Skip to main content

Full text of "Glauben und Wissen im Judentum : Vortrag gehalten am 2. November im Israelitisch Wissenschaftlichen Verein zu Altona"

See other formats


(Glauben und Wissen Im 


Judentum. 





Vortrag 


gehalten am 2. November im 
ISRAELITISCH WISSENSCHAFTLICHEN VEREIN 


zu Altona von 


Ahron Mareus. 


HAMBURG 1903. 
Druck von M. LESSMANN, ABO-Str. 57. 








Behufs gründlicher Definition der Begriffe Glauben und 
Wissen wollen wir zuerst die Etymologie der Benennungen 
prüfen. N 

Im deutschen Worte Glauben, gehört ebenso wie im 
Worte Glück, der Buchstabe & nicht zur Wurzel. Das G 
ist vielmehr das abgekürzte Praefixum Ge in den ähnlichen: 
Gelingen, Geloben, eines zum Hauptworte erhobenen Infinitive. 
Beweis: Das englische luck für Glück, believe für glauben, 

Die Wurzel laub hängt mit erlauben, Urlaub zusammen, 
ebenso das englische believe mit leave lassen, auch das Laub 
der Bäume mit leaf Blatt, das Lassende, Abfallende. Glauben 
heisst somit ursprünglich: Etwas zulässig finden. Die Ent- 
stehung des Wortes entspricht dem historischen Vorgange 
der Entstehung der Religionen bei den indogermanischen 
Völkern. Es sind von aussen importirte, fremde Producte, 
deren Annahme zulässig befunden wurde. 

Wir erinnern an den Ausspruch des grossen deutschen 
Forschers Bunsen über den Unterschied der inneren, einer 
immanenten Seelenanlage entspringenden Religiosität bei den 
Semiten im Allgemeinen und den Abrahamiden insbesondere 
— im Gegensatze zu dem mehr äusserlichen, übertragenen 
Religionsbegriffe der Arier. 

Dementsprechend schliesst das Wort Glauben bereits den 
Zweifel ein. Glauben heisst nicht wissen. Ich glaube, es 
ist halb eins, es kann auch halb zwei sein. Das Hebräische 
kennt diese Art der Bezeichnung .nicht, Emunah heisst in 
erster Reihe Treue. Treu ist das englische true, wahr. Emunah 
unterscheidet sich von Emmes, welches die objective Wahrheit 
bedeutet, Emunah die subjective Ueberzeugung von der 
Wahrheit. Haaminu baschem wesseomenu, redet der König 
Joschafat Chronik II, 20, das Volk an: Vertrauet auf den 
Ewigen, Euren Gott und Ihr werdet überzeugt werden. Der 
Prophet Jesaia Cap. VII, 9, eitirt gewissermassen diesen Aus- 
spruch, wenn er sagt: im lau ssaaminu, ki lau sseomenu. 
Wenn Ihr nicht glauben werdet, denn Ihr seid nicht zu über- 
zeugen. Ursprünglich bedeutet Emunah physische Festigkeit, 
bei Moses II, 18, 12 wajhi jodow Emunoh, seine Hände blieben 
fest. In diesem Sinne findet es sich noch im Jeruschalmi 


EN 


Peah, hojo aumen al jodau, wenn er ihm hilft, die Pflanzen 
zu befestigen. Damit entspricht es derim Talmud gebräuchlichen 
Chasokoh, die feste Ueberzeugung. Ssauklin al hachasokaus. 
Das Gericht vollzieht selbst Todesstrafen auf die Chasokoh 
hin, dass der Sünder der wirkliche Sohn seiner Mutter oder 
seines Vaters sei, ohne bei der ersteren den möglichen, beim 
letzteren den unmöglichen Zeugenbeweis zu verlangen. Der 
griechische Ausdruck für Glauben, wie ihn Aristoteles definirt, 
die sı/orıc, nähert sich dem Hebräischen. Der arische Weise 
bezeichnet das Glauben als Thätigkeit der Vernunft in Hervor- 
bringung einer Ueberzeugung und unterscheidet zweierlei 
Thätigkeiten 1) das Glauben auf Beweisgründen, sworıc 2E 
ovAkoyıowot 2) das Glauben auf Erfahrung wiorıs 2E drraywyijc 
deductive und inductive Ueberzeugung. Die erstere, deductive, 
entsteht in uns a priori, als persönliche Ueberzeugung aus 
den Gesetzen der Logik more mathematico, aus der Un- 
möglichkeit des Gegentheils. 

Es ist im Grunde genommen, wie Maimonides dies so 
trefflich im Moreh ausführt, eine negative Erkenntnissform, 
Derech scheliloh, ihr Product eine subjective, abstracte Form 
ohne Inhalt. Die zweite Erkenntnissform, die inductive, a 
posteriori aus den Objecten und Thatsachen der Erscheinung 
entstanden, als sachliche, objective, inhaltliche, anf Sinnes- 
wahrnehmung beruhende Ueberzeugung. Aristoteles kennt 
aber den Glauben als Gefühlssache, als Begriff der Religion 
nicht. Die Gefühlsemotionen sind ihm überhaupt etwas 
Thierisches, der reinen Vernunft Unwürdiges, Darum geht 
bei ihm der Begriff Glaube im Begriffe Wissen auf, in welchem 
er verschwindet. Doch erkennt er ein Glauben an das Ue- 
bersinnliche an, wenn er sagt: “H d& niorıs oV movov Errl mg 
aio9n0swms ahha zat Ei vod Aoyov. Der Glaube bezieht sich nicht 
nur auf das Wahrnehmbare, sondern auch auf das Unfassliche. 
Er findet nämlich auch in der Naturforschung ein Oavuaorov rt 
ein unbegreifliches Residuum, ein Wunderbares, ohne jedoch 
die Consequenzen zu begreifen, die Kant daraus gezogen hat, 
(renau nach einer ebenso gegensätzlichen Anschauungsweise 
verfährt das Hebräische gegenüber dem Deutschen bei dem 
Worte: Wissen. Die deutsche Benennung hängt mit Weise 
und weiss zusammen. Eine Ideenassociation, in welcher die 
Farbe auf den abstracten Begriff übertragen wird, wie in 
„graue Urzeit“, Ich weiss, heisst: Ich sehe die Sache hell 
und deutlich. Weise ist der weisshaarige Alte der Familie 
und des Stammes, dem das Alter Erfahrung gesammelt. Das 
Hebräische verschmäht die Bildersprache. Man hat das Wort 
„Joda“ irrthümlich mit Veda, vid des Sanskrit identificiren 
wollen, aber das Jod oder Waw gehört nicht zur chemischen 
Wortwurzel, die durch die zwei Buchstaben Dallet Gain, Da 
gebildet wird. Diese ist vielmehr eng verwandt mit dem 


as N AR 


graecoromanischen tango berühren, das tdem d, dasng dem 
Gain. Beweis: Wajauda bohem es ansche Sukkos. Er züchtigte 
damit, berührte, liess sie fühlen. Darum heisst Daas wörtlich 
Tactgefühl. Kol Talmid Chochom scheen bau daas: Ein 
Gelehrter, der kein Tactgefühl besitz. Ebenso heisst es: 
Contact: Wajedo Odom esChawoh. Aehnlich bildet der deutsche 
Sprachgeist das Wort Begriff, nach dem Bilde der Hände, 
mit denen der Gedanke etwas ergreift. Dem Hebräer ist 
das Wissen die Besitzergreifung von dem Produkte der Vor- 
stellung und der Vernunft durch das ästhetische Gefühl. Die 
hebräische Sprache theilt die Verstandesthätigkeit in analy- 
tische und synthetische, Chochmah und Binah. Das Gehirn 
ist ihm höchst realistisch ein geistiger Magen. Chochmah 
stammt von Chech, Gaumen, ebenso nennt er Ursache Taam, 
Geschmack, Ma taam? Warum, aus welchem Grunde. Ganz 
entsprechend der aristotelischen Lehre, Nihil in intellectu, 
quod non erat in sensu, dass alle Begriffe zuerst die Sinne 
passirt haben, So finden wir in der Mischnah Nedarim, R. 
Akiba hojo chauchech boh, er hat es hin und her geprüft, 
gewissermassen gekostet. Die Wurzel ist chakah, warten, 
einhalten, weil der Gaumen die Speise nicht ohne analytische 
Prüfung passiren lässt. Ebenso analysirt die Vernunft die ihr 
gebotene geistige Speise. Binah, die bauende, ist die syn- 
thetische Phantasie, mebin dowor mitauch dowor, einen Be- 
griff aus dem andern aufbauen, combiniren, wobei der Tact, 
Daas den Mörtel hergibt, darum im en daas en binoh. Das 
Product ist dann das Wissen, die in das Gefühl eingedrungene 
Vernunft, ohne welche das Gefühl eine blosse sinnliche Thätig- 
keit darstellen würde, daher im en binoh en daass. 

Der Widerspruch, der in diesem Lehrsatze der Mischnah 
von der Unzertrennlichkeit zweier getrennter Begriffe liegt, 
ist nur ein scheinbarer. Maimonides widmet demselben eine 
ungemein tiefe Erklärung in seinem Commentar zu Owaus. 
Wir finden denselben in der Naturwissenschaft, in der phy- 
sikalischen und chemischen Betrachtung der Körper. Das 
untheilbare Molecul der Physik besteht dennoch aus einer 
Verbindung von chemischen, wiederum untheilbaren Atomen, 
die in ungebundenem Zustande nicht dargestellt werden 
können. Geist und Gefühl stehen in der Ueberzeugung zıutorsc 
in einer derartigen unlöslichen Verbindung und an der Un- 
kenntniss dieses Verhältnisses musste die alte hellenische 
Philosophie zerschellen. Die Wechselwirkung zwischen Geist 
und Gemüth, zwischen Herz und Hirn, zwischen Glauben und 
Wissen, zwischen Erkenntniss und Ueberzeugung zeigt uns 
das Gebot der Tefillin.n Wir legen schel jad an das Herz, 
schel rausch auf das Haupt, bemokaum schemauchau schel 
tinauk raufes, auf die Stelle, wo beim Säugling der Pulsschlag 
des Herzens durch die noch dünne Schädeldecke sichtbar 


a Li sh 


wird. Wir verschaffen damit der Seele jeden Tag die Er- 
neuerung des Gehirnes und des Herzens mit den Gefühlen 
der Erkenntniss und der Ueberzeugung, die wir als Stellvertreter 
der in unserem Pulsschlag unsterblich weiter lebenden Vor- 
fahren am Tage des Auszuges aus Aegypten besessen haben, 
Zum Schlusse wiederholen wir die Verheissung des Propheten 
Hosea II, 21, weerasstich li leaulom, weerastich li bezedek 
uwemischpot uwechessed uwerachamim. Weerastich li bee- 
munoh wejodaat ess haschem, Ich verbinde Dich Mir auf 
Ewig. In verbinde Dich Mir in Recht und Gerechtigkeit 
und in Liebe und Erbarmen. Ich verbinde Dich mir in 
Treue und Du wirst den Ewigen erkennen. 

Recht und Gerechtigkeit sind die Producte des richtenden, 
abwägenden Verstandes, Liebe und Empfinden die Thätig- 
keiten des Gefühls, die sich in Treue und Erkenntniss als 
Glauben und Wissen vereinigen, 

Diese Vereinigung konnte aber nur einzig und allein 
auf dem Wege der Offenbarung entstehen, durch die Ver- 
erbung erhalten und durch die in Zukunft in Aussicht ge- 
stellte Offenbarungserkenntniss wieder ihre ursprüngliche 
Höhe erreichen, 

Die Wahrheit dieses Satzes, des Grundsteines unserer 
Religion, hat die Scholastik von Aristoteles bis Mendelssohn 
hinab bestritten. Kant hat, ohne es zu wollen, den Beweis 
für die Wahrheit desselben geliefert. 

Das Judenthum hat seit Abraham einen Kampf mit 
doppelter Front zu führen. Gegen Glauben und Wissen, 
das heisst gegen Köhlerglauben und Köhlerwissenschaft. 
Man verwechselt noch heute die Begriffe Heidenthum und 
Religion nur allzuhäufig. Einer der Wenigen, die dagegen 
protestirt haben, ist der Franzose Bayle contra Bernard, wenn 
er von ihm sagt: 

I ne traite lidolatrie payenne, que d’alteration de la 
vraie idee de Dieu, elle en 6&tait le renversement total. I 
y a plus loin de la vrai& id&e de Dieu ä la nature des idöles 
du paganisme, que de l’id&e d’un homme & celle d’un arbre, 

Er behandelt den heidnischen Götzendienst nur als Ab- 
änderung der wahren Gottesidee und doch war er die voll- 
ständige Vernichtung derselben, Es besteht ein weit grösserer 
Unterschied zwischen der wahren Gottesidee und dem Wesen 
der heidnischen Idole als zwischen dem Begriffe eines 
Menschen und dem eines Baumes.“ Solche lichte Augen- 
blicke hatten die klaren Köpfe hinter uns liegender Jahr- 
hunderte. Heutzutage scheinen die Fortschritte der tech- 
nischen Cultur das innere Geistesleben auf das Niveau des 
Kannibalismus hinabdrücken zu wollen. Nur von diesem 
Gesichtspuncte aus wird es verständlich, dass das unlängst 
erschienene Buch eines französischen Arztes, Fenin heisst 


BR He 


dieser Weltweise des 20. Jahrhunderts, wenn ich nicht irre, in 
der leitenden Tagespresse besprochen werden konnte, ohne 
Einspruch gegen dessen Theorie, dass das Unsterblichkeits- 
sehnen des Menschen hinlänglich gestillt sei durch die Un- 
sterblichkeit des Stoffes, bei welchem vom Tode im eigent- 
lichen Sinne des Wortes gar nicht die Rede sein könne, weil 
die Körperstoffe in anderen chemischen Verbindungen ja doch 
immer erhalten bleiben. Schade, dass diese Lehre noch nicht 
in die Rechtsphilosopbie aufgenommen wird. Dann wäre 
Mord kein Verbrechen mehr, denn die Knochen des Körpers 
können ja in der Spodiumfabrik weiterleben. Das ist die 
Religion des alten wie des modernen Heidenthums. Der 
grösste Optimist sieht mit Bangen diese Symptome einer 
unaufhaltsamen Degeneration, von welcher die Psychologen 
förmliche Katastrophen prophezeien. Die einfachsten Grund- 
wahrheiten des menschlichen Geistes, selbst die Begriffe von 
Leben und Tod, die doch dem Tiere eigen sind, sollen ın 
Frage gestellt sein und durch den geistigen und physischen 
Selbstmord verdrängt werden? Ich erinnere an Darwins?Be- 
merkung: Die Instinete der niederen Thiere sind nie so 
verkehrt, dass sie dieselben, wie die Wilden zur Zerstörung 
ihrer eigenen Nachkommenschaft führten. Dazu bemerkte 
der Londoner Spectator: Darwin sieht sich gezwungen, eine 
neue Theorie über den Sündenfall des Menschen einzuführen, 
Er weist nach, dass die Instinete der höheren Thiere viel 
edler sind, als die Gewohnheiten wilder Menschenrassen, und 
sieht sich daher gezwungen, die Theorie wieder hervorzuholen 
und als wissenschaftliche Hypothese einzuführen, dass der 
Gewinn des Menschen an Erkenntniss, die Ursache einer zeit- 
weiligen, jedoch lange anhaltenden moralischen Verschlech- 
terung war, wie sich in den vielen, besonders bei Heirathen 
bestehenden, sündlichen Gebräuchen wilder Stämme zeigt. 
Was weiter als dies behauptet denn die jüdische Ueber- 
lieferung von der moralischen Entartung des Menschen in 
Folge seines Haschens nach einer ihm durch seine höchsten 
Instinete verbotenen Erkenntniss?* — Darwin scheint bei 
seinen Wilden und über dem Studium seiner Kröten weder 
Zeitungen gelesen noch Geschichte studirt zu haben, denn 
die Degeneration der Culturvölker seit dem Melittacultus 
der Babylonier, die Culte der Aegypter und Phönicier, Hindus 
und Ohinesen, Griechen und Römer und last not least, das 
europäische Mittelalter dürfte in Degeneration den Wilden 
manchmal noch den Record streitig machen. Und hier, nicht 
bei:den Wilden, war es die in falsche Bahnen geleitete Er- 
kentniss, die ungeheuren Geisteskräfte, welche das Heidenthum 
seit den ältesten Zeiten in mystischen Philosophemen in den 
Dienst einer ebenso gewaltigen wie zügellosen Phantasie 
gepresst hat. Von einem Extrem zum andern taumelnd, verfiel 


RO a 


die heidnische Menschheit aus der Uebercultur des Alterthums 
in die finsterste Geistesnacht barbarischer Rohheit und Gedanken- 
losigkeit des Mittelalters, und wieder war das Judenthum, 
wie Schleiden von ihm in der Geschichte des Alterthums 
sagt, der einzig Nüchterne in der trunkenen Menschheit. 

Wir unterscheiden in diesem Kampfe drei Epochen: 

1) Den Kampf gegen die alten, phantastisch philosophischen 
Systeme des Heidenthums in Babylonien und Aegypten, denen 
Künste und Wissenschaften, Astronomie, Mediecin, Mathematik 
und Naturforschung, wenn auch auf dem Wege verschieden- 
artiger Degeneration, ihre Entstehung verdanken. Gegen 
Bilderschrift und Hieroglyphencult kämpft die wunderbarste 
aller Erfindungen, das ursemitische Alphabet und rettet den 
menschlichen Geist vor dem Untergange im Chaos, in dem 
die chinesische Kultur zu ewiger Fäulniss stagnirt. Die ersten 
europäischen Öulturnationen, Griechen und Römer, treten erst 
spät nach Davids und Salomos Zeit nach und nach in die 
Reihe civilisirter Nationen ein. Von den Fesseln der Hiero- 
glyphen und der Keilschrift befreit, nahm ihr Geist durch 
das urhebräische Alphabeth den ersten Anlauf zu vernünftigem 
Denken. Dass der Anfang dazu erst gemacht wurde, nachdem 
die Cultur Israels unter Salomo ihren Höhepunct erreicht 
hatte, beweise ich wie folgt: Ein analytischer Vergleich der 
3 Alphabethe: Hebräisches, Griechisches, Lateinisches lehrt 
uns, 1) dass die Letzteren direct aus dem semitischen Alpha- 
beth, jedes für sich entstanden sind, nicht das Lateinische 
aus dem Griechischen. 

2) dass beide europäischen Alphabete zu einer Zeit ent- 
standen, wo das hebräische Alphabet bereits 27 Zeichen 
hatte, anstatt der ursprünglichen 22. 3) dass die Buchstaben 
des Alphabetes ursprünglich bald als Zahlen gedacht und 
verwendet wurden. 4) dass die Ziffern, auf denen die Arith- 
metik und ihre Schösslinge beruht, nicht wie fälschlich be- 
hauptet wird, arabischen oder indischen Ursprungs, sondern 
nichts anderes sind, als die Buchstaben des hebräischen 
Alphabets, wodurch man den tiefgreifenden Einfluss bemessen 
kann, den dasselbe auf alle Zweige der arischen Cultur- 
entwickelung genommen hat, auch auf profanem, ausser- 
religiösem Gebiete. 

Und zwar ad 1)a. Das lateinische Alphabet hat den 
dritten Buchstaben ce nicht mehr wie das Gamma der Griechen 
in der urhebräischen Form, sondern in Verbindung mit einem 
S-Laute, entsprechend dem jüngeren südsemitischen arabischen 
Dzim. — 

b. Das Lateinische hat den sechsten Buchstaben waw 
als f beibehalten, sogar in der altsemitischen Buchstabenform, 
das Griechische hat ihn, als seinem Idiome fremd, ausgeworfen 
und lässt auf das Eta-He das Zeta-Sojn folgen. 


a 


ec, Der Kehllaut Chess, der den Graecoromanen besondere 
Schwierigkeiten macht, ist im Griechischen durch eta, langes 
e, im Lateinischen durch g wiedergegeben. 


d. Das Tess ist im Griechischen als 'I'heta beibehalten, 
im Lateinischen ausgefallen, weil der Römer diesen Buch- 
staben bereits im t besitzt und dessen eigenthümliche ur- 
hebräische Ausprache-th des Engländers nicht kennt. 


Da der Grieche die hebräischen Buchstaben von Anfang 
an als Zahlen benutzt, so hat er das Theta trotz seiner 
Wiederholungen im Buchstaben Tau beibehalten, wofür später 
ein Beispiel. Der Römer hingegen hatte seine eigenthüm- 
lichen römischen Zahlzeichen, war daher nicht gebunden. 
Ebenso hat der Grieche das Xi für das korrespondirende 
Samech beibehalten, der Römer hat es fallen lassen. 


Das o an Stelle des Ain, Gain des Hebräischen haben 
Beide, sogar in der Form des althebräischen Buchstaben bei- 
behalten, der als Ain die Kreisform eines Auges hat. 


e. Das Tsade hat der Grieche als seinem Idiome fremd, 
ausfallen lassen, ebenso 'der Römer, der es jedoch an das 
Ende als Z gestellt hat. 

f. Das Kuf hat der Grieche als Wiederholung des K 
(im Hebräischen sind sie unterschiedliche Laute) fallen lassen, 
hat es jedoch als Zahlwerth für 90 unter dem Namen Koppa 
beibehalten, Durch die ausgefallenen Waw und Tsade wurde 
es nur um eine Stelle gerückt (im Hebr. hat es den Zahl- 
werth 100) weil das Didelta im alten Alphabet seine Stelle 
ersetzte. Der Römer hat es als q beibehalten. 


g. Mit dem T, griechisch Tau, war das althebräische 
Alphabet abgeschlossen. Später waren jedoch 5 Buchstaben 
Schluss - Kaf, mem, nun, pe, tsade hinzugekommen, deren 
Platz sowohl Griechen als Römer, jedes Volk unabhängig 
nach seiner Art auszufüllen bedacht war. 

Der Römer, der das Waw bereits im F hatte, stellte 
noch vier Formen desselben auf u, v, w, y, wie ja heute 
noch in den hebräischen Dialecten die Aussprache des punctirten 
Waw zwischen u und y wechselt. An Stelle des ausgefallenen 
griechischen Ksi stellte er das X, das in der spanischen 
Zweigsprache das Chi darstellt. An die Stelle des Omega 
setzte er, dem hebräischen Schlusstsade entsprechend das Z. 

Aus diesen 7 Fällen ist bewiesen, das die Entstehung 
des römischen Alphabeths direct aus dem Hebräischen, nicht 
durch Vermittelung des Griechischen erfolgte. ad. 2) Dass 
beide Alphabethe in späterer Zeit als die eingetretene Ver- 
mehrung der hebräischen Buchstaben von 22 auf 27 erfolgt 
war, übernommen wurden. 

Der Talmud tradirt Manzpach Zaufim amorum: Das 
heisst, die fünf Schlussbuchstaben M, N, Z, P,K sind ein 


BERSERE Ri ii 


Zusatz aus der Prophetenzeit. Die Reihenfolge ist zwar 
K,M,N,P,Z, aber mit Bezug auf „von Zaufim“ als mnemo- 
technisches Zeichen Minzofach gruppirt. 

Was veranlasste diese Neuerung? Erstens, das literarische, 
zweitens, das Zahlenbedürfniss, Nicht umsonst nannten die 
Araber die Juden das Ahl el Kitab, das Volk der Schrift. 
Sie waren es nicht nur bei den illiteraten Arabern, sondern 
auch dem vielschreiberischsten Polizeistaate der Aegypter 
und den Babyloniern gegenüber, bei denen die Schrift Privi- 
legium der Priester war. In Israel gab es selbst zur Richterzeit, 
dem bukolischen Zeitalter des blossen Ackerbaues, keine An- 
alphabethen. Das beweist der Streifzug Gideons in dem von 
der phönizischen Cultur der Seehandelsstädte so entfernt ab- 
gelegenen Weidelande im Ostjordangebiete. Der erste Knabe, 
den Gideon auffing, schrieb ihm die Namen der Aeltesten 
von Sukkaus auf. Ebenso heisst es im Liede Debora’s: 
Von Mochir kamen die Schriftkundigen und von Sebulun 
die den Schriftstab ziehenden Soldaten. Ausser den mit 
peinlichster Strenge geführten Stammregistern, Priester- und 
LevitenListen, Königsannalen und Armeelisten, werden in der 
Chronik ausser unseren 24 heiligen Büchern noch 7 Geschichts- 
werke genannt: Natan’s, Gad’s allgemeine Weltgeschichte, 
Chr. I, 29, 30, Achija’s, Midrasch Jddo, Schemaja’s, Jehu 
ben Chanani’s Buch, Geschichte Salomo’s (Sefer dibre Schlomoh 
Kge. I, 11, 41). Die unerreichte Genauigkeit der altjüdischen 
Geschichtsschreibung im Lichte der assyrischen Keilschrifts- 
annalen erregt das Staunen aller ernsten Forscher. Das 
häufige Vorkommen der Suffixa 7 als zweite Person, D und } 
als Pluralformen, liess es nothwendig erscheinen, besondere 
Schlussbuchstaben für dieselben herzustellen. Ferner sollte die 
Zahlenreihe der Hunderter, die mit N nur bis 400 reichte, 
so bei Efron, 400 Schekel als runde, letzte Zahl, 400 Mann 
bei Esaw — bis 1000 verlängert werden, so dass D} 500, 
600, 700, ähnlich wie im Lateinischen C und M bezeichneten. 
Um die Zahl voll zu machen, wurde das Pe von 80 als 
Schlusspe 800, das Tsade 90 als Schlusstsade 900 und das 
grosse Alef des Anfangs die Schlusszahl 1000. Dieses Be- 
dürfniss lag weder im Griechischen noch im Lateinischen vor, 
Um jedoch das ganze hebräische Alphabeth nachzuahmen, 
half sich der Römer durch das vierfache U und das Z am 
Ende. Der Grieche hatte für M N Z keine Verwendung, 
aber für Schlusschaf und Schlussfe setzte er in umgekehrter 
Reihenfolge nach dem y, das das Schluss-M ersetzt hatte, 
sein phi und chi und an Stelle des Schlusstsade sein Omega. 
Dieses höchst überflüssige und unerklärte grosse O ist nämlich 
nichts anderes als das grosse Ollef des Hebräischen, das/als 
blosser Zahlwerth mit 1000 das Ziffernalphabeth abschliesst. 
Die von früheren Kritikern bestrittene Zahlwerthigkeit der 


BERN GR 


Buchstaben, welche sie für eine Erfindung der Talmudisten 
gelten lassen wollten, ist aus dem Griechischen erwiesen. 
Da wir nun in den Psalmen Davids, die Reihenfolge des 
Alphabeths nur bis Tow ohne weitere Fortsetzung finden, so 
ist, entsprechend der Tradition, die Vermehrung desselben 
um 5 Buchstaben ein Produkt späterer Zeiten, nach welchem 
die fremden Alphabethe sich erst gebildet haben. 

Ad 4) Dass unsere Ziffern trotz hartnäckigen Todt- 
schweigens dieser Quelle, die Buchstaben des althebräischen 
Alphabethes sind, beweisen die unverändert erhaltenen Ziffern 
3, 4, 6, 7, 8, 9, unverkennbare Gimel, Dalet, Wow, Sajın, 
Chess, Tess, jenes jedem Philologen bekannten Alphabethes. 

Dieses Alphabeth, entstanden als Protest des Monotheismus 
gegen den heidnischen Bilderschrifteultus, wie ich bereits 
ausführlich andern Orts nachgewiesen habe, öffnete den 
europäischen Ariern die Thore des Kerkers, gab ihnen die 
Geistesfreiheit, und weder Sokrates noch Pythagoras, noch 
Plato und Aristoteles fanden es für nothwendig, wie unsere 
modernen Philosophen, die nieht recht bei Trost sind, aus 
dem Borne chinesischer Weisheit eine Zukunftsreligion zu 
schöpfen, zum heiligen Laotse nach China zu wallfahrten, 
bloss weil er mit einem grossen Barte zur Welt kam. 

Die fixe Idee des Heidenthums, welche die moderne 
Psychiatrie als Entartung zur Geisteskrankheit mit dem 
Namen Nekrophilie bezeichnet, die sich in einem wüthenden 
Hass gegen die Gottesidee äussert, ebenso unbegreiflich wie 
der sogenannte Antisemitismus und in Verbindung mit den 
scheusslichen Krankheitserscheinungen des Sadismus, Fetischis- 
mus, wie alle diese aus perverser Sexualität entspringenden 
grausigen Nervenkrankheiten heissen, äusserte sich in der 
aegyptischen Cultur, wie in allen ihr verwandten und von 
ihr abstammenden Culturen, als spinozistische Anbetung der 
todten Substanz, als Erniedrigung des Begriffes Mensch unter 
das Thier, in Anbetung von Affen, Katzen, Käfern und allem 
Gewürm bis zur Selbstvergötterung. Wenn der Talmud 
überliefert, dass Pharao sich selbst als Gott angebetet habe, 
so besitzen wir heute durch die -Ausgrabungen, die Bilder, 
auf denen diese Selbstanbetung veranschaulicht wird, Was 
damals der religiöse Wahnsinn im Kampfe gegen den ver- 
hassten Begriff Mensch versuchte, das soll heute im Wege 
des Spleens, durch Darwins Adepten fortgesetzt werden, 

Die Juden, die in ihrem reinen Familienleben ihr Nerven- 
system gesund erhalten hatten, konnten diesen Orgien der 
höchsten Civilisation nur das überlegene Lächeln der gesunden 
Vernunft entgegensetzen und den Glauben an die Tradition 
ihrer Väter von der Vergänglichkeit des Stoffes, der in das 
Nichts zurückkehrt aus dem er erschaffen, von der Hoheit 
eines weder mit den Händen noch mit den Augen greifbaren, 


OT 


in keine Stoffdimensionen einzuzwängenden, daher auch einig 
einzigen Schöpfers und an die Hoheit der menschlichen Seele, 
als Athemhauch dieses Schöpfers. Dieser stumme Protest, 
denn laut konnte er nicht geäussert werden, stiess die Juden 
schon in Aegypten aus der unmenschlichen Menschengesellschaft. 

Es könnte einen Midrasch geben, wie Amram, der hoch- 
betagte Patriarch am Sabbathtische sitzt und ihm der Besuch 
des Hermenotep gemeldet wird. Das ist ein junger Mann, 
dessen Grossvater unter der alten Dynastie mit Amram sehr 
befreundet war. Damals herrschte ein freisinniger König, der 
unter dem Eindrucke, den Jakob auf ihn gemacht hatte und 
in dankbarer Erinnerung an die Finanzkunst Josefs, die Viel- 
götterei abgeschafft und eine Art judäisirenden Heidenthums 
eingerichtet hatte, das für den Bestand des Judenthums noch 
gefährlicher war, als das ausgesprochen gegensätzliche echte. 
Die Priester hatten dann Revolution gemacht, und einen 
neuen Pharao nach ihrem Sinne eingesetzt. Der junge, adelige 
Hermenotep war zum Priester von On ernannt worden, in 
welchem die feierlich beigesetzten heiligen Schafsköpfe an- 
gebetet wurden und wollte es sich nicht nehmen lassen, dem 
verehrten Freunde seines Grossvaters die Antrittsvisite abzu- 
statten. Aber, o Entsetzen! Man hat gerade das Schalet 
aufgetragen und Amram mit Gabel und Messer bei der Ver- 
theilung eines Schafskopfes beschäftigt, und die kleine Mirjam 
und der noch kleinere Ahron strecken begehrlich die Hände 
danach aus! Hermenotep stürzt hinaus und am nächsten 
Tage stehen Placate an allen Strassenecken, dass alle Juden- 
kinder.als geborene Göttermörder in den Nil geschmissen werden 
müssen! Das war die erste Gesere, aber keineswegs die letzte! 

Durch Moses aus dem unerträglichen physischen Druck 
erlöst, macht die Offenbarung am Sinai der geistigen Knecht- 
schaft und Finsterniss ein Ende. Der Aufenthalt in der 
reinen Wüstenluft, fern von dem Pfuhle der entarteten Cultur, 
40 Jahre in der Nähe des Mannes mit dem leuchtenden 
Anlitz, giebt dem Volke die Seelenkraft wieder, die es bis 
auf die spätesten Geschlechter unverwüstlich und unsterblich 
vererbt hat. Aber auch die Dummheit ist unsterblich, nament- 
lich die gelehrte, mit dem Professorentitel geschmückte. Und 
so zieht sich daher der Kampf zwischen Glauben und Wissen 
durch die Jahrtausende, als Kampf zwischen seelischen und 
thierischen Instineten, zwischen gesunder Vernunft und wahn- 
witzigen philosophisch-mystischen Systemen, 

Aus der Königszeit, als die Nothwendigkeit der Staat- 
bildung eine Versöhnung zwischen heidnischer Cultur und 
patriarchalischer Einfachheit anzubahnen zwang, haben wir 
ein merkwürdiges Document über den Kampf zwischen Glauben 
und Wissen. Es ist das Capitel 119 der Psalmen Aschre 
temime dorech. 


LE DEN 


Herder, einer der anständigsten Bibelkritiker, was sehr 
viel sagen will, hat einen merkwürdigen Beitrag zu der Er- 
fahrung geliefert, wie vollständig die Fremden beim Einblicke 
in unsere heiligen Schriften mit Blindheit geschlagen sind. 
Er bezeichnet dieses Capitel als Spruchbuch, ohne zu ahnen, 
dass die 176 Verse ein einziges zusammenhängendes Gebet 
sind, um Hilfe und Erleuchtung im Seelenkampfe. 

Die beschränkte Zeit gestatttet mir nur, einige Sätze 
herauszugreifen. N 

Der Schluss offenbart den leitenden Gedanken: Toissi 
kesseh auwed, bakesch awdecho, ki mizwaussecho lau scho- 
chochti. Ich irrte wie ein verlorenes Schaf, suche Du Deinen 
Diener, denn ich habe Deine Gebote nicht vergessen. Dann 
beg.nnt er mit Aschre! Wohl denen, die in Unschuld wandeln 
in der göttlichen Lehre. Achlai kommt nur noch einmal vor, 
Kge. V, 3, bei dem von Naamon gefangenen Kinde, Achale 
Adoni lifni hanowi, ebenso Seafim, die Zweifler, bei Elia, ad 
mossai attem pausschim al schte hasseippim, die zwischen 
zwei Schwellen schwanken, zwischen Gotteshaus und Baals- 
tempel, zwischen Synagoge und Theater. 

Waadabro beedaussecho neged melochim welau ewausch. 
Ich bespreche Deine Ueberzeugungen vor Königen ohne Zagen. 
Es scheint also, dass schon zu Davids Zeiten sich die Könige 
mit Bibelkritik beschäftigt haben. 

Goarto sedim arurim, Du fährst an, die fluchwürdigen 
Frevler, die Deine Gebote in Irrthümer umwandeln. Man 
sieht daraus, wie hoch die Wogen des stürmischen Kampfes 
zwischen materialistischer Cultur und reiner Gesetzestreue 
schon damals gingen. 

Die Psalmen überhaupt, voll vom Kampfe gegen Atheismus 
und Materialismus, besprechen alle Fragen, die an die Welt- 
leitung gestellt werden können. Das Buch Ijauw zeigt eine 
Naturanschauung, welche selbst Humboldt im Kosmos die 
höchste Bewunderung abnöthigt. Wenn er dennoch den alten 
Hebräern einen Tritt zu versetzen sucht, sie hätten geglaubt, 
die Erde stünde auf 7 Säulen, weamudeho jisspalozun, so 
hat er übersehen, dass taule erez al blimo, die Erde lässt 
er auf Nichts schweben. 

Jeschaia bekämpft bereits die von Osten eindringenden 
Irrlehren. Ki molu mikedem, weonnenim kaplischtim uwejalde 
nochrim jaspiku, Denn sie sind voll der Wissenschaft des 
Ostens, Spiritisten wie die Philister, und lassen sich in Zweifel 
ein über heidnische Theorien. Der Osten hatte schon zu 
Bileams Zeit seine heidnisch-mystischen Philosophen. Der 
Talmud sagt: Lau omdu Philosophim leumauss hoaulom 
kebileam ben beor we Eunimos hogardi. Die Völker haben 
keine grösseren Philosophen gehabt als Bileam und den Weber 
Eunimos. Zur Zeit der ersten heidnisch-jüdischen Sekten 


kun ng BY BURLEL 


waren die Synonyma Philosoph und Min gleichbedeutend. 
Bileams Stadt Pethor am Strome hat man merkwürdiger 
Weise unlängst in den seit Jahrtausenden verschollenen Ruinen 
von Pitru am Chabor ausgegraben. Zoroaster, der nach der 
heutigen Ansicht zu Bileams Zeit gelebt haben soll, Gesenius 
setzt ihn tendenziös um ein Jahrtausend später, mag aus dieser 
Schule hervorgegangen sein. An die Stelle der heidnischen 
Trias setzte er einen Dualismus, einen Schöpfer des Guten, 
einen des Bösen, die sich bekämpfen, Jesaia tritt wiederholt 
dieser Irrlehre entgegen, welche die Minim, namentlich die 
Gnostiker zur Grundlehre ihrer orgiastischen Mysterien wieder 
aufnahmen. 

Das babylonisch-persische Exil scheuchte diese Finsternisse 
durch das Licht des reinen jüdischen Monotheismus in ihre 
Winkel zurück. 

Ki mimisrach schemesch ad mewauau godaul schmi ba- 
gaujim. Denn von Ost bis West ist mein Name gross unter 
den Völkern, konnte der heimgekehrte Maleachi (Esra nach 
der Tradition) in Palästina verkünden. 

Das hebräische Alphabeth und die durch dasselbe ge- 
schaffene Litteratur, brachte endlich das Licht der Vernunft 
in Hellas zum Aufleuchten. Sokrates singt zwar noch einen 
Hymnus auf die Paederastie, Pythagoras schafft eine neue 
heidnische Philosophie, Plato weilt 13 Jahre in Memphis und 
verarbeitet die mystischen Priesterconceptionen in seinem 
Systeme, das in einem Staate mit Frauengemeinschaft endet, 
bis sein Schüler Aristoteles die reine Vernunft auf den Thron 
erhebt. Sein Schüler Alexander der Grosse erobert die Welt, 
und die hellenische Cultur hält ihren Einzug auch in Jeru- 
salem. Unter der Maske der Aufklärung, gefördert von den 
Hellenisten, denen sich die Reichen und leider auch die 
Söhne des ältesten Hohenpriesteradels anschliessen, wird 
zuerst die Tradition bekämpft, die Seele der Thora. Die 
Namen werden hellenisirt, so dass uns selbst das Lehrober- 
haupt der Zeit, der Mann von Socho, nur unter dem Namen 
Antigonos bekannt ist. Der Tempel wird entweiht, alles Oel 
auch das geistige, von welchem das Licht des Judenthums 
gespeist wird, verunreinigt, bis das Schwert der Hasmonäer 
die Frevler ausrottet und das Chanukalicht anzündet, das 
klein und bescheiden zwar, aber rein und hell die Finsterniss 
des Golus noch bis heute bekämpft. Oruch laner, vorbereitet 
für das Licht, hat wahrhaft prophetisch der verewigte Ober- 
rabbiner R. Jokew Ettlinger s. A. sein von den grössten Ge- 
lehrten des Ostens wegen seiner ruhigen Klarheit geschätztes 
Werk genannt. Er ging zum erstem Chanukalicht in ein 
lichtvolles Jenseits, 

In Alexandrien, dem durch den Fluch gegründeten Ghetto, 
weheschiwchoh haschem Mizraim boonijaus, der Ewige wird 


BAR 


dich auf Schiffen nach Aegypten zurückbringen lassen, beginnt 
der Kampf von Neuem und endet mit dem judäisirenden, 
Heidenthum, als dessen Vorläufer Philo und Aristobul mit 
ihrem dualistischen Logos das Licht der jüdischen Lehre 
vom Einig-Einzigen trüben. 

Das Gros der Judenheit zieht sich auf Babylonien zurück, 
von wo aus Hillel das durch die römisch-alexandrinischen 
Halbproselyten überschwemmte Jerusalem unter seine Obhut 
nimmt, und in seinen Nachkommen, dem Patriarchenhause 
die Lehre rettet. Im Partherreiche erfolgt die Sammlung 
der Kräfte für die finstere Nacht des europäischen Exils bis 
der Hellenismus in der Karäersekte (761) auf’s Neue auf 
den Kampfplatz tritt und in R. Saadia Gaon den ebenbürtigen 
Gegner findet, der den Feind mit dessen neuen Waffen zu 
bekämpfen weiss. 

So wogt der Kampf ein volles Jahrtausend auf geistigem 
Gebiete, während die Religion der Liebe, die Liebe macht 
erfinderisch, jene Höllenmaschinen für Andersgläubige erfindet, 
die wir als unauslöschliche Schmach für die Menschheit noch 
heute als Ausstellungsobjecte mit Grauen anstaunen. 

Jetzt wird die Aristotelische Philosophie in Maimonides 
Händen das Dynamit, mit welchem die Verzerrung des Be- 
griffes Glauben in ein credo quia absurdum, quia ineptum, 
quia impossibile; Glaube weil es thöricht, weil es abgeschmackt, 
weil es unmöglich ist — bekämpft wird. Der Moreh Ne- 
buchim wird durch den Nachahmungstrieb der Kirche zum 
Wegweiser für eine neubegründete Scholastik, diese die un- 
eheliche Mutter der modernen Wissenschaft, die das Mittel- 
alter aus den Angeln hebt. 

Vergebens kämpft Luther gestützt auf dieses Credo des 
Kirchenvaters Augustin gegen die, wie er sie nennt: tollge- 


wordene H... — man kann das Wort heute nicht mehr 
aussprechen — Vernunft, die Bestie, welcher die Mönche — 
nach seiner Ansicht — den Kopf abzuschlagen vergessen 
haben. 


Die Revolution der Geister, angefacht durch den Streit 
um die Verbrennung des Talmud, die epistolae virorum ob- 
scurorum, droht alles in Brand zu stecken. 

Aus der Fäulniss der tonangebenden französischen Ge- 
sellschaft erhebet sich Meister Arouet Voltaire, der in einem 
Jesuitenkloster erzogen, das Werkchen Chisuk Emunah in 
lateinischer Uebersetzung zu Gesicht bekommen hat, eine 
vernichtende Kritik, die Hauptquelle für die im Mittelalter 
so beliebten Disputationen zwischen Rabbinern und Mönchen. 
Die Freidenker auf den Thronen, Friedrich II. und Kaiser 
Joseph im Bunde mit Voltaire und Mendelssohn suchen der 
drohenden Revolution von unten durch die Revolution von 
oben zuvorzukommen. Aber zu spät! 


TR 


Revolution auf allen Gebieten, auch auf dem des Denkens, 
Da wird Kant der Robespierre.. Und wie die Judenheit der- 
selben die Emancipation, so verdankt die Thora ihr den Sieg 
über die alte Rivalin, die heidnische Philosophie, 

Die seit 2000 Jahren allein herrschende aristotelische 
Philosophie hatte grade wegen ihres Parallelismus mit dem 
Judenthum im Verhalten zur reinen Vernunft, dasselbe mit 
mehr Erfolg bekämpft, als alle religiösen und philosophischen 
Doctrinen, 

Wozu war eine Offenbarung nöthig, wenn man auf dem 
Wege philosophischer Speculation weit sicherer zum reinen 
Deismus kommen konnte? 

Diese hellenische Taktik hat Kant nun gründlich beseitigt. 

Man hat ihm den nicht unbegründeten Vorwurf gemacht, 
er habe die Sonne der reinen Vernunft ausgelöscht und das 
trübe Lämpchen kritischer Erkenntniss an dessen Stelle gesetzt. 
Für die Thora ist das gleichgiltig. Die Blitze vom Sinai 
haben die Sonne verdunkelt. 

Kant hat den Beweis geliefert, dass die Beweisführung 
der Logik more mathematico wie sie Aristoteles eingeführt 
und Spinoza auf die Spitze getrieben hat, eitel Schwindel sei. 
Spinoza, dieser heimtückische Baalspriester des modernen 
Heidenthums hat zwar die Hohlheit seiner Beweisführung 
gekannt, denn er sagt: 

Multa affırmamus et negamus, quia natura verborum 
id affırmare et negare patitur, non vera rerum natura. 
Adeoque hac ignorata, facile aliquid falsum pro vero sume- 
remus, Das heisst: Vieles bejahen und verneinen wir, weil 
die Natur der Worte es gestattet, nicht die wahre Natur der 
Dinge. So dass, wenn darauf keine Rücksicht genommen 
wird, wir leicht etwas Falsches für Wahres nehmen, Das 
hinderte ihn nicht, seine pantheistische Substanz trotz der 
Anerkennung des Üausalitätsgesetzes als Causa sui, Ursache 
ihrer selbst, zu erklären, wodurch das Causalitätsgesetz in 
einem Athem aufgehoben wird. 

Aber es war ihm nur darum zu thun, die T'hora durch 
eine Truglehre zu verdrängen, 

Kant, der Wahrheit suchende, hat die Unzulänglichkeit 
des menschlichen Geistes für eine höhere Sphäre nachgewiesen 
und zwar zuerst an praktischen Beispielen, Er sagt in seiner 
Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft, S. 26. 

Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben 
zu gelangen und der Dogmatismus der Metaphysik, d. i. das 
Vorurtheil in ihr, ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen 
ist die Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, 
der jederzeit gar sehr dogmatisch ist. Bei dieser wichtigen 
Veränderung im Felde der Wissenschaften, und dem Verluste 
den speeulative Vernunft an ihrem bisher eingebildeten Besitze 


BURN IR L- 


erleiden muss, trifft der Verlust nur das Monopol der Schulen 

und ihrer arroganten Ansprüche, die sich gerne hierin für 

die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher Wahrheiten 
möchten halten lassen, von denen sie dem Publicum nur den 

Gebrauch mittheilen, den Schlüssel derselben aber für sich 

behalten. Quod mecum neseit, solus vult seire videri! D.h. 

Was er so wenig weiss, wie ich, will er als allein wissend 

angesehen werden. 

Kant, der Socrates der Deutschen, hat nur destructiv 
gewirkt, weil er den Glauben d, h. den nicht vernunftwidrigen, 
auf das blosse Gefühl und die Moral basirt wissen will. 
Ueberzeugungen werden jedoch nur durch die Vernunft ge- 
wonnen, und wenn die subjective ex syllogismu, der Logik 
unzulänglich erscheint, so bleibt eben nur die empirische der 
Offenbarung, die freilich wie der Ousrisagt, eine unerschütterliche 
Treue der Ueberlieferung und die Ueberzeugung rechtmässiger 
Söhne von dem Wahrheitssinne ihrer Väter voraussetzt. 
Kant hat den Beweis von der Unzulänglichkeit der Logik 
praktisch erbracht durch 4 Antinomien, das heisst solche zwie- 
spältige Denkresultate von ein und demselben Denkobjecte, 
die einander widersprechen. 

1. Thesis: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist 
dem Raum nach in Grenzen eingeschlossen, 

Antithesis; Sie hat keinen Anfang, keine Grenzen, ist 
unendlich. 

2. Die Materie ist unendlich theilbar. 

Antithesis: Die Materie ist nicht unendlich theilbar. 

3. Thesis: Die Gesetzmässigkeit genügt zur Erklärung aller 
Erscheinungen nicht, es muss eine Freiheit zu Grunde 
liegen. 

Antithesis: Es giebt keine Freiheit, die Causalität erklärt 

alles. 

4. Zu der Welt gehört etwas, das entweder als ihr Theil 
oder ihre Ursache ein schlechthin nothwendiges Wesen ist. 

Antithesis: Der Gegensatz. 

Kant hat nun 4 Syllogismen für die Thesen, 4 für die 
Antithesen formulirt, die alle nach den Gesetzen der Logik 
gleichwerthig sind, und hat aus diesem unlöslichen Wider- 
spruche die Unzulänglichkeit der sogenannten reinen Vernunft 
bewiesen, die nur das Aeussere der Erscheinungen erkennt, 
aber nicht das Wesen der Dinge an sich. Somit ruft der 
Königliche Sänger nach Jahrtausenden noch den Forschern 
in dem früher eitirten Psalm 119 die Worte zu: 

Pessach deworecho joir, mewin pssojim, Der Eingang 
Deiner Worte erleuchtet, belehrt die Thoren, und 

Rausch deworcho emmes, ulaulom kol mischpat zidkecho 

Der Anfang Deines Wortes ist Wahrheit und in Ewigkeit 
besteht alles Urtheil Deiner Gerechtigkeit. 


yes. 


Sind es denn nicht gerade 4 Antinomien, deren Zweifel 
der erste Satz ‘der Thora beseitigt: Bereschis boro elokim 
ess Haschomajim weess hoorez, 

Bereschis, das ist die erste These: Es giebt einen 
Anfang und ein Ende, wie der Psalmist 102 sagt: lefonim 
hoorez jossadto umaasseh jodecho schomojim. Hemo jauwedu, 
weatto ssaamaud. Vor Zeiten hast Du die Erde gegründet 
und Deiner Hände Werk sind die Himmel. Sie werden 
vergehen und Du bestehst. 

Boro: Die Schöpfung aus dem Nichts offenbart die 
2. und die 4. These, ein ausserhalb der Welt stehender 
Schöpfer hat dieselbe aus Nichts erschaffen, in vollständiger 
Freiheit, ohne an ein Gesetz gebunden zu sein. 

Damit wird die Antinomie, ob die Materie unendlich 
theilbar sei oder nicht, aus den Angeln gehoben, als Synkretis- 
mus, d.h. Durchwirrung zweier einander aufhebender Begriffe 
der Endlichkeit und Unendlichkeit, da der Stoff aus Nichts 
entstanden in Nichts zurückkehrt, wenn es der Schöpfer will, 

Das sogenannte Grundprincip, das Muskal rischon, Plato’s 
und aller heidnischen Systeme, welche die Substanz anbeten, 
aus Nichts, wird Nichts — ex nihilo nihil, ist wie alle 
Denkprineipien ein Dogma, ein unbewiesenes Vorurtheil. Von 
selbst, als causa sui kann Nichts aus Nichts ohne Schöpfer 
entstehen und nur die Wissenschaft & la Münchhausen vermag 
sich beim eigenen Schopfe aus dem Wasser zu ziehen. 

Elokim löst somit die 3. Antinomie. Nach der Freiheit 
tritt erst die Gesetzmässigkeit die Schöpfung an, die Middas 
Hadin als allweise und allgütige Allmacht.