgerspitals gewiesen. Status: hochgradiger inspiratorischer Stridor, forcierte
Atmung, koupierte Sprache. In Chloroform-Narkose und im Liegen mit hängendem Kopf
wird ein mittelgrosses tracheoskopisches Rohr eingeführt durch den Mund und den Larynx
bis gegen die Mitte der Länge der Trachea. Dort wird der Fremdkörper mit dem Lister-
Killian'schen Häkchen gefasst, beim ersten Griff ans untere Ende des tracheoskopischen
Rohres angedrückt und mit demselben extrahiert. Die Entfernung durch das Rohr hin¬
durch wäre, des räumlichen Missverhältnisses wegen, nicht möglich gewesen. Pat. kehrt
am nämlichen Tage wieder nach Hause zurück. Weiterer Verlauf ohne jegliche Störung.
3. Fall. Sehr grosse Setzbohne in der Trachea und im rech¬
ten Hauptbronchus. Extraktion.
10. Juni 1904. Gschwind Emil, 4 Jahre, von Therwil. Vor 2 Tagen Spiel mit
Setzbohnen, wovon eine in den Mund genommen und aspiriert wird. Sofort Husten und
Erstickungsanfall, worauf das Kind wieder ruhiger wird. Stunden später und in der
folgenden Nacht erfolgt je ein neuer Anfall. Patient wird vom behandelnden Arzte,
(Dr. Wannier) in unsere Spitalabteilung eingewiesen. Status: leichter Stridor; bei
stärkerem stossweisem Exspirium hört und fühlt man zuweilen den Fremdkörper, wie er
aus der Tiefe der Trachea in den Larynx hinaufgeworfen wird. — Untersuchung
und Extraktion, liegend bei hängendem Kopf, in Chloroformnarkose 5 /* Stunden
dauernd. Wie in Fall I und II Bronchoscopia superior. Bohne im R. Hauptbronchus.
Fassen mit Zange und scharfem Häkchen schwierig; dabei spaltet sich die Bohne in zwei
Teile, wovon der eine in den linken Hauptbronchus gerät. Die letztere Hälfte wird
ans untere Ende des Rohres herangezogen und gleichzeitig mit demselben extrahiert; die
andere Hälfte zerfällt in eine Anzahl kleinerer Stücke, die alle einzeln mit dem scharfen
Häkchen durch das Rohr herausbefördert werden. Heilung ohne jeglichen Zwischenfall.
4. Fall. Aspirierte Pille in der rechten Lunge.
Frau Baumgartner, Tuberculosis pulmon. III. Stadium. Beim Einnehmen einer über¬
zuckerten Kreosotpille Husten und Aspiration derselben. Sofort Dyspnoe. Bronchoscopia
superior ohne Erfolg. Patientin ist sehr unruhig trotz ausgiebigem Kokainisieren der Schleim¬
häute. 3 Tage später erfolgt spontanes Aushusten der Pille. !)
Auch zur Dilatation narbiger Stenosen kann das bronchoskopische
Rohr mit Erfolg benutzt werden, wie folgender Fall uns gezeigt hat:
M Anmerkung während des Druckes. Seither ist wieder ein 5. Fall von Fremd¬
körper in den obern Luftwegen (Knochenstück in der Trachea') hiuzugekommen. in welchem die Ex¬
tinktion ohne weitere Komplikation durch das trarheoskopischc Rohr ausgctuhrt werdeu konnte.
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Juli 1904. Habegger Louise, 16 Jahre. Im 5. Jahre Tracheotomie wegen Larynx-
diphtherie. Seit 3 Jahren zunehmende Atemnot Status: Diaphragma und Stenose im
subglottischen Raum. Es wird ca. 8 mal tracheoskopiert mit längerem Liegenlassen des
Rohres. Der objektiv und subjektiv gute Erfolg wird im November bei einer Kontroli-
untersuehung bestätigt.
Ein Beitrag zur Extraktion von Fremdkörpern aus dem Oesophagus
auf dem genannten Wege bildet folgender Fall:
5. August 1904, Perret Julius, 12jährig. Seit 3 Jahren Oesophagusstenose nach
Laugenverätzung. Vor 2 Tagen verschluckt Patient einen Pflaumenstein, seither ist die
Speiseröhre undurchgängig. Status: 28 cm unterhalb der obern Schneidezähne findet
sich der Fremdkörper. Er wird nach ausgiebiger Applikation von Kokain-Adrenalin und
nach Einführen eines 9 mm weiten Rohres an dessen unteres Ende mit der scharfen
Fremdkörperzange heraasgezogen und samt dem Rohre extrahiert.
Ferner werden 3 Patienten demonstriert, welche an Lupus der Nasenhöhle (in einem
Falle auch des Gaumens) behandelt worden sind und deren Epiglottis wegen
totaler lupöser Entartung derselben per vias naturales in
toto weggeschnitten worden ist, unter Benützung des l&Wfetn’schen Spatels.
In einem dieser Fälle wurde nachträglich die galvanokaustische Stillung einer stärkern
arteriellen Blutung notwendig.
Während des Vortrages werden die betreffenden Apparate (Spatel, Röhren, Zangen,
Tupfer, Spoichelpumpe, Beleuchtungsspiegel) herumgereicht. Zum Schlüsse demonstriert
der Vortragende an zwei erwachsenen Personen die Endoskopie des Oesophagus, der Tra¬
chea und der Bronchien mit der AirsfctVschen Lampe in oiner solchen Versuchsanorduung,
dass jeder Einzelne der Anwesenden sich von der Leistungsfähigkeit dieser, von Killian
vervollkommnten Methode überzeugen konnte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
II. WlBtersitzug 6. November 1904.
Präsident: Prof. Paul Emst . — Aktuar: Dr. Mey er-Hür Umarm.
(Schluss.)
3. Tuberkulöser Ileoooecaltumor. Der 45jährige Patient hatte seit
zirka einem Jahre zeitweise Schmerzen in der rechten Bauchgegend, in den letzten Monaten
oft Blähung des Leibes und leichte Koliken. Stuhl erfolgte angeblich stets regelmässig.
Patient wurde wegen Ren mobilis dem Theodosianum zugewiesen.
Bei dem mittelgrossen, blassen Manne fühlte man in der Coeoalgegend
einen wurstförmigen, ca. 10—12 cm langen, ziemlich glatten,
in Grösse und Konsistenz sehr wohl einer Niere entsprechen¬
den Tumor. Derselbe war exquisit verschieblich, Hess sieb
leicht bis in die rechte Niere ngegend dislozieren und war auf
Palpation absolut nicht empfindlich. Uebriges Abdomen frei; ebenso an den Brustorganen
nichts abnormes. Auffallend war, da98 man manchmal das Gefühl hatte, als ob der
Tamor unter der palpierenden Hand kleiner würde. Nach längeren Schwanken zwischen
der Diagnose Wanderniere und Ileocoecaltninor wurde die Diagnose auf erstere
gestellt und Nephrorbaphie beschlossen. Immerhin wurde zunächst nur ein kleiner Ex-
plorativscbnitt in der Lende gemacht und alsbald festgestellt, dass die Niere an normaler
Stelle sich befand. Damit war die Diagnose Coecaltumor gesichert und
8 Tage später wurde, da Verdacht auf maligne Erkrankung vorlag, zur Laparoto-
m i e geschritten. Bei derselben fand man einen faustgrossen, länglich-runden, einer Niere
in Form ziemlich ähnlichen Tumor des Ileocoecalabschnittes mit mässig
harter Konsistenz. Im zugehörigen Mesenterium, sowie in dem¬
jenigen des untersten Ileums waren zahlreiche bohnengrosse
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and grössere, ziemlich weiche Drüsen vorhanden. Das unterste
Ende des Ileums war ca. 12 cm weit stark dilatiert, seine Wandung hypertrophisch, um
das doppelte verdickt (Arbeitshypertrophie). — Es wurde um das Colon ascend. ca. 8 cm
vom äussersten Ende des Tumors quer abgetrennt und das distale Ende sofort verschlossen ;
ebenso wurde das Ileum 12 cm von der Ileocoecalklappe quer abgetrennt und nun das
Mesenterium keilförmig reseziert und samt dem Darme entfernt. Hierauf wurde der
Stumpf des Ileums seitlich in das Colon ascend. eingepflanzt. Naht der Baucbdecken.
Es erfolgte glatte Heilung und Patient verliess das Spital am 17. Tage nach der
Operation.
Am ausgeschnittenen P r ä p a r^a t e wurde zunächst eine hochgradige
Stenose der Ileocoecalklappe konstatiert; füllte man das Ileum mit
Wasser, so floss dasselbe nur tropfenweise durch das Colon ab; die Stenose liess die
Spitze des kleinen Fingers kaum eindringen. Die Darmwand war an der
Klappe hochgradig verdickt, ca. 12 — 15 mm dick und auch
diejenige des angrenzenden Colon zeigte noch etwa 5 cm
weit zirkulär dieselbe Verdickung, aber in geringerm Grade.
Die Darmschleimhaut durchweg intakt. Der Processus
vermiformis war an das Ileum heraufgeschlagen und in ganzer Länge mit dem¬
selben verwachsen. Seine Wandung, um das zwei - bis dreifache
verdickt, zeigte auf dem Querschnitt dieselbe Be¬
schaffenheit wie diejenige der Ileocoecalklappe: nar¬
biges Bindegewebe durchsetzt mit miliaren grauen Knötchen,
— Die m i k r o s k o p. Untersuchung des Präparates im patholog. Institut er¬
gab : Tuberkulose des Coecums; reichliches Granulationsgewebe mit Epithe-
lioid- und Riesenzellentuberkeln, spärliohe und kleine Käseherde bis in die stark hyper¬
trophische Muscularis hinein. — Es handelte sich also um die gewöhnlichere Form des
tub. Ileocoecaltumors, nämlich um die von der Serosa und Subserosa ausgehende Tuberkel¬
bildung, welche meistens von mächtiger Bindegewebsontwicklung begleitet ist, die ihrer¬
seits zunehmende Stenosierung des Darmlumens bedingt.
4. Karzinom der Flexura hepatica. Der 52jährige Patient litt seit
Januar 1 904 an Schmerzen in der Lebergegend, welche in der letzten Zeit gelegentlich kolik¬
artigen Charakter annahmen. Kein Ikterus. Stühle waren meist diarrhoiscb. Im August 1904
wurde vom behandelnden Arzte ein Tumor in der Gallenblasengegend konstatiert und die
Diagnose auf Gallensteine gestellt, welche Diagnose auch von anderer Seite bestätigt
wurde. Als entsprechende Behandlung keinen Erfolg hatte, wurde Patient dem Theodos.
zur operativen Behandlung zugewiesen. Bei der Aufnahme fand man bei dem etwas oachectisch
Aussehenden, in der letzten Zeit deutlich abgemagerten Patienten in der Gegend
der Gallenblase einen faustgrossen, harten, höckerigen Tumor,
dessen Palpation nicht schmerzhaft war. Derselbe liess sich nach abwärts bis gegen die
Darmbeincrista, nach links bis über die Wirbelsäule dislozieren und von der Leber voll¬
ständig abgrenzen. Kein Icterus, kein Ascites. Diagnose: Mali g n er Tumor
der Flexura hepatica coli.
Operation am 24. September 1904. Nach Eröffnung der Bauchhöhle stiess
man zunächst auf das in grosser Ausdehnung mit dem Tumor verwachsene Netz; dasselbe
musste zum grössten Teil reseziert werden, um den Darm zugänglich zu machen. Dann
wurde zirka 12 cm vom Tumor das Colon t r a n s v e r s u m;[g e r a d e
vor der Wirbelsäule quer abgetrennt, das periphere Ende
sofort vernäht undnunFlexura hepatica, Colon ascendens und
Coecum samt Proc. vermiformis unter sukzessiver Abbi n,d u n g
der beiden Mesenterialblätter schrittweise au s'g'e‘1 ö*s t, und
schliesslich nach querer Durchtrennung des Ileum (zirka 5 cm
von der Klappe) entfernt. Dieser Teil der Operation war durch hochgradigste Ver-
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fettung des Mesenteriums sehr erschwert. Hierauf wurde das Ileumende
seitlich in das Colon transvers. eingepflauzt zirka 6 cm vom
Stumpfe des letztem. Schluss der Bauchwunde.
Der weitere Verlauf war ein glatter, nur machte sich io den ersten 3 mal
24 Stunden starke Shockwirkung geltend, wozu das vorhandene Fettherz nicht wenig bei¬
getragen haben mag. Entlassung des Patienten am 24. Oktober 1904.
Der entfernte Tumor hatte eine Länge von 10 om und umfasste zirkulär
das ganze Darmrohr; das Darmlumen war innerhalb der faustgrossen Geschwulst auf
Bleistiftweite reduziert; die Schleimhaut fast im ganzen Bereiche des Neoplasmas ulceriert.
Die Abtrennung erfolgte am Colon transvers. 12 cm, auf der coecalen Seite mindestens
15 om vom Gesohwulstrande. Die mikroskop. Untersuchung ergab ein aus¬
gesprochenes Zylinderzellenkarzinom mit drüsigem Bau, das bereits die ganze
Dicke der Musoularis durchsetzte und unmittelbar bis an dis Serosa heran trat.
5. Carcinoma f I e x u r ee sigmoidem mit Invagination des
Darm es. Der früher stets gesunde, sehr kräftige, 60 jährige Patient litt seit zirka
2 Jahren gelegentlich an Diarrhoe, die meist auf Diätfehler zurückgeführt werden konnte.
Im März 1904 bekam er wieder einen Anfall von Diarrhoe, der diesmal heftiger war,
länger anhielt und von heftigem Tenesmus begleitet war; auch ging wiederholt Blut
mit dem Stuhle ab. Auf ärztliche Behandlung bin Besserung und völliges Sistieren bis
Mitte Juli 1904, dann traten dieselben Erscheinungen in noch heftigerem Grade auf und
liessen sich nicht mehr beseitigen. Vom behandelnden Arzte wurde nunmehr bei der
Rektaluntersuchung ein Tumor gefunden und Patient hierauf zur operativen Behandlung
dem Theodosianum zugeschickt.
Bei der Aufnahme des im übrigen vollständig gesunden Patienten wurde folgender
Befund des Rektums erhoben: In die sehr weite Ampulla recti
fühlt man von oben einen zylinderförmigen, 4—5 cm dicken
Tumor herabsteigen, der von normaler Darmschleimhaut über¬
zogenist. An seinem untern Ende, das 2—3 cm über dem Sphincter
steht, befindet sich eine wallnussgrosse, höckerige, derbe,
sehr leicht blutende Geschwulst. An der letztem vorbei
ge1angt d e r pa1pierende Finger n a c h ein i gem Suchen ineinen
fingerweiten, von normaler Mukosa ausgekleideten Kanal, der
sich nach oben durch den zylinderförmigen Tumor verliert.
Es war sofort klar, dass es sich um eine Invagination der Flexur wahr¬
scheinlich bedingt durch den Zug der Geschwulst handelte, undbeiganz tiefem Ein¬
gehen konnte nun auch die Umschlagstelle des äussern Darm¬
rohres hoch oben in der Gegend der linea innoininata des
Beckens gefühlt werden. Sowohl Invagination als Tumor verlangten baldiges
Einschreiten, und es fragte sich nur, auf welchem Wege. Eine Reposition des Inva-
ginaium vom Rektum aus erwies sich als unmöglich, auf ein Vorgehen von der abdomi¬
nalen Seite aus wurde deshalb von vorneherein verzichtet und beschlossen, den Tumor
vom Rektum aus in Angriff zu nehmen.
Operation am 25. Juli 1904. Nach ötägigem gründlichem Abführen des Pat.
wurde in Chloroformnarkose zunächst diehintere Rektalwand durch Resek¬
tion resp. Exzision des Steissbeines und der beiden untersten
Sakralwirbel ausgiebig freigelegt. Dann wurde dieselbe durch
einen unmittelbar über dem Sphincter internus beginnenden 10 cm weit nach oben sich
erstreckenden Schnitt in der Mittellinie eröffnet, der vorliegende
invaginierte Darm mit 2 Mueeux ’ sehen Klammern gefasst und
soweit als möglich durch die Rektalöffnung nach hinten he¬
rausgezogen. Es konnten auf diese Weise reichlich 15 cm Darm zugänglich ge¬
macht werden. Das Iuvaginatum war tief blaurot, oedematös und zeigte mehrere ober-
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116
Sachliche Schleimhautnekrosen. Nun wurde wenige Cen timeter unterhalb
der U m b i e g u n g s s t e 11 e der invaginierte Darm nach der von
Mikulicz angegebenen Methode sukzessive quer abgetrennt
und die Wand des Invaginatum und Intussusceptum ebenso
schrittweise sofort wieder vernäht. Wegen der starken Spannung und
oedematösen Durch tränkung der Darm wand gelang es jedoch nicht, eine richtige Naht iu
zwei Etagen anzulegen, es konnte nur eine, alle Schichten mitfassende Nahtreihe gelegt
werden. Nach Vollendung der Naht wurde der Darm reponiert, die hintere Rektal wand
durch sorgfältige Naht wieder geschlossen und die Weichteil wunde bis auf eine Drai¬
nageöffnung ebenfalls wieder vereinigt. Dann wurde der Patient in Rückenlage gebracht
und nach gründlicher Desinfektion der Bauchdecken sofort die Laparotomie in der
linken Suprainguinalgegeud angeschlossen, um vor allem die
zirkuläre Darmnaht von der Bauohhöhle aus durch eine noch¬
malige exakte Serosanaht zu sichern. Hierbei machte mau die Beob¬
achtung, dass die Flexur immer noch Neigung zur Invagination zeigte und ferner, dass
trotz des ausgiebigen Purgierens sich noch sehr grosse Kotmassen im Colon transvers.
und descend. vorfanden. Es wurde deshalb nach Vollendung der Zirkulärnaht das Colon
descend. nach oben gezogen, so dass ein Herabsinken der Flexur nicht mehr möglich
war, und in der Ausdehnung von ca. 8 cm in das Periton. parietale seitlich eingenäht,
und sotort eröffnet, also die regelrechte Kolostomie und damit zugleich auch die
K o 1 o p e x i e ausgeführt.
Das entfernte invaginierte Darmstück hatte eine Läuge
von 15 cm. Intussusceptum und Invaginatum waren derart mit einander entzündlich
verklebt, dass eine Lösung der Invagination auch am eutfernten Präparat nicht möglich
war. Die Darmwand war an beiden Teilen ziemlich stark verdickt, oedematös und zeigte
Zeichen starker venöser Stauung; dagegen waren ausser eiuiger ganz oberflächlicher
Schleimhautnekrosen am Invaginatum nirgends Anzeichen beginnender Nekrose vorhanden.
An der Umbiegungsstelle der Darrawand sass auf der Kreuzbeiuseite der Schleimhaut
ein walinussgrosser, zerklüfteter ulcerierter Tumor auf, der
mikroskopisch als Zylinderzellenkarzinom erkannt wurde. Das
Karzinom war noch wenig weit fortgeschritten, hatte meistens erst die Muscularis
mucosae durchbrochen; an einzelnen Stellen war es aber auch schon durch die Submukosa
bis an die Muskularis herangewachsen.
Der weitere Verlauf war ein ganz glatter, die Temperatur war an den
ersten 3 Tagen abends leicht erhöht, vom 4. Tage an stets normal. Viel Mühe ver¬
ursachten trotz ziemlich grosser Dosen von Opium in den ersten 5 Tagen die Stuhlver¬
hältnisse. Es rückten noch sehr grosse Quantitäten von Faekalien fortwährend nach unten
und füllten immer wieder das Rektum an; dieselben konnten aber stets sofort und
gründlich durch Spülungen des Rektums von der Kolostoroieöffnung aus entfernt und so
die Nähte im Mastdarm rein gehalten werden. Die Spülungen werden in der Weise
mehrmals täglich vorgenommen, dass ein mittleres Milchglasspekulum bis über den Sphinoter
internus heraufgeschoben wurde, um freien Abfluss nach unten zu schaffen; dann wurde
von der Leiste aus mit dem Irrigateur durchgespült. Die Nähte im Rektum heilten per
primam int., sodass, nachdem man sich von der Kolostomieöffnung aus mit dem palpie¬
renden Finger von der vollständigen Heilung der Zirkulärnaht überzeugt hatte, am
10. Tage nach der Operation die Inzisionswunde des ei n*g e -
nähten Colon descendens durch fortlaufende S e i d e n n a h't ge¬
schlossen und die Weichteile darüber vereinigt wurden. Auch hier Heilung
ohne Störung.
Patient wurde am 16. Sept. 1904 vollkommen gebeilt entlassen. Ermatte
bedeutend an Körpergewicht zugenommen, fühlte sich subjektiv wohl und beschwerdefrei;
Darm funk tionen vollständig geregelt, vollständige Kontinenz auch für flüssigen Stuhl.
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117
Im Anschluss an diesen Fall bespricht Vortragender die neueren Verfahren "der
Dickdarmresektion nach Hochenegg , Mikulicz und Schlosser , welcho bezwecken, durch zwei-
oder dreizeitiges Operieren die frische Darmnaht der schädlichen Wirkung der vor solchen
Operationen meist massenhaft oberhalb des Darmtumors angestauten Faekalien zu entziehen.
Er empfiehlt ganz besonders für ausgedehntere Operationen am Rektum, besonders
Resektionen wegen Karzinom, ebenfalls die zweizeitige Operation d. h. das
praeliminare Anlegen eines Anus preeternaturalis in der linken Leiste behufs vollständiger
Ableitung der Faekalien vom Operationsgebiet und stützt sich dabei auf die Beobachtungen
beim letztbesprochenen Fall, sowie auf einen Fall von Resectio recti wegen Karzinom,
(mit temporärer Kreuzbeinresektion) bei welchem es nach ganz zirkumskripter Oangrsen der
hintern Rektal wand (trotz 6 tägigem energischen Purgierens vor der Operation) zu einer
derartigen Überschwemmung der Wunde mit Faekalien kam, dass trotz weitgehendster
Freilegung der Kreuzbeinhöhle und zweistündlichem Verbandwechsel eine zum Tode
führende allgemeine Sepsis die Folge war.
Diskussion: Dr. Sturzenegger gibt einige klinische Details zu Fall 3. Der
IleoccBcaltumor zeichnete sich durch ganz enorme Beweglichkeit aus, seine Form entsprach
der einer Niere. Eine Tuberkulininjektion hätte Sicherheit gebracht.
Dr. Lüning (Autoreferat) erwähnt einen ihm von Prof. H. Müller zugewiesenen Fall
von Karzinom der Ileoccecalklappe bei einem 23jährigen Lehrer. Znr Zeit der Aufnahme
im Schwesternhaus von R. Kr. bestand Vereiterung de9 Tumors; früher soll derselbe so
beweglich gewesen sein, dass ebenfalls an Wanderniere gedacht worden war. Wegen
Kotfistel und später aufgetretenem Ileus wurde eine Entero-Anastomose angelegt, die gut
funktionierte; der Patient erlag aber der progredierenden Eiterung, bevor ein Versuch zur
Radikal-Operation gemacht werden konnte. Die mikroskopische Diagnose lautete: Carci¬
noma gelatinosum.
Dr. J. Bernheim erinnert daran, dass man es bei arteriomesenterialem Darm¬
verschluss mit einem Leiden zu tun hat, das in einer aus frühester Kindheit stammenden
anatomischen Anomalie seinen Grund hat.
Dr. Max Oskar Wyss hat einen ähnlichen Fall wie Dr. Tschudy auf der Chirurg.
Klinik in Zürich beobachtet. Gastroenterostomie wegen Stenose am Pylorus bei einer
altern Frau. Am Pylorus keine grösseren Veränderungen gefunden. Am 7. Tag Ilens.
Magen sehr gross. Trotz Magenausheberung und Seitenlagerung Exitus. Bei der
Sektion Magen sehr stark gefüllt, Darm leer. In der Duodenalgegend kein Hindernis zu
finden. In diesem Fall hat die Seitenlagerung keinen Erfolg gehabt, die vollständige
Bauchlagerung wäre notwendig gewesen.
Prof. P. Emst erinnert an die Äusserungen von Metschnikoff t der im Colon über¬
haupt ein fatales unnützes Restorgan für den Kulturmenschen sieht. Wir hätten nach
M. das Colon nicht mehr nötig, es dicke blos ein, halte Gift zurück. Das Indikan,
der Indikator für die Darmfäulnis, fehlt bei Colonfisteln und nach ColonreBektionen.
Vielleicht ist es auch Indikator für resorbierte Gifte. Sind bei chron. Kotstauungen
toxische Wirkungen, Leukozytenvermehrung, Arteriosklerose, vielleicht beobachtet?
Prof. Ernst erinnert weiter daran, dass auch gutartige Darmtumoren zu Inva-
gination führen können. Sie wirken wie Fremdkörper und reizen als solche die Peri¬
staltik an.
Ausserordentliche Sitzung, Samstag den 12. November 1904. abends 8 Uhr auf der
Zlmmerlenten. Gemeinsam mit dem Verein flr wissenschaftliche Gesundheitspflege.
Besprechung der Initiative betreffend Freigabe der arzneilosen Heilwelse.
Referenten die Herren Prof. P. Emst , Eichhorst , Wyder, Wyss. Es beteiligen sich
an der Diskussion die Herren Prof. Zschokke , Dr. Leuch , Dr. A. Huber und Herr Zup-
pinger , ein Anhänger der Initiative.
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Referate und Kritiken
Traitd d’anatomie topographique, avec applications mödico-chirurgicales.
Par L. Tesiut et 0. Jacob. Tome I. (Tete — Rach in — Cou — Thorax) avec 553 figures
clans le texte, dont 537 tirees en couleurs. Paris Octave Doin 1905. Preis des Werkes
(2 Bände) Fr. 50.
Das vorliegende Buch gehört zu den besten Werken über topographische Anatomie,
die in den letzten Jahren erschienen sind. Die Darstellung ist klar und nicht zu aus¬
führlich, doch finden die Ergebnisse der neueren Untersuchungen, die auf vielen Gebieten
Spezialisten zu verdanken sind, gebührende Berücksichtigung. Der Stoff ist gut ge¬
gliedert, die Einteilung wird durch Unterschiede im Drucke, Zahlen, $ $ etc. hervorge¬
hoben. Die Aufmerksamkeit dürfte sich beim Durchblättern des Buches in erster Linie
den Abbildungen zuwenden, in der Mehrzahl vorzüglich ausgeführte Holzschnitte. Der
oft mehrfache farbige Ueberdruck trägt wesentlich zur Deutlichkeit bei, doch ohne ein
buntes, das Auge beleidigendes Farbengewirr hervorzurufen. Neben den genauen, natur¬
getreuen Abbildungen der Gegenden finde» wir eine grosse Zahl von Schemata, welche
oft, ohne Zuhilfenahme des Textes, genügen, um klare Vorstellungen zu erwecken. Als
Beispiel sei auf die Fig. 179 hingewiesen, welche die Zahncaries mit Abszessbildungen
darstellt. Die Variationsbreite in der Lage einzelner Gebilde sind, soweit ihr für die
Praxis Bedeutung zukommt, erwähnt und bildlich belegt.
Die systematische Anatomie bildet nach wie vor den eisernen Bestand jener Kennt¬
nisse, welche der Student der Medizin sich in Vorlesungen und im Seziersaale aneignen
soll. Daneben sollte aber auch die topographische Anatomie oder wie sie auch genannt
wird, die angewandte Anatomie ihren Platz im Lehrplane finden. Sagen wir es
offen, der Student der Medizin in spätem Semestern, sowie der praktische Arzt, werden
gewiss eher uach einem Werke, wie das vorliegende, greifen, als nach dem nicht mehr
ganz säubern Buche, welches ihnen auf dem Seziersaale Aufschluss über Ursprung und
Ansatz der Muskeln, Verlauf der Nerven und Gefäßse, etc., gewährte. Das Buch von
Testut und Jacob zeigt dem Arzte, welche Rolle die Anatomie in der Wirksamkeit des
Arztes spielen soll und verdient gewiss einen Platz zwischen den Lehrbüchern der innern
Medizin und der Chirurgie.
Handbuch der embryologischen Technik.
Von Paul Röthig. pp. 286. mit 34 Abbildungen im Texte. J. F. Bergmann.
Wiesbaden 1904. 10 Mk.
Röthig gibt eine Zusammenstellung der Fixations- und Färbungsmethoden, wie sie
bei embryologischen Untersuchungen angewandt werden. Auch die Gewinnung des Ma¬
terials, (von Wirbellosen und von Wirbeltieren) die Entfernung der Eihüllen, die Metho¬
den der experimentellen Embryologie, Zeichenapparate und Rekonstruktionstechnik werden
berücksichtigt. Das Buch kann als Nachschlagewerk warm empfohlen werden. Eine
Anzahl einfacher Textabbildungen erläutern die Schilderung der Einbettungs- und Rekon¬
struktionsmethoden.
Makroskopische und mikroskopische Anatomie des Gehirns.
Von Th. Ziehen . Mit 123 teilweise farbigen Textabbildungen. 10. Lieferung des Hand¬
buches der Anatomie des Menschen, herausgegeben von Karl von Bardeleben. — G. Fischer,
Jena. pag. 403—576. Preis 6 Mk.
Bildet den Abschluss der makroskopischen und mikroskopischen Anatomie des Ge¬
hirns. Die Darstellung ist eine sehr eingehende. Zahlreiche vergleichende anatomische
Angaben finden sich, als Erläuterung und Erklärung der Zustande beim Mensohen.
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Kompendium der Entwicklungsgeschichte des Menschen, mit Berücksichtigung der
Wirbeltiere.
Von L. Michaelis . 2. Auflage. G. Thierae. pp. XIV. und 162 und 50 Abbildungen
und 2 Tafeln. 4 Mk.
Eine Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Menschen auf 153 Seiten, mit 50
Abbildungen ist selbst für diejenigen Examenskandidaten, welche am Vorabend des kri¬
tischen Tages ihre Kenntnisse auffrischen wollen, etwas kurz. Ob andere das Kompen¬
dium zur Hand nehmen werden, ist fraglich. Das Büchlein liegt in zweiter Auflage vor.
Die männlichen Geschlechtsorgane.
Von C. J. Eberth. 12. Lieferung von K. v. Bardelebens Handbuch der Anatomie des
Menschen. Verlag von G. Fischer in Jena 1904. pp. 310 und 259, Fig. Preis 10 Mk.
Eberth gibt eine sehr genaue und erschöpfende Darstellung des Gegenstandes mit
zahlreichen Figuren, sowie genauen Literaturnachweisen. Entsprechend dem Charakter
eines Handbuches ist auch die Schilderung der histologischen Verhältnisse eine sehr ein¬
gehende. Man vergleiche den Abschnitt, welcher von der Struktur, der Form, dem che¬
mischen und physikalischen Verhalten der Spermatozoon handelt.
Handbuch der Anatomie und Mechanik der Gelenke, unter Berücksichtigung der
bewegenden Muskeln.
I. Teil. Anatomie der Gelenke. Von Eud. Fick, a. o. Professor und Prosektor
in Leipzig, pp. 512, mit 162 grösstenteils farbigen Abbildungen im Texte. Als 11. Lie¬
ferung des Handbuches der Anatomie des Menschen, herausgegeben von K. v. Bardeleben.
G. Fischer, Jena 1904. 18 Mk.
Ein Werk von 500 Seiten über die Anatomie der Gelenke, dem ein zweiter Band
über die Mechanik der Gelenke folgen soll, gebt wohl etwas über den Rahmen hinaus,
welchen selbst ein Hand buch der menschlichen Anatomie bietet. Der Verfasser ist
wohl, wie die Vorrede lehrt, selbst dieser Ansicht. Die genaue und auf Autopsie fus-
sende Schilderung der anatomischen Verhältnisse findet sich wohl in keinem anderen
Werke. Kurze Abschnitte, welche die praktische Bedeutung der geschilderten Verhält¬
nisse beleuchten, auch geschichtliche Excurse bieten dem Leser gewissermassen Erholung,
inmitten der Masse anatomischer Details. Die Abbildungen sind vorzüglich, zum Teil
dem bekannten Spalteholte 'sehen Atlas entnommen. Die Variation in der Ausbildung der
Gelenkfiachen, der Gelenkhöhlen und der Bänder werden gebührend berücksichtigt. Auf
dieser breiten Grundlage soll die im zweiten Teile zu erwartende Mechanik der Gelenke
aufgebaut werden. — Wir dürfen in derselben die gründlichste Bearbeitung dieses in
anderen Werken so stiefmütterlich behandelten Kapitels erwarten.
Ueber Gummiknoten im Herzfleische bei Erwachsenen.
Von Wilh. Stockmann . 104 Seiten und 7 Tafeln. Wiesbaden 1904. J. F. Bergmann.
Der Verf. beschreibt vier Fälle von Gammabildungen im Herzen, die zum Teil zu
objektiv nachweisbaren Aenderungen der Herzaktion und zu schweren Störungen des All¬
gemeinbefindens Anlass gaben. Die Arbeit, welche unter Benda , dem gerade in diesem
Gebiet der Pathologie der Kreislauforgane sehr verdienten Forscher, ausgeführt wurde,
gibt bei einer sorgfältigen Zusammenstellung und Verwertung der schon jetzt an¬
sehnlichen einschlägigen Literatur ein sehr klares Bild der momentanen pathologischen
und klinischen Kenntnisse dieser Aifektion. Hedinger , Bern.
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Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie innerer Krankheiten.
Von Prof. Dr. Hermann Eickhorst. Erster Band: Krankheiten des Zirkulation- und
Respirations-Apparates. Mit 193 Abbildungen. Wien/Berlin. Urban und Schwarzenberg.
1904. S. 808. Preis 12 Mk. = 18 Kr.
Das grosse Lehrbuch unseres verehrten Zürcher Klinikers liegt nun schon in sechster,
umgearbeiteter und vermehrter Auflage vor, wohl der beste Beweis für die grosse Be¬
liebtheit, deren sich das Werk seit seinem ersten Erscheinen 1882 bis zur Stande bei
den Studierenden erfreut. Und in der Tat verdient dieses Buch auch in vollstem Masse
dieses Zutrauen von Seiten der Lernenden, denn kaum ein anderes der gebräuchlichen
Lehrbücher gibt eine solche klare, übersichtliche und dabei doch leicht verständliche
Einführung in die spezielle Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten wie das
vorliegende vierbändige Werk.
Der soeben erschienene erste Band behandelt in der üblichen Anordnung die Krank¬
heiten des Zirkulation»- und Respirationsapparates mit Ausschluss der tuberkulösen. Die
grosse didaktische Kunst des Verfassers zeigt sich hier ganz besonders in den schwierigen
Kapiteln der Klappenerkrankungen, der angeborenen Herzfehler u. s. w. Neben dem
eigentlichen Lehrtexte bieten zahlreiche, klein gedruckte Abschnitte eigene und fremde
Kasuistik, statistische Mitteilungen und bakteriologisch-anatomische Exkurse, so dass auch
dem selbständig forschenden Arzte eine reiche Fundgrube hier zu Gebote steht.
Die zahlreichen, meist gut gelungenen und schön ausgführten Abbildungen von
Kranken, die vielen Puls- und Temperaturkurven, sowie die Reproduktionen mikrosko¬
pischer Präparate kommen fast alle aus den reichen eigenen Beobachtungen des Ver¬
fassers an der Zürcher Klinik.
Die Therapie hat eine ganz besondere Berücksichtigung gefunden und zwar auch
die diätetische und physikalische. Die in Fettdruck reichlich im Texte eingefügten Re¬
zepte zeichnen sich durch Einfachheit aus und sind so recht geeignet, sich gründlich dem
Gedächtnis einzuprägen.
Das vornehm ausgestattete Werk wird jedem, der es besitzt, Freude und grossen*
Nutzen bringen und ihn mit Spannung die noch ausstehenden drei Bände erwarten lassen.
Münch.
Grundriss der praktischen Medizin
mit Einschluss der Gynsekologie und der Haut- und Geschlechtskrankheiten, für Stu¬
dierende und Aerzte von Prof. Dr. Julius Schwalbe in Berlin. Dritte vermehrte Auf¬
lage, mit 65 Abbildungen. Stuttgart 1904. Verlag von Ferdinand Enke. S. 569.
Preis geb. Mk. 8.
Das vorliegende Werk soll ein Repetitorium der speziellen Pathologie und Therapie
für den Examenkandidaten und ein kurzes aber dabei doch gründliches Nachschlagebuch
für den Praktiker sein. Beiden kann und will es aber das Studium des eigentlichen
Lehrbuches nicht ersetzen. Die Einteilung des Stoffes ist die gewöhnliche. Jedem ein¬
zelnen Abschnitte ist eine allgemeine Diagnostik vorausgeschickt. — Der Abriss über
Gynrnkologie ist von Dr. A. Czempin (Berlin), deijenige über Haut- und Geschlechts¬
krankheiten von Dr. Max Joseph (Berlin) bearbeitet. — Die Therapie ist natürlich nur
in allgemeinen Zügen angedeutet, doch ist auch die Diätetik nicht vergessen. —
Vergiftungen, Maximaldosentabellen, eine Auswahl von Rezepten, die Uebersioht der Zu¬
sammensetzung der Nahrungsmittel und der wichtigstep Heilquellen, Kur- und Badeorte
bilden den Schluss des Kompendiums. Ein ausführliches Register ermöglicht rasche
Orientierung.
Druck und Ausstattung sind gediegen. Münch.
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Das Herz im gesunden und kranken Zustande.
Von Prof. Dr. H. Eichhorst in Zürioh. — Stuttgart, Ernst Heinrich Moritz. 1904.
S. 94. Preis geb. Mk. 1.50.
Das Büchlein bildet den 11. Band der in obigem Verlage neu erscheinenden „ Biblio¬
thek der Gesundheitspflege“, begründet von f Prof. Dr. Hans Büchner und Prof. Dr.
Max Bühner , fortgesetzt von Med.-Rat Dr. Felix Gussmann in Stuttgart. Die Samm¬
lung bezweckt eine Reihe von Einzeldarstellungen zu geben, in denen, unter Zugrunde¬
legung der Anatomie und Physiologie der Organe, das Wesen ihrer Krankheiten, deren
Verhütung, sowie richtige hygieinische und diätetische Massnahmen in Krankheitsfällen
zur Darstellung gelangen sollen.
Das vorliegende Bändchen, frisch und klar geschrieben, darf allen Herzkranken und
den vielen, welche es heutzutage zu sein glauben, unbedenklich in die Hand gegeben
werden, indem es der so beliebten Selbstbehandlung keinerlei Vorschub leistet, sondern
von dem Grundsätze ausgeht, dass es leichter ist, sich ein gesundes Herz zu erhalten
als ein krankes gesund zu machen.
Abbildungen und Ausstattung sind nur zu loben. Münch .
Die Faces des Menschen
im normalen und krankhaften Zustand mit besonderer Berücksichtigung der klinischen
Untersuchungsmethoden. Von Ad. Schmidt und J. Strasburger. Berlin 1903. Hirschfeld.
Preis 26 Fr.
Nachdem bereits 1901 der erste und zweite, und 1902 der dritte Abschnitt dieses
ausgezeichneten, von grösstem Fleiss und gründlicher Kenntnis zeugenden Werkes, das in
der gesamten ärztlichen Welt die beifälligste Aufnahme gefunden, im Druck erschienen
sind, haben die beiden Autoren vor kurzem ihr Werk mit dem vierten Abschnitt, welcher
speziell die Mikroorganismen der Fsbcos behandelt, mustergültig zum Abschluss gebracht.
Im ersten und zweiten Abschnitt führen uns die Verfasser in die makro- und mikro¬
skopische Untersuchung der Fseces ein und machen uns in der diese Abschnitte ein¬
leitenden Methodik mit ihrer Probediät bekannt, die sie für exakte Stuhluntersuchungen mit
Recht als ebenso wichtig erachten, wie das Probefrühstück für die Magenuntersuchungen.
Der dritte Abschnitt behandelt in ausführlicher Weise die chemischen und mikro¬
chemischen Untersuchungen der Fseces, namentlich auch die Zusammensetzung der ver¬
schiedenen Kotsorten (Mekonium, Hungerkot, Säuglingskot etc.) und giebt eine ziemlich
detaillierte Uebersicht über die Resultate der Stoffwechseluntersuchungen, soweit sie hier
in Betracht kommen.
Der vierte Abschnitt endlich macht uns mit den neuesten Forschungen über die
Mikroorganismen der verschiedenen Stuhlarten (Mekonium, Frauenmilch- und Kuhmilch-
stuhl des Säuglings, Kot des Erwachsenen etc.) vertraut. Von neuen Untersuchungs¬
methoden, die die beiden Verfasser in die Diagnostik eingeführt, sei nur die eigenartige
Bestimmung der Bakterienmenge durch Wägung erwähnt, welche bereits von verschiedener
Seite nachgeprüft und als gute Resultate gebend, empfohlen werden darf.
Die Isolierungen der Bakterien aus dem Kot und Färbung derselben nach dem bei
der Wägung zur Geltung kommenden Prinzip, hat Referent an zahlreichen Stuhlunter-
suchungen angewendet und ausgezeichnete Resultate erhalten. Sie kann auch ohne
grössere Schwierigkeiten von weniger Geübten, denen eine Harn-Zentrifuge zur Verfügung
stebt, ausgeführt werden.
Noch sei erwähnt, dass dem Text eine grössere Zahl sorgfältig ausgeführter, z. T.
farbiger Tafeln von makro- und mikroskopischen Präparaten, beigegeben ist.
So sei denn das gediegene Werk, das in bisher einzig dastehender Art über alle
Forschungen auf dem Gebiet der Stuhluntersuohungen Auskunft gibt, sowohl dem Prak¬
tiker, als namentlich allen denen, die sich speziell mit Koprologie beschäftigen, aufs An¬
gelegentlichste empfohlen. E . Fricker.
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Theorie und Praxis der AugenglBser.
Von Dr. E. U. Oppenheimer , Augenarzt in Berlin. Mit 181 Textabbildungen. 1904.
Berlin. Ang. Hirschwald. Preis Fr. 6. 70.
Dieses Werk füllt in der Tat eiue Lücke in der med. deutschen Literatur aus.
Ein Work, das die Brillenverordnnng und Brillenanfertigung gemeinsam behandelt, fehlt
bis jetzt. Das Buch richlet sich in erster Linie an die Augenärzte und an die prakt.
Aerzte, die mit Brillen Verordnung zu tun haben. In zweiter Linie richtet es sich an die
Optiker, resp. fördert die gegenseitige Fühlung zwischen Optiker und ordinierendem Arzte,
indem die einschlägigen technischen Ausdrücke klar horvorgehoben sind; in dritter Linie
wendet es sich an den gebildeten Laien, der für die Brillenkunde sich eingehender in¬
teressiert. Verfasser hat in Amerika spezielle Studien über Gläserfabrikation und Brillen¬
anfertigung gemacht, welche Erfahrungen in dem Werke reichlich verwertet sind. Alles —
sei es Technisches oder Wissenschaftliches — was zur Brillenkunde gehört, ist hier ent¬
weder eingehend erörtert oder wenigstens kurz skizziert. Zahlreiche Abbildungen veran¬
schaulichen das im Text gesagte. Pfister .
Meine Erfahrungen Uber Subkonjunktivaltheraphie.
Von Dr. A. Senn , Augenarzt in Wyl.
Senn ist wohl ausser Darier in Paris der eifrigste Verwender der subkonjunktivalen
Injektionen. Bei einer sehr stattlichen Anzahl von Augenaffektionen hat er diese Therapie
in Anwendung gebracht, nämlich : Herpes cornem febrilis 49, Scleritis 15, Ulcus cornem
und Keratitis traumat. 54, Keratitis parenchymat 11, Ulcus serpens c. Hypopyon 25,
IridochorioiditiB chron. idiopath. 7, Iridocyclitis traumat 9, Iridooyditis nach Operationen 3,
Genuine Iridocyclitis 1, Glaskörpertrübungen 16, Chorioiditis in macul. bei Myopie 53,
Chorioiditis in macul. bei der Phakolyse unterworfenen Augen 20, Chorioiditis in macul.
anderer Aetiologie 8, Retino-Chorioidit. und Chorioidit. dissem. 17, Retino-Chorioidit. rudi-
ment. e Lue congenita 20, Retinitis pigmentosa 3, Netzhautblutungen 16, Netzhautab¬
lösung 6 Fälle. Im ganzen sind es 330 Fälle.
Kochsalzinjektionen hält Verfasser indiciert nur bei: Herpes cornem, Ulcus corn. in-
filtrat, und Keratit. traumat., Netzhautblutungen. In allen andern 15 Krankheitskatego¬
rien verwendet Verfasser ausschliesslich subkonjunkt. Injektionen von Hydrarg. oxycyanat.
(1 : 5000) welch’ letzterem er noch intensivere Wirkung zuschreibt als dem von Darier
empfohlenen Hydrarg. cyanat (1:5000). Zur Verminderung der Schmerzhaftigkeit setzt
Verfasser l°/o Acoinlösung der Injektionsflüssigkeit bei. Zuweilen wurde hiebei Tensions¬
steigerung beobachtet, welche Verfasser nicht der Injektion als solcher, sondern dem Aco-
inzusatz zuschreibt. Was die Quantität der einzuspritzenden Flüssigkeit aubetrifft, so hält
Verfasser eine einmalige ausgiebige Injektion (1 gr oder mehr Flüssigkeit) für wirksamer
als mehrere kleinere Injektionen. Verfasser ist mit seinen Resultaten sehr zufrieden und
rühmt namentlich die Visusverbesserung bei Chorioiditis in macula der Myopen.
Wenn diese Publikation ihren Zweck erreicht, so müssen in nächster Zeit von
vielen Augenärzten die subkonjunkt. Einspritzungen in ausgiebiger Weise in Anwendung
gebracht werden und wenn dann von verschiedenen Seiten gleich gute Ergebnisse gesammelt
und publiziert werden, dann erst darf man dieser Behandlungsmethode den hohen Wert
zuerkennen, den der Verfasser befürwortet. Pfister .
Paul ßuttmans Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden fUr die Brust- und
Unterleibs-Organe.
Von Dr. Felix Klemperer. Neunte, vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin 1904.
Aug. Hirschwald. Preis Fr. 13. 35.
Das erste Erscheinen des Guttmanri *sehen Lehrbuches fällt auf den Anfang der
70 iger Jahre: also in eine Zeit, die für manche Dinge unserer Disziplin eine andere
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Auffassungsweise oder wenigstens eine andere Art Bich auszudrücken hatte, als wir. Bei
einer Modernisierung derselben, die notgedrungenerweise bei einer Neuausgabe eintreten
musste, lag die Gefahr nahe, das Buch würde sein Gepräge verlieren. Bei der vor-
liegenden Neubearbeitung bat das Buch aber nichts eingebüsst. Es zeichnet sich immer
noch aus durch eine aussergewöhnlich klare und suggestive Darstellung. Für den prak¬
tischen Arzt wird die Lektüre dadurch ausserordentlich erleichtert, dass der Verfasser
sich einer bewussten Beschränkung beflissen und manche Schwierigkeit eher vermin¬
dert als hervorgehohen hat. Karcher.
Die Diagnose der Herzmuskelerkrankungen.
Von Heinrich Bock . Stuttgart. F. Enke. 1902. Preis Fr. 2. 70.
Der Verfasser sucht die Diagnose der Herzmuskelerkrankungen durch Herausschälen
der einzelnen Formen aus dem Sammelbegriffe der Herzmuskelinsuffizienz zu klären. Er
verwendet hiezu besonders die quantitative Bestimmung der Intensität der Herztöne mittelst
des OerteV sehen Stethoskopes. Mit dieser Methode kommt er dazu, besondere Krankheits¬
bilder für Dilatation und Hypertrophie jeder der beideu Herzhälften aufznstellen. Im
weiteren scheidet er die Herzmuskelerkrankungen nach ihrer Aetiologie: a) in Folge
übermässig gesteigerter Anforderungen; b) in Folge Stoffwechselerkrankungen; c) in Folge
von degenerativen und proliferativ-entzündlichen Prozessen; d) in Folge von nervösen
Störungen. Ueberall fallen die weitgehenden diagnostischen Schlussfolgerungen auf, die
aus den einzelnen klinischen Symptomen gezogen werden. Karcher.
Leitfaden zur klinischen Untersuchung des Blutes.
Von Dr. med. C. 8. Engel . Zweite Auflage. Berlin 1902. Aug. Hirschwald. Preis Fr. 6 70.
Dieser Leitfaden gibt die Methoden der Blutuntersuchungen wieder, wie sie bei
Ehrlich geübt werden. Es ist hauptsächlich ein sehr guter Leitfaden für die mikro¬
skopische Untersuchung des normalen und pathologischen Blutes. Am Schlüsse des BucbeB
findet sich ein besonderer Abschnitt über Biologie des Blutserums, wobei die Ehrlich'scho
Seitenkettentheorie eingehend behandelt ist. Karcher .
Kantonale Korresponden*en.
Zürich. Dr. med. Hilarius Menzl. f War das ein trauriger Tag, als wir im
Freundeskreise die irdische Hülle des verstorbenen Freundes, Hilarius Menzi , zum Fried¬
hof begleiteten! So jung, so hoffnungsvoll, so vielversprechend war er eben noch unter
uns gestanden und jetzt! — Die erschütternde Gegenwart bannte das Wort, und um so
tiefer bewegten Trauer und Klage die Gedanken.
Der äussere Lebensgang Dr. Menzis wurde durch das Studium vorgezeichnet. Ge¬
boren 1877 in Filzbaoh (Glarus), genoss er das Glück einer einfachen Jugendzeit in herr¬
licher Natur, fern von der Grosstadt Lärm und Getriebe. Mit 10 Jahren kam er nach
Zürich, besuchte Volksschule und Gymnasium, bezog dann die Universitäten Lausanne,
Zürich, Heidelberg und vollendete seine Studien mit vorzüglichem Examen in Zürich.
Eine Zeit lang war er Assistent am bakteriologischen Institute. Hier schuf er seine
Dissertation: Beitrag zur Züchtung und zur Biologie des Tuberkelbazillus, Zeitschrift für
Hygiene und Infektionskrankheiten 1902, Bd. XXXIX. Ein Jahr lang blieb er Assistenz¬
arzt am Spital in Winterthur und übernahm dann die Stelle als poliklinischer Arzt in
Aussersihl. Hier kam er in ein reiches Feld praktischer Tätigkeit, aus der ihn die per¬
fideste aller Krankheiten, die Perityphlitis, uns entrissen hat.
H. Menzi war ein gottbegnadigter Arzt. Die Liebe und das Vertrauen seiner
Patienten hat er im Sturme sich erobert. Mit ganz seltenem Geschick verstand er es,
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124
den Kranken ihr Leiden und dessen Behandlung zu erklären. Mit rastlosem Eifer suchte
er auch sein medizinisches Wissen zu mehren und klagte nur darüber, dass seine Tätig¬
keit und seine Zukunftspläne ihm so wenig Zeit übrig Hessen. Wer ihn auch nur kurz io
seiner beruflichen Arbeit gesehen, hegte keinen Augenblick Zweifel, dass er überall und
rasch sich eine eigene Praxis gewinnen werde.
Dr. Menzis Bildung war eine umfassende und namentlich für einen jungen Arzt unge¬
wöhnliche. In Literatur, Philosophie und sozialen Fragen war er sehr bewandert; die alten
Klassiker blieben ihm durch stete Lektüre vertraut; er schätzte sie hooh, wenn er auch stets
betonte, dass eine rein humanistische Bildung gerade für den Arzt wenig geeignet sei.
Vor allem gross war aber Menzi als Mensch und als Charakter. Aus seinen Augen
strahlte die Herzensgüte wie belebender Sonnenschein auf die Flor. Jeder, der ihn
8prach, erkannte rasch seine Wahrheit, seine Treue und seine Nächstenliebe. Ein Grund¬
zug seiner Seele war ferner ein unauslöschbarer Idealismus, der in seinen Konsequenzen
ihn zu den schwersten Konflikten geführt hat. Nie aber ist er anders als makellos da¬
gestanden, und die herbsten Erfahrungen konnten seine ideale Auffassung auch nicht um
Haaresbreite ändern. So hat er dem Tod ins Auge gesehen als ein Held, und es war
keine Ueberhebung, wenn er sein Sterben, umgeben von seinen Freunden, mit Sokrates
verglichen hat. Uns aber, die wir ihn kannten, die wir ihn liebten oder als Freund
besitzen durften, wird er unauslöschbar in Erinnerung bleiben als ein selten edler, wahr¬
haft vornehmer Mensch. 0. N.
W oohenberioht.
Schweiz.
— Im Jahre 1904 haben folgende Herren die eidgeatasiseke ■eilililsckc Fsck-
prflfuBg mit Erfolg bestanden:
Basel. Vogt , Alfred von Menziken, Hosch , Gustav von Basel, Vogelsanger , The o-
dor von Beggingen, Rocco, Joh . Bapt. von Celerina, Herzer , Gustav von Rbeinfelden,
Grossheints , Paul von Basel, Eiehenberger , Rudolf von Burg, Vogel , Max von Kölliken,
Dietschy , Rudolf von Basel, Oeri, Rudolf von Basel, Verderame, Philipp von Licata (Italien),
Schürer , Johann von Muri.
Bern. Matti , Hermann von Zweisimmen, Gemuseus, Alfred von Basel, Haller ,
Viktor von Bern, Jaeggi , Emst von Kriegstetten, Aeschbacher , Siegfried von Radelfingen,
Imboden , Karl von Unterseen, Bis , Otto von Bern, Lüthi, Albert von Innerbirrmoos,
Allemann , Emst von Leuk, v. Niederhäusern , David von Wattenwil, Portmann, Hans von
Escholzmatt, Gatraux , Rudolf von Malleray, Haeberlin , Arthur von Berg, Etter , Johann
von Birwinken, Lamuniere, Maurice von Genf, Bovet , Fritz Viktor von Neuenburg, Siegrist ,
Hans von Zuzwil, Schorer , Gerhard von Bern, Liebi, Werner von Thun, Gilli % Julius von
Sufers, Stotzer , Emst von Büren a./A., Bachmann , Albert von Sternenberg, Heiniger , Otto
von Burgdorf, Martin , Henri von Peseux, de Ligneris, Max von Bern, de Montet , Charles
von Vivis, Mende, Edwin von Oberrieden, Schaad , Hans von Oberbipp, Schmidt Walter
von Maikirch.
Genf. Morin , Charles von Genf, Mayor , Eugene von Neuenburg, Kampmann ,
Andre von Genf, Porte , Georges von Plainpalais, Rychner , Paul von Locle, Rosseiet ,
Edouard von Couvet, Brissard , Alexis von Genf, Ladame , Paul von Genf, Romanowitsch ,
Dragouüne von Beigrade (Serbien), Roulet , Edouard von Neuenburg, Jeanneret , Maurice
von Chaux du-Milieu, Sautier , Jjouis von Luzern, Henneberg , Henri von Genf, Trechsel 9
Emil von Bern, Gramer , Alexandre von Genf, Kühne , Charles von Genf, Dufour y Roger
von Genf, Beau , Pierre von Neuenburg, Leuba 9 William von Neuenburg.
Lausanne. Chaperon ) Louis von Chätel St. Denis, Deluz, Adrien von Romanei,
Roulier , William von Yvonand, Bettex, Marius von Combremont-le Petit, de Cerenville ,
Ferdinand von Paudex, Zfr#, AmoW Francis Coventry (England).
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125
Zürich. Aschwanden, Joseph von Altdorf, Bannwart, Jos. Alexander von Kirob-
berg, Christen, Eugen von Andermatt, Hüty, Otto von St. Gallen, Huber, Fritz von Zürich,
Rütschi , Emil von Zörich, Schirmer , Albert von Frauenfeld, Schmid , Ä/tcw von St. Peter¬
zell, Schönholzer, Gottfried von Schaffhausen, &tcfer, Hermann von Zürich, Bolter, Wilhelm
von Buch, Brühlmann, Jiu/ie von Hemmersweil, Fenner, Hans von Dübendorf, German,
Wilhelm von Wyl, GwÄ/, Eugen von Sfteckborn, Jessen , Z)r. Friedr. von Hamburg, Jnn<7,
Ewald von Basel, Juvalta , Fortunat von Zuoz, Kaeslin, Wilhelm von Beckenried, Löffler,
Ado//* von St. Johann (Oesterreich), Mettler, Emil von Rorschach, Meyer, Alfred von
Otelfingen, Schlaepfer , PtA/or von Trogen, Schlotter , Conrad von Hüttweilen, Schlotter,
Gotthold von Oberglatt, Schlüter, Emil von Mitlödi, Ulrich, Samuel von Zürich, Billeter,
Leo von Männedorf, Brettauer, Alfred von St. Gallen, Censi, Ubaldo von Lamone, Dccä,
Hans von Zürich, Hgr/t, Gottfried von Gähwyl, Hugentobler, Rudolf von 8t. Gallen, Karrer,
August von Zuzwil, Hee/, Har/ von Rebstein, Kollbrunner, Otto von Zürioh, Müller, Chor -
Wte von Wiesendangen, Pfenninger, Willy von Zürich, itea/, Car/ von Schwyz.
— ■illtlrverslehempifesets. Die unter dem Vorsitz von Ständerat Dr. itow/
Scherrer in Basel zusammengetretene ständerätliche Kommission für Abänderung des Militär¬
versicherungsgesetzes hat der vom Bundesrat vorgeschlagenen Revision des Art. 37 grund¬
sätzlich zugestimmt, will aber teilweise eine andere Redaktion vorschlagen. Die Petition
der schweizerischen Aerztekommission betr. Revision der Art. 18 und 20 des Gesetzes
wurde insofern berücksichtigt, als eine Verantwortlichkeit der Aerzte nur für schuldhafte
Unterlassung der Anzeige statuiert werden soll. Der mehrstündigen Beratung wohnten
BundeBrat Müller und Oberfeldarzt Dr. Mürset bei.
— Die Januarnummer der „Suisse universitaire* enthält ein Referat von Rektor
Dr. G. Finsler in Bern an die Versammlung der Gymnasiallehrer über die Programme
der eldgeaässlsehea Maturität. Wir können an dieser Stelle auf den Inhalt dieses Auf¬
satzes, der im wesentlichen eine Darstellung der Entwickelung der Angelegenheit euthält,
nicht näher eingehen und verweisen unsere Leser auf das Original. Da jedoch der
offizielle Entscheid in dieser Angelegenheit noch nicht gefallen ist und authentische
Nachrichten über ihren gegenwärtigen Stand fehlen, scheint es uns nicht ohne Interesse
den Abschnitt des Referates von Dr. Finsler zu reproduzieren, in welchem der Autor über
die vom eidgenössischen Departement des Innern einberufene Konferenz der Maturitäts¬
kommission, des leitenden Ausschusses und der Delegierten der kantonalen Erziehungs-
direktoren am 12. und 18. Februar 1904 berichtet.
„Die Zeitungen haben mitgeteilt, dass man es nicht zu einer Einigung gebracht
hätte. Dies ist unriohtig! Allerdings suchte am ersten Tage jede Partei ihren Stand¬
punkt zu verteidigen, so dass man schliesslich die Diskussion abbrechen musste. Herr
Bundesrat Forrer, der den Vorsitz führte, fragte mich nooh am Ende des ersten Tages,
ob ich nicht glaube, dass eine bedingungslose Zulassung der Realschüler zum medizinischen
Studium, der Frequenz der klassischen Gymnasien schaden würde. Ich muss zugestehen,
dass ich diese Frage nicht mehr ohne weiteres verneinen durfte, wie ich es zehn Jahre
früher getan hätte. Als damals von der Zulassung der Realschüler die Rede war, beab¬
sichtigte man mit Hülfe der fremden modernen Sprachen die literarische Kultur auf der
Realschule so zu heben, dass man hoffen durfte, auf diese Weise einen Grad formeller
Kultur zu erreichen, welcher mit dem durch das Studium der alten Sprachen erworbenen
gleichwertig wäre. In der Folge rückte aber dieser Gedanke in den Hintergrund. Man
schien vielmehr der Realschule so viel aus dem Gebiete der Naturwissenschaften zuweisen
za wollen, dass ihr Unterricht allein zur Absolvierung des medizinisch-propädeutischen
Examens beinahe genügt hätte. Unter diesen Umständen wäre die Parität nicht mehr zu
Gunsten der klassischen Anstalten gewesen, denn die Aussicht, seine naturwissenschaft¬
lichen Vorstudien auf der Mittelschule beinahe vollständig absolvieren zu können, hätte
wohl jeden künftigen Mediziner veranlasst, diesen Weg zu betreten. Darüber herrscht in
den höheren medizinischen Regionen eine Stimmung, weiche mit meinen eigenen Neigungen
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übereinstimmt und darin besteht, alles aufzubieten, um ein Uebergreifen des Spezial¬
studiums auf die Mittelschulbildung zu verhindern. Sollte die Gefahr eines derartigen
Uebergreifens noch offenkundiger zu Tage treten, so wäre man berechtigt, an der
Richtigkeit unserer Auffassung zu zweifeln.
Dessen ungeachtet erschien es jedoch ausserordentlich wünschenswert, dem gegen¬
wärtigen Zustande der Unsicherheit auf irgend eine Weise ein Ende zu setzen. Die Kon¬
ferenz der Erziehungsdirektoren hatte das Departement ersuoht einen definitiven Entscheid
zu treffen. Die Lage war geklärt. Die Mehrheit der Erziehungsdirektoren und der ge¬
samte Aerztestand hatten sich für Beibehaltung des obligatorischen Lateins ausgesprochen.
Es handelte sich also nur noch darum, die Niederlage einer der beiden Parteien zu pro¬
klamieren, oder den Frieden zu schliessen, um sich die Möglichkeit zu bewahren, in Zu¬
kunft noch gemeinschaftlich arbeiten zu können.
Am zweiten Verhandiungstage, am 13. Februar, zeigte Herr Staatsschreiber Huber,
Schriftführer der Konferenz der Erziehungsdirektoren den Weg. Er machte den Vorschlag,
auf den Entwurf der Maturitätskommission vom 11. Dezember 1899 zurückzugreifen und
denselben als Grundlage der neuen Organisation zu nehmen. Es wäre zum mindesten
verfrüht, den Realschülern den bedingungslosen Zutritt zu den medizinischen Prüfungen
zu gewähren. Obschon grundsätzlich mit den Ansichten der Maturitätskommission ein¬
verstanden, wünschte er jedoch einen Vergleich herbeizuführen. Darauf erklärte ich, dass
ich gegen die Annahme des Vorschlages des Herrn Huber nichts einzuwenden habe. Es
wurde jedoch nicht abgestimmt, da die Konferenz lediglich den Charakter einer Konsul¬
tation zur Orientierung des Chefs des Departements des Innern trug. Die Versammlung
erblickte aber in den letzten Meinungsäusserungen eine Erledigung der Angelegenheit.
So ist nun der Krieg zu Ende, sagte mir der Genfer Vertreter im leitenden Ausschüsse.
Auf eine an ihn gerichtete Frage im Ständerat und in der Konferenz der Erziehungs¬
direktoren vom 4. Juli antwortete der Vorsteher des Departementes des Innern, dass die
Angelegenheit rasch erledigt werden soll. Es ist kaum daran zu zweifeln, dass die Er¬
ledigung im Sinne der Beschlüsse der Konferenz der Erziehungsdirektoren vom 6. und 7.
September 1899 fallen wird.
Mit anderen Worten : es soll alles beim alten bleiben, nur werden die Bestimmungen
für die literarische Prüfung verschärft.
Ausland.
— Der Lancet vom 28. Januar 1905 bringt einige interessante kleine Mitteilungen,
die in Kürze hier wiedergegeben werden sollen.
1. Es ist selten, dass ein Kind schon am zweiten Tage nach der Gebart operiert
werden muss, wie in einem aus der Frauenklinik in Glasgow berichteten Fall. Die Mutter
war normal gebaut, die Beckenmasse boten nichts abnormes, aber als nach 13 ständiger
Geburtsdauer bei der Primiparen die Ausstossung des Kindes recht plötzlich mit Damm¬
riss II. Grades erfolgte, fand sich am linken Scheitelbein des Kindes eine ovale Schädel-
depression, 10 cm lang, 7 cm breit, vor. Dreissig Stunden nach der Geburt setzteifc ge¬
fährliche Drucksymptome ein. Klonische und tonische Krämpfe beider Arme, besonders
aber auf der rechten Seite. Tonischer Krampf des Halse» rechts, Zuckungen im Gesicht.
Nach 24 Stunden entschloss sich Dr. Wilson zur Operation. Der deprimierte Teil des
Knochens wurde unter antiseptischen Oautelen gehoben. Naht, Verband. Langsames
Verschwinden der Symptome nach 35 Stunden. Verbandwechsel 10 Tage nach der Ope¬
ration. Heilung per primam.
2. Ein 13jähriger äusserst elend aussehender Knabe (Gewicht 16 ko. 1), litt lange
an Husten, Auswurf, Nachtschweisseu. Es bestand enorme Ausdehnung des Bauches mit
DiarrhoB. Temperatur hoch febril (bis 40 0 C.). Rasende Ohrschmerzen. Die Diagnose
mehrerer Aerzte lautete auf Phthise. Dr. Lislon entdeckte eine Askaride, deren Kopf in
der Tuba Eustachii fest eingezwängt war. Die Entfernung war schwierig; sofort liessen
die Ohrschmerzen nach. Auf Verabreichung von Santonin, Calomel und Scammonium
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wurden innert 14 Tagen per os und per reotum im ganzon 603 Spulwürmer entfernt
die in der Länge von 13 bis 20 cm variierten. Der Husten versobwand, der Appetit
kehrte zurück, rapide Gewichtszunahme von 7 ko.
3. Im Januar starb in Hupton eine Frau von 28 Jahren; so schien es den Ange¬
hörigen, die den Körper in einem Leichenhemde iu einem eiskalten Raume zum Begräbnis
zurecht legten. Der Arzt wurde benachrichtigt und gab, gestützt auf mündliche Angaben
der Angehörigen, die Erlaubnis zur Beerdigung. Alle Anordnungen zum Begräbnis
wurden getroffen. Der Sohreiner, welcher den Sarg abmass, bemerkte aber Zucken der
Augenwimpern der scheinbar toten Frau. Er wandte sofort künstliche Atmung an. Es
erfolgten hierauf weitere Bewegungen, die Äugen öffneten sich und glotzten ihn an. Auf
weitere Belebungsversuche konnte die Patientin leise sprechen. Eine genaue Anamnese
ergab, dass die Patientin als Kind zweimal kataleptische Anfalle gehabt hatte, ferner
hatte sie an epileptischen Attaquen gelitten. Durch lange Krankheit, Erschöpfung und
Kälte war die Vitalität sehr herabgesunken. Der Lancet erinnert an den Ausspruch
BrcuardeV s, dass das lebendig Begrabenwerden den Laien und nicht den Aerzten zur
Schuld angerechnet werden müsse, indem die Gefahr ausschliesslich der mangelnden Kon¬
statierung des Todes von kompetenter ärztlicher Seite zazurechnen sei. Der Lancet
dringt auf das nachdrücklichste darauf, dass in England wie in anderen Ländern die
obligatorische Leichenschau von Seiten der Aerzte eingeführt werde.
Dr. Theod. Zangger.
— Jodwlrkuuf bei Arteriosklerose, Ans den Untersuchungen von 0 . Müller und
Inada gebt hervor, dass das Jod nicht die Gefasse, sondern das Blut selbst beeinflusst.
Die Viskosität des Blutes nimmt durch den Jodgebrauch allmählich ab, das Blut wird
leichter flüssig. Die Erschwerung des Blotstromes durch die Gefässerkrankung kann durch
das leichtere Fliessen des Blutes bis zu einem gewissen Grade oder auch völlig ausge¬
glichen werden. In gleichem Verhältnisse zur Abnahme der Viskosität steigt nach der
Foiseulle'sehen Formel die Stromgeschwindigkeit. Die praktische Erfahrung lehrt, in
Uebereinstimmung mit dieser Anschauung, dass die Jodsalze ausgezeichnet wirken bei
beginnenden Störungen, die überwiegend auf der unzureichenden Durchblutung beruhen,
bei denen tiefere anatomische Läsionen der Organe (z. B. Blutungen oder Erweichungen
im Gehirn, schwielige Myokardveränderungen, interstitielle Nephritiden) fehlen, während
die bereits ausgebildeten anatomischen Störungen arteriosklerotischen Ursprungs auf Jod¬
salze nicht mehr reagieren. Jod wirkt gut, zuweilen überraschend, bei den so häufigen
Anfängen der cerebralen Arteriosklerose, welche völlig unter dem Bilde der Neurasthenie
oder abnorm psychischen Erscheinungen auftreten können; sodann wirkt Jod bei leichter
und mittelstarker Angina pectoris, bei massiger Herzschwäche mit auffallender Dyspnoe
nach Bewegungen und hin und wieder auch bei kardialem Asthma und bei der Claudi¬
catio intermittens. Selbst in dieser Umgrenzung lässt aber Jod zuweilen im Stiche, z. B.
bei mässiger Herzschwäche mit geringer Stauung. Direkt schädlich kann das Jod bei
der Abart des kardialen Asthmas wirken, welche man bei arteriosklerotischer Schrumpf¬
niere infolge eines urämischen Lungenödems beobachtet. Auch bei Basedow mit sklero¬
tischen Herzveränderungen, bei Kropf kranken mit Herzerscheinungen, deren sklerotische
oder strumöse resp. Basedowsche Entstehung nicht ganz sicher zu entscheiden, ist von
Jodgebrauch abzuraten, resp. das Jod nur sehr vorsichtig zu gebrauchen. Man gebrauche
monatelang mässige Dosen, etwa 3 mal täglich 0,3 bis 0,5 Jodkali oder Jodnatrium.
Verbot saurer Speisen und Getränke, Zufuhr von Alkali neben dem Jodgebraucbe. Soll
der Magen umgangen werden, so kann mann Jodipin subkutan an wenden. (Deutsch,
med. Wochenschr. Nr. 48, 1904)
— Chronische PheBaeetlBvergiftaag. M. Hirschfeld teilt folgenden Fall mit:
Eine junge anämisch-nervöse Frau von 23 Jahren litt seit etwa 2 Monaten an einem
Exanthem, das folgendes Bild bot: Beide Unterschenkel waren mit punkt- und streifen¬
förmigen Petechien übersät; an einigen Stellen, und zwar namentlich auf den unteren
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Hälften der Tibien und den Malleolen, waren die Blutungen zu Extravasaten von Zehn¬
pfennig- bis Zweimarkstückgrösse konfluiert, die offenbar bis in die tiefem Teile des
Coriums reichten, und zeigten zura Teil eine bräunlich-schwarz liehe Farbe. Im Laufe der
nächsten Wochen entwickelten sich in der Mitte dieser, übrigens sowohl spontan wie auf
Berührung sehr schmerzhaften Stellen oberflächliche, 2—3 mm tiefe, schmierig belegte
Ulcerationen mit unregelmässigem Rande und bis zu Fünfmarkstückgrösse. Eine Ursache
dieses Krankheitsbildes war nicht festzustellen*, Rheumatismus, septische Infektion, schwere
Blutkrankheit waren ausscuschliessen. Erst nachdem ein Jahr später eine beträchtliche
Verschlimmerung eingetreten war, kam H. auf den Gedanken eines Zusammenhanges
dieser Affektionen mit der häufigen Absorption von Phenacetin durch die Patientin wegen
Kopfschmerz- und Migräneanfällen. Sobald das Mittel weggelassen wurde, heilte die
Krankheit spontan im Verlaofe von etwa 4 Wochen. Als Pat. später ohne Wissen des
Arztes wieder Phenacetin zu sich nahm, zeigten sich wieder neue Blutungen und ein
frisches Ulcus. (Deutsch, med. W. Nr. 2.)
— Redaktion der eigüsekei Rosse and Gewichte in solche des metrischen
Systems.
I. 1 Inch-0,0254 Meter; 1 Mile - 1,6093 Kilometer.
II. 1 Minim- 0,0592 Milliliter (ccm); 1 Fl. Dr. - 3,5515 Milliliter; 1 Fl. Oz. -
28,4123 Milliliter; 1 Pint - 0,5682 Liter; 1 Gallone - 4,5459 Liter.
III. 1 Grain - 0,0648 Gramm; 1 Scruple - 1,2959 Gramm; 1 Drachme - 3,8879
Gramm; 1 Ounce - 31,1035 Gramm; 1 Pound - 0,4536 Kilogramm.
(Pharmaceutical Journal. 1904. 476).
— Halspastillen bei RondeleaUllndangen empfiehlt Zenneri Resin. Guajac. 2,0,
Saccb. 2,0 Pur 10 Pastillen. Zweistündlich ein Plätzchen. (Wien. med. Wochenschr. Nr. 1.)
Beriehtigang*
In einer Zuschrift an Dr. E . Haffter beschwert sich Prof. Hess in Würzburg
über die persönliche Bemerkung, welche ich an die Besprechung seines Buches (vergl.
diese Zeitschr. 1904 S. 671) geknüpft habe, welche aber jedenfalls weniger schlimm gemeint
war, als sie aufgefasst worden ist. Prof. Hess stützt seine Reklamation auf Seite 16
meiner Abhandlung „Eine Schichtstarfamilie“, wo es heisst, „dass Schichtstarkranke ohne
Ausnahme an progressiver Myopie mit ihren Folgen leiden.“ Bedauerlicher Weise ist
mir dies s. Z. bei der Korrektur entgangen und hätte vor „ohne Ausnahme“ ein „fast“
gesetzt werden sollen. Dass es so gemeint war, geht wohl aus den beiden andern im
Referat zitierten Stellen und der Schlussbemerkung hervor und entspricht auch meiner
damaligen und heutigen Auffassung. Hosch.
Die oben erwähnte grössere Zuschrift erfolgte im November letzten Jahres. Darin
verwahrt sich Prof. Hess gegen den Vorwurf, als ob er Prof. Hosch „unrichtig zitiert, bezw.
ihm Ansichten zugeschrieben hätte, die er nicht geäussert habe.“ In einem Briefe vom 7.
Dezember an den Unterzeichneten anerkennt Prof. Hosch die Berechtigung dieser Rekla¬
mation und erklärt die scheinbaren Widersprüche in obiger Weise. — Durch Zusendung
des Briefes an Prof. Hess glaubte ich ihn befriedigt und hoffte von einer langen Kontro¬
verse über einen von den Lesern des Correspondenz-Blattes kaum beachteten, und- wie
es uns schien geringfügigen Punkt an dieser Stelle abstrahieren zu dürfen. — Auf er¬
neuerte Zuschrift von Prof. Hess habe ich die Angelegenheit — durch meine Schuld
leider verspätet — nun doch noch zur Sprache gebracht und bitte sie damit als erledigt
zu betrachten. E. U.
Briefkasten»
Dr. Bürcher , Brig: Der „Liqueur Laville“ ist eine gegen Gicht viel angewendete französische
Spezialität, die hauptsächlich Colchicum und Scilla als wirksame Bestandteile enthält.
Schweigbauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel,
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CORRESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. und 15.
jeden Monat«.
Inserate
35 CU. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs:
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 16. — für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellungen entgegen.
X>r*. JE. Häffler und Prof. A. Jaquet.
in Franenfeld. in Basel.
N® 5. XXXV. Jahrg. 1905. 1. März.
labalti 1> Or i gi n 1 1 a rb ei t • n: Dr. F. Schwarumbach: Pathologie und Therapie der Streptomykosen. — Dr. A, Stell:
8w We IUI« von Fleeh Vergiftung. — Dr. Augwut Kollmann +. — 2) Vereinig erlebte: Gesellschaft der Aerste in ZArieh.—
Be rnincfc-kantonaler Aerxtetag. — Schweiz, balneolog. Gesellschaft. — 8) Referate und Kritiken: Prof. Dr. Otto Schwan:
AugenArst liefe© Winke für den praktischen Arzt — Henri I*abbe: La m^dication phoephor^e. — 41 Kantonale Korrespon¬
denzen: ZArieh: Dr. Md. Kelter +. — 6) Wochenbericht: KiliUrversieheraog.— Lehrbach der kliniechen Unteraucbungs-
ssrihedleie. — Ferienkurse an der Universität WSrtburg. — Behandtong des Karzinoms. — Behandlung der Ischias. — Chinin
als AnamemitWl. — UnterschenkelgeschwAre. — Berichtigung. — 6) Briefkasten. — 7) Bibliographisches.
Origi n al-Arbeiten.
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Streptomykosen.
Yon Dr. F. Schwarzenbach, Tramelan.
Im folgenden möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Erkrankungen
lenken, welche in ätiologischer Hinsicht verwandt, immer sehr häufig, und oft in so
gehäuftem Masse auftreten, dass sie zeitweise die Hauptmasse der vorkommenden
Krankheitsfälle überhaupt ausmachen. Meiner Erfahrung nach sind die Streptomy¬
kosen nicht nur die häufigsten Erkrankungen der Luftwege und der Lungen, sondern
die häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt. Es scheint mir deshalb notwendig,
diesen Krankheiten näher zu treten und sie spezieller zu studieren, als dies bis jetzt
geschehen ist, um vor allem die klinischen Erscheinungsformen derselben genauer
festzostellen und speziell das Bild der Streptomykosen der Lungen gegenüber der
kroupöaen Pneumonie einerseits und der Lungentuberkulose andererseits zu charak¬
terisieren, und endlich, um den Weg zu finden zu einer rationellen Therapie und
namentlich zu einer wirkungsvollen Prophylaxe derselben.
Nicht der Bakteriologe im Laboratorium, nicht das Tierexperiment und nicht
die Autopsie der letal verlaufenen Fälle allein werden genügendes Licht in die
Aetiologie und Pathologie dieser Krankheiten bringen können; es ist hauptsächlich das
Stadium des kranken Menschen selbst, die genaue Beobachtung der ersten Anfänge
und des Verlaufes der Krankheit, die, verbunden mit der bakteriologischen Unter¬
suchung, uns die gewünschte Aufklärung bringen werden.
Andererseits ist es ja klar, dass der vielbeschäftigte Praktiker bakteriologische
Untersuchungen, namentlich wo es sich um Mischinfektionen handelt, nicht immer
einwandfrei durchfuhren kann. So habe ich das zeitraubende Kulturverfahren,
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welches ausserdem kostspielige Einrichtungen erfordert, leider nicht anwenden können,
und nur mit dem Mikroskop allein ist ja die Unterscheidung der meisten Bazillen
sowie der engern Unterarten der Kokken nicht möglich.
Wenn ich mir deshalb auch bewusst bin, dass speziell in gewissen chronischen,
stark mischinfizierten Fällen meine Untersuchungen nicht immer genügend sein könn¬
ten, so bleiben mir doch noch genug klare und einwandfreie Fälle übrig, welche
gestatten, Schlüsse zu ziehen. In Anbetracht der ausserordentlichen Vielgestaltigkeit
der Streptomykosen wird es auch dem einzelnen Beobachter schwer gelingen, das
Bild dieser Krankheiten in jeder Beziehung vollständig und definitiv richtig zu zeichnen.
Es braucht dazu die gemeinsame Arbeit vieler, und wenn diese Zeilen besser aus¬
gerüstete Forscher zu weiteren Untersuchungen anregen sollten, so ist ihr Zweck
erfüllt.
I. Die Streptokokken der obern Luftwege.
Von Hägler , Emmerich und anderen wurden die Streptokokken in der Luft,
(selbstredend an Staub gebunden) nachgewiesen. Ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort sind
aber die Schleimhäute, Mund, Darm, Vagina etc.
Ich habe bei 39 gesunden Schulkindern und 34 erwachsenen Personen, im
ganzen bei 73 Personen den Rachen untersucht, und habe ausnahmslos in
allen Fällen Streptokokken gefunden, teils in kurzen, teils in langen Ketten,
teils als ungekapselte Diplostreptokokken. Dieselben können nur durch Staubinhala¬
tion in den Rachen gekommen sein. Damit kommen aber viele andere Bakterien
ebenfalls dorthin. Diese letztem, welche meistens nicht pathogener Natur sind,
werden zum grössten Teil mit dem Schleim wieder entfernt, während die Strep¬
tokokken sich festsetzen können. Und einmal festgesessen, bleiben sie auch für
immer da.
Immer habe ich die Streptokokken in grosser Menge gefunden, oft in wahren
Wolken in einem Ausstrichpräparat, und zwar meistens nicht sowohl in dem ober¬
flächlich liegenden Rachenschleim, sondern mehr dicht auf der Schleimhaut, mit Vor¬
liebe den grossen Epithelzellen aufsitzend. Häufig habe ich sie fast in Reinkultur
angetroffen, in andern Fällen zusammen mit Bazillen verschiedener Form und Grösse;
hie und da Pneumokokken, selten Staphylokokken. Immer aber waren die Strep¬
tokokken in ganz überwiegender Mehrzahl vorhanden.
In etwa der Hälfte der Fälle bestand mehr oder weniger ein Reizzustand der
Schleimhaut mit vermehrter Sekretion; häufig war die Schleimhaut aber vollkommen
normal. Es genügt also das blosse Vorhandensein der pathogenen Bakterien nicht
um eine Entzündung hervorzurufen. Solange die Schleimhaut normal, das Epithel
intakt und keine Zirkulationsstörungen vorhanden, sind auch virulente Bakterien nicht
imstande Schaden zu stiften.
Trotz alledem ist das Vorhandensein eines Streptokokkenherdes im Rachen
absolut keine gleichgültige Tatsache. Wie viele Individuen leiden periodisch an An¬
ginen, ohne dass jeweilen eine direkte Ursache dafür nachweisbar wäre. Man sucht
da häufig nach Erkältungsursachen und andern ätiologischen Momenten und bedenkt
nicht, dass der Patient den Infektionsherd beständig mit sich herumträgt.
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Wenn eich die Streptokokken im Rachen auch sehr lange ruhig verhalten
können, so sind sie doch in gewissem Grade virulent und durchaus nicht nur un¬
schädliche Parasiten. Abgesehen von den oft periodisch eintretenden Virulenz-
steigerungen, von welchen ich später eingehender sprechen will, schädigen sie sehr
häufig ihren Wirt durch die konstante Toxinproduktion, und dies sogar, wenn der
Lokalbefund im Rachen ein durchaus normaler, ohne eine Spur von Reizerscheinun¬
gen ist.
Die Wirkung des Streptokokkentoxins kann man als eine lokal reizende
und allgemein lähmende bezeichnen. Ganz besonders deutlich wird diese
allgemein schwächende Wirkung bei Individuen, welche infolge chronischer Strepto-
mykose konstant einer starken Intoxikation ausgesetzt sind. Diese Patienten neigen
häufig zu psychischen Depressionen; sie sind rasch und häufig entmutigt und dabei
äusserst reizbar und die Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit liegen schwer darnieder.
Der Appetit schwindet und die physische Kraft ist vermindert; die Kranken sind
äusserst leicht ermüdbar und scheuen jede Anstrengung im Vorgefühl des dazu nötig
werdenden Aufwandes von Energie und der darnach folgenden Erschöpfung. Dazu
kommen infolge der lokal reizenden Wirkung des Toxins häufige Muskelschmerzen
(Muskelrheumatismus) Neuralgien aller Art, Ischias und Kopfschmerzen. Gerade diese
rheumatischen Muskelschmerzen bilden sehr oft eine Quelle der grössten Aengstigun-
gen für die Patienten. Weil sehr häufig am Thorax lokalisiert, behindern sie oft
die Atmung oder machen sich bei derselben doch am meisten fühlbar, und werden
deshalb von den Patienten meistens als Ausdruck einer Lungen- oder Pleura¬
erkrankung angesehen. Und das ganz besonders, wenn sich der Schmerz, wie es oft
der Fall ist, an einer bestimmten Stelle lokalisiert und wochenlang hartnäckig be¬
stehen bleibt. Man hat dann oft Mühe, den Patienten zu überzeugen, dass es sich
nur um Muskelschmerzen handelt, welche direkt mit der Lunge nichts zu tun haben.
Es gibt Patienten, welche sich ihr halbes Leben mit solchen Schmerzen herum¬
quälen und welchen, da infolge der chronischen Intoxikation auch der Allgemein¬
zustand im Sinn einer allgemeinen Depression leidet, auch sonst das Leben durch
ihre Rachenstreptokokken gründlich verbittert wird.
Ich kenne einen 33 jährigen Herrn, der seit 15 Jahren fast die Hälfte des Jahres
an Muskelschmerzen leidet und jährlich 1—2 Grippe-An fälle durchmacht; Appetit bat
er selten und kann oft wochenlang seine Geschäfte nur mit Aufwand aller Energie be¬
sorgen, beständig mühsam an kämpfend gegen das Gefühl einer ungeheuren Mattigkeit und
Abgeschlagenheit, die einen Lebensgenuss gar nicht aufkommen lassen. Dabei ist der ein¬
zige objektive Befund bei dem Patienten eine chronische Streptokokkenpharyngitis. Dass
der Mann, der sich in seiner Leistungsfähigkeit so schwer geschädigt sieht, zeitweise an
psychischen Depressionen leidet, ist wohl leicht verständlich. Und dass es wirklich die
Rachenstreptokokken sind, welche ihm diese Leiden verursachen, beweist der Umstand,
dass er duroh Beeinflussung des Streptokokkenherdes durch Rachenspülungen und Ein¬
nahmen von Salizylpräparaten sich stets Erleichterung verschaffen kann.
Angesichts solcher Fälle kann man die Tatsache des Vorhandenseins von Strep¬
tokokken im Rachen kaum mehr gleichgültig hinnehmen. Wenn man genau be¬
obachtet und gewissenhaft untersucht, kann man häufig solche Fälle sehen, wo ganz
erhebliche chronische oder rezidivierende Beschwerden auf Intoxikation vom Rachen
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aus (bei Frauen auch von der Vagina aus) zurückzuführen sind und durch Beein¬
flussung des betreffenden Streptokokkenherdes gehoben oder wenigstens bedeutend
erleichtert werden können, und man wird erstaunt sein, welche Unmassen von Leiden
und Elend die Rachenstreptokokken verursachen.
Eine nicht seltene und äusserst unangenehme Folge der Toxinproduktion der
Rachenstreptokokken ist der habituelle Kopfschmerz. Ich will damit
nicht sagen, dass dieser letztere immer vom Rachen aus verursacht werde, doch ist
das sehr häufig der Fall, und wenn es der Fall ist, so kann er auch durch Behand¬
lung des Rachens geheilt werden, so gut wie alle andern Aeusserungen der Intoxi¬
kation mit Streptokokkentoxin. Weun der Toxinresorption die Quelle abgeschnitten
wird, so hören die Vergiftungssymptome ganz von selber auf.
Dass Verdauungsstörungen häufig als Folge von chronischen Rachen¬
katarrhen auftreten, ist bekannt, und ich möchte auch sie in der Mehrzal der Fälle
den Streptokokken zuschreiben.
Wenn man sieht, wie bei akuten und chronischen Streptomykosen vor allem
der Appetit total verschwindet und meistens auch die motorischen Funktionen des
ganzen Verdauungstraktus schwer geschädigt werden, so muss man annehmen, dass
als Teilerscheinung der allgemein lähmenden Wirkung des Streptotoxins auch eine
Lähmung des sekretorischen und motorischen Apparates des Verdauungstraktus zu¬
stande kommt. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Verdauungsstörungen nur eine
Folge des verschluckten Schleims sind, obwohl derselbe oft mit wahren Wolken von
Streptokokken geladen ist. Das Streptokokkentoxin wird im Rachen
resorbiert und wirkt vom Blut aus. Man sieht ja dieselben Magen¬
störungen auch z. B. bei akutem Gelenkrheumatismus, wobei manifester Rachen¬
katarrh nicht vorhanden ist und kein Schleim geschluckt wird. Es sind also die
Verdauungsstörungen infolge von Streptomykosen irgend welcher Art, auch infolge
von Rachenkatarrhen, lediglich eine Folge der Toxinwirkung auf die Verdauungs¬
organe vom Blut aus.
Die Streptokokkengrippe.
(Rhino-pharyngo-Laryngitis.)
Sobald aus irgend einem Grunde, z. B. aus thermischen oder chemischeu
Schädigungen, Zirkulationsstörungen in der Rachenschleimhaut auftreten, welche die
Widerstandskraft der Gewebe schädigen und das Epithel auflockern, so steigt die
Virulenz der vorhandenen Keime plötzlich gewaltig an, die Streptokokken werden
aktiv und es kommt zur Infektion. Hand in Hand damit geht eine ganz erhebliche
Steigerung der Toxinproduktion und -resorption. Der Patient bekommt Fieber und
die Symptome der allgemeinen Intoxikation machen sich fühlbar: Kreuz- und Glieder¬
schmerzen, allgemeine Abgeschlagenheit und Krankheitsgefühl. Dieser Zustand wird
nun gemeiniglich als Influenza bezeichnet.
Schon im Jahre 1890 sprach Bibbert die Ansicht aus, dass die Influenza durch
Streptokokken verursacht werden könne, liess aber andererseits die Möglichkeit offen,
dass dieselbe durch ein unbekanntes Agens verursacht werde, und dass die Strepto¬
kokken, die er dabei fand, nur eine Komplikation darstellten. Er gab zu, dass das
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Vorhandensein von Streptokokken wohl imstande sei, die Erscheinungen dieser
Krankheit zu erklären.
Nach Bibbert fand Finkler in einer Grippenepidemie bald Influenzabazillen,
bald Streptokokken, bald beide zusammen. Er war der Meinung, dass die Influenza¬
bazillen den Boden für die Streptokokken vorbereiten, sah letztere also als kom¬
plizierende Mischinfektion an. Doch gab er zu, dass reine Streptomykosen ohne In¬
fluenzabazillen unter dem Bild der Influenza Vorkommen, und zwar sogar in Epide¬
mien. In den Fällen, die er in den Jahren 1893 und 1894 beobachtete, fand er die
Influenzaähnlichkeit erstaunlich.
Auch Tavel sagt, dass die Erkrankung, welche man gewöhnlich als Influenza
bezeichnet, sehr oft eine Streptomykose sei. Er hat überhaupt seit 1893 keine ächte
Influenza mehr gesehen.
Ich selbst habe in 35 Fällen influenzaähnlicher Erkrankungen mit Lungen¬
komplikationen zu Beginn dieses Jahres (1904) ohne Ausnahme nur Streptokokken
gefunden.
Wenn wir demnach annehmen müssen, dass die sog. Influenza oder Grippe,
wenn auch nicht ausnahmslos so doch in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine
Streptomykose ist, so wird uns das verständlich durch das konstante Vorkommen
der Streptokokken im Rachen. Kein Organ ist ja so häufigen Insulten ausgesetzt,
wie gerade der Rachen und die Schlundgegend. Zu heisse und eiskalte Speisen und
Getränke, Inhalation reizenden Staubes, wozu zweifellos auch der Strassenstaub ge¬
hört, reizende Ingesta aller Art, können nur zu leicht lokale Zirkulationsstörungen
mit Schädigung des Gewebes verursachen, welche ein akutes Aktivwerden der Rachen¬
streptokokken mit allen weitern Konsequenzen bedingen.
Zuerst infiziert wird der Rachen und der adenoide Schlundring. Fast immer
beginnt ja die Influenza mit mehr oder weniger heftigen Schluckbeschwerden. Die¬
selben können sehr gering sein, ohne deutlich sichtbare lokale Veränderungen. Oft
werden sie vom Patienten als zu geringfügig auch nicht von selber angegeben, auf
Befragen aber meist zugegeben. Je nach der Virulenz der vorhandenen Strepto¬
kokken und der Widerstandsfähigkeit des Individuums schliessen sich an die Schluck¬
beschwerden mehr oder weniger rasch die Allgemeinerscheinungen an. Bei sehr
virulenten Kokken und infolgedessen rascher und massenhafter Toxinproduktion tritt
beides oft fast gleichzeitig ein, während in andern Fällen die Halsbeschwerden tage¬
lang dauern, bis endlich die Allgemeinintoxikation eintritt.
Wie auch Tavel erwähnt, werden die Streptokokken auf hämatogenem Wege
mit oder ohne Hmmitis weiter verschleppt, d. h. sie bilden ächte Metastasen auf
dem Blutweg, und daraus erklärt sich nun ohne weiteres das ganze Heer der Kom¬
plikationen, welche im Verlauf einer Streptokokkengrippe auftreten können. Am
häufigsten sind wohl die Komplikationen von Seiten der Respirationsorgane, von der
einfachen Bronchitis bis zu der schwersten, rasch letal verlaufenden Pneumonie und
vom leichten, rasch vorübergehenden pleuritischen Reiben, bis zu hartnäckiger, mehr¬
fach rezidivierenden Pleuritis mit grossem Exsudat. Ausserdem habe ich beobachtet:
Perikarditis, Endokarditis und seröse Meningitis mit Ausgang in Heilung, ferner
Arthritiden, multiple subkutane Abszesse, Otitis media mit nachfolgender Mastoiditis,
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erysipelatöse Hautentzündung, Impetigo contagiosa, Enteritis, Nephritis, Cystitis, Ure¬
thritis, Periostitis, und einmal, als unmittelbar anschliessende Nachkrankheit, Chorea
minor.
Es ist nun allerdings nicht wahrscheinlich, dass diese Komplikationen alle ächte
Metastasen der Streptokokken darstellen. Yor allem die Allgemeinerscheinungen
sind sicher einfach als Folgen der Intoxikation aufzufassen. So sagt auch Finkler:
„Die Allgemeinerscheinungen entsprechen denen einer akuten septischen Erkrankung
und — beruhen mehr auf einer Wirkung der von der infizierten Stelle aus resor¬
bierten Toxine, als auf einer Verschleppung der Bakterien. 44 Ebenso müssen die
ziehenden oder oft an zirkumskripter Stelle fixierten Muskelschmerzen als Toxin¬
wirkung aufgefasst werden.
Wenn dagegen im Verlauf einer akuten oder chronischen Streptomykose eine
heftige Arthritis auftritt, mit cedematöser Schwellung des Gelenks und erneuten
Fiebersteigerungen und Erguss in das Gelenk, so ist die Vermutung berechtigt, dass
es sich um eine Neulokalisation der Streptokokken handeln könnte. Dagegen wissen
wir, dass bei chronischen Infektionskrankheiten sich das irgendwo produzierte Toxin
in der Umgebung der Gelenke massenhaft ansammeln und sogenannte Toxinmetas¬
tasen bilden kann, welche lokale heftige Entzündungen zur Folge haben, die also
rein toxischer, nicht bakterieller Natur sind. So ist z. B. der sogen, tuberkulöse
Rheumatismus ( Poncet ), welcher heftigste, zu Ankylose führende Arthritiden verur¬
sacht, eine solche Metastase der tuberkulösen Toxine.
Eine toxische Arthritis, bei welcher sicher nie eine Metastase der Streptokokken
stattgefunden hat, sondern wo unter dem chronisch wirkenden Einfluss der Strepto¬
kokkentoxine (lokale Reizung) eine langsame Degeneration der Gelenkkapsel mit
Bindegewebsneubildung erfolgt, ist der sogenannte chronische Gelenkrheumatismus,
welcher ohne akuten Beginn sich schleichend entwickelt und eben wegen der be¬
ständigen Toxineinwirkung oft jeder Therapie trotzt. Bei demselben können aber
noch im spätem Verlauf Toxinmetastasen und vielleicht auch Metastasen der Strepto¬
kokken zustande kommen. Dieselben siedeln sich dann im periartikularen Binde¬
gewebe, oder auch im Unterhautbindegewebe in der Nähe des Gelenkes an. Diese
Metastasen finden sich am häufigsten an den periphersten Gelenken (Händen und
Füssen) und man kann oft beobachten, wie von diesen Heerden aus die zentralwärts
gelegenen Gelenke direkt auf dem Lymphwege durch Toxin geschädigt oder vielleicht
sogar infiziert werden.
Was die Pleuritiden und Pericar di tiden anlangt, so könnte man, der Heftigkeit
und Hartnäckigkeit dieser Affektionen wegen, an Metastase denken. Ich habe in
meinem schwersten Fall komplizierender Pleuritis, welcher wegen Herzverdrängung
durch das Exsudat und starker Dyspnoe fünfmal die Punktion notwendig machte,
das Exsudat kulturell auf Streptokokken untersuchen lassen. Es erwies sich als
steril. — Es liegt der exsudativen Entzündung der serösen Häute also offen¬
bar nur eine Toxinwirkung zu Grunde. Dass diese hier so stark wirken kann,
wird verständlich durch die Nähe des toxinproduzierenden Heerdes. (Contiguitäts-
entzündung.) Denn es ist vor der Entstehung des Exsudates wohl immer eine mehr
oder weniger manifeste Infektion der Bronchen und Lungen vorhanden, so dass das
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Toxin, namentlich auf die Pleuren ganz direkt, ohne vorherige Verdünnung durch
das Blut, wirken kann. Es kann das Exsudat nooh nachträglich durch Kontinuität
infiziert werden, dann aber entsteht ein Empyem.
Die komplizierenden Erysipele und die Impetigo contagiosa entstehen wohl
meistens durch direkte Infektion der Haut von aussen, durch abgewischtes Sputum.
Dafür sprioht schon die Oberflächlichkeit der Affektionen. Ich habe in allen meinen
Fällen von Impetigo (5) im Eiter Streptokokken nachweisen können. Dagegen ist
es klar, dass die Periostitis und die subkutanen Abszesse durch Metastase auf dem
Blutweg zustande kommen und dass die Infektion des Mittelohrs durch Kontinuität
aszendierend durch die Tube erfolgt.
Auch die Komplikationen seitens der Harnorgane entstehen durch hämatogene
Infektion und es ist bei denselben jeweilen leicht, die Streptokokken im Harn nach¬
zuweisen.
Als ganz leichte Streptokokkengrippen sind wohl auch jene leichten, fieber¬
haften Erkrankungen aufzufassen, bei welchen der einzige Befund und das einzige
Symptom eben nur das Fieber ist, und welche sporadisch bei jeder Jahreszeit auf¬
zutreten pflegen.
Es kann nicht in meinem Plan liegen, eine spezielle Pathologie der Strepto¬
kokkengrippe zu schreiben; das Bild der Krankheit ist zu allgemein bekannt, als
dass da noch Neues zu bringen wäre. Nur noch eine Bemerkung über die Konta-
giosität.
Angesichts der Tatsache, dass sich in jedem Rachen Streptokokken vorfinden,
braucht man bei Epidemien wohl nicht unbedingt eine direkte Kontagion von Fall
zu Fall anzunehmen. Diese Epidemien treten ja meist im Winter oder gegen das
Frühjahr, oft auch in den heissen Sommermonaten auf, wo rasche Temperatur¬
wechsel und andere Erkältungsgelegenheiten und anderseits massenhafte Staubinhalation
häufig sind und ganz allgemein wirken. Es lässt sich daher ganz ungezwungen an¬
nehmen, dass gleiche Ursachen auf viele Individuen gleich wirken, d. h. dass ge¬
wisse Schädlichkeiten, z B. Einatmung nasskalter Luft oder reizenden Staubes bei
vielen gleichzeitig Zirkulationsstörungen der Schleimhäute der obem Luftwege be¬
wirken, welohe ihrerseits zu der oben erwähnten Abschwächung der Widerstands¬
kraft der Gewebe und Virulenzsteigerung der Rachenstreptokokken fuhren. So kann
eine Epidemie ohne direkte Kontagion entstehen.
Andererseits ist bekannt, dass pathogene Bakterien durch Tierpassage eine ganz
erhebliche Virulenzsteigerung, namentlich in bezug auf die gleiche Tierspezies er¬
fahren, und so virulent werden können, dass sie dann auch verhältnismässig wenig
geschädigte Schleimhäute direkt infizieren können. So kann ohne Zweifel auch bei
der Streptokokkengrippe eine direkte Kontagion zustande kommen, wenn einmal
die Kokken durch die Passage durch den Menschen einen sehr hohen Virulenzgrad
für Menschen erreicht haben, namentlich bei hustenden Patienten, durch Sputum¬
tröpfchen, welche immer massenhaft Streptokokken enthalten. Viele Fälle sprechen
jedenfalls deutlich für die Annahme einer direkten Kontagion.
Die Prognose der Streptokokkengrippe gilt im Allgemeinen als gut, insofern
nicht ganz besonders schwere Komplikationen, namentlich seitens der Lungen auf-
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treten. Quoad vitam ist sie es jedenfalls, ausser vielleicht bei ganz dekrepiden In¬
dividuen. Quoad valetudinera aber möchte ich die Prognose fast immer sehr vor¬
sichtig stellen, und zwar in jedem Falle, der nicht ganz einfach and unkompliziert ist.
Man sieht wohl komplizierende Infektionen der Luftwege, welche in relativ kurzer
Zeit spurlos verschwinden, aber fast ebenso häufig solche, die sich mit beispielloser
Hartnäckigkeit monatelang hinschleppen und nach und nach ihren unglücklichen
Träger in den Verdacht der Phthise bringen.
Speziell den Tuberkulösen kann eine solche akute Streptomykose oft geradezu
verhängnisvoll werden. Wie sich Maragliano , Koch , Ziegler , Landouey , Strümpell u. a.
ausdrücken, wird die Lungentuberkulose erst zur „Phthise“, wenn zu den Tuberkel¬
bazillen sich Eitererreger gesellen, welche schliesslich den eitrigen Zerfall der tuberkulös
affizierten Lungenpartien bewirken. Die Prognose der Lungentuberkulose, welche, so¬
lange letztere rein bleibt, im Allgemeinen so schlecht nicht ist, wird erst durch die
Mischinfektion zu einer wirklich bedenklichen. Und die mischinfizierenden Eiterer¬
reger sind eben fast immer und vorwiegend die Streptokokken. Wenn dieselben bei
Gelegenheit einer Streptokokkengrippe in eine schon vorher tuberkulöse Lunge ein-
dringen, so ändert sich oft mit einem Schlage das Bild, und man kann in der Praxis
häufig genug beobachten, wie Phthisiker, welche sich bis dahin ganz gut hielten, nach
überstehen einer Grippe sich nicht mehr erholen und ganz rapid zugrunde gehen;
das ist die Arbeit der Streptokokken.
Nach neuern Berichten findet man fast ohne Ausnahme bei Sektionen von über
30 Jahre alten Personen irgend welche tuberkulöse Veränderungen vor. Aus meinen
Untersuchungen geht hervor, dass selbst schon ganz junge Individuen, ebenso fast
ausnahmslos im Pharynx Streptokokken beherbergen.
Es erhebt sich nun die Frage, welche Infektion bei den mischinfizierten Lungen¬
tuberkulosen die primäre und welche die sekundäre ist. Nach Behring , Vottand u. a.
tritt die Tuberkulose in den ersten Lebensjahren in den Körper ein und bleibt da
in Form der Drüsen tuberkulöse vorläufig mehr oder weniger latent. Wenn nun früher
oder später die Streptokokkeninfektion des Rachens dazu kommt, mit ihrer periodischen,
den Körper und seine Widerstandskraft schwer schädigenden Toxinproduktion, so
wird evidentermassen einer Weiterverbreitung und einem Aktiv werden der Tuber¬
kulose damit ganz enorm Vorschub geleistet. Welches von den beiden Bakterien
nun zuerst die Lunge infiziert, ob der Streptokokkus oder der Tuberkelbazillus, ist
eigentlich nun gleichgültig. Der erstkommende bereitet das Terrain für den nach¬
folgenden vor und erst wenn beide, vielleicht schliesslich noch unterstützt von andern
Bakterien, Zusammenwirken, so entsteht das Bild der Phthise.
Die Tuberkellbazillen mögen früher in den Körper eindringen als die Strepto¬
kokken ; diese letztem sind, als Bewohner des Rachens, günstiger plaziert um die
Lungen zu infizieren. So scheint es mir theoretisch möglich und durch die Be¬
obachtung zahlreicher Fälle wahrscheinlich, dass bei vielen Fällen misohinfizierter
Lungentuberkulose die Streptokokken die primäre, die Tuberkelbazillen die sekun¬
däre Infektion sind.
Ist es doch eine alte Tatsache, dass die im Körper, speziell in den Drüsen
latente Tuberkulose sich mit Vorliebe an den, sei es traumatisch oder sonstwie,
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13 1
lädierten Körperstellen manifestiert. Da nun die Lunge durch die Pharynxstreptokokken
häufig und oft schwer geschädigt wird, so ist man wohl berechtigt, dieselben als ein
prädisponierendes, in gewissen Fällen sogar als ein direkt provozierendes Moment für
den Ausbruch einer Lungentuberkulose zu betrachten. So ist es z. B. ein nicht seltenes
Vorkommnis, dass sich der Ausbruch einer vorher nicht manifesten Phthise an eine
akute Streptomykose direkt anschliesst.
Mit der Tatsache, dass sich Streptokokken und Tuberkelbazillen beim Angriff
auf den menschlichen Körper unterstützen und Vorschub leisten, stimmt jene andere,
dass die Abkömmlinge von Tuberkulösen, (tuberkulös Belastete) eine ganz auffallende
Empfänglichkeit für Streptokokkeninfektionen haben. Dieselbe bildet vielleicht
ein weiteres Moment zur Erklärung der hereditären Disposition zu Tuberkulose, in¬
dem diese Individuen durch ewig neu auftretende oder direkt chronische Strepto-
mykosen für die Infektion mit Tuberkulose vorbereitet und empfänglicher gemacht
werden.
Ich kann daher die Tatsache, dass jeder Mensch im Pharynx Streptokokken
herum trägt, nicht als gleichgültig betrachten, sondern messe derselben eine grosse
ätiologische Bedeutung bei, nicht nur für die Streptomykosen der Lunge, sondern
auch für die Lungentuberkulose.
Aus Gründen, die im Vorstehenden enthalten sind, halte ich deshalb dafür,
dass die Prognose der Streptokokkengrippe mit Lungenkomplikationen quoad vale-
tudinem bei Tuberkulösen immer dubiös, bei sonst Gesunden mindestens sehr vor¬
sichtig zu stellen ist. Wenn die Streptokokken in einer Lunge einmal aktiv ge¬
worden sind, so sind sie eben sehr schwer daraus zu vertreiben. Man frage nur
bei den Patienten, welche man in den letzten Jahren an Grippe mit Bronchial¬
katarrh behandelt hat, nach, und man wird häufig finden, dass oft viele Monate lang
nach Ablauf der akuten Erscheinungen noch ein Husten mit Auswurf besteht, der
wohl oft gering sein kann und deshalb wenig beachtet wird, der aber eine Prädis¬
position zu Lungentuberkulose bildet und deshalb absolut keine gleichgültige Affek¬
tion ist. (Fortsetzung folgt.)
Mitteilung Uber sieben Fälle von Fischvergiftung an der medizinischen
Poliklinik Zürich.
Von Dr. A. Stoll.
Letzten September bekam ich in Abwesenheit meines verehrten Chefs, Herrn
Prof. Dr. i/. Mütter, zwei Familien mit zusammen sieben Mitgliedern wegen Ichthys-
mus, Fischvergiftung, in poliklinische Behandlung. Da solche Fälle hier in Zürich
nicht häufig sind, was sich wohl aus der geographischen Lage unserer Stadt und den
Lebensgewohnheiten unserer Bevölkerung hinlänglich erklären lässt, hielt ich es für
angezeigt, das Nähere über das Woher, den Charakter und den Verlauf obiger
Epidemie mitzuteilen.
Am 12. September, abends 9 Uhr, meldete Frau B., Zürich III, bei mir einen Be¬
such an. Ich nahm persönlich die Anmeldung entgegen. Auf die Frage, wo es fehle,
antwortete die Frau, dass ihre Kinder seit Montag Morgen an Brechdurchfall erkrankt
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seien, sehr wahrscheinlich infolge Genusses verdorbener Fische. Ich verordnete vorder¬
hand einige Calomelpulver und versprach, am folgenden Morgen vorbeizukommen, zumal
da die Frau die Sache gar nicht ernst nahm und überhaupt einen Besuch für diesen
Abend nicht mehr erwartete.
Als ich am nächsten Morgen erschien, fand ich in der Familie B. drei Kinder und
in der Familie B., die im zweiten Stock desselben Hauses wohnte und zu der ich erst
jetzt gerufen wurde, zwei Kinder und deren Vater krank darniederliegen, zum Teil mit
äusserst deletären Erscheinungen.
Ueber die Ursache dieses sonderbaren Zusammentreffens befragt, erhielt ich von
Frau B. folgenden Bescheid: Frau B. sei über die jüdischen Festtage Freitag, Samstag
und Sonntag bei Frau R., Z. I., als Spetterin tätig gewesen und hätte dort jeweils die
Ueberreste der Mahlzeiten mit nach Hause bekommen. Unter diesen Fleischresten nun seien
vereinzelte Fischstücke gewesen, denen aller Wahrscheinlichkeit nach die gegenwärtige
Vergiftung zugeschrieben werden müsse; denn von allen fünf Personen ihrer Familie
seien nur die drei erkrankt, die von den Fischen gegessen hätten. Die bei Frau R.
hierüber eingezogenen Erkundigungen gaben Frau B. vollkommen Recht. Frau R. näm¬
lich gibt an, am Freitag Morgen sich für die kommenden Feiertage, Neujahr, mit den
nötigen Fleischspeisen versehen zu haben, darunter waren zwei Fische, ein Hecht von
Fischhändler B. und ein Karpfen von Fischhändler L. Beide wurden lebend eingekauft,
zu Hause sorgfältig ausgeweidet und sofort auf die gewohnte Weise mit Sauce zubereitet.
Während des Kochens nun traf von ihrem Bruder eine Sendung Meerhechte ein, die
derselbe von Fischhändler G. in Basel gekauft und seiner Schwester in Zürich als Neu¬
jahrsgeschenk zugesandt hatte. Die Fische sahen recht gut aus, d. h. sie waren von
schön weisser Farbe und ohne auffallenden Geruch und wurden analog den Zürcher-
fischen zugerichtet. Mehrere Stücke hievon wurden schon Freitag Mittag, den 9. Sept.
ca. 1 Uhr, von ihrem 9 */2 jährigen Knaben und um ca. 4 Uhr nachmittags von Frau R.
und deren Mutter verspeist; der Rest dagegen verteilt auf die beiden Platten, darauf
die Zürcherfische bereits zubereitet lagen. Eine dieser Platten, den Karpfen enthaltend,
wurde am nämlichen Abend dem mittlerweile aus Basel eingetroffenen Bruder zum Nacht¬
essen vorgelegt. Dieser soll aber nur dem Karpfen zugesprochen, den Baslerhecht da¬
gegen, weil unschmackhaft, bei Seite geschoben haben. Da Frau R. derartige Kompli¬
mente von Seite ihres Bruders schon öfters erfahren hatte, kehrte sie sich nicht an dessen
Aussagen und übergab ahnungslos die vorigen Stücke ihrer Spetterin Frau B., die sie
mit nach Hause nahm, allwo sie dann von ihrem Manne noch am selben Abend gegessen
wurden. In der Nacht vom 9./10. September nun erkankte Frau R. und deren Mutter
an Uebelkeit, wozu sich nach dem Genuss des Morgenkaffees Erbrechen und Durchfall
gesellte. Ihr Sohn und Bruder dagegen, sowie Herr B. blieben von Unwohlsein vollkom¬
men verschont. Dessen ungeachtet sehen wir Frau R. einer Einladung ihrer zwei Brüder
auf Samstag Mittag den 12. September Folge leisten. Freilich war ihr Zustand so elend,
dass sie auf alles Essen verzichten und bereits um 4 Uhr nachmittags sich wieder nach
Hause begeben musste. Dort angekommen, machte sie sich sofort hinter die noch vor¬
handene Fischplatte und entfernte von derselben sorgfältig die fraglichen Stücke der
Baslerhechte, da sie die volle Ueberzeugung gewonnen hatte, dass ihr Unwohlsein nur von
diesen Fischen herrühren könne.
Samstag Abend 8 Uhr war wieder Familienabend bei Frau R., bei welehem An¬
lasse dann obgenannte zweite Platte neben andern Speisen durch die Schwester der Frau
R. serviert wurde, worauf dann gegen Sonntag Morgen sämtliche Festteilnehmer mit Aus¬
nahme der Kinder, die überhaupt keine Fische erhalten hatten, an Brechdurchfall er¬
krankten und genötigt wurden, einon Arzt zu konsultieren. Bei allen Erkrankten traten
die ersten Erscheinungen nach Verfluss von ca. 8—10 Stunden ein, nur bei einem ein¬
zigen, dem Bruder der Frau R., zog sich die Erkrankung bis gegen Sonntag Abend,
also länger als zwölf Stunden hinaus.
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Die Reste auch dieser Mahlzeit, bestehend in Fisch, Rindfleisch und Huhn hatte
wiederum Frau B. erhalten, die sie dann unter ihre Angehörigen verteilte und zwar so,
dass die paar Fischstficke, die durchaus als unverdächtig geschildert wurden, erst am
Sonntag Morgen ca. 9 Uhr an die Reihe kamen und ihrem Manne und ihren zwei
jüngsten Kindern als Gabelfrühstück dienten. Die paar Brocken, die sie übrig Hessen,
wurden wieder aufgehoben und nachmittags ca. 3 Uhr an drei Kinder der Familie B.,
dio zufällig auf dem Hausflur sich herumtummelten, verabfolgt. Alle sechs Personen, so
wenig sie auch genossen haben mochten, erkrankten in der Nacht vom Sonntag auf Montag
Morgen, also vom 11./12. September an heftigem Brechdurchfall, dem aber von keiner
Seite grössere Bedeutung zugemessen wurde. Erst am Montag Abend, als die Sache kein
Ende nehmen wollte, sah sich, wie bereits erwähnt, Frau B. genötigt, um ärztliche Hilfe
anszugehen.
Die an Ort und Stelle vorgenommene erste Untersuchung ergab folgenden Befand :
B. Jakob, 42 Jahre alt. Pat. macht einen ausserordentlichen schwer kranken Ein¬
druck. Gesicht äusserst blass, Lippen und Wangen leicht cyanotisch verfärbt. Jochbeine
und Nase spitz hervortretend, Augen tief eingesunken. Pupillen mittel weit, reagieren aber
noch auf Lichteinfall, Stimme matt, heiser. Haut lässt sich leicht in Falten abheben,
fühlt sich recht kühl und klebrig an. Gesicht, Brust und Arme mit kaltem Scbweiss
bedeckt, Beine eiskalt. Abdomen eingesunken, nicht besonders druckempfindlich. Milz
nicht palpabel. Zunge belegt, trocken. Schlucken nicht erschwert, kein Kribbeln in den
Extremitäten, nirgends Paresen, Bewusstsein vollkommen klar, Kopf etwas eingenommen,
aber nicht eigentlich Kopfschmerzen. Temp. 38,5, P. 120, regelmässig. Pat. klagt über
ausserordentliche Hinfälligkeit, kolikartige Schmerzen im Abdomen, Krämpfe in den
Waden und den Oberarmen, unstillbarer Brechdurchfall. Pat. will in den letzten 24 Stun¬
den mindestens 200 Stühle gehabt haben. Herz und Lunge intakt. Urin und Stuhl
nicht erhältlich. — Ther. Opium nebst Darminfusionen mit 1—2°/o Tanninlösung von
mindestens Bluttemperatur, mehrere Ltr., 2—3 mal täglich, warme Einpackungen, Thee
mit Rotwein, warme Schleimsuppen. Die Darminfusionen musste ich der Zeit halber der
Krankenschwester überlassen, was ich um so eher wagen durfte, als ich dieselbe schon
vorher für derartige Manipulationen eingeschult hatte. 14. September T. 38.0, P. 100.
Stuhl an Zahl bedeutend abgenommen aber immer noch wässerig, im Aussehen an Dysen¬
teriestuhl erinnernd; Erbrechen aufgehört; keine Krämpfe mehr.
16. September. Stuhl 4—6 mal täglich, massiger werdend. T. 37,0.
18. September. Auf Wunsch von Herrn Prof. O. Wyss Blutentnahme unter anti¬
septischen Cautelen aus der Vena mediana, behufs bakteriologischer Untersuchung. Blut
dickflüssig und von dunkelschwarzer Färbung. T. 35,5, P. 80.
22. September. T. 35,2, P. 80. Urin Spuren von Eiweiss, immer noch starke
Abgeschlagenheit. Keinen Appetit; Zunge noch stark belegt, lleocoecalgegend ziemlich
stark druckempfindlich.
24. September. T. 35,6, P. 92. Uber den ganzen Körper ausgebreitete Urticaria.
Blutentnahme durch Herrn Dr. Silberschmidt. Blot noch stark verdickt, lackfarben, also
da88 sich nur mit Mühe einige Tropfen aus der Fingerbeere und dem Ohrläppchen ent¬
nehmen lassen.
28. September. Druckempfindlichkeit in der Ueocoecalgegend verschwunden. Appetit
beginnt sich allmählig wieder einzustellen. Urin ohne Eiweiss. Allgemeinbefinden gut.
Pat. steht auf.
Lina B., 11 Jahre alt. Pat. sieht bedeutend weniger angegriffen aus als ihr Vater.
Schon ihr verhältnismässig noch gesundes Aussehen und ihre fröhliche Stimmung machen
einen durchaus guten Eindruck. Erbrechen seit 12. September abends sistiert, Stuhl
dünnflüssig, ca. 10 innerhalb der letzten 12 Stunden. Milz nicht palpabel. Zunge be¬
legt. T. 38,0, P. 100. Klage über Kopfschmerzen und Müdigkeitsgefühl.
Therapie: Opium mit Bismut. Schleimsuppe.
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19. September, tat. ist trotz Verbot aufgestanden, erhielt Butterbrot mit Konfitüren,
worauf abends die Temperatur wieder auf 38,5 stieg. P. 103. Leichter Druckschmerz
in der Ileocoecalgegend, sonst Allgemeinbefinden gut. Urin ohne Eiweiss. Stuhl breiig.
22. September. T. 35,5 morgens, 36,5 abends, P. 80—90. Pat. fühlt sich voll¬
kommen wohl, hat guten Appetit und wünscht anfzustehen.
24. September. Pat. ist ausser Bett. Blutentnahme aus der Fingerbeere. Blut
dünnfiü8sig von normaler Färbung.
August B., 9 Jahre alt, wies im ganzen analoge Verhältnisse auf, wie seine
Schwester Lina, nur verlief hier die Heilung noch rascher und ohne jegliche Störung.
Die Patienten der Familie B., Richard 9, Joseph 12 und Berta 4 Jahre alt, fand
ich alle im nämlichen Bette liegend, zwei zu Häupten und einer zu Füssen. Alle drei
Hessen auf den ersten Anblick das Schlimmste befürchten. Besonders auffallend war die
Hinfälligkeit und absolute Apathie der beiden Knaben, deren Sensorium bereits verdunkelt
war, immerhin gelang es noch, durch wiederholtes Anrufen ihre Aufmerksamkeit auf sich
zu ziehen; ja bei Joseph konute ich sogar noch einige Antworten, allerdings mit schwacher,
kaum vernehmbarer Stimme herausbekommen. Pupillen bei beiden gross, Puls an der
Radialis nicht mehr zu fühlen. Atmung regelmässig. Gesicht sieht verfallen aus, ist
ausgesprochen cyanotisch verfärbt und reichlich mit kaltem Schweiss bedeckt. Abdomen
eingesunken, auf Druck scheinbar nicht empfindlich. Richard hat unter sich gelassen und
Joseph bricht während der Untersuchung schleimig wässerige Massen, wobei er den Kopf
oinfach auf die Seite dreht, da er nicht mehr imstande ist, sich aufzurichten. Milz
nicht palpabel. T. bei Richard 38,8, bei Joseph 39. Therapie : Wismuth mit Opium
Darminfusionen, warme Einpackungen. Cognac.
Berta B., 5 Jahre alt. Gesicht äusserst blass, nicht cyanotisch. Haut fühlt sich
kalt an. Pupillen mittelbreit, reagieren auf Lichteinfall, Zunge belegt. Sens. klar. T. 38,8,
P. 100. Atmung regelmässig. Pat. ist äusserst schwach, unmutig und gibt auf Be¬
fragen keine Antwort. Stuhl wässerig von dunkelbrauner Farbe und sehr zahlreich. Er¬
brechen nicht allzu häufig, soll eher etwas nachgelassen haben. Therapie: wie oben.
Abends 6 Uhr traf ich die beiden Brüder Richard und Joseph bereits in Agonie
liegend. Das Gesicht beider war tief cyanotisch (das bei R. blaurot) und ganz im Schweiss
gebadet. Pupillen weit, Blick ins Leere starrend und beide vollkommen bewusstlos,
Atmung kräftig, erst gegen das Ende hin längere Zeit aussetzend, unregelmässig werdend,
bei noch regelmässiger Herztätigkeit, also Tod durch Lähmung des Atmungszentrums.
14. September. Berta bereits fieberfrei ist bedeutend munterer. Stuhl wässerig,
von schwarzer Farbe, vom Wismuth herrührend.
16. September. Herpes febr. auf der Oberlippe. Zunge noch stark belegt, Stuhl
jetzt deutlich erbsensuppenartig, ca. 2—3 mal pro Tag.
24. September. Pat. steht auf. Urin kein Eiweiss.
Herman B., 13 Jahre alt. Erkrankte erst am Todestage seiner Brüder Joseph und
Richard gegen 6 Uhr abends mit Erbrechen, Fieber und Kopfschmerz. Stuhl anfänglich
fest, nimmt erst allmählig breiigere Konsistenz an. Gesicht intensiv gerötet. Zunge be¬
legt. Abdomen etwas druckempfindlich. T. 38,8, P. 90. Das Erbrochene gallig. Im
übrigen objektiver Befund negativ.
15. September. T. 38,2. Stuhl erbsensuppenartig, Urin klar, ohne Eiweiss. All¬
gemeinbefinden wesentlich besser.
18. September. T. 37,0, P. 80. Stuhl 1—2 pro Tag.
20. September. Pat. hat keine Beschwerden mehr. T. 35,7, abends 38,5, P. 80,
steht auf.
22. September. T. 36,2, abends 36,6, P. 80.
8. Oktober. Leichtes Oedem der Augenlieder, fühlt sich aber im übrigen voll¬
kommen wohl, Urin klar, enthält aber deutlich Eiweiss. 1 /i °/oo vereinzelte Niercnzylin-
dor. Therapie : Bettruhe, Milchdiät, rasche Genesung.
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Aetiologisch ist dieser Fall insofern wichtig, als Pat. des Bestimmtesten seine Mit¬
beteiligung an dem verhängnisvollen Leckerbissen seiner Brüder in Abrede stellt und eine
Uebertragung des Giftes auf ihn nur indirekt erklärt werden kann. Pat. teilte nämlich
mit seinen Brüdern das nämliche Zimmer, hatte aber ein eigenes Bett für sich und will
auch sonst nicht in innige Berührung mit denselben während ihrer Krankheit gekommen sein.
Aus der Anamnese geht zweierlei zur Evidenz hervor: 1. dass das Krankheits-
gift einzig und allein an den Genuss der Fische gekettet war. 2. Dass die Causa
peccans von den Baslerhechten ausgegangen sein muss. Leider war es mir nicht
möglich, ein Stück der letztem zu Gesicht zu bekommen, um sie einer bakteriologi¬
schen Untersuchung unterziehen zu lassen, da ja die sämtlichen Reste derselben
bereits am Samstag Mittag durch Frau R. beiseite geschafft worden waren. Dessen¬
ungeachtet muss aus der Art und Weise der verschiedenen Erkrankungen die eben
genannte Ansicht als ultima ratio hingestellt werden. Damit ist freilich die Frage
über den eigentlichen Ursprung des Giftes noch nicht entschieden, wissen wir doch
aus der Literatur, dass Epidemien durch toxichophore Fischarten beschrieben sind,
die der unsrigen ganz analog verliefen. Bekannt sind namentlich für Deutschland
und Mitteleuropa Fischvergiftungen, die durch den Genuss der Barbe, Barbus fluvia-
tilis zur Familie der Cypriniden, Karpfen, gehörig hervorgerufen wurden, deren Symp-
tomenkomplex in nichts von Cholera nostras in ihren verschiedenen Intensitätsgraden,
von leichter Cholerine an, meist mit Schmerz im Epigastrium und Koliken verbun¬
den, bis zum wirklichen Brechdurchfall mit Wadenkrämpfen, Anurie und Collaps-
erscheinungen einhergehend, sich unterscheidet, kurz deren Krankheitsbild mit dem
unsrigen so ziemlich in allen Punkten sich deckt, also dass man versucht sein möchte,
auch unsere Epidemie auf die nämliche physiologisch-chemische Ursache zurückzu,
führen, wenn nicht die Anamnese so bestimmt die Verschiedenheit der serologischen
Momente betonen würde. So enthebt uns dieselbe jeglichen Verdachtes über die
Giftigkeit der Karpfen, einesteils durch die Bemerkung des Bruders der Frau R. ge¬
genüber den Baslerhechten, andernteils durch die Erwähnung des Intaktbleibens eben
dieses selben Bruders, und lenkt so, gerade durch Anführung dieser beiden Punkte,
unsere Aufmerksamkeit auf eine Vergiftung hin, herrührend vom Genuss bereits in
fauliger Zersetzung sich befindlicher Fische, nämlich der Baslerhechte. Das Aussehen
und der Geruch der Fische sind hier ebenso unvermögend, diese Vermutung Lügen
zu strafen, wie das Aussehen und der Geruch des Fleisches beim Botulismus, wo be¬
kanntlich diese beiden Bedingungen auch immer als gut, oder doch wenigstens nach
der Art hingestellt werden, dass die Essenden keinen Anstoss daran nehmen. Es
kommt eben bei dieser Art Vergiftung nicht bloss auf den Grad der Verwesung an,
sondern weit mehr auf die Zahl und Pathogenität der Mikroorganismen, die das be¬
treffende Fleisch als Nährsubstrat benutzen, auf den menschlichen Organismus. In
dieser Annahme werden wir bestärkt, sowohl durch die mit der Zeit zunehmende
Toxizität der Baslerheohte, als auch durch deren Infektiosität gegenüber den gleich¬
namigen Zürcherfischen; alles Eigenschaften und Vorgänge, die wir nur auf bakteri¬
eller, bez. mikroparasitärer Grundlage zu erklären vermögen und mit deren Hilfe wir
dann auch in den Stand gesetzt werden, die sekundäre Erkrankung des Knaben
Hermann B. ins rechte Licht zu rücken. Freilich könnte man den Einwurf erheben,
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dass, wenn im letzten Grunde Mikroben die Ursache der Vergiftung gewesen seien,
die Zubereitungsart der Fische dieselben hätte vernichten müssen.
Diese Tatsache wird zweifellos, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, einge¬
treten sein. Als Beweis hiefur kann das Verschon tbleiben des 9 1 t jährigen Jungen R.,
der gleich nach der Zubereitung des Fisches etwas davon abbekam, angeführt werden,
während die nachträgliche Erkrankung von Mutter und Grossmutter, die erst um
4 Uhr nachmittags sich an den betreffenden Fischen erlabten, für erneutes Anschwel¬
len der Mikroben und deren Toxine spricht. Unbegreiflich bei diesem Gedankengange
bleibt allerdings der Fall B. Jakob. Er, der nach Aussage der Frau Rf am ehesten
hätte ergriffen werden sollen, bleibt gänzlich verschont und erkrankt erst am Montag
Morgen, nachdem er Sonntags Vormittag mit den Seinen bereits zum zweitenmal an
den Fischresten und zwar diesmal herrührend von den Zürcherhechten, sich erquickt
hatte, also annähernd 2 mal 24 Stunden später als Frau R. Ich kann mir diesen
Widerspruch nur so erklären, dass ich annehme, B. Jakob habe am Freitag Abend
entweder zu wenig (2 Stücke) von dem fraglichen Hechte genossen, oder aber Frau
R. habe in der Fischart sich geirrt und an Frau B. am Freitag Abend die Ueber-
reste des Karpfen statt die der Hechte verabfolgt. Leider verweigerte Frau R. hier¬
über, nochmals um Auskunft gebeten, jede weitere Antwort. Mag immerhin diese
Frage so oder so bejaht werden, wir können nichtsdestoweniger an obiger Auseinan¬
dersetzung festhalten und dies um so eher, als wir wissen, dass die Prognose im
allgemeinen bei Barbencholera weit günstiger ist als bei Vergiftung durch verdor¬
benes Fischfleisch, nach welchem, wie auch in unserem Falle, nicht selten Todesfälle
Vorkommen. So sind derartig verlaufende Epidemien schon wiederholt beobachtet
worden im nordwestlichen Deutschland (Yalsrode, Emden) besonders im Hochsommer
durch Genuss verdorbener Schellfische, aber auch anderwärts sind kleinere oder
grössere mit Todesfällen einherlaufende Epidemien erwähnt, die durch in beliebiger
Weise konservierte Fische hervorgerufen wurden, z. B. durch Hering in Gelee, ge¬
räucherten Flundern, Sardinen, Hausen, Stockfische etc.
Rücksichtlich des übrigen Verlaufes unserer Epidemie wäre vielleicht noch auf¬
merksam zu machen auf die am 11. Krankheitstage auftretende universelle Urticaria
und die vorübergehende Albuminurie des B. Jakob, ferner auf die akute Nephritis des
B. Hermann, die erst volle 3 Wochen nach Beginn der Erkrankung und nachdem
Patient schon mehr als 8 Tage bei bestem Wohlbefinden ausser Bett zugebracht
hatte, zum Vorschein kam und endlich auf die subnormalen Temperaturen 35,2—35,6,
die regelmässig bei allen Beteiligten 8—10 Tage nach Beginn der Affektion sich ein¬
stellten, 3—6 Tage anhielten, um dann allmählich wieder zur Norm zurückzukehren.
Auf die bakteriologischen Untersuchungen, die durch Herrn Dr. Silberschmidt ange¬
stellt wurden und die das Bacterium paratyphi als Infektionsträger ergeben haben
sollen, kann ich nicht eingehen, dagegen möge es mir noch erlaubt sein, kurz die
anatomische Diagnose der beiden durch Herrn Prof. Ertast ausgeführten Obduktionen
anzufuhren.
1. B. Joseph, 12 Jahre alt. Diagnose: Enteritis acuta.
Sehr starke Schwellung der solitären and agminierten Follikel des ganzen Dünn¬
darmes und zwar schon im Jejunum beginnend, mit oberflächlicher Nekrose, kleienförmiger
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Ab8chuppaog uod galliger Imbibition, von der Mitte des Dünndarmes nach unten, stellen¬
weise auch etat reticule der agminierten Follikel, Schwellung der Mesenterialdrüsen.
Geringfügiger, eher etwas harter Milztumor, 1 cm, 3 cm und 7 cm; stark geschwellte
Balgfollikel des Zungengrundes; zentraazinäre Fettdegeneration der Leber; Petechien ent¬
lang des Sinus coronarius des linken Ventrikels, fleckige Beschaffenheit des Herzmuskels,
akute myodegeneratio cordis. Eigenartige Blutveränderung: lackfarbene Beschaffenheit,
dunkel kirschrote Farbe, etwas eingedickte Konsistenz. — Tuberkulös-käsige Veränderungen
der vordem Spitze des rechten Unterlappens, vollständig zirkumskript und abgekapselt,
ferner eine Anzahl bronchialer Hilusdrüsen der rechten Lunge.
2. B. Richard, 9 Jahre alt. Diagnose: Enteritis acuta.
Starke Schwellung der agminierten und Solitärfollikel des Dünndarms, in ähnlicher
Weise wie im vorhergehenden Falle, nur ohne Nekrose, ohne kleienförmige Abschuppung.
Erheblich stärkere Injektionsröte des Darmes. Schwellung der Mesenterialdrüsen, eine
gewisse Aehnlichkeit mit den ersten Veränderungen bei Typhus abdominalis, acute myo¬
degeneratio cordis. — Rechtsseitige verkäste Hilusdrüse, doppelseitiger Klumpfuss, links¬
seitig stärker und verbunden mit Muskelatrophie und zurückleibendem Wachstum der
ganzen linken Extremität (Folge einer vorausgegangeneu Kinderlähmung).
Literatur:
1. Uorschelmann. Petersburger med. Zeitschr. X. II. 4 u. 5. 1866. 2 Fälle von
Fischvergiftg. durch eiugesalzenc Hausen mit 1 Todesfall.
2. Reicz. Forgiftning of five Individer in en Familie ved Sild in Gele. Hosp. Fid.
15. 33. 1872.
3. Izet Anderson W. Notes of a fatal case of acute pemphigus and gangrene
following a meal of putrid conger eel. The Lancet 1873.
4. Hermann F . Vergiftung durch gesalzene und gedörrte Fische. Petersburg, med.
Wochenschr. 45. 1878.
5. Schreiber Julius. Ueber Fischvergiftung. Berlin, kl. Wochenschr. 1884. Nr. 11
und 12 und Deutsche med. Ztg. 1884.
6. Bertheraud. Le Champignon toxique de la morue seche. Revue d’hyg. 1884.
p. 455.
7. Hirschberg. Fünf Fälle von Fleischvergiftung mit 2 Todesfällen. Vierteljschr.
f. ger. Med. 1884. XLHI. S. 281—293.
8. BSranger-Ferraud. Recherches sur les accidents qui provoquo la morue alteree.
Aanales d’hyg. XIV. p. 427—456, 516—549.
9. Mead R. A case of severe gastrointestinal irritation caused by tined fish.
Practitioner. Atr. p. 264. 1886.
10. v. Sobbe . Ein bemerkenswerter Fall von Fischvergiftung. Berl. kl. Wochenschr.
Nr. 2. 1889.
11. Alexander . Ueber Fischvergiftung. Breslauer Ztgschr. Nr. 3. 1888.
12. Stevenson. Poisoning by sardines; atoxic. ptomaine. Brit. med. Journ. 17.
Dezember 1892.
13. Arusiamow M. Ueber die Natur des Fischgiftes. Therapeut. Monatsschrift.
Juni 1892.
14. Loir. Vergiftung durch rotgefärbte Sardinen. Soc. de Biol. 1894.
15. Sieber-Schumow N.O. Mme. Contribution ä l’etude des poissons venimeux.
Sur le bacillus piscidus agilis microbe pathogene pour les poissons. Arch. des Sciences
biol. d. St. Petersb. 1894.
16. Steinbach. Bericht über die GesundheitsVerhältnisse der Eingeborenen der
Marschall insein und Bemerkungen über Fischgifte. Mitteilg. aus d. deutschen Schutzge¬
bieten. Bd. VIII. H. 2. 1895.
17. Seidel f Ueber Fischvergiftung. Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrb. N. 21. 1902.
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144
18. Realenzyklopaedie.
19. Münchmeyer F, Vergiftung durch Rogen von Cyprinus Barbus. Berl. kl. Wo-
chenschr. 4. S. 46. 1875.
20. Anrep . L’intoxication par les ptomaines. Arch. slaves de biol. März 15. 1886.
Dr. August Kottmann.
(Hierzu Bildnis.)
Ars longa, vita brevis.
Der schweizerische Aerztestand hat vergangenen Sommer durch den Tod Dr. August
Kottmanns aus Solothurn eines seiner beliebtesten und verdiensteten Mitglieder, das
Correspondenzblatt einen bewährten Mitarbeiter verloren.
Kottmann stammte aus einer alten Aerztefamilie und mochte so als 4 natürliches Erbe
die Talente erhalten haben, welche ihn als Arzt zu bedeutender Stellung geleiteten.
Er wurde am 4. März 1846 in Solothurn geboren als Sohn des damaligen Spital¬
arztes Dr. Carl Kottmann . Schon sein Grossvater, der aus dem Kanton Luzern stammte,
war Arzt in Solothurn und hatte sich durch literarische Tätigkeit auch in“weitern Kreisen
bekannt gemacht.
1865 absolvierte Kottmann das Gymnasium in Solothurn und studierte dann in Bern,
Tübingen und Prag Medizin. Im Mai 1869 erlangte er in Bern den Doktortitel summa
cum laude und legte bald nachher sein Staatsexamen ab. Die nächsten drei Jahre war er
Assistent in Bern, ein Semester bei Lücke , die übrige Zeit bei Munk , dem damaligen
Professor der internen Medizin in Bern, in dessen Schule er zum I. Assistenten avan¬
cierte. Dann habilitierte er sich für innere Medizin.
Als während seiner Assistentenzeit der siebenziger Krieg ausbrach, erwirkte sich
Kottmann Urlaub und bot mit andern Schweizerärzten dem deutschen Kommando seine
Dienste an. Als Arzt der freiwilligen Krankenpflege war er in den Feldlazaretten vor
Gorze, Reichshofen, Wörth, Pont-ä-Mousson und Nancy tätig. Noch in späten Jahren
waren die Erinnerungsbilder aus dieser ereignisreichen Zeit so frisch, dass sie in pla¬
stischer Schärfe aus seinen Erzählungen sprachen.
Nach beendigtem Studium ging er auf eine längere Studienreise nach Berlin, Wien,
Paris, London und Edinburgh, wo gerade zu dieser Zeit Lister seine bahnbrechenden Ideen
verkündete.
1872 folgte Kottmann einem Ruf seiner Vaterstadt Solothurn als Chefarzt des
Bürgcrspitals und entsagte damit der begonnenen akademischen Laufbahn. Entfernt von
der Universität und der Möglichkeit zu ausgedehnter produktiver Tätigkeit schuf er sich
dennoch einen schönen und segensvollen Wirkungskreis. Auf der Basis, die er sich an der
Universität erworben hatte, konnte er sich selbst weiter ausbilden. Obwohl er nur kurze
Zeit Assistent an der chirurgischen Klinik in Bern unter Prof. Lücke gewesen war, brachte
er es gerade in der Chirurgie sozusagen als Autodidakt zu ganz besonderer Entwicklung.
Als er auf seiner Studienreise in Edinburgh bei Lister war, erkannte er die Tragweite
der neuen Entdeckung. Der geniale Volkmann brachte diese 1874 in Deutschland zur An¬
erkennung. In dieser Zeit trat auch der junge Solothurner Arzt mit Feuereifer für die
Antisepsis ein, voll bewundernder Dankbarkeit für Lister . „Hatte ich doch,“ schrieb
Kottmann 1874 im Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte in seinem Bericht über die
chirurgische Abteilung des Bürgerspitals von Solothurn 1873, „in Edinburgh die schönsten
Resultate selbst gesehen, hatte mir Lister seine Versuche und Erfolge in begeisterten,
warmen Farben vorgeführt“. Zu einer Zeit, wo die Ansichten über den Wert des
Zr&fer’schen Verfahrens sich diametral gegenüberstanden, trat Kottmann in demselben
Artikel, an Hand von zum Teil per primam geheilten, glänzenden Fällen für die neue
Methode ein und schrieb mit vollem Vertrauen zu Lister und feinem Verständnis für die
Frage; „man muss Lister gesehen haben, mit welch minutiöser Pedanterie, mit wie grosser
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Geduld er die Verbände selbst macht, um begreifen zu lernen, dass bei ihm bei schweren
Verletzungen die Eiterbildung sich auf ein Minimum reduziert, dass er in seinem abscheu¬
liehen, einge8chlo88enen Hospitale gute Resultate erzielt. tt
In dieser aufstrebenden Epoche wandte sich Kottmann mit Begeisterung der Chirur¬
gie zu. Vor Beginn seiner Solothurner Tätigkeit war die Zahl der im Bürgerspital aus¬
geführten Operationen ca. 10 pro Jahr, 1902 betrug sie 669 ! Unter der Leitung des in
seltener Weise allseitig durchgebildeten Chefarztes wurden auch interne, gynäkologische
und geburtshülfliche Fälle behandelt und die jährliche Krankenzahl stieg von 368 im
Jahre 1872 auf 1106 im Jahre 1902.
Diese Zahlen bekunden die für Stadt und Kanton Solothurn bedeutungsvolle Ent¬
wicklung des Bürgerspitales, dessen Emporhebung Kottmanns Lebens werk bildete.
Kottmann war mit Leib und Seele Arzt! Im Spital zog es ihn in erster Linio
ans Krankenbett und er schätzte vor allem die genaue Beobachtung des Kranken. Sein
mitfühlendes, durch angenehmen Humor oftmals leicht gefärbtes Temperament half mit,
ihn zum gesuchtesten Arzt und Konsiliarius für Stadt und Umgebung zu machen. Seit
1874 Examinator bei den eidgenössischen Medizinalprüfungen in Bern, war er in Kon¬
takt mit der Universität geblieben und wahrte sich jugendliches Interesse und akade¬
mische Frische.
Medizinische Arbeiten hat Kottmann fast ausschliesslich im Correspondenzblatt für
Schweizerärzte veröffentlicht und seit den siebziger Jahren ist er oft Mitarbeiter gewesen.
Seine Originalarbeiten betreffen meist chirurgische Thematas. Als erster führte er die vaginale
Exstirpation des Uterus wegen Fibromyom aus und gab in seiner Arbeit auch schon eine
genaue Indikationsstellung und Methodik für diese Operation. Der Ehrgeiz in diesem wie
in andern Fällen war ihm in auffallender Weise fremd. Es war der liebenswürdige und
sehr verdiente Pariser Gynäkolog Pozzi, der gegenüber Pean, der hier die Priorität für
sich in Anspruch nahm, diese dem bescheidenen Schweizer vindizierte. *)
Schon in seiner Dissertation: die Symptome der Leukämie (Bern 1871) zeigte Kott¬
mann originellen Sinn. Er fasste in dieser Arbeit die Leukämie als ein Neoplasma im
Blute auf. Ausgehend von Virchow 's damaliger Auffassung vom Blut als Gewebe mit
flüssiger Interzellularsubstanz, versuchte er seine Ansicht, die in neuerer Zeit wieder ver¬
treten wurde, des Nähern zu begründen.
Aus reichem Material hat Kottmann einige sehr interessante kasuistische Fälle publi¬
ziert. In früheren Jahren erschienen jährliche Auszüge aus dem Bericht über die
Leistungen der chirurgischen Abteilung des Bürgerspitales Solothurn.
In der Solothurner Naturforscherversammlung und der s. g. Töpfergesellschaft hielt er
eine Reihe grösstenteils geradezu mustergültiger Vorträge, die übrigens meistens im Druck
erschienen. Sein Stil war gewandt, klar, präzis. Er hatte überhaupt etwas von einem
Künstler an sich und wusste sich daher auch in ärztlichen Angelegenheiten von der
Schablone und Mode frei zu halten. Von früh auf fühlte er sich leidenschaftlich zur
Musik gezogen. Als Geiger, der in jungen Jahren künstlerische Ausbildung erlangt hatte
und, so selten er auch zum Spielen gelangte, bei dem geliebten Instrument die schönste
Erholung suchte, hatte er auch Einblick in die interessante Geschichte der Violine ge¬
wonnen, und das Studium des Geigenbaues, besonders bei .den alten italienischen Meistern,
bildete für ihn eine Lieblingsbeschäftigung. Als charakteristische Anekdote mag ange¬
führt sein, dass er bei Besuchen fremder Grosstädte nie verfehlte, in erster Linie dem
Geigenmaoher Besuche abzustatteu und beim Anblick einer edlen Geige fast sportsmännischo
Freude empfand.
Anfangs der neunziger Jahre stellten sich bei einer Hochtour zum ersten Mal Zeichen
gestörter Herztätigkeit ein. Er hatte kurz vorher an öfters rezidivierenden Nasenfurunkeln
gelitten und im Anschluss daran bildete sich in der Folge eino endokarditische Aorten-
*) Pozzi , Traite de gyuecologie dinique et operatnire, 1879, pag. 314.
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stenose au«. Der vorher rastlose und über eine fast unermüdliche Arbeitskraft verfügende
Mann musste seine jährlichen Kuren machen, am liebsten im gastlichen Hause bei einem
Kollegen und Studienfreunde an der Riviera. Letztes Frühjahr, kurz vor seinem Tode,
fühlte er sich sehnsuchtsvoll nach den von seiner Jugendphantasie umwobenen historischen
Stätten Siziliens gezogen : „ich will doch noch einmal dorthin, wo ich mit der Phantasie
in der Jugend war, wo die schönen griechischen Paläste und Tempel stehen, die Scylla
und Charybdis ihre Wellen werfen und Odysseus seine Fahrten machte“, schrieb er einem
Bekannten.
Scheinbar gebessert kam er von der langen Reise heim und begab sich naoh Häm¬
mern am Bodensee, um eine Nachkur zu machen. Dort erreichte ihn der Tod am 4. Juli
in einom Anfall von Asthma cardiale. Das schrecklichere, ihm selbst nur zu gut bekannte
Los vieler Herzkranken blieb ihm erspart.
Vereinsberiohte.
Gesellschaft der Aerzte in Zürich.
Hl. WiitersitiMg 26. Nivenker 1904 uf der Safran. 1 )
Präsident: Prof. Paul Ernst . — Aktuar: Dr. Meyer-Hiirlimann .
MlUeilnagen Iber Fälle ven Fisehverginiig im letzten September. Dr. Stoll.
(Der Vortrag erscheint in heutiger Nummer.)
Prof. Osk. Wyss (Autoreferat) teilte mit: Im Hygiene-Institut wurde in bakterio¬
logischer Hinsicht untersucht:
1. eine Dejektion eines der an schwerer Gastroenteritis erkrankten Knaben auf Cholera¬
spirillen, wie zu erwarten war, mit völlig negativem Resultat. Da vom amtlichen Arzte
nur diese Frage gestellt worden war und wir weiter nichts über Provenienz des Stuhles
und die Aetiologie wussten, beschränkte man sich auf die strikte Beantwortung der gestellten
Frage.
2. Stücke des fraglichen Fisches. Davon wurden Teile einem Tiere emulgiert in
die Bauchhöhle injiziert, ein anderes damit gefüttert. Das erstere starb innert 24 Stunden;
in seinem Blut und seinen Organen fand Hr. Ilugentobler ein bewegliches, coliähnliohes
Stäbchen.
3. Bei der Sektion des Knaben R. entnahm ich Blut aus dem rechten Herzen und
Milzsaft. In beiden Hessen sich bei der direkten Untersuchung im Deckglaspräparat
Stäbchen, die sich nach Gram nicht färbten, nachweisen. 2 )
Auf Gelatineplatten wuchsen: mit Herzblut infiziert in völliger Reinkultur Kolonien,
teils oberflächlich, teils in der Tiefe, desselben Bakteriums, das wir direkt im Blute be¬
obachtet hatten, das sich leicht mit Methylenblau, Fuchsin etc. tingierte, nicht aber nach
Gram, lebhaft beweglich war, stark differierte in seineu einzelnen Exemplaren hinsichtlich
Länge, Dicke, Intensität der Färbbarkeit, z. B. bei der Tinktion mit Methylenblau, wie
das bei B. zu beobachten ist. Die oberflächlichen Kolonien waren durchscheinend,
bogenförmig begrenzt, ziemlich genau wie Bact. coli-Kolonien; ebenso wuchs es auf Gela¬
tine in Stichkultur in Nagelform ohne jegliche Verflüssigung. Aehnlich auf Schief-Agar;
ohne besondere Eigenschaften in Bouillon.
Auf Kartoffel war die Kolonie farblos, ein durchsichtiger Schleim; es erinnerte leb¬
hafter an Typhus-Kolonie, wuchs nur in ein wenig dickerer Schicht. Aber in Zucker¬
bouillon riefen die Stäbchen deutliche Kohlensäurebildung hervor und ebenso Gasbildung
in Agar Stich-Kultur. Sie bildeten deutlich COs wie Bact. coli. Milch wurde nicht zur
Gerinnung gebracht, wohl aber wurde die Milch durchsichtiger infolge Eiweisslösung.
Eiugegangen 25. Dezember 1904. Red.
-) Die Mikroorganismen erwiesen sich für Kaninchen. Meerschweinchen und Mäuse bei sub¬
kutaner und intraperitonealer Injektion pathogen.
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Dr. Silber Schmidt machte noch Agglutinationsversuche mit Blutserum von 4 ver¬
schiedenen der rekonvaleszenten Erkrankten und zwar mit dem Erfolge dass;
a. durch dieses Serum die Bakterien aus dem Blute des Verstorbenen stark agglu-
tiniert wurden in Verdünnungen von 1:100 bis 1 : 1000.
b. dass durch dasselbe Serum Bact. coli nicht agglutiniert wurde,
c. dass dasselbe Blutserum Typhus abdominalis baot. Kulturen resp. Aufschwemmungen
nicht agglutinierte. „
4. Auf den Gelatineplatten wuchsen bei Kulturen aus der Milz hergestellt dieselben
Stäbchen wie aus dem Blute; daneben aber noch Gelatine verflüssigende Kolonien, die
als Fäulnismikroorganismen, unzweifelhaft vom Darm her eingewandert, aufgefasst wurden.
Das Resultat dieser Untersuchung geht also dahin: es habe sich um eine Infektions¬
krankheit gehandelt, die durch das im Blute und in der Milz gefundene Stäbchen hervor¬
gerufen wurde. Das Stäbchen erzeugte im Körper des Kranken Agglutinine, die nur auf
dieses Stäbchen, nicht aber auf verwandte oder ähnliche Stäbchen, wie Typhus- und Coli-
bakterien agglutinierend wirkte.
Auch mit dem Bakterium enteritidis Gärtner's mit dem das Bakterium
gros8e Aehnlichkeit hat, soheint es nicht identisch zu sein; doch steht es demselben
ausserordentlich nahe. Ueber seine Beziehungen zu den Paratyphusmikroorganismen wird
Herr Dr. Silberschmidt weitere Mitteilungen machen.
In der Diskussion weist Prof. 0. darauf hin, dass iu dieser FisohfleischVergif¬
tung wie in den sog. Kalbfleischtyphusepidemien in Andelflngen, Kloten, Würenlos
1. das anfänglich gar nicht oder weniger giftige Fleisch von Tag zu Tag au Toxi¬
zität zugenommen und schliesslich andere Speisen von ganz guter Qualität infiziert hat,
2. dass in dieser Epidemie, wie in den genannten andern, sekundäre Fälle beob¬
achtet wurden: anscheinend Kontaktinfektion, ohne Vermittlung duroh Speisen,
3. dass nie sich eine längere Epidemie anschloss,
4. dass trotz vieler Aehnlichkeit doch auoh gewisse klinische Differenzen bestanden,
so in der vorliegenden Epidemie unbedeutende, in den genannten früheren Kalbfleisch-
Epidemien im Kt. Zürich dagegen reichliche roseolöse Exautheme z. Th. am ganzen
Körper, im Gesicht (bes. Kloten) vorkamen; in der Würenloser und Klotener Epidemie oft
starker Milztumor, hier nur geringer.
5. Auch in der Klotener Epidemie starke diffuse Enteritis des Dünndarmes, reich¬
liche Follikelschwellung und Schwellung der Peyer' sehen Platten und der Mesenterial¬
drüsen; nur kleine Geschwürsbildungen in den Peyer 1 sehen Platten, aber doch so tief,
d&8B Tod durch Darmblutung festgestellt wurde (Prof. Eberth). Auch in Würenlos starben
zwei Kinder an Darmblutung aus Geschwüren der Peyer' sehen Platten (Bez.-A. Nierilcer).
6. Wenn wir heute diese Krankheitsbilder unter der Bezeichnung Paratyphus, und
zwar gestützt auf die bakteriologischen Untersuchungen, zusammenfassen, so beweist das
doch, dass damals die Zürcher Aerzte, die sämtliche obgenannten drei Epidemien:
Kloten, Würenlos, Andelfingen als „typhöse“ auffassten, ( Zehnder , Huguenin , 0. Wyss)
Recht gehabt haben, und dass es sich nicht, wie von München u. a. 0. aus behauptet
wurde, bloss um eine Vergiftung, d. h. „Fäulnisgift“Wirkung gebandelt habe, oder gar,
wie in bezug auf die Andelfinger Epidemie vermutet wurde, um eine Trichinenepidemie.
Prof. Paul Emst: (Autoreferat) Da Herrn Dr. Stoll die Protokolle und anatomi¬
schen Diagnosen des Instituts zur Verfügung standen, kam ich nicht mit der Absicht her,
noch eigens das Wort zu ergreifen, sondern wollte mich begnügen, gewissermassen die
Illustrationen zu ihrem Text zu liefern, wie es die erspriessliche Tätigkeit und dankbare
Aufgabe des Anatomen erheischt. Wenn Sie aber doch von mir eine Auslegung der
makro- und mikroskopischen Präparate wünsohen, so bin ich ja gern dazu bereit. Vor
allem mag Sie das Darmpräparat interessieren, das seine natürlichen Farben leidlich be¬
wahrt hat. Ohne Zweifel erinnert das Bild an Typhus, nur muss ich gestehen, wenig
von Kindertyphen gesehen zu haben, einmal aus dem bekannten Grunde, weil bei Kindern
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Typhus milder, selten tödlich verläuft, im letzteren Fall in früheren Stadien der markigen
Schwellung vermutlich bei stark toxischer Wirkung der Infektion, sodann aber aus dem
Grunde, weil wir am Institut zu unserm Leidwesen wenig Kindermaterial sehen. Die
Aehnlichkeit mit Typhus beschränkt sich nicht nur auf das Stadium der markigen
Schwellung solitärer und agminierter Follikel, sondern erstreckt sich auf jenen retikulier-
ten Zustand der letzteren, den wir gelegentlich auch bei Typhus sehen und als stärkere
Schwellung der interfollikulären Gebiete deuten müssen, sodann auf die beginnende kleien*
förmige Abschuppung mit galliger Imbibition der oberflächlichen nekrotischen Partien der
geschwellten Lympbapparate, ein Zustand, der den Veränderungen der 2. Typhuswoche ent¬
spricht. Auch die Mesenterialdrüsen ergänzen das Bild, während allerdings die Milz nichts
charakteristisches hat. Schätzungsweise ist sie wohl vergrössert, die Masse 13, 7, 3
entsprechen ja denen der Erwachsenen, dagegen war sie nicht weich und matsch, eher fest.
Die eigenartige Blut Veränderung darf ich nicht hoch bewerten, da ja die Sektion erst
2 mal 24 Stunden nach dem Tod vorgenommen wurde. Beim jüngeren 9jährigen Bruder
war das Bild überraschend ähnlich, nur fehlten die Zeichen der Nekrose, d. h. die kleien-
förmige Abschuppung und gallige Imbibition. Der kurzen Erwähnung wert sind doch
auch die überraschend gleichen Befunde lateuter Tuberkulose der rechtsseitigen Hilus-
drüsen der Lunge beider Brüder, beim ältern noch käsige Veränderungen des rechten
Unterlappens.
Noch ein Wort über die beiden mikroskopischen Präparate. Sie stammen von den
Darmfollikeln und den Mesenterialdrüsen und sind mit Thionin gefärbt. Die Bazillen
sind in Nestern oder Herden angeordnet, schon mit schwacher Vergrösserung als blaue
Kleckse vom leicht grünlichen Gewebe abgehoben zu erkennen. Die Immersionslinsen
lösen hier namentlich am Rande die Herde in einzelne Stäbchen auf. Ich habe aber die
Präparate namentlich aufgestellt, um sie der scharfen Kontrolle der Herren Bakteriologen
zu unterwerfen, da ich gegen Bakterienbefunde in so alten Leichen das allergrösste Miss¬
trauen hege. Besonders gegen Bakterien in der Darm wand; etwas zuverlässiger und
mehr Vertrauen erweckend sind ja in der Beziehung die Mesenterialdrüsen, wie wir schon
aus Eberth'a Typhusuntersuchungen des Jahres 1880 wissen. Seither sind ja diese Ver¬
hältnisse allbekannt. Ich habe mich ja besonders mit solchen Bakterien nach weisen abge¬
geben anlässlich meiner Beobachtungen der Schaumorgane und neuerdings hat auch
Simmonds in Hamburg Bakterienbefunde in Leichen in die richtigen Schranken der Be¬
wertung gewiesen. Ich kann nur sagen, dass die aufgestellten Bakterien Kurzstäbchen
sind von der Grösse und Gestalt der Angehörigen der Typhus-Coligruppe, dass sie der
Gram’schen Färbung nicht zugänglich sind, dass sie bipolar sich stärker tingieren in
der Art, wie wir es bei Typhusbazillen von den Büchner 'sehen Polkörnern wissen. Züch¬
tungen habe ich unterlassen, da ich ja diesen Teil der Untersuchung in guten Händen
wusste.
Privatdozent Dr. Silberschmidt (Autoreferat): Um die aetiologische Rolle des ge¬
fundenen Mikroorganismus zu begründen, genügte der Nachweis im Blute und in der
Milz der gestorbenen Patienten nicht; es musste noch die Agglutinationsreak¬
tion vorgenommen werden. Die Reaktion wurde mit dem Blute von vier Patienten
ausgeführt. Die am 23. September, d. h. 13 Tage nach Beginn der Erkrankung, ent¬
nommene Blutprobe von Pat. D. agglutinierte bei 7 80 und V 50 so ^ or ^ ®öbr stark, bei l /*oo
waren mikroskopisch noch Häufchen sichtbar. Das Blutserum von Pat. Br., welcher am
schwersten erkrankt war, wirkte auch am stärksten, indem dasselbe in einer Verdünnung
von Viooo sehr stark agglutinierend wirkte. Das Blut der Tochter Lina Br. agglutinierte
bei 7ioo sehr stark, bei Yiooo nicht mehr; Anfangs Oktober wurde das Blut des sekundär
erkrankten Bruders der zwei gestorbenen Kinder, Hermann Br. untersucht: Agglutination
bei 7ioo sehr stark. Vergleichende Agglutinationsversuche mit Typhusbazillen waren
negativ; das Blutserum eines Typhuskranken agglutinierte den »Fischbazillus*
nicht. Aus den mitgeteilten Resultaten ist ersichtlich, dass der im Blute beider
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Leichen gefundene Mikroorganismus höchst wahrscheinlich
der Erreger der fraglichen Fischvergiftung ist.
Es sei noch hinzugefügt, dass sich der „Fischbazillus* bei subkutaner,
bei intraperitonealer und bei intravenöser Injektion als virulent erwies für weisse
Mäuse, für Meerschweinchen und für Kaninchen; Fütterungsversuche fielen negativ aus.
Die genauere Untersuchung der kulturellen Eigenschaften des „Fischbazillus*
ergab eine grosse Aehnlichkeit mit deijenigen Gruppe von Mikroorganismen,
welehe früher als Paracoli, in neuerer Zeit als P a r a t y p h u s b az i 11 e n be¬
zeichnet werden. Diese Mikroorganismen wurden 1896/1900 von französischen und
von amerikanischen Autoren, in den letzten Jahren auch in Deutschland wiederholt ge¬
funden, nach Schottmüller werden zwei verschiedene Typen, A und B unterschieden. Diese
Bazillen wurden bei den verschiedenartigsten Erkrankungen nachgewiesen. Besonders
interessant sind die kleineren und grösseren Epidemien mit Typhusähn¬
lichem Charakter, bei welohen die ursächliche Bedeutung der Paratyphus¬
bazillen durch deren Nachweis in Faeces und in Blut, ferner durch den Ausfall
der Agglutinationsreaktion festgestellt werden konnte. Solche Epidemien sind in Deutsch¬
land, in Holland und in vielen anderen Ländern beobachtet worden. In vielen Fällen
wurde, wie bei Typhus abdominalis, als Ursache der Erkrankung eine Infektion durch
Wasser angenommen. Von den beschriebenen Epidemien hat diejenige, welche von
Trautmann untersucht worden ist, mit der unserigen eine grosse Aehnlichkeit: nach Ge¬
nuss von Pferdefleisch erkrankten in Düsseldorf 57 Personen (darunter 1 Todesfall);
als Ursache wird der Bac. paratyphus B. angesprochen.
Die Aehnlichkeit des „Fisohbazillus* mit Paratyphus B wurde nicht
nur kulturell, sondern auch experimentell nachgewiesen. Das Blutserum des zuletzt unter¬
suchten Patienten agglutinierte eine Stammkultur von Paratyphus B. Ein Kaninchen
wurde mit einer erhitzten Kultur des „Fischbazillus* vorbehandelt; nach einiger
Zeit agglutinierte sein Serum in einer Verdünnung von 7tooo nicht nur den „Fisch-
b a z i 11 u 8 a , sondern in gleicher Weise zwei Stämme von Paratyphus B ver¬
schiedener Herkunft, währenddem Paratyphus A und Typhus bei 7 S ° nur an¬
deutungsweise, bei Vfia nicht agglutiniert wurden. Wir dürfen unseren „Fischbazil-
1 u8* mit Paratyphus B identifizieren.
Der Annahme, dass die Erreger von Fleisch- bezw. Fischvergiftungen nur im Fleische
kranker Tiere Vorkommen, kann S . nicht beipflichten. Die Frage, ob sich die
kürzere Inkubationszeit bei derartigen Erkrankungen durch die „Anpassung* der Bazillen
im Fleische erklären lässt, wie dies von Trautmann angenommen wird, muss noch durch
weitere Untersuchungen geprüft werden. Nach den vorliegenden Beobachtungen scheint eine
Infektiosität der Ausscheidungen der erkrankten Patienten vorzuliegen; aus diesem Grande
ist die A n z e i g e p f 1 i c h t und die Desinfek tion der 8tühle etc. gerechtfertigt.
Es werden eine Anzahl Kulturen von Typhus, Paratyphus und Kolibazillen, ferner
dio Agglutinationsreaktion der verschiedenen Stämme demonstriert.
Dr. H. Naef (Autoreferat): Die neun Fälle von Fischvergiftung, welche ich be¬
obachtet habe, lassen sich in drei Gruppen einteilen:
I. Gruppe: Drei Personen assen am 9. September abends von dem „nicht mehr
frischen, unangenehm riechenden Basler Fisch*. Siegmund R. 10 Jahre alt, blieb voll¬
ständig gesund. Frau R. 29 Jahre alt, erkrankte nach 12 Stunden mit Uebelkeit,
Brechen, Diarrhrn. Sie hatte angeblich kein Fieber, machte die Hausgeschäfte, gieng aus.
Das Brechen dauerte einen Tag, die Diarrhrn (4—5 mal pro die) 3 Tage. Frau D. 58
Jahre alt, erkrankte nach 14 Stunden mit Uebelkeit, Diarrhrn, Leibweh. Die Temperatur
war nur wenig erhöht, vom dritten Tage ab normal. Die Diarrhoe war am stärksten
am zweiten Tag (ca. 40 Stühle), sie dauerte bis zum siebenten Tag. Brechen bestand
nie, dagegen sehr viel Durst nnd grosses Schwächegefühl. Pat. war erst am 12. Tag
völlig hergestellt.
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II. Gruppe. Die fünf Personen im Alter von 23—34 Jahren assen am 10. September
abends von einem lebend gekauften Zürcher Fisch, der in einem Teller gelegen hatte, dessen
Rand ca. 14 Stunden lang Stucke des Basler Fisches * garniert“ hatten. Die Sauce war
besonders präpariert worden. Ausser Fisch wurden gegessen: Suppenfleisch, frische
Bohnen, Enten und Trauben. Die Leute erkrankten 4. 8, 9, 23, 26 Stunden nachher.
Vier Fälle erbrachen am ersten Tag, nur der zuletzt Erkrankte hatte nie Brechen. Die
Diarrhoe dauerte 5—11 Tage lang; es wurden per Tag 7—20 Entleerungen notiert.
Die Stühle waren flüssig, mit braunen Bröckeln vermischt, enthielten nur wenig Schleim,
einmal spärliche Blutstreifen, rochen sehr übel. Das Fieber betrug im Maximum ein mal
am ersten Tag 37,5 bei 96 Pulsen, dauerte bei drei Patienten je zwei Tage und betrug
dabei im Maximum 38,6 bei 108 Pulsen, 38,4 bei 104 Pulsen, 39,3 bei 104 Pulsen.
Im schwersten Falle (mit Ileocoecalschmerz, Muskelkrämpfen und Roseolen) dauerte das
Fieber vier Tage und war die höchste Temperatur 39,1 bei 120 Pulsen. In der Rekon¬
valeszenz schwankte die Temperatur zwischen 36,1—37,0. Das Allgemeinbefinden war bei
allen Patienten stark gestört. Sie fühlten sich mehrere Tage lang sehr elend, hinfällig,
zwei Kranke hatten Ohnmachtsanwandlungen auf dem Nachtstuhl. Uebelkeit bestand nur
1—2 Tage. Ein Patient klagte die ersten zwei Stunden über Frieren, nachher über Hitze,
einor litt drei Tage lang an Kopfweh, zwei klagten am ersten Tage über Krämpfe in
den Rumpf- und Wadenmuskeln. Bei den Kranken aller Gruppen war die Zunge trocken,
braun, etwas rissig und zwar 6—10 Tage lang. Alle klagten über starken Durst, Übeln
Geschmack. Die ersten drei Tage bestand starker Foetor ex ore. Bei allen war der
Unterleib leicht aufgetrieben, die ersten Tage etwas druckempfindlich. Die meisten
klagten über schneidenden Schmerz vor der Defaecation. Schwellung von Milz oder
Leber war mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Nur in einem Falle bestanden vom 4. bis
6. Tage Druckempflindlichkeit in der Coecalgegend und spärliche roseolaartige Flecken
auf dem Abdomen. Ein Patient mit chron. Magenkatarrh wurde viel von Ructus ge¬
plagt. Ein Kranker zeigte vom 6—9 Tage leichte Albuminurie, es fanden sich zahl¬
reiche hyaline und Epitbelzylinder, spärliche Leukocyten, keine Erythrocyten. Ein Kran¬
ker hatte am vierten Tage ein starkes Erythem an den Oberschenkeln und an der rechten
Abdominalhälfte.
III. Gruppe: Zwei Kinder von 2 1 /i und 4 Jahren waren ebenfalls beim „Essen“,
bekamen aber keine Fische. Eines erkrankte nach 30 Stunden mit Fieber bis 39,3 und
Diarrhoe. Kein Brechen. Die Temperatursteigerung dauerte vier Tage, die Diarrhoe
sechs Tage; 24 Stunden lang war das Kind heiser. Das andere Kind wurde erst nach
4X24 Stunden von Diarrhoe befallen, die fünf Tage anhielt. Die Temperaturerhöhung
dauerte einen Tag und ging nur bis 38,3. Brechen wurde nicht beobachtet. Im übrigen
waren die Symptome die gleichen wie bei Gruppe I und II. Das erste Kind war wahr¬
scheinlich, das zweite sicher sekundär infiziert worden. In keinem der neun Fälle
wurden Sehstörungen, Schwindel, Lähmungen oder Erscheinungen von Tetanie beobachtet.
Die schwersten Fälle waren diejenigen der Gruppe II. Bleibende Nachteile sind bei
keinem der Patienten gesehen worden.
Stadtarzt Dr. Kruker gibt einige Aufschlüsse über die sanitätspolizeilichen Mass¬
nahmen, die in den besprochenen Fällen Platz gehabt haben, sowie über die zürche¬
rischen Fischhandlungen.
Bernisch-kantonaler Aerztetag vom 17. Dezember 1904.
Chirurgische Klinik (Prof. Kocher ). 1. Prof. Kocher demonstriert eine stattliche
Anzahl Kieselsteine, Glas - und Drahtstückchen, den metallenen Teil
eines Federhalters, die ein Geisteskranker verschluckt hatte und die ohne
schwere Läsion den ganzen Magendarmkanal passiert hatten. Sie verursachten nur ge-
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ring© Verdauungsstörungen. Vorweisen des Röntgogramms, welches die genannten Gegen¬
stände in situ zeigt. In der letzten Zeit warJJTocÄcr zweimal genötigt, einen Murphy¬
knopf herauszuschDeiden. Das eine Mal sass der Knopf vor einer Abknickung des Darmes,
die durch eine Adhäsion verursacht war und erzeugte Ileuserscheinungen. Für Fremd¬
körper im Darme ist also eine ungestörte Motilität von grösster Wichtigkeit.
2. Vor zwei Wochen wurde ein Knabe hereingebracht, der am Ersticken war. Er
war bewusstlos, leichenblass, atmete fast gar nicht mehr, Puls kaum zu fühlen. Durch
einen Griff nach dem Halse Hess sich ein Strumaknoten aus dem Thorax herausheben;
es handelte sich um einen Tauchkropf. Patient erholte sich aber nicht, es konnte
nicht wie gewohnt die Strumektomie gemacht werden, sondern erst die Tracheotomie.
Nach einer Stunde war die Atmung ruhig, der Puls gut. Der Kropf wurde operiert, die
Wunde heilte per primam.
3. Carcinoma linguae. Kocher 's Zusammenstellung der bei Carcinoma
linguae erzielten Operationsresultate zeigte ein wenig erfreuliches Bild. Selbst früh
operierte Fälle bekommen Drüsenmetastasen auf beiden Seiten, die bald inoperabel werden,
verjauchen und einen elenden Tod bedingen. Nach neuern Untersuchungen wissen wir,
dass die Lymphgefässe der Zunge sich kreuzen, zu Lymphdrüsen gehen, die entlang den
grossen Halsgefassen liegen. Deshalb exstirpierte Kocher in diesem Falle beiderseits die
submentalen, submandibularen und die Lymphdrüsen entlang den grossen Gefassen bis zur
Clavicula, obschon sie nicht vergrösBert waren und makroskopisch normal schienen. Es
ist zu hoffen, dass der Patient radikal von seinem Leiden befreit ist.
4. Vorstellung eines geheilten Tetanus. Es war ein gewöhnlicher Fall mit Ver¬
zerrung des Gesichtes, Kiefer-, Nacken-, Rücken-, Bauchstarre, relativer Starre der untern
Extremitäten, freien obern Extremitäten, Erhöhung der Reflexe, kurzen aber gehäuften
Krampfanfällen (50—60 pro Tag). Die Temperatur war wenig erhöht, die Dauer der
Inkubationszeit Hess sich nicht sicher angeben.
Die Behandlung wich etwas von der gewohnten ab. Glücklicherweise konnte Patient
immer gut schlucken. Er w r urde in kühlem Zimmer gehalten und ausserdem mit Eis¬
blasen abgekühlt. Narcotica wurden trotz der Anfälle nicht gereicht, da sie namentlich
gegen den Schluss der Krankheit toxisch wirken. Als die Anfälle sich mehrten wurde
Antitoxin injiziert und zwar in den freigelegten nervus ischiadicus und femoralis und in
den Lumbalsack. (Die Infektion erfolgte an einer Zehe.) Neuere Untersuchungen haben
nämlich dargetan, dass das Tetanustoxin den Nervenscheiden entlang ins Zentralnerven¬
system gelangt.
Die Injektion in die Nerven . war sehr schmerzhaft, die Temperatur ging nachher
stark in die Höhe, die Anfalle Hessen aber nach, ebenso die Starre. Jetzt kann Patient
gut gehen, den Mund öffnen, den Kopf heben.
5. Drei Fälle von Tonsillenkarzinom, zwei in den Anfangsstadien werden
demonstriert. Das dritte hatte Ober- und Unterkiefer, weichen Gaumen, Zungenbasis er¬
griffen ; es wurde vor zwei Wochen operiert. Patient trinkt jetzt schon wie ein Student.
Dieses funktionell günstige Resultat ist dem Umstande zuzuschreiben, dass der hintere
Teil des Unterkiefers geopfert und exartikuHert wurde. So wurde die narbige Kiefer¬
sperre vermieden. Die Erhaltung des Schluckmechanismus ist von grösster Bedeutung
für die Vermeidung von Schluckpneumonien.
6. Unterkiefersarkon. Der sehr bösartige Tumor wurde auswärts ex-
stirpiert, Patientin kam mit einem Rezidiv, das gründlich operiert wurde. Noch einmal
trat ein Rezidiv auf. Nach dessen Exstirpation waren nur noch die aufsteigenden Kiefer¬
äste da. Aus der crista ilei wurde nun ein Knochenstück genommen, eingesetzt; es
heilte per primam ein. Jetzt schluckt Patientin ganz gut. Zur Erzielung eines bessern
kosmetischen Resultates wird nun aus der andern spina iliaca ant. sup. ein Kinn gemacht
irerden.
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7. C h o I o 1 i t h i a 8 i s. Gehäufte schwere Anfälle forderten dringend die Operation.
Schrägschnitt, Eröffnung der Gallenblase, die über hundert kleine Steine enthält; Ent¬
fernung der Steine, Naht der Gallenblase, der Bauchwand; kein Drain. Die Mehrzahl
der so operierten Patienten heilen wie der vorgestellte glatt. Die reine Cholecysto-
t o m i e erhält die überaus wertvolle Gallenblase, welche bei Cholecystektomie geopfert
wird und bei Drainage schrumpft.
8. Demonstration eines ungeheuren Pylorusk arzinoms; wegen Beteiligung
des Mesocolon transversum wurde dieses und des colon transversnm reseziert. Der
Magen wurde nach Kocher's Methode nach der Exstirpation des Tumors geschlossen, das
Duodenum hinten unten in den Magen eingesetzt. Der vorgestellte Patient hat sich vor¬
züglich erholt, er nahm durchschnittlich pro Tag 250 gr an Gewicht zu. Von 100
Magenresektionspatienten starben nur zwei au Wundkomplikationen, sechs an Lungen- und
Herzkomplikationen; 20 leben, beim ältesten sind 16 1 /* Jahre seit der Operation ver¬
flossen. Die HCl-sekretion ist dauernd aufgehoben, aber die Motilität ist vorzüglich. Der
neue Magenraund funktioniert so gut, dass der Magen gebläht werden kann.
Der 9. Patient litt an Pylorusstenose nach ulcus simplex. Er wurde
durch die gastroenterostomia posterior inferior geheilt. Die chemische Magenuntersuchung
gibt sehr wertvolle Resultate und muss unbedingt bei jedem Patienten gemacht werden,
der längere Zeit Magenbeschwerden hat. Im letzten Semester operierte Kocher ein
lüjähriges Mädchen, das einen Magentumor, keine freie HCl, dagegen Milchsäure hatte.
Bei einem 60jährigen Manne wurde ein Magentumor auf Grund der chemischen Unter¬
suchung (freie HCl, keine Milchsäure) als ulcus simplex angesprochen, bei dem 19jährigen
Mädchen dagegen ein Karzinom diagnostiziert; die Operation hat in beiden Fällen die
Diagnose bestätigt.
ln neuerer Zeit werden an einem Tage drei Probemahlzeiten gegeben.
Findet man bei der zweiten und dritten Untersuchung freie HCl, dann ist Karzinom noch
sicherer als bei einmaliger Untersuchung auszuschliessen, dagegen zu vermuten, wenn das
zweite und dritte Mal freie HCl fehlt.
10. werden drei geheilte Spondylitiden vorgestellt; die eine wurde mit der
Gr/f'sson’schen Schlinge behandelt, da ein Abszess fehlte. Die zweite Patientin hatte einen
solchen, der im Pharynx palpiert werden konnte, bei der dritten zeigte ihn das Röntgo-
gramm an der Brustwirbelsäule. Fall 2 und 8 wurden operiert, die erkrankte Stelle
freigelegt, mit dem scharfen Löffel alles Kranke entfernt; bei Fall 3 gelangte man durch
Costotransversektomie an die Vorderseite der Wirbel. Die Operation ist nicht leicht, da
die benachbarte Pleura nicht eröffnet werden darf.
Medizinische Klinik (Prof. Sahli). 1. Prof. Sahli demonstriert ein von ihm kon¬
struiertes transportables Sphygmomanometer. Bei der Beurteilung des
Pulses durch Palpation mit den Fingern können wir die Spannung nicht gut schätzen;
es ist nämlich der Druck, den wir auf die Art. radialis ausüben müssen, damit peripher
davon der Puls verschwindet, ausserordentlich abhängig von der Weite der Arterie.
Je enger die Arterie, desto weniger Druck ist nötig, sie zu komprimieren, je weiter, desto
mehr. Hier gilt nämlich das PascaPsche Gesetz der hydraulischen Presse.
Gegen diese Irrtümer schützt das Sphygmomanometer. Die bisherigen transportablen
Sphygmomanometer waren ungenau, die guten Apparate waren nicht transportabel. Sahl ?s
Sphygmomanometer ist ein offenes Hg-manometer, das aus zwei gut eingeschliffenen
Glasröhren besteht. Die Gummiplatte ist luftgefüllt und unterscheidet sich von der
2?asc/*’schen Pelotte dadurch, dass sie bedeutend grösser ist als diese. Die Pelotte wird
nun mit wachsendem Drucke so lange auf die art. radialis gepresst bis der Puls für den
peripher davon palpierenden Finger verschwindet. Der Druck Überträgt sieh hier nach
hydrostatischen Gesetzen.
Der Apparat kostet 16 Fr., ist somit bedeutend billiger als die bisher benutzten
Apparate. In einem kleinen Etui verpackt kann er in der Rocktasche getragen werden.
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2. wird eine geheilte C h o r e a patientin vorgestellt. Es war ein schwerer
Fall, anschliessend an Gelenkrheumatismus, der innerhalb zwei Wochen so weit ge¬
bessert wurde, dass das Kind jetzt nur noch ab und zu Grimassen schneidet, mit den
Fingern zuckt.
Die Chorea ist nach Sahli wie die Hysterie und Neurasthenie eine Neurose,
d. h. eine quantitative Steigerung physiologischer Vorgänge
im Nervensystem.
Im Theater, in Gesellchaft, wenn wir uns schlaflos im Bette hin- und herwälzen,
wenn wir an Verdauungsstörungen leiden, stets machen wir mehr oder weniger chorea¬
tische Bewegungen. Durch sie werden die unangenehmen Gefühle weggeschafft, die man
bei absoluter Ruhe hat.
Die Schreckchorea ist so zu erklären, dass der Schrecken die Erregbarkeit des
Nervensystems gesteigert hat; bei der Wurmchorea steigern abnorme Gefühle die physio¬
logischen choreaähnlichen Bewegungen; nach schmerzhaften Gelenkrheumatismen bleiben
an der Peripherie abnorme Erregungen, welche das Kind zu choreatischen Abwehr¬
bewegungen veranlassen.
Ursprünglich willkürliche Bewegungen werden dadurch automatisch, dass subkortikale
Zentren innerviert werden und später jene Bewegungen auszulösen vermögen.
Die Behandlung bestand nun in der mechanischen Behinderung der Bewegungen,
indem das Kind in eine oben und unten spitz zulaufende Hängematte gesteckt wurde,
die es nur zur Aufnahme der Mahlzeiten und zum Schlafen verliess.
3. Tuberkulinbehandlung der Tuberkulose. Prof. Sahli be¬
handelte eine Anzahl von Fällen mit Beraneck 'schein Tuberkulin. Es ist nicht ohne
weiteres klar, wie ein Tuberkulöser, der an einem Gifte laboriert, durch Injektion dieses
Giftes geheilt werden kann. Bei der Tuberkulose spielt die Immunisation eine grosse
Rolle, wie die Naegel ?sehen Zahlen beweisen. Fast 100 °/o aller Menschen haben tuber¬
kulöse Herde. Die Tuberkulose ist aber durch Immunisation ausgeheilt. Sahli unter¬
scheidet drei Kategorien Tuberkulöser.
a) Es besteht ein kleiner Lungenherd, der keine Allgemein¬
wirkung macht; fugt man jetzt durch die Tuberkulininjektion eine Allgemeinwirkung
hinzu, so regt das Tuberkulin die gesunden Gewebe zur Produktion von Anti¬
körpern an.
b) Warum immunisiert sich nun bei einem Fiebernden der Körper nicht selbst ?
Das Fieber kann ein nicht tuberkulöses sein und auf Gewebszerfall beruhen. Die
in die Zirkulation gekommenen Zerfallsprodukte, Albumosen etc. erzeugen Fieber. In¬
jizieren wir hier Tuberkulin, so zwingen wir den Körper, Antikörper zu bilden.
c) Das Fieber ist kein „Albumosenfieber“, sondern Tuberkulin wirkung;
dies verrät sich dadurch, dass solche Patienten auf Tuberkulin nicht reagieren. Sie eignen
sich nicht für die Tuberkulintherapie; die Injektion ist eher schädlich.
Die Anwendung des Beraneck 'sehen Tuberkulins muss sehr vorsichtig sein. Man
beginnt mit ’/jo Milligramm, injiziert nicht alle Tage, sondern lässt die Reaktion je nach
dem Fall in einigen Tagen ablaufen. Temperatur, Puls, Allgemeinbefinden sind sehr genau
zu kontrollieren. Lokalisation ist auf jeden Fall zu vermeiden, indem man ja eine An¬
regung der gesunden Gewebe beabsichtigt.
Sahli sah unter der Tuberkulintherapie Besserung des Allgemeinbefindens, Gewichts¬
zunahme, Verschwinden der Rasseln, des Hustens etc. Sie gibt bessere Resultate als
jede andere Behandlung und wird, wenn man die Anwendungsweise einmal genau kennen
wird, viele Tuberkulöse heilen.
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V. ordentliche Generalversammlung der Schweiz, balneolog. Gesellschaft
»■ 1/2 Oktober 1904 to Lag;»ne.')
Mit der Wahl des Ortes für die diesjährige Versammlung hat es der Verein glück¬
lich getroffen : die herrlichen Gestade des Luganersees, das prächtige Wetter, das in¬
teressante Traktanden Verzeichnis haben eine grose Zahl Kollegen nach dem sonnigen Süden
gezogen. Alle waren des Lobes voll über den herzlichen Empfang und die gastfreund¬
schaftliche Aufnahme, die Behörden, der Hotelier-Verein und die Kollegen von Lugano
den Gästen von jenseits des Gotthards bereiteten. Ihnen allen sei hiemit der wärmste
Dank abgestattet.
Nachdem in den zahlreich zur Verfügung stehenden Hotels Quartier bezogen war,
fand man sich zu einer geselligen Vereinigung im Hotel Belvedere zusammen, unter dem
Präsidium von Dr. Beali , Lugano. Zum Protokollführer ad hoc und Beisitzer für 1904/1905
wurde Dr. Catfane-Engelberg gewählt. Der Geschäftsführer des Vereins, Dr. Keller,
verliest eine Einsendung von Dr. W. Meyer Zürich: „Eine Vorschrift über den Gebrauch
des Walliser Wassers zu Leuk aus dem Jahre 1791 von Dr. Hirzel in Zürich. Die Mit¬
teilung ruft allgemeine Heiterkeit hervor wegen ihrer originellen Auffassung und wegen
der von unserer heutigen Anschauungsweise zum Teil sehr abweichenden Angabe von
Detail Verordnungen über das Verhalten vor, während und nach der Kur. Dr. Zbinden -
Lugano weist darauf hin, dass im grossen und ganzen heute in Leuk noch dasselbe
Badesystem herrsche. Er teilt mit, dass Prof. Luchon^Qeni in dem Wasser Radium ge¬
funden habe und dasselbe für die Ursache der poussee thermale halte.
Am 2. Oktober, morgens 8 Uhr, ward die Sitzung im Saale des Stadtrates durch Dr.
Beali eröffnet. Nach Verlesung des Jahresberichtes von Dr. Keller folgt der Vortrag von
Dr. ^o/Titan^mt-Acquarossa-Milano über: Traitement de la Syphilis par 1 es
e a u x minerale 8. Die Uebertragung des Vortrages ans dem italienischen ins fran¬
zösische wird von Dr. Cattori- Locarno übernommen und dieselbe wie die Diskussion auf
die Nachmittagssitzung verschoben. Hierauf hielt Dr. Lötscher- Zürich seinen Vortrag über:
Die Bedeutung der physika 1. Chemie spez. der Jonentheorie für
die Mineralwassertrinkkur. An der lebhaft geführten Diskussion beteiligten
sich Dr. Sc/iö/eewattw-Stacbelberg-Bern, Dr. 2?a%-Ragaz-Caux, Dr. Po^eteawflr-Tarasp-Mon-
treux, Ael/er-Rbeinfelden. Es wird im Speziellen der Wunsch ausgedrückt, dass überall
Analysen nach Jonen gemacht werden, daneben aber die alte Analyse nach Salzen nicht
unterlassen bleibe.
Auf Vorschlag von Dr. Beali wird Diskussion über die Wahl des nächstjährigen
Kongressortes eröffnet. Dr. Philqvri-DsLYOs — die Davoser melden zugleich 8 neue Mit¬
glieder an — ladet den Verein nach Davos ein. Einstimmig wird als Versammlungsort
für 1905 Davos gewählt und zum Jahrespräsidenten Dr. Buol bestimmt. Derselbe dankt
für die Wahl, sowohl für den Ort als seine Person, und erklärt die Annahme. Es folgt
nun der Vortrag Dr. Philippi-Davos : Uober Indikationen und Kontra-In¬
dikationen des Hochgebirgs-Klimas. Hierauf geht man zu einem Lunch,
der von der Stadt Lugano im Cafe Central in freundlichster Weise offeriert wird. Nach
der Rückkehr zur Sitzung gibt Dr. Cattori die Uebersetzung des Vortrages Soffiantini in
französischer Sprache und teilt seine eigenen Anschauungen darüber mit.
In der nun folgenden Diskussion über den Vortrag Fhilippis bestreitet Dr. Mary-
Adelboden den Satz des Vorredners dass im Hochgebirge Infektionsgefahr für Tuberkulose
nicht bestehe, dass daselbst Wunden besser und schneller heilen, dass Larynxtuberkulose
eine Indikation, Rheumatismus eine Kontra*Indikation sei. Mory verlangt auch eine rein¬
liche Ausscheidung in Kurorte, die Phthisiker aufnehmen und solche die es nicht tun. In der
l ) Eingegangen 17. Januar 1905. Red.
8 ) Die Vorträge werden seiner Zeit in den Annalen der Schweiz. Balneolog. Gesellschaft in
extenso veröffentlicht.
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Replik besteht Ph. auf seinen Aussprüchen und weist im besondern noch auf die guten Resultate
hin, die Dr. L. Spengler in Davos bei Larynxtuberkulose hatte. Hierauf hält Dr. Denz-Y ulpera-
Tarasp seinen Vortrag: Mitteilungen über Kurerfolge bei Adipositas.
Dr. Keller weist in der Diskussion darauf hin, dass die Entfettungskuren nie Schablonen¬
haft durchgeführt werden dürfen. Strenges Invidualisieren ist sehr nötig. Es muss in
vielen Fällen nicht nur auf die blosse Entfettung, sondern besonders auch auf die Kräftigung
und Rekonstituierung hingearbeitet werden. Trockenregime, gemischte bes. Gemüsenahrung,
Flüssigkeitseinschränkung bei den Mahlzeiten auf ein Minimum, dafür Trinken von heissem
Wasser in der Zwischenzeit, — Durch spühlungssystem — Schwitzprozeduren, Kaltwasser¬
applikationen, Bäder, Abführwasser und Bewegung sind je nach dem Fall in der Ent¬
fettungskur zu kombinieren. In einzelnen Fällen kann mit ausschliesslicher Kartoffel¬
nahrung oder mit Milchtrinken ein Erfolg erzielt werden.
Auf Dr. ScÄönemann’s-Stachelberg Anfrage bin erklärt K. die Kartoffelkur als ein
Mittel zur Einschränkung der Darmgährung infolge der sehr herabgesetzten Sticksstoffzufuhr
bei ausschliesslicher Kartoffelnahrung.
Dr. Vogelsang-TaxsL&g glaubt mit Dr. Denz , dass das Hochgebirgsklima eine grosse
Unterstützung für die Entfettungskur sei. Er glaubt, dass es keine allgemeine Regeln gebe,
dass man auf jedem Wege fett oder mager werden könne, dass Fettleibigkeit nicht immer
ein plus von Calorien bedeute. Dr. Cattori- Locarno weist Trinken von warmem Wasser
zurück, da es eine Erschlaffung des Magens bewirke, was Keller hinwiderum nicht ge¬
sehen hat und legt das Hauptgewicht auf die Entfernung des Alkohols.
Dr. Lardelli-Chnt spricht über: Die Arseneisenquellen des Val
S i Destra. Er macht auf den hohen Arsengehalt (0,00453 gr arsenige Säure im
Liter) und grossen Reichtum an CO 2 aufmerksam. Das Wasser rangiert zwischen Guber-
quelle und Levico Schwachwasser. Mit diesem Vortrage wird der wissenschaftliche Teil
des Kongresses geschlossen.
In der Diskussion über einen Vertrag mit der medizin. Woche behufs Veröffent¬
lichung der Vorträge und Sitzungsberichte der Gesellschaft verlangt Dr. Mory , dass wir
ein eigenes Organ schaffen, um unabhängig zu sein. Dr. Scarpatetti unterstützt
Dr. Afory, besonders auch noch in Hinsicht auf die Kollegen der welschen Schweiz.
Der Antrag von Dr. Mory auf Ausgabe von Annalen der Schweiz,
balneolog. Gesellschaft wird einstimmig genehmigt. Ebenso wird nach einer
Anfrage Dr. Ra/fy-Ragaz beschlossen, von einem Anschluss an die Deutsche
balneolog. Gesellschaft in Berlin abzusehen.
Um 2Vs Uhr fand im Hotel Metropole das von der Hoteliergesellschaft in
Lugano gespendete Bankett statt. Der animierten Stimmung verliehen die Toaste von
Dr. Reali , Herrn Reichmann , Dr. Mory beredten Ausdruck. Eine Fahrt auf den Monte
San Salvatore, wozu uns die Bahngesellschaft in freundlichster Weise eingeladen
hatte, füllte den Rest des Nachmittages aus. Mit einem Souper im Grand Hotel, welches
uns der Besitzer, Herr Buche r, offerierte, schloss der an Arbeit und Freude gleich
reiche Tag. Während des Essens toastierten Herr Reg.-Rat Dr. Ca$e/fo-Bellinzona auf
die medizin. und balneolog. Gesellschaft, Dr. Z?ossar/-Rheinfelden auf den abtretenden
Präsidenten Dr. Ifeaft-Lugano.
Aus dem Jahresbericht ist das erfreuliche Wachstum der Gesellschaft zu ersehen.
Die Mitgliederzahl ist von 63 auf 82 bis zum Schluss des Jahres 1904 gestiegen. Doch
fehlen immer noch manche Kollegen in dem Mitglieder Verzeichnis, an welche hiemit die
freundliche Einladung ergeht, sich zur Aufnahme anzumelden. Mit dem Dank an die
Veranstalter des so gelungenen Kongresses von Lugano verbinden wir den Wunsch der
Einladung nach Davos im Herbst 1905 recht zahlreich zu folgen und mit vielen Vor¬
trägen aufzutreten.
Der Geschäftsführer der Schweiz, balneolog. Gesellschaft
Dr. H. Keller , Rheinfelden.
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156
Referate und Kritiken.
Augenärztliche Winke fllr den praktischen Arzt.
Von Prof. Dr. Otto Schwarz in Leipzig. — Verlag von F. C. W. Vogel Leipzig 1904.
Preis 1 Mk. 20 Pf.
Was dieses kleine Buch will, ist in dem Titel gesagt. Es wird besonders jiingera
Aerzten, die während ihres Studiums sich der Augenheilkunde eingehend gewidmet haben,
wertvolle Dienste leisten, indem beim Durchlesen dieses Buches das in Klinik und Vor¬
lesungen Gehörte leicht wieder im Gedächtnis rekonstruiert werden kann. Aeltere Aerzte,
deren Studium sich mit der Ophthalmologie nicht oder wenig befasste, werden aus den
kurzen Andeutungen, wenn sio auch noch so charakteristisch hervorgehoben sind, wenigen
Gewinn schöpfen können. Der Stoff ist eingeteilt in 3 Hauptabteilungen: a. Diagnostische
Winke, b. Therapeutische Winke, c. Prognostische Winke.
Bei der Besprechung der Presbyopie der Emmetropen (Brillenverschreibung) findet sich
pag. 41 der Satz: „Von 46 — 50 Jahren gibt man für die Nähe im allgemeinen durch¬
schnittlich + 2,0 D und steigt mit je 5 Jahren um etwa 0,5 D, aber bei guter S. schliess¬
lich nicht höher als auf +3,5 D. tt
Wir möchten davor warnen, die beginnende Presbyopie gleich mit + 2,0 D zu
korrigieren. Wir fangen in der Regel mit + 0,5 oder + 0,75 an. Wenn mit diesem
Glas in gewöhnlicher Lesedistanz von Emmetropen feiner Druck mühelos gelesen wird, so
ist absolut kein Grund vorhanden, im Momente eine stärkere Nummer zu verordnen; die
Erfahrung lehrt, dass auch subjektiv in einem solchen Fall die stärkere Nummer unan¬
genehm empfunden wird. —
Im übrigen liest auch der Augenarzt dieses Buch mit Interesse und ist es auch ihm
eine angenehme Rekapitulation. Pfister .
La m6dication phosphorte,
Par Henri Labbe , chef de laboratoire h la faculte de medecine de Paris. J. B. Bai liiere
et fils, rue Hautefeuille 19, Paris. 1904. 95 Seiten.
Aller Phosphor des Organismus ist in demselben enthalten in Form von anorgani¬
schen Salzen der Phosphorsäure oder organischen, zum Teil sehr komplizierten Verbin¬
dungen derselben — Glyzerinphosphorsäuren, Lecithine, Nukleine etc. — Der chemischen
Charakterisierung dieser Stoffe ist der erste Abschnitt gewidmet.
Am reichsten an Phosphor ist das Knochengewebe, welches zu 61—63 °/o aus Tri-
kalziumphosphat gebildet ist, während er in den flüssigen Milieux des Körpers in Form
der löslichen Alkaliphosphate zirkuliert. Von den komplizierten organischen Phosphor-
Verbindungen fiudet man die Lezithine in fast allen Geweben des Körpers, am reichlich¬
sten in der weissen Hirnsubstanz. Physiologisch sehr interessant ist das Vorkommen
eines speziellen Lecithins im Nierengewebe, welchem die Fähigkeit der Neutralisierung
gewisser basischer Stoffwechselprodukte zuerkannt wird, so dass durch seine Funktion die
saure Reaktion des dem alkalischen Blutserums abstammenden Urin erklärt wird ( Lieber¬
mann )|.
Das Eigelb ist die kommerziell wichtigste Quelle für die Lezithine (6—7 °/o) und
die Nukleinsäuren. Angabe der wichtigsten Behr komplizierten Gewinnungsverfahren.
Interessante Tierversuche haben ala physiologische Eigenschaften der Lezithine ge¬
zeigt: Günstige Beeinflussung des Körperwachstums, Zunahme des Körpergewichts bei
Warmblütern, Vermehrung der Harnabsonderung und des Stickstoffumsatzes; bei Hunden
Volumvermehrung des Gehirns und Förderung der intellektuellen Funktionen; bei Fröschen
Vermehrung der mononukleären Leukozyten. — Es folgt eine Besprechung der verschie¬
denen Indikationen für die Phosphortherapie auf Grund der gegebenen Facta. — Ein
letzter Abschnitt enthält die kritische Beleuchtung der üblichen Formen der Phosphor¬
applikation. E. Gebhart .
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157
Kantonale Korresponden*en.
Zürich. Herr Dr. aed. Ed. Keller in Uster, geboren 1856, gestorben 11. No¬
vember 1904. Es war ein schöner kalter Morgen, den 14. November 1904, als ich
mich nach Uster begab, dem lieben Freunde und Kollegen, Dr. Ed, Keller , das letzte
Geleite zur Ruhestätte zu geben; — und wirklich in hellen Scharen kamen herbeigepil¬
gert von allen Seiten Freunde, Kollegen, ehemalige Patienten des hochgeschätzten Arztes,
alt und jung!
Imposant war das Trauergeleite! Gerade hinter dem Sarge, mit umflorter Fahne,
folgte eiue Abordnung des Akadem. Turnvereins, dessen eifriges Mitglied der Verblichene
früher gewesen, — dann die vollzählige Schar der „Oberländer Kollegen“, sowie ein
Publikum, das an die Tausend heranreichte.
Uster hat kaum je einen grossem Leichenzug gesehen. Die Tränen in den Augen
der Leidspendenden legten ein beredtes Zeugnis ab von dor Beliebtheit und Wertschätzung,
deren sich Keller in weitesten Kreisen erfreute!
Wer Dr. Keller gekannt, mit ihm je in Verkehr getreten war, wusste seinen gold¬
lauteren Charakter und frohen Humor zu schätzen. Nur zu früh hat ihn der unerbitt¬
liche Tod dahingeratft, weg aus der Mitte seiner Familie, seiner Freunde und Bekannten.
Die einst so kräftige Natur, die glaubte, allen Stürmen zu trotzen, sie musste ihren Tribut
zahlen, einem heimtückischen Nierenleiden, das schon vor vielen Jahren, nach Erysipelas,
in ersten Symptomen aufgetreten, von dem vielbeschäftigten Arzte aber vielleicht zu wenig
gewürdigt worden war.
Er wirkte so lange es Tag war und starb als Kämpfer auf
dem Felde der Ehre.
Eduard Keller , geboren anno 1856 in Unter-Siggingen im Kt. Aargau, als jüngstes
von 10 Geschwistern, Sohn einfacher braver Haudwerkersleute, — der Vater war Schmied
von Beruf — zeigte schon frühzeitig eine besondere Begabung und tatkräftigen Fleiss,
so dass er von seinen Eltern zum Studium ausersehen ward.
Nachdem er die Gemeindeschule in Unter-Siggingen anno 1868 durchlaufen hatte,
bezog er die Bezirkeschule in Baden bis 1872, dann die Klosterschule Einsiedeln bis 1874,
und vollendete 1874—1877 seine humanistischen Studien an der Kantonsschulo in Aarau.
Nach gut bestandener Maturität, 1877, bezog Keller die Universität Zürich, an
welcher er bis 1880 verblieb. Seine Studien vollendete er in Bern, allwo er auch sein
Staatsexamen ablegte.
Schon während der Studienjahre zeigte Keller besondere Vorliebe zur Chirurgie,
was ihn denn auch veranlasste, nach vollendetem Studium eine Assistentenstelle auf der
chirurgischen Klinik in Zürich unter Herrn Professor Krönlein anznnehmen.
In dieser Stellung verblieb er während zwei Jahren und legte hier hau t *Hilich
die Basis, auf welcher er sein späteres Wirken im Privatleben auf baute.
Anno 1383, als Nachfolger von dem verstorbenen Bezirksarzt, Dr. Hess in Uster,
ward er bald der chirurgisch am meisten beschäftigte Arzt der weiten Umgegend. Seine
Leistungen legten aber auch ein beredtes Zeugnis ab von seinem vielseitigen Wissen
und Können.
In schwierigeren chirurgischen Fällen war Dr. Keller fast ausschliesslich der kon¬
sultierte Arzt seiner Oberländer Kollegen. An keine Zeit gebunden, folgte er Tag wie
nachts dem Rufe ans Krankenbett. Er schreckte sozusagen vor fast keiner Operation
zurück, und man musste sagen, er leistete, was bei primitiveren Verhältnissen auf dem
Lande nur immer möglich war. Er hatte aber auch ein wirklich seltenes Glück bei
seinen Operationen. Doch —
fortes fortuna adjuvat!
Freundlich mit dem Kranken, ruhig und sicher beim Operieren, führte er hunderte
von Herniotomien, Tracheotomien, Laparotomien, Resektionen, Amputationen, Trepana¬
tionen etc. aus.
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In letzter Zeit befasste er sich hauptsächlich auch mit der unblutigen Behandlung
von Klumpfüssen und hat hiebei sehr günstige Resultate erzielt.
Aber nicht bloss in Chirurgie stellte er seinen Mann, sondern auch auf allen an¬
deren Gebieten medizinischen Wissens.
Neben seiner ausgedehnten Landpraxis bekleidete Dr. Keller ferner noch die Stelle
eines Bezirksarzt-Adjunkten des Bezirks Uster und hat stets mit Umsicht und Pflichttreue
die ihm gewordenen amtlichen Aufträge erledigt.
Als Mitglied der Oberländer Aerzte-Gesellschaft, früheres Präsidium, war Keller
eine persona grata, und wenn er je einmal einer Sitzung fehlte, so mangelte der Korona
immer etwas. Sein guter launiger Humor half eben manchem Kollegen über dieses und
jenes Unangenehme hinweg.
Beklommen sahen wir Keller nach Aufbietung letzter Kraftanstrengung verflossenen
Februar 1904 darniederliegen und verfolgten mit banger Aufmerksamkeit den Verlauf
seiner heimtückischen Krankheit. Wir wagten kaum an einen ungünstigen Ausgang zu
denken, obgleich er fast allen Kollegen — Freund Keller selber — gewiss nur zu deut¬
lich vor Augen schwebte. Doch was man gerne glaubt, erhofft man, und hier, dass auch
in diesem prognostisch sehr ungünstigen Leiden die kräftige Natur Keller 's nochmals den
Sieg davon tragen mochte. — Es kam aber anders, und der 11. November brachte uns
fast unerwartet die Trauerkunde, unser lieber Kollege sei von seinen Leiden erlöst worden.
Die Leiden waren wirklich in letzter Zeit ganz beträchtlich geworden. Es stellten
sich Stauungserscheinungeu der manigfachsten Art ein, die zu Atemnot, Blutungen aus
serösen Hauten, sowie allgemein hydropischen Erscheinungen führten. Doch nie hörte man
von seinen Lippen ein unwirsches, herbes Wort über seinen bedenklichen Zustand. Er
war der stete Tröster seiner um ihn in Angst und Bangen versammelten Familie.
Gerne horte er wohl eine freundliche Aufmunterung von seinen ihn besuchenden
Kollegen, und sagte hie und da, wie lieb es ihm gewesen wäre, noch einige Jahre im
Kreise seiner Lieben verweilen zu können. Als guter Familienvater bestellte er immerhin
bis in die kleinsten Details sein Haus, sprach sogar den Wunsch aus, man möchte ihm
bei seinem event. Ableben das Lied singen: „Es ist bestimmt in Gottes Rat a — was
dann wirklich auch am 14. November in der Kirche zu Uster vom dortigen Männerchor
seinem Andenken gewidmet wurde.
Seine Familie, Frau und zwei kleine blühende Mädchen, verliert an ihm einen über¬
aus guten, besorgten Gatten und Vater.
Sein Familienleben kann ein wahrhaft ideales genannt werden, und er schien auf
der höchsten Höhe irdischen Familienglückes zu wandeln, als er mitten aus seiner beruf¬
lichen Tätigkeit aufs Krankenlager geworfen wurde, von dem er sich nun nicht mehr er¬
heben sollte.
Die Wunde, die durch den Tod des Verblichenen der Familie Dr. Keller geschlagen
wurde, wird noch lange bluten, doch Keller ist dieses Opfers wert.
Lebe wohl, Du lieber Freund, an Dir bewahrheitete sich wirklich das Wort:
„Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein!“ Held.
W ochenbericht.
Schweiz.
— Militär Versicherung. Am 15. und 16. Februar tagte in Zürich die
nationalrätliche Kommission für die Revision des Militärversicherungsgesetzes. Den Vor¬
sitz führte Vincent (Genf)* An den Verhandlungen nahmen auch Bundesrat Müller und
Oberfeldarzt Mürset teil. Die Kommission beschloss mit grosser Mehrheit, die Revision
dermalen zu beschränken auf Art. 37 des Gesetzes, welcher die Pensionen an die Ver¬
wandten solcher infolge des Militärdienstes verstorbener Webrmänner regelt, die weder
Frau noch Kinder hinterlassen.
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Mit anderen Worten: Es wurde auf die Eingabe der Aerztekommission nicht ein¬
getreten. Trotz dieser ablehnenden Haltung der nationalrätlichen Kommission hoffen wir doch,
dass bei der Behandlung der Frage duroh die Räte der von der ständerätlichen Kommission
eingenommene Standpunkt durchdringen wird, denn eine Ablehnung unserer sehr be¬
scheidenen Postolate wäre einfach als Rechtsweigerung zu Gunsten einer allmächtigen
Bnreaukratie aufzufassen und wir können einstweilen nicht glauben, dass bei uns diese
letztere schon überall den Ausschlag gibt.
— Von Prof. H. Sahli 's trefflichem Lehrkieh der klinischen (Jntersiehingsnethedei
(vergl. die Besprechungen im Corr.-Blatt 1894 pag. 381, 1898 pag. 631, 1899 pag. 442
und 1903 pag. 97) ist soeben die 4. umgearbeitete und ergänzte Auflage erschienen.
Ausland.
— Ferienkurse an der Universität Wirzborg. Osterferien 1905. Beginn:
9. März. Dauer: 5 Wochen. Nähere Auskunft und Stundenpläne bei der Universitäts-Quästur.
— Znr Behandlung des Karzinoms. Vor einigen Monaten Hess Doyen durch die
TageBpresse mitteilen, dass er den Parasiten des Krebses entdeckt und ein Heilserum zur
Bekämpfung dieser Krankheit erfanden habe. Eine diesbezügliche wissenschaftliche Mit¬
teilung Doyen' 8 am letzten französischen Chirurgenkongress wurde mit ausserordentlicher
Skepsis entgegengenommen und Doyen musste sich vor sehr lebhaften Angriffen ver¬
teidigen. Die Verhandlungen endeten damit, dass vom Kongress eine Kommission ein¬
gesetzt wurde, welche eine objektive Prüfung der Doym' sehen Angaben vornehmen und
dem Kongpress im nächsten Jahr Bericht erstatten soll. Zu der Kommission gehört auch
u. a. Prof. Metschntkoff vom Institut Pasteur in Paris. Vor einiger Zeit ging nun durch
die Tagespresse die Mitteilung, dass Metschnikoff bei seinen Untersuchungen zu günstigen
Resultaten gelangt ist. Die Schriftleitung der Zeitschrift für ärztliche Fortbildung Hess
infolgedessen zuverlässige Erkundigungen einziehen und erhielt folgenden Bescheid: „Metsch¬
nikoff hat das Vorhandensein des Bazillus erkannt und ihn in allen Krebsgeschwülsten
wieder gefunden, welche ihm von anderen Chirurgen zugeschickt wurden. Die Einwirkung
des Serums auf schon eingewucherte Knoten und auf die Infiltrationszone in der Um¬
gebung der Neubildung ist bemerkenswert. Doyen sagt, dass er auf diese Weise Ge¬
schwülste operabel mache, welche es vorher nicht waren, und das Rezidiv verhindere.
Hingegen behauptet er nicht, durch einfache Einspritzungen heilen zu können, ohne zu
operieren.“
Fast gleichzeitig mit den Berichten Über die Metschnikoff' 1 sehen Prüfungsergebnisso
ging eine Notitz folgenden Inhaltes durch die Tagespresse: „Aus Marburg wird gemeldet:
Für unheilbar erklärte Krebskranke will der Prof, der Medizin Dr. Opitz nach einer
neuen Methode heilen. Er hat sich gestern an die Stadt gewandt um Ueberlassung von
Räumen zu diesem Zweck. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss, das Vorhaben des
Professors nach Kräften zu unterstützen.“ Die Zeitschrift für ärztliche Fortbildung bat
Prof. Opitz um nähere Auskunft und erhielt folgende Antwort:
„Der Tatbestand ist folgender: ich bin allerdings schon seit Jahren damit beschäf¬
tigt, ein Mittel gegen Krebs, auch vorgeschrittenen, zu suchen. Einige ermutigende „Er¬
folge“ haben mich veranlasst, meine Versuche in grösserem Masstabe fortzusetzen. Um
ein grösseres Krankenmaterial zu gewinnen, als es bei den beschränkten Verhältnissen
meiner hiesigen Klinik möglich ist, habe ich von der Stadt Marburg die Erlaubnis er¬
beten und erhalten, geeignete Kranke in einer städtischen unbenutzten Anstalt unter¬
bringen und verpflegen zu dürfen.
Nur der Umstand, dass über mein Gesuch in öffentlicher Stadtverordnetensitzung
beraten wurde, was, ohne dass ich davon erfuhr, während meiner Abwesenheit von Mar¬
burg geschah, hat es ermöglicht, dass von meinen Plänen etwas in die Oeffentliebkeit
gelangte, was ich zu verhindern leider gänzlich ausser Stande war .... Sobald etwas
Greifbares erreicht, oder die Aussichtslosigkeit meines Verfahrens erwiesen ist, werde ich
nicht verfehlen, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift darüber zu berichten, vorläufig
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können meine Arbeiten durchaas noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen,
sie befinden sich eben im Versuchsstadium ....
(Zeitschr. f. Aerztl. Fortbildung No. 2.)
— Belssdliig der Ischias. Im Jahre 1895 berichtete bereits Schleich über ausser¬
ordentlich günstige Resultate bei Behandlung von Neuralgien, insbesondere auch von
Ischias mit Hülfe seiner Infiltrationsanästhesie. Lange hat nun das Verfahren an einer
Anzahl von Patienten weiter erprobt und zwar mit sehr günstigen Resultaten. Die
Methode ist folgende: An der Austrittsstelle des Nervus ischiadicus aus dem Foramen
ischiadicum, die meist einem Druckpunkte entspricht, wird nach sorgfältiger Desinfektion
mit der Schleich 'sehen Spritze in der Haut eine Quaddel gebildet und dann sofort mit
der für diesen Zweck entsprechend langen Nadel unter gleichzeitigem Einspritzen der
Lösung bis auf den Nerv vorgegangen. Es ist das verhältnismässig einfach, da es sich
ja um ein fast 1 1 /a cm breites Gebilde handelt, das wohl stets an derselben Stelle ver¬
läuft. Die Entfernung von der Haut bis zum Nerven beträgt 7—7*/2 cm. Während
nun der Stich durch Haut und Muskel völlig schmerzlos ist, zucken die Patienten prompt
zusammen, wenn die Nadel den Nerv, resp. die Nervenscheide berührt. Es ist wie eia
elektrischer Schlag, der im ganzen Verlauf des Ischiadicus bis in die Verzweigungen des
Peronäus und Tibialis hineingefühlt wird. Der Schmerz dauert nur einen Moment, da
gleichzeitig die Infiltration schon vor sich geht. Man injiziert 70—100 ccm ohne weiter
vorzugehen und zwar ziemlich schnell. Die Einstichöffnung wird mit Heftpflaster ge¬
schlossen und der Patient erhält die Weisung, die näohsten Stunden nicht auf der kranken
Seite zu liegen. Schon während der Injektion verschwinden die Schmerzen und Druck¬
punkte im Verlaufe des Nerven und erst nach einige*; Zeit klagen die Kranken meist
über ein lästiges z. T. als schmerzhaft bezeichnetes Spannungsgefühl, welches meist nach
wenigen Stunden nachlässt. Die Injektionsstelle bleibt noch einige Zeit, eventuell 1—2
Tage lang druckempfindlich, aber dieser Druckschmerz ist ganz anderer Art und erträg¬
licher als vorher. In der Mehrzahl der Fälle muss die Injektion nach einigen Tagen
wiederholt werden. Lange benutzte eine Lösung von 1 prom. Eukain ß in 8 prom. NaCl-
Lösung. Abgesehen von leichten Erscheinungen, wie Appetit Verminderung und leichter
Uebelkeit hatte die Dosis von 0,1—0,15 keine Vergiftungserscheinungen zur Folge.
(München, med. W. No. 52.)
— Die Reiestng des Chinins als Arzneimittel* Nach einem Berichte des Direktors
der Chinaplantagen in Englisch-Indien, wurden im Jahre 1902 in der Provinz Madras
15,711 Pfund und in Bengalen 11,072 Pfund Chinin fabriziert, d. h. für Indien 27,383
Pfund. Auf Java wurden fabriziert und exportiert 43,750 Pfund. Ausserdem wurden
noch Chinarinden exportiert und zwar aus Java 14,726,000 Pfund, aus Indien 2,020,000,
aus Ceylon 407,000, aus Süd-Amerika 775,000 und aus Afrika 179,872 Pfund, was
einen Gesamtexport von 18,107,892 Pfund Chinarinde darstellt mit einem Chiningehalt
von zirka 861,812 Pfund, so dass man berechnet, dass im Jahre 1902 933,000 Pfund
Chinin fabriziert worden sind. (Schweiz. Wochenschr. f. Chem. u. Pharm. Nr. 52.)
— Behandlung: der Uoterecheokelgesehwllre mit Perubalsam nach Petretto . Rp.-
Argent. nitric. 0,3, Balsam, peruv. 6,0, Ung. spl. 90,0. M. f. ung. Die Salbe wird auf
Gaze oder Leinwand gestrichen auf das Geschwür gelegt. Unter diesem Verbände reinigt
sich in den meisten Fällen das Geschwür rasch, die starke übelriechende Sekretion
schwindet und bald bilden sich schöne, straffe Granulationen. (M. med. W. No. 52.)
Berichtigung.
— In No. 4 d. Bl., Seite 117, 2. Zeile von oben muss es heissen: Schloffer (nicht
Schlosser).
Brief kneten«
Dr. B. in G.: Das Verzeichnis der im letzten Jahre erschienenen Schweiz. Dissertationen ist
im Druck.
Schweigbauserische Bnchdrnckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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COMESPOMMZ-BLATT
Erscheint am 1. and 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitzeile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs:
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 16. — für das Ausland.
Alle Postbureaux nehmen
Bestellaugen entgegen.
Dr. E. Hattter und Prof. A. Joquet.
in Fraaenfeld. in Basel.
NJ 6. XXXV. Jabrg. 1905. 15. März.
Inhalti 1> Originalarbeiten: Dr. Hans WädboltT Diagnose und Behandlung der Nieren- nnd Blasentnberknloee. —
Dr. F. 8ekäten§klmekf Pathologie nnd Therapie der Streptomykoeeo. (Porteetsnng.l — 2) Verein eberi «hie: Gesellschaft der
Aerste des Kantons Zürich. — 8) Referate nnd Kritiken; Prof. Dr. BrcH. frisch: Geburtshilfe. — Prof. Olof Eammartttn;
Lehrbuch der physiologischen Chemie. — Prof. l)r. Ph. hvUuti: Physiologische Chemie für Studierende and Aerzte. — 4) Kan¬
tonale Korreapon deuten: Solothurn : Wilhdm Walker f. — Rechnnng der Uilfskaase für Schweizer Aerzte. — 8) Wochen¬
bericht: Behandlung des Oesophaguskarzinoms mit Radium. — Wwfsrwiis'scher Rerzkühlapparst. — Verzeichnis der Inne¬
rn ral-Dissertationen. — 5. internationaler Kongress für Gynäkologie nnd Geburtshilfe. — 22. Kongress für innere Medizin. —
Röntgen-Kongrees. — Behandlung des akuten 8chonpfens. — Diätetische Behandlung der Epilepsie. — Bedeutung der Bitter¬
stoffe für die Verdauung. — Jodoform gegen torpiden Gelenkrheumatismus. — Erbrechen Schwangerer. — Revision der Militär-
versicberung.—Bemerken gen zum Votum Btmimm, — •) llrie f kneten. — 7) Hilfskasse für Schweizer A erst«. —
8) Bibliographisches.
Orig-In al-Arbei teil.
lieber Diagnose und Behandlung der Nieren- und Blasentuberkulose.*)
Yon Dr. Hans Wildbolz, Privatdozent, Bern.
Es ist in letzter Zeit vielerorts über die Therapie der Nieren- und Blasen¬
tuberkulose ziemlich lebhaft diskutiert worden. Yon verschiedenen Seiten wurden
dabei nene, zu den bisher allgemein gültigen Ansichten, so kontrastierende Anschau¬
ungen über die zweckmässigste Behandlungsweise dieser schweren Krankheit ver¬
treten, dass es mir angezeigt erschien, dieses Thema auch in unserer Gesellschaft
zur Sprache zu bringen. Ich fand es um so eher angebracht, als gerade hierzulande
die Tuberkulose der Harnorgane recht häufig vorkommt.
Das Leiden mag allerdings oft verkannt werden; es tritt unter so verschiedenen
Symptomen in Erscheinung, sein klinisches Bild ist, wenigstens im Beginne, ein so
mannigfaltiges, dass eine richtige Diagnose manchmal schwierig wird. Am leichtesten
gibt diejenige Form der Harnorgantuberkulose zu diagnostischen Irrtümern Anlass,
welche lange Zeit fast symptomlos verläuft, oder wenigstens keine ausgesprochenen
lokalen Symptome zeigt. Kranke dieser Art glauben sich oft gar nicht ernstlich krank;
sie fühlen sich matt, klagen über gestörtes Allgemeinbefinden, rasche Ermüdung,
über Yerdauungsbeschwerden und dergl., verspüren aber keine oder nur geringe
Beschwerden von seiten ihrer Harnorgane. Das einzige sichere Anzeichen einer
Erkrankung derselben ist eine leichte Trübung des Urins. Der Arzt, der es sich nicht
zur Pflicht macht, jeden trüben Urin genau zu untersuchen oder untersuchen zu
Nach einem Vortrag im meriiz.-pharm. Bezirksverein Bern. 6. Dezember 1904.
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lassen, wird in vielen derartigen Fällen den Ernst der Erkrankung seines Patienten
übersehen, die Tuberkulose der Harnorgane verkennen.
Als Beispiel dieser einen Art des vielgestaltigen Leidens diene Ihnen der
folgende, vom behandelnden Arzte glücklicherweise frühzeitig richtig erkannte Fall:
Eine junge Frau liess sich wegen einer chronischen Parametritis behandeln and
machte dem Arzte die Angabe, sie verspüre hin und wieder in der rechten Nierengegend
leichte, ziehende Schmerzen, die von verschiedenen Aerzten als rheumatischer Natur
bezeichnet worden seien. Irgend welche Blasenbeschwerden hatte sie nie verspürt.
Der Arzt liess den nur leicht getrübten Urin bakteriologisch untersuchen. Mikro¬
skopisch fanden sich in demselben keine Tuberkelbazillen, wohl aber konnten solche durch
Tierimpfung nachgewiesen werden. Bei der cystoskopischen Untersuchung fand ich eine
normale Blasenscbleimhaut, die lediglich in der Umgebung der rechten Uretermündung
etwas stark injiziert war. Die Ureterensondierung ergab rechterseits eiterhaltigen Urin
mit einem Gefrierpunkt von A = — 0°,99, während sich aus dem linken Ureter dieselbe
Menge eines absolut klaren Urins mit A = — 1 °,8 entleerte. Der Gefrierpunkt des Blutes
war — 0°,55. Wie gerechtfertigt die trotz der geringen Beschwerden vorgenommene
Nephrektomie war, zeigt Ihnen das hier vorgelegte Präparat. Sie sehen die wenig ver-
grösserte, unregelmässig höckerige Niere durch käsig-kavernöse, tuberkulöse Herde in
grosser Ausdehnung zerstört, nur an den beiden Polen noch relativ intakt.
Kurz nach der Operation wurde der Urin vollkommen klar und Patientin ist seit¬
dem, d. h. seit 1 l /i Jahren vollkommen gesund geblieben.
Ebenso instruktiv ist der folgende Fall:
Eine Dame hatte während 7 Jahren hin und wieder Erscheinungen eines leichten
Blasenkatarrhs, um derentwillen sie wiederholt auf Anraten des Arztes etwas Salol
nahm. Die Beschwerden waren aber so gering, dass Bie ihrer kaum achtete; sie
trieb trotzdem nicht nur in übermässiger Weise Yelosport, sondern sie unternahm auch
regelmässig jedes Jahr einige schwierige Hochgebirgstouren. Nach einer massig
anstrengenden Yelotour verschlimmerte sich ihr bis dahin gering geachtetes Leiden ganz
plötzlich. Patientin empfand häufigen, äusserst schmerzhaften Harndrang und bald
erreichten die Blasentenesmen einen solchen Grad, dass die Kranke fast ununterbrochen
Tag und Nacht laut aufschrie. Bei der einige Monate naoh Beginn dieser heftigen
Blasensymptome ausgeführten Nierenexstirpation erwies sich die Niere, wie Sie hier am
Präparate sehen können, durch Tuberkulose hochgradig verändert. Normales Parenchym
war nur noch wenig vorhanden, an seiner Stelle fanden sich grosse, mit käsigem Eiter
gefüllte Kavernen. Die Niere war also sicherlich schon jahrelang tuberkulös erkrankt
gewesen, hatte aber die Kranke kaum belästigt, bis der tuberkulöse Prozess auf die
Blase Übergriff, und die Patientin in einen wirklioh scheusslich qualvollen Zustand
versetzte.
Derartige, von den Patienten lange Zeit beschwerdelos ertragene Tuberkulosen
der Harnorgane gehören nach den Mitteilungen in der Literatur keineswegs zu den
Seltenheiten. Bemerkenswert ist, dass sie oft plötzlich zu heftigen Erscheinungen
Anlass geben, welche eine akute Infektion des Körpers Vortäuschen können und
vorerst den Gedanken an Tuberkulose gar nicht aufkommen lassen.
So gab ein 19jähriger Kranker, dessen eine Niere exstirpiert wurde, an, bis 6 Monate
vor der Operation vollkommen gesund gewesen zu sein. Da erkrankte er plötzlich mit
Fieber und sehr heftigen Schmerzen in der rechten Bauchseite, wodurch er genötigt
war, mehrere Tage das Bett zu hüten. Seitdem wiederholten sich solche Anfälle in
unregelmässigen Intervallen. In der Zwischenzeit fühlte sich Patient wohl, auch zu
schwerer Landarbeit fähig und hatte besonders von Seiten der Harnorgane nichts zu
leiden. Erst in letzter Zeit fiel ihm eine Trübung des Urins auf, welche in ihm den
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Verdacht eines Harnleidens erweckte. Die Ursache seiner Beschwerden war, wie die
Untersuchung ergab, eine Tuberkulose der rechten Niere, die, nach dem Präparate zu
schliessen, schon längere Zeit bestanden haben musste. Denn ausser zahlreichen kleinen
Tuberkelknötchen im obern Pole finden sich in der exstirpierten Niere mehrere kirschgrosse
Käseherde und Kavernen. Seit der Operation fühlt sich Patient vollkommen gesund.
Die tuberkulöse Infektion einer Niere kann aber auch gleich im Beginn mit
ganz akuten Symptomen einsetzen. Krönlein 1 ) z. B. fand bei einem Manne, der 7
Wochen vor der Operation beim Heben einer schweren Last plötzlich heftige Schmerzen
in der Nierengegend verspürt hatte und infolgedessen bettlägerig geworden war, in
der exstirpierten Niere einen keilförmigen, anämischen und verkästen tuberkulösen
Infarkt. Aehnliches beobachtete ich bei einem meiner Patienten.
Ein kräftiger, tuberkulös nicht belasteter Mann erkrankte kurze Zeit nach einem
anstrengenden Militärdienst ganz akut mit Schmerzen in der rechten Niere, häufigem
und schmerzhaftem Harndrang. Die 1 l j% Jahre später, wegen Zunahme der Beschwerden
entfernte Niere zeigte einen scharf auf einen keilförmigen Bezirk beschränkten Tuberkulose¬
herd. Nierenbecken und Ureterschleimhaut waren übersät mit miliaren Tuberkelknötchen.
Weit häufiger als mit den erwähnten Symptomen tritt die Tuberkulose der
Harnorgane unter dem Bilde der chronischen Cystitis in Erscheinung, mit trübem,
oft etwas blutigem Urin, mit allmälig sich steigernder Miktionsfrequenz und schmerz¬
hafter Urinentleerung. Eine jede nicht durch Prostatahypertrophie, Urethralstriktur
oder ähnliche Veränderungen komplizierte Cystitis, die unter sachgemässer Behandlung
nicht bereits nach wenigen Wochen ausheilt, muss den Verdacht auf Tuberkulose er¬
wecken. Stets soll in solchen Fällen der Urin auf Tuberkelbazillen untersucht werden,
nie darf man sich mit der allgemeinen Diagnose der „chronischen Cystitis“ begnügen.
Diese Forderung darf um so eher gestellt werden, als der Nachweis der Tuberkel¬
bazillen im Urin oft gar nicht schwer fallt. So leicht ist er allerdings selten, wie in
einem hier vorgelegten Präparate eines direkt aus dem Ureter aufgefangenen Urins,
wo Sie in jedem Gesichtsfelde ganze Haufen und Stränge von Tuberkelbazillen sehen.
Es gelingt aber doch sehr oft schon bei der erstmaligen Untersuchung des Sedimentes
einer einzigen Urinportion Tuberkelbazillen zu finden. Andernfalls ist es zweckmässi¬
ger, das Sediment einer 24stündigen Urinmenge zu untersuchen, wodurch die Aus¬
sichten auf einen positiven Bazillenbefund bedeutend vermehrt werden. Glückt
auch so der Nachweis nicht, dann ist der Urin durch die Tierimpfung zu prüfen.
Nur in seltenen Fällen bleiben mikroskopische Untersuchung und Tierimpfung bei
wirklich tuberkulösem Urin resultatlos. Bei 45 Kranken, die ich wegen Tuberkulose
der Hamorgane behandelte, misslang mir der Bazillennachweis nur zwei mal. 1 ) Jeden¬
falls darf aber bei negativem Tuberkelbazillenbefund erst nach wiederholter Unter¬
suchung der Verdacht auf Tuberkulose fallen gelassen werden; besonders ein Urin mit
eitrigem Sediment ohne jeden bakteriellen Befund muss stets als äusserst suspekt gelten.
Ist durch die bakteriologische Untersuchung eine tuberkulöse Erkrankung der
Harnorgane festgestellt worden, so muss, um eine zweckmässige Behandlung zu er¬
möglichen, in erster Linie der genaue Sitz der Erkrankung innerhalb der Harn¬
organe erforscht werden. Da meist Blasenbeschwerden die ersten klinischen Symp-
M Bei einem dieser Kranken habe ich inzwischen iu einem Präparate zahlreiche Tuberkel¬
bazillen gefunden.
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164 —
tome der tuberkulösen Erkrankung der Harnorgane sind, wurde früher die Blase
als der häufigste primäre Sitz der Tuberkulose innerhalb der Harnwege betrachtet.
Die erst in den spätem Stadien der Krankheit erkannte Nieren tuberkulöse galt als
sekundäres Leiden, bedingt durch aufsteigende Infektion von der Blase her. Diese,
besonders von Guyon und seiner Schule vertretene Ansicht ist nicht mehr haltbar,
seitdem Baumgarten a ) experimentell und durch zahlreiche Autopsiebefunde nach¬
gewiesen hat, dass die Tuberkulose sich stets in der Richtung des Sekretionsstromes,
des Blut- oder Lymphstromes ausbreitet, nie gegen denselben. Nach Baumgarten 's
Erfahrungen verbreitet sich die Genital tuberkulöse z. B. wohl häufig von einem
primären Hodenherde her dem Yas deferens entlang nach den Samenblasen und
der Prostata, sie steigt jedoch nie von diesen Organen gegen den Spermastrom zu
den Hoden hinab. Ganz analog glaubt Baumgarten bei Kombination von Nieren-
und Blasentuberkulose den primären Herd in der Niere suchen zu müssen, von
dem Ureter und Blase sekundär infiziert wurden; ein Aufsteigen der Tuberkulose
von der Blase zu den Nieren hält er für fast ausgeschlossen. Angesichts dieser
Baumgarten 'sehen Befunde muss bei jeder Tuberkulose der Harnorgane vor allem
untersucht werden, ob die Nieren intakt sind oder nicht; denn jede lediglich auf die
untern Harnwege beschränkte Therapie ist natürlich wenig aussichtsvoll, wenn^stets
von den Nieren her neue Infektionskeime in Blase und Urethra geschleppt werden.
Diese, für die Behandlungsweise entscheidende Frage nach dem genauen Sitze des
Leidens ist schwierig zu beantworten.
Der Urinbefund gibt darüber keine Auskunft. Eiweissgehalt eines tuberkel¬
bazillenhaltigen Urins beweist noch keineswegs eine tuberkulöse Erkrankung der
Nieren; denn bei reiner, solitärer Blasentuberkulose kann infolge der durch
heftigen Blasentenesmus reflektorisch erzeugten Kongestion der Nieren ziemlich starke
Albuminurie auftreten. Andererseits ist der Albumengehalt des Urins trotz zahl¬
reichen Tuberkelherden in den Nieren oft sehr gering. Keinen besseren Aufschluss
als die chemische gibt die mikroskopische Untersuchung des Urins über den Sitz
der Erkrankung. Bei Tuberkulose der Nieren sind selten typische Nierenform¬
elemente im Sedimente zu finden und ihr Nachweis in einem tuberkelhaltigen
Urin beweist zudem noch keineswegs eine Ausdehnung der Infektion auf die
Nieren; Zylinder und Nierenzellen können herrühren von einer rein toxischen,
die Blasentuberkulose komplizierenden Nephritis. Ueber diese diagnostischen Zweifel
hilft auch die genaueste palpatorische Untersuchung der Kranken und die sorgfältigste
Beobachtung des klinischen Krankheitsverlaufes nicht hinweg. Trotz ausschliesslichen
Blasensymptomen und Fehlen jedes Nierenschmerzes oder Nierentumors kann eine
Niere schwer tuberkulös erkrankt sein und daneben die Blase noch völlig tuberkel¬
frei. Ja sogar die meisten der Nierentuberkulosen machen lange Zeit keine lokalen
Symptome und äussern sich lediglich in Blasenbeschwerden. Das war auch der
Grund, warum früher die Zahl der tuberkulösen Nierenerkrankungen unterschätzt wurde
und bei manchem Kranken lediglich eine tuberkulöse Cystitis angenommen wurde,
bei dem wir heute sicherlich eine primäre Tuberkulose der Niere nachweisen könnten.
Lässt auch schliesslich das klinische Bild eine Mitbeteiligung der Nieren
an dem tuberkulösen Prozess erkennen, so ist es stets noch schwierig zu entscheiden,
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ob beide Nieren erkrankt sind oder ob nur eine und welche von den beiden. Schmerz¬
haftigkeit und Vergrößerung der Niere beweisen keineswegs eine Erkrankung des
Organs. Nicht selten ist gerade die gesunde Niere wegen der an sie gestellten er¬
höhten Arbeitsforderungen vergrössert und infolge der Kapselspannung schmerzhaft,
die tuberkulöse klein und auf Druck unempfindlich. Manchmal gibt eine Tuber¬
kulminjektion diagnostischen Aufschluss; denn oft wird die tuberkulöse Niere nach
einer solchen druckempfindlich oder sogar später schmerzhaft, während die gesunde
Niere keine Reaktion erkennen läßt. Ein zuverlässiges Diagnostikum ist aber die
Tuberkulininjektion nicht und ihre Anwendung blieb deshalb stets nur eine sehr
beschrankte. Wir bedürfen ihrer vollends nicht mehr, seit wir in der Lage
sind, mit Hilfe des Cystoskopes die genaue Lokalisation der Tuberkulose innerhalb
der Hamorgane zu bestimmen. Cystoskop und Ureterkatheter erlauben nicht nur genau
den Zustand der Blase zu beurteilen, festzustellen, ob eine der Nieren oder beide
erkrankt sind, sie geben uns vielmehr in Verbindung mit der Blutkryoskopie auch
Aufschluß über die funktionelle Leistung einer jeder der Nieren und damit Anhalts¬
punkte zur Beurteilung der Ausdehnung des Krankheitsprozesses. Ueber die Technik
und die Bedeutung dieser neuen, in der Nierenchirurgie unentbehrlich gewordenen
diagnostischen Untersuchungsmethoden habe ich mich schon früher in dieser Gesell¬
schaft ausgesprochen 3 ) und unterlasse es deshalb darauf nochmals einzugehen, ln
meinem heutigen Vortrage möchte ich vor allem besprechen, was wir, gestützt auf
eine verfeinerte Diagnostik, therapeutisch für unsere Patienten, die an Tuberkulose
der Hamorgane leiden, leisten können.
Haben wir bei einem Kranken mit Hilfe des Cystoskopes und des Ureteren-
katheterismus festgestellt, dass lediglich seine Blase tuberkulös erkrankt ist, seine
Nieren aber von Tuberkulose verschont geblieben sind, muss unsere Therapie eine
rein medikamentöse bleiben. Die operative Behandlung der Blasentuberkulose, die
bis vor wenigen Jahren immer wieder empfohlen wurde, hat den auf sie gesetzten
Erwartungen in keiner Weise entsprochen. Exzision der Schleimhautgeschwüre,
Verschorfung derselben, Auskratzung der Blase, alle diese Eingriffe brachten, wenn
überhaupt Erfolge, doch fast immer nur vorübergehende. Bald stellten sich Rezidive
ein und zwar so häufig, dass diese Methoden fast allgemein verlaßen worden sind.
Nur noch in palliativer Absicht werden hin und wieder Sectio alta oder perinealis
Urethrostomie angewandt, um durch die Außchaltung der Blasenmuskulatur und ihrer
schmerzhaften Kontraktionen die scheusslichen Leiden der tuberkulösen Cystitis zu
lindern. Die resultierenden Urinfisteln belästigen aber ihrerseits den Patienten in
solchem Grade, dass diese Palliativoperationen nur für die schwersten Fälle ge¬
rechtfertigt sind. So lange ^ie irgend möglich, ist jede Operation zu vermeiden
und zwar um so mehr, als bei konsequent durchgeführter, medikamentöser Be¬
handlung oft sehr erfreuliche und andauernde Beßerungen der Blasentuberkulose
erzielt werden können.
Jeder Kranke dieser Art bedarf vor allem einer antituberkulösen Allgemein-
behandlung, soweit wir heutzutage eine solche durchführen können. Diese allein
führt aber nur selten zum Ziel; stets soll sie mit einer Lokalbehandlung kombiniert
sein. Bei dieser muss, soll sie nicht mehr schaden als nützen, als Grundsatz gelten,
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die infiltrierte und z. T. ulzerierte Blasenschleimhaut möglichst ruhig zu stellen,
nicht unnötig zu dehnen und zu zerren. Denn jede Epithelläsion, jeder kleine Ein¬
riss verursacht dem Kranken starke Schmerzen und bietet den Tuberkelbazillen
eine neue Eingangspforte in die Blasenwand. Bei der lokalen Anwendung anti¬
tuberkulöser Medikamente auf die Blasenschleimhaut ist deshalb jede, sonst bei
Cystitiden übliche Blasenspülung strengstens zu vermeiden und durch Injektionen
kleiner Mengen des gewählten Medikamentes zu ersetzen. Am meisten bewährte es
sich in 2—3 tägigen Intervallen 5—10 Gramm einer Sublimatlösung von 1: 5000
bis 1 :3000 in die leere Blase zu injizieren oder statt deren dieselbe Quantität 5°/o
Guajacolöls mit 2°/o Jodoformzusatz. Ausserdem ist die Anwendung von Narkotika
in Suppositorien angezeigt, da dieselben nicht nur den rein symptomatischen Wert
der Schmerzlinderung haben, sondern durch Verminderung des Blasentenesmus der
therapeutischen Indikation, die Blasenwand möglichst ruhig zu stellen, in wünschens¬
werter Weise nachkommen.
Durch eine derartige, wochen- und monatelang konsequent durchgeführte
Behandlung wird häufig eine weitgehende Besserung der primären Blasentuberkulose
erreicht, selten eine vollkommene Heilung. Ist jedoch die Tuberkulose der Blase
sekundärer Natur, erzeugt durch Descension der Tuberkelbazillen von der Niere
her, dann gibt diese Behandlungsweise sehr ungenügende Resultate. Hauptbedingung
für die Heilung dieser Fälle von Blasentuberkulose ist die Ausheilung des primären
Herdes, der Nierentuberkulose.
Die Tuberkulose der Nieren ist ein bald langsam, bald schnell aber fast immer
stetig fortschreitender Krankheitsprozess, der nur äusserst selten spontan zur Aus¬
heilung kommt. Wohl wurden scheinbare Spontanheilungen klinisch wiederholt
beobachtet; aber häufig bewies wenige Jahre nach dem Verschwinden aller Krankheits¬
symptome ein neuer Ausbruch des Leidens das stete Andauern des tuberkulösen
Prozesses Ich habe gegenwärtig einen Herrn in Beobachtung, der vor vier Jahren
an isolierter Nierentuberkulose erkrankte, und nach mehrmonatlicher Allgemein¬
behandlung von kompetenter Seite als geheilt erklärt werden konnte. Die scheinbare
Heilung hielt ein Jahr an. Patient fühlte sich vollkommen gesund, hatte nicht die
geringsten Harnbeschwerden mehr. Ohne erkennbare Ursache stellte sich aber nach
dieser Frist das alte Leiden plötzlich wieder ein; die vorher auf die Niere be¬
schränkte Tuberkulose breitete sich rasoh auf die Blase und Harnröhre aus und
Patient ist jetzt in einem äusserst bedauernswerten, leider nur wenig besserungs¬
fähigen Zustande.
Aber nicht allein klinische Beobachtungen, auch die Sektionsbefunde beweisen
die geringe Heilungstendenz der Nierentuberkulose. Ip den Fällen von sog. Spon¬
tanheilung findet man bei der Autopsie die „geheilte“ Niere fast immer durch die
Tuberkulose vollkommen zerstört, umgewandelt in einen eiterhaltigen Sack mit ver¬
schlossenem Ureter. Es handelt sich also in Wirklichkeit um eine von der Natur
selbst ausgeführte Nierenausschaltung, nicht um eine Heilung des kranken Organs
mit wenigstens nooh teilweise funktionsfähigem Parenchym. Eine derartige Total¬
ausschaltung der Niere kann aber der Chirurg rascher und mit geringerer Gefahr
erzielen als die Natur!
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Leider sind wir in der Therapie der Nierentuberkulose wirklich zu einem
derartigen radikalen Vorgehen gezwungen, wenn wir eine vollständige Ausheilung
erreichen wollen; denn unsere antituberkulösen Medikamente beeinflussen das Leiden
nur in höchst ungenügendem Masse, das wiederholt empfohlene Tuberkulin nicht
besser als die Kreosot- Hetol- etc. Präparate.
Bei doppelseitiger Nierentuberkulose sind dem chirurgischen Vorgehen enge
Grenzen gezogen. Konserative Operationsmethoden wie die Nephrotomie oder die
partielle Nierenresektion fuhren selten zu definitiver Heilung. Die mehr Erfolg ver¬
sprechende Nephrektomie andererseits wird bei doppelseitiger Nierentuberkulose nur aus¬
nahmsweise in Frage kommen; nur dann, wenn die eine Niere relativ wenig erkrankt, die
andere aber durch ausgedehnte Zerstörung des Parenchyms funktionell fast bedeutungslos
geworden ist und durch die Retention käsig-eitriger Massen und Resorption deren Toxine
das Allgemeinbefinden des Kranken wie auch besonders das Parenchym der andern
Niere direkt schädigt. Die Entfernung einer solchen Niere wird stets ein gerecht¬
fertigter Eingriff sein und häufig dem Kranken jahrelang Erleichterung bringen.
Viel günstiger für die operative Therapie liegen die Verhältnisse bei der ein¬
seitigen Nierentuberkulose. Die Tuberkelkeime gelangen, wie oben erwähnt, meist
auf dem Blutwege in die Nieren, glücklicherweise aber selten in beide zugleich.
Zahlreiche klinische Beobachtungen und einwandsfreie Sektionsbefunde lehren, dass die
Tuberkulose jahrelang auf die eine Niere beschränkt bleiben kann, die zweite
völlig intakt lässt. Von der erkrankten Niere aus verbreitet sich die Tuberkulose
in den Harnorganen erst auf das Nierenbecken, dann dem Ureter entlang in die
Blase und evenL in die Harnröhre. Ein Aufsteigen der Infektion von der Blase
her dem Ureter entlang in die andere Niere scheint nur selten vorzukommen. Erkrankt
in der Folgezeit auch die zweite Niere an Tuberkulose, so handelt es sich beinahe
ausnahmslos um eine auf dem Blutwege erfolgte Infektion dieses Organs, sei es von
den Harnorganen her oder ausgehend von einem sonstwo im Körper gelegenen
Tuberkelherde. Ausserhalb der Harnorgane sind allerdings oft keine Tuberkelherde
klinisch erkennbar, und doch müssen wir solche stets vermuten, sowohl aus theo¬
retischen Gründen, als auch belehrt durch die Erfahrungen der pathol. Anatomen.
Es ist von vornherein unwahrscheinlich, dass sich die Tuberkelbazillen nach ihrem
Eindringen in den Körper einzig und allein in der Niere festsetzen, ohne vorher in
Lymphdrüsen oder im Gebiete des kleinen Kreislaufes einen Krankheitsherd zu erzeugen.
Man findet denn auch in der Regel bei den scheinbaren Solitärtuberkulosen der
Niere bereits in der Nähe der Eingangspforte des Tuberkelvirus einen Käseherd
und zwar meist in einer Lymphdrüse. Der Ausdruck primäre, solitäre Nierentuber¬
kulose ist also nicht im strengsten Sinne des Wortes gerechtfertigt; stets muss ein¬
geräumt werden, dass ausserhalb der Hamorgane wahrscheinlich ein, wenn auch
verborgener Tuberkuloseherd existiert. Diese unleugbare Tatsache möchte leicht
die Aussichten auf eine Dauerheilung der Nierentuberkulose, auch der einseitigen,
als sehr schlecht erscheinen lassen ; denn solange der eigentliche primäre Tuberkulose¬
herd nicht sicher aus dem Körper eliminiert ist, besteht die Möglichkeit einer
Reinfektion der Harnorgane. Gleich wie die eine Niere auf dem Blutwege infiziert
wurde, so könnte die zweite Niere im Laufe der Zeit infiziert werden, trotz kompleter
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Entfernung oder Heilung der erst erkrankten. Diese berechtigte Ueberlegung ver-
anlasste früher die Chirurgen auch für die Nephrektomie bei einseitiger Nieren¬
tuberkulose sehr eng begrenzte Indikationen aufzustellen. Erst wenn die Nieren¬
tuberkulose eine Störung des Allgemeinbefindens (Fieber, Abmagerung, Anämie)
verursachte, durch Schmerzen den Kranken arg plagte oder durch erhebliche Häma¬
turie schwächte, erst dann sollte die tuberkulöse Niere entfernt werden. Auch Israel
vertritt in seiner vor 3 Jahren erschienenen „Chirurgischen Klinik der Nierenkrank¬
heiten“ diesen Standpunkt. In allerletzter Zeit macht sich jetzt aber ein Umschwung
geltend zur Forderung eines frühzeitigeren Eingreifens. Gestützt auf die klinischen und
patholog.-anatomischen Erfahrungen, dass jahre-, ja jahrzehntelang die eine Niere trotz
hochgradiger Infektion der andern absolut tuberkelfrei bleiben kann, dass anderer¬
seits aber die Tuberkulose früher oder später von der kranken Niere auf die Blase
übergreift und den Kranken in einen fürchterlich qualvollen Zustand bringt, verlangen be¬
sonders Albarran 4 ) und KümmeW) gegen die einseitige Nierentuberkulose ein radikaleres
Yorgehen als bis dahin üblich war. Ihnen gibt einzig und allein schon der Nachweis
einer einseitigen solitären Nierentuberkulose eine unbedingte Indikation zur operativen
Entfernung des kranken Organs, gleichgültig ob der Kranke in seinem Allgemein¬
befinden durch sein Leiden bereits gestört wurde oder nicht. Beide Autoren erachten
das Risiko, welches ein Kranker mit einer, wenn auch noch momentan wenig aus¬
gedehnten Nierentuberkulose läuft, für zu gross, als dass sie eine abwartende, konser¬
vative Behandlung verantworten möchten. In ähnlicher, wenn auch weniger kate¬
gorischer Weise äussert sich Suter*) (Prof. Burckhardt).
Um in dieser lebhaft diskutierten Frage der sog. Frühoperation der Nieren¬
tuberkulose Stellung nehmen zu können, ist es notwendig, die Erfolge der bisher
üblichen, operativen Therapie der Nierentuberkulose zu überblicken. Bei Durchsicht
der zahlreichen in den letzten Jahren mitgeteilten Statistiken über die Resultate der
Nephrektomie bei Tuberkulose ist vor allem zu konstatieren, dass die früher relativ
hohe Sterblichkeit nach dieser Operation (Sammelstatistik von Schmieden 1 ) bei lum¬
baler Methode 26°/o, bei abdominaler 42°/o, Statistik von Garceau 8 ) 17% direkt nach
der Operation) seit Einführung der funktionell-diagnostischen Untersuchungsmethoden
bedeutend abgenommen hat. Besonders die Todesfälle an Urämie infolge Insuffi¬
zienz der zweiten Niere können jetzt beinahe mit Sicherheit vermieden werden.
Nach der Sammelstatistik von Casper 9 ) kam in einer Reihe von 76 Nephrektomieen
kein einziger Nierentod vor. Guter Allgemeinzustand des Kranken vorausgesetzt,
darf deshalb heute die Nephrektomie wegen Tuberkulose als ein nicht mehr besonders
gefährlicher Eingriff bezeichnet werden.
Wichtiger als die unmittelbaren Operationsresultate sind für die Indikations¬
stellung die durch die Nephrektomie bei Nierentuberkulose erzielten definitiven Heil¬
erfolge. Ueber diesen Punkt geben uns in den letzten Jahren erschienene Mit¬
teilungen von Schede 10 ) König 11 ) Küster , 12 ) Czerny 10 ) Israel 14 ) Kümmel! 0 ) Krönlein, 1 )
Burckhardt (Suter, 0 ) Pousson 15 ) die gewünschte Auskunft. Diese Autoren haben im
ganzen bei 213 Patienten wegen Tuberkulose eine Nephrektomie vorgenommen.
Ca. 65% aller Kranken blieben dauernd geheilt; einzelne derselben konnten 15—20
Jahre nach der Operation nachuntersucht werden. Yon den Verstorbenen zeigten,
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soweit eine Kontrolle durch Sektion oder genaue klinische Beobachtung möglich war,
nur sehr wenige eine Tuberkulose der zweiten Niere. Die meisten starben an ander¬
weitig lokalisierten tuberkulösen Erkrankungen (Lungen, Meningen etc.). Ganz
besonders auffällig sind die günstigen Heilerfolge bei den Kranken mit solitärer
Nierentuberkulose. Beinahe alle waren wenige Wochen nach der Operation geheilt
und blieben es zum grössten Teile auch dauernd. Yon Israel 1 s 13 Kranken dieser
Art blieben 10 dauernd geheilt; von Krönlein 1 s 12 Patienten starb ein einziger 6
Jahre nach der Operation an Lungen-, Blasen- und Nierentuberkulose. Kümmell
operierte 7 Kranke dieser Kategorie; alle sind während der allerdings relativ kurzen
Beobachtungszeit gesund geblieben.
Bei den Kranken mit kombinierter Tuberkulose, welche ausser in der Niere
auch in der Blase oder andern Organen tuberkulöse Erkrankungen zeigten, waren
nicht nur die Dauerresultate, sondern auch die unmittelbaren Heilerfolge weit
ungünstiger.
Während bei den solitären Nierentuberkulosen kurze Zeit nach der Operation
alle Beschwerden vollkommen schwanden, blieben die Kranken mit kombinierter
Tuberkulose noch längere Zeit invalid. War ausser der Niere auch die Blase tuber¬
kulös erkrankt, Hessen allerdings nach Entfernung der primär erkrankten Niere die
heftigen Blasenschmerzen und der häufige Harndrang, welcher die Kranken so
scheu8slich quält, nach. Die meisten Kranken wurden aber doch noch weiterhin von
Blasenbeschwerden belästigt und eine vollständige Heilung der Blasentuberkulose
wurde nur äusserst selten erzielt. Die bei der deszendierenden Blasentuberkulose
nie fehlende Uretertuberkulose gab, auch wenn der Ureter nicht in toto entfernt
wurde, meist nicht zu lange dauernden Beschwerden Anlass; eine sekundäre Ureter-
ektomie wurde selten nötig. Auf ausserhalb der Harnorgane gelegene Tuberkelherde
kann natürlich die Nephrektomie keinen direkten Einfluss haben; immerhin wirkte
sie in der Weise günstig, dass durch die Entfernung des einen Eiterherdes in der
Niere das Allgemeinbefinden des Kranken sich hob, Fieber, Appetitlosigkeit und
Verdauungsstörungen schwanden und dadurch die Widerstandsfähigkeit des Körpers
gegen die übrigen Tuberkelherde gesteigert wurde.
Aus dieser kurzen Uebersicht über die bis dahin erzielten Erfolge in der
chirurgischen Behandlung der Nierentuberkulose sehen Sie, dass bei der progno¬
stischen Beurteilung operativ behandelter Nieren tuberkulösen 2 Kategorien zu
unterscheiden sind. Einerseits die solitären Nierentuberkulosen, welche sehr
gute Heilungsaussichten bieten und andererseits die kombinierten Nierentuberkulosen,
welche beinahe ausnahmslos durch die Operation günstig beeinflusst werden, aber
doch nur relativ selten zu einer vollständigen und dauernden Heilung gelangen.
Angesichts der unverkennbaren Differenz in der Prognose dieser beiden Kategorien
erscheint die neuerdings gestellte Forderung, jeden Kranken mit einseitiger
solitärer Nierentuberkulose so früh wie möglich zu operieren, wohl begründet und
ernster Diskussion wert.
Bevor ich mir erlaube, meine persönliche Stellung zu dieser therapeutischen
Frage zu präzisieren, möchte ich Ihnen noch kurz meine eigenen Erfahrungen in der
operativen Behandlung der Nierentuberkulose mitteilen. Ich kann Ihnen natürlich
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aus meiner jungen Praxis nicht über Dauerresultate berichten, sondern ich muss
mich begnügen, über unmittelbare Operationsresultate zu referieren.
Ich hatte die beiden letzten Jahre 9 mal Veranlassung wegen Tuberkulose eine
Niere zu entfernen. In 4 weitern Fällen assistierte ich Kollegen bei derselben
Operation, nachdem ich vorher bei den betreffenden Kranken, wie bei den von mir
operierten mit Hilfe des Cystoskopes und des Ureterenkatheterismu9 die genaue
Lokalisation der tuberkulösen Erkrankung und die funktionelle Leistung der Nieren
bestimmt hatte. Die Exstirpation der kranken Niere wurde von diesen 12 Kranken
ohne wesentliche Störung des Allgemeinbefindens ertragen; die 24stündige Urinmenge
war bei allen nur in den ersten Tagen mehr oder weniger vermindert, bald secer-
nierte die Testierende einzige Niere ebensoviel Urin wie vor der Operation beide
Nieren zusammen. Anzeichen von Urämie machten sich bei keinem einzigen der
Kranken geltend. Bei allen wurde durch die Nephrektomie ein merklicher Erfolg
erzielt, wenn auch nicht alle durch dieselbe geheilt wurden.
Bei 6 von den 13 Operierten war ausser der Erkrankung der einen Niere und
deren Ureter im ganzen Körper kein Tuberkuloseherd nachweisbar. Die Blase war
entweder noch gar nicht oder nur sehr wenig, lediglich in der Umgebung des
erkrankten Ureters, tuberkulös infiziert. Bei diesen 6 Kranken war der Operations¬
erfolg ein ausgezeichneter. Die von der Niere irradiierten, zum Teil bereits sehr
heftigen Blasenbeschwerden, bestehend in schmerzhafter Miktion und häufigem Harn¬
drang schwanden 10—14 Tage nach der Operation fast vollständig und die Patienten
erholten sich nach der Operation so rasch, dass sie sich nach 4—5 Wochen voll¬
kommen geheilt fühlten.
Anders war der Verlauf bei den Kranken, deren Blase schon in ausgedehntem Masse
erkrankt war. Wohl hatten auch diese Kranken durch die Operation eine grosse Er¬
leichterung, aber fast alle leiden noch jetzt unter vermehrtem und mehr oder weniger
schmerzhaftem Harndrang. Während sie vor der Operation alle */* bis x j% Stunden, ja
einzelne alle paar Minuten heftigen Urindrang hatten, können sie jetzt immerhin den
Urin 1—2 Stunden halten. Bei einer der Kranken musste ich 5 Monate nach Ent¬
fernung. der Niere wegen anhaltenden Blasenbeschwerden und Fistelbildung in der
Operationsnarbe die sekundäre totale Ureterektomie vornehmen. Erst nach dieser
schwand der Blasendrang soweit, dass Patientin den Urin jetzt 1— Vj% Stunden halten
kann. Bei 2 andern Kranken entfernte ich den Ureter primär, d. h. zugleich mit
der Niere, in toto bis zur Blase.
Bemerkenswert ist, dass bei der Mehrzahl der Kranken, welche auch in dem
Urin der nicht tuberkulös erkrankten Niere Eiweissausscheidung zeigten, nach der
Operation die Albuminurie rasch vollständig schwand.
Der Operationserfolg war also bei meinen Patienten in ausgesprochener Weise
davon abhängig, ob die Tuberkulose auf die eine Niere und den Ureter beschränkt
war, oder ob sie auch die Blase in ausgedehntem Masse ergriffen hatte. Bei den
einen Kranken war der Erfolg ein rascher und vollkommener, bei den andern ein nur
teilweiser! und zögernder. Ich muss mich deshalb nicht allein aus theoretischen Gründen
als Anhänger der von Albarran und Kümmell empfohlenen Frühoperation bekennen.
Immerhin möchte ich in der Indikationsstellung doch nicht so weit gehen wie diese;
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konsequent bei jeder solitär an Tuberkulose erkrankten Niere die Nephrektomie zu
empfehlen, gleichgiltig ob ihr Parenchym in grosser Ausdehnung erkrankt sei oder
nicht, scheint mir ein zu radikales Vorgehen. Ergibt die funktionelle Prüfung der
erkrankten Niere einen grossen Ausfall ihrer Arbeitsleistung, dann fallt wohl keinem
Chirurgen der Entschluss schwer, das erkrankte, nur noch wenig leistungsfähige
Organ zu entfernen, bevor es Anlass zu weiterer Ausbreitung der Tuberkulose gegeben
hat. Viel schwieriger wird der Entscheid, wenn die zwar unzweifelhaft tuberkulöse
Niere noch reichlich funktionierendes Parenchym zu haben scheint, welches ihr die
Uebernahme eines grossen Teiles der Gesamtnierenarbeit erlaubt. Solche Fälle werden
uns von jetzt ab bei allgemeiner Anwendung der neuen funktionell-diagnostischen
Untersuchungsmethoden natürlich häufiger beschäftigen als bisher. Denn erst jetzt
können wir frühzeitig die Nierentuberkulose diagnostizieren und uns über ihre Aus¬
dehnung befriedigenden Aufschluss verschaffen. Sollen wir nun wirklich jede Niere,
welche wir solitär an Tuberkulose erkrankt finden, die aber noch wenig von ihrer
funktionellen Leistungsfähigkeit eingebüsst hat, rasch entschlossen aus dem Körper ent¬
fernen? Mir scheint eine so weitgehende Anwendung der Nephrektomie nicht genügend
gerechtfertigt.
Die Tuberkulose der Nieren hat allerdings nach unseren Erfahrungen wenig
Tendenz zur spontanen Ausheilung; wir müssen aber doch gestehen, speziell über die
Heilungsmöglichkeit kleiner Tuberkelherde in den Nieren recht wenig zu wissen.
Solche Herde heilen vielleicht häufig und ohne je klinisch erkannt worden zu sein
und ohne in dem erkrankten Organ Veränderungen zu hinterlassen, die später bei
der Sektion auffallen. Wir würden durch eine frühzeitige Nephrektomie also viel¬
leicht nicht selten ein Organ entfernen, das, nach einiger Zeit wieder geheilt, dem
Körper noch lange hätte wertvolle Dienste leisten können.
Andererseits möchten wir für unsere Kranken nicht gerne ein Uebergreifen der
Tuberkulose von der Niere auf die Blase riskieren. Wer einmal genötigt war, eine
vorgeschrittene Blasentuberkulose zu behandeln, wer die Qualen mitangesehen hat,
welche diese schreckliche Krankheit erzeugt, der wird mit allen verfügbaren Mitteln
seine Patienten vor einem solch traurigen Los zu bewahren trachten. Aber dieses
berechtigte Bestreben darf uns nicht zu übereiltem Operieren veranlassen. Die Tuber¬
kulose breitet sich in der Regel von dem Nierenherde her nicht so rapide aus, dass wir
nicht die Zeit fänden, ihrem Weiterschreiten Einhalt zu tun. Am häufigsten steigt sie dem
Ureter entlang vorerst in die Blase nieder; auf diesem Wege können wir aber den
Fortschritt der Tuberkulose gut verfolgen, denn mit Hilfe des Cystoskopes ist ihr
Uebergreifen auf die Blasenschleimhaut rasch und leicht zu erkennen. Greifen wir
in diesem Momente energisch ein, ist noch nichts verloren. Niere und Ureter können
wir total entfernen und dadurch auch die eben beginnende Infektion der Blasen-
schleimhaut zur Heilung bringen.
loh möchte deshalb für die operative Behandlung speziell der primären ein¬
seitigen Nierentuberkulose folgende Indikationen aufstellen:
1. Ist die einseitige primäre Nierentuberkulose bereits kombiniert mit einer des¬
zendierenden Tuberkulose der untern Harnorgane, so muss die Niere als primärer
Herd, welcher stets zur Reinfektion der untern Harnorgane führt, enfernt werden.
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2. Ist die Tuberkulose einzig und allein auf die eine Niere beschränkt, so soll
dieses Organ nur exstirpiert werden, wenn seine Funktion durch die Erkrankung
bereits erheblich gelitten hat. Ist aber die Schädigung des Parenchyms noch gering¬
gradig, dann darf der Kranke konservativ behandelt werden, bis deutlich ein stetes
Fortschreiten des infektiösen Prozesses erkennbar ist. Besonders ein Uebergreifen
der Tuberkulose von der Niere längs dem Ureter auf die Blasenschleimhaut gibt eine
dringende Indikation zur sofortigen Entfernung der tuberkulösen Niere.
Literatur:
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lung. Arch. f. klin. Chir. 1904. Bd. 73.
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4. Albarran. Franz. Urologenkongress 1903. Annales d. malad, d. org. gen.-ur. 1903.
5. Kümmell. Ueber Frühoperation der Nierentuberkulose. Arch. f. klin. Chir.
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6. Suter. Ein Beitrag zur Diagnose und Behandlung der Nierentuberkulose. (Klinik
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7. Schmieden. Handbuch der praktischen Chirurgie von v. Bergmann und v. Mikulicz.
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8. Garceau. Tuberculosis of the urinary. tract. Bost. med. surg. journ. 1902.
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10. Schede. Handbuch der praktischen Chirurgie von v. Bergmann und v. Mikulicz.
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12. Küster. Die Chirurgie der Nieren. Deutsche Chirurgie 1902.
13. Simon. Die Nierentuberkulose und ihre chirurgische Behandlung. Beitr. z.
klin. Chir. Bd. 30.
14. Israel. Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten. 1901.
15. Fousson. Bullet, med. 1903.
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Streptomyko9en.
Von Df. F. Schwarzenbach, Tramelan.
(Fortsetzung.)
II. Die Streptokokken der untern Luftwege.
Da es schwierig ist und in praktischer Hinsicht nicht angeht, die Streptomy-
kose der Bronchen von derjenigen der Lunge i. e. S. zu trennen, weil einerseits
viele Uebergänge Vorkommen und es anderseits oft fast unmöglich ist, klinisoh eine
genaue Scheidung inne zu halten, so werde ich im folgenden die Streptomykose der
tiefem Luftwege unterhalb des Larynx zusammenfassend besprechen.
Aetiologie: In seiner Abhandlung über die Infektionen der Lunge durch
Streptokokken sagt Finkler: „Meines Erachtens sind zur Zeit die häufigsten Infek-
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17S
tiooen der Lunge — diejenigen durch Influenzabazillen und Streptokokken.“ Heute
kann man die Influenzabazillen, wenigstens was die Schweiz betrifft, weglassen und
nur die Streptokokken nennen, und wenn ich oben behauptet habe, dass die Strep-
tomykosen überhaupt die häufigsten Infektionskrankheiten seien, so gilt dies speziell
auch für die Infektionen der Lungen. Es ist das bei dem konstanten Vorkommen
der Streptokokken in den obern Luftwegen auch leicht verständlich und es ist klar,
dass bei diesen Verhältnissen periodische Reinfektionen der untern Luftwege leicht
zustande kommen können.
Dies setzt nun eine direkte Fortleitung der Infektion durch Kontinuität voraus,
und man kann tatsächlich dieses Tiefersteigen der Entzündung häufig direkt be¬
obachten. Die Krankheit beginnt mit einer Angina und Pharyngitis, dann entwickelt
sich eine Laryngo-tracheitis mit starkem Husten; später treten Rasselgeräusche auf
den Lungen als Zeichen der Bronchitis auf und endlich kann man aus sich bildenden
Dämpfungen und klingendem Rasseln erkennen, dass der Prozess schliesslich auf das
Lungengewebe selbst übergegangen ist. Nicht selten geben die Patienten selbst
ungefragt an, dass sie fühlen, wie die Entzündung langsam tiefer steige, und ge¬
wöhnlich gibt ihnen der spätere objektive Befund auf den Lungen recht.
Auch Finkler gibt die Möglichkeit der Infektion der Lungen durch die Luft¬
wege von oben her zu. Er besteht aber darauf, dass auch ohne jede primäre In¬
fektion der Bronchen eine reine pneumonische Erkrankung zustande kommen könne.
Auch letzteres kommt unzweifelhaft vor und zwar meistens als Komplikation
der Streptokokkengrippe, als Metastase auf dem Blutweg vom Rachen oder den
Tonsillen aus.
Wie schon oben angeführt, kommen die Streptokokken u. a. auch in staub¬
haltiger Luft vor. Es fragt sich nun, ob die tiefem Luftwege (Trachea und Bron¬
chen) nicht durch Inhalation staubiger Luft auch direkt infiziert werden können.
Nach den Experimenten von Dürck erscheint dies sehr wahrscheinlich. Dürck
versuchte durch Einblasung von Pneumokokken in die Trachea gesunder Tiere
Pneumonien zu erzeugen. Wurden die Kokken rein eingeblasen, so blieben die Tiere
stets gesund. Wurde jedoch mit den Kokken reizender Staub eingeblasen, oder
wurden die vorher stark überhitzten Tiere rasch und energisch abgekühlt, so traten
ausnahmslos Pneumonieen auf. Also auch hier der gleiche Vorgang wie in den obern
Luftwegen: das blosse Vorhandensein der pathogenen Bakterien genügt nicht, um
eine Entzündung hervorzurufen, es muss für dieselben der Boden vorbereitet, das
Gewebe geschädigt und in seiner natürlichen Widerstandskraft geschwächt werden.
Die Tierexperimente von Durch können wir nun in der Praxis sehr häufig am
Menschen selbst wiederholt sehen: Jemand macht an einem heissen Sommertag einen
weiten Spaziergang, erhitzt sich dabei stark und atmet den aufgewirbelten Strassen-
staub reichlich ein. Und das, infolge der raschem Atmung beim Marschieren häufig
genug durch den Mund, wodurch die tiefem Luftwege des Schutzes, den Nase und
Rachen gegen den Staub gewähren, zum grössten Teil beraubt werden und der Staub
leicht direkt bis in die Trachea Vordringen kann. Wenn sich nun Durst einstellt,
so wird eingekehrt und ein wohl meist kaltes Getränk ziemlich rasch getrunken. Da
wirken nun die beiden schädlichen Faktoren, der reizende Staub und die plötzliche
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Abkühlung zusammen, und die Sohleimhaut der Luftwege wird für das Haften der
mit dem Staub eingedrungenen pathogenen Eeime auf das Beste vorbereitet. Auf
diese Weise kann man in praxi nicht selten Streptomykosen der untern Luftwege
durch direkte Inhalation entstehen sehen.
1. Die akut verlaufenden Infektionen.
Ist die Infektion der untern Luftwege einmal zustande gekommen, so ist der
weitere Verlauf ein äusserst wechselvoller und vielgestaltiger.
Die Lungenstreptomykose tritt bald nur als einfache Bronchitis auf, bald als Broncho¬
pneumonie mit kleinen disseminierten Herden und rasch wechselnder Intensität; sie
imitiert die Anfangsstadien der kroupösen Pneumonie, erscheint unter dem Bild einer
schweren komplizierten Pertussis und kann periodisch Anfälle hervorrufen, welche
stark an Asthma bronchiale erinnern. Es können die Lungenerscheinungen auch
gegenüber den durch die Intoxikation bewirkten Allgemeinerscheinungen ganz in den
Hintergrund treten. Die Patienten klagen dann nur über grosse Abgeschlagenheit,
allgemeine Schwäche und die Muskelschmerzen, und sprechen vom Husten nur auf
direktes Befragen hin. Diese Muskelschmerzen sind meist am Thorax lokalisiert und
können eine ausserordentliche Heftigkeit erreichen, so dass momentan das ganze Krank¬
heitsbild davon beherrscht werden kann.
Es wird kaum eine andere Krankheit so viele und so sehr von einander ver¬
schiedene Erscheinungsformen darbieten, wie die Streptomykose der untern Luftwege.
Anderseits gibt es gewisse Erscheinungen, welche allen Streptomykosen gemeinsam sind
und sie auch klinisch als solche charakterisieren. Es lassen sich auch gewisse Typen
der Erscheinungsformen aufstellen, wie sie am häufigsten zur Beobachtung kommen;
eine zutreffende Vorstellung von der Mannigfaltigkeit der Krankheit kann aber
schliesslich nur die eigene Beobachtung geben. Am häufigsten gestaltet sich der
Verlauf ungefähr folgendermassen:
Nach einer Latenzzeit von 2—14 Tagen (im Mittel ca. einer Woche), während
welcher der Patient über allgemeine Abgeschlagenheit, leichte Schluckschmerzen und
etwas Husten klagt, setzt ganz akut die Infektion der Lunge ein mit hohem Fieber
und starkem allgemeinem Krankheitsgefühl.
Ich nenne diese Latenzzeit absichtlich nicht Inkubation, da während derselben
meistens schon ein Katarrh der obern Luftwege besteht, z. B. häufig ein Schnupfen.
Im Sekret lassen sich dabei leicht Streptokokken nach weisen.
Der Husten wird bald äusserst heftig und steigert sich zeitweise bis zu kon¬
vulsivischen pertussisähnlichen Anfällen. Damit wird schleimig-eitriges und fast immer
mehr oder weniger mit Blut gemengtes Sputum zu Tage gefördert. Der Lungen¬
befund ist dabei meistens auffallend geringfügig. In diesem Stadium kann nun die
Krankheit ihr Fortschreiten einstellen und nach kürzerer oder längerer Dauer ausheilen.
In einem solchen Fall bleibt häufig der Lungenbefund definitiv negativ, was annehmen
lässt, dass sich die Entzündung auf Trachea und Bronchen beschränkt hat. Geht
die Entzündung tiefer, so stellen sich bald unter erheblicher Dyspnoe, feuchte und
trockene Rasselgeräusche ein, und es lassen sich zirkumskripte Dämpfungen nach-
weisen, welche sich ziemlich rasch vergrössern — es haben sich bronchopneumonische
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Herde gebildet, welche rasch wachsen und durch Konfluieren grossere Lungenpartieen
einnehmen können.
Sehr häufig und für die Streptomykose gegenüber der krupösen Pneumonie
charakteristisch ist dabei eine auffallende Inkongruenz der Erscheinun¬
gen, die auch schon von Finkler hervorgehoben wurde. Bei der kroupösen Pneu¬
monie hören wir über der Dämpfung wohl ausnahmslos Bronchialatmen. Bei den
Streptokokkenpneumonien finden wir oft ganz ausgedehnte intensive Dämpfungen nur
mit abgeschwächtem oder verschärftem Atmen und anderseits bronchiales Exspirium
und klingendes Rasseln bei vollkommen normalem Perkussionsschall. Ferner ganz
schwere Zustände mit hohem Fieber und Husten mit blutigem Auswurf bei absolut
negativem Lungenbefund und endlich deutliche Dämpfungen ohne Fieber und fast
ohne Husten bei ganz gutem Allgemeinzustand. Hand in Hand damit geht oft ein
äusserst rascher Wechsel der Erscheinungen. Verschwinden von Dämpfungen und
Bronchialatmen und klingendem Rasseln von einem Tag zum andern und Wieder¬
auftreten an anderer Stelle.
Auch Finkler sagt: „Die Erscheinungen der Pneumonie treten nicht deutlich her¬
vor. Die Dämpfungen sind relativ diffus, das Atemgeräusch verschärft, an keiner Stelle
recht bronchial, das Rasseln zäh, an vielen Stellen krepitierend, aber spärlich, an vielen
Stellen überhaupt nicht zu hören.“
Exquisites Bronchialatmen wie bei kroupöser Pneumonie habe ich fast nie ge¬
funden. Häufiger ist noch, trotz heftigem Husten und blutigem Auswurf, ein total
negativer Befund. Man muss da kleine, tiefliegende, bronchopneumonische Herde
annehmen, welche sich dem physikalischen Nachweis entziehen und sich nur durch
den Auswurf und die Dyspnoe manifestieren.
Namentlich in leichten Fällen können die Erscheinungen der Pneumonie ausser¬
ordentlich verwischt und gering sein: einige Stiche auf der Brust, etwas Husten und
Auswurf, anfangs Fieber und wenn dieses vorbei, was oft in 1—2 Tagen der Fall
ist, so bleibt trotz bestehender Dämpfung das Allgemeinbefinden nicht weiter gestört.
Diesen Verlauf illustriert folgender Fall.
Fall I. Frau S. M. kommt am 5. Mai 1904 zur Konsultation wegen Stechen
im Rücken rechts, beim Atmen. Sie war vor 3 Tagen erkrankt mit allgemeinem Un¬
wohlsein and Schmerzen in allen Gliedern. Dabei war auch der stechende Schmerz im
Rücken aufgetreten, der anfänglich sehr heftig war, dann aber nachliess und seitdem
andauert. Zu Beginn der Erkrankung hatte Patientin bald heiss, bald fröstelte sie,
(Fieber) dazu Kopfschmerzen. Schon am nächsten Tag war Patientin besser und
klagt momentan nur noch über die Stiche im Rücken; sie hustet wenig mit spärlichem,
weisslichem Auswurf. Patientin hat chronische Pharyngitis; sie leidet häufig an Schluck¬
schmerzen und hat schon dreimal Influenza durchgemacht. Befund: Chronische Phar¬
yngitis mittlerer Intensität. Auf den Lungen findet sich am Rücken rechts, in der Höhe
des Scapulawinkels, eine zirka handtellergrosse, ganz leichte Dämpfung, gerade an der
Stelle, wo Patientin die Stiche fühlt. Ueber derselben ist das Atemgeräusch erheblich ab¬
geschwächt, keine Rasselgeräusche. Der Rest der Lungen normal. Im Sputum finden
sich massenhaft Streptokokken in Reinkultur, ebenso im Pharynx.
Ein Fall, bei welchem die Autoinfektion vom Rachen aus deutlich konstatierbar
war, und bei welchem ich die Entwicklung der Krankheit von einfacher Koryza bis
zu schwerer Pneumonie direkt verfolgen konnte, ist folgender:
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176
F a 11 II. E. N., 20 Jahre alt, leidet häufig an Katarrhen der obern Luftwege
und an Rheumatismen. Vor einer Woche erkrankte er an heftigem Schnupfen, zu welchem
nach einigen Tagen etwas Husten mit Auswurf hinzu kam. Letzterer war hie und da mit
Blut gemengt. Das Allgemeinbefinden war so wenig gestört, dass Patient trotz seiner
Affektion an einem warmen Tag einen ziemlich weiten Spaziergang machte. Als er stark
erhitzt war, trank er kaltes Wasser. Schon in der darauffolgenden Nacht trat Fieber
auf mit starkem allgemeinem Krankheitsgefühl. (Erster Schub.) Ich sah den Patienten
am 16. Mai morgens. Er litt an Brustschmerzen und starkem Husten mit Auswurf.
Letzterer schleimig-eitrig, hie und da mit Blut vermischt. Temperatur 38.2, auf den
Lungen vorn einige trockene Rasseln, HÖR abgeschwächtes Atmen, keine Dämpfung.
17. Mai. HÖR Dämpfung; über dem obern Teil derselben bronchiales Exspirium,
über dem untern Teil nur abgeschwächtes Vesikuläratmen. Das Sputum reichlich, stark
mit Blut durchsetzt, diffus rötlich. In demselben, sowie im Nasensekret, reichlich
Streptokokken zu zwei und in kurzen Ketten, in Reinkultur.
18. Mai. Das Sputum enthält kein Blut mehr; objektiver Befund idem.
19. Mai. Sputum wieder stark blutig, Lungenbefund idem.
20. Mai. Morgens fieberlos; Lungenbefund idem. Nachmittags, unter hohem Fieber,
plötzlich starke Schmerzen in linker Seite HU; an dieser Stelle besteht am folgenden
Tag, am
21. Mai, eine Dämpfung mit abgeschwächtem Vesikuläratmen. (Zweiter|Schub.)
22. Mai. Patient fieberlos; HUL und HÖR Dämpfung mit abgeschwächtera Atmen.
Sputum noch etwas mit Blut gemengt.
Von da an erholte sich der Patient rasch. Das Blut verschwand nach einigen
Tagen difinitiv ans dem Sputum. Als am 26. Mai Patient aus der Behandlung vorläufig
entlassen wurde, waren Husten und Auswurf fast ganz verschwunden. Die Dämpfungen
waren aber kaum verändert. Wann dieselben verschwanden, konnte ich leider nicht
konstatieren, da sich Patient der Kontrolle entzog. Als ich ihn zwei Monate später
untersuchen konnte, waren die Lungen vollständig normal.
Nicht immer lässt sich das Tiefersteigen der Infektion bis in die Lungen so
schrittweise verfolgen. Oft treten auch die Pneumonieen ganz plötzlich und unver¬
mittelt ein, und dann oft mit grosser Heftigkeit. Für diese Fälle nimmt Finkler
eine Metastase auf dem Blutwege an. Ein solcher Fall war folgender:
Fall III. S. W., 58 Jahre alt, Alkoholiker. Patient hat seit Jahren häufig an
Muskelrhenmatismus gelitten. In letzter Zeit war er ganz wohl gewesen. Am 13. Mai
erkrankte er plötzlich mit heftigen Brustschmerzen rechts vorn, mit Husten und Auswurf;
starke Dyspnoe. Gegen Abend wurde der Auswurf blutig tingiert. Befund abends:
Patient sieht schwerkrank aus, Puls 108, schlecht gespannt, klein. Temperatur 38,1.
Auf den Lungen RV überall pleuritisches Reiben, keine Dämpfung, LV trockene Rhonchi.
RH, nach oben innen vom Scapulawinkel eine zirka handtellergrosse Dämpfung, in der
lateralen Hälfte fast absolut. Im Bereich der Dämpfung abgeschwächtes Vesikuläratmen,
kein Rasseln. Das Sputum reichlich, wässerig, leicht eitrig getrübt, stark blutig gefärbt,
enthält Diplostreptokokken in grossen Massen.
14. Mai. Zwölf Stunden später hat das Reiben vorn bedeutend abgenommen.
Temperatur 38,9, weniger Dyspnoe; das Sputum stets wässerig und stark bluthaltig.
Puls besser gespannt, Patient allgemein wohler.
15. Mai. Patient hat seit einigen Stunden wieder stärkere Schmerzen RV; er ist
benommen unklar. Abends Temperatur 38,7. Befund: auf rechter Lunge, vorn unten
eine intensive Dämpfung, ca. 8 cm hoch hinauf, nach hinten bis zur vordem Axillarlinie
reichend. Ueber derselben exquisites Bronchial atmen und klingende Rasseln.
16. Mai. Nachdem Patient in der Nacht stark deliriert hatte, tritt morgens früh
der Exitus ein.
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Bei diesen rasch verlaufenden, perniziösen Fällen handelt es sich jedenfalls um
Streptokokk&mie, d. h. um eine Bakterieemie, entstanden durch Resorptionsinfektion
( Tavel ) vom primären Herd im Rachen aus. Dafür spricht schon der Verlauf, der
stark an Sepsis erinnert.
Fast immer fallt bei den Streptomykosen der eigentümlich schubweise
Verlauf auf, der das ganze Bild zu einem äusserst wechselvollen gestaltet. Aus¬
genommen in perakuten, perniziösen Fällen ist der Beginn häufig wenig allarmierend:
Koryza, Katarrh der obern Luftwege, eventuell auch geringfügige Bronchitis, welcher
meist wenig Beachtung geschenkt wird.
In diesem Stadium kann die Krankheit auch zum Stillstand kommen und all¬
mählich, ohne zeitweise Verschlimmerung, ausheilen, oder, wenn sie imbehandelt bleibt,
unmerklich in das chronische Stadium übergehen. In andern Fällen dauert dieser
Zustand viele Wochen lang fast unverändert fort, bis endlich nach kürzerer oder
längerer Zeit ein ganz akuter Schub auftritt, oft ohne nachweisliche provozierende
Ursache, oft infolge Erkältung, Inhalation von Staub und Rauch, oder hervorgerufen
durch andere Momente, welche die Respirationsschleimhäute schädigen. Diese Schübe
gehen Hand in Hand mit einer stark erhöhten Toxinresorption und deren Begleiter¬
scheinungen, als: Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl und Muskelschmerzen, und
sehen frappant der Streptokokkengrippe ähnlich.
Auch Finkler sagt hierüber: „Die akuten Streptomykosen wie die Rekrudes-
zenzen der chronischen bieten oft eine erstaunliche Aehnlichkeit mit Influenza dar.
Diese Aehnlichkeit kann bis ins Detail gehen. a
Im weitern kann es bei diesem einen Anfall bleiben. Sehr häufig treten aber
zwei und mehr Schübe nacheinander auf, welche durch völlig fieberfreie Intervalle
getrennt sein können. Diese wiederholten Rekrudeszenzen können endlich einem
schwachen Organismus sehr gefährlich werden, und namentlich ein etwas schwaches
Herz kann endlich dem stets erneuten Ansturm des Streptotoxins erliegen. In Fall II
kam die Krankheit nach dem zweiten Schub zum Stillstand, während in Fall III,
wo es sich um einen ältern Alkoholiker handelte, der Patient dem zweiten Ansturm
erlag.
Ein Beispiel von sehr langer Dauer jenes fieberfreien Vorstadiums und zugleich
ein Beispiel eines negativen Lungenbefundes trotz relativ schweren Verlaufes mit
met&8tati8cher Nephritis ist folgender Fall.
Fall IV. N. Th., 6 Jahre alt. Patient leidet seit zirka 3 Monaten an Husten;
da derselbe nicht besonders stark war, and Patient dabei offenbar nicht herunter kam,
so wurde dem Husten keine weitere Beachtung geschenkt. Erst als am
4. April abendliches Fieber auf trat und der Husten heftiger wurde und auch nachts
nicht auf hörte, kam Patient in Behandlung. (Erster Schub.) Lungenbefund absolut
negativ. Sputum reichlich, schleimig-eitrig, enthält massenhaft Diplostreptokokken zu
zwei und in sehr langen Ketten.
17. April. Neuerdings akute Verschlimmerung. (Zweiter Schub.) Höhere Fieber¬
steigerungen; Patient stark angegriffen. Husten in heftigen Anfallen wie Pertussis mit
starken Einziehungen. Schmerzen in den Gliedern, besonders stark in rechter Sohulter.
Lungenbefund negativ.
19. April» Leichte Hmmoptoe; Patient klagt Bauchschmerzen, ist konstipiert; Colon
überall druckempfindlich.
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21. April. Patient hat Schmerzen beim Urinieren; der Harn leicht eiweisshaltig,
leichtes weisses Sediment, darin spärliche Diplostreptokokken, Epithelien. Fieber steigt
bis 40 t l°. Aaswurf stärker bluthaltig.
26. April. Husten weniger heftig, kein Blut mehr im Sputum. Temperatur nor¬
mal, auf den Lungen spärliche trockene Rasseln.
5. Mai. Auf den Lungen RHO und RVO spärliche zäh-feuchte Rhonchi; RHO ab¬
geschwächtes Vesikuläratmen, keine Dämpfung. Patient erholt sich, bekommt Appetit.
16. Mai. Husten nur noch gering, wenig Auswurf. RHO leicht abgeschwächtes
Atmen, keine Rasseln.
4. Juni. Patient hustet immer noch; Lungenbefund wieder absolut negativ.
Eines der auffallendsten Oharakteristiea der Streptomykosen ist die Neigung
zu Blutungen. Dieselben sind niemals sehr stark; Haemorrhagien wie bei Tuber¬
kulose habe ich niemals gesehen. Dafür sind sie um so häufiger und anhaltender.
Es gibt Patienten, welche wochenlang täglich einige blutige Bputa haben. Das
Blut ist meist dem eitrigen Schleim des Sputums beigemisoht, und damit innig ge¬
mengt. Hie und da kommen auch rein blutige Sputa vor. Der Grund dieser
häufigen Blutungen erklärt sich aus folgendem: Die Streptokokken dringen offenbar
nicht oder doch nur höchst selten in die Tiefe ein, eine Eigenschaft, welche sie mit
den Influenzabazillen teilen, welche ja auch eigentlich niemals in die Tiefe gehen.
Finkler nennt deshalb die Streptomykosen der tiefem Luftwege treffend „das Ery¬
sipel der Lunge a und findet anatomisch dabei intensive Rötung und Schwellung der
Schleimhaut. Bei genügender Virulenz der Kokken muss es nun häufig zu. ober¬
flächlichen Ulzerationen der Schleimhaut kommen, ganz analog den Ulzerationen,
welche man so häufig auf der Nasenschleimhaut bei Streptokokkenrhinitis findet.
Diese Ulzerationen sind offenbar die Ursache der kleinen Haemorrhagien und daraus
erklärt sich auch die lange Dauer und die meist geringe Intensität der Blutungen.
Der Husten der Streptomykosen ist fast immer äusserst heftig und gereizt
und nimmt häufig einen direkt konvulsivischen Charakter an. Man kann nicht selten
krampfhafte Hustenanfalle beobachten mit inspiratorischem Stridor, welche genau
Aussehen wie Pertussisanfalle, so dass eine Verwechslung mit Keuchhusten, namentlich
bei Kindern, oft leicht ist und wohl nicht selten Vorkommen mag. So habe ich in
zwei solchen Fällen, die von anderer Seite als Pertussis angesprochen worden waren
und bereits mehrere Wochen lang gedauert hatten, im Sputum reichlich Streptokokken
in Reinkultur nachweisen können und nachdem jede Pertussistherapie erfolglos ge¬
wesen war, mit Ichthyol einen durchschlagenden Erfolg erzielt.
Es kann sich natürlich auch eine echte Pertussis mit Streptokokken mischin¬
fizieren und können dabei schwere Lungenkomplikationen entstehen. In vielen Fällen
ist der Unterschied von der Pertussis darin zu suchen, dass bei letzterer das Fieber
zu Beginn, mit dem Stadium catarrhale auftritt, wo der Husten noch keinen kon¬
vulsiven Charakter hat, und bei Eintritt des Stadium convulsivum meist herunter
geht. Bei der akuten Streptömykose steigt das Fieber bei Eintritt des akuten Schubes
rasch an und gleichzeitig tritt auch der konvulsivische Husten auf, der mit dem
Abklingen des Schubes zugleich mit dem Fieber abnimmt.
So ist es jedoch nicht immer. Man sieht akute und subakute
Streptomykosen, bei welchen es niemals zu akuten Schüben
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mit Fieber und pneumonischen Erscheinungen kommt. Diese
Fälle sind charakteristisch durch ihren äusserst heftigen Husten mit oft blutigem
Auswurf, bei auffallend geringem, oft negativem Lungenbefund. Speziell diese Er¬
scheinungsform erinnert stark an die Pertussis,
Das Sputum ist in akuten Fällen, wie bereits erwähnt, meistens mit Blut
vermischt. Dagegen das rostfarbene Sputum der krouposen Pneumonie habe ich
niemals beobachtet (in 24 Fällen von Pneumonie) und da es auch Finkler nie
gesehen hat, so kann man ‘ annehmen, dass es bei Streptokokkenpneumonien über¬
haupt nicht vorkommt Dieser Umstand könnte in zweifelhaften Fällen als differen¬
tialdiagnostisches Merkmal gegenüber der kroupösen Pneumonie verwertet werden.
In einem Fall ausgesprochener Pneumonie mit deutlicher Dämpfung und Bronchial-
atmen war das Sputum einfach katarrhalisch, schleimig-eitrig.
Wassermann und Finlder finden, dass 68 oft spärlich ist oder ganz fehlt und
Finkler zieht daraus den Schluss, dass es sich im letztem Fall um eine unvermittelte
primäre (metastatische) Erkrankung des Lungengewebes selbst handelt. Ich finde
das Sputum fast immer sehr reichlich; auch in Fall III, wo es sich gemäss der
Auffassung Finlder ’s um Metastase handeln würde, war die Expektoration erheblich.
Zumeist ist das Sputum schleimig-eitrig, zäh und wird oft nach einigem Stehen zu
einer zäh-gallertigen Masse. Hie und da finden sich rein eitrige Flocken, was auf
eine Beteiligung der tiefem Bronchen schliessen lässt.
Im Sputum finden sich die Streptokokken stets in grossen Mengen vor und
zwar meistens fast in Reinkultur. Wie im Rachen, so sitzen sie auch hier mit Vor¬
liebe den grossen Epithelzellen auf, finden sich aber auch frei in grossen Massen vor.
Dazwischen finden sich gewöhnlich spärliche Bazillen verschiedener Form und Grösse,
Leptothrix, Sarzine und hie und da Pneumokokken. Denselben, speziell den letz¬
tem ist jedoch für diese Fälle eine pathogene Bedeutung nicht beizumessen, da sie
erstens in zu geringer Anzahl vorhanden, und ausserdem konstante Bewohner der
Luftwege sind.
Das Fieber der Streptomykosen ist äusserst kapriziös und eben durch seine
Regellosigkeit und seinen raschen Wechsel charakteristisch. Im grossen ganzen
herrscht wohl der hektische Typus vor, doch kann man häufig auch am Morgen und
während des Tages plötzliche Steigerungen bis 40 0 und mehr innerhalb ganz kurzer
Zeit und darnach eben so raschen Abfall fast bis zur Norm sehen. Ich habe z. B.
nicht selten innert einer Stunde einen Aufstieg von 37,5 bis über 40° und darnach
einen fast eben so raschen Abfall unter 38° mit nachmaligem neuerlichen Ansteigen
gesehen. Bei diesem raschen Wechsel gibt eine Kurve, welche nur die Morgen- und
Abendtemperaturen markiert, gar kein richtiges Bild des Fieberverlaufes. Eine Kurve
aber, welche 1—2stündliche Temperaturen enthält, stellt eine äusserst zackige Linie mit
langen Spitzen dar. Bei diesem raschen Ansteigen habe ich niemals Schüttel¬
fröste gesehen. Finkler sah solche in den seltensten Fällen im Beginn der Krank¬
heit, im weitem Verlauf ebenfalls nie.
Auffallend ist oft der Gegensatz zwischen der Intensität der nachweislichen Er¬
krankung und der Temperatur. In Fällen mit ausgebreiteten Dämpfungen und reich¬
lichen Rasselgeräuschen erhebt sich das Fieber oft kaum über 38° und in Fällen
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mit ganz geringfügigem, ja negativem Befand, habe ich es tagelang kaum unter 40°
herunter bringen können. Nicht selten habe ich z. B. Kinder mit ganz deutlichen
Dämpfungen und klingenden Rasseln, absolut fieberlos und ganz zufrieden spielend
angetroffen. In diesen Fällen aber kann es dann Vorkommen, dass ohne ersichtlichen
Grund und ohne Aenderung des objektiven Befundes das Fieber ganz plötzlich in die
Höhe schnellt, um nach ganz kurzer Dauer von vielleicht einer Stunde eben so rasch
wieder herunter zu gehen.
Die Komplikationen der Lungenstreptomykosen sind dieselben wie bei
der Streptokokkeninfluenza und ich habe zu dem oben gesagten nicht viel hinzuzu¬
fugen. Die praktisch wichtigste Folgeerscheinung ist wohl die Pleuritis exsudativa,
welche, wie oben ausgeführt, als toxische aufgefasst werden muss, so lange das Ex¬
sudat serös bleibt. Sie kann, besonders wenn sie linksseitig auftritt und durch grosses
Exsudat zu Herzverdrängung führt, ihrerseits das Krankheitsbild vollständig beherr¬
schen. Husten und Auswurf bestehen dabei natürlich fort, können aber relativ ge¬
ringfügig sein, so dass sie gegenüber den Erscheinungen der Pleuritis ganz in den
Hintergrund treten. Man kann oft direkt beobachten, wie unmittelbar nach einem
erneuten Schub in den Lungen, wobei eine plötzliche, stark vermehrte Toxinproduk¬
tion zustande kommt, sich das pleuritische Exsudat bildet oder ein schon vorhan¬
denes sich plötzlich stark vergrössert.
Eine weitere, fast ausnahmslos auftretende Folgeerscheinung der Lungenstrepto-
mykose sind Störungen der Yerdauung, namentlich im Darm. Wie schon
oben erwähnt, wirkt das Toxin vom Blut aus und übt seine lähmende Wirkung auf
die drüsigen Apparate des Verdauungtraktus und (ob direkt oder indirekt lasse ich
dahingestellt) auch auf die Muskulatur desselben aus. So leidet die Yerdauung und
auch die Resorption schwer und an Stelle der normalen Umsetzungen treten abnorme
Zersetzungs- und Gährungsvorgänge. Es besteht vorerst absolute Appetitlosigkeit und
Konstipation. Bald aber, wenn die Zersetzung des Darminhaltes weit genug vorge¬
schritten ist, wird der Darm durch die Zersetzungsprodukte direkt gereizt, und es
entstehen Bauchschmerzen und weiterhin endlich Diarrhoe mit oft entsetzlich stinken¬
den Entleerungen. Zu dieser letzten Konsequenz, der Diarrhoe, kommt es aber nicht
immer. Dagegen sind Konstipation und namentlich die Bauchschmerzen fast kon¬
stante Begleiter der akuten Streptomykosen und ich habe sie, namentlich in schwe¬
reren Fällen eigentlich nie vermisst.
Das macht es verständlich, dass, wie Finlder erzählt, einige seiner Fälle an¬
fangs für Typhus gehalten worden waren. Die Bauchschmerzen, Konstipation, dazu
Husten mit relativ geringem objektivem Befund und hohes Fieber, können wohl eine
Zeit lang den Yerdacht auf beginnenden Typhus auf kommen lassen. In der Folge
ändert sich allerdings das Bild bald, indem man sich überzeugt, dass der Darm
nicht wirklich erkrankt ist, und indem die Lungenerscheinungen in den Yordergrund
treten.
Diese Darmstörungen können ihrerseits wieder weitere Konsequenzen haben.
So habe ich bei kleinen Kindern infolge dessen Convulsionen auftreten sehen, welche
in einem Fall ihrerseits wieder dem Patienten gefährlich wurden.
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Die Diagnose der akuten Lungenstreptomykosen bietet trotz der ausser¬
ordentlichen Vielgestaltigkeit derselben meistens keine besonderen Schwierigkeiten.
In differentialdiagnostischer Hinsicht kann in gewissen Fällen hauptsächlich die
kroupose Pneumonie in Frage kommen. Der Beginn kann in beiden Fällen akut und
der objektive Befund der Streptomykose anfangs gleich wie bei kroupöser Pneumonie
sein. Bei ersterer fehlt jedoch das rostfarbene sog. pneumonische Sputum und im
weitern wird der charakteristische wechselvolle Verlauf der Streptomykose bald die
sichere Entscheidung ermöglichen. Schwierig ist in gewissen, langdauernden Fällen
mit starkem Husten und negativem Befund oft die Differentialdiagnose gegenüber
Pertussis. In diesen, wie überhaupt in allen Fällen, entscheidet schliesslich mit
Sicherheit nur der Nachweis der Streptokokken im Sputum. Dieser Nachweis ist
stets leicht zu führen, weil, wie oben angeführt, die Streptokokken sich immer in
grosser Menge und fast in Reinkultur im Sputum vorfinden.
Die Prognose: Finkler hält die Prognose der Streptokokkenpneumonieen
für sehr dubiös. Das kommt aber daher, dass er offenbar nur ganz schwere Fälle
beobachtet hat. Nach ihm verfolgte Wassermann eine Epidemie in Berlin, bei wel¬
cher alle Fälle ausnahmslos günstig verliefen. Er hält deshalb die Lungenstrepto¬
mykosen für ungefährlich. Nach meinen Erfahrungen halte ich die Prognose, abge¬
sehen von den schweren perniziösen Fällen, im allgemeinen ebenfalls für gut. In
24 Fällen von Pneumonie habe ich nur einen Exitus erlebt. (Fall III.) Es ist oft
auffallend, wie ganz schwere Veränderungen noch zur Heilung kommen, und noch
restitutio ad integrum eintritt, wo man eine solche gar nicht erwarten konnte. So
behandelte Finkler einen Mann an schwerer Streptokokkenpneumonie, nach deren
Ablauf sich eine ganz gewaltige Schrumpfung der betreffenden Seite einstellte.
Patient heilte vollkommen aus und sogar die Retraktion verschwand und es trat eine
völlige restitutio ad integrum ein.
Einen ähnlichen schweren Fall, der, mit Lungenabszess kompliziert, zur völligen
Heilung kam, habe ich selber gesehen.
Fall V. Frau R., 24 Jahre alt. 9. Mai. Patientin steht am Ende ihrer ersten
Schwangerschaft, welche, abgesehen von einigen epileptischen Anfällen, die auch schon
früher periodisch aufgetreten waren, ohne Besonderheiten verlaufen war. Sie war gestern
erkrankt mit Husten und Atembeengung, welch letztere heute stark zugenommen hatte.
Auf den Lungen finden sich vorn beiderseits reichlich trockene Rasselgeräusche, keine
Dämpfung; hinten nichts abnormes. Patientin atmet dyspnoisch und ist deutlich cyano-
tisch. Am ganzen Körper erhebliches Oedem, welches erst heute entstanden sein soll.
Der Harn enthält reichlioh Eiweiss, die Menge in den letzten 24 Standen zirka */* Liter. Am
11. Mai nachts erfolgte die normale Oebnrt, worauf bis am 15. Mai der Verlauf
ohne Besonderheiten blieb. Am
15. Mai klagt Patientin über Schmerzen beim Atmen in der rechten Brustseite und am
nächsten Tag liess sich eine deutliche Dämpfung RHU konstatieren; zugleich nahmen Husten
und Auswurf zu. Die Temperatur war meist hoch, über 39 °, dabei aber auffallend
wechselnd, mit häufigen Remissionen. Ueber der Dämpfung war vorerst nur abgeschwächtes
Vesikuläratmen und kein Rasseln zu hören. Erst am 20. Mai wurde ausgesprochenes
Bronchialatmen und am Rande der Dämpfung klingendes Rasseln hörbar. Am
24. Mai bekam der Auswurf, der bisher nicht pneumonisch und ohne Blutbeiroen-
gung, sondern nur schleimig-eitrig gewesen war, einen äusserst widerlichen, fauligen und
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sehr intensiven Qeruoh, der an Lungengrangrän denken lies«. Die Menge dieses Sputums
wurde dabei auffallend gross. Am
25. Mai wurde am Rücken über der intensivsten Dämpfung eine Probepnnktion
vorgenommen und damit ans einer Tiefe von ca. 7 cm ungefähr 10 ccm stinkenden Eiters
entleert damit die Diagnose Lungenabszess gesichert. Dieser Eiter enthielt neben zahl¬
reichen Fäulnisbakterien hauptsächlich Streptokokken. Auf diesen Befund hin
entschloss ich mich auf den Rat von Hm. Prof. Sahli einen Versuch mit Streptokokken-
serum zu machen. Am
31. Mai erhielt Patientin die erste Injektion (2 Tuben) and von da an täglich eine
Tube bis zum 7. Juni.
Am 2. Juni konnte man bereits ein Zurückgehen der Dämpfung konstatieren, und
am 3. Juni wurde das Sputum rein-eitrig und der üble Qeruoh hatte ganz erheblich ab-
genommen. Ueberhaupt trat im allgemeinen eine ganz deutliche Besserung ein.
Am 15* Juni nachts entleerte Patientin plötzlich unter heftigem Husten eine grosse
Menge stinkenden Eiters und das Sputum wurde wieder übelriechender. Sie erhielt nun
täglich eine intratracheale Injektion von 2,0 Oleum eucalypti 2°/o, womit langsame
aber stetige Besserung ein trat. Die Injektionen wurden bis am 4. Juli fortgesetzt.
Patientin ging dann in einen Höhenkurort. Bei ihrer Abreise war die Dämpfung noch
nachweislich und es bestand noch etwas Husten und Auswurf. Dieselben verloren sich
aber nach and nach vollständig, und Patientin ist heute noch, (nach 3 Jahren) voll¬
kommen gesund.
Ueber die Anatomie der Lungenstreptomykosen kann ich aus eigener Erfah¬
rung nicht berichten, da ich keine Gelegenheit hatte, Autopsien vorzunehmen. Nach
Finkler handelt es sich nicht um kroupöse, d. h. fibrinöse Pneumonieen und nie um
lobäres Auftreten, sondern um lobuläre zeitige Pneumonieen. Diese lo¬
bulären Herde können in grosser Anzahl vorhanden sein und zu grösseren Herden
Zusammenflüssen, so dass unter Umständen auch eine Lobärpneumonie vorgetäuscht
werden kann. Infolgedessen, weil die anatomische Veränderung keine superfizielle
ist, wie bei der kroupösen Pneumonie, sondern eine interstitielle, halten sich die Re¬
siduen der Krankheit oft ausserordentlich lange. Man kann oft monatelang nach dem
Ueberstehen einer Pneumonie noch die Dämpfung nachweisen, welche nur äusserst
langsam, aber endlich doch vollständig verschwindet.
Im Gegensatz dazu findet man im akuten Stadium oft einen so raschen Wechsel
des physikalischen Befundes, ein Verschwinden von Dämpfungen, Bronchialatmen und
klingendem Rasseln von einem Tag zum andern, dass man in diesen Fällen wohl
fibrinöse Pneumonieen annehmen muss. Man kann das um so unbedenklicher, als ja
die Streptokokken häufig fibrinöse Entzündung an Schleimhäuten hervorrufen. Eine
exakte Feststellung dieser Verhältnisse muss weitern Forschungen überlassen werden.
2. Die chronisch verlaufenden Infektionen.
Die Streptomykoeen haben eine starke Tendenz zur Chronizität. Sie ver¬
alten äusserst rasch und werden dann viel schwerer heilbar. Wenn in frischen
Fällen eine rationelle Therapie rasch und energisch eingeleitet wird, so kann man
in den meisten Fällen in relativ kurzer Zeit eine völlige Heilung erreichen. Nach
einigen Wochen sind die Chancen für eine rasche Heilung schon ganz bedeutend
geringer und nach 3—4 Monaten verhält sich die Krankheit bereits wie eine
chronische.
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Die chronische Streptomykose der Langen geht meistens aus der akuten hervor.
Es gibt jedoch auch Fälle, welche zum vornherein chronisch auftreten ohne nachweis¬
lichen akuten Beginn.
ln Fällen mit akutem Beginn ist dieser letztere durchaus nicht immer sehr
stürmisch, mit manifesten Pneumonien und hohem Fieber. Der Patient bekommt
einfach einen akuten Katarrh mit etwas Fieber und Allgemeinsymptomen. Nach
einigen Tagen fühlt er sich besser, nur der Husten bleibt bestehen. Wenn dieser
auf die gewöhnlichen Hausmittel nicht sistiert, so geht der Patient zum Arzt und
lässt sich ein Expektorans verschreiben. Die gewöhnlichen Expektorantien (Ammo¬
niak, Ipecacuanha etc.) helfen nun meistens nicht viel, und wenn schliesslich alles
nichts nützt, so gewöhnt sich der Patient mit der Zeit an seinen Husten und das
um so unbedenklicher, als sehr häufig der Allgemeinzustand sehr wenig leidet. So
entwickelt sich die chronische Streptomykose.
Ist der Husten, wie sehr häufig, stark und lästig, magert der Patient ab und
stellt sich dazu noch Hsemoptoe ein, so wird der Patient leicht als Phthisiker betrachtet
und mit Kreosotpräparaten behandelt, welche da sehr oft auch nicht zum Ziele führen,
oder er wird in ein Lungensanatorium geschickt. Manchem wird in diesem Stadium
ganz ungerechter Weise die niederschmetternde Diagnose „Schwindsucht“ an den Hals
geworfen und damit sein ganzer Lebensplan zerstört.
Der weitere Verlauf der Krankheit gestaltet sich je nach den Umständen äus-
aerst verschieden. Leichte Fälle werden im Allgemeinbefinden meistens wenig beein¬
flusst. Die Patienten gewöhnen sich an ihren Husten und da zeitweise auch freie
Intervalle ohne Husten Vorkommen, so bleiben diese Fälle häufig ohne Behandlung.
Solche Patienten können auch unbehandelt und ungeheilt alt werden, nachdem sie
Jahrzehnte lang gehustet haben.
Mittelschwere und ganz besonders schwere Fälle haben in ihrem Verlauf grosse
Aehnlichkeit mit der tuberkulösen Phthise. Alle Verlaufseigentümlichkeiten und
Symptome der Phthise wiederholen sich hier und werden oft so genau kopiert, dass
ohne bakteriologische Untersuchung eine Unterscheidung unmöglich und mit derselben
sogar oft nicht sicher möglich ist.
Auch Finkler hebt die frappante Aehnlichkeit der chronischen Streptomykose
mit der Phthise hervor und auch er findet, dass die Analogie oft bis in die Details
vorhanden ist. Bei beiden Krankheiten finden sich die allgemeinen Ernährungsstö¬
rungen, die zeitweiligen Nachtschweisse, die Herzschwäche der schweren Fälle, das
wechselnde Verhalten der im allgemeinen niedrigen Temperaturen.
Auch der objektive Befund bietet kein sicheres Unterscheidungsmerkmal.
Wenn die Streptomykose nicht zu alt ist, so findet man auch bei ihr Infiltrationen
mit Dämpfungen und alle Arten von Rasselgeräuschen. Im allgemeinen ist jedoch
der Befund geringer als bei Tuberkulose, oft auffallend gering. Ich habe z. B. zwei
sichere Fälle reiner Streptomykose gesehen, (keine Tuberkelbazillen laut Bericht des
bakteriologischen Instituts und negativer Ausfall der Tuberkulinprobe) mit wochen¬
langer starker Hromoptoe im Beginn, und später Nachtschweissen und allgemeiner
Abmagerung, bei welchen objektiv niemals mehr zu finden war als etwas verlängertes
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Exspirium in den obern Lungenpartien. (Beide Fälle gelangten unter der später zu
erwähnenden Ichthyolbehandlung zu vollständiger Heilung.)
In alten Fällen findet man objektiv meist die Symptome eines trockenen Ka¬
tarrhs, stellenweise abgeschwächtes Atmen, zuweilen diffuse trockene Bronchitis, oft
nur verlängertes Exspirium. Wenn in diesen Fällen, ohne dass akute Erscheinungen
auftreten, Dämpfungen und deutliches Broncbialatmen sich ausbilden, so werden die¬
selben der Komplikation mit Tuberkulose äusserst verdächtig. Hsemoptoe ist in
diesen alten Fällen auch fast nie mehr zu finden. Die häufigen Blutungen scheinen
mehr dem akuten oder dem Beginn des chronischen Stadiums anzugehören, wo es
noch zu oberflächlichen Ulcerationen in den Bronchen kommt. In den späteren Sta¬
dien, wo es sich mehr um sklerosierende Bindegewebsneubildung handelt, erwecken
Blutbeimengungen zum Sputum schon den Verdacht auf komplizierende Tuberkulose.
Charakteristisch für die chronische Streptomykose sind die periodisch auftreten.-
den Exacerbationen, welche jeweilen eine erstaunliche Aehnüchkeit mit Influenza
haben und wohl auch oft als solche angesprochen werden. Mit Fieber, Kopf- und
Gliederschmerzen und allgemeinem Krankheitsgefühl setzt der Anfall ein und wird
dann von mehr oder weniger erheblichen Verschlimmerungen auf den Lungen gefolgt,
welche wie die oben beschriebene akute Lungenstreptomykose verlaufen. Nach deren
Ablauf tritt dann allmählig der Status quo aute wieder ein.
Die Prognose der chronischen Streptomykose ist im allgemeinen eine recht
gute. Wenn auch in schweren Fällen erhebliche Ernährungsstörungen eintreten
können, so leidet doch in der grossen Mehrzahl der Fälle der Allgemeinzustand auf¬
fallend wenig. Gar nicht selten sieht man solche Patienten nach jahrzehntelanger
Dauer der Krankheit dick und fett werden. Es mag das daher kommen, dass es
auch in alten Fällen niemals zu Zerfall des Lungengewebes kommt, solange nicht
Mischinfektion mit Tuberkulose eintritt.
Gerade darin liegt der grosse Unterschied von der Phthise und er macht es
notwendig in jedem, irgendwie zweifelhaften Fall, das Sputum bakteriologisch zu
untersuchen und eventuell den Patienten der Tuberkulinprobe zu unterwerfen, um
zu einer sichern Diagnose um jeden Preis zu gelangen. Denn schon für die Therapie,
dann aber namentlich für den Patienten, macht es einen gewaltigen Unterschied aus,
ob man ihn für phthisisch erklärt, oder aber ihm eine Krankheit diagnostiziert, die
meistens und definitiv heilbar und wenn auch ungeheilt, relativ ungefährlich ist und
ihn in seinem Lebensplan nicht wesentlich stört. (Schluss folgt.)
Vereinsfberichte.
Gesellschaft der Aerzte des Kantons Zürich.
Ordentliche Herhst-Sltcang, Dienstag', den 29. iVnvember 1904, 10 Uhr Vera.
!■ GressuOngter-ScbnlbaBSt. 1 )
Präsident: Dr. Armin Huber — Aktuar: Dr. Friedr. Homer.
Als Gast anwesend: Hr. Dr. F . Schmid , Direktor des Schweiz. Gesundheitsamtes in Bern.
Der Vorsitzende gedenkt in seinem Eröffnungsworte der bedeutungsvollen Abstimmung
des verständigen Zürchervolkes vom 27. November, dank welcher mit 53000 gegen 23000
*) Eingegangen 4. Februar 1905. Red.
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Stimmen die Initiative für Freigabe der arzneilosen Heilweise im Kanton Zürich verworfen
wurde. Er spricht seinen Dank aus allen denen, welche durch ihre tatkräftige Unter*
Stützung es ermöglicht haben, dem Gegner eine solche Niederlage zu bereiten und betont,
dass die gegnerische Bewegung wohl keine so grosse Ausdehnung hätte gewinnen können,
wenn die Fühlung aller Aerzte mit unserer Bevölkerung eine noch intimere gewesen wäre.
Der Aerztestand Zürichs soll sich nun fernerhin würdig erweisen des Vertrauens, das ihm
das Volk mit dieser prächtigen Abstimmung bewiesen hat. Keine Mühe soll gescheut,
kein ehrliches Mittel unversucht bleiben, um die noch Abtrünnigen unter den Aerzten der
kantonalen Gesellschaft zuzuführen.
Die Zahl der Mitglieder ist immerhin inzwischen auf 251 angewachsen, sodast
heute ein 6. Delegierter in den Zentralverein zu wählen sein wird.
Neu eingetreten sind in die Gesellschaft seit dem Frühjahr die Herren: Brunner
jun., Küsnacht; Bürgt, Wädenswil; Guggenbühl , Zürich I; Hämig , Zürioh II|; Lutz, Walli¬
sellen ; Martin, Privatdozent, Zürich V; Rodari , Zürich I.
Gestorben sind: Dr. Weber, Schlieren und Dr. Keller , Uster. Der Vorsitzende
widmet den beiden verstorbenen Kollegen einen herzlichen Nachruf und die Gesellschaft
erhebt sich zu ihrer Ehrung von den Sitzen.
Dem Herrn Dr. C. Bahn-Meyer in Zürioh, der, aus einer alten zürcherischen Aerzte-
famiüe stammend, seit 1854, d. h. seit 50 Jahren, der Gesellschaft als treues Mitglied
angehört hat, werden durch den Präsidenten die herzlichsten Glückwünsche seiner Kollegen
— ad multos annos — dargebracht und dem Jubilar, dessen Leben und Wirken der
Vorsitzende in kurzen Zügen schildert, eine Urkunde überreicht. Hr. Dr. Bahn verdankt
in warmen Worten die ihm zu teil gewordene Ehrung — er erinnert sieh mit Freuden
der 50 Jahre seiner Mitgliedschaft und wünscht seinerseits der Gesellschaft fernerhin, festes
Zusammenhalten und gutes Gedeihen.
Herr Dr. Hans Meyer-Rüegg: Gfiakthfiseke nad gebnrtebllliehe liUellnagen-
(Autoreferat.)
1. Herstellung der Sims* sehen 8eitenlage. Verfi hat sich schon
oft geärgert, mitansehen zu müssen, mit welcher Unbeholfenheit und Langsamkeit unsere
Hebammen und Wärterinnen die Sims 1 sehe Seitenlage, und dabei noch meist eine unrichtige,
hersteilen, wenn es gilt, beim Durchschneiden des Kopfes den Damm zu stützen oder
einen frischen Dammriss zu nähen etc. Die beste, doch wenig geübte Methode ist folgender
Noch während man der Frau erklärt, man werde sie jetzt auf die linke Seite legen und ihr
empfiehlt, sich dabei ganz passiv zu verhalten, nicht mithelfen zu wollen, erfasst man mit
beiden Armen die Oberschenkel und zieht sie über die Mitte des Bettrandes heraus.
Sobald der Steiss ordentlich überhängt, schlägt man das rechte Bein über das linke,
drängt auch die reohte Schulter etwas hinüber — und die Frau liegt in der^vollkom¬
mensten 8, - Seitenlage: Steiss ganz am Rande des Bettes, während die Schultern noch
fast in der Mitte desselben sich befinden, (die Frau läuft deshalb nicht Gefahr heraus¬
zurollen); linke Wange und Brust sind der Unterlage aufgedrückt, beide Beine stark an
den Leib angezogen, das reohte etwas mehr als das linke, so dass das rechte Knie ober¬
halb des linken auf der Unterlage aufliegt. — In ähnlicher Weise kann Querbett im Nu
hergestellt werden; nur sind dabei 2 Personen nötig. Während die eine wiederum die
Frau an den Oberschenkeln mit samt der Unterlage über die Mitte des Bettrandes heraus¬
zieht, dreht die andere die Schultern samt den Kissen an den entgegengesetzten Bettrand.
— Die schwersten Leute sind auf diese Weise spielend umzulagern.
2. Zellulose-Papier als Ersatz für Windeln und Unterlagen.
Es wird in 5 Kilo schweren Rollen (174 m eines 75 cm breiten Streifens) hergestellt. 1 )
Beim Gebrauch reiset man ein quadratisches Stück ab, falzt es zweimal zusammen und
hat einen Ersatz für die Molton-Unterlage; ein zweites Quadrat wird über die Ecken
*) Zu beziehen bei Bareiss, Wieland & Co. in Zürich.
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gefalzt zu einem Dreizipfel nnd ersetzt die Windelhöschen. Beide übereinandergelegte
Papier unterlagen saugen den Urin von 1—2 Entleerungen vollständig auf. Auoh um den
Stuhl zu lokalisieren, d. h. ein Verschmieren desselben zu vermeiden, sind sie dienlich.
Besondere Vorteile gewährt ihr Gebrauch auf grossen Reisen, bei Wassermangel, bei
ansteckenden Krankheiten, vielleicht auch bei nässenden Ekzemen. Eine Doppelunterlage
d. h. 2 mal 75 cm im Quadrat kostet zirka 6,5 Rappen.
3. Demonstration einer Darstellung« weise gynäkologischer
Befunde, welche von der gewöhnlichen etwas abweicht und in einem demnächst
erscheinenden Kompendium der Gynäkologie des Vortr. mehrfach verwendet wurde. Er
setzte sich zum Ziel den Akt der bimanuellen Untersuchung mitsamt dem gynäko¬
logischen Befunde, so wie der Untersucher ihn tastet und ihn sich vorstellt zur Darstellung
zu bringen. Standpunkt ist derjenige eines mit der rechten Hand explorierenden Unter¬
suchers. Horizont liegt auf der Höhe der Schamfuge. Dadurch, dass an der von vorn-seitlich
gesehenen, mit gespreizten Beinen daliegenden Frau die Unterschenkel, namentlich der
rechte, weggelassen wurde, blieb in der rechten Höftgelenkgegend, die dem Beschauer
zugekehrt und am nächsten ist, eine weisse Fläche, gross genug, um die gynäkologischen
Befunde auszuzeichnen. Die nötige perspektivische Vertiefung wurde einerseits durch
entsprechende Verkürzung der explorierenden Finger, hauptsächlich aber durch starke
Schattierung und Modellierung der äusserlicb sichtbaren Teile, dagegen blosse Kontourie-
rung oder nur leichte Tonierung der inneren, nur sichtbar gedachten Organe zu erreichen
gesucht. — Den Hauptvorzug dieser Methode, die nur für die Reproduktion passt, sieht
Vortr. darin, dass dem Anfänger in deutlicherer Weise als auf Durchschnitten gezeigt
werden kann, was er zu fühlen hat und w i e er zum Tastbefunde kommt.
4. Anknüpfend an einen vor 3 Jahren in der kantonalen Aerzte-Gesellschaft über
den Gebrauch des Colpeurynter gehaltenen Vortrag spricht Vortr. über den
Dilatator von Bossi. Nach Hervorhebung der dieses Instrumeot besonders kenn¬
zeichnenden Eigentümlichkeiten und einlässlicher Schilderong seiner Handhabung lässt er
sich über seine Leistungsfähigkeit aus. Nicht bloss die Erweiterung bei ver¬
strichener Portio vaginalis, wo der Muttermund nach Entfaltung des Cervikalkanals
nur ein Loch in der verdünnten Wand des untern Gebärmutterabschnittes darstellt, bringt
er in relativ kurzer Zeit zu Stande; auoh bei noch erhaltenem Oervikalkanal darf man
es wagen, den Bossi anzuwenden; er besitzt eben, neben der rein mechanischen Wirkung,
noch stark wehenerregende Eigenschaft, so dass während der Erweiterung der Oervikal¬
kanal rasch sich entfaltet. Damit die Wehe aber sich voll auswirken kann, darf während
derselben nicht weiter geschraubt werden. — Um die natürlichen Vorgänge bei der Dila¬
tation noch mehr nachzuabmen, empfiehlt der Vortr., von Zeit zu Zeit den Muttermunds-
saum durch leichtes Zurüokschrauben zu entspannen, damit die Zirkulation sich vorüber¬
gehend wieder hersteilen könne und das Gewebe dadurch seine Elastizität eher beibehalte»
— Er macht sodann auf die Gefahr der Zerreissung aufmerksam und glanbt mit Leopold ,
dass dieselbe bei grösster Vorsicht, sehr langsamem Vorgehen und zeit weisem Zurüok¬
schrauben auf ein Minimum zu beschränken sei. Er hat nur in 3 Fällen (Eklampsie,
Endometritis septioa, künstliche Frühgeburt) Gelegenheit gehabt, den Bossi anzuwenden
(kurze Schilderung der Fälle), stets mit bestem Erfolge und ohne Verletzungen.
In folgenden Punkten ist der Bossi dem Colpeurynter (beider Indikationen decken
sich nicht vollständig) überlegen. 1. Er ist stets gebrauchsbereit und zuverlässig (der
Colpeurynter verdirbt rasch und erweist sich mitunter erst beim Gebrauch defekt). 2. Die
Einführung des Bossi ist leichter als diejenige des Colpeurynter. 3. Die Infektionsgefahr
ist dabei geringer als bei Anwendung des Colpeurynter, bei dessen Einführung Scheide
und Cervikalkanal von aussen nach innen abgefegt werden und hernach durch die auf¬
geblähte Blase der Abfluss versperrt wird. 4. Bossi wirkt mit Sicherheit erweiternd und
wehenerregend, während der erweiternde und wehenerregende Effekt des Colpeurynter oft
ausbleibt. 5. Bossi drängt den vorliegenden Teil nur wenig oder gar nicht zurück;
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der Colpeurynter disloziert ihn hoch über das Becken hinauf. — Bo sei leistet vortreffliche
Dienste bei Eklampsie, septischer Endometritis, Ablösung der Placenta vom normalen Sitz
und andern Erkrankungen der Mütter, welche eine schleunige Entbindung erheischen, ferner
bei völligem Stillstand einer schon lange dauernden Geburt, sowie bei Nabelschnurverfall
und als Ersatz für die Sectio cmsarea in agone und post mortem. Auch zur Einleitung
der künstlichen Frühgeburt bat er sich vorzüglich bewährt. Bei Placenta previa ist eine
völlige Erweiterung wegen Zerreissungsgefahr nicht zu empfehlen. Das ifom’sche
Instrument verleiht dem Geburtshelfer ein vermehrtes Selbstvertrauen und das Gefühl,
dass er auf alle vorkommenden Fälle eher gewappnet sei als früher. Eine Gefahr
würde aber seine allgemeine Einführung und Verbreitung unter den Aersten bedeuten,
weil leicht Missbrauch damit getrieben werden und deshalb die Zahl der schweren Ver¬
letzungsfälle rasch zunehmen könnte.
Diskussion: Hr. Dr. Meyer- Wirz referiert über einen Fall aus der Praxis des
Hr. Dr. Wilh, t>. Muralt , in welchem das Bom’sche Instrument direkt lebensrettend wirkte.
Es handelte sich um eine eklamptische junge Frau in schwerem Koma, mit kaum fühl¬
barem Puls, bei welcher mit Hilfe des Dilatators von Bossi die künstliche Frühgeburt
eingeleitet und die Frau gerettet wurde. Votant hat das Instrument auch einmal bei
Placenta praevia verwendet, bis der Muttermund für 2 Finger durchgängig war. Auch er
hat bis anhin keinen Fall zu verzeichnen, der zu ungunsten des Nosst’schen Instrumentes
spräche, trotzdem er dasselbe relativ häuüg zu benutzen Gelegenheit hatte.
Hr. Dr. Schwarzenbach möchte doch auf die Gefahren hinweisen, welche die
Anwendung des Bossi in sich schliesst. Die jüngste Publikation aus der Leopold' sehen
Klinik, welche das Instrument populär gemacht hat, berichtet doch auch über ernste
Verletzungen, z. B. beidseitige tiefe Einrisse des Cervikalkanals, welche genäht werden
mussten. Auch nach Leopold soll der 2fo5*»’sohe Dilatator nur angewendet werden, wenn
eine direkte Lebensgefahr für die Mutter vorliegt. Dt. Schwarzenbach hat seine „Tulpe“
2 mal angewendet, einmal mit, einmal ohne Erfolg.
Hr. Dr. Meyer-Rüegg möchte keineswegs über die Schwarzenbach'sehe „Tulpe“
einen Tadel aussprechen, er ist nur der Ansicht, dass ihre Anwendung etwas
schwierig sei. Er gibt zu, dass der Bossi in unvorsichtigen Händen freilioh gefährlich
werden könne.
Eine ansehnliche Korona von zirka 90 Kollegen hatte sich inzwischen im Sitzungs*
saale eingefunden, darunter zu allseitiger Freude und Genugtuung eine stattliche Anzahl
von Professoren der medizinischen Fakultät.
Der Präsident, Dr. Armin Huber und der Aktuar, Dr. Friedr. Homer , ersterer
nach 3jähriger, letzterer nach Ojähriger Amtsdauer, hatten sioh im Frühjahr bereit erklärt,
bis zur Volksabstimmung über die Initiative im Amte zu verbleiben. Jetzt ersuchen die
beiden um ihre Entlassung aus dem Vorstande.
Neuwahl des Präsidenten: Im I. Wahlgang erhält die meisten Stimmen: Dr.
Hans Naefy Zürich IV, welcher jedoch auf seiner schon 1901 abgegebenen Erklärung
beharrt, dass er eine Wahl nicht annehmeu könne. Ihm zunächst steht an Stimmenzahl
Dr. G. Leuch , Zürich II, welcher im II. Wahlgang mit 63 Stimmen von 87 zum Präsi¬
denten gewählt wird.
Der Vorsitzende erstattet Bericht über eine Motion einer ärztlichen Bezirksgesellschaft
betr. Errichtung einer Professur für Dermatologie an der Universität und stellt den Antrag,
es solle diese Angelegenheit in Verbindung mit .derjenigen betr. Errichtung einer Abteilung
für physikalisch-diätetische Heilmethoden durch eine Kommission, in welcher Akademiker
und Aerzte gemeinsam vertreten seien, studiert und im Monat Januar 1905 zur Besprechung
und Beschlussfassung vor das Forum der kantonalen Gesellschaft gebracht werden.
Diskussion: Dr. Bestalozzi, Männedorf, hätte diese Angelegenheit gerne als
Traktandum auf der heutigen Liste gesehen, er ist im übrigen mit dem Antrag des Vor¬
sitzenden einverstanden und optiert, dass heute diese Kommission gewählt werde.
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Dr. Leuch schlägt vor, eine 7gliedrige Kommission za wählen.
In offener Abstimmung werden sodann gewählt die Herren: Prof. Krönlein, Prof.
H. Müller-, Dr. Hs. Naef, Zürioh IV; Hauser, Stäfa; Leuch, Zürich; HoUmger, Zürich,
und C. Keller, Wald.
Die Gesellschaft beschliesst auf Antrag des Vorstandes, zur Deckung der Kosten
für die Aktion gegen die Initiative eine Extra-Auflage von Fr. 10 bei den Mitgliedern
einzuziehen.
Als 6. Delegierter in den Zentral verein wird gewählt der neue Präsident: Dr. G.
Leuch, Zürich II.
Der Vorsitzende teilt mit, dass im nächsten Jahre die Frühjabrsversammlung des
ärztlichen Zentral Vereins in Zürich stattfinden werde. Er erstattet kurzen Bericht über
die Tätigkeit der zürcherischen Subkommission zur Vorberatung des schweizerischen Straf¬
rechts vorentwurfes, welcher ausser ihm noch angehören die Herren: Prof. Bleuler, Prof.
Zürcher, Dr. Leuch , Dr. Schwarz und Dr. Zfogler, Winterthur. Er erwähnt, dass der
Berioht der zürcherischen kantonalen Gesellschaft betr. Enquete der Schweiz. Aerztekom-
mission in Sachen der eidgen. Krankenversicherungsfrage, neben denjenigen von Basel,
Bern und Genf, das reichhaltigste Material geliefert habe.
Herr Privatdozent Dr. Martin : lieber 4en Blntdrnek. (Der Vortrag ist in ex¬
tenso im Correspondenzblatt erschienen.)
An Hr. Prof 0. Wyss demonstriert der Vortragende eine Blutdruckmessung mit dem
Gärtner 'sehen Tonometer.
Diskussion: Dr. Armin Huber betont die Wichtigkeit dieser Blutdruckmessungen in
vielen Fällen für den Praktiker und ihre Bedeutung sowohl in diagnostischer als in
prognostischer Beziehung, er referiert über einen Fall, wo er bei einem jungen kräftigen,
fast beschwerdefreien Manne ganz ungewöhnlich hohe Blutdruck werte naohgewiesen hat,
der dann nach kurzer Zeit schwere Anfälle von Herzkollaps davontrug.
Prof. H. Müller (Autoreferat). Der Fall, über den Kollege Huber soeben referiert
hat, erinnert mich an ein neues Krankheitsbild, das ich Ende September auf der 2. mediz.
Klinik in München gesehen habe, das von Friedr. Müller entdeckt wurde und das meines
Wissens noch nicht beschrieben ist. Die Krankheit wurde vorläufig mit dem Namen
Polycythmmie belegt und ist charakterisiert durch t die 3 Kardinalsymptome — bedeutende
Erhöhung de» Blutdruckes, bedeutende Vermehrung des Hämoglobingehaltes des Blutos
und bis auf die doppelte Zahl gesteigerte Zunahme der Erythrocyten (bei fehlendem
Atherom der peripheren Arterien). — Auch ich wende das Gärtner 'sohe Tonometer häufig
und gerne an und kann es wegen seiner klinischen Brauchbarkeit und wegen seiner
leichten Handhabung dem praktischen Arzte bestens empfehlen. Es leistet unter
anderem für die Frühdiagnose der Arteriosklerose ausgezeichnete Dienste; so habe
ich beispielsweise einen über 50jährigen Mann behandelt, der keinerlei Erscheinungen
von chronischer Herzmuskel Insuffizienz darbot, aber bei der tonometrischen Messung
einen bedeutend erhöhten Blutdruck zeigte und wenige Monate später an Apoplexia
cerebri gestorben ist.
Dr. Martin erwähnt, dass das betr. Krankheitsbild von Geisböck beschrieben
worden ist.
Durch die Wahl des Hr. Dr. G. Leuch znm Präsidenten ist auch die Neuwahl des
Quästors und Vizepräsidenten notwendig geworden. Auf Vorschlag .hin wird zum
Quästor gewählt: Hr. Dr. G. Bär, Zürich I.
Als Aktuar wird gewählt: Hr. Dr. 0. Naegeli-Naef, Privatdozent, Zürich I.
Am gemeinschaftlichen Mittagessen auf der Zunft zur Schmieden nahmen 84 Profes¬
soren und Aerzte teil, sodass der schöne Zunftsaal mit seinen bunten Wappensoheiben,
der jeweilen bei Anlass der ordentlichen Sitzungsbankette nur ein Häuflein von 35—40
Getreuen beherbergte und dannzumal fast etwas zu umfangreich erschien, ein recht fest-
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lioheä Gepräge erhielt. Freude, Herzlichkeit und Humer war überhaupt die Parole, die
ausgegeben war.
In flotter Rede begriisste der Vorsitzende, Dr. Armin Huber die stattliehe ^Tischgesell¬
schaft,” insbesondere die anwesenden Mitglieder der medizinischen Fakultät und den Gast,
Hm. Dr. F. Schmid , Direktor des schweizerischen Gesundheitsamtes. Er verleiht der
Freude Ausdruck, dass die guten Beziehungen zwischen den Vertretern der'mediziniachen
Fakultät und den praktischen Aerzten, die eine Zeit lang in die Bräche zu gehen drohten,
nun wieder angebahnt seien und betont, dass wir Aerzte immer mehr es lernen sollten,
uns gegenseitig zu vertragen.
Der neugewählte Präsident, Dr. Leuch , gedenkt des aus dem Vorstande scheidenden
Dr. Armin Huber , der mit fester Hand das Schiff der Gesellschaft durch Klippen und
Wogen gesteuert und die Campagne gegen die Initiative musterhaft geleitet hat, und des
vielgeplagten Aktuars. Ihnen und den Aerztefrauen, die sich im Kampfe gegen die
Initiative ebenfalls durch lebhafte und rege Teilnahme verdient gemacht haben, gilt
sein Hoch.
In ernsten und herzlichen Worten erinnert Hr. Prof. Krönlein an die hohe Bedeu¬
tung der Volksabstimmung vom 27. November und der heutigen Tagung, deren imposante
Beteiligung den Beweis dafür leistet, dass es einer gewissen gefährlichen Strömung nicht
gelungen ist und nicht gelingen wird, zwischen die Vertreter der medizinischen Fakultät
und die praktischen Aerzte einen Keil hioeinzutreiben.
Hr. Dr. Schmid bringt der Gesellschaft die Glückwünsche der kantonalen Aerzte*
gesellschaft von Bern entgegen. Mit Spannung ist die Initiativebewegung im Kanton
Zürich von all den andern Kantonen verfolgt und mit Freude und Genugtuung der vor*
ständnisvolle Entscheid des Zürchervolkes begrüsst worden.
Hr. Prof. Faul Emst lässt in mit seinem trefflichen Humor gewürzter Rede die
medizinische Fakultät und ihre Vertreter hochleben.
Hr. Dr, Breiter , Andelfingen, bringt seinen Trinkspruch aus auf die Initianten,
denen wir in gewissem Sinne den heutigen festlichen Tag zu verdanken haben.
Hr. Dr. Oehnmger , Horgen, erfreute die Tafelrunde mit seiner klangvollen Stimme.
Von den Herren Dr. Haffter , Frauenfeld; Dr. Feurer. St. Gallen; Dr. Brunner ,
Küsnacht waren Glückwunschtelegramme eingelaufen.
Manch frohgemute Groppe blieb noch bis zum spätem Abend in regster Unterhaltung,
wohl zumeist über die literarischen Elaborate der Verfechter der Initiative, „kleben“.
Referate iah dl Kritiken.
Geburtshilfe.
Eine Einführung in die Praxis von Prof. Dr. Hrch . Fritsch . 467 S. Leipzig 1904.
S. Hirzel. Preis Fr. 13. 35.
Wer als junger Arzt dieses neue Werk durchliest, der muss sich sagen, dass hier
einem Bedürfnis genügt wird, das jeder Praktiker hat, sobald die Studienjahre ent*
schwanden sind; denn durch das Buch weht ein willkommener, praktischer Sinn, der nur
wenig Theorien und diesen nur spärlichen Raum gestattet. Das Einteilungsprinzip des
Stoffes unterscheidet sich von demjenigen der. Übrigen sonst zahlreichen Lehrbücher und
bietet in dieser Beziehung schon jegliche Befriedigung. Auf den praktischen Wert des
Ganzen deuten bei oberflächlicher Betrachtung die Titel einzelner Kapitel, z. B. 19. Kap.:
GeburtsstÜrungen, die vom Kinde ausgehen; 20. Kap.: Zu starke und zu schwache
Wehen; 21. Kap.: Geburtsbilfl. Verletzungen der Mutter; 22. Kap.: Nachblutungen. Von
Anfang bis zu Ende liest sich das Buch mit Genuss und bringt viel Wichtiges, das in
andern Lehrbüchern der Geburtshilfe gar nicht zu finden ist. Verf. bezweckt auch nioht,
mit seinem Werke etwa den theoret. Unterricht oder Operationskurse zu ersetzen, sondern
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gibt hier dem jungen Arzte „einen Leitfaden im Zweifel, einen Ratgeber für die Praxis
und eine Stütze bei Unsicherheit des Entschlusses.“
Ins Kapitel über Hygiene der Schwangerschaft wird u. a. dem Alkohol in jeglicher
Form vollständig und streng der Krieg erklärt, wogegen ihn Verf. in der Behandlung
des Woohenbettfiebers nicht genug zu schätzen weiss. Der Schwangeren wird ferner die
Bekämpfung der fast allgemein bestehenden Obstipation anempfohlen und energische Zahn¬
pflege verlangt. Die Lagen des Kindes bezeichnet Verf. kurz mit Buchstaben, spricht
also bei nach links gerichtetem Rücken des Kindes von I., bei nach rechts scheinendem
Rücken von II. Lage, von A-Lage, wenn sich der Rücken vorn, von B-Lage, wenn dieser
sich hinten im Uterus hefiudet; die Vorderhauptslagen nennt er kurz B-Lagen, betitelt
die I. Schädellage mit I A, die IV. mit I B. Zur Diagnose der Kindeslagen sollen drei
Griffe genügen, „die in einem Bruchteil der Zeit, die zu ihrer Beschreibung notwendig
ist, zum Ziele führen. “. Die Empfehlung der Perforation bei toten Kindern, nur um deu
rigiden Damm zu erhalten und „der Patientin die Unannehmlichkeit der Dammnaht zu
ersparen“ wird kaum mancher Praktiker begrüssen. Verf. tritt als Gegner des BoraPsehen
Dilatatorium auf. Bei Myomen lehnt er die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft ab und anerkennt als das Richtigste den Kaiserschnitt, resp. die Porro-Operation,
während bei Karzinom selbstredend sogleich einzugreifen ist. Eingehende Beschreibungen
haben wir über Extrauteringravidität, Abort und Plazenta prsBvia. Das Kapitel über
pathologische Beckenverengerungen ist kurz abgefasst, alles Nebensächlichen entbehrend and
ist mit schönen Abbildungen versehen. Grosses Interesse bietet die Abhandlung über
Geburtsverlauf und therapeutische Massnahmen bei engem Becken. Als Instrument zur
Decapitation benutzt Verf. an Stelle des ifratm’schen Hackens lieber die Smetftc’sohe
oder eine grosse gekrümmte Scheere. Bei atonisehen oder infolge Einriss entstandenen
Nachblutungen soll die bewährteste Methode die extra vaginale doppelte, manuelle Kom¬
pression sein, d. h. Tieferpressen des entleerten anteflektierten Uterus mit der einen and
nach oben Drängen der znsammengehaltenen grossen Schamlippen mit der andern Hand.
Damit werden die blutenden Flächen anfeinandergedrückt. Nach Entfernung jedoch
zurückgebliebener Plazentarresten ist Tamponade der Uterushohle indiziert. Ein in prak¬
tischer Beziehung änsserst lehrreiches Kapitel über die Pathologie des Wochenbettes
schliesst dieses empfehlenswerte Buch ab, das mit vollem Reehte „eine Einführung in
die Praxis“ genannt werden darf. Sigg,
Lehrbuch der physiologischen Chemie.
Von Olof Hcmmarsien^ o.-ö. Professor der medizinischen and physiologischen Chemie an der
Universität Upsala. 5. völlig umgearbeitete Aufl. Wiesbaden, J. F. Bergmann 1904. 715 S.
Bei dem raschen Fortschreiten der physiologischen Chemie ist es sehr erwünscht,
ein Lehrbuch zu besitzen, welches dies stetig wachsende Tatsachenmaterial in klarer nnd
kritischer Weise mitteilt. Hammarsten ’s Lehrbuch erfüllt diesen Wunsch in vollkommener
Weise. Jedes Kapitel zeigt die sorgfältige Bearbeitung durch den erfahrenen Forscher. Beson¬
ders hervorheben möchte ich die lichtvolle Darstellung derjenigen Probleme, welche zur Zeit
noch Gegenstand lebhafter Kontroverse sind. Das Methodische ist in dem Buche, wie in
den früheren Auüagen, zwar kurz, aber trotzdem hiureichend selbst zum Arbeiten danach
wiedergegeben. L. Asher (Bern).
Physiologische Chemie für Studierende und Aerzte.
Von Prof. Dr. Ph. Botazzi , o.-ö. Professor der Physiologie an der Universität Genna.
Deutsch von Prof. Dr. H. Boruttau . Band II. Leipzig nnd Wien, Fr. Dentioke 1904.
330 Beiten.
Der zweite Band dieses Werkes über physiologische Chemie steht auf der gleichen
Höhe wie der früher besprochene I. Band. Wegen seiner Vollständigkeit ist dieses Werk
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als ein nützliches Nachschlagewerk sehr geeignet. Der deutsche Herausgeber hat ein
wesentliches Verdienst an dem Charakter des Buches, wie es jetzt vorliegt.
_ L. Asher (Bern).
Kantonale Korrenpondenzen.
Solothurn. WÜbeln Walker, Arzt !■ Greneben. f Im verflossenen Jahr
hat der Tod unter den solothurnischen Aerzten Ernte gehalten. Kaum war die Flammo
erloschen über der Asche unseres unvergesslichen Dr. August Kottmann , da nahm auch
schon die Gruft einen seiner Schüler auf, der noch in der Vollkraft seiner Jahre stehend
einem heimtückischen Leiden zum Opfer fiel.
Am 15. Dezember 1904 wurde in seiner Vaterstadt Solothurn Wilhelm Walker
unter zahlreichem Leichengeleite zur letzten Ruhestätte geführt. An seinem offenen Grabe
trauern die hochbetagten Eltern, denen nach dem frühem Verlust zweier Kinder nun
auch der Erstgeborene dahingesunken, trauert der Übrig gebliebene jüngere Bruder, der
wie der Verstorbene ebenfalls den ärztlichen Beruf ergriffen hat.
Wühelm Walker wurde den 10. Dezember 1857 in der Steingrube zu Solothurn
geboren. Sohou an den städtischen Schulen, wie später am Gymnasium seiner Vaterstadt
hatte er sich durch Fleiss und hohe Begabung ausgezeichnet und noch bis in seine letzten
Tage blickte er mit Stolz auf die Prämien, die er der damaligen Sitte gemäss jedes Jahr
für seine guten Leistungen von der Schule erhalten hatte. Mit bester Note bestand er denn auch
im Jnli 1878 das Maturitätsexamen und immatrikulierte sich dann an der Universität Bern,
wo er eifrig dem Studium der Medizin oblag und daneben auch ein tätiges Mitglied des
Zofingervereins blieb. Schon im 3. Semester absolvierte er das Propädeutikum und begab
sich darauf im schönen Sommer 1880 nach Heidelberg, wo ihn der Schreiber dieser Zeilen
zum ersten Mal kennen lernte. Das leutselige, offene Wesen des fröhlichen und von
jugendlichen Idealen begeisterten Studenten eroberte sich rasch die Herzen seiner Komili-
tonen und die Pfingstreise, die wir beide zusammen zu Schiff und zu Fuss den Rhein
hinab und im Schatten der Eichen des Niederwaldes unternahmen, gehörte für uns beide
zu den schönsten Erinnerungen unserer Studentenzeit. Der nächste Winter sah Walker
sodann in Leipzig. Daraufhin kehrte er wieder nach Bern zurück, wo er im Winter 1888
das Staatsexamen bestand, um sofort als Assistenzarzt ins Bürgerspital Solothurn einzu»
treten. Seinem Chef, dem er nun so bald im Tode nachfolgen sollte, bewahrte er zeit«
lebens eine grosse Anhänglichkeit und Achtung. Als anfangs Mai 1885 sein Jugendfreund
Dr. Oarraux , der sich inzwischen in Grenchen als Arzt niedergelassen hatte, schwer er¬
krankte, brachte ihm Walker die erste Hilfe und übernahm nach dessen Tode seine Praxis
mit schwerem Herzen und in trüber Stimmung. Von da an war er bis zu seinem Tode
ununterbrochen in Grenchen als Arzt tätig und mehr und mehr das Vertrauen der Bevöl¬
kerung sich erwerbend, als Kinderarzt besonders geschickt und geschätzt, ein äusserst
wohlwollender, für die Armen wie selten jemand gutherziger Arzt, allen ein warmer
Freund und Berater. Daneben nützte er seine Mussezeit mit Lektüre. Geschichte
und Geographie, Botanik und Geologie waren seine Lieblingsstudien und in seiner Biblio¬
thek finden wir auch alle Gebiete der medizinischen Wissenschaft wohl vertreten. Ausser«
dem betätigte er sich auch im öffentlichen Leben und war lange Jahre hindurch Mitglied
der Schulkommission sowie anderer Behörden seines Wohnortes. Und doch blieb er, da
er selbst keine eigene Familie gegründet, stets seinen betagten Eltern und seinem Bruder
in innigster Liebe zugetan. Ebenso anhänglich war er an seine Freunde, in der Not
mit Rat und kräftiger Tat helfend, anhänglich an seine Zofingia. Stets ein angenehmer
Gesellschafter, heiter und mit trockenem Humor, äusserst wahrheitsliebend und scharf
gegen jeden Schein auf allen Gebieten auftretend —so steht sie heute noch vor uns, die
grosse schlanke Gestalt unseres lieben Freundes.
In Kindeijahren viel kränklich, dann zur vollen Gesundheit erstarkt, schien er als
Student eine unverwüstliche Natur zu besitzen. Da brachte ihm das Influenzajahr 1889/90
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den Keim zu seiner Krankheit. Spitzenkatarrh und lange nicht beachtete Pleuritiden
zogen ihm schliesslich Herz- und Niereuaffektionen zu, die ihn zu mehrfachen Kuren und
Spitalaufenthalten in Bern, Arosa, Albisbrunn, Beatenberg, Merligen etc. nötigten. Zwischen
hinein trotz’allen Beschwerden praktizierte er unermüdlich und bewahrte immer noch seinen
Humor; dem wohlgemeinten Rat, sich als Arzt in* einem Sanatorium niederznlassen, wollte
er nicht Folge leisten, sein liebes Grenchen mochte er nicht verlassen. Mit Oktober 1904
trat rasche Verschlimmerung seines Leidens ein, dessen Schwere er übrigens schon längst
erkannt hatte. Umsonst suchte er Erholung in seinem Elternhause; Mitte November kehrte
er wieder nach Grenchen zurück, immer noch praktizierend und immer noch wissenschaft¬
liche Studien pflegend. Ruhig und gefasst sah er, stets umgeben von den lieben Seinen,
dem Tode entgegen. Am 12. Dezember 1904 erlag er seinen qualvollen Leiden. Die
Achtung*und Liebe seiner Mitbürger folgte ihm, als seine irdische Hülle am Nachmittag
des 15. Dezember sein liebes Grenchen verliess, um in der Vaterstadt bestattet zu werden.
Zu früh war der pflichteifrige Arzt und warme Menschenfreund seinem Wirkungskreis
entrissen worden. Doch sein Andenken bleibt gesegnet. v . A.
Hllftkasse fttr Schweiser Aerzte and Barckhardt-Baader-
SUftnng.
Werte Kollegen !
Anbei legen*wir Ihnen die 22. Jahresrechnung der Hilfskasse für Schweizer Aerzte vor.
Die Anforderungen an die Kasse sind wieder erheblich gestiegen, und die Bericht¬
erstattung muss damit beginnen, zu konstatieren, dass die Hilfskasse an Unterstützungen
Fr, 9940'—* geleistet hat — eine Summe, die bisher noch nie erreicht wurde. Wir
glauben, dass diese'Zahl schon an und für sich geuügend darüber aufklärt, wie sehr die
Hilfskasse einem Bedürfnis entspricht.
Unterstützt] wurden 22 Witwen und Familien von verstorbenen Kollegen und ferner
zwei sich vorübergehend in Bedrängnis befindende Aerzte.
Also Not tut’s, dass die Schweizer Aerzte — recht viele, alte und junge —
zusammensteuern; denn durch frühen Hinscheid des Ernährers in schwere finanzielle Sorgen,
ja in eigentliche^ Not^geratende Aerztefamilien gibt es heute nnd wird es auch künftig
geben, nnd es ist gewiss ein schönes Zeichen des über die Kantonsgrenzen hinausreiohenden
kollegialen Geistes, dass im Laufe der Jahre eine ärztliche Hilfskasse ausgebaut wurde,
die stark genug ist, per Jahr nahezu Fr. 10,000.— an solche bedrängte Familien
abzugeben. Aber freilich ein Blick auf die Rechnung zeigt, dass wir Aerzte von heute
mehr denn je der jHilfskasse gedenken sollten, betragen doch die freiwilligen Beiträge
der Aerzte an die ^Hilfskasse und die Burckhardt-Baader-Stiftung im Jahre 1904 nur
Fr. 7688/70; wären also nicht die reichlichen Legate nnd Geschenke im Betrag von
Fr. 4150. —[dazu gekommen, so hätten ein guter Teil der Kapitalzinsen zur Bestreitung
der Ausgaben verwendet werden müssen; denn zu den oben angegebenen Fr. 9940, —
für Spenden* kamen "noch ca. Fr. 450. — für Verwaltungskosten, Drucksachen etc., und
auch im neuen Jahr werden die Ausgaben gleich hoch sein, können aber auch noch mehr
in die Höhe gehen, wenn neue Bittgesuche an die Kasse gelangen und neue Notlagen
ärztlicher Familien der Hilfe dringend bedürfen. Andererseits mnss jedes Jahr wieder
betont werden, dass jedenfalls die Kapitalzinsen, wenn immer möglich aber auch die
Legate und sonstigen ausserordentlichen Zuweisungen einstweilen nicht zur Bestreitung
der Ausgaben, sondern zur Vermehrung des Kapitals Verwendung finden sollten.
Mit dem Dank für alles, was im abgelaufenen Jahr der Hilfskasse zufloss, verbinden
wir daher die dringende Bitte, auch jetzt dem Aufruf zum Geben ein williges Ohr und
eine offene Hand zu gewähren.
Und^nun noch Eins: Die Hilfskasse besteht jetzt seit 22 Jahren; wir glauben
aber aus manohen Gesprächen mit Kollegen ersehen zu haben, dass viele, namentlich
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jüngere Aerzte, Zweck und Organisation der Rasse nicht in dem gewünschten Masse
kennen; es mag daher angezeigt sein, diese Dinge einmal ganz kurz klar zu legen: Die
Hilfskasse hat den Zweck, bedürftige Witwen und Waisen von Aerzten und invalide
Aerzte zu unterstützen; ausnahmsweise kann von der Hilfskasse auch Kollegen, welche
sich unverschuldet vorübergehend in Not beünden, geholfen werden
Die Einnahmen setzen sich zusammen aus den freiwilligen Beiträgen der Aerzte
und ärztlichen Gesellschaften, aus Vermächtnissen und sonstigen Zuweisungen.
Die Geschäfte der Hilfskasse werden durch eine Verwaltungskommission besorgt;
dieselbe hat gegenwärtig ihren Sitz in Basel; sie wird durch die schweizerische Aerzte-
kommission gewählt. An diese Verwaltungskommission werden die Unterstützungsgesuohe
gerichtet; sie stellt über die Gesuche Bericht und Antrag an die Aerztekommission und
diese entscheidet über die Höhe der zu gewährenden Unterstützung. Alles dies geschieht
unter Wahrung der nötigen Diskretion.
Als Burckhardt-Baader-Stiftung wird in der Rechnung ein besonderer Fonds angeführt,
zum Andenken an die sowohl um die Hilfskasse als auch utn den schweizerischen Aerzte-
stand im allgemeinen hochverdienten Basler Aerzte Dr. Arnold Baader und Prof. Albert
Burckhardt-Merian. Besondere, von denjenigen der Hilfskasse abweichende Zwecke verfolgt
die Burckhardt-Baader-Stiftung nicht.
Dies möge für heute genügen; aus Anlass des in drei Jahren stattfindenden
25 jährigen Jubiläums der Hilfskasse wird sich wohl Gelegenheit bieten, auf die Entwicklung
derselben etwas genauer einzugehen.
Lausanne und Basel, im Februar 1905.
Namens der schweizerischen Aerztekommission,
Der Präsident: Dr. de CSrenville.
Die Verwaltungskommission der Hilfskasse:
Dr. Th. Lote-Lander er. Prof. Albrecht Burckhardt.
Dr. P. VonderMilhll.
Zweiundzwanzigste iahresrechnung vom 1. Januar bis 31. Dezember 1904.
Einnahmen. Fr. Ct.
Saldo vom 31. Dezember 1903
Freiwillige Beiträge für die
Hilfskasse:
Anzahl
Aus
dem Kanton
Aargau
17
300.
—
9
9 9
Appenzell
>) 1 k 100 . —
2 zog. 30. —
y 3
i 3
130.
—
9
9 9
Baselstadt
38
825.
—
9
9 9
Baselland
5
85.
—
9
9 9
Bern
74
1060.
—
9
9 9
Freiburg
>) 1 k 50. —
1 k 20 . —
2
70.
—
9
9 9
St. Gallen
') 1 k 100 . -
19 zus. 415. —
| 20
515.
—
9
9 9
Genf
*) 1 k 20 . -
15 zub. 320. —
I 16
340.
—
9
9 9
Glarus
2
30.
—
9
9 9
Graubünden
24
335.
—
9
ff ff
Luzern
16
260.
—
9
9 9
Neuenburg
11
265.
—
Uebartrag
282
4215.
—
Fr. Ct.
2,206. 60
2,206. 60
*) Aerzte-Gesellschaft.
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194
Anzahl
Fr. Ct.
Pr.
Ct.
Uebertrag
282
4216. —
2,206.
60
Aus
dem Kanton Schaff hausen ^
1 a o. —
! 2
105. —
» X Schwyz
6
90. —
„ „ Solothurn
8
140. —
»
Tessin *) 2 zu je 100 = 200.-
” » le8B,n 5 - zus. 55.—
! 7
255. —
n
*) 1 k 100. -
• • Thurga “ 12 zus. 290. -
:) iS
390. —
»
„ „ Unterwalden
l
10 . —
„ , Waadt
21
785. —
«
» , Wallis
1
10 . —
ff
. » Zug
3
50. —
»
. , ‘) 1 4 100. -
• ’ Zur,ch 70 zus. 1186.-
1285. —
in
361 Beiträgen
7,336.
—
Von Diversen:
Von
Herrn Dr. Kappeier in Konstanz
1
25. —
„ Dr. E. Hess, Bey in Cairo
1
25. —
ff
„ Dr. Zürcher in Nizza
1
20 . —
ff
„ Reidhaar in Yokohama
1
50. —
?>
Tit. Schweiz. Serum- und Impfinstitut, Bern
1
500. —
ff
„Anonym“
1
3. 70
„ aus einem Trauerhause
1
200 . —
»
„ Legat aus Bern, durch Hrn. Dr. Schnyder 1
200 . —
Zum
Andenken an Herrn Dr. J. Weber in Schlieren
1
50. —
Legat von Herrn Dr. J. Bissegger-Bion sei. in Weinfelden 1
200 . —
ff
„ „ „ M. Schubiger sei. in Utznach
1
2000 . —
„ „ „ G. WesBner sei. in St. Gallen
1
1000 . —
in 12 Beiträgen
4,279.
70
Beiträge für die Burckhardt
.
Baader-Stiftung:
Aus
dem Kanton Appenzell, Aerztegesellschaff
1
50. —
»»
* » Bern
1
25. —
ff
„ „ St. Gallen
1
10 . —
ff
« » Genf
1
25. —
ff
ff „ Tessin, Aerztegesellschaft
1
100 . —
„ „ Zürich
1
20 . —
in 6 Beiträgen
230.
—
Kapitalien:
Rückzahlungen der Bank in Basel aus verzinslicher Rechnung
17,018.
45
Rückzahlung von 9 Titeln
4,500.
—
Kursdifferenzen beim Einkauf von Titeln als Gewinn
Kapitalzinsen der Hilfskasse
berechnet
3,988. 55
146.
25
und
der Burckhardt - Baader - Stiftung , deren Kapital von
Fr. 24,957.90 zu 3 3 /4°/o verzinst
935. 90
4,924.
45
Summe der Einnahmen 40,684. 45
l ) Aerzte-Gesellschaft.
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195
Ausgaben.
Fr. Ct.
Fr.
Ct.
1. Kapitalanlagen
12,500.
—
Einzahlungen an die Bank in Basel in verzins]. Rechnung
10,400.
—
Uebertrag der Kapitalzinsen in dieselbe
4,924.
45
2. Depositengebtthren, Inkassoprovision, Kommission und Maroh-
zinsen an diese Bank
164.
70
3. Frankaturen und Posttaxen
76.
60
4. Druck und Papier
137.
40
5. Verwaltungsunkosten
300.
—
6. Unterstützungen an 2 Kollegen in 3 Spenden
650. —
und an 22 Witwen und Familien von „ „81 „
9,290. —
9,940.
—
und zwar aus der Hilfskasse Fr. 9004. 10
und aus der Burckhardt - Baader - Stiftung,
deren Zinsertrag 1904 „ 935. 90
Barsaldo auf neue Rechnung
2,191.
30
Summe der Ausgaben
_
40,634.
45
Die eigentlichen Einnahmen sind:
Freiwillige Beiträge von Aerzten für die Hilfskasse
7,335. —
Diverse Beiträge für dieselbe
4,273. 70
Freiwillige Beiträge von Aerzten für die Burckhardt-Baader-
Stiftung
230. —
Eingegangene Kapitalzinsen
4,924. 45
Kursgewinnste
146. 25
16,909.
40
Die eigentlichen Ausgaben sind:
Die von 2 bis 6 nummerierten vorstehenden Posten
10,618.
70
Also Mehreinnahme oder Vermögenszunahme
6,290.
70
und zwar Zunahme des Vermögens der Hilfskasse
6,060. 70
und der Burckhardt-Baader-Stiftang
230. —
-
6^290. 70
S t a t u 8.
Verzinsliche Rechnung bei der Bank in Basel am 31. Dezember 1904
4,572.
82
120 bei obiger Bank deponierte Schuldtitel
129,000.
—
Barsaldo in Kassa
2,191.
30
Summe des Vermögens am 31. Dezember 1904
135,764.
12
1903
1904
Dasselbe besteht aus:
Fr. Ct.
Fr.
ct.
dem Fonds ohne besondere Bestimmung „Hilfskasse“ 104,515. 52 110,576. 22
und der Burckhardt-Baader-Stiftung 24,957. 90 25,187. 90
129,473. 42
Zunahme im Jahre 1904 zusammen 6,290. — ___
135,764. 12 135,764. 12
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196
Statistische Tabelle yoq
Freiwillige
Beiträge
von Aerzten
Diverse
Beiträge
Legate
1883 bis 1 9 0 4.
TT . Bestand ~
d . Kasse Ende Vermo f n -
Stützungen , T , Zunahme
° des Jahres
Quinquenaium 1
1883 — 1887
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
32,445. —
900. —
5,500. —
4,095. —
36,551. 94
36,661. 94
Quinquennium II
1888—1892
37,108. 50
1,405. 60
6,300. —
19,033. 70
70,860. 81
34,238. 87
Quinquennium III
1893 — 1897
34,778. —
2,183. 95
8,550. —
33,150. —
96,493. —
26,642. 19
Quinquennium IV
1898—1902
32,067. 05
2753.45
14,483. 85
39,525. —
122,917. 33
26,424. 33
Jahr 1903
8,160. —
1,470. —
1,600. —
8,657. —
129,473. 42
6,656. 09
» 1904
7,565. —
623.70
3,650. —
9,940. —
135,764. 12
6.290. 70
152,123. 55
9,336. 70
40,083. 85 114,400. 70
135,764.12
Fr. 201,544. 10
Freiwillige Beiträge 1904
Kantone
Zahl der patent.
Hilfskasse
B.-B.-Stiftung
Zusammen
Totalsumme
seit 1883
Aerzte 1904
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Fr. Ct.
Aargau
107
300. —
-. -
300. —
7,322. —
Appenzell
31
130. —
50. —
180. —
3,120. —
Baselstadt
120
825. —
—. —
825. —
18,895. —
Baselland
31
85. —
—. —
85. —
2,073. —
Bern
316
1,060. —
25. —
1,085. —
22,766. —
Freiburg
43
70. —
—. —
70. —
1,370. —
St. Qallen
150
515. —
10. —
525. —
13,377. —
Genf
194
340. —
25. —
365. —
6,418. —
Glarus
26
80. —
-. -
30. —
1,780. —
Graubunden
131
335. —
-. -
335. —
6,492. —
Luzern
104
260. —
-. -
260. —
5,683. —
Neuenburg
91
265. —
-. --
265. —
4,398. —
Schaffhausen
27
105. —
-. -
105. —
1,385. —
Schwyz
31
90. —
-. -
90. —
1,300. —
Solothurn
38
140. —
-. -
140. —
4,820. —
Tessin
89
255. —
100. —
355. —
3,009. —
Thurgau
67
390. —
—. —
390. —
8,244. 50
Unterwalden
21
10. —
—. —
10. —
315. —
Uri
7
—. —
—. —
—. —
160. —
Waadt
205
785. —
—
785. —
9,440. —
Wallis
39
10. —
—. —
10. —
195. —
Zug
20
50. —
—. —
50. —
1,305. —
Zürich
322
1,285. —
20. —
1,305. —
28,256. 05
Diverse
—
4,273. 70
—. —
4,273. 70
49,420. 55
2,210
11,608. 70 230. —
11,838. 70
201,544.
10
Nämlich Totalsumme
der Hilfskasse Fr.
176,356.
20
und der Burckhardt-Baader-Stifitung * 25,187. 90
FrT 201,544. 10
Der Kassier: Dr. P. VonderMühll.
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197
Basel, den 26. Februar 1906.
Herrn Prof, de Gkrenville , Präsident der Schweiz. Aerztekommission,
Lausanne.
Hochgeachteter Herr!
Nach dem Wunsche der schweizerischen Aerztekommission haben wir, die Unter¬
zeichneten, die uns vorgelegte Rechnung der Hilfskasse für Schweizerärzte, inkl. der
Burckhardt-Baader Stiftung für 1904 geprüft, die einzelnen Posten mit den Belegen ver¬
glichen und alles in vollkommenster Ordnung gefunden.
Auch haben wir den in der Rechnung aufgeführten Titelbestand in Uebereinstimmung
gefunden mit dem Bankdepositenschein.
Die an der Hilfskasse beteiligten Aerzte, durch deren freiwilligen Beiträge die
schönen Spenden können verabreicht werden, glauben wir darauf aufmerksam machen zu
dürfen, dass die Ansprüche an die Kasse in stetem Steigen begriffen sind.
Wir beantragen die Rechnung für 1904 zu genehmigen und dem Herrn Kassier,
Dr. Paul VonderMühll bestens zu verdanken.
Hochachtungsvoll
Die Rechnungsrevisoren:
Prof. Fr. Burckhardt. Dr. A. Hoffmann-Paravicini. Rud. Isclin.
W oohenberioht.
Schweiz.
— Behiidlnr 4cs Oesi^iiftgisksniim ult Badlti «id radioaktiver Substanz.
ln der Tagespresse erschien unlängst die für Laien aufsehenerregende Meldung, dass im
Kantonsspital Aarau ein Fall von steuosierendem Speiseröhrenkrebs durch Radium in
kurzer Zeit geheilt worden sei. Auf eine Anfrage an den Direktor der dortigen chirurgischen
Abteilung, Hrn. Dr. Bircher , stellte uns derselbe in freundlicher Weise die betr. Kranken¬
geschichte zur Verfügung. Aus dem Begleitschreiben entnahmen wir folgendes:
„Die Pnblikaftion hat erst erfolgen sollen, nachdem ich in der medizinischen Gesell¬
schaft des Kantons Aargau gesprochen.
loh habe mit dem Radium zuerst 2 Fälle von Hautkarzinom im Gesicht behandelt;
sie sind geheilt. Der eine Patient hat dabei eine Entzündung der Konjunktiven bekommen,
wie nach Röntgenwirk ung. Beide Karzinome wären mit dem Messer auch zu entfernen
gewesen, es waren für mich Versuche.
Nun habe ich Radium in eine Olive fassen lassen, um dem Oesophaguskarzinom
zu Leibe zu gehen und habe damit ein gutes Resultat erzielt. Neben dem Radium
wurde auch radioaktives Bismuth verwendet. Was auf das Wismuth zurückzufübren ist,
weiss ich nicht. Wir wissen überhaupt sehr wenig und müssen äosserst vorsichtig Vor¬
gehen. Meine beiden Präparate sind sehr stark und sollen 200,000 Jahre aushalten,
das wird für mich genügen. (1 mgr = 1,500,000 Einheiten.) Aber wie lange das Bis-
math radioaktiv ist, weiss kein Mensch. Mein Elektrometer ist noch nicht da. etc. a
Der Krankengeschichte entnehmen wir folgendes: Patient, ein 62 jähriger Mann,
ziemlich dekrepid, kann seit 4 Wochen nur flüssiges geniessen. 87 cm hinter der
Zahnreihe ist ein Hindernis, durch welches auch die kleinste Olive nicht durchdringt.
Therapie: Wöchentlich 2 mal wird die Radiutnolive bis auf die Stenose vorgeschoben
(nnr lose angelegt, nicht gedrückt, so dass eine mechanische Erweiterung aus¬
geschlossen ist) und V* Stunde liegen gelassen, an den andern Tagen wird 1 gr radio¬
aktives Bismuth (d. h. Bismuth. subnitrio., das während 8 Tagen der'Bestrahlung des Radium
ausgesetzt war) durch das Auge der Magensonde eingeblasen. Beginn der Behandlung
am 13. Januar. Am> 4. Februar geht die dünnste Olive noch 1 nicht durch 1 . Am 18. Februar
tritt sie unbehindert in den Magen, diW zweite unter Ueberwfndung eines kleinen Wider¬
standes; am 1. März passiert die zweite Olive ganz leicht, die dritte unter leichtem Druck
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eben fall». Keine Blotsparen an den Oliven. Patient isst nun Weggli, Erbsen, Bohnen,
grobes Haschö. —
Wir wollen der Publikation des Herrn Dr. Bircher nicht vorgreifen, hielten es aber
für geboten, die schweizerischen Kollegen über den Fall, der in der Tagespresse Aufsehen
erregte und wohl bereits zu sanguinische Hoffnungen geweckt hat, nach authentischer
Quelle möglichst rasch zu orientieren.
Die Empfehlung von radioaktiven Substanzen gegen Karzinom (anstatt
des Radiums, welches allerdings hei längerer Strahlung grosse Zerstörung des kranken
Gewebes, aber auch des gesunden Gewebes der Nachbarschaft macht)
stammt aus dem Krebsinstitut der Universität Moskau (Vide Therapie der Gegenwart
1904/9). Dr. Braunstein hat daselbst durch Einspritzung von radioaktivem Wasser bös¬
artige Geschwülste zum sterilen Zerfall gebracht, ohne die gesunden Gewebe zu schädigen
oder irgendwo ein Geschwür zu erzeugen. Auch gibt er an, durch Darreichen von radio¬
aktivem Bismuth per os Oesophaguskarzinome beseitigt zu haben. Er hypothesiert, dass
die Emanationswirkung radioaktiver, d. h. durch Radium induzierter Substanzen zu einer
primären Schädigung der Karzinomzellen führt und dass die der Emanationswirkung
ausgesetzten Karzinomzellen wahrscheinlich einer vollkommenen Resorption unterliegen.
Auch aus dem Ehrlich 'sehen Institut (Dr. Apolanf) ertönt die Vermutung : „Vielleicht
ist es möglich, die Radiumemanation, deren Wirkung auf dem Tierkörper augenblicklich
eifrig studiert wird, für die Heilung des Krebses nutzbar zu machen.*
Ueber mit Radiumoliven behandelte Oesophaguskarzinome
berichtet u. a. A. Exner (Wien. klin. Wochenschrift 1904/4). Es trat bei den 8 referierten
Fällen Dilatation der Striktur ein! — Ferner enthält die Zeitschrift für Krebs¬
forschung III. 1. 1904 eine Arbeit von Max Einhorn , welche mit folgenden Betrach*
tungen schliesst:
„Von den beschriebenen 9 Fällen zeigten 6 eine objektiv nachweisbare Besserung
der Striktur, indem dieselbe teilweise oder ganz mehr durchgängig wurde. Gleichzeitig
damit konnten die Patienten gewöhnlich besser die Nahrung einnehmen.
In 8 Fällen dagegen Hess sich keine objektive Besserung konstatieren; allein in
diesen Fällen war die Behandlung bei zweien nicht lange genug durchgeführt, (eine Woche,
5 Tage und beim dritten nicht oft genug vorgenommen), um ein ordentliches Resultat
erwarten zu dürfen.
Es scheint daher aus den wenigen Fällen, die regelmässig und lange genug behandelt
worden sind, hervorzugehen, dass eine teilweise Einschränkung der strikturierenden
Geschwulst beinahe die Regel ist.
Etwaige unangenehme Erscheinungen, von der Behandlung herrübrend, sind nicht
zu verzeichnen gewesen.
Eine Verringerung der Schmerzen konnte in manchen Fällen konstatiert werden,
aber keineswegs in allen.
Obgleich es mir nicht gelang, eine vollständige Kur in irgend einem der Fälle zu
bewirken, so ist das beobachtete Resultat der Besserung wichtig genug. Handelt es sich
doch beim Ocsophaguskrebs um eine Krankheit, der gegenüber wir vorläufig (selbst
chirurgisch) machtlos dastehen. Gelingt es aber durch die Radiumbehandlung, die enge
Passage etwas durchgängiger zu machen und so die Patienten länger am Leben zu halten,
was scheinbar nach obigen Angaben wirklich der Fall ist, so bedeutet dies entschieden
einen Fortschritt. Vielleicht wird es auch möglich seiu, bei frühem Einleiten der Behand¬
lung, noch bevor die Krebserkrankung weit vorgeschritten ist, auch wirkliche Heilungen
zu erzielen. Ausgeschlossen ist dies jedenfalls nicht, und ist ein weiteres Bearbeiten dieses
Gegenstandes erwünscht.*
Tatsächliche Erfolge scheinen die Röntgenstrahlen bei Leukaemie zu
haben. Die ersten Fälle von hochgradiger Besserung schwerer Leukeemie durch Bestrahlung
von Milz, Knochenmark und Lymphdrüsen wurden aus Amerika gemeldet. In jüng-
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19$
tter Zeit bestätigen zahlreiche Erfahrungen aus deutschen Kliniken (München, Leipzig,
Freiburg etc.) diese Erfahrungen. (Verkleinerung der Milz, in einigen Fällen bis zur
Norm, Abnahme der Leukozyten — Leukozytensturz nach jeder Bestrahlung.)
— In der Nummer vom 1. Dezember des Correspondeuzblattes für Schweizer Aerzte
waren die Ergebnisse besprochen, die Krebs mittelst des Sphygmographen und des Gürt-
ner’sehen Tonometers für die Anwendung des Wloteraltz’scfcea Benfclfclapparates
erhalten hat. Ich las sie bereits in der November-Nummer der Blätter für klinische Hydro¬
therapie. Nach vieljährigen, allerdings nur in der Privatpraxis gemachten Erfahrungen
mit dem Herzkühlschlauch kann ich mich seinen 4 Sätzen im allgemeinen anschliessen,
möchte mir aber zu 2. und 4. doch noch einige Bemerkungen erlauben.
ad. 2. Auch bei Patienten mit einem der genannten Herzleiden, die den ganzen
Tag ausser Bett zubringen und ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen dürfen, lasst
sich der Herzschlauch mit grossem Nutzen als beruhigendes und tonisierendes Mittel ver¬
wenden. Er wird dann ein- bis zweimal täglich während einer halben bis dreiviertel
Stunden aufgelegt, natürlich in ruhiger Rückenlage. Bei bloss einmaliger Applikation
ergab sich als die geeignetste Zeit diejenige des Zubettegehens, die sich dann ja etwa
um eine halbe Stunde vorrücken lässt. Es kann also bei solch relativ kurzer Anwendung
die Wirkung doch nicht „zum grössten Teil der strengen Ruhe der Kranken zugeschrieben
werdend Neben der im Satz 1. erwähnten objektiven Wirkung zeigen sich auch die
subjektiven in erfreulichster Weise. Ich möchte nur auf eine hinweisen, die meines Er¬
achtens allein schon von hohem Wert ist. Die meisten Patienten geben, ohne zuvor
irgendwie darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, an, dass sie während der Appli¬
kation erst ein Gefühl des ruhigen Wohlbehagens verspüren, dann schläfrig werden und
bald fest einschlafen. Wenn man bedenkt, mit welchen Gefühlen des Unbehagens, der
Angst Herzkranke oft viele Stunden der Nacht schlaflos zubringen, wodurch ihr Zustand
sich noch verschlimmert, der wird diesen Erfolg des Herzkühlschlauchs hochwillkommeu
heissen. Dies ist anch der Grund, warum ich bei bloss einmaliger Verwendung dieselbe
auf die genannte Zeit verlege. Die Kranken äussern sich immer hocherfreut über den bald
eintretenden ruhigen Schlaf, aber auch über das ihnen noch ganz neue, nach meiner Erfahrung
auch den praktischen Aerzten noch viel zu wenig bekannte, und doch so einfache Ver¬
fahren. Der Schlauch wird manchem Patienten zum unzertrennlichen Begleiter auf allen
Eeisen, der bei unangenehmen Gefühlen von Seite des Herzens sofort wieder zur Ver¬
wendung kommt.
ad. 4. Gewiss kann der Herzküblscblauch in seiner Wirksamkeit der Digitalis nicht
gleichgestellt werden. Gerne sei zugegeben, dass Digitalis in Fällen von Nutzen sein
wird, wo der Herzschlauch versagt. Es gibt aber auch Fälle, wo nach vorübergehender
Verordnung von Digitalis der Herzschlauch seinen Dienst wieder nach Wunsch versieht.
Ausserdem kennt die Hydrotherapie andere Mittel aus ihrem reichen Schatze, die selbst
der Digitalis vielleicht noch überlegen sind.
Ein grosser Vorteil Medikamenten gegenüber liegt jedenfalls in der einfachen Mani¬
pulation und Dosierung« Ohne die vorzüglichen Wirkungen der Digitalis im geringsten
zu verkennen, muss doch gesagt werden, dass ihre Dosierung aus bekannten Ursachen
nicht immer leicht ist; dass die Resorptionsmenge und Resorptionszeit durch die verschiedensten
Verhältnisse Abänderungen erleidet, sodass u. a. unangenehme kumulative Wirkungen
eintreten können.
Ferner wirkt bekanntlich dieselbe Menge des Mittels je nach dessen Alter und
Qualität sehr verschieden, so dass immer neue Digitalpräparate in den Handel kommen,
die sicherere Dosierung und Fehlen übler Nebenwirkungen garantieren sollen. Bei
einzelnen wird aber subkutane Injektion als beste Verordnungsart empfohlen, eine Vor¬
schrift, die sich sehr wohl in Spitälern und Anstalten durchführen lässt, in der Privat¬
praxis jedoch weniger beliebt und anwendbar ist. C. v. M.
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— Verzeichnis der laangtiral-ftlsserfatieiieii zur Erlangung der Doktorwürde an
den schweizerischen medizinischen Fakultäten vom September 1903 bis September 1904
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Forcart, Max Gurt: Beitr. zur Frage des Antagonismus zwischen Bacterium coli und den
Harnstoff zersetzenden Bakterien (Centr. Bl. f. d. Krankh. d. Harn- und Sexualorgane
Bd. 14. 1903).
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Oswald, Emst: Ueber Uterusruptur bei manueller Placentarlösung (Beitr. z. Geburtsh.
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Rossel, Otto: Beitrag zum Nachweis von Blut bei Anwesenheit anderer anorganischer und
organischer Substanzen in klinischen und gerichtlichen Fällen.
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Isolier, Viktor: Beiträge zur Chirurgie der Sehne.
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Zieglei *, Armin: Die Typhus-Epidemie im 18. Schweiz. Infanterie-Regiment vom Herbst 1902.
Zuber , Bertrand: Ueber einen noch nie beschriebenen Fall von hochgradiger angeborener
Erweiterung der Arteria pulmonalis in toto (Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 58).
Ausland.
— Der 5. Internationale Kongress für Gynäkologie und Geburtshilfe findet vom
11.—18. September 1905 in Petersburg statt, unter dem Vorsitze von Prof. J>mitH de
Ott. Schweizer Aerzte, welche daran Teil zu nehmen wünschen, haben Bich zu melden
bei Prof. Aug. Reverdin in Genf (15 Rue du Gönöral Dufour), welcher — mit Dr. BStrix
als Sekretär — jede gewünschte Auskunft erteilt und die organisatorische Arbeit für die
Schweiz besorgt.
— Der 22. Kongress für Innere Medizin findet vom 12.—15. April 1905 zu
Wiesbaden statt unter dem Vorsitze des Hrn. Geh.-Rat Erb (Heidelberg). Als Verhand¬
lungsthema des ersten Sitzungstages ist bestimmt: Ueber Vererbung. 1. Referat: Ueber
den derzeitigen Stand der Vererbungslehre in der Biologie : Hr. H . E . Ziegler (Jena),
2. Referat: Ueber die Bedeutung der Vererbung und der Disposition in der Pathologie
mit besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose: Hr. MarUus (Rostock). Ausserdem
sind bereits zahlreiche Einzelvorträge über die verschiedensten Gegenstände angemeldet.
Anmeldungen von Vorträgen und für die Ausstellung sind zu richten an Geh.-Rat
Dr. Emil Pfeiffer , Wiesbaden, ParkstraBse 13.
— Im Anschluss an den 34. Kongress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie
(Vergl. Corr.-Bl. 1905 pag. 94) findet in Berlin vom 30. April bis 3. Mai ein Matgea-
Kongress statt (mit Prof. Röntgen als Ehrengast und Prof. v. Bergmann als Ehren¬
vorsitzendem), verbunden mit einer Röntgen-Ausstellung. — Anmeldungen haben
zu erfolgen an Prof. Dr. Eberlein, Berlin N. W. 6, tierärztliche Hochschule. Teilnehmer¬
betrag 15 Mark.
—- Behandlung des akuten Schnupfens* Prof. A. Henle hat an sich selbst die
günstige Wirkung der Zfter’scben Stauung gegen den akuten Schnupfen erprobt. Der
Schnupfen begann morgens, erreichte mittags seine Höhe, liess H. nicht schlafen und
bestand am nächsten Vormittage unverändert weiter. Er äusserte sich in andauernd
fliessender Nase, andauerndem Kitzelgefühl, fortwährendem Tränen der Augen, häufigem
Niesen. Typischer Gesichtsausdruck; kein Fieber. H. kam auf den Gedanken, einen
Versuch mit Bier 1 scher Stauung zu machen. Zu diesem Zwecke wurde ein Hohlschlaueh
um den Hals gewickelt, der bei einem relativ geringen Druck von etwa 25 mm Hg* schon
deutliche Füllung der Venen und bläuliche Verfärbung des Gesichts verursachte. Die
Wirkung war höchst auffallend. Mit dem Beginn der Stauung begannen die lästigen
Erscheinungen abzunehmen. Der Kitzel in der Nase, das Tränen der Augen verschwand,
die Sekretion Hess nach. H. liess zunächst die Binde eine Stunde liegen. Als nach
zweistündiger Pause sich wieder leichtes Kitzeln einstellte, staute er von neuem zirka
drei Stunden. Am nächsten Tage war er geheilt. H. hat ferner fünf Patienten mit
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akutem Schnupfeo mit dem gleichen Erfolge gestaut, ein Patieut mit chronischer Rhinitis
wurde jedoch durch dio Stauung nicht gebessert. (Deutsche med. W. Nr. 6.)
— Die dlltetlseke Behandlung der Epilepsie. Der Direktor der Landespflege-
Anstalt in Uchtspringe-Altmarkt, K. AU , hat die an seinen 1250 in Pflege stehenden Epilep¬
tikern gemachten Beobachtungen über den Einfluss verschiedener Faktoren auf den Zustand
der Kranken zusammengestellt und kommt zum Schluss, dass physikalische Vorgänge wie
Temperatnrschwankungen, Wind, Mondphasen usw. ohne Beziehungen zur Häufigkeit der
Anfalle sind, desgleichen die Infektionskrankheiten. Dagegen muss die Kost als Ursache
häufigeren Auftretens von Krampfanfällen angesprochen werden. Schlechte Kartoffeln,
Brot aus schlechtem (zweiwüchsigem) Getreide, zu frische Backware vermehrten die An¬
fälle. In Uchtspringe werden daher nur drei Tage altes Brot und einen Tag alte Bröd-
chen verabfolgt. Dass die Kostregelung als ein gewichtiger Teil der Behandlung anzu¬
sehen ist, wussten schon die ältesten medizinischen Schriftsteller. Namentlich Fleischkost
übt einen ungünstigen Einfluss auf die Epileptiker aus, und sollte bei nervösen Kindern
vollständig ausgeschaltet werden. Auch quantitativ ist die Diät zu regeln, zumal manche
Epileptiker geradezu an Gehässigkeit leiden. Verminderte Nahrungszufuhr allein pflegte
oft die Zahl der Anfälle herabzusetzen. Noch mehr nahmen die Anfälle bei ausschliess¬
licher Pflanzenkost und am meisten bei Milchkost ab. Die Pflanzenkost bestand aus Ge¬
müsen, Brot, Suppen und Breien von Kartoffeln, Reis, Gries und dergl. Bei der Milch¬
diät erhielten die Patienten durchwegs 2 */* Liter Milch am Tage und sechs Zwieback
(100 gr). Die Versuchsergebnisse sprechen im allgemeinen sehr zu gunsten der fleisch¬
losen Diät. Immerhin standen sich 3 von 24 Kranken bei Fleischkost besser als während
der Milch- und Pflanzeokostperiode. Es gibt aber Epileptiker, denen, da sie an einer mit
Hyperaciditas hydrochlorica einhergehenden Magenstörung leiden, Fleischkost bekömmlicher
ist als ganz fleischlose Diät. Auch von der Pflanzenkost, die im allgemeinen die Anfälle
günstiger beeinflusst^ als die gemischte, etwas weniger günstig als die Milch, sah man bei
yier Kranken eine erheblich grössere Abnahme der Anfälle als bei Milch- oder Fleisch¬
nahrung. Umgekehrt vertrugen 2 Kranke die Pflanzenkost gar nicht und erfuhren hier
selbst im Vergleiche zur Fleischkost eine starke Zunahme der Krämpfe. Die Milchkost hat bei
den meisten Versuchspersonen eine auffällige Abnahme, bei zweien sogar ein Auf hören
der Krämpfe zur Folge gehabt. 4 Personen erfuhren jedoch in der Milchperiode eine
ganz erhebliche Verschlechterung, so dass die Zahl der Anfälle in die Höhe schnellte
und das Allgemeinbefinden, namentlich in psychischer Hinsicht höchst ungünstig verändert
schien. Jedoch war in allen vier Fällen kurz nach Einführung der Milchdiät hartnäckige
Verstopfung und eine ziemliche Indikanurie eingetreten. Diese vier Personen befanden
sich am wohlsten bei vegetarischem Regime, das offensichtlich der bestehenden motori¬
schen Darminsuffizenz am wirksamsten steuerte.
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, wie verkehrt es ist, Pur alle Epileptiker
eine und dieselbe Diätform anzuordnen und von ihr allemal Besserung zu erhoffen. Die
diätetische Behandlung der Epileptiker muss individuell gehandbabt werden. Schliesslich
sei noch ein Beispiel angeführt, wie Diät und Brom Zusammenwirken. Sechs jugendliche
Epileptiker, welche seit Monaten keine Medikation bekommen hatten, erhielten nachein¬
ander je 30 Tage lang Milchkost, dann Milchkost mit 2 gr Brom, dann gemischte Kost
mit 2 gr Brom, hierauf wieder Milchkost mit 2 gr Brom. Währeud der ersten und
zweiten Milchperiode wurde die bei einzelnen auftretende Stuhlträgheit nicht weiter be¬
kämpft, dagegen erhielten die Versuchspersonen in den letzten 80 Tagen im Bedarfsfall
einen Einlauf, Abführmittel, auch Salzsäure usw. Die Krampfzahl war in Per. I 96; in
H 46; in UI 54; in IV 12. (Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 53. Wien. klin. W. Nr. 8.)
— lieber die Bedeitiif der Bitterstoffe flr die Verdsinig. Für die in der
Praxis angenommene safttreibende Wirkung der Amara hatten frühere physiologische Ver¬
suche niemals eine experimentelle Stütze gebracht. Eine solche beizubringen, ist nunmehr
Borissow gelungen. Er arbeitete an Pawlow’scheu Fistelhuudeu, die zum Zweck der
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2ÖÖ
Scheinfüttörung cesophagotomiert waren. Hatten die Tiere unmittelbar vor der Schein¬
fütterung einen mit einem Amarum durchtränkten Wattebausch im Maul, so ergab die
Sekretion des Magens bei der Fütterung wesentlich höhere Werte als im Kontroll versuch.
Den negativen Ausfall früherer Eontroll versuche erklärt B. dadurch, dass stets nur eine
eventuelle sekretionsanregende Wirkung des Amarums allein, nicht aber in Verbindung
mit einer folgenden Fütterung geprüft wurde. Die Amara wirken durch eine „Schärfung
der Geschmackreize 44 und erhöhen daher bei der Fütterung bloss die auf die „psychische
Sekretion 44 entfallende Komponente der Sekretion. Daraus ergibt sich, dass sie in der
Praxis auch stets unmittelbar vor der Mahlzeit gegeben werden sollen. (Arch. f. exper.
Path. u. Pharm, öl, Wien, med. W. Nr. 8.)
— Jodoforn innerlich gegen torpiden Gelenkrheumatismus wird von Baada Cal-
zada empfohlen. Ein Patient, der seit vier Monaten an Gelenkschmerzen litt, welche die
Neigung zeigten, nach und nach sämtliche Gelenke zu befallen, und gegen welche sowohl
die Salicyltherapie sowie die übrigen üblichen Behandlungsmethoden wirkungslos geblieben
waren, erhielt Jodoformpillen zu 0,01 täglich 6—8 Stück. Nach acht Tagen hatten die
Schmerzen aufgehört und die Behandlung konute ausgesetzt werden. Seither blieb auch
der Patient schmerzfrei. Eine ähnlich günstige Wirkung wurde in 14 anderen Fällen
beobachtet. Diese Behandlungsmethode scheint nach dem Autor in den Fällen von sub¬
chronischem, hartnäckigem Gelenkrheumatismus der Salicyltherapie überlegen zu sein.
(Sem. mödic. No. 51).
— Gegen das Erbrechen Schwangerer empfiehlt Barthes nach dem Vorgänge
von Dumas grosse Schröpf köpfe, welche die ganze Mamma umfassen, ein Verfahren, das
leicht anzuwenden und nicht von störenden Nebenerscheinungen begleitet ist. (Wien,
med. Wochen8chr. N. 1).
Zur Revision des llilitärversleherungs-Gesetees.
Appell an alle Kollegen!
Trotz einer Eingabe der Schweiz. Aerztekommission an den hohen Bundesrat und
die vorberatenden Kommissionen, worin unsere Postulate eingehend begründet wurden, ist
bis heute nur ein nebensächliches Entgegenkommen der ständerätlichen Kommission zu
verzeichnen, in welchem „die Haftung des Arztes nur auf diejenigen Fälle beschränkt
sein soll, in welchen den Arzt ein Verschulden trifft. 44 Es gilt nun, die Oeffentlichkeit, die
Interessenten aufzuklären, ansonst die mit Einmut beschlossene Stellungnahme der Aerzte
in den Räten einfach ignoriert wird. Zweck dieser Zeilen ist es, die Kollegen zu dieser
Arbeit aufzurufen, zugleich die wichtigsten Tatsachen kurz hervorhebend.
Betreffend die A n z e i g e p f 1 i c h t ist dem früher (Corresp.-Bl. 1902 pag. 172)
ausgeführten nur beizufügen, dass nach dem Gutachten von Hr. Prof. Fleiner diese
Bestimmung keine Verfassungsverletzung enthält, es aber eine „Frage des gesetzlichen
Taktes sei, dritte in solch aussergewöhnlicher Art zu belasten 1 und dass „die Aerzte im
Interesse der Militärverwaltung in einer Weise belastet seien, wie dies bisher noch nicht
geschehen“.
Die Interpretation des Oberfeldarztes, dass die Gewährung der Hausbehand¬
lung eine Ausnahmemassregel sei, auf welche niemand hoffen dürfe, erscheint uns nach
dem Buchstaben des Gesetzes (Art. 19 und Art. 20) und nach den Diskussionen bei der
Gesetzesberatung (Voten der Referenten Dr. Vincent und Th. Curti) den Intentionen nicht
entsprechend, weil sie die gesetzlich vorgesehene Form des Spitalersatzes ganz oder fast
ganz verhindert und damit in Gegensatz zu dem Willen des Gesetzgebers tritt. Absolut
anfechtbar sind aber einzelne vom Oberfeldarzt geübte Ausführungsbestimmungen um den
Spitalzwang zu erreichen.
Direkt gesetzwidrig ist die Instruktion im Nachtrag zur Dienstanwei¬
sung vom Januar 1902, welche jedem einrückenden Arzte zugestellt wird (blaue Zeddel),
wo es heisst:
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20 ?
1. Wehrpflichtige etc. haben Anspruch auf freie Behandlung im Spital und
Bezug des Krankengeldes etc., während es heissen Bollte, auf freie Behandlung im Spital
oder S p i t a 1 e r 8 a t z.
2. Häusliche V e r p fl e g u n g o h n e au sd r ü c k 1 i c li e Bewilligung
des Oberfeldarztes hebt für den Bund 1 jede Unterstützungs¬
pflicht auf, und Verweigerung desSpitaleintrittes ist gleich¬
bedeutend mit Verzicht auf jede Bundesunterstützung.
Der Art. 20, welcher hier in Frage kommt, heisst: Für häusliche Verpflegung, welche
yom Oberfeldarzt weder angeordnet noch bewilligt wird, ist die Militär Versicherung zu
einer Entschädigung nicht verpflichtet und bezieht sich lediglich auf die Ausrichtung des
Spitalersatzes. Weigert sich ein Patient, so hat er dennooh Anrecht
auf Krankengeld und event. spätere Invalidenentschädigung,
und nur sofern er laut Art. 17 die Kontrolle des Oberfeldarztes zu
Hause vereitelt oder die ärztlichen Anordnungen nicht befolgt,
können die Leistungen der Versicherung für die Folgezeit ganz
oder teilweise entzogen werden. Wenn also der behandelnde Arzt nicht wegen
der Art der Erkrankung oder wegen ungeeigneter häuslicher Verhältnisse für rasche
Heilung den Spitaleintritt anordnet, so kann dem Erkrankten unter keinen Umständen das
Krankengeld oder sein Anrecht auf Invalidenpension durch administrative Verfügung
entzogen werden.
Ganz das gleiche gilt für den Verzichtschein. Die Begründung des Verzicht¬
scheines (siehe Anhang der Vollziehungsverordnung) stützt sich auf den gleichen Art. 20,
der nur Entzug des Spitalersatzes vorsieht. Die frühem verhängnisvollen Folgen des
Verzichtscheines (Verzicht auf jegliches Anrecht für den Augenblick und für die Zukunft)
kommen ihm heute nicht zu, gemäss dem angezogenen Art. 20, und andere Gesetzes¬
bestimmungen liegen nicht vor, mit Ausnahme des schon erwähnten Art. 17, wobei die
Anordnungen des behandelnden Arztes und nicht des Oberfeldarztes als Verwaltungsbeamten
in Frage kommen.
Diese Tatsachen mögen den Mitgliedern der Bundesbehörden beweisen, dass eine
Revision der einschlägigen Artikel im Sinne der Einschränkung der Kompetenzen der
Ausführungsbehörde absolut notwendig ist, denn nicht nur wird der Entscheid über Haus¬
behandlung ohne materielle Prüfung des einzelnen Falles nach persönlichem Gutdünken
des Oberfeldarztes oder seiner untergebenen Beamten gefällt und zwar im Sinne einer
Beschränkung der Hausbehandlung in einem Grade, wie es dem Sinn und Geist des
Gesetzes widerspricht und die Interessen des Versicherten in hohem Masse schädigt, sondern
es beeinflusst der Oberfeldarzt durch seine Instruktion und die Handhabung des Verzicht¬
scheines, welche jeder gesetzlichen Grundlage entbehren, in ungehöriger Weise Aerzte
und Versicherte zum Eintritt in den Spital auch in Fällen, wo Art der Krankheit und
häusliche Verhältnisse dagegen sprechen«
Mit dieser anfechtbaren Praxis veranlasst er manchen Genussberechtigten zum ganzen
oder teilweisen Verzicht wohlerworbener gesetzlicher Ansprüche, mindert dadurch die
Militärfreudigkeit und verursacht dem Bunde höhere Auslagen, indem bei Arbeitsunfähigen
anstatt des Spitalersatzes von Fr. 2.50 für die Soldaten und Unteroffiziere und Fr. 3.—
für die Offiziere, die Spitaltaxen von Fr. 3. resp. Fr. 5.— übernommen werden müssen.
Bei Arbeitsfähigen (leichtem Lungenkatarrh z. B.) wo die Militär-Versicherung lediglich
beansprucht wird wegen der Möglichkeit späterer Invalidenberechtigung, wenn der Fall
eine üble Wendung nehmen sollte, hat der Bund für den Spitalinsassen das Krankengeld
(Fr. 5.—• Fr. 3.—), zu Hause nichts zu vergüten.
Die unwürdige Stellung des Arztes bei dem ganzen Handel sei nur nebenbei
erwähnt, denn ausschlaggebend für die Stellungnahme der Mitglieder unserer Bundesver¬
sammlung wird die Rückwirkung des Gesetzes und dessen Ausführung auf die Versicherten
und die Finanzen sein«
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208
Sollte es den Aerzten nicht möglich sein, jeder an seinem Orte, persönlich die
Mitglieder der Räte von diesem Stande der Dinge za informieren? Dann dürfte den
Vertretern unserer Sache bei der Debatte die nötige Unterstützung nicht fehlen. Wie sich
der Arzt in jedem einzelnen Falle der Spitalverweigerung und der Unterzeichnung eines
Verziehtscheines dem Versicherten und der Versicherungsbehörde gegenüber verhalten mag,
darf wohl füglich jedem überlassen bleiben, denn von jeher ist der Arzt für die Rechte
seiner Patienten Dritten gegenüber eingestanden. Dr. HäberUn y Zürich.
Bemerkungen zum Votum Bernhelm
in der II. Wintersitzung der Ges. der Aerzte in Zürich. (Vergl. Corr.-Bl. 1905, pag. 117)
In der Diskussion über einen von Hrn. Dr. Tschudy in genannter Gesellschaft
gehaltenen Vortrag soll laut Referat im „Correspondenzblatt“ Hr. Dr. Bemheim behauptet
haben, „dass man es bei arterio-mesenterialem Darmverschluss mit einem Leiden zu tun
hat, das in einer aus frühester Kindheit stammenden anatomischen Anomalie seinen Grund
hat.“ Welches diese Anomalie sein soll, geht aus dem Referat nicht hervor.
Hat Bernheim etwa eine bestimmte Form bezw. Verlaufsanomalie des Duodenums
gemeint ? Dazu wäre zu sagen, dass ich in zahlreichen vor und nach Beendigung meiner
Arbeit über das fragliche Thema ausgeführten Leichenversuchen mich von der Belang¬
losigkeit solcher Anomalien für die Entstehung der arterio-mesenterialen Darminkarzeration
ebenso überzeugt habe wie von der Möglichkeit, bei der gewöhnlichen Verlaufsrichtung
des Zwölffingerdarms durch leichten Zug am Mesenterium in der Richtung der Achse des
kleinen Beckens den Verschluss des Endteils des Duodenums herbeizuführen.
Sollte aber die kongenitale Anlage zur Enteroptose gemeint sein, so ist zu bemerken,
dass zahlreiche Enteroptosen doch auch als rein erworbenes Leiden anzusehen sind. Und
dann ist es von der Enteroptose, mag die Disposition dazu angeboren sein oder nicht, noch
ein etwas weiter Schritt bis zur arterio-mesenterialen Inkarzeration 1 Die krankhafte
Senkung der Baucheingeweide darf nach meinen früheren Ausführungen allerdings manch¬
mal als ein die Entstehung jener Inkarzerationsform begünstigendes Moment, jedoch nicht
als deren notwendige und regelmässige Voraussetzung, nicht als deren unmittelbare und
wesentlichste Ursache angesehen werden.
Ich halte demnach die oben» zitierte Behauptung Bernheim 's für unbegründet.
A. Albrecht.
Herr Dr. Bernheim bemerkt dazu folgendes:
„Mein Votum ist nicht ganz richtig wiedergegeben. Wenn mich mein Gedächtnis
nicht trügt, habe ich ungefähr folgendes gesagt:
„Ich erlaube mir, Hrn. Dr. Tschudy auf einen Fall aufmerksam zu machen, über
den ich selbst in der Gesellschaft vor einiger Zeit anlässlich meines Vortrages über
Pylorusstenose im Säuglingsalter 1 ) referiert habe. Ich tue dies weniger deswegen, weil
Dr. Tschudy auch meine Mitteilung nicht zu kennen scheint, als aus dem Grunde, weil
die betreffende Beobachtung zeigt, dass das Leiden schon aus der frühesten Kindheit
stammen kann.“
„Ueber die anatomische Anomalie bezw. über die Art derselben habe ich
damals mich nicht ausgesprochen, in meinem eben erwähnten früher gehaltenen Vortrage
jedoch mich dahin geäussert, dass es noch nicht ausgemacht sei, welche Abnormität des
Mesenteriums dem arterio-mesenterialen Darm Verschluss zu Grunde liege.“
*) Corresp.-Blatt f. Schweiz. Aerzte 1904. Nr. 8.
Briefkasten.
Dr. Hitzig, Mexico: Ihre Arbeit wird gerne akzeptiert. Dank und Grass über den Ozean.
Schweigbauserische Buchdruckerei. — B. Schwabe, Verlagsbuchhandlung in Basel.
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CORßESPONDENZ-BLATT
Erscheint am 1. and 15.
jedes Monats.
Inserate
35 Cts. die gesp. Petitseile.
für
Schweizer Aerzte.
Herausgegeben von
Preis des Jahrgangs:
Fr. 12. — für die Schweiz,
Fr. 16. — für das Ausland.
Alle Postbareaux nehmen
Bestellungen entgegen.
Dr. E. Haffler und Prof. A. Jaquet.
in Frauenfeld. in Basel.
N? 7. XXXV. Jahrg. 1905. 1. AprU.
lahaltt 1> Orlfl b alarbeiten: Dr. L. Tobler: Bed#nt«ng der Lumbalpunktion in Kindosaltar. — Dr. F. ikkm&rsen-
lacht Pathologie and Therapie der Streptonjkoaen. (Schloss.) — 2) Vereinaberiehte: Medisinisehe Gesellschaft Basel.—
S) Referate and Kritik *n: Qurwxieck, Alexander: Morphologie ond Biologie der Zelle. — Luciani, Luigi: Physiologie
des Menschen. — Prof. Dr. 0. Baabt Uefeer die Pflege der Augen. — Prof. Dr. B. J. Hamburger: Osmotische Druck- und
Zoaealehre. — Dr. Theodor Jomdaut Wormfortsatsentx&ndang und Frauenleiden. — Prof. Dr. B. von Tappeiner: Lehrbuch der
A rsneimittellehre. — 4) Wochenbericht: Basel: Prof. Dr. Ed. Kauf mann. — Bern: Internationale Vereinigung der mediain.
Fachpresse. — MilitirsanitAtswesen. — Priratdosent Dr. 0. Beuiiner, Genf. — Helmitoi. — Dr. A. Bruggimtr, Wohlen f. —
Die «Vierte Krankheit". — Gefahren einer protrahierten Buhekur in der Behandlung der Neuraatheoie. — Aerate und Kranken¬
kassen. — HAmorrhoiden. — Begriff der AnAmie in klinischer Beaiehuog. — Behandlung der KapillArbronohitis mit Senfwasser¬
einwiekelangen. —.Öriserin. — 5) Bibliographisches.
Original-Arbeiten.
Die therapeutische Bedeutung der Lumbalpunktion im Kindesalter. *)
(Aus der Universitätskinderklinik in Heidelberg. Direktor: 0. Vierordt.)
Von Dr. L. Tobler, ans Zürich, 1. Assistenten der Klinik.
Während sich die Lumbalpunktion in der klinischen Diagnostik sehr rasch
einen festen Platz gesichert und neuerdings ihre diagnostische Bedeutung durch die
Ergebnisse der Zytodiagnostik erweitert hat, ist ihre therapeutische Wertschätzung
dauernd gesunken. „Wo vom therapeutischen Effekt der Lumbalpunktion gehandelt
werden soll“, sagt Gerhardt,*) „muss man geradezu suchen, ob nicht doch —
entgegen der herrschenden Meinung — da und dort den Kranken durch den Eingriff
wirklich genützt worden ist*. Angesichts dieser weitgehenden Skepsis ist es wohl
angebracht, die wenigen auch vor einer strengen Kritik zuverlässigen anderslautenden
Resultate festzuhalten und durch Mitteilung auch noch so bescheidener Erfolge,
wenigstens zu weiteren Versuchen zu ermuntern. 8 )
Die Berechtigung zu solchen ergibt sich in erster Linie aus der relativen
Harmlosigkeit des Eingriffes, vorausgesetzt, dass gewisse Vorsichtsmassregeln nicht
unbeachtet bleiben. Man kann ruhig sagen, dass beim Kinde die Lumbal¬
punktion im allgemeinen einen noch unbedenklicheren Eingriff darstellt als beim
*) Z. T. nach einem Vortrage, gehalten an der XXIX. Wauderversammlung der Südweatd.
Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden am 28. und 29. Mai 1904.
*) 2). Oerhardt . lieber die diagnost. und therapeut. Bedeutung der Lumbalpunktion. — Mit¬
teilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie. 1904. Bd. 13. S. 501.
8 ) Unsere Erfahrungen beziehen sich auf ein Material von 152 Puuktioneu an 71 ver*
achiedenen Patienten.
7
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— 210 —
Erwachsenen, und es ist erstaunlich, wie gut gerade kleine Kinder die Entnahme
beträchtlicher Liquormengen ertragen.
Vielleicht liegt dies schon in den anatomischen Verhältnissen begründet, die
wenigstens im frühen Kindesalter, solange der knöcherne Verschluss des Schädels
noch unvollkommen ist, vollständig andere Bedingungen schaffen, als beim Erwachsenen.
Hier stellen Schädelkapsel und Rückenmarkskanal ein nahezu starrwandiges Röhren¬
system dar, und es müssen notwendig die in demselben eingeschlossenen Organe für
das der entnommenen Flüssigkeitsmenge entsprechende Ersatzvolumen aufkommen. Dies
betrifft aber in erster Linie und vielleicht ausschliesslich die Blutgefässe. Mag schon in
Hinsicht auf letztere das Kindesalter überhaupt durch die grössere Elastizität seines
Gefassystems bevorzugt sein, so sind für die Zeit des unvollkommenen Schädel¬
schlusses die physikalischen Bedingungen von Grund aus andere: Hier vollzieht sich
der Raumersatz in der einfachsten Weise, indem die nachgiebigen Teile, besonders
die Fontanellen einsinken.
Ueble Zufälle scheinen im Kindesalter kaum vorzukommen. Unter den
etwa 30 Todesfällen, die im Anschluss an die Lumbalpunktion beschrieben sind,
betraf meines Wissens keiner das Kindesalter. In der überwiegenden Mehrzahl
dieser Fälle bandelt es sich um Hirntumoren. Es muss als festgestellt gelten, dass die
Lumbalpunktion bei Hirntumor nur mit allergrösster Vorsicht vorgenommen werden
darf, am besten aber bei Tumorverdacht unterbleibt. ! ) Leichtere Folge¬
zustände, Kopfweh, Schwindel, Erbrechen, Pulsschwankungen schliessen sich
gewiss viel häufiger an die Lumbalpunktion an, als meist erwähnt wird. Nissl *)
beobachtete dergleichen in 23°/o seiner Fälle, u. a. bei fast allen von ihm punktierten
Gesunden, und vergleicht den Zustand mit der Seekrankheit. Bei Kindern, die
ihren Empfindungen nur unklar Ausdruck zu geben vermögen, lassen sich dergleichen
Beobachtungen weniger oft machen; nur Erbrechen und Veränderung der Puls¬
beschaffenheit sehen wir recht häufig. Umsomehr möchte ich eigenartige Folge¬
erscheinungen der Lumbalpunktion erwähnen, die wir in einigen seltenen Fällen
beobachteten und die ich in der Literatur bisher nicht beschrieben finde. Es
handelt sich auch hier um Störungen vorübergehender, nicht weiter beängsti¬
gender Art, deren Lästigkeit uns aber immerhin zu erneuerter Vorsicht auf¬
gefordert hat.
Man beobachtet in einer kleinen Anzahl von Fällen im Gefolge der Punktion
das Auftreten verschiedener Reizerscheinungen, insbesondere von
Seiten der Rückenmarksmeningen: Schmerzhaftigkeit, Steifigkeit des
Rückens und Nackens bis zu ausgesprochenster Nackenstarre, Kernig '*ches Phänomen,
Erhöhung der Patellarreflexe und leichte Spasmen, ausstrahlende Schmerzen in den
Beinen, Kopfschmerz, Erbrechen, kurz einen Zustand, den man als m e n i n g i t. o i d e n
M Mir selbst sind 2 das Kindesalter betreffende Todesfälle nach der Lumbalpunktion bekannt.
Leider besitze ich keine näheren Angaben über dieselben: es handelte sich in neiden Fällen um
Hirntuberkel; der eine war im Kleinhirn lokalisiert, ln diesem Falle trat sofort nach dem Eingriff
akuter Verfall und noch am selben Tage der Exitus ein ; bei der Sektion fand sich die Rücken-
markssubstanz von multiplen, kleinen Blutungen durchsetzt. Der andere Fall kam am 2. Tage nach
der Punktion zum Exitus eetalis.
*) Zeutralblatt f. Nervenheilkunde uud Psychiatrie Nr. 171. 1904.
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211
oder nach französischem Sprachgebrauch als Meningismus 1 ) bezeichnen kanti.
Die lästigen Symptome entstanden am Tag nach der Punktion und verschwanden in
den folgenden Tagen ziemlich rasch und ohne Rest.
Folgende drei Fälle dieser Art kamen uns zur Beobachtung.
Der erste betrifft einen Knaben von 9 Jahren, bei dem die Punktion wegen
postmeningitischen Hydrozephalus ausgeführt wurde, und zwar in leichter Chloroform¬
narkose. Die Druckmessung ergab 17 mm Hg. Es wurden in rascher Tropfenfolge mit
mehrmaliger Unterbrechung 20 ccm eines klaren Liquor abgelassen, der Eiweiss nur in
Spuren enthielt. Die Operation selbst verlief ohne jede Störung; erst am nächsten Morgen
klagte Patient über Rückenschmerz und war etwas rückensteif. Am zweiten Tage
darauf nahmen die Erscheinungen za und es trat das Kernig' 1 sehe Symptom sowie aus¬
gesprochene Nackensteifigkeit auf. Die Patollarreflexe waren lebhaft gesteigert. Am
Abend dieses Tages erbrach Pat. bei leerem Magen, ohne jede äussere Veranlassung. Das
Erbrechen wiederholte sich noch zweimal am nächsten Tage und einmal am übernächsten,
dem vierten Tage nach der Punktion. Die Temperatur blieb dabei normal, der Puls
bewegte sich zwischen 70 und 80. Die Erscheinungen klangen allmählich, wie sie
gekommen waren, in wenigen Tagen ab nnd Pat. fühlte sich darauf vollkommen wohl.
Bei späteren Punktionen desselben Patienten kam ähnliches nicht wieder vor.
Fall 2. Ein fünfjähriges Mädchen mit einer seit 3 A Jahren bestehen¬
den eigenartigen Gehstörung, die im Verdacht hysterischer Genese stand, aber auch von
einem Rückenmarkstumor herrühren konnte, wurde aus diagnostischen Gründen punktiert.
Es wurden unter Druck von 11 —14 mm Hg. bloss 5 ccm normaler Zerebrospinalflüssig¬
keit langsam abgelassen; keine Blutbeimengung. Abends klagte Pat. über ausstrahlende
Schmerzen in beiden Beinen, die am nächsten Tage nachliessen, am dritten aber heftiger
worden. Gleichzeitig trat Steifigkeit des Rückens und leichte Nackensteifigkeit auf. Es
bestand Kernig' sches Phänomen und lebhafte Steigerung der Patellarreflexe. Die
Erscheinungen gingen langsam zurück. Noch am 5. Tage nach der Punktion war geringer
Rückenschmerz vorhanden, der das Bücken behinderte.
Ein dritter Fall nimmt eine Sonderstellung ein, dadurch, dass die Flüssigkeit nicht
durch Punktion, sondern durch breitere Eröffnung des Spinalkanales entleert
wurde. Der fünfjährige Jnnge war seit l ! /2 Jahren paraplegisch gelähmt und zeigte
eine bis zu den Mamillm reichende komplette Anästhesie. Die Wabrscheinlichkeitsdiagnose
schwankte zwischen einem Rückenmarkstumor und einer spinalen Myelomeningitis. Wir
entschlossen uns nach längerer Beobachtung den Rückenmarkskanal zu eröffnen und es
geschah dies zwischen dem 5. und 7. Brustwirbel. Ein Tumor fand sich nicht, dagegen
waren die Meningen teils strangartig verwachsen teils schwartig verdickt. Bei der Eröffnung
des Snbarachnoidealraumeg floss aus dem stark gespannten Sack eine ausserordentlich grosse
Flüssigkeitsmenge aus. Durch die Naht sickerten weitere Quantitäten in den nächsten
Tagen nach. Die Wundheilung war sonst rasch und ungestört. Die Folgen des Ein¬
griffs waren : Ein steiler Anstieg der Temperatur-, Puls- und Atemkurve. Nach zwei
Tagen trat Nackenstarre auf, die nach zwei weiteren Tagen verschwand. Weitere Folge
hatte die massenhafte und fosche Flüssigkeitsentleerung nicht.
Solche Vorkommnisse können den "Wert der Lumbalpunktion, selbst der
diagnostischen, ja nicht aufwiegen. Aber sie warnen zur Vorsicht und es ist jeden¬
falls wünschenswert, sich durch sie nicht überrascht zu sehen, und ihren Verlauf
zu kennen.
Diese mit einer gewissen Latenzzeit auftretenden Nacherscheinungen der Punktion
sprechen dafür, dass es nicht die Druckschwankung für sich allein ist, die ihnen zu
J ) So nannte mein Chef, Herr Hof'rat Yierordt das Krankheitsbild jeweilen bei der klinischen
Besprechung.
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— 2l2 —
Grunde liegt. Es besteht vielmehr aller Grund zur Annahme eines ausgeprägten,
anatomischen Reizzustandes der Meningen. Dem entsprechen
die Befunde vermehrter Zellzahl im Liquor der der Punktion folgenden Tage
und die Beobachtung, dass eine zweite Punktion die durch die erste gesetzten
Erscheinungen zu lindern vermag. 1 ) Andererseits unterliegt es kaum irgend welchem
Zweifel, dass dieser Reizzustand bei einwandfreier Technik, (die mechanische und
infektiöse Agentien wegfallen lässt), auf die durch die Druckverminderung hervor¬
gerufene Hyperämie zurückgeht, bei der es, wie Sektionsergebnisse lehren, sogar zu
kleinen Blutaustritten in die Rückenmarksmeningen kommen kann.
Unter diesen Umständen gehört es zu den Erfordernissen einer vorsichtigen
Punktion, rasche und starke Druckschwankungen zu vermeiden. Wir punktieren
deshalb nur in liegender Stellung des Patienten, wobei der Abfluss des Liquor
langsamer erfolgt, und wo überdies der Wegfall der hydrostatischen Druckkomponente
eine exakte Manometrie erleichtert. Pfaundler 1 ) hat die von Jaköby für den Erwach¬
senen empfohlene Punktion am sitzenden Patienten bei Kindern konsequent durch¬
geführt und empfiehlt sie aus verschiedenen Gründen, die jedoch nicht ernstlich ins
Gewicht fallen. Die Ausführung der Lumbalpunktion ist an sich so einfach, dass
wir nach der ausserdem fraglichen technischen Erleichterung („bessere Orientierung
nach den zwei Ebenen“) gar kein Bedürfnis fühlen. Auch die Annahme, dass die
nachgewiesenermassen am Lebenden nicht stagnierende Zerebrospinalflüssigkeit bei
der kurzen Dauer der sitzenden Stellung sich sedimentiere, scheint mir ganz unwahr¬
scheinlich, bei der Langsamkeit mit der sie dies ausserhalb des Körpers im Reagenz¬
glase tut. Bezüglich der Menge, die man ungestraft entnehmen kann, gilt unseres
Erachtens ganz allgemein der Satz, dass je mehr Flüssigkeit vor¬
handen ist, desto mehr auch ruhig entnommen werden darf.
Nur in den Fällen, wo wir eine Flüssigkeitsvermehrung nicht annehmen konnten,
haben wir uns an die besonders von französischer Seite 5 ) als Grenzwerte angegebenen
kleinen Quantitäten gehalten. Andererseits konnten wir bei einem 9 jährigen Mädchen
mit epidemischer Zerebrospinalmeningitis nur mit allerbestem Erfolg rasch nach
einander Quantitäten bis zu 100 ccm entnehmen. Bei zwei Hydrozephalie im
ersten Lebensjahre wurden oline schwerere Folgen Mengen von 400 bezw. 650 gr
in einer einzigen, allerdings protrahierten Sitzung entnommen. Man bedenke im
allgemeinen die verschiedene Bedeutung gleicher Liquormengen bei verschieden
grossen Individuen.
Ein zu stürmisches Abfliessen muss zu häufigen Unterbrechungen des Stromes
veranlassen. Jede Veränderung im Verhalten des genau zu beobachtenden Patienten,
(Pulsschwankungen, Erbrechen, Blässe, Pupillensymptome) sind Indikationen zu
sofortigem Abbruch der Punktion. Bei begründetem Verdacht auf Hirntumor unter¬
bleibt die Lumbalpunktion am besten prinzipiell.
Damit die Punktionsnadel in der notwendigen schonenden, sondierenden Weise
eingeführt werden kann, und zur Vermeidung von Nebenverletzungen, ist eine gute
x ) Milian, Sein. med. 1902. S. 201. Schwartz , Soc. chir. 2./IJ. 02. cit. nach Gerhardt.
*) lieber Lumbalpunktion an Kindern. 1899. Jahrb. f. Kinderheilkunde. Bd. 49. S. 204.
s ) Milian. I. cit.
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213
Fixierung des Patienten unbedingtes Erfordernis. Wo dies weder durch Zuspruch
noch gewaltsam zu erreichen ist, konnten wir öfters eine kurze, leichte Narkose nicht
entbehren (ev. Aetherrausch).
Was nun die therapeutische Verwertbarkeit der Lumbal-
punktion anbetrifft, so soheint zunächst jede Art von Flüssigkeitsvermehrung
im Zerebrospinalsack günstiger Beeinflussung fähig. Allein die Erfahrung lehrt,
dass sich diese Zustände ganz verschieden verhalten. Unter den entzündlichen
Ergüssen fallen die tuberkulöse und die gewöhnliche eitrige Meningitis als absolut
aussichtslos, ja kaum einer vorübergehenden Beeinflussung fähig, von vornherein weg.
Den wenigen Autoren, die auch bei tuberkulöser Meningitis wenigstens
vorübergehende Besserung durch die Lumbalpunktion erzielt haben wollen, steht die
erdrückende Zahl derer gegenüber, die nur die vollständige Nutzlosigkeit des Ein¬
griffs erfahren haben. Wir haben bei 16 Fällen von Meningitis tuberculosa im
ganzen 25 Punktionen ausgeführt und sahen dabei in bloss vier Fällen eine leichte
vorübergehende Aufhellung des Bewusstseins, grössere Ruhe und einmal Verschwinden
des Cheyne-Stolce 'sehen Atemtypus. Dem stehen zwei Fälle gegenüber, bei denen
an dem der Punktion folgenden Tage, wenn auch scheinbar nicht durch sie ver¬
anlasst, der Exitus eintrat, und ein anderer Fall, wo die Punktion stärkeres Erbrechen,
Trismus und allgemeinen Tremor auslöste. Bei der Natur des Leidens betrachten
wir übrigens eine Bewusstseinsaufhellung eher als das Gegenteil eines therapeutischen
Erfolges, und punktieren deshalb bei Verdacht auf Tuberkulose lediglich aus dia¬
gnostischen Rücksichten.
In sieben Fällen von eitriger Meningitis, die nicht ins Krank¬
heitsbild der epidemischen gehörten, sondern zum Teil otogen, z. T.
nach Scharlach oder Influenza entstanden waren, wurden 10 Punktionen ohne Erfolg
ausgeführt: alle Patienten starben.
Bei der Meningitis serosa haben Quincke und seine Schüler 1 ) eine Anzahl
von therapeutischen Erfolgen verzeichnet. Sie beziehen sich vorwiegend auf jugend¬
liche Individuen jenseits des Kindesalters. In der pädiatrischen Literatur sind die
Mitteilungen über typische Fälle der Art recht spärlich, vielleicht deswegen, weil die
Abgrenzung der Meningitis serosa von den verschiedenen Formen des Hydrozephalus
im Kindesalter die Diagnose der Krankheit noch schwieriger gestaltet als beim
Erwachsenen. Auch wir waren bei einem recht reichhaltigen Material bisher nicht
in der Lage, die sichere Diagnose auf seröse Meningitis zu stellen, und haben somit
auch über die therapeutischen Erfolge keine eigene Erfahrung. Immerhin möchte
ich einen Fall, bei dem die Lumbalpunktion von scheinbar günstigem Einfluss war,
hier anschliessen, da er, ohne sich mit ihr zu decken, der chronischen, rezidivierenden
Meningitis serosa nahestehen dürfte.
Der 5 Jahre alte Knabe H. Mayer, das erste Kind gesunder Eltern, litt früher an
Rachitis, lernte erst mit zwei Jahren laufen und war immer etwas schwach auf den
Beinen, so dass er oft hinfiel (Schwindel?). Die psychischen Funktionen und noch mehr
*) Quincke. Ueber Meningitis serosa. 1893. Volkmann’sche Vorträge Nr. 67.
Derselbe, Zeitschrift f. Nervenheilkunde. 1897. Bd. 9. S. 149.
Ricken, Arch. f. klin. Medizin. 18%. Bd. 56. S. 1.
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214
die Sprachentwickelung waren ungenügend und weit hinter dem Alter zurück. Seit zwei
Jahren besteht Ausfluss aus dem linken Ohr, vorübergehend soll Fieber bestanden haben.
Der körperlich sonst gut entwickelte Knabe zeigt keine Zeichen von Rachitis.
Schädelumfang 52 cm. Venenzeichnungen an Stirn, Schläfe und Schädel; kein Fieber,
kein Kopfschmerz, normaler Augenhintergrund. Trommel feil narben links, starkes Geifern;
Steigerung der tiefen Reflexe, unsicherer taumelnder Gang mit häufigem regellosem Hin-
fallen. Stehen mit geschlossenen Augen ist unmöglich. Mässiger Intelligenzdefekt,
unruhiges, erregtes Wesen, Bewegungsdrang. Schlecht artikulierte, wortarme Sprache.
Diesen Jungen haben wir in Intervallen von 6—8 Wochen dreimal punktiert. Es
wurden bei einem Druck von ca. 20 mm Hg. etwa 80 ccm klare Flüssigkeit abgelassen,
die nur Spuren von Eiweiss enthielt. Der Erfolg war auffallend. An Stelle des erregten
Wesens trat in den der Punktion folgenden Tagen eine ganz auffallende Ruhe, so dass
Patient stundenlang regungslos im Bette lag. Er machte im Laufe der Beobachtung
merkliche Fortschritte im Sprechen, und das Geifern verlor sich. Die Mutter
brachte den Knaben jeweilen spontan wieder zum Zwecke der Punktion, wenn sich sein
Zustand nach und nach wieder verschlimmerte, und war jedesmal über die günstige
Beeinflussung der ihr auffallenden Symptome hocherfreut. Nachriohten über das gegen¬
wärtige Befinden des Knaben konnte ich nicht erhalten.
Am allgemeinsten zugestanden sind die therapeutischen und palliativen Erfolge
der Lumbalpunktion bei der epidemischen Zerebrospinalmeningitis.
Heubner') wird den bisher mitgeteilten Resultaten ungefähr gerecht, wenn er bei der
Besprechung der Therapie dieser Krankheit sich folgendermassen äussert: „Einen
palliativen Nutzen hat ferner öfter die Lumbalpunktion. Eine allgemeine Erleich¬
terung, ein Nachlass der Schmerzen folgt oft direkt der Entnahme von 20, 30,
40 ccm des eitrigen Exsudates aus der Rückenmarkshöhle; ja manche Autoren sind
der Meinung, durch öftere Wiederholung dieser Punktionen auch Heilwirkung aus¬
geübt zu haben.“ Koplik *) kommt an Hand von fünf Fällen, die er 15 mal punk¬
tiert hat, zu dem Ergebnis, dass eine günstige Beeinflussung vor allem der Schmerzen
und derjenigen Symptome zu konstatieren sei, die auf die Toxämie und den mecha¬
nischen Druck zurückgehen. Von einer günstigen Beeinflussung der Prognose zu
sprechen, hält er für verfrüht. Wilms 8 ) sah in mehreren Fällen eine Abnahme der
Kopfschmerzen, in einem Fall einen überraschenden therapeutischen Effekt: der
vorher tief benommene Patient setzte sich nach der Punktion spontan im Bette auf.
Bei Schiff ’s 4 ) Patienten schloss sich an eine ebenso günstige momentane Beeinflussung
die definitive Entfieberung und Heilung an. Zu ähnlichen Resultaten kamen eine
ganze Reihe anderer Autoren (Koths, Pfaundler , Goldscheider , Mya } Falkenheim ).
Monti 5 ) legt Wert darauf, dass die Punktion im ersten Stadium der Krankheit
ausgeführt werde.
Auch unsere Resultate bestätigen ungefähr die herrschende Meinung. Wir
haben in sieben Fällen von Meningitis epidemica im ganzen 14 mal punktiert. Der
Erfolg war in einzelnen Fällen eklatant, in anderen blieb er vollständig aus. Die
einzelnen Patienten verhalten sich, wie schon Monti und Koplik betonten, ganz ver-
M Lehrbuch der Kinderheilkunde. 1905. I. Bd. S. 551.
2 ) Cerebrospinal iueningitis treated by repeated lumbar puucture. Medical News 1901. S. 448.
3 ) Münch, med. Wochenschr. 1897. S. 53.
4 ) Wiener klin. Wochenschr. 1898. S. 199.
5 ) Beitrag zur Würdigung des diagnostischen und therapeutischen Wertes der Lumbalpunktion.
Archiv f. Kinderheilkunde. Bd. 24. S. 94.
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215
schieden, so sehr, dass letzterer, wenn die erste Punktion erfolglos war, beim selben
Patienten einen zweiten Yersuch als aussichtslos verwirft. Es ist vorderhand nicht
einzusehen, worauf dies beruht. Yon den Druck Verhältnissen allein ist der Erfolg
anscheinend nicht abhängig. Deutliche Erfolge der Punktion sahen wir bei Druck¬
höhen, die zwischen 20 und 60 mm Hg. lagen. Bei anderen Patienten, die eben¬
falls ansehnliche Druckvermehrung mit Höhen von 20—30 mm aufwiesen, blieb jeder
Erfolg au9.
Bei drei von unseren sieben Fällen waren die ausgeführten fünf Punktionen von
unverkennbar günstiger Wirkung. Es erfolgte ein unmittelbarer Nachlass der äusserst
heftigen Kopfschmerzen, Ruhe, Schlaf, Nahrungsaufnahme, Minderung der Nacken¬
starre und der allgemeinen Hyperästhesie, einmal auch definitiver Temperaturabfall.
Einer der Fälle ging im Anschluss an die Punktion in Dauerheilung über, in einem
zweiten erfolgte nach dreiwöchentlichem Wohlbefinden ein kurz dauerndes Rezidiv
und dann die Heilung, im dritten Falle dauerte nach den ersten 2 Punktionen die
Besserung jeweils 24—28 Stunden an, die dritte leitete zur Heilung über. In einem
weiteren Fall erreichten wir nur ein Nachlassen der Kopfschmerzen, in zwei Fällen
war der Erfolg nicht nennenswert, und im letzten Falle blieb trotz dreimaliger
Punktion bei Druckhöhen bis zu 28 mm Hg. der Zustand unbeeinflusst, ja es wurde
anscheinend durch die in einem Stadium des Nachlasses vorgenommene dritte Punktion
ein erneutes Aufflackern der schweren Erscheinungen hervorgerufen. Die letzten drei
Patienten starben.
Die Krankengeschichte der drei günstigst verlaufenen Fälle teile ich im folgenden
kurz mit.
1. Fall. Martha Sch. 6*/* Jahre. Plötzlich erkrankt mit Schmerzen im
einen Fuss, zweimaligem Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Fieber, Nackenstarre. Am
14. Krankheitstag Ueberführong in die Klinik. Temperatur 40,2, Puls unregelmässig,
Atmung beschleunigt und unregelmässig. Bewusstsein erhalten, grosse Unruhe, lautes
Jammern und Schreien, extreme Nackenstarre. Starke Hyperästhesie auch von Seiten der
Sinnesorgane; gesteigerte tiefe Reflexe.
Lumbalpunktion am 15. Krankheitstage. Druck 25—32 mm Hg. Es
werden 35 ccm nahezu klarer Flüssigkeit entnommen, die spontan ein feines Gerinnsel
abscheidet, wenig Eiweiss und vorwiegend polynukleäre Leukozyten enthält. Kultur- und
Tierversuch negativ.
Nach der Punktion viel ruhiger, schläft dauernd auch bei Tag, antwortet auf Fragen,
setzt sich auf. Puls unverändert, Atmung ruhiger und gleichmässiger. Schon am nächsten
Tag wieder zunehmende Unruhe, dauernd hohes remittierendes Fieber, Schmerzen, wildes
Schreien, dazwischen Remissionen. Hypnotica und Morphium nahezu wirkungslos.
Zweite Lumbalpunktion sieben Tage nach der ersten. Druck 30 mm Hg.
Menge 30 ccm, 1 °/oo Eiweiss, darauf die Kopfschmerzen verschwunden, zwei Nächte
ruhiger Schlaf. Am Beginn der fünften Krankheitswoche nach einigen Tagen fast völligen
Wohlbefindens erneuter Temperaturanstieg. Grosse Unruhe und heftigste Kopfschmerzen.
Starke Hyperästhesie«
Dritte Lumbalpunktion 100 ccm. 1 °/oo Albumen, starkes Eitersediment,
zahlreiche Diplokokken, Kultur negativ. In der folgenden Nacht definitive Entfieberung
(37. Krankheitstag). Heilung.
2. Fall. Georg B. 9 l /* Jahre. Erkrankt mit Kopfschmerzen, Erbrechen,
Fieber, Nackenstarre, Taubheit. Häufiges Aufschreien, starke Hyperästhesie. Am 5.
Krankheitstage Lumbalpunktion. Druck erhöht, 30 ccm leichtgetrübte Flüssig-»
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216
keit mit zahlreichen Leukozyten und kleinen Diplokokken. Kultur- und Tierversuch
negativ. Nach der Punktion sofortige Beruhigung, Schlaf, Patient spricht, kann allein
essen. In den nächsten 4 Tagen definitive Entfieberung, Heilung mit zuriickbleibender
Taubheit.
3. Fall. Heinrich Sch. 3 Jahre. Erkrankt mit Fieber, Halsschmerz, Er¬
brechen, Kopfschmerzen. Am dritten Tage Krampfanfall, Benommenheit. Zusammen¬
schrecken bei Berührung, hochgradige Nacken- und Kückenstarre. Tremor, Nystagmus,
Spasmen in den Extremitäten, Hyperästhesie, Demographie.
Lumbalpunktion 40 mm Druck. Schleierartiges spontanes Sediment, wenig
Albumen, Menge 25 ccm. Nach der Punktion klares Bewusstsein, Hyperästhesie
geschwunden, erkennt die Angehörigen, verlangt zu trinken. Fieber anhaltend, wohl im
Zusammenhang mit einer Ohreiterung, vom 20. Tage an fieberlos, 14 Tage später geheilt
entlassen.
Mehr als jedes andere Krankheitsbild musste von jeher der chronische
Hydrozephalus des Kindesalters zu therapeutischen Versuchen mit der
Lumbalpunktion reizen. Die Literatur der letzten Jahre hat denn auch ein sehr
grosses Beobachtungsmaterial über den Gegenstand zusammengetragen. Allein das
positive Ergebnis ist bedauerlich klein geblieben. Die Anschauung der meisten
Autoren geht dahin, dass der Lumbalstrch zwar vorübergehende Besserung im
Krankheitsbild bewirken könne, aber nicht imstande sei, den Hydrozephalus zur
Heilung zu bringen. 1 ) Bei den Misserfolgen, über die von allen Seiten berichtet
wird, tritt man mit verdoppelter Skepsis an die wenigen günstigen Berichte heran.
Es lässt sich eben gegen Hetibner’s Meinung wenig stichhaltiges einwenden, wenn er
sagt 8 ), es sei wohl immer ein Glücksfall, wenn zufällig die Entleerung der Flüssigkeit
mit dem Versiegen des unbekannten Agens oder Reizes zusammentrifft, der sonst
meist die baldige Rückkehr des Ergusses bewirkt. Der Richtigkeit dieser Ansicht
kann man sich nicht leicht entziehen, wenn man den unglaublich raschen Wieder¬
ersatz der abgenommenen Flüssigkeitsmenge einerseits und die tatsächliche Möglichkeit
eines spontanen Stillstandes des pathologischen Prozesses andererseits ins Auge fasst.
Wenn Concetti 3 ) nach innerhalb 2 Jahren 53 mal wiederholter Punktion, Grober 4 )
nach 25 maliger in einem, 12 maliger im andern Falle einen Stillstand des Schädel¬
wachstums und ein allmähliges Einsetzen verspäteter normaler Entwicklungsprozesse
beobachtet, so ist der auf die Lumbalpunktion entfallende Teil des Erfolges gewiss
äusserst zweifelhaft. Aus denselben Erwägungen stehen wir auch den Mitteilungen
über vereinzelte Erfolge von anderer Seite (von Leyden , Bauermeister ), sowie unseren
eigenen skeptisch gegenüber. Pfaundler 5 ), der leider kein Material mitteilt, spricht
von sehr günstigen Erfolgen bei Hydrozephalikern, namentlich werde die den rachi¬
tischen Hydrozephalus so häufig begleitende symptomatische Tetanie in manchen
Fällen durch die Punktion geradezu koupiert. Ausser ihm verspricht sich auch Afya 6 )
von der Methode grosse Erfolge.
*) Siehe auch: A. Pilcz. Die Behandlung des Hydrozephalus. (Sammel-Referat) Zentralbl. f.
Grenzgebiete 1899. S. 681.
*) Heubner, Gesellschaft der Chariteärzte 1. Nov. 1894.
3 j Ref. Jahrb. für Kinderheilkunde. Bd. 46. S. 464.
4 ) Münchner med. Wochenschr. 1897. S. 53.
6 ) 1. c.
fl ) Mya , Gaz. osped. 1903. (Cit. nach Gerhardt.)
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21 1
Ein Fall von Dauerheilung bei kongenitalem Hydrozephalus ist
mir nicht bekannt und fehlt auch in unserem Material. Was den chronischen
acquirierten Hydrozephalus anbelangt, so kommen wir an Hand unseres
Materials zu Racsynsld' s 1 ) Ansicht, der streng unterscheidet zwischen primärem
idiopathischem Hydrozephalus und sekundärem bei Menin¬
gitis auftretendem. Bei 21 Fällen der ersten Art sah Racsynslä keinen
Erfolg.
Wir haben in 15 solchen Fällen 36 Punktionen ausgeführt. Den grösseren Teil
der Kinder verloren wir nach 1 —2 Punktionen aus den Augen. Es gelingt schwer,
die Eltern, die sich bei der ersten Punktion von dem raschen Schwinden des zunächst
erreichten Erfolges überzeugen, zum konsequenten Ausharren auf dem eingeschlagenen
Wege zu bewegen. So haben wir bisher nur ganz vereinzelte Fälle von systematisch
über einige Zeit dutchgeführten Spinalpunktionen beobachten können, und auch unter
diesen befindet sich kein einziger einwandfreier Erfolg. Wohl sahen wir nach einigen
sich rascher oder in grösseren Intervallen folgenden Punktionen in einigen wenigen
Fällen das Schädelwachstum allmählich Stillstehen, die Fontanellen sich schliessen
und die zurückgebliebene Entwickelung einigermassen in Gang kommen. Allein es
handelte sich hier von vornherein um wenig progrediente Verlaufsweisen und auch
fernerhin blieb die psychische Entwickelung weit hinter der körperlichen zurück.
Wir entscheiden die Frage nicht, ob die Lumbalpunktion hier den Prozess zum
Stillstand brachte oder ihn daran nicht hinderte. Wir halten uns jedenfalls auch
weiterhin für verpflichtet, Versuche mit systematischen Punktionen bei chronischem
Hydrozephalus zu machen, denn es ist den Kranken ja auch damit schon genützt,
wenn es gelingt, ein rapides Schädelwachstum bis zura Einsetzen der Naturheilung
hintanzuhalten. Fälle wie der Folgende jedoch, bei denen trotz regelmässiger Punktionen
der Schädel im gleichen Tempo weiterwuchs, sind sehr geeignet, das Zutrauen zum
therapeutischen Wert der Lumbalpunktion zu erschüttern.
M. M ü 11 e r, 8 Monate. Bei der Geburt normal, mit 5 Monaten akute fieber¬
hafte Erkrankung, anscheinend Pneumonie mit eklamptischen Erscheinungen. Kein sicherer
Anhaltspunkt für Meningitis. Bald darauf fing der Kopf zu wachsen an nnd wächst in
den letzten 14 Tagen auffallend rasch.
Status: Gut entwickeltes, nicht rachitisches, ziemlich fettes Kind, psychisch etwas
itumpf, fixiert nicht. Normale Beweglichkeit^ leichte Spasmen der Beine, gesteigerte
Pttellarrefiexe, leichter Fussklonus. Schädel gross, Temporal umfang 45 cm, allseitige Aus¬
ladung, klaffende Nähte, Venenzeichnungen, bisweilen Papillendifferenz, häufiges schoss-
weises Erbrechen. Wie sich aus folgender Tabelle ergibt, wurde das Kind innerhalb
11 Monaten im ganzen 11 mal punktiert, mit dem Ergebnis, dass die Kopfgrösse langsam
aber stetig zonahm.
Datum
Punktions¬
Druck:
Menge:
Temporalumfang:
zahl:
mm Hg.
ccm
cm
30. Harz
1 .
vermehrt
27
44,5
17. April
45
11. Mai
2.
24
20
46,0
7. Juni
3.
20
21
46,5
5. August
4.
30
48,0
*} Die Lumbalpunktion bei Hydrozephalus. Wiener klin. Rundschau 1898.
t
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Datum
Punktions¬
Druck :
Menge:
Temporalumfang:
zahl :
mm Hg.
ccm
cm
29. August
5.
30
49,0
19. September
6.
25
10. Oktober
7.
30
8. November
8.
25
49,5
5. Dezember
9.
30
50,0
27. Dezember
10.
40
50,5
16. Januar
11.
30
51,0
Wir setzen auch in diesem Fall die systematische Punktionsbehandlung beharr¬
lich fort, solange die Geduld der Eltern ausreicht, sind aber weit davon entfernt,
wenn eines Tages ein Wachstumstillstand ein treten sollte, die Lumbalpunktion dafür
verantwortlich zu machen.
Beim sekundären Hydrozephalus nach Meningitis erzielte
Racsynski unter 5 Fällen zweimal eine Besserung, die einige Tage anhielt. Besser
sind die Erfolge, die Bokay 1 ) ebenfalls bei postmeningitischen Hydrozephalie mitteilt.
Im ersten Falle erreichte er nach llmaliger Punktion eine komplette Heilung, den
anderen verlor er nach günstig einsetzendem Verlauf nach der 15. Punktion an inter¬
kurrenter Krankheit. Auch Schilling’ s a ) zwei geheilte Fälle, bei deren einem aller¬
dings die direkte Ventrikelpunktion ausgeführt wurde, betrafen anscheinend posfc-
meningitische Ergüsse. Nicht weniger erwähnenswerte Verlaufsweisen sahen wir selbst
in folgenden Fällen schwerer postmeningitischer Zustande.
1. Fall. Friedrich Sch. Ein drei Jahre alter Knabe, der sich bis dahin
sehr gut entwickelt hatte, und nie krank gewesen war, erkrankte vor acht Wochen unter
Symptomen, die nach Bericht des Arztes keinen Zweifel an der Diagnose einer Meningitis
lassen. Die Krankheit zog sich unter vielfachen Schwankungen über Wochen hin. Der
Zustand des Kindes war bei der Aufnahme folgender:
Patient scheint weder zu sehen noch zu hören, schreit andauernd ansinnig in
automatischer Weise, steckt die Hände in den Mund, ist im höchsten Grade unreinlich
bis zur Koprophagie. Beim Trinken empfindet er Befriedigung, die Flasche kennt er
nicht. Motilität ist erhalten, keine Nackenstarre ; die Patellarreflexe sind sehr lebhaft,
die Pupillen weit und reagieren träge.
Die Lumbalpunktion ergab unter geringem Druck 40 ccm wasserklare
Flüssigkeit von geringem Eiweissgehalt.
Die erste Folge der Lumbalpunktion äusBerte sich sofort in grösserer Ruhe und
behaglicherem Gesiohtsausdruck des Patienten. Auf Anrufen beginnt er in den nächsten
Tagen etwas zu reagieren. Patient wurde im Laufe von 1 Ä /* Monaten noch viermal
punktiert und dabei im ganzen eine Menge von 100 ccm Liquor abgenommen. Nach
jeder einzelnen Punktion war eine unverkennbare Beruhigung des Kindes wahrzunehmen.
Es fing an, einzelne Worte in vernünftigem Zusammenhang zu sprechen, lernte sogar
neue, wie den Namen der Pflegerin, hinzu. Oft spricht er lange halblaut vor sich hin.
Leider erkrankte Patient interkurrent an Masern, wodurch die weitere Beobachtung
gestört wurde. Nachdem er die Krankheit überstanden hatte, wurde er nach Hause
entlassen. Nach Mitteilung des Arztes, ein halbes Jahr später, hat sich der kleine
Patient zu Hause weiter erholt und macht nun den Eindruck eines nahezu normalen
Kindes.
*) lieber den Wert der systematischen Lumbalpunktion bei der Behandlung des Hydrozephalus
ehronic. iuteru. bei Kindern. Jalirb. für Kinderheilkunde. Bd. 57. »S. 229.
2 ) hr. Schilling , Die Puuktiou des Hydrozephalus. Münch, med. Woehenschr. 1896. Nr. 1.
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219
2 . Fall. Kurz darauf kam ein anderer Junge von 3 1 /* Jahren mit ganz ähnlicher
Anamnese in die Klinik. Der Zustand des Kranken ist folgendermassen notiert:
Patient wirft sich in den abnormsten Lagen im Bett herum; der Kopf ist meist
rückwärts übergezogen. Patient lallt unartikulierte Laute, oder brüllt tierisch, kaut an
den Fingern, zernagt die Bettstelle, kurz er macht den Eindruck schwerster Idiotie.
Hirnnerven, Motilität, Sensibilität, soweit zu prüfen, normal. Reflexe erhalten, Patient
scheint zu hören und za sehen. Die Lumbalpunktion wurde vorgenommen und unter
massigem Druck 15 ccm normaler Flüssigkeit abgelassen. Tags darauf war Patient ganz
auffallend viel ruhiger, fing an durch Augenzwinkern auf Geräusche zu reagieren, lächelte
vorübergehend. In den nächsten Tagen rief er mehrmals nach der Mutter. Fünf Tage
später wurde die Punktion wiederholt. An sie schloss sich eine auffallende Besserung
an, die von den Angehörigen als so wesentlich empfunden wurde, dass sie sich zufrieden
erklärten und den Patienten gegen unsern Willen nach Hause nahmen. Patient sass in
den letzten Tagen ruhig im Bett, lachte mit den andern Kindern, lernte greifen, essen,
und mit etwas Stütze gehen. Nachrichten über den weiteren Verlauf fehlen mir leider.
Wir glauben nicht, dass die geschilderten Krankheitssymptome allein durch
eine Flüssigkeitsvermehrung im Subarachnoidealsack hervorgerufen werden können.
Allein es ist möglich, dass der Heilungsprozess in den geschädigten Hitapartien durch
die Entlastung, die die Punktion bringt, wesentlich angeregt und gefördert wird.
Gewiss werden die Erfolge um so besser sein, je rascher nach der akuten
Erkrankung die Therapie eingreift. Trotzdem haben wir es nicht unterlassen, in
einem jener Fälle von postmeningitischer Idiotie, über die die Literatur
so wenig mitteilt, trotz des nach Jahren zählenden Intervalles zwischen akuter
Erkrankung und gegenwärtigem Zustande Versuche mit wiederholter Lumbalpunktion
zu machen. Dieselben scheinen nicht ganz erfolglos gewesen zu sein.
Fritz G. 872 Jahre. Der vorher vollständig gesunde Knabe erkrankte im Alter
von l 3 /4 Jahren an einer schweren Meningitis, über deren Verlauf wir genauen Bericht
des Arztes besitzen. Der akute Prozess lief ab in einer Zeit von 6 Wochen. Es blieb
ein Zustand schwerster Idiotie mit vollständig tierischem Benehmen zurück. Patient
konnte weder laufen, noch hören, noch sehen. Der Zustand des Kranken besserte sich
in den nächsten Jahren langsam, auch bezüglich der Sehkraft. Er wurde in eine Privat¬
anstalt für idiote Kinder gebracht und daselbst erzieherisch immerhin etwas erreicht.
Wir sahen den Jungen im Alter von S 1 /* Jahren, also fast 7 Jahre nach der
Meningitis. Es war ein kräftiger, blühend aussehender Junge, an dem körperlich ausser
erhöhten Patellarreflexen und Strabismus nichts nachweisbar war. Ueber die Psyche ist
notiert: Uebergrosse Redseligkeit bei starkem Affekte, heiter, zu allen Scherzen aufgelegt.
Aufmerksamkeit nur momentan zu fesseln, hochgradige Ablenkbarkeit und Ideenflucht.
Versteht und befolgt Aufforderungen; Gedächtnis ziemlich gut, übertriebene Neigung
zum Ableiern auswendig gelernter Verse und Lieder. Logisch hinreichend geordnet.
Im Vordergründe stand also ein Erregungszustand mit Rede- und Beschäftigungs-
drang und grosser Zerstreutheit.
Diesen Patienten haben wir kurz nacheinander dreimal und nach einer Pause von
4 Monaten zum 4. male punktiert. Der Druck sank dabei von 34 mm Hg. bei der ersten,
auf 10—14 mm Hg. bei der letzten Punktion, hat also auch nach längerer Pause den anfäng¬
lichen Wert nicht wieder erreicht. Die entnommenen Mengen waren je 20 ccm, die
Flüssigkeit von normaler Beschaffenheit.
Ueber das Resultat sich ein sicheres Urteil zu bilden, ist überaus schwer und
grosse Zurückhaltung jedenfalls am Platze. Als sicher kann hingestellt werden, dass
nach der ersten Punktion eine auffallende Beruhigung des Patienten eintrat, die sich
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in geringerem Masse auch bei den folgenden geltend machte, nur bei der letzten
eigentlich fehlte. Die Aufmerksamkeit war leichter und länger zu fesseln, der Knabe
längere Zeit mit ruhigem Spiel zu beschäftigen. Herr Dr. Oron, in dessen Anstalt
der Knabe sich vor und nach unserer Behandlung befand, hält eine dauernde günstige
Beeinflussung durch die erste Lumbalpunktion für zweifellos.
Zum Schlüsse erlaube ich mir, meinem verehrten Chef, Herrn Hofrat Vierordt ,
für die Erlaubnis zur Bearbeitung des mitgeteilten Materials meinen Dank aus¬
zusprechen.
Anmerkung. Ziemlich vollständige Literaturzusammenstellungen über Lumbal¬
punktion finden sich in den Sammelreferaten von :
Neurath . Die Lumbalpunktion. Centralblatt f. d. Grenzgebiete der Med. und Chir.
I. Bd. 1898. S. 457.
D. Gerhardt . Uebcr die diagnost. und therapeut. Bedeutung der Lumbalpunktion.
Referat erstattet auf der 29. Vers, südwestd. Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden.
Mitteilungen a. d. Grenzgebieten. Bd. 13. S. 501. 1904.
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Streptomykosen.
Von Dr. F. Schwarzenbach, Tramelan.
(Schluss.)
III. Therapie der Streptomykosen.
Es ist nicht meine Absicht, die spezielle Therapie der Lungenstreptomykosen
und der rheumatischen Erkrankungen hier im einzelnen auszuführen. Ich werde auch
die Serumtherapie nicht spezieller besprechen. Die Wirkung des Streptokokkenserums
ist nach den Publikationen von Tavel 3 ), Meneer 10 ) u. a. m. über jeden Zweifel er¬
haben. In den wenigen Fällen, in welchen ich Gelegenheit hatte, dasselbe anzu¬
wenden, trat die Wirkung stets prompt ein und ausserdem habe ich es in den Hän¬
den anderer lebensrettend wirken sehen. In schweren oder hartnäckigen Fällen
werden wir daher stets unsere Zuflucht zum Serum nehmen.
Ich möchte im folgenden nur einige Grundzüge der Prophylaxe und namentlich eine
kausale Therapie der Streptomykosen anführen, wie sie sich aus dem früher gesagten
ergibt, und wie ich sie seit einiger Zeit bei meinen Patienten mit Erfolg angewendet
habe.
Therapie der Streptomykosen der obern Luftwege.
Da uns die Aetiologie der Streptomykosen bekannt ist, da wir wissen, wie und
wo die Keime in den Körper eintreten und wo sie in demselben Herde bilden, von
welchen aus der Körper durch Toxinresorption geschädigt wird, so muss es möglich
sein, prophylaktische Massregeln zur Verhütung der Krankheit zu finden.
Die Streptokokken treten, an Staub gebunden, mit der Atmungsluft in die
Luftwege ein, und bleiben an den feuchten Wänden der obern Luftwege haften.
Aus der Nase werden sie mit dem Schleim wohl zum grössten Teil wieder eliminiert,
während sie sich im Epipharynx festsetzen können, und das um so leichter, wenn
dort noch adenoides Gewebe, Reste der Tonsilla tertia mit ihren Buchten und Spalten
vorhanden sind, welche mit ihrem retinierten Sekret die Ansiedlung der Kokken
begünstigen.
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Wenn wir nun auch die Staubinhalation niemals ganz werden verhindern
können, so können wir sie doch ganz bedeutend einschränken und es sind deshalb
die modernen Bestrebungen zur Unterdrückung des Strassenstaubes, im Sinne einer
Prophylaxe der Streptomykosen sehr zu begrüssen. Auch im kleinen, vor allem in
den Schulhäusern, liesse sich zur Verminderung der Staubbildung noch sehr viel tun.
Wenn es uns trotz alledem auch nie gelingen wird, die Invasion von Bakterien in
den Bachen zu verhindern, so wird doch durch die Bekämpfung des Staubes den
massiven Infektionen vorgebeugt, so dass widerstandsfähigere Individuen sich der
Infektion ganz erwehren können und damit die Gesamtzahl der Erkrankungen über¬
haupt abnimmt.
Da pathogene Keime allein noch keine Krankheit machen, wenn ihnen nicht
die Schädigung des Gewebes das Haften möglich macht, so erscheint als weitere,
wichtige, auch für empfängliche Individuen erfolgversprechende, prophylaktische
Massregel, das Erhalten der Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Schleimhäute
der obern Luftwege. Ganz besonders bei Kindern wird dieser Punkt meistens wenig
beachtet und gerade bei ihnen wären die genannten Vorsichtsmassregeln am nötig¬
sten and zugleich am wirksamsten, da sie der Infektion stark ausgesetzt sind und
derselben natnrgemäss relativ wenig Widerstand entgegensetzen können. Es kommt
dabei namentlich die Abhärtung gegen Witterungseinflüsse in Frage, das allmählige
Gewöhnen der Kinder an Wind und Wetter, um damit, besonders bei Skrophulösen,
die Neigung zu Katarrhen der obern Luftwege zu bekämpfen. Dabei ist eine sorg¬
fältige Pflege des Mundes nicht zu vergessen. Endlich sollten auch leichte akute
Katarrhe stets bis zur völligen Ausheilung behandelt werden, damit nicht aus dem
akuten ein chronischer Katarrh entsteht, der dann für die Entwicklung einer chro¬
nischen Rachenstreptomykose das Terrain auf das beste vorbereitet.
Ist der Rachen einmal infiziert, d. h. hat sich dort ein Herd gebildet, der den
Körper periodisch oder auch beständig mit Toxin überschwemmt und durch das Heer
seiner Folgezustände, wie akute und chronische Muskel- und Gelenkrheumatismen,
Ischias, Kopfschmerzen, Neuralgien, ewig rezidivierende Angina und Streptokokken¬
grippe seinem Träger das Leben verbittert, so wird es sich vor allem darum han¬
deln müssen, diesen Herd unschädlich zu machen. Wenn es auch, der beständigen
Reinfektion wegen, uns nie gelingen wird, den Rachen von Streptokokken ganz zu
befreien, so gelingt es doch meistens relativ rasch, die vorhandenen Streptokokken so
zu schädigen, dass die Toxinproduktion aufhört und anderseits lässt sich die Schleim¬
haut, welche schliesslich doch leidet und in einen Zustand chronischer Reizung und
endlich Entzündung gerät, wieder herstellen und gesunder und widerstandsfähiger
machen. Ist das gelungen und ist die Schleimhaut wieder intakt, so spielen die
Streptokokken nur noch die Rolle unschädlicher Parasiten und der Patient bleibt
trotz Reinfektion gesund.
Ich bediene mich zu diesem Zwecke regelmässiger täglicher Spülungen des Rachens
mit aseptischer, isotonischer Kochsalzlösung, mit nachfolgender Einblasung von Natrium
sozojodolicum purum. Antiseptische Zusätze zum Spülwasser bieten durchaus keine
Vorteile. Die Schleimhaut darf nicht gereizt werden, wenn man mit der Behandlung
nicht mehr schaden als nützen will und von den deshalb notwendig werdenden star-
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ken Verdünnungen der Antiaeptica kann man boi der kurzen Berührungszeit nicht
einmal einen entwicklungshemmenden Einfluss erwarten. Der Zweck dieser Spülungen
ist ja hauptsächlich auch nur der, die Schleimhaut von dem zähen, schleimig-eitrigen
Sekret zu befreien. Sie sollten deshalb nicht mit dem Irrigator, sondern mit einer
Spritze gemacht werden, welche gestattet, einen kräftigen Strahl durch den untern
Nasengang direkt in den Rachen zu senden. Denn der Rachenschleim ist meistens
äusserst zähe und festhaftend, da er durch die Respiration beständig mehr oder we¬
niger ausgetrocknet wird. So gelingt es durch Spülungen mit einem Irrigator häufig
nicht die Schleimhaut zu reinigen. Und wenn das eingeblasene Pulver auf der Ober¬
fläche einer Schleimschicht oder gar Kruste sitzt und die Schleimhaut gar nicht
berührt, so ist seine Wirkung natürlich illusorisch. Ich halte aber die gründliche
Reinigung der Schleimhaut für wichtiger als die Pulvereinblasung, da man mit ern¬
sterer allein auch schon etwas erreichen kann, während durch blosses Pulvern ohne
Spülung nichts erreicht wird.
Sitzen im Epipharynx Reste der Tonsilla tertia, welche sich in chronischer
Entzündung befinden und in deren Rezessus Sekretverhaltung zustande kommt, so
kommt man mit der Pulverbehandlung allein nicht zum Ziel. Man muss dann vorher diese
Reste durch Auskratzung mit dem Trautmanri sehen Löffel oder dem Gottstein sehen
Ringmesser entfernen. Sind diese Granulationen unerheblich, so kann man sich be¬
gnügen, sie mit Trichloressigsäure oder Chlorzink zu ätzen. Dabei muss aber darauf
geachtet werden, dass man wirklich in die Tiefe der Rezessus und Buchten hinein¬
ätzt, um dieselben zur Verödung zu bringen.
Was für ein antiseptisches Pulver man nach der Spülung einbläst, ist nicht
ganz gleichgültig. Vor allem darf das Pulver die Schleimhaut in keiner Weise
reizen. Ferner sind unlösliche Pulver ungeeignet, da sie nicht zersetzt, sondern bald
durch den neu sezemierten Schleim emporgehoben und eliminiert werden. Dagegen
nach Auskratzungen und starker Aetzung sind unlösliche Pulver am Platz, da sie
auf den wunden Stellen haften bleiben. Ich verwende da meistens das reizlose und
dabei gut schmerzstillende Euguform. Nach blossen Spülungen verwende ich stets
das Natrium sozojodolicum, das auch rein eingeblasen, sehr wenig reizt und kräftig
antiseptisch wirkt.
Dass dadurch wirklich Streptokokken abgetötet werden, beweist mir die aus¬
nahmslos bei Beginn dieser Behandlung auftretende Reaktion, die ganz analog ist
der Reaktion bei der Behandlung mit Streptokokkenserum und sich wohl auch auf
dieselbe Weise erklären lässt: aus den abgetöteten Streptokokken werden deren to¬
xische Proteine frei und treten zu den vorhandenen Toxinen und Toxalbuminen, so-
dass eine vorübergehende, bedeutend erhöhte Toxinaemie zustande kommt. Infolge
dessen werden die bestehenden Beschwerden ganz akut, aber nur vorübergehend er¬
höht. Regelmässig tritt diese Reaktion mit Akzentuierung der Schmerzen und dem
Gefühl allgemeiner Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und Schwäche 4—12 Stunden
nach der ersten Spülung auf und ist nach ein, spätestens zwei Tagen vorüber, um
trotz täglicher Spülungen nicht wieder aufzutreten. Das Streptokokkentoxin scheint
ziemlich rasch aus dem Körper ausgeschieden zu' werden, denn wenn einmal die
Giftresorption aufhört, so verschwinden die Beschwerden gewöhnlich sehr bald, vor-
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ausgesetzt natürlich, dass noch keine lokalen, degenerativen Veränderungen (z. B. an
Gelenken) vorhanden sind. Wie auffallend und rasch die Wirkung der Rachenspü¬
lungen oft sein kann, beweist folgender Pall.
Fall VI. Frau E. H. P., 45 Jahre alt, leidet seit zirka 4 Monaten an Ischias
rechts; seit 6 Wochen ist dieselbe so heftig, dass Patientin nur mühsam und mit Schmer¬
zen gehen und im Bett liegend sich nicht ohne Hilfe umdrehen kann. Seit 4 Wochen
hat sie dazu Kopfschmerzen, welche in letzter Zeit langsam zunehmen und die Patientin
keinen Augenblick mehr verlassen. Ausserdem hat sie Nackenschmerzen und -Steifigkeit
und ziehende Schmerzen in den Armen und Schultern. Patientin hat den Appetit voll¬
kommen verloren und ist allgemein schwach, abgeschlagen und dabei äusserst reizbar und
empfindlich geworden. Sie kann nachts nicht mehr schlafen infolge der Kopfschmerzen
und einer allgemeinen Unruhe und Hitzegefühl. Dabei bestehen geringe Schluck schmerzen
mit Empfindlichkeit der Submaxillardrüsen. Objektiv konstatiert man im Rachen, an Gau¬
menbögen und Tonsillen einen chronischen Reizzustand mit massiger Schleimabsonderung.
Im Pharynx finden sich reichlich Diplostreptokokken.
Vom 13. Juli an erhielt Patientin täglich eine Rachenspülung mit nachfolgender
Einblasung von Natrium sozojodolicum pur. Unmittelbar nach der ersten Spülung ver¬
schwanden die Kopfschmerzen für zirka 4 Stunden, um dann mit verstärkter Heftigkeit
wieder aufzutreten. In der darauffolgenden Nacht waren die Ischiasschmerzen heftiger,
der Kopfschmerz quälend, die Schluckschmerzen stärker. (Reaktion.)
Am 14. Juli war der Kopfschmerz bereits schwächer, die Ischias deutlich besser
geworden; die Schlucksohmerzen eher stärker, der Nacken etwas besser beweglich.
15. Juli. Kein Kopfschmerz mehr; die Rheumatismen in den Armen verschwunden.
17. Juli. Das Bein schmerzlos; es bleibt darin nur eine gewisse Schwäche zurück.
Der Appetit kehrt wieder und das Allgemeinbefinden ist erheblich besser. Patientin
schläft gut.
19. Juli. Patientin vollkommen wohl; das rechte Bein normal, Appetit und All¬
gemeinbefinden tadellos.
Am 1. September sehe ich die Patientin wieder. Sie ist gesund und wohl, ohne
eine Spur von Rheumatismen. Vor zirka 14 Tagen war sie einmal vom Regen völlig
durchnässt worden und ein anderes Mal hatte sie nasse Füsse bekommen; sie hatte in
keinem Fall nachher Rheumatismen gehabt, was früher, wie sie selber sagt, sicher der
Fall gewesen wäre.
Es bleibt zu bemerken, dass keine Medikamente innerlich verabreicht und ausser
der Rachenbehandlung therapeutisch nichts anderes getan wurde.
Ein Fall von Heilung habitueller Kopfschmerzen durch Rachenbehandlung ist
folgender:
Fall VII. Das Mädchen L. B., 15 Jahre alt, leidet an habituellen Kopfschmerzen
seit mehreren Jahren. In den letzten Monaten ist sie überhaupt allgemein heruntergekommen,
hat keinen Appetit, keine Arbeitsfreudigkeit mehr, ist schwach und hat fast täglich Kopf¬
schmerzen. Sie kommt in Behandlung wegen rheumatischer Schmerzen in den Händen
und Vorderarmen. Die Untersuchung ergibt bei dem gut entwickelten, aber schlecht
aussehenden Mädchen an Herz, Lungen und im Abdomen normale Verhältnisse. Hämo¬
globin 80° Gowers. Als einziger pathologischer Befund wird eine leichte Pharyngitis
konstatiert. Im Rachen massenhaft Streptokokken in Ketten und zu zwei. All¬
gemein roborierende Therapie mit Arseneisen innerlich bringt ihr wenig Nutzen und äusser-
liche Bepinselung der Hände und Arme mit Mesotan pur. bringt nur vorübergehende
Besserung der Rheumatismen. Ich spülte nun der Patientin täglich den Rachen mit Salz¬
wasser gründlich aus und blies ihr Natrium sozojodolicum pur. ein. Schon am dritten
Tag der Behandlung hatte Patientin keine Kopfschmerzen mehr und zwei Tage später
waren auch die Rheumatismen verschwunden. Nach einer Woohe, während welcher die
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Spülungen regelmässig gemacht worden waren, entzog sich die Patientin vollständig be¬
schwerdefrei der Behandlung. Da zu dieser Zeit sehr beisses staubiges Wetter war,
traten aber die Kopfschmerzen bald wieder auf. (Staubinhalation.) Es wurden hierauf
die Spülungen wieder aufgenommen und Patientin befand sich sofort wieder wohl. Nach
einer weitern Woche wurde Patientin angewiesen, nur zu kommen, wenn sie Kopfschmerzen
habe. Sie kam zuerst in kurzen Intervallen, dann immer seltener wieder. Nach vier-
wöchentlicher Behandlung traten die Schmerzen nicht mehr auf.
In altern Fällen rheumatischer Erkrankung, wo bereits lokale Veränderungen,
wie bindegewebige Entartung an Gelenkkapseln, konsekutive Atrophie von Muskeln,
Adhaesionen am N. ischiadicus oder Metastasen der Streptokokken in der Umgebung
der Gelenke bestehen, genügt natürlich diese Behandlung allein nicht mehr, sondern
sie muss mit energischer Lokalbehandlung kombiniert werden. Versteifte Gelenke
werden massiert, gestaut, aktiv und passiv bewegt, um die verlorene Elastizität der
Kapsel wieder zu erlangen; atrophische Muskeln elektrisiert und massiert, Adhäsionen
gedehnt oder chirurgisch gelöst.
Diese letzteren Massnahmen allein, ohne Behandlung des Urherdes, angewendet,
führen naturgemäss selten oder nie zu einer wirklichen Heilung, weil dadurch die Ur¬
sache des Leidens, die chronische Intoxikation mit Streptokokkengift nicht aufgehoben
wird, so dass diese Behandlung zu einer reinen Sisyphusarbeit wird, bei welcher das
Gewonnene beständig wieder verloren geht. So kommt man schliesslich an einen
Punkt, wo Fortschritt des Leidens und Heilungseffekt einander die Wage halten,
oder noch schlimmer, trotz aller Therapie die Krankheit zunimmt. Damit werden
Patient und Arzt entmutigt und die Sache als unheilbar betrachtet. Setzt nun in
solchen verzweifelten Fällen die ursächliche Behandlung ein, wird der Streptokokken¬
herd unschädlich gemacht und damit die beständige Toxinzufuhr zu den degenerie¬
renden Stellen abgeschnitten, so wirkt nun plötzlich die Lokalbehandlung auffallend
gut und rasch, und der Patient kann nun doch noch einer definitiven Heilung zuge¬
führt werden.
In alten Fällen von Rheumatismus genügt häufig die Behandlung des Rachen¬
herdes allein nicht und man muss da schliesslich innere Mittel zu Hilfe nehmen,
welche auf die Streptokokken entwicklungshemmend wirken.
Von solchen Mitteln ist als wirksam eigentlich nur die Salizylsäure zu nennen.
Die Salizylate regen bekanntlich die Leukozytose energisch an und wirken auch vom
Blut aus noch entwicklungshemmend auf die Streptokokken. So stellt das Salizyl ein
wirksames Adjuvans der Behandlung der Streptomykosen dar, das in leichtern Fällen,
wenn es lange genug (Monate lang in kleinen Dosen) angewendet wird, sogar allein
zur Heilung führen kann, jedenfalls immer die direkte Behandlung des Herdes un¬
terstützt. In schweren Fällen genügt, wie genugsam bekannt, die Salizylbehandlung
allein meistens nicht zur Heilung; oft genug versagt die Wirkung des Salizyls gänz¬
lich. Wird in diesen Fällen nun der Rachen behandelt, so ist man überrascht zu
sehen, wie nun ganz plötzlich das Salizyl vorzüglich wirkt und rasch Besserung ein-
tritt. So habe ich in einem schweren Fall chronischen, ankylosierenden Rheumatis¬
mus mit zahlreichen peripheren Metastasen, der monatelang mit Badekuren und Sa¬
lizyl in verschiedenen Formen, ohne den geringsten Erfolg behandelt worden war,
durch Rachenbehandlung iq Verbindung mit Salizyldarreichung eine rasche Besserung
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und endlich Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erzielt. Es war auch hier auf¬
fallend, wie rasch mit dem Einsetzen der kausalen Behandlung eine Besserung des
Allgemeinbefindens und der Bewogungsfähigkeit eintrat, und wie das gereichte Aspirin,
das vorher auch in grossem Dosen nichts geholfen hatte, nun plötzlich auch in kleiner
Dosis (2 gr pro die) eine ganz deutliche Wirkung entfaltete.
Es ist bei dieser Behandlungsweise auch niemals nötig die Salizylpräparate in
ganz grossen, direkt zu Intoxikation führenden Dosen zu geben, was ich für einen
entschiedenen Vorteil meiner Methode halte.
Bei den peripheren metastatischen Herden kommt man mit der innern Salizyl-
darreichung naturgemäss nur sehr langsam zum Ziel. Viel rascher können diese
Herde durch lokale Salizylapplikation vernichtet werden. Ich verwende zu diesem
Zweck 50 prozentigen Alkohol mit 2 °/<x> Acid. salicylic. Nach gehörigem Abseifen
der Haut werden mit der Lösung getränkte Gazekompressen aufgelegt, mit Gutta¬
percha bedeckt und mit Watte oder Flanell eingebunden. Bei richtiger Applikation
müssen die Kompressen nach einigen Stunden noch feucht sein. Die Wirkung dieser
alkoholischen Salizyllösung ist eine sehr rasche, aber rein lokale. Eine allgemeine
Salizylwirkung, wie z. B. bei Anpinselung von Mesotan, kommt nicht zustande, da
die Lösung dafür zu schwach ist. Anderseits wirkt das Mesotan auf diese peripheren
Herde direkt nicht ein, d. h. es entfaltet keine Lokalwirkung.
Therapie der Streptomykosen der untern Luftwege.
Sind die Streptokokken, sei es durch die Luftwege oder durch Metastase in
die Lunge gelangt und dort aktiv geworden, so kommt eine örtliche Behandlung des
Rachenherdes natürlich zu spät und hat daher vorläufig keinen Zweck. Es handelt
sich nun darum, die Keime in der Lunge selber zu bekämpfen, wohin wir mit un¬
seren Mitteln nur auf indirektem Wege, durch das Blut gelangen können.
Im Beginn, namentlich bei hohem Fieber und (dem meistens sehr heftigen)
Kopfschmerz, leisten die Salizylpräparate (Aspirin, Saüpyrin) sehr gute Dienste. Steigt
das Fieber sehr stark an, und hält es sich längere Zeit hoch, so wirken laue Voll¬
bäder von 25—27°, 10—15 Minuten lang, ausserordentlich wohltuend und beruhigend,
und wenn am Abend gegeben, kann man damit fast stets dem Patienten eine ruhige
Nacht verschaffen.
Weiterhin ist die Darreichung von Expektorantien berechtigt, nützt aber eigent¬
lich gar nichts. Nur von Senega habe ich in leichten Fällen einigen Nutzen gesehen.
Finkler rühmt die Wirkung des Kreosots und des Guajacols. Es ist unzweifelhaft,
dass dieselben in vielen Fällen vorzüglich wirken Sehr oft bleibt aber die Wirkung
absolut aus. Viel besser und sicherer als Kreosotpräparate wirkt das Ichthyol,
sowohl in akuten wie in chronischen Fällen.
Es empfiehlt sich, stets das ursprüngliche Präparat (Ammonium sulfo-ichthyoli-
cum), von der Ichthyolfabrik Cordes, Hermanni & Co. in Hamburg zu verwenden,
da man sich nur auf dieses wirklich verlassen kann. Es werden nämlich von den
meisten chemischen Fabriken, unter den verschiedensten Bezeichnungen Nachahmun¬
gen in den Handel gebracht, welche, weil billiger, oft von den Apothekern an Stelle
des echten Ichthyols dispensiert werden, die aber zum Teil scheusslich stinkende
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Massen darstellen, welche mit dem Ichthyol wenig mehr als die Farbe gemein haben.
Auch die Gelatinekapseln mit Ichthyol empfiehlt es sich genauer zu prüfen. Es sind
mir schon solche Kapseln (französischer Provenienz) unter die Hände gekommen,
welche statt Ichthyol einfach Teer enthielten.
Ichthyol ist eines der besten appetitanregenden Mittel, welche wir besitzen und
hebt den allgemeinen Ernährungszustand ganz bedeutend. Letzteres ist nicht nur
eine Folge der vermehrten Nahrungszufuhr. Wie ZueUter nachgewiepen hat, gelangen
bei Darreichung von Ichthyol eine grosse Menge schwefelhaltiger Verbindungen tat¬
sächlich zur Resorption. Da nun bei Ichthyolgebrauch die Menge der präformierten
Schwefelsäure im Harn sich erheblich vermindert, so muss eine gewisse Menge des
schwefelhaltigen Ernährungsmaterials, welches sonst der Oxydation anheimgefallen
und ausgeschieden worden wäre, im Körper bleibend retiniert werden. {Zuelßer)
Aus diesem Verhalten, in Verbindung mit der stark appetitanregenden Wirkung des
Ichthyols, die ihrerseits wieder eine vermehrte Nahrungszufuhr bedingt, erklärt sich
dessen ausserordentliche Wirkung auf den Stoffwechsel.
Auf die Lungen wirkt das Ichthyol offenbar vermöge seines Schwefelgehaltes.
Man kann häufig konstatieren, dass die Exspirationsluft von Personen, welche Ich¬
thyol genommen haben, zwar schwach aber deutlich nach Schwefelwasserstoff riecht.
In einem Fall wurde mir das sogar von der Frau eines Patienten, welcher mit dem
Mittel behandelt wurde, ungefragt mitgeteilt. Auch die in Flaschen eingeschlossenen
Sputa solcher Patienten, verbreiten oft einen ganz deutlichen Schwefelwasserstoffge-
ruch. Es scheint also ein Teil des mit dem Ichthyol eingeführten Schwefels durch
die Lungen, vielleicht als Schwefelwasserstoff ausgeschieden zu werden und dabei
auf die vorhandenen Keime entwicklungshemmend zu wirken.
Bei akuten Streptomykosen der Lunge (Pneumonien) wirkt das Ichthyol zu
Beginn der Krankheit am besten in grossen Dosen; für Erwachsene 2 gr pro die.
Nur muss man nach einigen Tagen, sowie das Fieber heruntergeht, die Dosis ver¬
ringern bis auf 1,0 pro die. In chronischen Fällen gebe ich 0,75—1,0 pro die.
Man kann das Mittel in Gelatinekapseln oder in Lösung verordnen. Auf letztere
Weise genommen, wirkt es ganz entschieden rascher und intensiver und ich brauche
es deshalb in akuten Fällen stets in Lösung. Patienten, welche es auf beide Arten
einnahmen, sprachen sich bezüglich der Wirkung entschieden zu gunsten der Lösung
aus. Das Ichthyol ist trotz seines unangenehmen Geruches auch gelöst gar nicht so
widerlich zum cinnchmen. Sein Geschmack ist nämlich ganz anders als sein Geruch,
sehr wenig intensiv, und lässt sich zudem durch starken Zusatz von Succus liquiritise
sehr gut verdecken. Ich verordne z. B.
Rp.: Ichthyoli 4,0. Succ. liquir. 40,0. Aq. dost, ad 200,0. M. D. S. 3
mal tägl. 1 Esslöffel voll in '/* Glas schwarzen Kaffee zwischen den
Mahlzeiten.
Alten Leuten und chronischen Fällen mit geschwächtem Herzen ist ein Zusatz
von Coffein sehr nützlich.
Etwas unangenehm ist für die Patienten im Anfang das Aufstossen von Ichthyol¬
geruch. Dasselbe dauert jedoch stets nur einige Tage und wenn man die Patienten
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zum voraus darauf aufmerksam macht, so werden sie nicht davon überrascht und
nehmen die kleine Unannehmlichkeit leicht mit in den Kauf.
Auch gegen die Verdauungsstörungen und Bauchschmerzen, welche die Strep-
tomykosen meist begleiten, ist das Ichthyol das beste Mittel. Es wirkt da sehr gut
schmerzstillend und zugleich heilend.
Noch besser als Ichthyol wirkt in vielen Fällen das Ichthoform. Seine Wirkung
ist meist rascher und intensiver als die des Ichthyols, doch wird es, seines hohen
Preises wegen, für die praxis aurea reserviert bleiben müssen.
Es erübrigt noch zu bemerken, dass nicht alle Fälle von Streptokokkeninfektion
der Lunge auf Ichthyol reagieren. Bei den allermeisten ist das der Fall; es gibt jedoch
vereinzelte Fälle, welchen Kreosotpräparate bessere Dienste leisten; anderseits sieht
man oft mit Ichthyol rasche Heilung eintreten, wo Kreosot ohne allen Nutzen ver¬
abreicht worden war. Endlich gibt es, wenn auch selten, äusserst hartnäckige chro¬
nische Fälle, welche überhaupt keiner medikamentösen Therapie weichen. Dieselben
werden dann der Tuberkulose äusserst verdächtig.
Die Behandlung der chronischen Lungenstreptomykosen ist in hygienisch-diäte¬
tischer Hinsicht naturgemäss ungefähr dieselbe wie bei der tuberkulösen Phthise, nur
die Prognose ist eine ungleich bessere. In alten Fällen wird man eine Heilung nur
unter ganz besonders günstigen Verhältnissen erzielen können, doch auch da kann
man mit Darreichung von Ichthyol, das dann einige Monate lang genommen werden
muss, stets noch ganz erhebliche Besserung erreichen, namentlich den gesunkenen
Ernährungszustand ganz bedeutend heben.
Im vorstehenden habe ich nur die Grundzüge einer neuen Therapie der
Streptomykosen, speziell der rheumatischen Erkrankungen angegeben. Ich bin
mir wohl bewusst, in dieser Methode nicht das letzte Wort gesprochen zu haben —
es werden sich andere, bessere Verfahren finden lassen, den Streptokokkenherd
im Körper unschädlich zu machen, das Prinzip der Behandlung aber muss stets
dasselbe bleiben.
Anmerkung bei der Korrektur: Wenn ich bei der Behandlung
der rheumatischen Affektionen nur von Rachenspülungen sprach, so habe ich mich
vielleicht zu undeutlich, jedenfalls unvollständig ausgedrückt. Die Streptokokken,
welche die obern Luftwege bewohnen und die Ursache des Rheumatismus darstellen,
finden sich natürlich nicht allein im Pharynx i. e. S., sondern auch in der Nase, in
den Lakunen der Tonsillen und in deren Umgebung. Es ist nicht einmal immer
der Pharynx der am stärksten infizierte Ort; häufig sind es mehr die Tonsillen mit
den Gaumenbögen, welche den Hauptsitz der Infektion darstellen. Es genügt daher
in letzterem Fall nicht, Rachenspülungen zu machen, welche die Tonsillengegend
nicht treffen, sondern es muss durch antiseptische Gurgelungen auch die Schlund¬
gegend (d. h. die untere Hälfte des Waideper'schen Ringes) beeinflusst werden. Es
gibt sogar Fälle, wo die Tonsillen und ihre Umgebung der hauptsächlich infizierte
Teil und der Ausgangspunkt der Intoxikation sind. In diesen Fällen kann man auch
durch Gurgeln allein zum Ziel kommen. Endlich gibt es sehr schwere Fälle, wo
die Infektion sich über die gesamte Schleimhaut der obern Luftwege ausgebreitet hat
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und sich sogar bis in die Bronchen fortsetzt. (Rhino-pharyngo-laryngo-tracheo-bron-
chitis mit Beteiligung der Tonsillen und Gaumenbogen.) Wenn man in diesen Fällen
der Intoxikation vollständig die Quelle abscbneiden will, so muss das ganze In¬
fektionsgebiet gleichzeitig behandelt werden. Ich mache in diesen
Fällen ausser den Rachenspülungen und Gurgelungen (letztere mit Acid. salic. 2:1000)
noch Inhalationen mit einer Lösung von Natrium sozojodolic. 1 :100, und gebe nöti¬
genfalls innerlich Ichthyol oder Kreosot.
Literaturverzeichnis.
1. Finkler : Infektionen der Lunge durch Streptokokken und Influenzabazillen.
Bonn 1895.
2. Tavel: Streptokokken. Enzyklopädie d. ges. Chirurgie v. Kocher u. de Quervain .
3. Tavel: Ueber die Wirkung des Antistreptokokkenserums. Klinisoh-therap. Wochen¬
schrift. 1902. Nr. 28—33.
4. Zuelzer : Ueber den Einfluss d. Ichthyolpräparate auf den Stoffwechsel. Monats¬
hefte f. pr. Dermatologie 1886. Bd. V. Nr. 12.
5. Nussbaum: Ueber den innern Gebrauch des Ichthyols. Therap. Monatsh. 1888.
Heft I.
6. Bibbert : Deutsche med. Wochenschr. 1890. Nr. 15.
7. Volland : Zur Entstehungsweise der Tuberkulose. Münchn. med. Wochenschr.
1904. Nr. 20.
8. Behring: Ueber die Phthisiogenese u. Tuberkulosebekämpfung. Deutsche med.
Wochenschr. 1904. Nr. 6.
9. Durch: Neuere Untersuchungen über den Keimgehalt der gesunden untern
Luftwege u. über d. Pathogenese der Pneumonie. Münchn. med. Wochenschr. 1904. Nr. 26.
10. Menzer: Ergebnisse der Serumbehandlung des akuten u. chron. Gelenkrheu¬
matismus. Münchn. med. Wochenschr. 1904. Nr. 33.
Vereinsberichte.
Medizinische Gesellschaft Basel.
SHziag tob 1. Deieaber 1904.')
Präsident: Dr. Hoffmann . — Aktuar: Dr. Karcher.
1 . Die Herren Prof. Enderlen und Dr. Max Reber werden als ordentliche Mitglieder
aufgenommen.
2 . Dr. Falta spricht über die Bedeutung 4er Gruber-Wldol'acheo Reaktion flr
die Diagnose des Typhös abdominalis. (Autoreferat nicht eingegangen.) (Die mit Dr.
Noeggerath gemeinsam ausgeführten Untersuchungen werden in extenso im Deutsehen
Archiv für klinische Medizin publiziert.)
3. Dr. Noeggerath : Bakteriologie and Klinik des Paratyphns. (Sammelreferat.)
Seit 1896 in vereinzelten Fällen in Frankreich, England und Amorika beschrieben,
haben die sogenannten „Paratyphen* erst durch die Arbeiten Schottmüller'$ sowie Kurt'8
und ferner von Brion , Kayser , Hünermann , von Drigalski , Conradi , Jürgens u. a. m.
allgemeines Interesse bekommen. Nach Ausschaltung der unsichern Fälle kennt man
jetzt ca. 70 sichere Paratyphen. Ihr klinisches Bild ist das des Typhus abdominalis:
häufig typische Fieberkurve, Roseolen, Milztumor, langsamer Puls bei hoher Temperatur;
Status typhosus der Schwerkranken, bald angehaltene, bald regelmässige oder gehäufte
*) Eingeg&ngen 5. Februar 1905. Red.
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Entleerungen Ton geformten oder erbseobreiartigen Stühlen; Leukopenie und Diazoreaktion.
Man findet alle seine verschiedenen Verlaufseigentümlichkeiten; so sind schwere, mittel¬
schwere und (recht häufig) leichteste Fälle, Nachschübe und Rezidive sowie Darmblutungen
beobachtet. An Komplikationen kennt man bisher Pneumonie, Thrombose der Vena
saphena, Cystitis, Arthritis (Rheumatoid?). Die Prognose ist vielleicht leichter zu stellen,
doch muss man infolge des besondere Menschenmaterials (mehr als die Hälfte der sichern
Fälle entstammt der nach R. Koch's Vorschriften behandelten Saarbrückener Kasernen-
Enderaie) bei der Bewertung der bisherigen Erfahrungen vorsichtig sein. Dasselbe gilt
von den ziemlich häufig erwähnten Abweichungen im Krankheitsbilde (akuter Beginn,
sehr kurzer Verlauf etc.). Gelegentlich kommen ganz atypische Fieberkurven vor. In
einigen Fällen scheint es sich um echte Paratyphus-Septicsemieen gehandelt zu haben, was
ja auch als extreme Seltenheit beim EberihS chen Bazillus vorkommt. Andere Patienten
mit Influenza, Skarlatina usw. muss man wohl als „anderweitig erkrankte Bazillenträger*
auffassen. Auch die beiden verwertbaren Sektionen ergaben das Bild der typhösen Organ-
Veränderungen. Als Erreger der Krankheit wurden schon von Schottmüller zwei (durch
Brion und Kayser als Typus A und B bezeichnete) Unterarten des Bac. paratyphosus
erkannt. Sie haben ihre Eigenschaften teils vom echten Typhus- teils vom Colibazillus
entlehnt und zeigen daneben noch eigene. Untereinander unterscheiden sie sich durch ihr
Verhalten auf der Gelatine und der Kartoffel sowie in der Lakmusmolke und durch die
biologischen Reaktionen.
Ihre mtiologische Bedeutung wurde durch ihre Züchtung aus Fseces und Urin
sowie durch die Agglutination klargelegt und in strengster Form durch ihre Isolierung
aus dem kreisenden Blut und den Roseolen und die Pfeiffersche Reaktion sowie durch
ihr epidemiologisches Verhalten (b. d. Saarbrückener „Wasser “endemie) sicher gestellt.
Der einzige beschriebene Fall von Laboratoriumsinfektion ist leider nicht sicher beweisend.
Es empfiehlt sich, die Krankheit als „Typhus abdominalis, bervorgerufen durch den
Bacillus paratyphosus“ zu bezeichnen.
Die Erreger einer ganzen Anzahl von Fleischvergiftungen sind durch Trautmann mit
den Paratyphusbazillen identifiziert worden.
Zusammenfassende Literatur findet sich in den Arbeiten von:
1 . Jürgens . Zeitschrift f. klin. Med. 1904. H. 1 u. 2.
2 . Brion. Die deutsche Klinik am Eingang etc. Bd. 2.
3. Trauimann. Ztschr. f. Hygiene etc. 1904.
4. Freidel , R. Ueber das durch typhusähnliche Bazillen u. s. w. Dissertation
Basel. 1904.
Diskussion: Prof. His weist darauf hin, welch’ genaue Technik die Grübet -
WidaV sehe Reaktion erfordert. Nur ein bakteriologisch tüchtig geschulter Untersucher
ist imstande, im einzelnen Falle das Resultat richtig zu verwerten. Für derartige Unter¬
suchungen sollten wir in Basel ein bakteriologisches Institut besitzen.
Dr. Feer erinnert an die Wichtigkeit der Diazoreaktion für die Diagnose des Typhus
abdominalis.
Der Präsident mahnt, neben allen diesen Laboratoriumsuntersuchungen die
klinische Beobachtung nicht zu vernachlässigen.
Sltznng von 15. Dezember 1904. 1 )
Präsident: Dr. A. Hoffmann . — Aktuar: Dr. Karcher .
1 . Als ordentliche Mitglieder werden aufgenommen; Dr. Buser , Dr. Nager ,
Dr. Noeggerath .
2. Wahl der Kommission pro 1905 : Zum Präsidenten wird gewählt Dr. J . Karcher ,
zum Aktuar Dr. Karl Bührer . Als Kassier wird bestätigt Dr. H . Meyer-Altwegg,
’) Eingegangen 20. Januar 1905. Red.
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3. Dr. Gelphe , Liestal: BeBloastratioaeB.
1. Fall von zweizeitiger Magenresektion. Um das Risiko der
Operation zu vermindern, wurde am 2 5. Oktober ds. zum ersten Male versucht, die
Magenresektion in zwei Zeiten zu machen. (Der Vorschlag ist schon vor 8 Jahren von
Socin Corresp.-Bl. für Schweizer Aerzte gemacht worden, und allerneuestens von Bydigier
Zentralblatt für Chirurgie Nr. 46 vom 19. Nov. 1904.)
W. Jakob, Beamter, 41 Jahre alt, seit längerer Zeit Retention und Erbrechen,
Achlorhydrie bei Anwesenheit von Milchsäure wurde als Carcinoma pylori am 25. Oktober
vom Magenspezialisten zur Gastroenterostomie geschickt. Bei der Operation zeigte
sich die Geschwulst gegen Erwarten von massiger Ausdehnung, ohne Verwachsungen und
ohne nachweisbare Drüsenmetastasen. Es wurde daher beschlossen, zuerst die Gastro¬
enterostomie zu machen und drei bis vier Wochen später in einer zweiten Sitzung den
Tumor zu entfernen. Da das Risiko der Gastroenterostomie wesentlich geringer ist als
dasjenige der Magenresektion, und die nachträgliche Entfernung des Tumors in einer
zweiten Sitzung wiederum geringer sein dürfte als die Gastroenterostomie selbst, so ist
eine derartig auf zwei mal verteilte Gefahr sicherlich eine geringere: Ein Lastträger
kann ohne Schaden für seine Gesundheit in der Regel nicht 4 Zentner auf einmal tragen,
wohl aber kann er dies, wenn er die Last auf zwei mal verteilt, ohne Schwierigkeiten.
Nachteile des zweizeitigen Verfahrens sind hauptsächlich folgende : Adhäsionen der Bauch¬
eingeweide, von der ersten Operation herrührend, je nach dem mehr oder weniger
septischen Verlauf, werden dieselben stärker oder weniger stark zu erwarten sein; im
vorliegenden Falle fehlten sie gänzlich. Des fernem wird die Ausführung öfters am
Widerstande des Patienten scheitern : Ein 6Cjähriger Mann kam mit Heus herein; in
der Meinung, dass es sich wahrscheinlich um Dickdarmkarzinom handle, wurde in einer
ersten Sitzung ein künstlicher After am Colon transversum angelegt und bei diesem Anlass
in der Tat eine maligne Striktur am Colon descendens festgestellt, welche in einer zweiten
Sitzung relativ gut hätte entfernt werden können ; das Befinden nach der ersten Operation
war aber ein so gutes, dass Patient für einen zweiten Eingriff nicht mehr zu haben war.
Im vorliegenden Fall fehlte es dem Kranken nicht an der nötigen Einsicht und
Energie. Die präliminäre Gastroenterostomie wurde in der in unserer Anstalt üblichen
Weise ausgeführt: Gastroenterostomia anterior anticolica durch zweireihige fortlaufende und
Knopfnaht, Fistelöffnung 4 cm weit. Zu- und abführender Schenkel des Dünndarmes wurde
nach Braun durch eine zweite kleinere Fistel verbunden und zwar mittels Murphy knöpf,
kleine Nummer. — Der Verlauf war ein ungestörter, Patient verträgt jetzt ziemlich jede
Kost, der Knopf muss in der dritten Woche abgegangen sein, da er von da ab im Röntgen¬
bilde nicht mehr aufzufinden war.
2. Fall. Dekapsulation und Bedeckung der Niere mit Netz,
wegen chronischer Nephritis (vorgestellt.) Der 55jährige befindet sich jetzt
wohl, hat keine Oedeme mehr und hält sich für geheilt. Sein Leiden datiert er 13 Jahre
zurück. Bei der Aufnahme hatte er starke Oedeme, Harnzylinder und Eiweiss in maximo
2,5°/oo; bei der Entlassung keine Oedeme mehr, Eiweiss y* 0 /«), keine Zylinder, kann wieder
arbeiten. Ref. hat bei einem früheren Anlass, Corr.-Blatt Nr. 15 1904, mitgeteilt, dass er
schon vor mehreren Jahren durch Zufall bei Dekapsulation der Niere auf Grund einer
falschen Diagnose (Karzinom statt Nephritis) auf den zeitweisen Nutzen dieses Verfahrens
geführt worden ist; desgleichen, dass er im Gegensatz zu Edebohls und Harrison die
entblösste Niere mit Netz deckt. Der anwesende Patient wurde auf diese Weise operiert
und befindet sich jetzt tatsächlich recht ordentlich. Immerhin muss man sich hüten, aus
einem einzelnen günstig verlaufenen Fall allgemeine Schlüsse zu ziehen, wohl aber dürfte
es nicht unmöglich sein, dass die Kapselspaltung und Bedeckung mit Netz wenigstens bei
gewissen Fällen von chron. Nephritis und hauptsächlich bei venösen Stauungen der Nieren
und daheriger Anurie vorteilhaft wäre. Einstweilen sind weitere exakte Beobachtungen
abzuwarten. (Am letzten deutschen Chirurgenkongress verhielt man sich im allgemeinen
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sehr zurückhaltend vis-ä-vis der Dekapsulation, allerdings auf Grund eines sehr spärlichen
Materials. Es wurde der Operation vorgeworfen, die hohe Mortalität, 25 °/o, und der
Umstand, dass sich nach langen Monaten aus Fettkapsel und Bindegewebe eine neue straffe
Hülle um die Niere bilde etc. Jaboulay (Lyon) und Tavel und Cavillon teilen zwei Fälle
mit günstigem Ausgang mit. Desgleichen Baken , welcher ein ähnliches Verfahren, wie
das vom Ref. angegebene, empfiehlt. Guilt&ras , New-York, sammelt 120 operierte Fälle
mit 10 °/o Heilungen, 40 °/o Besserungen, 11 °/o Misserfolgen und 33 °/o Todesfällen.
Die besten Resultate gaben Nephritis bei Wanderniere und manche Fälle von interstitieller
Nephritis.)
3. Fall von traumatischer Hydronephrose (vorgestellt). Einem
55 jährigen Bauer ging ein Lastwagenrad über die linke Lende. 14 tägige Bettruhe,
dann Besserung, in der vierten Woche Verschlimmerung. Bildung einer rasch zunehmenden
fluktuierenden Geschwulst in der rechten Bauchseite. Die Punktion gab eine klare seröse
Flüssigkeit ohne Harnstoff und ohne Eiweiss. Wegen zunehmenden Beschwerden wird
der über kopfgrosse und 12 Liter Flüssigkeit haltende Sack eröffnet und da die Niere
im Innern des Sackes vom Nierenbecken teilweise abgetrennt lag, wurde Niere mit
samt dem Sack entfernt und die Wunde gestopft. Heilung pr. gran. Das Vorkommen
solcher Zustände ist ein seltenes. Bis jetzt sind etwa 16 sichere Fälle von traumatischer
Hydronephrose bekannt und etwa ebenso viel zweifelhafte. Aus dem Umstand, dass im
vorliegenden Fall die Niere stark hydronephrotisch ausgehöhlt, aber dennoch im Innern
des Sackes lag, und zweitens aus der Beschaffenheit des Sackes, bestehend teils aus
Nierenbecken, teils aus Bindegewebe, ist anzunehraen, dass infolge Läsion der ableitenden
Harnwege (Quetschung, Bluterguss) zuerst eine Sekretstörung und eine wirkliche Hydro¬
nephrose entstand, welche später vielleicht in der vierten Woche bei Wiederaufnahme der
Arbeit platzte und Anlass gab zu einer abgesackten Wasseransammlung um die Niere
herum. (Pseudohydronephrosen wurden nach Moriod abgesackte Ansammlungen ausserhalb
der Harnwege genannt; der vorgestellte Fall muss also in der Mitte stehen zwischen
wahrer traumatischer Hydronephrose und Pseudohydronephrose.)
Diskussion: Prof. Enderlen bemerkt ad III, dass er bei seinen Experimenten
an Hunden nach Ureterunterbindung stets Hydronephrose bekam. Wurde der Verschluss des
Harnleiters aufgehoben, so erholte sich das noch vorhandene Nierengewebe und funktionierte.
Damit stimmt die Angabe von Dr. Gelpke , dass nach dem Platzen des Sackes rasch eine
VergTÖ88erung des Tumors (Pseudohydronephrose) zu Stande kam. E. stimmt Herrn
Dr. Gelpke vollkommen bei, dass die Niere nicht zu erhalten war.
ad I. E. frägt an, ob sich bei der zweiseitigen Magenresektion bei dem zweiten
Eingriffe nicht viele Adhäsionen vorfanden, worüber von allen, welche bisher in dieser
Art vorgingen, geklagt wurde. E . glaubt ferner, dass manche Patienten, wenn sie sich
nach Ausführung der Gastroenterostomie erholt haben und sich wohl fühlen, den 2. Akt
der Operation nicht mehr ausführen lassen wollen.
ad II. Nach Untersuchungen an Hunden, welche Thelemann auf Veranlassung von
E. ausführte, ist von der Dekapsulation der Niere nicht viel zu erwarten, da die Kapsel
nach 12 Tagen wieder vollkommen regeneriert ist. Ueber die Einhüllung der Niere mit
Netz berichtete Baken auf dem Chirurgenkongresse 1904 in Beriin. Bei dieser Gelegen¬
heit sprachen alle Redner gegen die Dekapsulation.
Dr. Gelpke fand bei der zweizeitigen Magenresektion bei der zweiten Laparotomie
wenig Verwachsungen.
4. Dr. Budolf Staehelin: Ueber Herzfehler In Militärdienst (Erscheint im Cor-
respondenzblatt f. Schweiz Aerzte in extenso).
Dr. A. Hoffmann glaubt, dass akute Herzdilatationen in Folge der Anstrengungen
des Militärdienstes häufiger seien als man im allgemeinen annimmt. Dieselben werden
aber nur entdeckt, wenn sich der betreffende Militärarzt die Mühe nimmt, die in Folge
von Ermattung zurückgebliebenen genau darauf hin zu untersuchen. Die leichteren Fälle
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gehen in der Ruhe spontan zurück. Alkohol, Tabak, Masturbation haben nur eine unter¬
geordnete Bedeutung für diese Zustände.
Dr. August Staehelin weist auf die Schwierigkeiten hin, die der militärischen Unter¬
suchungskommission erwachsen, wenn sie entscheiden soll, ob eine im Militärdienst auf¬
getretene Herzstörung schon vorher latent bestanden hat, oder ob sie als akute Dilatation
aufzufassen ist. Die Entscheidung der Frage ist insofern auch von grosser praktischer
Wichtigkeit, als in ersterem Fall der betreffende Soldat zur Bezahlung der Steuer wird
angehalten werden, in letzterem hingegen davon befreit werden muss. Votant hält es für
ungerecht, wenn Leute, die alle bisherigen Dienste ohne Beschwerden haben leisten können
und bei denen dann in Folge von grossem Strapazen und Anstrengungen eine akute
Herzdilatation mit bleibenden Störungen auitritt, zur Bezahlung der Militärsteuer angehalten
werden, mit der Begründung: „es muss schon vorher am Herzen etwas gewesen sein.*
Es wäre wünschenswert, dass schon bei der Rekrutierung eine exaktere Prüfung
des Herzens, besonders in funktioneller Beziehung, stattfinden würde«
Dr. A . Hoffmann : Leute, die au Myodegeneratio leiden, tun besser, sieb vorher zur
Dispensation zu melden, als dass sie nachher versuchen, den Bund für ihre ausserhalb
des Dienstes erworbenen Leiden verantwortlich zu machen oder Befreiung von der Milit&r-
steuer zu verlangen, wenn ihr degeneriertes Herz im Dienste insuffizient wird.
Dr. Karcher stimmt Dr. Hoffmann darin bei, dass Herzstörungen im Militärdienste
nicht nur bei Gebirgstruppen, sondern auch bei der Infanterie Vorkommen und zwar
besonders in Rekrutenschulen. Unter den Rekruten befinden sich viele noch wenig ent¬
wickelte Individuen. Dann wird durch den eingehenden Schiessunterricht oft die Auf¬
merksamkeit von einer sachgemässen Trainierung der Mannschaft abgelenkt. In der
zweiten Hälfte einer Rekrutenschule, in der Votant mit einiger Regelmässigkeit das Hers
der Besucher des Krankenzimmers untersuchte, fiel ihm auf, wie oft die Herzdämpfung
verbreitert und der Spitzenstoss nach aussen gerückt war.
Dr. Max Burckhardt fragt den Vortragenden, ob er bei den beschriebenen Fällen
von Herzdilatation keine Strumen beobachtet habe und ob er überhaupt in der Rekruten-
schule keine Symptome von Kropfherz gefunden habe, da sich ja gerade bei solchen
Anstrengungen, wie die Gotthardtruppe zu leisten bat, der Einfluss der Strumen auf die
Herztätigkeit am deutlichsten zeigen müsste.
Dr. Rud. Staehelin ist nichts darüber aufgefallen, wohl deshalb, weil für die Gott*
hardtruppen die Auswahl strenger sei und deshalb Leute mit Strumen wohl selten sich
darunter befinden.
Dr. A . Grosheintz : Mehr als auf Strumen, welche doch in allen Fällen von Kom¬
pressionskomplikationen zum Vornherein aus unserm Militär ausgemerzt werden, sollte
man fernerhin auch sein Augenmerk auf den Zustand der obern Luftwege richten. Gros¬
heintz erinnert an eine 1903 in der deutschen militärärztlichen Zeitschrift erschienene
Arbeit von Heyse , welcher an Soldaten mit Stenosen der Nasenhöhlen (Mundatmung!)
nach grösseren Strapazen Herzinsuffizienz und Herzdilatation beobachtet hat. In einem
Falle soll nach operativer Beseitigung der Nasenverengerung Heilung der Herzaffektion
erzielt worden sein.
SltzHf vom 19 . Jaaaar 1905 .
Präsident: Dr. Karelier, — Aktuar: Dr. C, Bührer.
1. Die Herren DDr. Courvoisier und Vogelsang erklären wegen Wegzugs von Basel
ihren Austritt aus der Gesellschaft.
2. Dr. C. Vettiger wird als ordentliches Mitglied aufgenommen.
3. Die Jahresberichte werden verlesen und genehmigt.
4. Dr. August Staehelin : (Jeher die Foaktieisprttfaag des Darms. (Autoreferat.)
Während die Diagnostik der Magenerkrankungen in den letzten Jahren durch wohl aus¬
gebildete Untersuchungsmethoden in reichem Masse gefördert wurde und eine genaue Stellung
der Diagnose in den meisten Fällen ermöglicht wurde, war das bisher für die Erkrankungen
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des Darmes nicht der Fall. Die Eentnisse der Funktion des normalen Darmes waren
noch sehr mangelhaft and begreiflicherweise waren diejenigen der Funktionsstörungen des
erkrankten Organs es noch in erhöbterem Grade. Mit den gebräuchlichen physikalischen
Methoden war nur ein Brachteil von Darmerkrankungen za erkennen und auch die
Untersuchung der Fsezes, wie sie ausgeübt wurde, ergab nur schwankende Resultate. Die
Stoffwechsel versuche gaben gute Auskunft über die Ausnützung einer bestimmten Nahrung
in quantitativer Beziehung, sagten jedoch meistens nichts aus über die Form, in welcher
die unausgenfitzten Reste der Nahrung den Körper verlassen; sie waren zudem nur in
gut geleiteten Krankenanstalten ausführbar und zu kompliziert, um vom praktischen Arzt
in Anwendung gezogen zu werden.
Auss allen diesen Gründen musste es deshalb lebhaft begrüsst werden, dass es den
mühevollen Untersuchungen von Adolf Schmidt und seines Mitarbeiters Strassburger gelang,
eine Methode herauszuarbeiten, die in praktischer Hinsicht gute Resultate ergibt und wenn
sie auch nicht alle auf sie gegründeten Hoffnungen erfüllt, doch die Diagnostik der
Funktionsstörungen des Darmes reichlich forderte.
Die Methode beruht im Wesentlichen auf der Untersuchung der Nachgährung der
Fsbzos, die durch die Darreichung einer bestimmten Probekost erzielt werden. Die im Brüt¬
schrank auftretende Nachgährung scheidet sich in eine durch Kohlehydrate bedingte
Frühgährung, wobei die Reaktion der F®zes eine saure wird und eine durch Fäulnis
der unausgenützten Eiweissreste verursachte Spätgährung, die sich durch alkalische
Reaktion, dunklere Färbung des Kotes und intensiven fauligen Geruch zu erkennen gibt.
Die erstere Form tritt meistenteils auf bei sekretorischen Störungen, die ihren Sitz
im Dünndarm haben, während das Auftreten von deutlicher Eiweissfäulnis auf schwerere
Störungen, meistens anatomischer Veränderungen des Darmes, schliessen lässt. Durch eine
genaue makro- und mikroskopische Untersuchung der Fsezes der Probekost, sowie durch
die chemische Untersuchung auf unveränderten Gallenfarbstoff, Stärke und Fettverdauung
kann dann die Diagnose in manchen Beziehungen gestützt und erweitert werden.
St. hat die Untersuchung mittelst der Schmidt'scheu Probekost in manchen Fällen
von zweifelhaften Darmerkrankungen angewendot und damit im ganzen sehr befriedigende
Resultate erzielt. Gibt uns die Methode auch nicht auf alle Fragen ausreichend und in
unzweideutiger Weise Antwort, so muss sie doch als Bereicherung der funktionellen
Diagnostik der Darmerkrankungen angesehen werden. Sie gibt uns hauptsächlich auch
in therapeutischer Beziehung oft den Weg an, um zielbewusst Vorgehen zu können. Mit
ihrer Anwendung ist der Anfang zu einer genauen Funktionsprüfung des Darmes gemacht
und der weitere Ausbau der Methode wird gewiss noch schöne Resultate zeitigen.
Referate und Kritiken.
Morphologie und Biologie der Zelle.
Von Gurwitsch , Alexander . 437 S. und XIX, sowie 239 Abbildungen im Text.
Jena, Fischer 1904. Preis 9 M., geb. 10 M.
In der Einleitung, welche vielleicht auch als allgemeiner Teil bezeichnet werden
könnte, gibt der Verf. eine Uebersicht über das, was wir eine „Zelle* zu nennen berech¬
tigt sind; er sucht dann die Stellung der Zelle als „Elementarorganismus* zu präzisieren,
wobei vornehmlich untersucht wird, ob es berechtigt ist, von Protisten auf metazoische
Zellen, die ihre Autonomie verloren haben, zu schliessen. Er führt darin weiterhin die
Tatsachen an, welche sich der Verallgemeinernng des Satzes, dass alle biologischen Pro¬
zesse „zelluläre* seien, entgegenstellen, — z. B. dass bei der Gastrulation und analogen
Prozessen der Formbildung das Keimmaterial als ein plastisches Ganzes uns entgegentritt.
Andrerseits wieder betont er, dass nicht nur die Vorgänge der Drüsensekretion n. A. sich
auf Einzelleistungen der Zellen zurückführen lassen, sondern dass die Speziflzität im Auf-
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bau und der Chemismus der einzelnen Zellen bei den yerschiedenen einzelligen Wesen sehr
weit gehen, wie z. B. die Untersuchungen yon Jensen an Rhizopoden beweisen, bei denen wohl
abgeschnittene Pseudopodien wieder mit dem Protisten Zusammenflüssen, aber nur wenn
sie vom selben Tiere stammen; bei Plasmateilen verschiedener Herkunft ist solches Zu¬
sammenflüssen ausgeschlossen. Und mehr noch — die neueren Untersuchungen haben
ergeben, dass Speziesunterschiede sich nicht nur auf die Konfiguration des Ganzen oder
einzelner Organe, also auf die Anordnung der Bausteine, sondern auf die Bausteine —
die Zellen — selbst, erstrecken. Konnte doch Rabl feststellen, dass die Grösse
und die Gestalt der einzelnen Linsenfasern sogar nahe verwandter Spezies — z. B. ver¬
schiedener Amphibien — so sehr von einander abweichen, dass ein geübter Beobachter
an einem kleinen Linsenbezirke mikroskopisch die sichere Diagnose auf die betr. Spezies
stellen kann.
Der spezielle Teil des Buches zerfallt in vier Hauptabschnitte. I. Statik
und Dynamik der Zelle; II. Stoffliche Tätigkeit der Zelle; III. Fortpflanzung der Zelle;
IV. Die Zelle als Organismus im Individuum. Bei dem ausserordentlichen Reichtum des
Inhalts, der neben den anerkannten Ergebnissen der altern klassischen Zellforschung, vor¬
nehmlich die neuere Literatur in umfassendster Weise kritisch heranzieht, ist es unmöglich,
an dieser Stelle im einzelnen darauf einzutreten. Es sei nur erwähnt, dass sich der Verf.
bestrebt hat, die Ergebnisse morphologischer und entwicklungsmechanischer Forschung au
Hand der Gesetze der Physik, soweit sie flüssige und balbflüssige Substanzen betreffen,
kritisch zu beleuchten und dass alle, die sich in der ungeheuren Stoffanbäufung der
histologischen Literatur zurecht zu finden wünschen, an dem Buche einen wohlbelesenen
Ratgebor finden.
Störend sind die recht zahlreichen Druckfehler; an manchen Stellen werden sie
dem Anfänger — und nur für solche will G. sein Buch geschrieben haben — sogar sinn*
störend wirken.
Vesalianum im Dezember 1904. R. Meißner.
Physiologie des Menschen.
Von Luciani , Luigi. 2. Lieferung. Fischer, Jena 1904. Preis 4 M.
Beim Erscheinen der 1. Lieferung ist die allgemeine Anlage dieses eingehenden,
vornehmlich für den praktischen Arzt als Nachschlagebuch bestimmten Werkes in der
Nr. 21/1904 dieses Blattes besprochen worden. Die jetzt erschienene 2. Lieferung führt die
Mechanik des Herzens zu Ende und zwar enter eingehender Besprechung der „aktiven
Diastole“, des Herzstosses, und der kardiopneumatischen Bewegung. Hieran schliesst sich
die Lehre von der Blutbewegung in den Gefässen mit besonderer Berücksichtigung der
Technik der Registrierung aller drei Pulsarten ; bei den Strompulsen fehlt allerdings die
v . Kries 1 sehe Methode der Flammentachographie. Es folgt dann die Physiologie des Myo¬
kards und der Herznerven. Hier legt L, ausführlich seinen Standpunkt als Anhänger
der „myogenen“ Lehre der Herzautomatie dar. Die Funktionen der Gefässmuskulatur
und der sie beherrschenden Nerven bilden den Abschluss der Lehre vom Kreislauf. Die
Lieferung schliesst mit der Einleitung zur Physiologie der Atmung — mit der Physik und
Chemie des Gasaustausches im Blute.
Vesalianum im Dezember 1904. R. Meißner .
Ueber die Pflege der Augen.
Rede, gehalten am 71. Stiftungstage der Zürcher Hochschule, von Prof. Dr. 0. Haab ,
z. Z. Rektor.
(Separ. Abdr. ausd. „Schweiz. Pädagog. Zeitschrift®, Heft V, 1904. Druck: OrellFüssli,Zürich.)
Wenn ein Augenarzt und akademischer Lehrer, der auf eine nahezu 30jährige
Praxis und auf eine fast ebenso lange akademische Lehrtätigkeit in seinem Fach zurück¬
blickt, an das Thema: „Pflege der Augen tt berantritt, so kann man von vorneberein er-
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warten, dass etwas beachtenswertes dabei heranskommi. Das ist in der Tat hier der Fall,
znmal dem Verfasser die Gabe zu Gebote steht, seine Erfahrungen und Gedanken kurz
und präzis zu fassen. Natürlich ist es nicht möglich, das ganze Gebiet der Augenhygiene
in den Rahmen einer Rede hineinzubringen, sondern es konnten nur ausgewählte Kapitel
aus dem grossen Gebiete zur Sprache gebracht werden. Eingehend beschäftigt sich Verf.
mit der Myopie und korrigiert zunächst den grossen Irrtum, der in Laienkreisen noch so vielfach
verbreitet ist, dass Augen, die im hohen Alter noch feinen Druck ohne Brille lesen können,
besonders bevorzugte Augen seien, woraus folgen würde, dass Augen, die dies nicht
können, minderwertig wären, während ja natürlich nur bei myopischon Augen die normale
Presbyopie durch die Kurzsichtigkeit kompensiert wird. Myopische Augen sind aber keine
bevorzugten, sondern — wenigstens bei den höheren Graden — kranke Augen. Was
die ätiologischen Momente der Kurzsichtigkeit anbetrifft, so stellt hier Verf. wohl mit
vollem Recht die Vererbung der Disposition in erste Linie. Die Nahearbeit
(Schule etc.) kommt erst in zweiter Linie, darf aber keineswegs unterschätzt werden, weil
das Moment erster Linie, d. h. die Grundlage der Myopieentwicklung leider so häufig
vorhanden ist und weil, wenn diese Grundlage da ist, das Moment zweiter Linie fast mit
mathematischer Sicherheit die krankhafte Anlage zur Ausbildung und Entwicklung bringt.
Es werden dann anschliessend sehr nützliche Winke für Berücksichtigung dieser 9 dispo¬
nierten® erteilt. Im weitern tritt dann Verf. dem ebenfalls vielfach verbreiteten Vorur¬
teil entgegen, dass eine Brille auch schaden könne, was ja natürlich bei einer auf Grund
einer richtigen Untersuchung verordneten Brille niemals der Fall ist. Anderseits richtet
sich Verf. an die Augenärzte und macht darauf aufmerksam, dass die Adoption einer
Brille niemandem zugemutet werden solle, wenn es nicht dringend notwendig sei, d. h. dass
man sich vor einem allzu schematisch ausgeübten Brillenverordnen hüten und stets das
pro und kontra sorgfältig überlegen solle. — Dass die venerischen Krankheiten so häufig
und oft so deletär auf das Sehorgan einwirken, ist eine Tatsache, die in Laienkreisen
auch noch viel zu wenig bekannt ist und Verf. macht darauf aufmerksam, dass es Pflicht
jeden Arztes sei, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in dieser Hinsicht Aufklärung zu
erteilen. Im weitern werden noch besprochen: Der Eiterfluss der Neugeborenen, die skro-
ph ul Ösen Augenleiden und die Verletzungen des Sehorgans. Jeder, der Gelegenheit hat,
praktisch oder theoretisch Augenhygiene zu lehren, wird dieser Schrift vortreffliche Winke
und Anhaltspunkte entnehmen können. Pfister.
Osmotische Druck*- und Zonenlehre in den medizinischen Wissenschaften, zugleich Lehr¬
buch physikalisch-chemischer Methoden.
Von Dr. ehern, u. med. H. J. Hamburger , Professor der Physiologie an der Reichsuniver¬
sität Groningen. Bd. II. und Bd. III. Wiesbaden, J. F. Bergmann 1904.
Dem schon früher besprochenen I. Band des vorzüglichen Werkes sind jetzt Band II
und der abschliessende Band III gefolgt. Im Band II wird behandelt: Zirkulierendes
Blut, Lymphbildung, Oedem und Hydropsresorption, Harn und sonstige Sekrete, elektro¬
chemische Aziditätsbestimmung, Reaktionsverlauf. Im III. Band folgen die Kapitel: Iso¬
lierte Zellen, Kolloide und Fermente, Muskel- und Nervenphysiologie, Ophthalmologie,
Geschmack, Embryologie, Pharmakologie, Balneologie, Bakteriologie, Histologie. Aus dieser
Uebersioht geht hervor, ein wie grosses Gebiet der Verfasser vom Gesichtspunkte der
modernen physikalischen Chemie zu behandeln übernommen hat. Hamburger hat sich
aber nicht darauf beschränkt, rein physikalisch-chemische Fragen zu erörtern, sondern er
hat gerade die interessantesten und zum Teil praktisch wichtigsten Kapitel ausgestaltet zu
sehr vollständigen Darlegungen der betreffenden Themata. Die Literaturangaben sind
ausserordentlich zahlreich und die Verwertung des Tatsachenmateriales aus der Literatur
ist derart, dass fast alles von Bedeutung seine Würdigung findet. Die Beschreibung der
Methoden ist von einer mustergültigen Klarheit und Ausführlichkeit. Hamburger ’s Buch
darf nicht allein als das augenblicklich beste Lehrbuch der physikalischen Chemie in ihrer
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Anwendung auf biologische und medizinische Probleme bezeichnet werden, sondern muss
auch als ein Sammelwerk höchst instruktiver Monographien allgemeiner Natur anerkannt
werden. L. Asher (Bern).
Wurmfortsatzentzündung und Frauenleiden.
Von Dr. Theodor Landau . Berlin 1904, August Hirschwald. Preis Fr. 2.70.
Die 82 Seiten fassende Abhandlung ist eine inhaltsreiche, bündige kritische Besprechung
der gesamten Appendizitisfrage unter eingehender Berücksichtigung der bei der Differenzial¬
diagnose in Frage kommenden gynäkologischen Leiden (Ovarialtumor mit Stieltorsion,
Pyosalpinx, Extrauteringravidität, Ovarialgie, Retroflexio uteri mobilis und auch d. Ren
mobilis). In diagnostischer Beziehung stellt Verfasser die Druckempfiodlichkeit des Mae
2?wrn^’schen Punktes der Schmerzhaftigkeit der ganzen rechten Foesa iliaca hintan und
findet in der Beschaffenheit und der Frequenz des Pulses wertvollste prognostische An¬
zeichen. Interesse bietet eine Aufführung aller Irrdiagnosen, die sich nach tatsächlichen
Befunden, sei es bei Operationen oder bei Nekropsien (n. Joseph M . Spelissy) erwiesen
haben, deren Verlauf und Symptome für Appendizitis gesprochen haben, die dann aber
als vom Prozessus vermiformis gänzlich unabhängige Erkrankungen erkannt worden sind,
alle möglichen Bauchorgane, selbst Knochen, Gelenke und Lymphdrüsen betreffend. Als
Therapeutikum anerkennt der Verfasser die Exstirpatio appendicis und zwar je nach Um¬
ständen im Falle einer drohenden Peritonealsepsis k chaud, oder als Prophylaktikum wo¬
möglich im ersten Beginn der Erkrankung, um sie damit gleichsam im Grunde zu ersticken
oder dann als prognostisch günstigster Eingriff k froid. Im Wirrwarr der Symptome, die
eine sichere Diagnose nicht erlauben, ob eine Affektion der Genitalien, der Appendix oder
beider vorliegt, ist laut Landau die Therapie schliesslich eine einheitliche d. h. man
laparotomiert zunächst mit dem Risiko, im allerschlimmsten Falle die Operation Probelapa¬
rotomie nennen zu müssen. Nach kurzer Erwähnung der operativen Technik wird zum
Schluss noch der „Sigmoiditis“ das Wort gesprochen — ein Krankheitsbild, das vorder¬
hand das medizinische Interesse noch zu wenig in Anspruch genommen habe trotz der nahen
Beziehungen dieses Darmabscbnittes zur Gynäkologie. Sigg.
Lehrbuch der Arzneimittellehre und der Arzneiverordnungslehre.
Von Prof. Dr. H . von Tappeiner. 5. neu bearbeitete Auflage. Leipzig, Verlag von
F. C. W. Vogel. Preis 7 Mark.
Das bestbekannte Buch ist in neuer Auflage erschienen, und hat in dieser auch die
Vorzüge der früheren vollauf bewahrt. Auch dieses Mal sind wieder die neueren Medi¬
kamente berücksichtigt, falls sie Anspruch darauf erheben können, und auch ein kurzer
Abriss der Organotherapie sowie über Nährpräparate ist beigefügt. Cloetta .
W oohenberioht.
Schweiz.
Basel. Prof. Dr. Ed. Kaufmann hat abermals einen Ruf als ordentlicher Professor
der patholog. Anatomie an die Akademie für praktische Medizin in Köln abgelehnt.
— In Bern findet am 27. April die Delegiertenkonferenz der latfraatleBalea
Vereinig lag der medizinischen Fachpresse statt.
— Jlllltftrssaltitswesea. Durch Bundesratsbeschluss vom 18. August 1902 ist eine
neue Ordonnanz eines ärztlichen Taschenbestecks aufgestellt worden, nachdem
sich die frühere Ordonnanz teils als veraltet teils als in Vergessenheit geraten erwiesen
hatte. Das neue Taschenbesteck enthält in den Schlaufen einer wasch- und sterilisier¬
baren Leinwandtasche, welche ihrerseits wieder in einem Lederetui untergebracht ist,
eine bestimmte Anzahl von reglementarisoh vorgeschriebenen Instrumenten; dem Besitzer
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de« Bestecke« steht es frei, die Zahl der Instrumente nach eigenem Gutdünken zu ver¬
mehren, zu welchem Zwecke die Leinwandtasche eine Anzahl von Reserveschlaufen
enthält. Das neue Besteck, zu dessen einmaligem Bezug die in die Offiziersbildungs*
schalen einrückenden jungen Aerzte v e r pf 1 i c h t e t , die älteren Sanitätsoffiziere
berechtigt sind, kostet 35 Fr., woran der Bund, nach Analogie der Abgabe ver¬
schiedener militärischer Ausrüstungsgegenstände an jedes Besteck einen Beitrag von
10 Fr. leistet. Die Nettokosten belaufen sich somit auf 2 5 F r. Bestellungen richte
man unter Beilegung des Dienstbüchleins an die Eidg. Kriegsmaterial-
Verwaltung, administrative Abteilung, iu Bern, welche die Zusendung der Bestecke gegen
Postnachnahme besorgt.
Bern, 10. März 1905. Oberfeldarzt.
— Privatisiert Br. 0. BeiMaer, 2 Place de la Fusterie, in Genf, nimmt in
seinem Privatlaboratorium stets Doktoranden auf, die über pathologisch-anatomische Fragen
der Gynäkologie zu arbeiten gedenken.
— Harns (Zürich) empfiehlt das Helmlttl als wirksamstes Harnantisep¬
tikum und zwar hebt er speziell seine Vorzüge gegenüber dem Urotropin hervor,
nämlich:
Die aut der energischen Abspaltung von Formaldehyd beruhende harndesinfektorische
Kraft ist 4—6 mal so stark, wie beim Urotropin; ferner ruft das Helmitol auch in
grösseren Dosen keine Vergiftungserscheinungen — speziell keine Magendarmstörungen
hervor, reizt — lokal angewandt — die Blaseoschleimhaut nicht und hat angenehmen
Geschmack. —
Anwendungsweise: Innerlich 1 gr pro dosi in */*—1 Glas Wasser gelöst, 3—4 bis
8 mal täglich, lokal: 100—200 cm 8 einer 1—2 °/oigen wässerigen Lösung in die Blase
injiziert. —
— Mit Dr. A. Brigglaser, Wehlei, dem liebenswürdigen Kollegen, der am 21. März,
70 Jahre alt, aus dem Leben schied, ist, einer der letzten jener Aerzte vom Schauplätze
abgetreten, welche am 5. Februar 1870 (vide Corr.-Bl. 1895 pag. 749 ff.) in idealer
und weitsichtiger Gesinnung unseren Zentral verein gegründet haben. Der einzige jener
begeisterten kleinen Schar, der noch unter uns weilt — hoffentlich noch recht lange
und in bester Gesundheit — ist Dr. Hägler sen. in Basel.
Ausland.
— Die „ Vierte Krankheit**, „Dikes Fsnrth disease 4 *. Dieser Ausdruck wurde
zum ersten Male von Clement Dukes in einem Aufsatze der Lancet (15. Juli 1900)
gebraucht. In diesem Artikel schildert der Autor ein infektiöses Exanthem, welches
mit Scharlach die grösste Aehnlichkeit bietet, jedoch sich von dieser Krankheit durch
gewisse Merkmale unterscheidet, eo dass die Aufstellung einer besonderen Krankheits¬
einheit gerechtfertigt erschien. — Im Jahre 1892 wurde Dukes in eine öffentliche Sohule
als Consiliarius berufen, zur Untersuchung von 16 angeblich frn Scharlach erkrankten
Kindern, wobei er, der schon läoger von der Existenz der Fourth disease überzeugt war,
die Diagnose in sämtlichen Fällen auf „vierte Krankheit 41 stellte und dementsprechend
eine 14 tägige Absonderung für genügend hielt. Trotzdem erfolgte keine weitere
Ansteckung in den Familien der Zöglinge. In einer zweiten Epidemie waren unter 31
Erkrankungen typische Scharlachfälle vermengt mit Fällen von „vierter Krankheit 14 ,
während aber bei letzteren die Inkubation 14—15 Tage dauerte, traten die Soharlaoh-
erkrankungen in Intervallen von zwei bis drei Tagen nacheinander auf. In neun Fällen
erkrankten Kinder, die vorher die „vierte Krankheit 44 überstanden hatten, nachher an
Scharlach, während von den Fällen, die vorher Scharlach durchgemaoht hatten, einer
nachträglich von „vierter Krankheit 44 befallen wurde. In der Epidemie kamen zwei
Todesfälle an Scharlach vor. Nachträglich konnte Dukes noch einen Fall von „vierter
Krankheit 44 an einem Zöglinge beobachten, der schon früher Scharlach überstanden hatte,
und unter den an „vierter Krankheit 44 leidenden Patienten waren mehrere, die vorher
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auch schon Röteln durchgemacht hatten. Anlässlich einer dritten Hausepidenoie sah er
19 mal das Auftreten der „Vierten Krankheit“ bei solchen Zöglingen, von denen 42°/o
bereits Röteln gehabt hatten.
Die „Vierte Krankheit“, welche nach Dukes eine selbständige, sowohl von dem
Scharlach, wie von Röteln unabhängige Affektion darstellt, verläuft unter folgendem
Krankheitsbild :
Sogenannte prodromale Symptome fehlen in den meisten Fällen, abgesehen von
schwachem Halsweh, — bei schwererer Erkrankung bilden einige Stunden hindurch
dauerndes Uebelbefinden, Kopfweh, Appetitlosigkeit, RQckenschmerzen die prodromalen
Erscheinungen, und allen diesen gebt eventuell Schüttelfrost voran. Die Inkubationsdauer
beträgt 9—21 Tage, die Länge der Inkubation ist daher derjenigen bei Röteln ähnlich,
hingegen von der kurzen Dauer der Inkubation bei Scharlach wesentlich verschieden.
Die Eruption ist meistens das erste wahrnehmbare Symptom der Erkrankung, und der
Ausschlag bedeckt innerhalb einiger Stunden den ganzen Körper. Der Ausschlag iet
klein und ziemlich dicht punktiert, kaum über das Niveau der Haut hervorragend, blass
rosenrot. Das Exanthem ist auf dem Gesichte sichtbar, obzwar weniger deutlich; die
Umgebung der Lippen und der Nasenrücken sind in der Regel vom Ausschläge frei. Die
Rachengebilde sind etwas geschwollen und auffallend injiziert. Das für Scharlach
charakteristische Bild der Himbeerzunge fehlt. Die Augenbindehaut ist injiziert, fleisch*
farbig. Die Drüsen des Halses und Nackens sind derb geschwollen, erbsengross, die
Anschwellungen sind jedoch weniger ausgeprägt, als bei Röteln. In einzelnen Fällen
waren auch die Drüsen der Achselhöhle sowie der Leistengegend geschwollen. Der
Ausschlag bl