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um Weibe aber hatte Gtt gesprochen: mm 1229 28 7297
/ „ungeheuer groß werde ich sein lassen deine Entsagung und deine
Mutterschaft, a2 "don axy2 in Entsagung wirst du Kinder gebären,
.npven ers om zu deinem Manne hin wird deine Sehnsucht sein,
“2 be sım und er wird über dich herrschen.“ — Den Sinn dieser
Worte Gttes zu dem ersten Weibe, als es im Begriff steht, das
Paradies zu verlassen, um an der Seite des Mannes einem un-
gewissen, erst zu gestaltenden Dasein entgegenzugehen, fasst der
Mann gleich danach in ein Wort, einen Namen zusammen:
„Chawa“ nennt er sein Weib, denn, fügt er hinzu, sie hat ja ihre
Bestimmung nun empfangen: Mutter alles Lebendigen ist sie ge-
worden.
Begreifen wir dieses Wort recht, so bedeutet es weder einen
Fluch, der von nun ab auf der Frau ruht, noch einen Segen —
sondern es will nichts als die durchaus normale, menschlich na-
türliche Stellung kennzeichnen, die das Weib als solches unter
den nun veränderten Lebensbedingungen künftighin einnehmen
wird. In dem Moment, in dem der Mensch das Paradies verlässt,
um den Kampf ums Dasein aufzunehmen, sich in eine Umgebung
gestellt sieht, der er die geringste Lebensnotdurft erst in hartem
Ringen abzugewinnen hat — m. a. W.: das unermessliche schier
endlose Schlachtfeld der Geschichte betritt, auf dem jede einzelne
Wegesspur, die es ihm vorzudringen gelingt, mit Strömen von
Blut bezeichnet ist, jede Errungenschaft, jede Entwicklung, jede
Ahnung von Fortschritt mit „Menschenopfern unerhört“ teuer ge-
nug erkauft wird — in dem Moment will dieses an das Weib
gerichtete Wort nichts anderes, als nach einem Blick in die Kul-
Anschauungsweise bieten, sich am kräftigsten und wiederholtesten
durchgesetzt hat. Und da ist es im grauen Altertum die berüch-
tigte Figur der Göttin Astarte, die fast unter allen Völkern Asiens
in irgend einer Form Tempel und Kultus erhält — und der man
kein wohlgefälligeres Opfer zu bringen weiss als die Reinheit der
Frauen und Mädchen. Dieser eine Umstand spricht Bände, zeigt
nur zu deutlich, welcher Art die Kultur jener Völker gewesen,
welcher Art ihre Frauen und wie unvermeidlich ihr Untergang.
Jedes weitere Wort erübrigt sich.
Aber nicht nur das asiatische Heidentum kannte und verehrte
die Astarte als weibliche Gottheit par excellence — graecisiert
finden wir sie wieder in der Aphrodite, latinisiert in der Venus.
Ist auch ihr Kultus nicht ganz so barbarisch mehr, ihr Prinzip ist
das gleiche. Wohl wird ihr hier eine andere weibliche und von
Natur mächtigere Gottheit gegenübergestellt, die Hera-Juno, die
Göttin der Ehe, die Beschützerin der verheirateten Frau und des
häuslichen Friedens. Aber ist nicht schon diese Gegenüberstellung
bezeichnend? Und nicht nur, dass der Grieche und der Römer
sich die Göttinen der Ehe und der Liebe als Todfeindinnen denkt,
Hera, die Göttermutter, ist ihm die ewige Nörglerin und Landplage
des Olymp, die „hoheitblickende“ aber unbeliebteste aller Göttinnen
ohne jede Grazie — dagegen Aphrodite, die Göttin der Liebe zwi-
schen Mann und Weib — und der Grieche und Römer kennt nur
eine Art Liebe, die sinnliche Liebe zwischen Mann und Weib, ist
ihm zugleich Göttin der Schönheit, geschmückt mit allen erdenk-
lichen Reizen, allem „Zauber der Lieb’ und Sehnsucht, welcher
ihr alle Herzen der Götter bezähmt und sterblicher Erdenbewohner”
(Homer) — die Charitinnen selbst bedienen sie! Hera und Aphro-
dite, Mutterschaft und Erotik sind zwei Gegensätze, zwei mit töd-
lichem Hass sich ewig befehdende Gottheiten des griechisch-
römischen Mythos — kein Wunder, dass in der Geschichte dieser
Völker, in deren Geiste das Wesen, die Bestimmung und der Beruf
der Frau sich also malten, dass ihnen Ehe und Liebe Gegensätze,
die Ehe kaum mehr als ein durch Sitte und Herkommen geheilig-
tes notwendiges Übel, die sinnliche Liebe aber die Wonne des
Lebens selber ist, ein ausgesprochener Frauentypus erst dann
sichtbarlich wirkend und beeinflussend auf den Plan tritt, als der
Stern beider Nationen zu bleichen beginnt, als sie sich rüsten im
Übermut des Glücks und der Erfolge, durch Verfall der Sitten
und unbeschränktes Genussesleben ein selbstverschuldetes Grab
sich zu bereiten. Der Moment, als im Leben des Griechen und
Römers nicht mehr das Wohl des Staates oberstes und alle übrigen
Interessen verschlingendes Prinzip aller seiner Handlungen und
Bestrebungen war, als er seinen persönlichen Neigungen und Leiden-
schaften nachzugehen begann und somit das Weib als wesentlichster
Genussesfaktor in einer Welt von Geniessern eine ganz andere
Bedeutung gewinnen musste als bisher in einer Welt von Arbeitern,
deren Arbeit sie nicht hatte teilen dürfen — das ist der Moment,
in dem das griechische und römische Weib sich gerächt haben
an ihrem Zeitalter, in dem es keine Rolle gespielt hat, solang es
nur Gattin und Mutter war — nun wird es Geniesserin und Ge-
nussobjekt, nun gewinnt es als Hetäre den grössten Einfluss auf
die Kultus Griechenlands und besteigt als buhlerische Kaiserdirne
den Thron der Cäsaren —nur allzutreu spiegelt es nun den Geist
und die Kultur seiner Zeit und seines Vaterlandes wider — einmal
unter der Flagge der Aphrodite-Venus ans Ruder gelangt, über-
trifft es, unbekümmert um Ehe und Mutterschaft, an wahnwitzer
Genußsucht noch den Mann, reisst den Vater ihrer Kinder immer
weiter mit sich fort im Taumel der ekelsten Ausschweifungen und
beschleunigt so aus allen Kräften ihrer beider Untergang.
In ihrer Sünden Maienblüte fährt sie dahin, die alte Welt —
unter fürchterlichem Krachen und Donnerbersten stürzt der morsch--
gewordene Riesenorganismus des Heidentums aus allen Fugen,
die stolze Roma, schon Generationen hindurch nichts anderes mehr
als eine wandelnde Ruine, hat ihr Geschick ereilt. 837 y wu zen
In die Zermalmung zurück hatte Gtt eine entartete Menschheit
gesenkt, o78 32 921 Tan um neues, frischeres und reincres Leben
aus ihren Trümmern emporblühen zu lassen. Dicht neben die fau-
lende Wurzel des Heidentums war vom fernen palästinensischen
Gttesbaume ein winziger Same gefallen, hatte tief unter der Erde,
von den Katakomben Roms her in wühlender Maulwurfsarbeit sich
immer breitere Grundvesten geschaffen — Schritt für Schritt, lang-
sam, doch sicher vordringend, ist das Christentum von Sieg zu Sieg
gegangen, hat an derselben Stätte, wo einst Jupiter Capitolinus die
Welt zu seinen Füssen erzittern sah, seinen Statthalter Gttes auf
Erden mit. der päpstlichen Tiara gekrönt — und wo einst der
Venustempel ragte und Männer und Frauen zu freiem Sinnenge-
nusse einlud, da liegen auf klösterlichen Steinfliesen Scharen von
abgezehrten Menschen auf den Knieen, und es flehen die Männer
zur himmlischen Jungfrau, die Frauen zum himmlischen Bräutigam
um Kraft und Beistand gegen die Anfechtungen des Fleisches.
Was war geschehen? Das Christentum hat mit Feuer und
Schwert Europa sich unterworfen und an Stelle der alten neue
Ideale gesetzt. An Stelle der heidnischen, allzumenschlichen Gott-
heiten, die nur eine Sünde kannten, den Frevel gegen die eigene
Natur, tritt hoch über allen Himmeln thronend Ein Einziger Gott,
der in dies irdische Jammertal einen Menschen gesetzt hat, dessen
Trieb von Natur sündig ist, der vergebens versucht, seiner eigenen
Natur zu entrinnen und zu Gtt zu gelangen — „Kyrie Eleison!“
schreit es durch das ganze Mittelalter, Herr, erbarme dich, denn
sündig sind wir, sündig jede Regung unseres Herzens, jeder Atem-
zug unserer Brust von Jugend an — wo immer wir schreiten,
straucheln wir, wohin wir blicken, begehren wir, und wer ist's,
der uns versucht? .Töten wir sie ab, Natur, die grosse Teufelin,
denn siehe, keine Rettung gibt’s vor der Sünde, wenn die Natur
uns einmal packt — „wer nur ein Weib ansieht, ihrer zu begehren,
hat schon mit ihr die Ehe gebrochen“ — wahrlich das Weib ist ein
Werk des Teufels, ist Satanas selber, der ‚uns versucht — hebe
dich hinweg! — So denkt das mittelalterliche Christentum vom
Weibe. Und es schafft sich das Ideal eines Mannes, der fern von
der Frau, fern von allem weltlichen Hasten und Treiben, in Rein-
heit und Keuschheit dem alleinigen Dienste Gottes sich weiht,
betend, fastend und sich kasteiend. Und es schafft sich das Ideal
eines Weibes, das zwar Mutter gewesen, aber auf wunderbare
Weise dennoch Jungfrau blieb — sie betet das Mittelalter an, das
Weib als Jungfrau ist sein Ideal. Das ganze Mittelalter singt
und klingt wider von Liedern zu ihrem Preise. Die ganze bildende
Kunst steht unter ihrem Zeichen, wird von ihrer Gestalt inspiriert.
Ihrem Dienst weiht sich der Priester, der Dichter, der Künstler
so gut wie Kaiser und Könige. Mit ihrem Namen auf den Lippen
schwingt der Ritter und sein Knappe sich aufs Ross, zieht der
letzte Fußsoldat das Schwert aus der Scheide. Weltliche Galanterie
mischt sich in ihre Verehrung, ihr Kult erzeugt unmittelbar den
Frauenkult schlechthin, das Marienlied das Minnelied. So sehen
wir das Mittelalter, sowohl Kirche als Weltlichkeit, in seiner
Stellungnahme zur Frau zwischen zwei Extremen hin- und her-
gerissen — dieselbe Frau, die der Kirche einerseits als ein Werk
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des Teufels selber erschien, wird andererseits in einer Frau ab-
göttisch verehrt — dieselbe Frau, vor der der höfische Herr soeben
noch das Knie gebeugt und ihrem ieisesten Wink, ihrer geringsten
Laune ohne Besinnung Gut und Blut geopfert hätte, kann im
nächsten Moment, um nur ein Beispiel zu geben, auf die lächer-
lichste Anklage hin, nach barbarischem Prozessverfahren als Hexe
verbrannt werden! Marienkult und Cölibat, Minnedienst und Hexen-
prozesse, — kein Wunder, dass, während die Künstler des Mittel-
alters in ihren sämtlichen Werken den Frauen huldigen, die Scho-
lastiker trotzdem mit Fug und Recht, ebenfalls dem Geiste der
Zeit gemäss, darüber hin und herstreiten konnten, ob denn das
Weib eine Seele habe. |
Woher diese Extreme? Warum einerseits Vergötterung, anderer-
seits Verzerrung — bald Engel, bald Teufel — hier Herrin, Ge-
bieterin, „hohe Fraue“, und dort Hexe? Warum geht durch das
gesamte Mittelalter ein Zug härtester, grausamster Kasteiung des
Leibes dicht und unvermittelt neben den wildesten Ausbrüchen
ungezügelter Sinnlichkeit? Weil das Ideal des Mittelalters die
Jungfrau war, das unvollendete Weib. Weil ihm die Mutter, die
Mutter schlechthin, nichts Heiliges war, nicht gttliches Wunder
genug, sondern erst durch ein spitzfindiges und widerspruchsvolles
Wunder heilig und gttlich werden konnte. Weil ihm die Ehe ein
zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes notwendiges Übel
geblieben war, für die es seine besten, genialsten Männer für zu
gut hielt. Sein Ideal war die Jungfrau, das unvollendete Weib.
Dieses Ideal musste es zugleich verehren, zugleich fliehen. Es
musste es liebenu nd musste es hassen, begehren und verabscheuen
zugleich. Das widernatürliche Ideal erzeugte die widerspruchs-
- vollsten Empfindungen und Erscheinungen. Und es erzeugte den
charakteristischsten Frauentypus des Mittelalters: die Nonne
„Ungeheuer gross werde ich sein lassen deine Entsagung und
deine Mutterschaft — in Entsagung wirst du Kinder gebären —
zu deinem Manne hin wird deine Sehnsucht sein und er wird über
dich herrschen“ — ah! wie klingt es so weit, so fernab wie aus
einer anderen Welt, dies natürliche und so unendlich reine Wort
mit dem die Heil. Schrift unser aller selig-unseliges Frauientoß
uns kündet — wie klingt es so fremd in diese mittelalterliche
Welt hinein! Dies ernste, wehmütige und doch so unsagbar stolze
Wiegenlied des Frauentums, das seine ganze Geschichte, bald leiser
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bald lauter, melodisch durchzieht — an den Mauern der Nonnen-
klöster bricht sich sein Schall und mit schrillem Wehlaut gleitet
es rasch vorbei. Auch ich will nicht lange verweilen. Es genüge,
nochmals zu betonen, dass diese seltsame, unerquickliche, ja fast
unerklärlich scheinende Verirrung des Frauengeschlechts, über die
der schlichte, natürliche Menschenverstand unbarmherzig den Stab
brechen muss, dass diese Verzerrung, diese Karikatur einer Frauen-
gestalt, dass die Nonne mit unerbittlicher Logik aus der Anschau-
ung ihrer Zeit über die Frau und ihr Wesen herausgewachsen ist
— dass dieser seltsam wirre, halb mystisch-verschwommene, halb
plastisch-sinnliche Frauentypus, der in religiöser Brunst und fa-
natischer Fieberglut sich verzehrt und von dem es doch zu uns
herüberweht wie eisigkalter Grabeshauch und Moderduft, eine mit
fast mathematischer Sicherheit und Schärfe aus christlichen Dog-
men zu berechnende Consequenz ist. Das Heidentum kannte nur
eine Menschenmaterie, die in Einheit mit der grossen Natur in
unbekümmerten Sinnenleben sich restlos erschöpft — es würdigte
das Weib in erster Linie als Genussesfaktor; als solches wird es
ihm am häufigsten zur Göttin, als solches baut es ihm die meisten
Tempel. Das Christentum erkennt das Höhere, Unmaterielle, Freie
und Gttliche der Menschenseele; aber es sieht es in ewigem und
gttgewollten Gegensatz zur heidnischen Tierheit des Leibes —
und mit verhängnisvollem Griff reisst es die Menschennatur zwie-
spältig auseinander, baut eine gähnende, unüberbrückbare Kluft
zwischen Geist und Fleisch, erklärt die Ehelosigkeit für heiliger
als die Ehe und duldet nicht nur, sondern befürwortet es, dass
Scharen von Frauen ihrer eigentlichen, allzuirdischen, allzunatür-
lichen Bestimmung verloren gehen und statt gesunder, geistig-
sinnlicher Liebe zu Mann und Kind sich in übersinnliche und ach!
so unfruchtbare Erotik hineinsteigernd — geistig, sittlich und kör-
perlich zu Grunde gehen. Das Christentum verwirft die heidnische
Anschauung vom Menschen überhaupt — es weiss Besseres für ihn
als in blossem Triebleben, und wenn es noch so sehr in den
Grenzen massvoller Formschönheit sich hält, dahinzuvegetieren —
aber in verhängnisvollem Eifer verfällt es in das andere Extrem:
fordert Abtötung des Leibes und reines Leben im Geiste, in der
Sehnsucht nach höheren Sphären; es ahnt das Rechte und Wahre,
findet es nicht in der Natur und sucht es darum in der Unnatur.
Es verpönt den heidnischen Frauentypus — noch einmal erregt
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Frau Venus als „grosse Teufelinne“ in der. Tannhäusersage der
ganzen Christenheit Furcht und Grauen — dann hat sie ausgespielt
‚und ein reineres, höheres, aber unnatürliches und darum unerreich-
bares Frauenideal tritt an ihre Stelle — das Weib als Jungfrau
verdrängt das Weib als Buhlerin: ein Extrem das andere. Die
Folge ist, dass in sämtlichen Chroniken des Mittelalters über die
'sittliche Verderbtheit des Clerus bitter geklagt wird und die Ge-
schichte mit dürren Worten konstatiert, dass in der 2. Hälfte des
Mittelalters ein Kloster und ganz besonders ein Nonnenkloster
längst nicht mehr eine Stätte des Friedens und der Weihe, des
blossen Lebens im Geiste ist — sondern im Volksmund geradezu
identisch wird mit den verworfensten Brutstätten der Unzucht.
Venustempel und Nonnenkloster — wahrlich, hier berühren sich
die Extreme und die Differenz ist so gross nicht mehr.
Und abermals stehen wir vor einer entscheidenden Wendung
der Geschichte. Und wieder fühlen wir, dass die Geschichte keine
plötzlichen und zufälligen Erscheinungen kennt, dass alle. ihre
Revolutionen Evolutionen sind. So wenig wie das Mittelalter eine
vom Geiste des Altertums abrupt zu scheidende, vielmehr organisch
aus ihm herauswachsende Epoche ist, ebenso sind die grossen,
geistigen Neugestaltungen des 15. und 16. Jahrhunderts, die uns
den Beginn der Neuzeit markieren, im Schosse des Mittelalters
langsam gereift und sind ans Tageslicht gelangt nach den eisernen
Gesetzen der Lebensnotwendigkeit, der Selbsterhaltung. Fassen
“wir uns kurz: das Schlagwort der „neuen“ Kultur lautet: Freiheit
und Einheit der Persönlichkeit. Humanismus und Renaissance
brechen die Ketten des Feudalismus und stellen das Individuum
auf sich selbst, auf seine eigne Kraft: jeder ist nicht, was er ge-
boren ist, sondern was er aus sich macht. Die Reformation be-
‚freit die Seele des Individuums aus dem engen Käfig, in dem apo-
stolische Unfehlbarkeit und Dogmatik sie gefangen und stellt auch
sie hinaus in eine freie Gtteswelt, rein auf sich selbst und das
ihr innewohnende Gttesempfinden, lehrt sie so eine neue Sittlich-
keit. Aber in furchtbar erbittertem Kampf wehren sich Feudalis-
mus und Papsttum gegen den Ansturm der neuen Ideen — noch
einmal trägt das Mittelalter äusserlich den Sieg davon: um Jahr-
hunderte zurück wirft der 30jährige Krieg die in bestem Fort-
schreiten begriffene Menschheit. Langsam erholt sie sich — nimmt
im 18. Jahrh. den Schlachtruf des Humanismus und der Reformation
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wieder auf — kämpft in ungeheuren Revolutionen um die Gleichheit
“und Brüderlichkeit, die schon der Humanismus erstrebt, um die
Glaubens- und Gewissensfreiheit, die schon die Grundidee der
Reformation gewesen — kämpft in einem Wort um die Freiheit
der Persönlichkeit mit wechselndem Erfolg noch heute, Mann und
Weib, jeder für sich, jeder auf seinem Gebiet und auf seine Art.
Um ihre Freiheit kämpfen sie, der Mann und das Weib, denn
beiden schwebt ein neues, höchstes Ideal nun vor, das sie nur
als völlig freie Menschen erreichen zu können glauben, ein Ideal,
das gebrochen hat mit der christl. Vorstellung von der gttgewollten
Zweiteilung des Menschenwesens, für die es nimmer Versöhnung.
gibt, eine Vorstellung, die, als sie zuerst sich bildete, solch un-
geheurer Fortschritt war, und als sie sich fortentwickelte, solch
unselige Consequenzen hatte — gänzlich gebrochen hat der moderne
Mensch mit ihr — ihm schwebt an ihrer Statt das Ideal der har-
monischen Menschenpersönlichkeit vor, die ihren kate-
gorischen Imperativ in sich trägt und so im Namen ihres eignen
Sittengesetzes weder ihr geistiges noch ihr sinnliches Leben ver-
leugnet und abzutöten sucht, sondern zu freier, schöner Mensch-
lichkeit auszugestalten, die eigne Persönlichkeit nach allen Seiten
hin harmonisch zu vollenden strebt.
Nichts anderes als dies ist die Sehnsucht der modernen Frau
und zugleich die tiefinnerste Idee der sog. Frauenbewegung. Die
Frau ist Kämpferin gnworden, um Frieden zu finden, — nicht den
Frieden der stillen Resignation, den die der Willkür des Mannes
recht- und wehrlos Unterstehende allenfalls finden mochte — auch
nicht den Kirchhofsfrieden mehr, den ein Kloster bestenfalls bieten
konnte — sondern den Frieden der freien, in sich selbst ruhenden
harmonisch ausgereiften Persönlichkeit. Seitdem wir das Weib
an der Seite des ersten Mannes den Boden der Geschichte be-
treten sahen, ist es durch so gewaltige Krisen hindurchgegangen
im unaufhaltsamen Strom der Kulturentwicklung, dass es nun, im
Zeitalter der Bewusstwerdung des Individuums, nur natürlich war,
dass auch die Frau gleichsam eine Minutenspanne lang innehielt,
um sich rück- und vorwärtsschauend auf sich selbst zu besinnen.
Die Frau wurde sich zum Problem. Und geht sofort mit dem eigen-
tiimlich reizvollen, gänzlich unhistorischen, radikalen Ungestüm
revolutionär angehauchter Zeiten und Bewegungen vor, will von
keinem Herkommen, keiner guten alten Sitte mehr hören, will
gleichsam voraussetzungslose Wissenschaft mit sich selber treiben,
sich rein auf sich selber stellen, in Freiheit und Selbstverant-
wortlichkeit über sich und: ihr wahres Wesen und ihren wahren
Beruf beschliessen. Das Wort der Heil. Schrift, die Ideale des
Heiden- und Christentums — die moderne Frau behält es sich
vor, sie zu prüfen und zu wägen und, falls zu leicht befunden, sie
zu verwerfen und neue zeitgemässere Bestimmung sich zu suchen.
Mutterschaft, Dahingabe des ganzen Wesens an das Kind und
daher natürliche und materielle Unabhängigkeit vom Manne, wie
mit sachlicher Eintönigkeit das Bibelwort suggeriert — sinnliche
- Erotik als bestimmendes Prinzip und Mutterschaft in ihrem Dienste
bloss — ewige Keuschheit, durchgeistigte Jungfräulichkeit, Wonnen
der Himmelsbrautschaft, wie sie die Kirche mit den glänzendsten
Farben malt — oder gar Überwindung des Weibtums, allmähliche
Heranzüchtung zu einem dem Manne nicht bloss völlig gleich.
berechtigten, sondern auch gleichgearteten Wesen — alle diese
Probleme, die in Wahrheit den Lebensnerv der Frau berühren, hat
die moderne Frau neu aufgeworfen, hat sie auf tausendfach variierte
Weise beantwortet und jede einzelne Variation ist in besonderen
Frauentypen zu Fleisch und Blut geworden. Soviele Probleme, so-
viele Typen! scheint es uns fast, die wir alle noch mitten im Fluss
des modernen Lebens stehen, — das Entscheidende für uns jedoch
ist, dass ein gemeinsames Merkmal ihnen allen anhaftet, von Corinna
und Vittoria Colonna bis zu George Sand, den Damen Ala Jucinde
bis zu Ellen Key, sogar von den Parisern Fischweibern bis herab
zur männerbefehdenden Londoner Suffragette — sie alle gehen aus
von dem Prinzip der freien Selbstbestimmung — ihnen allen
schwebt, oft verschwommen nur und nebelhaft, oft gänzlich un-
bewusst, zuweilen aber auch mit sonniger Klarheit das leuchtende
Ideal des Humanismus: das Ideal der harmonischen Persönlichkeit
vor. Und sie sucht und strebt, die moderne Frau, sucht ihren
Weg und strebt nach dem Höheziel, das sie sich gesetzt — gar
oft strauchelt sie und schwankt, reisst gar oft sich blutig® Wunden
‚an den Dornen am Wege und ach! unzählige Male verirrt sie sich
und tappt wie ein Kind im Dunkeln. Denn noch hält sie ihren
revolutionären Trotz für Souveränität, ihre Regellosigkeit und Will-
kür für sittliche Freiheit, ihr blosses unbegrenztes Suchen und
zufallsgebundene Prinzipienwahl für Selbstbestimmung! Wohl, das
Prinzip der Selbstbestimmung ist ein stolzes, menschenwürdiges
Prinzip. Die harmonische Persönlichkeit — fürwahr, das herrlichste,
erhabenste Ziel, das der Mensch sich stellen kann! Wo haben.
wir doch Ähnliches schon vernommen? Viel, viel früher, im grauen
Altertum, als dies alles noch recht unmodern war — 135 yon,
erzählt die Bibel, Gtt sprach zu Abraham: on “m yab bunn!
„führe Dich vor meinem Angesichte und werde ganz!“ „Führe
Dich“ — nicht von blindem Ungefähr, nicht von der Willkür,
die selber nur äusserem Anreiz gehorcht, lass Dich sklavisch
leiten — sondern von innen heraus, rein aus Dir selber, in freier
Selbstbestimmung zu individuell sittlichem Wandel führe Dich und
zwar führe Dich „vor mir“ — von nichts auf der Welt, nur von
mir, Gtt, lass die natürliche Grenze Dir setzen: finde Freiheit in
meiner Gesetzlichkeit! own "m — und nachdem Du in Freiheit
über Dich also bestimmt, gib Dich mit Deinem ganzen Wesen an
diese Bestimmung hin, entziehe ihr auch nicht die geringste Seite
Deines Wesens, lass in ihr und durch sie alle Deine Kräfte und
Strebungen zur Entfaltung kommen — sei ganz und werde har-
monisch! Das Prinzip der Selbstbestimmung — mit ihm steht und
fällt das jüd. Gesetz als solches — Harmonie der Persönlichkeit
nicht als luftiges, verschwommenes Ideal, sondern als festumgrenzte
Forderung fordert das jüd. Gesetz — fordert es nicht nur von
Abraham, sondern — vn awnıp! von jedem Einzelnen, von jedem
Mann und jeder Frau, von jedem in seiner Art, nach seiner
Bestimmung.
Und so ist esin der Tat. Die Krisen, die Irrtümer und die
Wandlungen der Frau, die wir in unseren schablonenhaften Skizzen
nur andeuten konnten, die sind der jüdischen Frau erspart ge-
blieben — oder genauer: sie hat sie sich stets ersparen können.
Ihre Geschichte nahm einen anderen Verlauf. Denn zunächst ihre
äussere Stellung ist im Judentum über allen Wandel der Zeiten.
hinweg festgelegt und aus ihres eigenen Wesens tiefster Tiefe,
wie sie nur dem Schöpfer alles Lebendigen selbst erschlossen
sein konnte, begründet worden. Im Judentum Konnte das natür-
liche und materielle Übergewicht des Mannes, das die Frau aller
anderen Völker von seiner Willkür und Gnade abhängig macht,
nimmermehr die ursprüngliche und gttgewollte Gleichheit der Ge-
schlechter gefährden. Nie konnte das unwürdige Schauspiel, das.
Mann und Frau in der Kulturgeschichte der Jahrhunderte vor un-
seren Augen boten und noch bieten, bei uns eine Parallele finden:
nie war bei uns die Frau Sklavin des Mannes und nie erzwang,
erbat, erlistete oder erbettelte sie sich bei uns von ihm, dem Ge-
‚setzgeber, ein Rechtlein nach dem andern — sondern dasselbe
Gesetz, das die Frau bindet, bindet bei uns auch den Mann, es
‚steht über beiden und wendet sich an beide, weder er, noch sie
haben’s verfügt, weder er noch sie vermöchten das Geringste da-
ran abzunehmen noch hinzuzufügen. Und so Konnte die natürliche
und materielle Abhängigkeit vom Manne, die die Frau unter Völ-
'kern, bei denen der Mann selber auch zugleich das Recht gründet
und fortbildet, völlig entrechtet hat, von welchem Zustand sie erst
heute und auch nur bei Kulturvölkern von ganz beschränkter Zahl,
allmählich sich zu erholen beginnt — ihre äussere Stellung in
einen Kreis, in dem die mn einen jeden Mann zum Gttesdiener
und ein jedes Weib zur Gttesdienerin sich weiht, niemals im
allergeringsten gefährden. |
Das Problem ihrer inneren Bestimmung hingegen hat die jü-
dische Frau jederzeit wohl so gut wie jede andere aufwerfen und
sich durchdenken müssen — ja, sie, die alltäglich und allstündlich
ihre sittliche Freiheit durch Hingabe an heteronome Gesetzlich-
keiten erprobt und sich daher noch in ganz anderer Weise als
freier, stolzer, sich selbstbestimmender Mensch zu fühlen das Recht
'hat, sie wird dieses Problem, das ihr aus körperlich gebundenen
Zufälligkeiten und Naturgesetzen erwächst, mit noch ganz anderer
Gewalt ergreifen, wird sie noch ganz andere Untiefen und Ab-
gründe entdecken lassen — in ganz anderer Weise noch mag sich
ihr Wesen an seinen Wurzeln und Daseinsbedingungen davon ge-
packt fühlen. Wohl bindet das Gesetz die jüdische Frau, wohl
findet sie festumschriebene Regeln vor, wie sie sich als Jungfrau,
als Gattin und als Mutter zu verhalten hat. Während aber das
Gesetz dem Manne die Hausesgründung zur ersten und höchsten
Pflicht macht und ihn zugleich zum Ernährer und Erhalter dieses
Hauses einsetzt, versucht es nirgends auch nur durch die geringste
Andeutung, auch die Frau an eine festbestimmte Lebensform zu
binden, überlässt die Entscheidung, die Berufswahl ihr selbst,
‚appelliert hier, wie auch sonst so oft, stillschweigend an ihren
geraden, natürlichen Sinn, an ihr wahres, unverfälschtes und auf
die Dauer unbeirrbares Gefühl, vor dem es die höchste Achtung
hegt. Aber die erziehliche Kraft seiner in grossartigen, auf Schritt
und Tritt uns begleitenden Tatsymbolen niedergelegten Welt- und
Lebensauffassung stellt es der jüdischen Frau in ihrem Entwick-
lungsgang zur Seite — bewusst oder unbewusst schützt die ganze
von ihm gebotene jüdische Lebenspraxis und Gesinnung die jü-
dische Frau vor den gröbsten Verirrungen, vor dem Fall ins
äusserste Extrem.
Vor dem Schicksal, steuerlos vom Himmel durch die Welt
zur Hölle zu schweifen, bald kühn und gross nach dem Höchsten
zu greifen, bald klein und verächtlich mit dem Gewürm um die
Wette im Staub sich zu wälzen, davor rettet den jüdischen Men-
schen sein Gesetz, mit seiner Hilfe bleibt die innere Menschen-
würde und Sittlichkeit stets gewahrt und alles Entwickeln wird
ein Fortschreiten zum Heil! Genau so in unserem Einzelfalle, Die
jüdische Frau findet ein Gesetz vor, das sie bindet und sie vor
den furchtbarsten Irrtümern und verhängnisvollsten Krisen ihrer
nichtjüdischen Schwester bewahrt. Aber innerhalb dieses Gesetzes
wird ihr unbeschränkte Spiel- und Entwicklungsfreiheit, in vieler
Hinsicht in höherem Masse als dem Manne. Und so wird ihr
dieses Gesetz, wenn sie sich mit ihrem ganzen Wesen ihm hin-
gibt, an ihm sich Freiheit der Seele und des Geistes immer wieder
aufs Neue erwirbt, an seiner Hand den Schlüssel findet für ihr
eigenes Innere, durch die Gesetzeserkenntnis Selbsterkenntnis
gewinnt, durch die Durchdringung mit jüdischer Gesinnung, den
Einblick in jüdisches Denken, ihre eigene, individuelle Lebens-
anschauung sich bildet, gleichsam zur festen, ewig gleichen, un-
veränderlichen Claviatur, die die ganze Fülle der Frauennaturen,
eine jede nach ihrer Art, ihrem Charakter und Temparament zum
Spiel zulässt, auf der eine jede bestenfalls in mächtigen Wellen
ihr ganzes Wesen in Töne umzusetzen versteht, Töne, so reich
und mannigfaltig und immerdar wechselnd, in kräftigen Wogen
stets neu aus unerschöpflicher Tiefe hervorquellend und sich zu
freien Rhythmen und klingenden Harmonien verbindend, wie sie
nur die ganze Fülle einer freigewordenen Menschennafur aus
blossen Tasten, starren Gesetzesbuchstaben hervorzulocken ver-
mag, und ein treuer Berater wird ihr dies Gesetz, ein wahrer
Freund, der ihr zur rechten Zeit mit seinem „Zurück“ entgegen-
tritt, zur rechten Zeit mit seinem „Vorwärts“ sie ermuntert und
stärkt, und sie vergilt ihm die grosse Verehrung und das grosse
Zutrauen, das es stets in erhöhtem Masse für sie an den Tag
gelegt hat, mit ganz besonderer Treue und Gewissenhaftigkeit
und jenem spezifisch weiblichen intuitiven Verständnis für seinen
Geist, durch ihr warmes und inniges Einfühlen in seine Seele
und ihr spontanes Umsetzen der gewonnenen Persönlichkeitswerte
in vom Blut ihres Lebens durchströmte und vom Pulsschlag ihres
Herzens durchzitterte Handlungen.
Und so hat das Judentum im Lauf der Jahrhunderte stattliche
Frauengestalten sich herangezogen. von denen die Annalen unserer
Geschichte mit Stolz berichten oder auch mit Stolz — zu schweigen
wissen. Selbst die mit ihrem Lob so karge und ausführliche
Charakterisierung in: der Regel vermeidende Bibel füllt ganze
Spalten mit der sorgfältigen und liebevollen Zeichnung einer ganzen
Schar von Heldinnen. Und es kann kein Zweifel mehr obwalten —
nachdem wir gezeigt haben, aus welcher Quelle allein die jüdische
Frau ihre Lebensanschauung schöpft, — auf welche Weise sie die
Probleme ihres Frauentums lösen, in welcher Lebensform sie die
Vollendung ihres Wesens suchen wird.
„Im Schmuck des heiligsten Berufes, der höchsten Würde der
Frauen, glänzen die Gestalten. Als Mutter grüsst uns eine jede“
(S. R. Hirsch, Ges. Schr. II.) bei aller Verschiedenheit der Cha-
raktere, bei aller Eigenart und Besonderheit der einzelnen Indi-
viduen, bei allem Reichtum persönlichster Farbengebung und Fein-
heit der Nuancierung hat es die jüdische Frau zu allen Zeiten und
unter allen Umständen verstanden, Mutter zu sein, hat als Mutter
ihre höchsten Triumphe gefeiert, aus dem Muttergefühl ihre tief-
sten Erkenntnisse gewonnen — hat sich nimmer beirren und ver-
leiten lassen, anderen Idealen nachzujagen, mochten sie noch so
schillernd und bunt aufglitzern unter der Strahlengewandung, mit
der der Egoismus sie aufzuputzen liebt — wohl steht auch sie,
. wenn ihre Stunde schlägt, am Scheidewege, hält in der einen
Hand die süsse exotische Blume, deren paradiesischer Duft auch
sie berauscht, aus deren prächtigen Farben auch ihr trunkene
Verheissungen winken von jauchzendem Glück und unbekümmer-
tem Sichselbstleben, und deren abgrundtiefer Kelch ein Bild ist
ihres eigenen namenlosen Frauensehnens ins Ungemessene und
Unbegrenzte — hält in der andern Hand ach! nichts als Tränen —
Tränen der Freude und Tränen des Leids, wie sie im Leben einer
Mutter der Alltag kennt und bringt. Aber für sie, die auf der
Suche ist nach ihren Grenzen und ihrer Erfüllung: nach ihrem
5 — Gesetz — für sie kann es in Wahrheit kein Zaudern geben —
mit hastigen: Fingern zerpflückt sie sie, die süsse, wilde, fremde:
Blume, entsagt für immer aller Ichbejahung und Selbstbetonung,.
ohne Rücksicht auf die Struktur des Weltganzen und ihren Posten
darin, will lieben nur als Mutter und um Mutter zu werden. Sie
hat gelernt von Channah, dem Weibe Elkanas — „bin ich Dir
nicht lieber als zehn Söhne“ sucht ihr Mann sie zu trösten —
sie aber steht wortlos auf. wirft sich nieder und weint vor Gtt
und findet in ihrer Muttersehnsucht und später in ihrem Mutter-
glück die tiefsten Worte, die bis dahin über Gtteswaltung und
Menschenbestimmung gefallen waren, lehrt eine ganze Nation
beten und danken und einen gttbegnadeten Sänger singen — alles
aus dem Schmerze unerfüllten und aus dem Glück erfüllten Frauen-
tums heraus — aus der Sehnsucht, das Höchste zu leisten, was:
sie als Frau zu leisten vermag: Mutter zu sein im Dienstheere
Gttes, den sie nicht nur als Schöpfer des Menschen, sondern auch
als seinen obersten Dienstherrn fort und fort begreift. „Frauen
sind es, aus deren Geschick uns die allnahe Waltung der prüfen-
den und beglückenden Allmacht entgegenleuchtet; Frauen, von
denen wir hoffen und harren, Gtt schauen und — beten lernen.
sollen.“ (Ges. Schr. das.)
Und so will die jüd. Frau in freier Selbstbestimmung Mutter
sein. Und nicht bleibt ihr die Mutterschaft zufällig angeborener
oder auch nur zufällig erwählter Beruf — nein, aus ihrer ganzen
Welt- und Lebensanschauung erwächst er ihr je nach Veranlagung
mit instinktiver oder intuitiver Gewissheit. In ihm vollendet und.
befreit sich die jüdische Frau von der Angst und der Gebunden-
heit des Irdischen zur von jeder Selbstsucht freien Hingebung
und Übereinstimmung mit dem ewigen Zusammenhang des Uni-
versums: mit dem Waltungsplane Gttes. Und gibt sie sich ihm
hin mit der ganzen Kraft und sittlichen Energie ihres Wesens,
mit der Ganzheit ihres Wandels, in Entsagung und schmerzvoller
Hingabe ihres eigenen Ichs, dann wird ihr, die das „Werde“ des
Schöpfers mit der gleichen ursprünglichen Unmittelbarkeit, wie
Himmel und Erde am ersten Schöpfungstage, noch heute an sich
selber erlebt, aus dem Sphärenchor des Weltalls, dem sie sich
einfügt, freiwillig und in Selbstbestimmung einfügt als ein einzel-
ner, im Schosse des Ganzen sich verlierender Accord, entgegen-
klingen und entgegenreifen als herrlichste Frucht ihres Lebens:
Harmonie der Persönlichkeit.