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/
HANDBUCH
DER
MATHEMATISCHEN UND TECHNISCHEN
CHRONOLOGIE
DAS ZEITRECHNÜNGSWESEN DER VÖLKER
DARGESTELLT VOX
F. K. GINZEL
PROFESSOE, STAND. MITGLIED DES KÜXKiL. PEEUSS.
ASTRONOM. RECHENTNSTITUTS
I. BAND
ZEITRECHNUNG DER BABYLONIER
ÄGYPTER, MOHAMMEDANER, PERSER, INDER. SÜDOSTASIATEN
CHINESEN, JAPANER UND ZENTRALAMERIKANER
MIT 6 FIGUREN IM TEXT
CHRONOLOGISCHEN TAFELN UND EINER KARTE
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'scHE BUCHHAKDLUNG
1906
C£
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Vorwort.
Eine zusammenfassende Darstellung- des Zeitrechnungswesens der
Völker, welche sich auf dem durch die neueren Forschungen zugänglich
gewordenen Material aufbaut, ist seit L. Idelee nicht mehr versucht
worden. Ideleks ,. Handbuch der mathematischen und technischen
Chronologie" erschien vor 80 Jahren (1825 26) und beruht noch fast
gänzlich auf den von den klassischen Schriftstellern auf uns gekommenen
Nachrichten.
Als vor fünf Jahren Herr Prof. Haknack mich auf die dringende
Notwendigkeit einer Neubearbeitung des iDELEESchen „Handbuchs"
hinwies, Avar ich durch anderweitige astronomische Untersuchungen
zwar mit dem Zeitrechnungswesen der Alten verschiedentlich in Be-
rührung gekommen und hatte die Notwendigkeit einer Eenovierung-
des „Idelee" oft gefühlt, aber Avelch große Ausdehnung die archäo-
logischen Materialien haben, die von der Forschung seither aufge-
häuft worden sind und bei einer Neubearbeitung des Gegenstandes
herangezogen werden müssen, konnte ich noch nicht übersehen. Als
ich nun an die Sammlung des Stoffes für diesen I. Band herantrat,
welcher vornehmlich das Zeitreclinungswesen der Orientalen enthalten
sollte, Avurde mir sehr bald klar, daß behufs einer Neudarstellung des
Ganzen eine Umarbeitung des ,.lDELEir- den Zweck nichf erreichen
Avürde. Die meisten Kapitel des iDELEEschen Werkes sind für die
Jetztzeit sehr veraltet, und die Einführung des modernen Materials in
diese alte Form würde wegen des großen Übergewichtes, welches man
diesem Material gegenüber dem klassischen Fundament einräumen muß,
einer einheitlichen Darstellung widerstrebt haben. Das moderne Material
zAvingt uns nicht nur innerhalb der Darstellung der einzelnen Zeit-
rechnungsarten zu neuen Gruppierungen des Stoffs, sondern fordert
auch andere historische Gesichts])unkte über das Zeitrechnungswesen
der Völker. Die Bearbeitung des Gegenstandes verlaugte also von
selbst eine in Form und Inhalt neue Darstellung, und nur Jene Er-
gebnisse wurden mit in den neuen Aufbau herübergenommen, welche
im Fortschritte der Forschung noch unerschüttert gel)lieben sind.
IV Vorwort.
Das neue AVerk ist auf drei Bände bereclinet. Das Ziel der
Darstellung ist wesentlich weiter gesteckt als bei Ideleks Handbuch,
da nicht bloß auf die Zeitrechnung der A'ölker der klassischen Zeit
nnd des christlichen Mittelalters Eücksicht genommen, sondern auch
jene anderer Völker erörtert werden soll , soweit sich hinreichende
Xachrichten hierüber vorfinden. Der vorliegende erste Band be-
richtet vornehmlich über das Zeitrechnungswesen der Asiaten (mit
Ausnahme der Juden, welche ein umfangreiches Kajiitel beanspruchen
und einem der andern beiden Bände einverleibt werden müssen), und
zw^ar der Babylonier, Mohammedaner (Araber und Türken), Perser,
Inder, Chinesen und Japaner, sowie über die Zeitrechnungen in Hinter-
indien und auf den südostasiatischen Inseln, endlich über jene der
Ägypter und der einstigen Bewohner von Zentralamerika.
Zn diesem ersten Bande sind mir wohl einige Bemerkungen
gestattet. Das Material, welches hier zur Verwendung kommt, über-
Aviegt die Nachrichten der Klassiker gänzlicli, und letztere kiinnen
nur hie und da ergänzend oder vergleichend gebraucht werden. Von
den Ergebnissen, welche aus der neueren Erforschung der alten Kultur-
stätten Asiens resultierten, ist eben auch ein reiches Maß von Erkenntnis
für das Zeitreclinungswesen abgefallen. Es bietet sich uns da ein un-
gemein reichhaltiges, auf die Denkmäler und Literaturreste jener alten
Völker gegründetes archäologisches Material dar, dessen Beurteilung,
Aveil es bei den einzelnen Völkern in verschiedener Eigenart auftritt
und Aveil mitunter auch die archäologische Führung in Unsicherheit
gerät, schA\1erig ist, doppelt scliwierig aber für den Astronomen, der
dieses Material verarbeiten soll. Die Kenntnis der Sprachen der in
Betracht kommenden Völker , welche man vielleicht als notwendig
anzunehmen geneigt sein wird, hätte allein keine Sicherung gegeben. Denn
abgesehen davon , daß ihrer vierzehn für den vorliegenden Band
erforderlich gewesen wären — eine Kenntnis, die man dem Bearbeiter
kaum zumuten darf — muß daran erinnert werden, daß auch die Kenner
der Sprachen sich betreffs des Zustandes mancher Zeitrechnungs-
arten in bedeutendem Zweifel befinden. Ich verweise auf die Zeit-
rechnung in Arabien vor dem Aufkommen des Islam, über welche nur
einander A\idersprecliende Nachrichten sjjäterer Schriftsteller und un-
zureichende Andeutungen aus der altarabischen Poesie vorliegen : oder
ich erinnere den Leser an die AMdersprüche, in denen sich die Kenner
der ägyptischen Sprache bei vielen Gegenständen befinden, die sich
auf das Kalenderwesen der Ägypter beziehen. Der astronomische
Bearbeiter, A\elcher das vielgestaltige archäologische Material in Be-
ziehung auf das ZeitrechnungSAxesen zu untersuchen, d. h. im letzten
Grunde auf den Zusammenlianf;' mit den astronomischen Tatsachen zu
prüfen liaf. tut vielmehr am besten, sich auf die als zuverlässig
Vorwort. V
geltenden Fachmänner der betreffenden Sprachgebiete und auf die von
diesen gemachten Vorarbeiten zu stützen. (Tlücklicherweise ist gegen-
wärtig bereits ein großer Teil der in Betracht kommenden Quellen,
aus welchen man Belehrung über das Zeitrechnungswesen der Orientalen
holen kann, in die europäischen Hauptsprachen übersetzt, also der
Allgemeinheit zugänglich. Dieses ist der Fall bei den Hauptwerken
der Inder über Astronomie und Zeitrechnung; auch der größere Teil
der vedischen Schriften des alten Indiens und der heiligen Büclier der
Parstoliteratur ist leicht lesbar geworden. Unter den modernen
Schriftstellern über indische und altpersische Zeitrechnung befinden
sich auch schon Eingeborene, deren Beiträge von ^^'ert sind. \'on
großer Bedeutung für das gesamte ältere Zeitrechnungswesen sind
die Hauptwerke des Arabers Albiefxi, welche uns durch E. Sachaf
zugänglich gemacht worden sind. Der Aufhellung bedürftig bleibt
derzeit noch die geschichtliche Entwicklung der Zeitrechnung im alten
(.'hina und Japan und im alten Arabien, über welche noch wenig verläßliches
Material vorliegt. Ziemlich befriedigend ist unsere Kenntnis der Zeitrech-
nungsart der früheren zivilisierten Bewohner Zentralamerikas, dagegen
müssen wir uns betreffs Hinterindiens und der Zeitrechnung auf den
südasiatischen Inseln, in Polynesien u. s. w. hauptsächlich auf die
Eeisewerke und die zerstreute Eeiseliteratur verlassen. Für Baby-
lonien und Ägypten liegt reiches Material vor durch das Inschriften-
material auf den Tontafeln und den altägyptischen Altertümern. Ich
muß hier aber gleich bemerken, daß das Kapitel der Zeitrechnung
der Ägypter das schwierigste des Buches war, und daß sich dort die
Forderung, eine abgerundete Darstellung des Gegenstandes zu erzielen,
schwer erfüllen ließ, da sowohl die Übersetzungen der Inschriften wie
ihre Interpretation sehr häufig noch einander sehr widerstreitenden
Meinungen unterliegen. Ich hatte mich bei diesem Kapitel anfänglich
hauptsächlich au die Arbeiten von H. Bkugsch, wohl des besten Kenners
des äg3'ptischen Kalendermaterials, gehalten, und das Kapitel in dieser
'.Testalt hatte auch den Beifall des Wiener Ägyptologen J. Keall
gefunden. In neuerer Zeit sind aber Zweifel an der Eichtigkeit der
Deutungen von Beugsch, und noch mehr seiner Übersetzungen, laut
geworden. Wegen dieser Bedenklichkeit habe ich deshalb Herrn
Prof. H. ScHÄFEE (vom ägyptischen Museum in Berlin) zu Eate ge-
zogen. Derselbe riet mir, von jenen Übersetzungen, als unsicher,
möglichst wenig (jebrauch zu machen: mit seiner Hilfe habe ich
dann den größten Teil des Kapitels in diesem Sinne umgearbeitet.
Vielleicht darf ich hoffen, daß meine Darstellung der ägyptischen
Zeitrechnung einen Ägyptologen, der mit dem einschlägigen Material
vertraut ist und sich auch einige astronomische Kenntnisse an-
eignet, dazu ermuntert, eine kritische Eevision der Arbeiten von
VI ^\lr\vol•t.
Bevgsch, soweit selbe auf die Zeitrechnung Bezieliung haben, zu
versuchen.
A\'as weiter die Form der Darstellung- des Buches l)etrittt, so
habe ich mich bemüht, dieselbe dem Zwecke eines ,. Handbuchs" ent-
sprechend so zu gestalten , daß der Leser schnelle Auskunft über die
einzelnen Gegenstände erhalten soll. Die Auseinandersetzungen sind
deshalb kurz gehalten, und ich war. so gut es sich tun ließ, darauf
bedacht, dabei das als verläßlich geltende Material zu verwenden.
Der ganze Stoff des Buches wurde nach einzelnen Paragraphen be-
handelt, um dem Leser eine leichte Übersicht darbieten zu können:
dem Buche wurde außerdem ein Register beigegeben; ich hoffe darum,
daß eine schnelle Orientierung möglich sein wird. Betreffs der Dar-
stellung der verschiedenen Ansichten und Hypothesen über einzelne
Zeitrechnungsarten konnte ich nur jene aufnehmen, welche seit Idelek
entstanden sind; das Buch schließt sich also in dieser Beziehung an
den alten ..Ideler" an, und die früheren Ansichten wird man in
letzterem nachzusehen haben. Der Inhalt des Buches erstreckt sich
wie bei Idelek sowohl auf die geschichtliche Entwicklung der Zeit-
rechnungsformen, wie auf die praktischen Aufgaben der technischen
Chronologie (Verwandlung gegebener Daten einer Zeitrechnung in die
einer anderen u. dgl). Gern hätte ich die Details in der Zeitrechnung
der Inder und der Chinesen noch Aveiter ausgeführt, mußte mich aber,
da das Buch trotz Ausscheidung manchen Materials über den geplanten
Umfang hinaus Avuchs, auf das Notwendige beschränken. Das über
beide Zeitrechnungen Gesagte Avird aber genügen, um einen hin-
reichenden Einblick in die Konstruktion der indischen und chinesischen
Kalender zu gewähren. Für Detailstudien ist die den einzelnen
Kapiteln angehängte Literatur bestimmt. Dieselbe besteht (mit
wenigen Ausnahmen) nur aus solchen Quellen, die ich behufs Abfassung
des Buches selbst benützt, durchstudiert oder irgend zu Rate gezogen
habe. Die während der Herstellung des vorliegenden Handbuchs bis
zum Abschluß desselben noch erscheinende Literatur wird in Form
eines Nachtrags einem der späteren Bände einverleibt werden.
In den Rahmen des ..Handbuchs" wurde nicht bloß das geordnete
Kai ender wesen der Kulturvölker, sondern auch die primitive Zeit-
einteilung mancher auf tiefer Zivilisationsstufe stehenden Nationen
einbezogen. Dies geschah mit Absicht, um die Schwierigkeiten an-
schaulich zu machen, welche der Mensch überwinden mußte, ehe er
von den einfachsten Zeitbegriffen zu einem Kalender gelangt ist. Es
scheint, daß diese Schwierigkeiten, besonders Avas die Bestimmung
der Länge des Sonnenjahres, oder den Übergang vom Mondjahr zum
Sonnenjahr (hirch Schaltungen betrifft, recht oft unterschätzt werden,
da sonst Voraussetzunoen wie die eines vollkommen bekannten Jahres
Vorwort. \ II
S(.-lioii für die älteste Zeit der Kultiirvrdker (Ägypter u. a.) nicht hätten
gemacht werden können. Ich habe in den einzelnen Kapiteln, wie
der Leser bemerken wird, anch auf diejenigen Einrichtungen der
Zeitrechnung geachtet, welche in derselben Weise bei verschiedenen
Völkern vorkommen, welche also entweder gemeinsamen älteren Ur-
sprungs sind oder doch auf solchen hinzuweisen scheinen. Die Hervor-
hebung dieses Entwicklungsgedankens konnte selbstverständlich nur
skizzenhaft und mit A'orsicht geschehen. Das Gemeinsame näher zu
präzisieren, durch genügendes Material zu begründen, ist Sache der
zukünftigen Forschung. Vielleicht führt dieser (^edanke einst zu
einer vergleichenden Chronologie.
Da das vorliegende Handbuch für Historiker, Chronologen und
Archäologen, aber auch für Astronomen und andere Interessenten,
also für weitere Leserkreise bestimmt sein soll, habe ich getrachtet,
die Darstellungsform hinreichend verständlich zu halten. Die drei dem
eigentlichen Zeitreclmungsw^esen vorangehenden Vorkapitel dürften des-
halb gerechtfertigt sein. Der Leser wird ferner unter den An-
merkungen im Buche einige finden, die ihm vielleicht geläufig und.
selbstverständlich, für andere aber erwünscht sind. Die Historiker,
Avelche die Schwierigkeiten meiner Aufgabe kennen und darum wohl
auch die aufgewendete Mühe zu würdigen wissen werden, bitte ich
noch um Nachsicht, wenn ich in meinen Ausführungen hier und da
etwas übersehen haben sollte. Ergänzende Bemerkungen zu einzelnen
Kapiteln, W' eiche für notwendig gehalten und mir angezeigt werden,
sollen als Nachträge in den beiden folgenden Bänden Platz finden.
Es erübrigt mir noch, meinen besten Dank allen jenen Herren
abzustatten, welche mir bei der Abfassung dieses ersten Bandes des
Handbuchs ihre Beihilfe, sei es durch Ratschläge oder Mitteilungen u.s. w.
gütigst gewährt haben; besonders bin ich Dank schuldig den Herren
Professoren W. Grübe, F. Kielhoen, C. F. Lehmann, Gustav Oppekt,
H. ScHÄFEK und E. Selee. Ferner danke ich Herrn Prof. H. Jacobi
für die Erlaubnis, seine Tafeln zur indischen Zeitrechnung in mein
Buch aufnehmen zu dürfen, sowie meinem langjährigen früheren Kollegen
Dr. R. Schea.m für die Bereitwilligkeit , mit welcher er mir ge-
stattet hat, das Manuskript seiner neuen, in Vorbereitung befindlichen
chronologischen Tafeln für die Beispiele im Buche zu benützen.
Berlin, im April 1906.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Eiiileitiiiig.
i? 1. A'^orbemerkuiig 3
A) Astronomische Begriffe der technischen
Chronologie.
§ 2. Vorbegriffo 4
§ 3. Die vier Koordinatensysteme 6
§ 4. Geographische Länge und Breite. Reduktion der Zeit 9
§ 5. Die Bewegung der Sonne in der Ekliptik. Jahreszeiten. Die Arten
der Zeit 12
§ 6. Täglicher und jährlicher Auf- und Untergang der Grestirne .... 18
§ 7. Die Sternbilder. Veränderungen der Fundamentalebenen. Wirkungen
der Präzession 27
§ 8. Sonnen- und Mondbewegung. Sonnen- und Mondjahr 31
§ 9. Sonnen- und Mondfinsternisse 39
§ 10. Die Planetenerscheinungen. Sonstige für die Chronologie bemerkens-
werte Phänomene 43
B) Hilfsmittel der Chronologie.
§ 11. Allgemeine Bemerkungen über die Hilfe der Astronomie 47
§ 12. Spezielle astronomische Hilfsmittel 50
§ 13. Chronologische Hilfsmittel. Archäologische Grundlagen 54
C) Die Zeitelemente und ihre historische
Entwicklung.
§ 14. Die primitiven Zeitbegrifte 58
§ 15. Mond- und Sonuenjahr. Ausgleichung. Schaltjahr. Kundjahr ... 62
§ 16. Die Mondstationen 70
S 17. Der Zodiakus 78
§ 18. Aren. Zyklen. Jahres-, Monats- und Tagesteilung 88
§ 19. Julianisches und gregorianisches Jahr. Julianische Periode. Lage des
Frühlingspunktes im julianischen Jahre 97
§ 20. Literatur zu C . . . ' 102
Zeitrechnung der einzelnen Yölker.
I. Kapitel.
Zeitrechnung der Babylonier.
§ 21. Vorbemerkung 107
§ 22. Die hauptsächlichsten in Betracht kommenden Kulturmomente der
Babylonier 109
Inhaltsverzeichnis. IX
Seit©
§ 23. Monate 113
t? 24. Monatseinteilung, Wochen (hamustu), Tageseinteilung und Tagesanfang 118
§ 25. Sonnen- und Mondjahr. Perioden 124
§ 26. Schaltung 130
§ 27. Die seleukidische Ära {y.axa XuXSaiov?) und die Arsakiden-Ara . . . 136
tj 28. Der Kanon des Ptolemäus und die Eponyni.i'nlisten 138
§ 29. Die Ära Nabonassar und die philippische Ära 14.^
§ 30. Literatur , 147
IL Kapitel.
Zeitrechnung der Ägypter.
§ 31. Astronomie. Quellen für das Kalenderweseu 150
§ 32. Der Nil in seiner Beziehung zur ägyptischen Zeitrechnung . . . . 154
§ 33. Monate, Jahreszeiten, veränderte Bedeutung der Zeichen der letzteren 156
§ 34. Tageseinteilung und Tagesanfang 160
§ 35. Dekaden (Wochen) und Dekane 165
§ 36. Mondtage. Das hypothetische Mondjahr und Rundjahr. DieEpagomenen 166
§ 37. Bezeichnung des Jahres und der Mond- und Sonnenstände 172
§ 38. Große Jahresperioden der Ägypter
a) Periode von 365 Jahren 174
b) Han- oder Henti-Periode 174
c) Sed- (oder Set-( Periode 175
d) Großes und kleines Jahr 176
e) Phönixperiode 177
f) Apisperiode 180
§ 39. Die heliakischen Siriusaufgänge 181
§ 40. Die Sothisperiode. Apokatastasen. Siriusdaten 187
§ 41. Das tanitische Jahr (^Dekret von Kanopus) 196
§ 42. Der Doppelkalender des Papyrus Ebers 20O
§ 43. Die Feste und ihre Bedeutung für die ägyptische Zeitrechnung . . . 203
§ 44. Theo.rie des ägyptischen Jahres 212
§ 45. Die Ären. Die angebliche Ära Nubti. Die alexandrinische Ära (anni
Augustorum). .. Die diokletiauische und Märtyrerära 222
§ 46. Indiktiouen in Ägypten 232
§ 47. Literatur 234
III. Kapitel.
Zeitrechnung der Mohammedaner
(Araber und Türken).
§ 48. Vorbemerkung 238
A. Die vorislamische Zeitrechnung.
§ 49. Neuere und alte Namen der Monate 239
§ 50. Jahreszeiten. Wochen. Zählung nach Nächten 241
§ 51. Die heiligen Monate. Die Nasaa 24ä
§ 52. Hypothesen über das altarabische Jahr 247
§ 53. Epochen der alten Araber 251
B. Die mohammedanische Zeitrechnung.
§ 54. Mondmonate 252
§ 55. Der 30jährige und der 8jährige Zyklus 254
§ 56. Tagesanfang. Tagesteilung. Wochen 25&
§ 57. Epoche der Hidschra. Reduktion von Daten 258
§ 58. Fremde von den Mohammedanern gebrauchte Ären, Sonnenjahre . . 263
§ 59. Beschreibung eines Rus-name 266
§ 60. Die Feste der Mohammedaner 271
§ 61. Literatur 273
Ginzel, Chronologie I. D
X Inhaltsverzeichnis.
Seite
IV. Kapitel.
Zeitrechnung' der Perser.
§ 62. Vorbemerkung 275
§ 63. Die ältesten Namen der Monate (Inschrift von Behistän) 275
§ 64. Die alt- und neupersischen Monatsnamen 2,77
§ 65. Die Monatstage, Jahreszeiten und die (Tahanbär 280
§ 66. Epagomenen, Tagesanfang, Tagesteilung, Feste 287
§ 67. Das persisch»! Jahr nach den alten Autoren 290
§ 68. Hypothesen über die Einrichtung des altpersischen Jahres 293
§ 69. Die Ära Jezdegerd 298
§ 70. Die Ära..Dscheläleddin 300
§ 71. Andere Aren in Persien. Monate und Tage in Sogd und Khwärizmieu 305
§ 72. Literatur 308
V. Kapitel.
Zeitrechnung der Inder.
§ 73. Vorbemerkung 310
A. Zeitrechnung der Veda.
§ 74. Das vedische Jahr 311
§ 75. Jahreszeiten 314
§ 76. Monate und Tagesteilung 316
§ 77. Die Nakshatra 317
B. Zeitrechnung der nachvedischen Periode.
§ 78. Die Jahresarten 320
§ 79. Monats- und Tagesteilung 324
§ 80. Nakshatra 327
§ 81. Zodiakus, kalpa, yuga 329
C. Zeitrechnung der Siddhänta.
§ 82. Die vier Siddhänta 330
§ 83. Die späteren Werke 333
D. Technische Chronologie des indischen Kalenders.
§ 84. Hauptmeridian 336
§ 85. Die großen yuga. Epoche des Kaliyuga 337
§ 86. Zodiakus, Monatsnamen, Wochentage und Tagesteihmg 338
§ 87. Sonnenjahr. Elemente desselben, Länge der Sonnenmonate, Ahargana,
Sanikranti, Jahreszeiten 341
§ 88. Beginn der Sonnenmonate 346
§ 89. Mondmonat 347
§ 90. Die tithi 348
§ 91. Das Lunisolarjahr 350
§ 92. Ermittlung der tithi und paksha eines gegebenen Datums und um-
gekehrt. Nachprüfung für ein- und ausgeschaltete Monate .... 353
§ 93. .Jahresbeginn. Vollendetes und laufendes Jahr 357
§ 94. Karaiia und Yoga. Lagna 359
§ 95. Nakshatra und Finsternisse 363
§ 96. Der 60jährige und der 12jährige Jupiterzyklus 368
§ 97. Religi.öse Feste und l)Csondere tithi 376
E. Die Aren der indischen Zeitrechnung.
§ 98. A'orbemerkung 380
a) Die Aren in Nordindien.
§ 99. Die Ära Sap.tarshi-Käla 382
§ 100. Die Newär-Ära 384
§ 101. Die (iu])ta-Ära 384
§ 102. Die Srillarsha-Ära 387
§ 103. Die. Ära des Vikramäditya 387
b) Ären in Zentralindien.
§ 104. Die Saka-Ära 390
§ 105. Die Cbälukya-Vikrama-Ära 391
§
106.
4?
107.
§
108.
§
109.
§
110.
§
111.
§
112.
§
113.
§
114.
§
115.
§
116.
§
117.
Inhaltsverzeichnis. XI
Seite
Die Chrdi- oder KalaHiuri-Ara 392
Die Lakshmaiia-Sena-Ara 392
Die Fasli-Jahre (Erntejahre), das Bengäli-^an, Viljiyati-Öan und das
Amli-Jahr 393
Die Ilähi- oder AUai-Ara, die Räjyäbhisheka Saka und das Shahur-San 390
Die.Simha-Ara 396
c) Aren in Sud- und Hinterindien.
Die Kollam-Ara 396
Die burmesische Ära 397
d) Die liuddhistischc Ära, das Kaliyuga, Graha-parivritti
und der Oiiko-Zyklus. ..
Das Nirvaiia (buddhistische Ära"» 398
Das Kaliyuga 399
Das Graha-parivritti 399
Der Oiiko-Zvklus 400
Literatur . " 400
VI. Kapitel.
Zeitrecliniing einiger südostasiatisclier Völker
und der Zentralamerikaner.
§ 118. Zeitrechnung in Tibet 403
§ 119. Zeitrechnung in Siam und Kambodja 409
§ 120. Zeitrechnung auf Java 414
§ 121. Zeitrechnung in Inner- Java, auf Bali, Sumatra, Timor, Melanesien
und Nikobar 422
§ 122. Zeitrechnung der zentralamerikanischen Völker 433
§ 123. Literatur 44«
VII. Kapitel.
Zeitrechnung der Chinesen und Japaner.
§ 124. Vorbemerkung 450
§ 125. Der Sexagesimalzyklus 450
§ 126. Die Monate . . '. 454
§ 127. Der 60tägige Zyklus. Reduktion zyklischer Daten. Die 7tägige
Woche 457
§ 128. Tagesaufang und Tageseinteilung 464
§ 129. Jahresabschnitte und Jahreszeiten. Zodiakalzeichen 467
§ 130. Bürgerliches Jahr (Lunisolarjahr). Konstruktion des chinesisch-
japanischen Kalenders 471
§ 131. Zählung der Jahre. Zyklusjahre, Kaiserjahre, Regierungsprädikate.
Nengo. Ära Nino. Datierungsweise 479
§ 132. Chinesische und japanische Feste 483
§ 133. Mondstationen. Wahlzyklus. Die Perioden tschang, pu, ki ... 487
§ 134. Bemerkungen zur Geschichte des chinesisch-japanischen Kalenders . 492
§ 135. Literatur 497
Anhang.
§ 136. Die Zeitrechnung der alttürkischen Inschriften 499
I. Verzeichnis der chinesischen Kaiser, der Regierungszeiten, der miao-hao
und nien-hao 505
IL Verzeichnis der japanischen nengö 532
III. Charaktere der hauptsächlichsten chinesischen Namen des VII. Kapitels 538
b*
XII Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Tafel der Positionen der 26 hellsten Sterne des Nordhimmels .... 543^
II. Tafel der Halbetagbogen 546
III. Tafel der Neumonde von 605 bis 100 v. Chr 547
IV. Jacobis Tafeln zvir Zeitrechnung der Inder 563
Eegister 575
Zusätze und Berichtigungen,
ad S. 208 Anm. 1. Zitat nach der Manitius- Ausgabe.
ad S. 231 Z. 21 v. o. Das dort gegebene Beispiel so]l nur als Illvistration zur
Verwandlung des Datums der Diokletianischen Ära dienen. Der angeb-
liche Brief des Ämbrosius ist unecht, und die Angabe, Ostern sei am
23. April gefeiert worden, zweifelhaft; nur nach der Osterrechnung des
alexandrinischen Zyklus fiel Ostern auf den 23. April; s. E. Schwaetz,
Christliche h. jüdische Ostertafeln, S. 54. 55 {Ahhandlg. d. Königl. Ges. d.
Wiss. z. Göttingen, phil. bist. Kl., N. F., VIII No. 6 [1905]).
ad S. 402 Zu den Tafeln kann noch hinzugefügt werden Cowasjee Patell, Oirono-
logy containing corresp. dates of tlie difj'erent eras used hy Christ., Jeios,
Greeks, Hindus etc. London 1866.
ad S. 444 Z. 12 v. o. zu lesen , Bienenzüchter" statt „Bienenpächter".
ad S. 547 Tafel III (Neumondtafel). Handelt es sich nur um die näherungs-
weise Kenntnis der Zeit der Neumonde, so kann man die Neumondreihe
benützen, welche von 1622 v. Chr. bis 1934 n. Chr. im II. Bd. (Astron.
Appendix) von H. Grattan Guinness, Creation centred in Christ, London
1896, gegeben ist. Da diese Neumonde nur mit Hilfe einer verbesserten
Periode berechnet sind, weichen sie von jenen der Taf. III bald im
positiven, bald im negativen Sinne, u. z. um V ^ bis 3 Stunden ab.
Einleitung:.
Ginzel, Chronologie I.
§ 1. A'orbemerkuug.
Um größere Zeiträume messen d. h. die zeitliche Folge des Ge-
schelienen im Leben des einzelnen oder der Gesamtheit der Menschen
bestimmen zu können, bedarf man eines möglichst unveränderlichen
Maßes. Dieses Maß bieten einzelne Himmelskörper durch ihre ewig ge-
setzmäßige Bewegung und durch ihre nach Perioden wiederkehrenden
Erscheinungsformen. Insbesondere sind es die Sonne und der Mond,
welche schon in frühester Zeit der Kulturentwicklung der Menschheit
als die natürlichen Zeitmesser angesehen worden sind, da die Sonne
durch ihren scheinbaren Umlauf die Jahreszeiten und das Jahr, und
der Mond durch seine wechselnden Lichtgestalten die nächst kleineren
Zeiträume, die Monate, abmißt. Um aber ein sich bewegendes
Himmelsobjekt als Zeitmesser benützen d. h. angeben zu können,
wievielmal ge'VN^sse Perioden seiner Bewegung in gegebenen Zeit-
räumen enthalten sind, mußte man eine klare Vorstellung von der
Art der Bewegungen der Sonne und des Mondes zu erlangen suchen.
Auf diese Weise wurde die Menschheit zur Beobachtung des Himmels
geführt, und die Astronomie verdankt zum guten Teile jener Not-
wendigkeit der Zeitmessung ihren Ursprung. Das Ergebnis der Be-
obachtungen der Sonne und des Mondes waren die Jahrformen, welche
von den einzelnen Nationen, je nach dem Grade der Erkenntnis und
je nach Entwicklungsbedinguugen, die in dem Werden der Völker mit-
spielten, mehr oder minder übereinstimmend oder abweichend aus-
gestaltet wurden. Die Lehi'e von der Beschaffenheit der verschiedenen
Jahrformen und von den inneren Einrichtungen des Jahres bei den
einzelnen Völkern heißt die technische Chronologie. Unsere
Kenntnis derselben beruht gegenwärtig hauptsächlich auf den Denk-
mälern, dem archäologischen und inschriftlichen Material, das uns jene
Völker aus verschiedenen Kulturepochen hinterlassen haben; daneben
kommt ihre Nationalliteratur in Betracht. Die Nachrichten, welche die
klassischen Schriftsteller darbieten, und auf die man sich früher haupt-
sächlich stützen mußte, sind größernteils in die zweite Linie zurück-
getreten. Bei der Sichtung und Kritik jenes Materials leistet die
rechnende Astronomie oft Beihilfe, indem sie die jMittel zur Beurteilung
1*
4 Astronomische Begriffe der teclinischen Chronologie.
der Tradition herbeischafft. Unter m a t h e m a t i s c h e r C h r o n o 1 o g i e
versteht man vorzugsweise die astronomischen Lehren von den Be-
wegungen der Sonne und des Mondes, inwieweit sie mit dem Zeit-
rechnungswesen in Verbindung sind; im engeren Sinn aber besonders
die Anwendung der Mathematik auf die Ergebnisse der technischen
Chronologie, wie die Herst elhmg von Formeln zur Verwandlung ge-
gebener Daten einer Zeitrechnungsform in Daten einer anderen u. dgl.
Bei dem gegenwärtigen Stande der Verhältnisse hat diese Disziplin
weit weniger Interesse füi- den Historiker als früher, und es wird
deshalb im vorliegenden Werke überwiegend die technische Chronologie
behandelt werdend
Den eben gemachten Andeutungen entsprechend tritt die Not-
wendigkeit einer Einleitung hervor, welche auf die technische
Chronologie der einzelnen Völker vorbereitet. Ich zerfalle dieselbe in
drei Kapitel. Das erste Kapitel der Einleitung gibt eine Definition
der astronomischen Begriffe und technischen Ausdrücke, soweit solche
in der technischen Chronologie vorkommen. Das zweite bespricht die
Hilfsmittel, mit denen die moderne Chronologie arbeitet, und zwar die
astronomischen und die archäologisch-historischen. Das dritte, welches
man einen Versuch oder Abriß vergleichender Chronologie
nennen kann, hebt die Haupt-Zeitelemente besonders hervor, w^ eiche
den Zeitrechnungsformen gemeinsam sind, und sucht deren Entstehung,
soweit der Stand der Forschung dies zuläßt, zurück zu verfolgen.
A) Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
§ 2. Yorjjegriffe.
Der gestirnte Himmel erscheint uns überall, wohin wir uns an
der Erdoberfläche begeben, als Kugel und zwar als Halbkugel, indem
wir immer nur den Teil des Himmels sehen können, welcher über
unserm jeweiligen Horizonte liegt. Denken wir uns in irgend einem
Standpunkte an der Erdoberfläche eine horizontale Linie markiert
1) Der '■J'itel , Handbuch der math. u. technischen Chronol." dieses Werkes
•wurde nur nnit Rücksicht auf das gleichnamige Werk von Ideleh, dessen Ziele dem
Verfasser vorschwebten, beibehalten. Die mathematische Chronologie hat aus dem
Grunde an Interesse für den Historiker verloren, weil gegenwärtig für die meisten
Zeitrechnungsarten ausgedehnte Tafeln vorhanden sind, nach denen man fast ohne
Rechnung die Daten einer Zeitrechnung in diejenigen einer anderen verwandeln
kann, ohne daß ein Zurückgehen auf die Formeln der Astronomen notwendig wird.
Desgleichen sind die anderweitigen astronomischen Hilfsmittel vereinfacht und be-
quemer eingerichtet worden, so daß die mathematischen Vorschriften sehr zurück-
treten und der Historiker meist ohne besondere mathematische Kenntnisse jene
Hilfsmitt(!l benützen kann.
§ •_>. Vorb.'-rirtV. 5
(z. B. mit Hilfe der Wasseiwage) und auf derselben eine Senkrechte
errichtet, bis diese die scheinbare Himmelskugel in einem Punkte
trifft, so heißt letzterer Punkt Z das Zenit (oder der Scheitelpunkt)
unseres Standortes; die Verlänoerung- dieser Linie führt durch den Erd-
mittelpunkt 0 (s. Fig-. 1). Die durch die Horizontale gelegte Ebene heißt
die Ebene des scheinbaren Horizontes und die zu ihr parallele,
aber durch das Erdenzentrum 0 gehende Ebene der wahre Horizont
(HT). Jeder Ort auf der Erde hat also sein eigenes besonderes Zenit
und seinen besonderen wahren Horizont. Der dem Zenit entgegen-
gesetzt liegende Punkt Z' der Senkrechten, welcher also auf der für
uns unsichtbaren Himmelshalbkugel liegt, heißt das Nadir (der
Fußpunktj. Vermöge der Bewegung der Erde um sich selbst scheint
sich der Sternhimmel von Ost nach West zu bewegen, und zwar ergibt
eine aufmerksame Betrachtung, daß nur ein Teil der Sterne über dem
Horizonte auf- und untergeht, andere dagegen die ganze Nacht über dem
Horizonte bleiben und sich nm' sehr langsam fortbewegen; an einem
bestimmten Punkte des Himmels scheint überhaupt kein Umschwung
des Himmels stattzufinden. Dieser letztere Punkt P, um welchen die
ihm nahen Sterne ihre Kreise nur langsam durchwandern, heißt auf
unserer Nordhalbkugel der Nordpol des Himmels, der ihm ent-
6 Astronomische Begrifte der technischen Chronologie.
gegengesetzte der Südpol; beide Pole lieißen die H i m m e 1 s p o 1 e ; sie
müssen, wie bei der großen Entfernung der Sterne von der Erde im Ver-
hältnis zum Erddurchmesser begreiflich, beide in der Verlängerung der
Erdachse liegen. Um diese Weltachse (verlängerte Erdachse) PP'
bewegen sich die Sterne in Kreisebenen, welche auf der Weltachse
senkrecht stehen; diese Ki'eise heißen Parallelkreise (z. B. GG).
Der größte der Parallelkreise wird jener sein, der durch den Erd-
mittelpunkt geht; dieser Parallelkreis AQ, welcher die Himmels-
sphäre in zwei gleich große Halbkugeln teilt, ist der Äquator.
Wenn wir durch die Weltachse verschiedene Ebenen legen, welche
die Himmelskugel in größten Kreisen schneiden, so heißen diese die
Meridiane des Himmels; sie gehen durch die Pole PP' und stehen
alle senkrecht auf der Äquatorebene. Die Meridianebene, welche durch
einen gegebenen Ort der Erdoberfläche geht, der Meridian des
Ortes (Mittagskreis), enthält die Weltpole, das Zenit und Nadir, und
schneidet die Horizontebene in einer Geraden, der Mittagslinie.
Für den Ort 0 ist der Halbkreis TPZH der Meridian, HOT die Mittags-
linie. Ein Stern, welcher einen Parallelkreis LL' beschreibt, muß
notwendigerweise den Meridian des Ortes in einem Punkte L treffen;
man sagt dann, der Stern kulminiert. Die Zeiten zwischen dem
Aufgange und der Kulmination resp. dem Untergange sind einander
gleich, d. h. die Halbetag-Bogen «L und ßh werden durch den Kul-
minationspunkt gleich groß. Liegt die Kulmination auf dem Teile
des Meridians, welcher den sichtbaren Pol und das Zenit enthält, so
ist dies die obere Kulmination des Sterns (auf dem Bogen TZP);
die untere Kulmination liegt auf dem Ergänzungsbogen PH. Der
Bogen PH zwischen dem Pol und der jeweiligen Horizontebene ist
die P 0 1 h ö h e (oder geogr. Breite (f des betr. Ortes). Von denjenigen
Sternen, deren Polabstand PG, PG' kleiner ist als PH, werden wir
beide Kulminationen beobachten können; solche Sterne — die also
immer über dem Horizonte sind — heißen Circumpolarsterne;
ist der Polabstaud der Sterne beträchtlich, so daß ihr Parallelkreis
die Horizontebene schneidet, wie bei LL', so kann an dem Orte nur
eine Kulmination des Sterns gesehen werden.
§ 3. Die vier Koordinatensysteme.
Mittelst der Ebene des Horizontes und mit dem Zenit läßt sich die
Lage eines Gestirns gegen einen Ort der Erde folgenderweise angeben.
Die Sterne erscheinen mehr oder weniger hoch über dem Horizonte. Ein
durch den Stern parallel zum Horizont gelegter Kreis heißt Horizon-
talkreis oder Almukantarat (NN'). Man legt durch den Stern
M und durch das Zenit Z einen größten Kreis ZRR', welcher auf
§ 3. Die vier Koordinatensysteme. 7
dem Horizonte (und dem Almukantarat) senkrecht stehen wird; ein
solcher Kreis heißt Vertikal- oder Höhen kreis. Der Bogen RM
zwischen dem Gestirn und dem Horizont ist die Höhe, und der
Horizontbogen Tli'HR, nämlich vom Südpunkte T der Mittagslinie
über Westen (R'), den Nordpunkte (H) bis zum Fußpunkte R gezählt,
ist das Azimut des Sterns ^ Das Azimut stellt also den Winkel
vor, welcher zwischen dem Meridiane und dem Höhenkreise irgend
eines Sterns enthalten ist. Die Ergänzung der Höhe des Gestirns zu
900 iieißt die Zenitdi stanz (MZ).
Der Horizont ändert vermöge der Achsendrehung der Erde fort-
während seine Lage gegen die Gestirne, resp. Azimute und Höhen
der letzteren variieren. Dagegen bleiben die Abstände der Gestirne
vom Äquator die gleichen, da sie über und unter demselben Parallel-
kreise (GG) beschreiben. Legen wir durch die "\^>ltpole und das
Gestirn eine Ebene PMP', so steht dieselbe senkrecht auf dem Äquator
AQ. Der Bogen MM' zwischen dem Gestirn und dem Äquator ist die
Deklination (Abweichung) des Gestirns; sie wird positiv für die
nördliche Stellung der Sterne vom Äquator, negativ für südliche
Stellung genommen. Die Deklination ergänzt sich durch die Pol-
distanz PM zu 90^. Das Gestirn M vollführt in einem Tage auf
dem durch M gehenden und auf der Achse PP' senkrechten Parallel-
kreise HH' einen vollen Umlauf d. h. 360*^ in 24 Stunden; es nähert
sich im Lauf des Tags dem Meridiane TZH und geht durch denselben
hindurch. Der jeweilige Abstand des Deklinationskreises PMP' (auch
Stundenkreis genannt) vom Meridiane heißt der Stundenwinkel
des Gestirns. Derselbe ist Null, wenn das Gestirn den Meridian durch-
schneidet. Der Stundenwinkel wird vom Meridiane aus gezählt über
Osten nach Westen; er wird in Zeit- oder Bogenmaß ausgedrückt,
Ih = 150^ auch als w^estlicher (positiver) und östlicher (negativer)
Stundenwinkel unterschieden"-. Stundenwinkel und Deklination (resp.
Poldistanz) eines Sterns bilden das zweite Koordinatensystem, durch
welches die Lage des Sterns gegen die Erde angegeben werden kann.
Der Stundenwinkel dieses Systems ist, wie man sieht, nicht nur
nach der Zeit veränderlich, sondern auch für einen jeden anderen
Meridian der Erde verschieden, und zwar um die Differenz der Meri-
1) Das Azimut wird auch als östliches und westliches, von 0** bis 180<> gezählt,
und zwar östlich negativ, westlich positiv.
2) Stunden, Minuten, Sekunden werden in der Astronomie mit den Buchstaben
h, m, s bezeichnet, zum Unterschiede vom Bogenmaß, dessen Grade, Minuten,
Sekunden mit °, ', ", bezeichnet werden. Für die fortwährend vorkommende Ver-
wandlung beider Maße ineinander hat man
Ih = 150 p = 4ni
Im = 15' r =- 48
l8 = 15"-, 1"= 0,07«.
8 Astronomisclie Begriffe der technischen Chronologie.
diane, die zwischen den gegebenen Orten liegt. Die Deklination da-
gegen ist eine für alle Erdorte konstante Koordinate. Man kann den
Stunden Winkel durch eine unveränderliche Koordinate ersetzen, wenn
man die Ekliptik einführt. Die Ekliptik (Sonnenbahn) ist der
gi'ößte Kreis, den die Sonne im Laufe eines Jahres scheinbar um die
Erde beschreibt; diese Bahn projiziert sich auf die Himmelshalbkugel
als eine gegen den Äquator um 23V2^ geneigte Kurve EK, Avelche die
Äquatorebene AQ in zwei einander gegenüber liegenden Punkten F
und F' schneidet. Letztere Punkte erreicht die Sonne im Frühlinge
(21. März) und Herbste (23. September); sie heißen Äquinoktial-
punkte (Frühlings- und Herbstpunkt) ; Tag und Nacht sind zu jenen
Zeiten gleich lang, daher die beiden Punkte auch Tag- und Nacht-
gleichenpunkte genannt werden. Da die Lage des Frühlingspunktes
innerhalb kleiner Zeiträume nahezu unveränderlich ist (die Bewegung
desselben kann sehr genau in Rechnung gebracht werden), so kann
man die Stundenkreise von diesem festen Punkte aus zählen. Die
neue Koordinate, der Bogen des Äquators M'F, von West nach Ost,
also der täglichen Bewegung entgegengesetzt gerechnet, heißt die
Rektaszension (gerade Aufsteigung, Ascensio recta) des Sterns M.
Rektaszension und Deklination bestimmen also die Lage eines Gestirns
vollständig. Das auf sie gegründete Koordinatensystem verändert sich
erst nach langen Zeiträumen. Um den Ort des Gestirns für eine be-
stimmte Zeit angeben zu können, muß man noch den Stundenwinkel,
den der Frühlingspunkt zur gegebenen Zeit gegen den Meridian macht,
kennen. Dieser Stundenwinkel heißt die Sternzeit; wenn der
Frühlingspunkt durch den Meridian eines Ortes geht, hat der Ort O''
Sternzeit. Die Rektaszension eines Sterns ist somit durch die Gleichung
bestimmt: Sternzeit minus entsprechender Stunden winkel , oder: man
findet den jeweiligen Stundenwinkel des Sterns, wenn man von der
Ortssternzeit die Rektaszension des Sterns subtrahiert. — Kolur-
kreis heißt der durch die Punkte F und F gehende Stundenkreis, und
zwar ist der erstere der Kolur der Tag- und Nachtgi eichen; der andere
Kolur, um 90^ von jenem verschieden und den Solstitien oder AVende-
punkten (am 22. Juni und 23. Dezember) entsprechend, ist der Kolur
der Wendepunkte.
Das vierte Koordinatensystem beruht ebenfalls auf der Ekliptik.
Die Pole BB' der Ekliptik stehen senkrecht auf der Ekliptik EK.
Ein durch den Stern M und die Pole BB' gelegter größter Kreis, der
Breitenkreis, steht senkrecht auf der Ekliptik, Der Bogen MM"
zwischen dem Stern und der Ekliptik ist die Breite des Gestirns,
positiv für die nördliche der beiden von der Ekliptik abgeschnittenen
Hemisphären, negativ für die südliche. Der Ekliptikalbogen M"F vom
Breitenkreise bis zum Frühlingspunkt, gezählt wie die Rektaszension
§ 4. Geogra])liisclie Länge und Breite. IJcduktidn der Zeit. 9
Über Osten, entgegengesetzt der täglichen BeAvegung des Himmels, ist
die Länge des Sterns ^
Das wichtigste von diesen vier Koordinatensj'stemen ist für die
praktische Astronomie das der Rektaszension und Deklination, da die
Positionen der Gestirne vorzugsweise durch Rektaszension und Deklina-
tion angegeben werden und weil die Einrichtung des größten Teils
der Messungsinstrumente diese Koordinaten direkt oder indirekt liefert.
In Länge und Breite werden hauptsächlich die aus der mathematischen
Bewegungstheorie der Himmelskörper resultierenden Stelluugen der Ge-
stirne, insbesondere jene der großen Planeten, ausgedrückt. Azimut und
Höhe haben nur vereinzeltes Interesse für Beobachtung und Rechnung.
§ 4. Gleograpliische Länge und Breite. Reduktion der Zeit.
Wir haben oben gesehen, daß die Erdachse ein Teil der Welt-
achse PP (s. Fig. 1) ist; setzen wir in den Mittelpunkt der Himmels-
kugel also die Erde, so liegen die Endpunkte der Achse der Erde,
der Nordpol und der Südpol, in der Weltachse; ebenso entsteht
der Erdäquator durch den Durchschnitt des Himmelsäquators AQ
mit der Erdkugel. Ebenen, die man durch verschiedene Orte der
Erdoberfläche parallel zum Äquator legt, stehen auf der Erdachse
senkrecht und ergeben parallele Kreislinien zum Äquator; sie heißen
Breitenkreise. Denkt man sich irgend einen Ort eines Breiten-
kreises mit dem Erdmittelpunkte verbunden, so heißt ,der Winkel,
welcher zwischen dieser Verbindungslinie und der Äquatorebene ent-
steht, die geographische Breite des Ortes. Sie ist gleich der
Polhöhe HOP, und wird für Orte der nördlichen Erdhalbkugel positiv
(nördliche Br.), für Orte der südlichen negativ (südliche Br.) und zwar
von 0° bis 90^ gezählt; 0" Breite entspricht den Orten am Äquator.
Sämtliche Orte, die unter ein und demselben Parallelkreise liegen,
haben dieselbe Breite. Legen wir durch die Erdachse eine Ebene,
so entsteht durch den Schnitt der letzteren mit der Erdoberfläche ein
größter Kreis, welcher durch die beiden Pole geht und zum Äquator
senkrecht ist; er entspricht den Himmelsmeridianen PZT, PUP', und
heißt wie diese der Meridian eines Ortes. Jeder Ort eines ge-
gebenen Breitenkreises hat seinen eigenen Meridian, da sich durch
alle Punkte dieses Kreises und durch die Pole solche Ebenen legen
lassen. Wählt man, um den Abstand der Meridiane von einander
bequem zählen zu können, einen Meridian für den Anfangspunkt der
Zählung aus, so nennt man diesen Meridian den H a u p t - oder N u 1 1 -
m e r i d i a n. Der Abstand irgend eines andern Meridians von dem Haupt-
1) Längen und Breiten der Gestirne sind also ganz zu unterscheiden von den
Längen und Breiten (geographischen Koordinaten) der Erdorte.
10 Astronomisclie Begriffe der technischen Chronologie.
meridiane, von 0" bis 360" in östlicher Richtung um die Erde, oder von
0» bis 1800 (oder bis 12'>) in westlicher und 0« bis 180« resp. 12>^ in öst-
licher Eichtung vom Hauptraeridiane gezählt, ist die geographische
Länge des Meridians; alle Orte, die unter einem gegebenen Meri-
diane liegen, haben die gleiche Länge gegen den Hauptmeridian. Als
Hauptmeridiane haben diejenigen besondere Wichtigkeit, welche den
Angaben der astronomischen Jahrbücher zugrunde liegen, und zwar
die Meridiane von (jreenwich (wegen des Nautical Almanac), von Paris
(wegen der Connaissance des temps), von Berlin (wegen des Berl. Astr.
Jahrbuchs) und von Washington (wegen der American Ephemeris)^
Da die Sterne, wie schon gesagt wurde, Parallelkreise über dem
Äquator, und zwar in der Richtung von Ost nach West während eines
Tages zu beschreiben scheinen, so kann ein bestimmter Stern seine
Kulmination d. h. seinen Durchgang durch die einzelnen Meridiane
der Erdkugel nicht überall zu derselben Zeit erreichen. Wenn der
Stern zu einer gewissen Zeit in dem Meridiane TZH, also für einen
in dieser Linie gelegenen Erdort kulminiert hat, so wird er für einen
Ort unter dem Meridiane PUP', westlich vom ersteren Meridian,
später kulminieren, und zwar für je 1° Längendifferenz der beiden
Meridiane um 4"' später (um 24i': 360). Der Unterschied der geo-
graphischen Längen eines gegebenen Meridians gegen einen Haupt-
meridian gibt daher auch die Zeit an, um wieviel später oder früher
die Kulmination der Gestirne in den einzelnen Meridianen erfolgt als
im Hauptmeridian. Kulminiert z. B. ein Stern im Meridiane von
Berlin an irgend einem Tage um 9'' 16" 0^ abends, so wird er für
München, welches eine westliche Länge von P 47,2' oder 0'' 7'" O'^ gegen
den Berliner Meridian hat, um letzteren Betrag später kulminieren.
Durch die Kulminationen der Sonne wird die Zeit bestimmt, mit
der wir hauptsächlich rechnen, die für jeden einzelnen Meridian maß-
gebende Ortszeit. Die vorgelegte Zeit eines Meridians durch die Zeit
eines Hauptmeridians ausdrücken, heißt die Zeit reduzieren. Man
hat bei der Reduktion nach folgender Regel vorzugehen: Liegt der
gegebene Ort östlich vom Hauptmeridian, so hat man von der Zeit-
angabe des Ortes die Längendifferenz zu subtrahieren, um die ent-
sprechende Zeit des Hauptmeridians zu erhalten; und umgekehrt, ist
eine westliche Zeitangabe auf den Hauptmeridian zu bringen, so wird
man die Längendifferenz zu jener Zeitangabe addieren'-. Das Reduzieren
1) Der Meridian von Ferro, welcher 20** westl. Paris angenommen wird, hat
bloß geographisches Interesse. Die Längen der obigen Hauptmeridiane gegen den
von Berlin sind: Greenwich 0^ 53^ 35s westl., Paris 0^ 44™ 14» westl., Washington
ßh Im 5i8 westl.
2) Die Reduktion betrift't nicht nur die Ortszeit (mittlere Zeit), sondern auch
die wahre Zeit und die Sternzeit, die für bestimmte Meridiane etwa gegeben sind.
§ 4. Geographische Länge und Breite. Reduktion der Zeit. 11
ist für den Historiker insofern wichtig, da er leicht in die Lage kommen
kann, astronomische Zeitangaben eines Ortes in die Zeiten eines anderen
Ortes verwandeln zu müssen. Für die 7. Mondfinsternis des Almagest
(Heibeeg I 329, 6) folgt z. B. das Rechnungsresultat: Mitte der Ver-
finsterung 23** 28"' m. Zeit Babylon ; welche Zeit des Hauptmeridians
Greenwich entspricht dieser Angabe? Da die Längendifferenz Greenwich-
Babj^lon 2'' 58™ östlich ist, so hat man 2'' 58™ zu subtrahieren und
erhält 20'' 80™ Greenwicher Zeit.
Aus diesen kurzen Darlegungen ersieht man, daß die richtig
nach Ortszeit gehenden Uhren unter einem Meridian, der östlich von
einem Hauptmeridian liegt, vorausgehen gegen diejenigen unter
dem Hauptmeridiane, und die westlichen eines Meridians nachgehen
gegen die Uhren des Hauptmeridians. Jemandem, der um die Erde
beständig in der östlichen Richtung reist und seine Uhr nicht korrigiert,
verkürzen sich die einzelnen Tage, da ihm die Sonne täglich früher
aufzugehen scheint; da die Verkürzung für je 1^ Länge aber 4 Zeit-
minuten beträgt, hat er nach der halben Reise um die Erde (180*^)
schon einen halben Tag, und nach der Rückkehr an den Ausgangs-
punkt einen ganzen Tag mehr im Datum. Bei entgegengesetzter west-
licher Fahrt um die Erde verliert der Weltumsegler hingegen einen
Tag'. Um diese Datumverschiebung zu vermeiden, wurde es bei den
Seefahrern Gebrauch, bei westlicher Fahrt nach Überschreitung des 180^.
V. Greenw. einen Tag in der Datumzählung auszulassen, dagegen bei
der Reise von West nach Ost nach dem 180^. v. Greenw. einen Tag
einzuschieben d. h. ein Datum zweimal zu zählen. Hieraus ist in Ost-
asien die Da tum grenze entstanden, welche sich allerdings nicht
genau an diese Regel anschließt; auf den ostasiatischen und austra-
lischen Inseln wurde nämlich das Datum üblich, welches die Entdecker
der Liseln auf ihrer Fahrt von Osten oder von Westen her in ihrer
Datierung führten, wodurch im Laufe der geographischen Entdeckungen
eine Grenzlinie entstand, jenseits welcher man die Datierung mit der
europäischen übereinstimmend oder verschieden rechnete. Gegenwärtig
geht die Datumgrenze (an welcher mit der Zeit Veränderungen ein-
getreten sind) durch die Behringsstraße und läuft südwärts im Osten
von Japan, den Marschallinseln, den Fidschiinseln und Neuseeland.
Die Orte westlich von dieser Linie haben ostasiatisches Datum, die
östlichen Orte, also die australischen Inseln, haben das amerikanische
Datum.
1) Dies bemerkten z. B. die Schiffer, welche von der Magelhaenschen Erd-
umsegelung 1522 nach Europa zurückkehrten. Nach der Schiffsrechnung schrieben
sie bei ihrem Eintreffen in San Lucar den 6. September; dort zählte man aber schon
den 7. September.
12
Astronomische Begriffe der technisclien Chronologie.
§ 5. Die Bewegung der Sonne in der Ekliptik. Jahreszeiten.
Die Arten der Zeit.
Die Rektaszensioii und Deklination der Sterne, also die Stellung
der Sterne gegen den Äquator, bleibt ungefähr dieselbe, ändert sich
im Laufe der Zeit wenigstens nur allmählich. Die Sonne ändert aber
ihre Rektaszension und Deklination innerhalb eines Jahres fortwährend,
ihre scheinbare Bahn kann also zum Äquator nicht parallel laufen.
Dies geht schon aus der leicht zu machenden Beobachtung hervor, daß
die Kulminationshöllen der Sonne (wenn sie durch den Meridian eines
Ortes geht) im Som-
mer wachsen , im
Winter abnehmen,
und demgemäß die
Tagbogen länger
resp. kürzer wer-
den. Aus Beobach-
tungen der Höhen
der Sonne kann
man finden , daß
die Deklination der
Sonne am 22. Juni
etwa 23» 27' über
dem Äquator (posi-
tiv), und am 23. De-
zember ebenfalls
23« 27', aber unter
dem Äquator (nega-
tiv) ist; ferner, daß die Deklination vom ersteren Tage an abnimmt, an-
fangs langsam, um die Herbstzeit aber rasch, daß sie am 23. September
Null wird und, nachdem sie am 23. Dezember den tiefsten Stand
erreicht hat, wieder schnell wächst und am 21. März abermals Null
Grad erreicht. Dies beweist, daß die Ebene der Ekliptik (in der
die Sonne sich bewegt) gegen den Äquator einen Winkel von etwa
23^ 27' macht, und daß beide Ebenen sich in einer Geraden schneiden.
Die Schnittpunkte FF' (Fig. 1), in denen die Sonne am 21. März und
23. September steht, wo also ihre Deklination Null ist, haben wir
schon als den Frühjahrs- und Herbst-Tagundnachtgleichepunkt kennen
gelernt. Die vorstehende Fig. 2 zeigt, in welcher Rektaszension und
Deklination sich die Sonne während eines Jahres am ersten Tage der
12 Monate befindet; man wird aus der Deklinationskurve DSD' er-
kennen, daß die Veränderung des Sonnenortes gegen den Äquator zur
Zeit des Frühjahr- und Herbstäquinoktiums, an den Rektaszensions-
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Fig. 2.
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ij 5. Die Bewegung der Sonne. Jahreszeiten. Die Arten der Zeit.
13
punkten 0'' und 12'' am schnellsten ist. Teilt man die Ekliptik, vom
Frühjalirsäquinoktium ausgehend, in 12 gleiche Teile, so entsteht der
Zodiakus (Tierkreis). Die 12 Zeichen dieses Kreises fassen je 30"
und werden nach benachbarten oder in den Kreis fallenden Stern-
bildern in folgender Weise benannt und durch Symbole gekennzeichnet:
0—30« Länge:
30— 60«
60— 90«
90—1200 „
120— 150° „
150—180« „
180-210« ,,
210—240« „
240-270« „
270—300« „
300—330« „
330—360« ,.
T Widder (Aries)
\^ Stier (Taurus)
n Zwillinge (Gemini)
55 Krebs (Cancer)
^ Löwe (Leo)
np Jungfrau (Virgo)
dli Wage (Libra)
V\| Skorpion (Scorpius)
^ Schütze (Sagittarius)
Ic, Steinbock (Capricornus)
txt Wassermann (Aquarius)
5 Fische (Pisces)
Ältere Bezeichnungen sind für Schütze Arcitenens, für Wassermann
Amphora.
Wäre die Bahn der Sonne (resp. der Erde) genau ein Kreis, so
müßte die scheinbare Sonnenbewegung durch die 12 Zeichen eine gleich-
mäßige sein; da dies nicht der Fall ist. so folgt, daß die Bahn eine
Fig. 3.
elliptische (wenngleich vom Kreise nicht sehr viel abweichende) ist,
in deren einem Brennpunkte die Sonne steht. Nach den Keplerschen
Gesetzen ist die Geschwindigkeit der Bewegung in dem Punkte am
größten, in welchem die Erde im Perihel d. h. der Sonne am nächsten
ist; im entgegengesetzten Punkte der Ellipse, dem Aphel, der Sonnen-
ferne, hat die Erde die langsamste Bewegung. Der Perihelpunkt, 280«,
wird von der Erde etwa am 2. oder 3. Januar, das Aphel, 100«, wird
ungefähr am 3. Juli erreicht (s. Fig. 3). Die Sonne erhebt sich in dieser
14 Astronomische Begrift'e der technischen Chronologie.
Ellipse am 21. März über den Äquator, ihre Deklination wächst; dadurch
werden ihre Meridianhöhen über dem Horizonte größer, die Tagebogen
werden länger, und die Morgen- und Abendzeiten, d. h. die Abstände
des Aufgangspunktes vom Ostpunkte und des Untergangspunktes vom
Westpunkte rücken vor. Durch die länger währende Sonnenbestrahlung
steigt die Temperatur der Luft und des Erdbodens: das Frühjahr
tritt ein. Ungefähr am 21. April ist die Sonne auf der Ekliptik bis
zum Zeichen des Stiers (30°), am 22. Mai bis zu den Zwillingen (60")
vorgerückt; am 22. Juni^ hat die Sonne den nördlichsten Punkt der
Ekliptik, das Zeichen des Krebses (90°), erreicht; sie steht im Sommer-
solstiz. Die heiße Zeit, der Sommer, beginnt für die nördliche Erd-
heraisphäre. Nach dem Durchlaufen dieser drei aufsteigenden
Zeichen der Ekliptik wendet sich die Sonne (AVendepunkt des
Krebses) in den zweiten Quadranten und nähert sich wieder dem
Äquator; am 23. Juli passiert sie das Zeichen des Löwen (120°), am
23. August das* der Jungfrau (150°). Die Deklination hat abgenommen,
die Tagebogen werden kürzer, die Schatten des Gnomons werden zur
Mittagszeit länger-. Am 23. September steht die Sonne wieder im
Äquator, in der Wage (180°), im Herbstpunkte. Tag und Nacht
sind wieder gleich lang. Nun gelangt die Sonne in die Stellungen unter-
halb des Äquators ; die Deklination wird negativ, die Tagbogen werden
immer kürzer für die Nordhälfte der Erde. Am 24. Oktober steht
die Sonne im Skorpion (210°), am 23. November im Schützen (240°),
und am 23. Dezember hat sie ihre südlichste Stellung, das Winter-
solstiz, das Zeichen- des Steinbocks (270°), das letzte der ab-
steigenden Zeichen, erreicht. Die Tage sind jetzt am kürzesten,
die Mittagsschatten des Gnomons am längsten, der Winter beginnt.
Nun wendet sich die Sonne wieder nach Norden (Wendepunkt des
1) Diese Daten der Sonneneintritte in die 12 Zeichen entsprechen nur der
Jetztzeit. Für weit zurückliegende Zeiten gestalten sie sich wesentlich anders.
2) Die Messungen des Schattens, welchen eine auf horizontaler Ebene gehörig
senkrecht stehende Säule (Gnomon) zur Zeit der jeweiligen Kulmination der
Sonne wirft, gehört zu den ältesten Beobachtungen und zu den Anfängen der
Astronomie. Die Vergleichung zweier Zeiten, die zwischen den Tagen der kürzesten
oder längsten Mittagschatten der Sonne liegen, gab ungefähr die Länge des Jahres;
die Schiefe der Ekliptik läßt sich ebenfalls näherungsweise, wenn die geogr. Breite
des Beobachtungsortes bekannt ist, aus den Maximalhöhen der Sonne zu Zeiten
der Wendepunkte mittelst der Schattenlängen bestimmen. Die Schattenlängen eines
4ni hohen Gnomons z. B. betragen unter 52'' nördl. Br. am 22. Juni 2,2™, am
23. September 5,1™, am 23. Dezember 15,4™, unter 20" nördl. Br. an denselben
Tagen dagegen nur 0,2™ resp. 1,5™, resp. 3,8™. Als älteste Bestimmung der Schiefe
der Ekliptik wird die von Tschou-Kung um 1100 v. Chr. an einem 8 Fuß hohen
Gnomon zu Loyang (34" 47' nördl. Br.) vorgenommene Beobachtung angegeben.
Die Gnomonbeobachtungen spielen in der indischen Astronomie eine wichtige Rolle.
Auf die Schattenlängen gründet sich die Berechnung des kifjna, welches zu den
Elementen des indischen Kalenders gehört (s. § 94).
§ 5. Die Bewegung der Sonne. Jahreszeiten. Die Arten der Zeit. 15
Steinbocks, Winterpunkt) und erreiclit nach Durchlaufen des Wasser-
manns (300*^, am 21. Januar) und der Fische (330^', am 20. Februar)
mit wachsender Geschwindigkeit wieder den F r ü h j a h r s p u n k t.
Die astronomischen Jahreszeiten sind, wie man aus den
angeführten Daten der Jahrpunkte ersielit, nicht gleich lang: der
FrühUng dauert 93 Tage, vom 21. März bis 22. Juni, der Sommer
93 Tage, vom 22. Juni bis 23. September, der Herbst 91 Tage, vom
23. September bis 23. Dezember, und der Winter 88 Tage, vom
23. Dezember bis 21. März^. Die Sonne bleibt also um etwa 6 Tage
länger auf dem nördlichen Teile der Ekliptik als auf dem südlichen,
ein Hinweis darauf, daß sie sich ungleich schnell in der Ekliptik
bewegt und daß die Sonnentage veränderlich an Länge sind.
Als das Maß der täglichen Zeitmessung kann entweder der
Umschwung der Sterne oder die Bewegung der Sonne angenommen
werden. Die zwischen je zwei aufeinander folgenden Kulminationen
eines bestimmten Sterns in demselben Meridiane verfließende Zeit
nennt man einen Sterntag. Er enthält 24 Stunden Stern zeit.
Man zählt 0'' Sternzeit, wenn der Frühlingspunkt durch den Orts-
meridian geht; es ist 1^, 2'^, 3'' . . . Sternzeit, wenn der Stunden-
winkel des Frühlingspunktes 1*^, 2>i, 3^ . . . beträgt. Die Sonne be-
wegt sich aber nicht in einem Parallelkreise über und unter dem
Äquator wie der Stern, sondern in der Ekliptik. Nur am 21. März,
wenn sie im Frühlingspunkte steht, fällt ihre Kulmination nahe mit
0'' Sternzeit zusammen; die Zeit ihrer Kulminationen verschiebt sich
also desto mehr gegen die Sternzeit, je melir die Sonne in der Ekliptik
vorrückt. Vergleicht man die Sternzeit -Kulminationen eines Sterns
mit einer nach den Kulminationen der Sonne regulierten Uhr, so wird
man finden, daß am 22. ]\Iärz, einen Tag nach der Kulmination des
Frühlingspunktes, der Stern um 3'" 56^ früher durch den Meridian
geht als Tags vorher, am 23. März um den doppelten Betrag von
3™ 56^ früher u. s. f. ; um den 22. Juni geht derselbe Stern bereits
6 Stunden früher durch den Meridian als am 21. März, am 23. September
12 Stunden früher. Schließlich hat das mittlere tropische Jahr
(vgl. S. 32) einen ganzen Tag gewonnen und faßt 36(3,2422 Sternen-
tage. Während der Zeit also, wo die Sonne 365 mal kulminiert, haben
sich 366 Stern-Kulminationen vollzogen, und die Sternzeit durchlief
1) Die Erkenntnis, daß die astronomischen Jahreszeiten ungleiche Länge
haben, wird gewöhnlich dem Hippaech (150 v. Chr.) zugeschrieben. Es ist aber
kaum mehr daran zu zweifeln, daß die babylonischen Astronomen diese Kenntnis
schon vor Hipparch gehabt haben. Wenigstens geht dieses Resultat aus Kuglees
rechnerischen Untersuchungen babylonischer astronomischer Tafeln des 2. und
3. Jahrh. v. Chr. hervor. Die Chinesen dagegen haben sehr lange die Bewegung
der Sonne als gleichförmig angenommen und sollen erst im 6. Jahrh. u. Chr. die
Jahreszeiten als verschieden laug betrachtet haben.
16 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
inzwischen alle Tages- und Nachtzeiten. Die Rechnung- nach Stern-
zeit ist demnach zwar für die astronomischen Beobachtungen sehr
brauchbar \ aber für das bürgerliche Leben ganz ungeeignet, da der
Stand der Sonne, nach welchem sich unsere Zeiteinteilung richtet,
dabei unberücksichtigt bleiben muß. Aber auch die wahre Sonnen-
zeit, nämlich die zwischen je zwei aufeinander folgenden Kulminationen
der Sonne liegende Zeit, der wahre Sonnen -Tag, ist kein völlig
gleichförmiges Maß. Wie wir gesehen haben, sind die Sonnentage
veränderlich in ihrer Länge. Um nun mittelst der Sonne ein gleich-
mäßiges Maß herzustellen, führt man eine gedachte Sonne ein und
läßt dieselbe sich nicht in der Ekliptik, sondern im Äquator mit einer
gleichbleibenden Geschwindigkeit bewegen, so daß diese Geschwindig-
keit das Mittel der variablen Geschwindigkeiten der wahren Sonne
vorstellt, dabei aber die gedachte Sonne genau ein tropisches Jahr
beschreibt wie die wahre Sonne in der Ekliptik. Diese mittlere
Sonne gibt mittlere Zeit an, und zwar durch je zwei einander
folgende Kulminationen die Dauer des mittleren Sonnentages.
Es ist mittlerer Mittag an einem Orte, wenn die mittlere Sonne
durch den Meridian dieses Ortes geht. Die Astronomen zählen den
Beginn des Tages von diesem Momente an. Der bürgerliche
Tag unserer Zeitrechnung fängt aber schon mit der vorhergehenden
Mitternacht an ; man muß also auf diesen Umstand bei astronomischen
Zeitangaben achten. Beide Arten von Datierung sind kongruent im
Datum von Mittag bis zur nächsten Mitternacht, dagegen hat das
astronomische Datum einen Tag weniger als das bürgerliche für die
Zeit von Mittag bis zur vorhergehenden Mitternacht. Juli 7, 7*^ IG™
astronomisch ist also der 7. Juli bürgerlich, Nachmittag 7'' 16™ ; und
Juli 7, 19'' 16™ astronomisch kommt dem Vormittag 7'' 16™ des 8. Juli
bürgerliche Zeit gleich. — Um die wahre Sonnenzeit gegebenenfalls
in mittlere Zeit verwandeln zu können, muß man den jeweiligen
Unterschied beider Zeiten im Augenblick des Mittags kennen. Diese
Differenz heißt die Zeitgleichung; sie wird in dem Sinne in den
astronomischen Jahrbüchern angegeben, daß man sie zur wahren Zeit
zu addieren hat, um die mittlere Zeit zu erhalten. Die Zeitgleichung
variiert während eines Jahres; ihre größten und kleinsten Beträge
erreicht sie ungefähr an den folgenden Tagen: 12. Februar -\- 1472"S
14. Mai — 4™, 26. Juli + 6™, 3. November — 161/2'"- Die Verwandlung
1) Die nach Sternzeit gehende Uhr gibt iinmittelbar die Zeit des Meridian-
durchganges der Sterne an , da die Rektaszension der Sterne mit der Stenizeit im
Augenblicke des Meridiandurchganges gleich ist, oder diese Uhr zeigt auch die
Entfernung des Gestirns vom Meridiane an (in Zeit), da der Stundenwiukel gleich
dem Unterschiede Sternzeit weniger Rektaszension ist. Man begreift also, weshalb
die Astronomen ihre Beobachtungsuhren nach Sternzeit gehen lassen.
§ 5. Die Bewegung der Sonne. Jahreszeiten. Die Arten der Zeit. 17
wahrer Zeit in mittlere kommt z. B. vor bei den Ablesungen von
Sonnenuhren, wenn man Angaben der letzteren in mittlere Ortszeit
umsetzen will. — Viel häufiger hat man Sternzeitdaten in mittlere
Zeit (und umgekehrt) zu verwandeln, da die meisten Beobachtungen
in Sternzeit erhalten werden und auch viele Rechnungsresultate aus
astronomischen Tafeln in diesem Zeitmaße erfolgend
Das Rechnen mit der mittleren Zeit hat sich erst seit etwa 1780
in den europäischen Staaten allmählich eingebürgert; früher rechnete
man nach wahrer Zeit-, AVir haben oben (S. 10) gesehen, daß, um
die Zeitangaben nach zwei verschiedenen Meridianen miteinander
vergleichen zu können, die Anbringung der Längendifferenz an eine
der beiden Zeitangaben notwendig ist. Im Eisenbahn- und Telegraphen-
Verkehr brachte das Bestehen diverser mittlerer Ortszeiten verschiedene
Unzukömmlichkeiten mit sich (z. B. in den Ankunfts- und Abfahrts-
zeiten der Eisenbahn-Fahrpläne), da man dem Publikum die richtige
Reduktion der Zeiten nicht zumuten durfte. Man strebte deshalb
bald in einzelnen Staaten nach Einführung einer Einheitszeit,
1) Da auch der Historiker bisweilen (beim Rechnen mit astronomischen Tafeln)
in die Lage kommen kann, solche Verwandlungen ausführen zu sollen, so gebe ich
(mit Unterdrückung der Ableitung der Anweisung) hier wenigstens kurz die Regeln
zu solcher Rechnung an. Soll die Sternzeit T in mittlere Zeit T' verwandelt werden,
so entnimmt man aus den astron. Jahrbüchern für das gegebene Datum die , Stern-
zeit im mittl. Mittag" M und hat zu rechnen
24h gm 55 909s
T' =: (T - M) "^ 1^^ ' = (T - M) . 0,99727 ,
resp. für den umgekehrten Fall
■ T = M + T'. 24M- 3^56^«^ j, _^ T'- 1,00274.
Es sei z. B. 1906, Februar 1, 7^ 50^ 3s Sternzeit München in mittl. Zeit zu ver-
wandeln. Die Längendifferenz München-Berlin ist -|- O^^ 7™ 98. Die entsprechende
Berliner Sternzeit ist also 7h 57ni 128. Für 1. Februar 1906 gibt das Berl. Astron.
Jahrbuch M = 20^ 42™ 598. Man hat demnach T — M = 7ii 57™ 12^ — 20^ 42™ 59^
= llh 14m 13s und T' = 11h 12m 238 m. Berl. Zeit oder llh 5™ 14« m. Zeit München. —
Im Falle mau für eine weit zurückliegende Zeit die Verwandlung von Sternzeit in
mittlere Zeit auszuführen hat, ermittelt man die dazu nötige , Sternzeit im mittl.
Mittag" mit Hilfe der NEüOEBAUERschen Sonnentafeln (s. weiterhin S. 54); für
das gegebene Datum ist aus diesen Tafeln zuerst die Sonnenlänge O zu be-
rechnen und letztere mittelst der Formel tang a = tang 0 cos 8 (wobei s, die
Schiefe der Ekliptik, aus den Werten sub § 7 zu entlehnen) in Rektaszension zu
verwandeln; von letzterer hat man die ebenfalls aus den genannten Tafeln zu er-
mittelnde Zeitgleichung zu subtrahieren, das Resultat gibt die „Sternzeit im mittl.
Mittag". Für den 2. März 571 n. Chr. z. B. hat man die Sonnenlänge 343** 39',
die Schiefe der Ekliptik 23» 37', die Rektaszension 344^ 57' = 23h 0™, die Zeit-
gleichung -|- 13™, also die Sternzeit im mittl. Mittag 22h 47m. [Von der gering-
fügigen Korrektion der Sternzeit im mittl. Mittag für die einzelnen Ortsmeridiane
kann man bei historischen Zwecken absehen.]
2) Mallet führte 1780 die mittlere Zeit in Genfein; 1810 wurde sie in Berlin,
1816 in Paris eingeführt. Früher schon wurde mittlere Zeit in England angenommen.
Ginzel, Chronologie I. ^
18' Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
nämlich der Zeit eines Hauptmeridians , nach welcher sämtliche Ver-
kehrszeiten angegeben werden sollten. England wählte deshalb den
Meridian von Green wich, Frankreich die Pariser Zeit, Schweden den
um 15^ östl. von Green wich abstehenden Meridian. Zu der Zeit dieses
letzteren Meridians ging auch Deutschland am 1. April 1893 über.
Der 15. Meridian d. i. 1'^ von Green wich geht dort über Stargard,
Görlitz; die nach ihm gerechnete Zeit heißt mitteleuropäische
Zeit. Diese Zeit ist gegenwärtig auch in Österreich, Bosnien, Serbien,
Italien, der Schweiz, Dänemark und Norwegen (und, wie vorher be-
merkt, in Schweden) angenommen. Osteuropäische Zeit, nämlich
den 30. Meridian (2*') von Greenwich, haben Bulgarien, Rumänien, die
türkischen Eisenbahnen und Ägypten, westeuropäische, d. i. Green-
wicher Zeit, haben England, Holland und Belgien. Frankreich und
Algerien rechnen noch nach Pariser Zeit, Spanien nach Madrid-Zeit
(die Eisenbahnen nach Greenw. Zeit), Portugal nach Lissabon-Zeit,
Griechenland nach Athener Zeit. Die russischen Eisenbahnen richten
sich nach Petersburger Zeit, die Vereinigten Staaten haben 1883 die
Meridiane 4'\ 5*^, 6'', 7'', 8'', 9'' westl. Greenwich eingeführt und unter-
scheiden demgemäß Intercolonial time, Eastern time, Central time,
Mountain time, Pacific time und Alaska time. In Japan gebraucht
man seit 1886 den Meridian 9'^ östl. Greenwich, in Australien Zonen-
zeiten von 8 bis ll'' östl. Greenwich ^ Die Einführung der Weltzeit,
welche alle Ortszeitrechnung aufheben wird, nämlich der Greenwicher
Zeit, und des Tagesbeginns mit Greenwicher Mitternacht ist jetzt noch
ein Traum der Zukunft.
§ 6. Täglicher und jährlicher Auf- uud Uutergang der Gestirne.
In § 2 haben wir schon gesehen, daß jeder Stern wegen der
24 stündigen Umdrehung der Erde auf seinem Parallelkreise zweimal
durch den Meridian irgend eines Ortes gehen muß, und zwar in Zeiten,
die um 12'' von einander verschieden sind. Diese beiden Meridian-
durchgänge heißen obere und untere Kulmination. Zur Zeit der
Kulmination erreicht ein Stern seine größte Höhe über dem Horizonte.
Der Bogen LT zwischen dem höchsten Punkte L (Fig. 1), in welchem
der Parallelkreis des Sterns den Meridian berührt, und dem Horizonte
nennt man die Äquatorhöhe, weil dieser Bogen den Winkel;' an-
gibt, um welchen der Äquator gegen den Horizont eines Ortes geneigt
ist. Wie man leicht sieht, gibt die Summe von Äquatorhöhe und
1) Über den gegenwärtigen Stand des Gebrauchs dieser festen Meridiane in
den verschiedenen Staaten s. E. E. Hayden, The present Status of the usc of Standard
Time {Public, of the U. St. Naval Observatori/ , II. ser. vol. IV, Append. IV,
1,905 Washington).
§ 6. Täf^lifhcr und jälirlielicr Auf- und Untergang der Gestirne. 19
geogTaphischer Breite (cp) immer 90<^. Von dem Parallelkreise , den
der Stern während eines Sterntags beschreibt, kann nur ein Teil ge-
sehen werden, nämlich der über dem Horizonte des Beobachters be-
findliche Bogen ahß, da der andere, ah'ß, durch die Erde selbst ihm
verdeckt wird; der erstere Bogen ist der Tagbogen, der andere
der Nachtbogen. Die Punkte « und ß sind die Auf- und Unter-
gangspunkte des Sterns im Horizonte. Da der Meridian den Tag-
bogen (resp. Nachtbogen) halbiert, sind die halben Tagbogen, also die
Zeitdifferenzen zwischen Aufgang (Untergang) und Kulmination einander
gleicht Für alle Sterne, die im Äquator AQ selbst stehen (deren
Deklination 0*^ ist), beträgt der halbe Tagbogen 6'', also der Tag-
bogen 12''; ebensoviel der Nachtbogen. Denkt man sich einen Stern
nördlich vom Äquator, so wird ein desto größeres Stück des Tag-
bogens über dem Horizonte bleiben, je nördlicher der Stern steht;
dagegen werden die Nachtbogen dieser Sterne immer kürzer. Hat
ein Gestirn eine solche nördliche Deklination, daß (Fig. 1) der
Parallelkreis HH' gerade noch den Horizont in einem Punkte H be-
rührt, so schneidet der Parallelkreis überhaupt den Horizont nicht
mehr; der Stern hat nur einen Tagbogen, seine Deklination d ist
dann gleich der Äquatorhöhe y. Ist die nördliche Deklination eines
Sterns größer als die Äquatorhöhe eines Ortes (d. h. größer als
90*^ — cp), so wird der Stern für die entsprechende geographische
Breite zum Circumpolarstern (s. § 2) und geht für diese Breite nicht
mehr unter. Sterne mit südlicher Deklination (südlich vom Äquator)
haben für Orte der Nordhemisphäre der Erde desto kleinere Tag-
bögen, gehen also für jene Orte desto früher unter, je weiter südlich
die Sterne vom Äquator abstehen. Beträgt die südliche Deklination
mehr als 90^ — cp, so kann der Stern für den Parallelkreis der
Breite fp überhaupt nicht mehr über den Horizont kommen, und für
solche Orte bleibt der Stern unsichtbar. Betreffs der Punkte des
Horizontes, an denen die Sterne auf- und untergehen, ist folgendes
zu bemerken : Einen durch das Zenit gehenden und auf die Meridian-
ebene senkrechten größten Kreis nennt man den ersten Vertikal-
kreis; seine Schnittlinie mit dem Horizonte (die also auf dem
Meridian senkrecht steht) weist nach dem Ost- und Westpunkte
des Horizontes. Steht ein Stern im Äquator (ist somit seine
Deklination d = 0), so geht der Stern in diesen beiden Punkten auf
resp. unter. Hat ein Stern aber eine bestimmte Deklination nördlich
1) Hierauf beruht eine Methode, die Richtungslinie des Meridians eines Ortes
zu bestimmen. Man mißt das Azimut eines Sterns, bevor er in Kulmination kommt,
und mißt das Azimut wieder nach der Kulmination, wenn der Stern genau die
gleiche Höhe wie vorher erreicht hat. Das Mittel aus beiden Azimut gibt die
Richtung des Meridians.
2*
20 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
oder südlich vom Äquator, so treffen die Tagbögen den Horizont in
Punkten, welche vom Ost- und Westpunkte um ein gewisses Azimut
entfernt sind; diese Distanzen heißen die Morgen- und Abend-
weite des Sterns. Wie man aus den bisherigen Erklärungen sieht,
hängen Morgen- und Abendweite der Sterne, sowie die Tag- und
Nachtbogen, also indirekt auch die Zeiten des Aufgangs und Unter-
gangs der Sterne von der jeweiligen Deklination des Sterns und von
der geographischen Breite des Beobachtungsortes ab^. Man hat also
zuvor die jeweiligen Positionen der Gestirne zu ermitteln, welche die-
selben für ein vorgelegtes Datum einnehmen. Die Örter der Planeten,
sowie die der Sonne und des Mondes für ein historisches Datum kann
man aus den später zu erwähnenden NEUGEBAUEESchen Tafeln hin-
reichend genau berechnen. Für die Fixsterne (welche ihren Ort nur
sehr langsam ändern) genügt es, den mittleren Ort d. h. die Rektaszension
und Deklination zur Zeit des betreffenden Jahranfanges zu nehmen.
Die Positionen der hellsten (26) Sterne unseres Nordhimraels findet
man im Anhange (Tafel I) dieses Buches von 4000 v. Chr. bis 800
n. Chr. In der untenstehenden Anmerkung wird als Beispiel der Be-
rechnung die Untergangszeit für den Stern »/ Tauri (Plejaden) vom
2. März 571 n. Chr. ermittelt, und zwar für die Breiten von Athen,
Babylon, Mittelägypten (Memphis) und Zentralindien (Madras). Die Be-
rechnung des Halbetagbogens kann umgangen werden durch Benützung
1) Zur Ermittlung der Zeit des Auf- und Unterganges hat man mittelst der
Deklination S und der geogr. Breite qp den halben Tagbogen t zu berechnen nach
der Formel cos t = — tang qp tang S. Diesen Betrag t (in Zeit verwandelt) hat
man zur Rektaszension des Gestirns (d. i. die Sternzeit, zu welcher der Stern den
Meridian passiert) zu addieren resp. davon zu subtrahieren, um die Sternzeiten des
Untergangs resp. des Aufgangs zu erhalten; die resultierenden Sternzeiten sind
dann noch in mittlere Zeit umzuwandeln (s. S. 17 Anm. 1). Die Morgen- und
Abendweite M eines Gestirns ergibt sich aus sin M = sin d : cos qp. Für das obige
Beispiel der Plejaden hat man für 571 n. Chr. durch entsprechende Interpolation
aus den Ortern des Sterns rj Tauri in Taf. I des Anhangs den Sternort: Rektasz.
= 2h 25,4m, Deklin. = + IS" 39,3'. Für die Breiten von Athen qj = -(- 37" 58',
Babylon -f 32" 31', Memphis + 29" 52', Madras + 13" 4' finden sich die Halbetag-
bögen t = 711 Im, 6h 50™, 6^ 45™, ßh 18m und daraus die Sternzeiten des Unter-
gangs für diese Orte 9^26", 9^ 15™, 9h 10™, 8h 43'", welche, mittelst der „Sternzeit
im mittl. Mittag" 22h 47m (s. S. 17 Anm. 1) und Berücksichtigung der Längen-
differenz in mittlere Zeit verwandelt, die Untergangszeiten für Athen IQh 38™,
für Babylon IQh 27m, für Memphis 10h 22™, für Madras 9h 55™ ergeben. — Bei
Gestirnen, welche ihre Position rasch verändern, wie bei Merkur, Venus und nament-
lich beim Monde, hat man mit der Deklination zu rechnen, welche der Aufgangs-
resp. Untergangszeit entspricht. Da letztere bei Beginn der Rechnung niclit be-
kannt ist, muß zuerst mit provisorischen Deklinationsbeträgen gerechnet und die
Rechnung wiederholt werden. Bei der Berechnung der Auf- und Untergänge der
Sonne genügt die Anwendung der Deklination, welche im Mittag des betreffenden
Datums für die Sonne statt hat.
§ 6. Täglicher und jährlicher Auf- und Untergang der Gestirne.
21
der Tafel II im Anhange dieses Buches. Dieselbe gibt für die geogra-
phischen Breiten von 20 bis 45" nördl. Br. , d. h. für das Gebiet der
älteren Geschichte, und für Gestirne mit der Deklination von — 30"
bis 4- 49", unmittelbar den Halbetagbogen (mit Bücksicht auf Refrak-
tion; über letztere s. S. 22). So findet man für das unten (Anmerkung
S. 20) stehende Beispiel der Plejaden für die Breite von Memphis den
Halbetagbogen 6'' 47'" mit Berücksichtigung der Refraktion. Die Auf-
und Untergangszeiten der Sonne besitzen für den Historiker besonderes
Interesse, da sie zur Beurteilung der Fälle notwendig sind, ob helle
Sterne oder Planeten, oder ob die beginnende Mondsichel (das erste
Erscheinen des Mondes nach Neumond) in der Abenddämmerung oder
Morgendämmerung, welche an jene Untergangs- und Aufgangszeiten
geknüpft sind, schon sichtbar werden konnten. Da man sich die Sonnen-
längen für jedes gegebene Datum aus den NEUGEBAUEESchen Tafeln
sehr schnell berechnen kann, so setze ich hier ein Täfelchen an,
welches mit den Argumenten 0 (Sonnenlänge) und cf (geogr. Breite)
von 20 bis 45" die entsprechenden halben Tagbogen der Sonne (mit
Rücksicht auf Refraktion) liefert:
0
40"
50"
60" j 70"
80"
90"
,0 6h 2m 6h 8m
6hi5n
6 18
6 21
6 25
6 30
6 35
6b 20m 61' 2 5m
6 25 16 32
öhßoni 6^34111 61137111 61139°!
6 38 ,6 43 |6 47 6 49
6 30
6 36
6 43
6 50
6 39
6 46
6 55
7 5
6 46
6 55
7 6
7 20
:6 53
|7 3
7 16
7 31
|6 58
7 10
'7 23
7 40
7 I
7 13
7 28
7 46
6li4oni 61139111 6^13711
6 50 6 49 6 47
7 I
7 13
7 28
7 46
6 58
7 10
7 23
7 40
^ I 120" 130" I 140" 150» I i6o'> 170» i 180" j 190"
O
200"
210" I 220"
230"
6h34m 61130111 61125111 6b2oni 61115111 6li Sm
6 43 6 38 6 32 6 25 6 18 6 II
|6 43 6 38
6 53 6 46
|7 3 6 55
7 16 7 6
I7 31 7 20
6h 2ni
5h56n
5 55
5 54
5 52
5 49
5 47
jhjim 5h46ni 51141111 5I136111
5 48 j5 41
5 45 :5 36
5 41 J5 30
5 36 |5 23
5 31 5 16
5 34
5 27
5 20
5 "
5 I
5 2i
5 20
j5 II
'5 o
4 48
0= 240" 1 250" 260" 270» I 280" 290"
310" 320" 330"
540"
350"
20"
25«
30"
35"
400
45"
51132111
5 23
5 13
5 3
4 50
4 36
51129111
5h27m
5 19
5 17
5 8
5 5
4 56
4 53
4 43
4 38
4 27
4 22
51126I
5 16
5 4
4 51
4 36
4 20
511271]
5 17
i5 5
14 53
4 38
I4 22
5^^291
5 19
5 8
4 56
4 43
4 27
503211
5 23
5 13
5 3
4 50
4 36
5l»36''
5 28
5 20
5 II
5 o
4 48
51141m 5h46iii'5li5ini 5h56ni
5 34
5 27
5 20
5 II
5 I
5 48
5 45
5 41
5 36
5 31
5 55
'5 54
j5 52
'5 49
:5 47
Die Tafel ist für das Jahr 500 v. Chr. berechnet, kann aber auch für
weit von diesem Jahre abliegende Zeiten gebraucht werden, da sich
22 Astronomische Begriffe der technisclien Chronologie.
die Tagbog-en nur sehr wenig verändern'. Die Tafel werte geben,
zu 0^ (w. Kulmin. der Sonne) hinzugelegt, die wahre Zeit des Sonnen-
untergangs, von 0^ abgezogen, die wahre Zeit des Sonnenaufgangs,
bei Anbringung der Zeitgleichung (mittl. — wahre Zeit) die mittlere
Zeit. Für den 2. März 571 n. Chr. war die Sonnenlänge etwa diS^
(s. S. 17 Anm. 1), daher hat man für Athen (geogr. Br. 4- 38«)
den Tagbogen = 5^ 43'"; die Zeitgleichung betrug + 13"^, somit ging
die Sonne für Athen unter um 5^ 43'" + 13'" = 5^ b6''' abends, auf
um 18'' 17'" -H 13"^ = 6^ 30™ morgens. — Die Auf- und Untergangs-
zeiten der Gestirne werden durch die E e f r a k t i o n (Strahlenbrechung)
etwas verändert, da vermöge der letzteren die Gestirne schon sicht-
bar werden, wenn sie noch unter dem Horizonte stehen. Die Auf-
gangszeit wird dadurch um einige Mnuten verfrüht, die Untergangs-
zeit um denselben Betrag verspätet. Nicht ohne Wichtigkeit für die
Beurteilung, ob gewisse Gestirne dem bloßen Auge gegebenenfalls bei
Sonnenauf- oder Untergang sichtbar sein konnten, ist die D ä m m e r u n g.
Wenn die Zenitdistanz der Sonne 9 6 1/2^ beträgt, d. h. wenn die Somie
eVa^ unter dem Horizonte steht, tritt das Ende der bürgerlichen
Dämmerung (Abenddämmerung) oder deren Anfang (Morgendämmerung)
ein ; dieselbe bezeichnet den Erleuchtungszustand der Atmosphäre, bei
dem man etwa noch ohne künstliche Beleuchtung lesen kann. Hat
die Sonne 108*^ Zenitdistanz, steht sie also 18*^ unter dem Horizonte,
so werden erfahrungsgemäß am Abend die schwächeren Sterne für
das freie Auge sichtbar resp. erlöschen dieselben am Morgen. Dieser
Stand der Sonne bezeichnet die astronomische Dämmerung. Die
Dauer der astronomischen Dämmerung (welche also am Abend von
der Zeit des Sonnenuntergangs bis zu dem Momente währt, wo der
Sonnenmittelpunkt 18« unter dem Horizonte liegt) ist verschieden und
hängt, wie der Tagbogen, von der geogr. Breite des Ortes und der
Deklination der Sonne ab-. Bei dem vorerwähnten Beispiele für das
1) Die Veränderung der obigen Tafelwerte beträgt in 1000 Jahren zwischen
den Sonnenlängen von 240 bis 300^ und 30 bis 40" geogr. Br. nur -f 1^, zwischen
60 bis 120" und denselben Breiten — 1™, für die übrigen Sounenlängen ist sie = 0.
— Direkt würde man den Halbetagbogen der Sonne ermitteln durch taug yt^
= ^Q^ (.y — J ^^ ^ ^.^ Deklination der Sonne : d verschafft man sich mittelst der
cos (qp -j- ^)
Sonnenlänge O und der Schiefe der Ekliptik f durch sin d = sin O sin 4.
2) Um die Dauer der astron. Dämmerung zu finden, berechnet man den
Stundenwinkel des Sonnenmittelpunkts für die Zenitdistanz 108** nach den Formeln
a = i- [1080 + (g, - ^)] b = I [1080 _ (^ _ s)] sin •/..> t = V '^y^g ?
cp ist die geographische Breite des Ortes , ä erhält man aus sin d' = sin O sin s.
Der positive Wert von t entspricht der Zeit des Untergangs, der negative dem
Aufgang. Von t, in Zeit verwandelt, hat man die Zeit des Sonnenuntergangs zu
§ 6. Tägliclicr und jälirliclier Auf- und Untergang der Gestirne. 23
Datum 2. März 571 n. Chr. liatten wir für die Breite von Athen die
Unterg-angszeit der Sonne 5'' 43"' abends gefunden. Für da.s Ende
der astronomischen Abenddämmerung erhält man 7'' 11™, also betrug
die Dauer der Dämmerung P 28°»; schwache Sterne werden daher
erst nach 7'' 11™ mit freiem Auge wahrgenommen worden sein.
Die Sterne verändern ihre Stellung gegen den Äquator, d. h. ihre
Eektaszension und Deklination nur allmählich, in großen Zeiträumen.
Die Tagbogen der Sterne, die Sternzeiten des Auf- und Untergangs
(welche von letzteren und der Eektaszension abhängen) bleiben also
für einen bestimmten Ort dieselben (desgleichen die Morgen- und
Abendweiten). Da aber die Sternzeit schneller läuft als die Sonnen-
zeit und jeder Stern um 3'" 56^ früher durch den Meridian geht als
an dem vorhergehenden Tage (s. S. 15), so findet auch der Aufgang
resp. Untergang eines Sterns täglich etwa 3™ 56^ früher statt. Man
bemerkt deshalb bald bei täglicher Betrachtung des Abendhimmels,
daß am Osthorizonte immer neue Sternbilder aufgehen, während
jene, die über dem Westhorizonte bis dahin sichtbar waren, sich
ihrem Untergange zuneigen und schließlich unter dem Horizonte
verschwinden. Jeder Monat und somit auch jede Jahreszeit bringt
um Mitternacht andere Sterne in Kulmination, und der Anblick des
Sternhimmels ist so in jeder Jahreszeit ein anderer, bis nach Ablauf
eines Jahres sich der alte Umschwung des Himmels wiederholt. Für
die Bewohner Deutschlands hat gegenwärtig z. B. das Sternbild Orion
im Oktober - November am Abend seinen Aufgang; im Dezember-
Januar sehen mr Orion um Mitternacht in Kulmination ; im Februar-
März ist er aber schon so weit vorausgeeilt, daß er nach Mitternacht
untergeht; im April und Mai rückt der Untergang des Orion immer
mehr in die Abenddämmerung hinein , und im Juni geht er mit der
Sonne auf und unter, wird uns also unsichtbar; erst im August bemerkt
man vor Sonnenaufgang den Orion wieder am Osthorizonte, im
September geht er schon um Mitternacht auf, und im Oktober fällt
der Aufgang wieder auf den Abend. Die Auf- und Untergangszeiten
irgend eines Sternbildes liegen demnach in dem einen Teile der Jahres-
zeiten in der Zeit, innerhalb deren sich die Sonne unter dem Horizonte
befindet, in den andern Jahreszeiten in dem Tagesteile, während
dessen die Sonne über dem Horizonte ist. Man nennt nun jährliche
Auf- und Untergänge der Sterne (auch poetische genannt bei
den Klassikern) diejenigen, welche die diesen Sichtbarkeitsverhältnissen
entsprechenden Stellungen der Sterne gegen die Sonne bezeichnen.
subtrahieren, der übrig bleibende Betrag gibt die Dauer der astron. Abenddämmerung
an. Im oben angesetzten Beispiele ist qp = + 37'^ 58', 6 = — 6" 29', t = 107*' 48'
= 7h lim (s. auch die Tafel für die Ermittlung der Dämmerung in Necgebacebs
Abgekürzten Mondtafeln).
24 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
Es wird nämlich zunäclist zwei Tage im Jahre geben, wo Stern und
Sonne einander im Horizonte gegenüberstehen, d. h. wo der Stern in
dem Augenblicke aufgeht, in welchem die Sonne untergeht, und um-
gekehrt, wo zur Zeit des Sonnenaufgangs der Stern untergeht. Der
erstere jährliche Aufgang heißt der wahre akronychische Auf-
gang des Sterns. Für den Orion fällt dieser Aufgang in unsern
Breiten in die erste Hälfte Januar. Die zweite Art von Erscheinung
heißt der wahre kosmische Untergang des Sterns (für Orion
zu Anfang Dezember). Ferner müssen zwei Zeiten eintreten, wo
Stern und Sonne gleichzeitig miteinander auf- oder untergehen: diese
beiden Erscheinungen nennt man den wahren kosmischen Auf-
gang resp. den wahren akronychischen Untergang des
Sterns (Orion Mitte Juli resp. Ende Mai). Es ist selbstverständlich,
daß man mit freiem Auge diese vier Erscheinungen, welche man zu-
sammen wahre Auf- und Untergänge benennt, nicht wahrnehmen
kann, denn wenn Stern und Sonne gleichzeitig auf ein und derselben
Seite den Horizont aufgehend oder untergehend durchschneiden, über-
wuchert das Sonnenlicht den Stern so vollständig, daß der letztere
ganz in den Sonnenstrahlen verschwindet. Dasselbe ist auch noch
der Fall, wenn im Augenblick des Untergangs der Sonne ein Stern
eben aufgeht, oder wenn im Momente des Sonnenaufgangs der Stern
zum Untergange gelangt. Dagegen wird die Möglichkeit, den Stern
in der Nähe der Sonne zu sehen, vorhanden sein, sobald der Stern
beim Aufgange der Sonne etwas vorauseilt, oder beim Untergange
der Sonne folgt. Nach dem wahren kosmischen Aufgange, wo Stern
und Sonne gleichzeitig miteinander aufgingen, kommt der Stern Tag
für Tag etwas früher in den Osthorizont als die Sonne, und es tritt
bald die Zeit für ihn ein, wo er, falls sein Licht der ersten Größen-
klasse angehört, nicht mehr von der Sonne überstrahlt werden kann.
Der Stern wird also, nachdem er der Sonne hinreichend weit vorauf
gegangen ist, in der Morgendämmerung wieder wahrgenommen werden
können, während er bis dahin unsern Blicken durch die Strahlen der
Sonne entzogen war. Dieser erste in der Morgendämmerung sichtbare
Aufgang des Sterns heißt der heliakische Aufgang. Nach dem
heliakischen Aufgange geht der Stern täglich früher auf, seine Auf-
gangszeiten rücken allmählich in die Nachtstunden und schließlich tritt
der Aufgang in der Abenddämmerung ein. Der Aufgang wird aber
nur so lange verfolgt werden können, als die Sonne tief genug unter
dem Horizonte steht. Der letzte Aufgang, der in der Abenddämmerung
noch sichtbar ist, heißt der scheinbare akronychische Auf-
gang der Sterns. Anderseits sieht man vor dem akronychischen
Untergange des Sterns einige Tage den Stern in der Abenddämmerung
untergehen; bald wird aber der Stern in den Strahlen der nicht tief
§ 6. Tüf^licluT und jährlicher Auf- und Cntergang der Gestirne. 25
genug unter dem Horizonte befindlichen Sonne verschwinden: den
letzten noch wahrnehmbaren Untergang des Sterns nennt man dessen
heliakischen Untergang. Wenn die Untergänge endlich in die
Zeit der Morgendämmerung gerückt sind, sieht man den ersten in
der Morgendämmerung eintretenden Untergang als scheinbaren
kosmischen Untergang^
Die vier letztgenannten Erscheinungen, die heliakischen Auf-
und Untergänge und die scheinbaren akronychischen Aufgänge und
scheinbaren kosmischen Untergänge, werden unter gewissen Bedingungen
für das bloße Auge sichtbar. Hauptsächlich hängt diese Wahrnehm-
barkeit von der Helligkeit des Sterns (der astronomischen Gi'ößenklasse)
und von dem jeweiligen Tiefstande der Sonne unter dem Horizonte
ab; in zweiter Linie aber auch von der Sehschärfe der Augen des
Beobachters und von seiner Übung im Auffassen geringer Helligkeits-
unterschiede, sowie von der Durchsichtigkeit der Luft. Um bei der
Vorausberechnung der jährlichen Auf- und Untergänge diesen Be-
dingungen zu genügen, muß man der Rechnung einen Tiefstand der
Sonne zugrunde legen, bei welchem nach den Beobachtungserfahrungen
die Wahrnehmung der helleren Sterne vorausgesetzt werden kann.
Dieser Bogen der Sonne unter dem Horizonte heißt der Sehungs-
bogen {arcus visionis); er wird in Gradmaß ausgedrückt. Idelee
hat aus zahlreichen Angaben über Stern -Auf- und Untergänge bei
Ptolemäus den Sehungsbogen rechnerisch ermittelt, welcher den ver-
schiedenen Fällen genügt-. Er findet, daß die Alten bei heliakischen
Auf- und Untergängen für Sterne l. Größe einen Sehungsbogen von
11 bis 120, füi, Sterne 2. Größe 13 bis U", für Sterne 3. Größe
14 bis 16", für schwächere Sterne 15 bis 17" angenommen haben,
und daß sie beim scheinbaren akronychischen Aufgang und kosmischen
Untergang für die genannten Sternklassen 7", 8^2^ 10" und 14<^ an-
setzen. Diese Zahlen stimmen mit den Angaben von Lambeet und
WuEM und mit den Beobachtungen überein, welche in neuerer Zeit
F. J. Schmidt und F. Haetwig über die Wahrnehmung der in den
Sonnenstrahlen verschwindenden und hervortretenden Sterne mit freiem
Auge gemacht haben. Nach letzteren würde der Sehungsbogen für
den Sirius etwa 10", für Aldebaran (1. Gr.) 10 bis IP/u^ für Regulus
1) Die Auf- und Untergänge der Sterne werden bei den Griechen mit (päais
bezeichnet; den täglichen Aufgang nennen sie (Geminus c. 11) ävaroXi], den jähr-
lichen iniroli]; im Speziellen heißt bei ihnen der heliakische Aufgang = iniroli]
tcpa, der heliakische Untergang = Svatg iansQici, der scheinbare akronychische
Aufgang = iniroXi] iantQicc, der scheinbare kosmische Untergang = övaig iäa-
Die Römer wenden auf die jährlichen Auf- und Untergänge nur die gewöhnlichen
Ausdrücke ortus resp. occasus an.
2) Historische Unters, über die astron. Beobachtungen der Alten; und über den
Kalender des Ptolemäus {Abhdlg. d. Berlin. Akad d. ll'iss. phil.-hist. Kl. 1816/17).
26 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
(1,3 Gr.) 12», für « Arietis (2. Gr.) IP und für die Plejaden (»; Tauri,
3. Gr.) 15 bis 16^ betragen. Die eben genannten Beobacht ungsresultate
gelten als ungefähre Norm, erheben also keineswegs Anspruch auf
Eichtigkeit in einem einzelnen Falle. In der Tat variieren die Be-
obachtungen der heliakischen Auf- und Untergänge ungemein je nach
den Standpunkten der Beobachter und der Klarheit des Horizontes;
nicht selten gehen die Wahrnehmungen geübter Astronomen um
mehrere Tage auseinander. F. Hartwig bemerkt, daß er trotz
Übung in solchen Beobachtungen und trotz guter Augen über die
Zeit des heliakischen Untergangs der Sterne zuweilen volle 4 Tage
in Ungewißheit geblieben sei. Wenn solcher Zweifel bei den helia-
kischen Untergängen möglich ist, wo man den Stern längere Zeit
vorher sieht und man seinen Ort fast bis zum Tage des Ver-
schwindens im Gedächtnis behalten kann, so wird es erklärlich
sein, daß die lieliakischen Aufgänge noch schwieriger beobachtbar
sein müssen, da man bei diesen den Ort am Horizonte nicht kennt,
wo der Stern aufleuchten soll; und in diesem Falle haben sich die
Alten — bei Mangel an Positionsbestimmungen der Sterne — wohl
meist befunden. Wegen der Schwierigkeiten, denen solche Beobachtungen
unterliegen, können z. B. die Ägypter aus den heliakischen Siriusauf-
gängen nicht sobald die Länge des Jahres erkannt haben, wie man
vorausgesetzt hat; wenigstens darf man eine solche Erkenntnis aus
heliakischen Aufgängen niclit in die älteste Zeit setzen.
Die jährlichen Aut- und Untergänge eines Sterns sind für die
einzelnen geographischen Breiten sehr verschieden und müssen deshalb
bei chronologischen Fragen für den betreffenden Parallel besonders
berechnet werden. Abgesehen von der Position des Sterns im vor-
gelegten Jahre ist dazu die Schiefe der Ekliptik und die Sonnenlänge
bei der Zeit der Erscheinungen notwendig. Die Reclmung, die sonst,
wenn man volle Genauigkeit erzielen wollte, sehr umständlich wäre,
kann gegenwärtig mit Rücksicht auf gewisse, ganz zulässige Ver-
nachlässigungen an Schärfe, durch die Hilfsmittel bequem gelöst werden,
die W. F. WisLicENus und R. Scheam gegeben haben (s. die Literatur-
angaben in § 12). Die Resultate solcher Rechnungen gelten nur für
die Zeit, für welche gerechnet wird. Denn da sich die Positionen
der Sterne langsam im Laufe der Jahrhunderte ändern, auch die
Schiefe der Ekliptik eine andere wird und die Sonnenorte sich in
andere Jahrestage verschieben, so variieren mit der Zeit die jährlichen
Auf- und Untergänge für einen gegebenen Parallel. Ich setze hier
noch zur Illustration der Sichtbarkeit der in Rede stehenden Phänomene
die Zeit der heliakischen Unter- und Aufgänge einiger hellen Sterne
für die Breite von Athen im Jahre 431 v. Chr. nach der Rechnung
von F. Hartwig an:
§ 7. Sternbilder. VerJinder. d. Fundainentalebenen. Wirkungen d. l'räzession. 27
a Arietis (Widder)
7] Tauri (Plejaden)
a Tauri (Aldebaran)
a Canis maj. (Sirius)
a Geminor. (Castor)
a Leonis (Regulus)
« Virginis (Spica)
Heliak. Unterg.
18.— 22. März
6.— 10. April
15.— 19. April
30. Apr.— 4. Mai
3. — 7. Juni
1. — 5. Juli
18.-22. Aug.
Stern unsichtbar
März — gegen April
April — Mai
Mitte Apr. — Anfg. Juni
Anfg. Mai — Ende Juli
im Juni
Juli — Anfg. Aug.
Aug. — Septbr.
Heliak. Aufg.
7.-11. April
15.-19. Mai
3.-7. Juni
27.-31. Juni
20.— 24. Juli
6.— 10. Aug.
29. Sept.— 3. Okt.
§ 7. Die Sternbilder. Yeränderungen der Fundameutalebenen.
Wirkungen der Präzession.
Von den Sternbildern sind für den Historiker nur die von der
Nordlialbkugel der Erde aus sichtbaren von Interesse. Die auf-
fälligsten sind, nach ihrer Aufeinanderfolge in der Rektaszension ge-
ordnet, folgende:
s:!^
'ö •£
^ 2 i'
Sternbild
- So
Sternbild
-r So
,n z. .
-.3 t. .
oä 0/ -*
CS i TJH
"^zh N
■
Großer Bär (Ursa maior)
20
Großer Löwe (Leo maior)
16
Drache (Draco)
18
Jungfrau (Virgo)
16
Kleiner Bär (Ursa minor)
6
Rabe (Corvus)
5
Cepheus
10
Bärenhüter (Bootes)
17
Cassiopeja
11
Wage (Libra)
3
Andromeda
17
Krone (Corona bor.)
7
Fische (Pisces)
11
Schlange (Serpens)
11
Widder (Aries)
6
Skorpion (Scorpius)
14
Walfisch (Cetus)
16
Herkules
24
Perseus
7
Schlangenträger (Ophiuchus)
16
Stier (Taurus) Plejaden
20 u. 6
Schütze (Sagittarius)
16
Fuhrmann (Auriga)
9
Leier (Lyra)
9
Orion
16
Adler (Aquila)
11
Zwillinge (Gemini)
14
Schwan (Cygnus)
22
Großer Hund (Canis maior)
12
Delphin
5
Kleiner Hund (Canis minor)
2
Steinbock (Capricoruus)
10
Krebs (Cancer)
5
Wassermann (Aquarius)
16
Wasserschlange (Hydra)
16
Pegasus
15
Die Lage der Sternbilder gegeneinander unterliegt langsamen, aber
stetigen Veränderungen, die aus der Anziehungskraft der Sonne, des
Mondes und der Planeten auf die abgeplattete (ellipsoidische) Erde
hervorgehen. Durch diese Anziehung wird zunächst die Lage der Erd-
achse (Weltachse) geändert, wodurch die Äquatorebene Schwankungen
ausführt und daher die Sterne ihren Ort gegen letztere verändern.
Ferner wird ebenfalls durch die Einwirkung der Planeten die Lage
der Ekliptik allmählich eine andere. Äquator und Ekliptik schwanken
also gegeneinander, es ändert sich demnach ihr Neigungswinkel (Schiefe
28 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
der Ekliptik) und es erfolgt eine Verschiebung der Durchschnittslinie
beider Ebenen. Man bezieht diese Veränderungen auf eine mittlere
feste Ekliptik von bestimmter Epoche und bezeichnet die rückgehende
Bewegung der Durchschnittspunkte des Äquators mit dieser Ebene
als Lunisolar-Präzession und die periodische Bewegung jener
Durchsclmittspunkte mit Nutation. Die wahre Ekliptik (die Ebene
der Erdbahn um die Sonne) ändert ihre Lage gegen jene feste Ekliptik;
es entsteht eine Säkularveränderung der Schiefe (der wahren
Ekliptik gegen den Äquator) und die allgemeine Präzession
(die Verschiebung des Durchschnitts des Äquators und der wahren
Ekliptik auf der festen). Die periodische Nutation verändert sowohl
die Längen als die Schiefe. Mittleres Äquinoktium heißt die
Lage des Durchschnitts von Äquator und Ekliptik ohne Rücksicht
auf die Nutation; wahres Äquinoktium bezeichnet die wirkliche
Lage der beiden Durchschnittspunkte ; gleichfalls um den Betrag der
Nutation unterscheidet sich die mittlere Schiefe der Ekliptik von
der wahren. Diese Einwirkungen, welche in ihrer Gesamtheit sehr
komplizierter Natur sind und über die hier kaum mehr als Andeutungen
gegeben werden können, verändern mit der Zeit sowohl die Längen
als auch Rektaszension und Deklination der Sterne. Das Vorrücken
der Sterne parallel der Ekliptik (von West nach Ost) beträgt (1900)
jährlich in Länge 50,2564" (nach Newcomb) mit einer Zunahme von
0,0222" in 100 Jahren. Die Rektaszension der Sterne nimmt im
allgemeinen ebenfalls zu, ausgenommen bei nördlichen Sternen, wo
mitunter (wie im Drachen, Cepheus und z. T. im kleinen Bären) eine
Verminderung der Rektaszension eintritt; die Deklination nimmt bei
jenen Sternen zu, welche zwischen 18'' und 6'' Rektaszension liegen,
bei den anderen zwischen 6^ bis 18'' dagegen ab; der Betrag ist ganz
verschieden für die einzelnen Sterne und steigt bis zum Maximum
von jährlich 20". Diese jährlichen Änderungen in den Koordinaten
bleiben sich jedoch nicht gleich, sondern unterliegen langsamen Varia-
tionen. Jedem Sterne kommt also seine besondere Präzession zu. Um
die Veränderungen anschaulich zu machen, vergleicht man die oben
angegebene Präzession in Länge bisweilen mit dem Umfange der
Ekliptik und findet dann, daß der Sternenhimmel in etwa 25 800 Jahren
(360" : 50,2564") einen ganzen Umlauf (das sogen, platonische
Jahr) vollendet. Astronomisch existiert aber eine solche Periode
nicht, da das Gesetz der Veränderung, wie angedeutet, ein kompli-
ziertes ist^.
1) Zu den Ortsveränderuugen, welchen die Fixsterne unterliegen, ist noch die
sog. Eigenbewegung zu rechnen, welche aus Ursachen entsteht, die mit der
Priizession keinen Zusammenhang haben. Diese meist sehr geringe Bewegung wird
erst in neuerer Zeit allmählich für viele Sterne bekannt, durch die Vervollkommnung
§ 7. Sternbilder. Verändor. d. FundanKnitalehcnen. WirkuDgen d. Präzession. 29
Aus dem eben erwähnten Zurückgehen des Frühlingspunktes (also
auch des ihm geo-enüber liegenden Herbstjjunktes) auf der Ekliptik
um 50,2564" nach Westen folgt, daß der Frühlingspunkt allmählich in
andere Sternbilder kommt. Um 3250 v. Chr. lag er im Stier, um
1600 V. Chr. im Walfisch, um 350 v. Chr. im Widder \ gegenwärtig
befindet er sich in den Fischen, ist also seit 3250 v. Chr. um 45*^
zurückgegangen. Dementsprechend verändert sich auch die Lage der
anderen Jahrespunkte: das Herbstäquinoktium ist in der genannten
Zeit vom Skorpion durch die Wage bis zur Jungfrau gegangen, das
Sommersolstiz vom Löwen durch den Krebs in die Zwillinge, das
Wintersolstiz vom Wassermann in den Schützen.
Die numerische Veränderung der Eektaszension und Deklination
der Sterne durch die Präzessionswirkung wird aus den Zahlen der
Tafel I (s. Tafeln am Schluß dieses Bandes) ersichtlich, welche die
Positionen der 26 hellsten Sterne unseres Nordhiramels von 4000 v. Chr.
bis 800 n. Chr. , und zwar von 400 zu 400 Jahren angibt -. Da die
Tafel auf strenger Berücksichtigung der Präzession beruht, kann man
von derselben guten Gebrauch machen, wenn man die Ermittlung der
Position eines dieser hellen Sterne für ein bestimmtes Jahr behufs der
Beantwortung einer astronomischen Frage, wie der Auf- und Unter-
gangszeit des Sterns für eine gegebene Breite, der Zeit des helia-
kischen Aufgangs u. dgl. nötig hat. Die Örter der Sterne für das
Jahr 4000 v. Chr. liegen der Karte der Mondstationen zugrunde,
welche diesem Werke beigegeben ist. Man wird die großen Ver-
änderungen, welche der Sternhimmel in 6000 Jahren durch die
Präzession erfahren hat, am besten bemerken, wenn man diese Karte
mit einer modernen Sternkarte vergleicht. Die Sternbilder Widder,
W^alfisch, Perseus, Stier z. B. standen um 4000 v. Chr. beträchtlich
der astronomischen Meßapparate und Beobachtungsmethoden , und aus der Yer-
gleicbung der modernen Positionsbestimmungen mit den älteren.
1) Genauer kann man die Koinzidenzjahre mittelst des Sternverzeichnisses
Taf. I (am Schluß dieses Bandes) beurteilen. Danach war der Frühlingspunkt
390 V. Chr. bei a Arietis, 1617 v. Chr. bei cc Ceti, 3244 v. Chr. bei a Tauri.
2) Als Grundlage der Rechnung dieser Sterne wurden die im Fundamental-
katalog von Auw-ERS (Publik, d. astron. Gcsellsch. XIV Leipz. 1879) enthaltenen Stern-
örter angewendet. Die Übertragung derselben auf die verschiedenen Jahrhunderte
wurde nach den von Oppolzer {Lelirb. d. Bahjihestim. v. Kometen u. Planeten I. Bd.
2. Aufl. S. 219) entwickelten strengen Ausdrücken vorgenommen. Da den letzteren
die LEVERRiERsche Präzessionskonstante zugrunde liegt, wurden jene mittleren Stern-
örter für 1875 verwendet, welche Herz und Strobl (Denkschr. d. Wiener Akad. d.
]Vtss. XLVI. Bd. math. Kl. 1883) für diese Konstante umgerechnet haben. Die
Verbesserungen in den Angaben der Orter und der Eigenbewegung der Sterne,
die seitdem von Auwers angegeben worden sind {Ästr. Nachr. Bd. 164 S. 226 — 306),
kommen für historisch-astronomische Zwecke so wenig in Betracht, daß von einer
Zuziehung derselben bei der Rechnung abgesehen werden kann.
30 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
südlicher als gegenwärtig ; Pegasus, Fische waren südlich vom Äquator
(jetzt nördlich); dagegen standen Jungfrau, Bootes, Wage, Krone,
Skorpion nördlicher. Perseus stand dort, wo jetzt der Pegasus steht;
an der Stelle des letzteren stand der Fuhrmann, u. s. w. Anderseits
haben sich Sternbilder, die jetzt zu den nördlichen gehören, wie der
kleine Bär, Cassiopeja, Cepheus, stark von Süden nach Norden ver-
schoben. Unser jetziger Polarstern stand um 4000 v. Chr. südlicher
als jetzt das Sternbild des Cepheus liegt; damals nahm der Drache
den Nordpol ein, dessen Hauptstern, a Draconis, etwa um 3000 v. Chr.
Polarstern wurde i. Mit fortschreitender Zeit muß sich danach, da
der Äquator gegen den Horizont eines Ortes seine Lage nicht ver-
ändert, aber die Gestirne sich gegen den Äquator verschieben, der
Anblick des Sternhimmels für jenen Ort ändern. Sternbilder, die für
diesen Horizont aufgegangen sind, machen anderen Platz. Für
Deutschland z. B. werden in fernen Zeiten (in 13000 Jahren) manche
Sternbilder des Südhimmels, die uns jetzt nie sichtbar werden, wie
das südliche Kreuz , der Centaur , die südliche Krone u. a. auf- und
untergehen; dagegen werden Orion und Sirius für uns verschwinden.
Obgleich die durch die Präzession hervorgebrachten Veränderungen
in den Stellungen der Sterne im Laufe der Jahrtausende beträchtlich
sind, so müssen sie doch notwendigerweise für ein Jahrhundert oder
für ein Menschenalter der Wahrnehmung völlig entgehen. Von einer
Entdeckung der Präzession aus der Beobachtung des Himmels kann
bei den alten Kulturvölkern deshalb erst in dem Falle die Eede sein,
wo von einem solchen Volke eine bedeutende Stufe in der Astronomie
erreicht worden ist, und zwar wo im besonderen die astronomische
Meßkunst sich so weit entwickelt hat, daß auf Grund der Vergleichung
früherer und späterer Ortsbestimmungen der Gestirne die Möglichkeit
der Präzessionsentdeckung gegeben gewesen wäre. Eine solche Stufe
astronomischer Entwicklung haben aber die alten Völker während des
eigentlichen Altertums nirgends erreicht. Erst im 2. Jahrh. v. Chr.
entdeckte Hippaech durch eine solche Vergleichung von Sternörtern
die Präzession, indem er die Länge und Breite von ihm selbst ge-
messener Sternkoordinaten mit den 150 Jahre früher von Timochaeis
und Aeistyllus gemachten Beobachtungen verglich und dabei einen
1) Da die früher viel nördlichere Stellung des Drachen zu wissenschaftlichen
Kontroversen benutzt worden ist, so folgen hier die Stellungen des Hauptsterns
a Draconis:
Rektasz.
Deklin.
— 4000
171" 21'
-f (96" 58')
— 3000
172 38
+ (91 15)
— 2000
186 24
+ 85 33
— 1000
191 47
+ 79 57
0
197 58
-f 74 31
§ 8. Sonnen- und Mondbewegung. Sonnen- und Mondjahr. 31
Unterschied von 2^ in Länge fand; dies entsprach einer jährlichen
Präzession von etwa 48". Als die Entdecker der Präzession sind
also bis auf weiteres die Griechen anzusehen. Durch die Forschungen
der Neuzeit ist indessen auch die Möglichkeit, daß die Babylonier
früher als die Griechen die Präzession erkannt haben könnten, näher
gerückt worden. Bei den Babyloniern findet sich die Kunst der
Winkelmessung, wie aus keilinschriftlichen astronomischen Tafeln her-
vorgeht, schon mehrere Jahrhunderte vor Hippakch entwickelt. Nach
den Darlegungen F. Kfglees bestünde immerhin die Möglichkeit, daß
die Babylonier schon die Präzession gekannt haben. Gewißheit hat
aber diese Vermutung bis jetzt nicht erlangt.
Am Schlüsse dieses Paragraphen mag noch die langsame Veränderung
der mittleren Schiefe der Ekliptik angegeben werden, welche für ver-
schiedene astronomische Rechnungen, die in der Chronologie vorkommen,
gebraucht wird. Die mittlere Schiefe beträgt nach Xewcomb
Jahri
Schiefe
Jahr
Schiefe
3000
24« 1' 37"
0
230 41' 44'
2500
23 58 44
+ 500
23 37 58
2000
23 55 39
+ 1000
23 34 8
1500
23 52 23
+ 1500
23 30 15
1000
23 48 58
+ 2000
23 26 21
500
23 45 24
AVie man aus den Differenzen dieser Zahlem^eihe ersieht, nimmt die
Schiefe der Ekliptik allmählich, jedoch nicht völlig gleichmäßig ab.
§ 8. Sonnen- und Mondbewegung. Souuen- und Mondjahr.
Die Zeit, welche die Sonne braucht, um einen vollen scheinbaren
Umlauf in der Ekliptik zurückzulegen, nennt man das S 0 n n e n j a h r.
Es wurde früher (S. 12) schon bemerkt, daß die Sonne gegenwärtig
am 21. März den Frühlingspunkt passiert und in die drei aufsteigenden
Zeichen der Ekliptik tritt. Als Anfangspunkt des Sonnenjahrs nimmt
man diesen Jahrpunkt an; die Länge des Jahres wird also durch die
Zwischenzeit bestimmt sein, die zwischen zwei aufeinander folgenden
Durchgängen der Sonne durch den Frühlingspunkt verfließt. Dieses
Jahr, innerhalb dessen die Sonne vom Widder aus sämtliche
Zodiakalzeichen durchläuft, heißt das tropische Jahr (so nach
1) Jahre v. Chr. werden astronomisch als negative Jahre bezeichnet. Jahre
n. Chr. als positive. Die letzteren stimmen mit der historischen Zählweise überein,
z. B. -f- 1000 = 1000 n. Chr.; die negativen Jahre der Astronomen dagegen sind
um 1 kleiner als die historischen z. B. — 500 = 501 v. Chr.
32 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
den Wendepunkten, rgonal, benannt). Indessen ist der Frühlings-
punkt kein fester Punkt, sondern rückt auf der Ekliptik der Sonne
entgegen (s. vorigen Paragraph) ; es wird also dieses Jahr etwas kürzer
sein, als ein anderes, welches auf feststehende Sterne bezogen wird. Ein
Jahr letzterer Art faßt in sich die Zeit, welche die Sonne braucht,
um zu demselben Sterne zurückzukehren; man nennt es deshalb das
siderische Jahr. Das tropische Jahr stellt somit die Zeit vor
von dem Augenblicke, wo der Frühlingspunkt und die Sonne gleich-
zeitig für einen Erdort kulminieren, bis wieder zu dem Momente, wo
dieselbe Kulmination für denselben Erdort stattfindet; das siderische
Jahr dagegen liegt zwischen zwei gleichzeitigen Kulminationen der
Sonne mit einem bestimmten Sterne. Das letztere repräsentiert einen
vollständigen Umlauf, das erstere einen unvollständigen (mit Rücksicht
auf den beweglichen Frühlingspunkt). Die Länge des tropischen Jahres
war für die Alten sehr schwierig festzustellen, da es sich darum
handelte, den Zeitpunkt zu bestimmen, wenn der Sonnenmittelpunkt
den Äquator passierte. Die Beobachtungen der Schattenlänge beim
höchsten und niedrigsten Zenitstande der Sonne, um die Tage des
Sommer- und Wintersolstitiums auszumitteln (s. S. 14), gaben nur rohe
Begriffe über die Länge des tropischen Jahres. Überdies ist diese
Länge keine konstante. Da der Frühlingspunkt vermöge der Nutation
(s. S. 28) hin und her schwankt, tritt bald eine Verlängerung des
tropischen Jahres, bald eine Verkürzung desselben ein. Das
Jahr 1868/69, vom Frühlingspunkte an gerechnet, hatte z.B. eine
Länge von 365^ h^ 49'« 5% das Jahr 1869/70 3Qb'^ 5'' 58™ 57% das
Jahr 1870/71 365'' h^ 48'" 34« mittl. Zeit; aus den ansehnlichen Unter-
schieden, die sich hier zeigen, wird begreiflich sein, daß die Länge
des tropischen Jahres nur aus einer großen Reihe von Beträgen des-
selben abgeleitet werden kann, und daß es sich dabei um die Her-
stellung eines Durchschnittswertes, um die mittlere Länge handelt.
Nach Newcomb beträgt diese Länge für das Jahr 1900 n. Chr.
365,24220'* oder 365'* b^ 48™ 46,0**; sie nimmt ab, die jährliche Ver-
kürzung beträgt 0,0053^ Die Länge des siderischen Jahres
läßt sich erst dann ermitteln, wenn man die jährliche Präzession
kennt. Zu einem vollständigen Umlaufe der Sonne fehlt noch der
Betrag der Präzession, da die Sonne erst den Bogen 360'^ — 50,2564"
zurückgelegt hat. Hieraus ergibt sich, daß das siderische Jahr um
20'" 23,8'* länger ist als das mittlere tropische Jahr, somit beträgt
seine Länge 365,25636'* oder 365'* 6'' 9'" 9,8« mittl. Zeit. Wir haben
früher gesehen (S. 15), daß das aus den Kulminationen der Sterne
hervorgehende Jahr 366 Sternzeittage hat, das tropische Jahr hat
also einen Sterntag mehr als es mittlere Sonnentage faßt, es hat
demnach 366,24220 Sterntage; daraus ergibt sich das Verhältnis
ij 8. Soiiiicii- und .Mniiillx'wt'gung. .Sonnen- und Mondjahr. 33
zwischen dem mittleren Sonnentage und dem Sterntage, nämlich
365,24220 : 366,24220, oder ein Sterntag ist gleich 0,99727 Sonnentage i.
Die scheinbare Bahn der Sonne ist eine Ellipse'-. AMe schon
Seite 13 bemerkt ist, wird der Bahnpiinkt, in welchem die Sonne der
Erde am nächsten ist, das Per i hei genannt, und der Punkt, wo die
größte Entfernung stattfindet, das Aphel. Beide Punkte heißen
auch die Apsiden, und ihre Verbindungslinie die Apsidenlinie.
Im Perihel ist die tägliche Bewegung der Sonne am schnellsten,
etwa 61' in Länge, im Aphel am laugsamsten, etwa 57'. Jene Be-
wegung, vermöge welcher die Sonne wähi-end des tropischen oder des
siderischen Jalu-es wirklich 360" zurücklegt, nennt man die mittlere
(gleichförmige) tägliche Bewegung. Beim siderischen Jalu-e be-
trägt somit die mittlere siderische Bewegung 360" : 365,25636 ^= 59' 8,19 ",
die mittlere tropische Bewegung 360" : 365.24220 = 59' 8,33" in Länge
(3'^ 56,56** in Eektaszension). Auch die Apsiden sind keine un-
veränderlichen Punkte, sondern rücken gegen die Präzession vor, die
Apsidenlinie trifft also mit der Zeit immer auf andere Sternbilder.
Die Zeit von einer Stellung der Erde im Aphel bis zur Wiederkehl-
derselben Stellung im Aphel heißt man das anomalistische Jahr;
es beträgt (nach' Hansen) 365<i &" 13"^ 48,5MBittlere Zeit (365,259589
mittl. Sonnentage) , ist also um 4°i 39' länger als das siderische. —
Wegen der bald beschleunigten, bald retardierenden Geschwindigkeit
der Sonne in der Ekliptik hat man zur Zeitmessung, wie schon früher
(S. 16) bemerkt wurde, eine hypothetische, mittlere Sonne eingeführt.
der man eine gleichförmige Geschwindigkeit gibt. Wenn man beide
Sonnen, die mittlere und die wählte, vom Perihel ausgehen läßt, so
eilt die wahre alsbald voraus, da sie im Perihel ihre größte Ge-
schwindigkeit hat; dann nimmt ilu'e Geschwindigkeit ab, bis sie der
mittleren gleicli wü'd, und beide Sonnen gehen gleichzeitig dui'ch das
Aphel. Der jeweilige Winkel, um welchen die wahre Sonne sich von
der mittleren entfernt hat, heißt die Mittelpunktsgleichung.
Den größten Betrag, ungefähr 1" 55' 12", erlangt die Mittelpunkts-
gleichung etwa 90 Tage vor und nach dem Periheldiu'chgange. Um aus
der mittleren Länge (des Sonnenortes in der Ekliptik) die wahre
Länge zu erhalten, wird man also die dem Falle entsprechende
1) Hieraus erklärt sich die auf S. 17 Anni. 1 angegebene Regel zur Verwandlung
von Sternzeit in mittlere Zeit, und umgekehrt. Ein Sterntag ist um 3™ 55,91s
kürzer als der mittl. Tag (24ii — 3^ 55,91s); ein mittl. Tag ist 1,002788 Sterutage,
oder der mittl. Tag ist {2^^ -\- 3^ 56,558) Sternzeit.
2) Diese Tatsache könnte man aus Beobachtungen des Sonnendurchmessers
ableiten. Den wechselnden Entfernungen der Erde von der Sonne entsprechend
variiert der Sonnendurchmesser an Größe und zeigt ein Maximum (978") am
1. Januar, ein Minimum (946") am 2. Juli.
Ginzel, Chrouologie I. "
34 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
Mittelpiinktsg'leicliung' zu bereclinen und mit der mittleren Länge zu
verbinden haben.
Das tropische Jahr ist das Jahr des Spracligebrauchs : wenn vom
„Jahr" geredet wird, so verstellt man im allgemeinen hierunter
das tropische; die chronologischen und die Kalenderjahre sind also
tropische Jahre. Das tropische Jahr reguliert durch den wechselnden
Sonnenstand die Temperaturverteilung auf der Erdoberfläche, die
atmosphärischen Strömungen, die Niederschlagsmengen u. s. w., kurz
den Gang der Jahreszeiten. Durch die tellurischen Erscheinungen,
die es bringt, kennzeichnet sich von selbst seine ungefähre Länge,
und man kann vermuten, daß die ersten rohen Anfänge der Völker,
eine Vorstellung von der Länge des Jahres zu erhalten, von der
Beobachtung solcher Erscheinungen ausgegangen sind, wie den Ver-
änderungen in der Pflanzen- und Tierwelt, dem Wechsel der Temperatur,
dem Auftreten mächtiger Luftströmungen (der Monsune) u. s. w. Je
schärfer sich durch diese Erscheinungen in einer Klimazone die Grenzen
der Jahreszeiten markierten, desto eher konnte man an solchen Orten
einen rohen Begriff von der Länge des Sonnenjahres bekommen. Diese
Bemerkung ist chronologisch nicht unwichtig, weil darin auch der
Hinweis liegt, daß gewisse technische Einrichtungen des Jahres an
die jeweiligen örtlichen klimatischen Verhältnisse gebunden sein
können. In Indien z. B. ist das Gebiet am Indus durch Trockenheit
charakterisiert; das Gangesgebiet hat dagegen acJitmal mehr Eegen;
desgleichen hat das zentrale Indien ein viel mehr abgestuftes Klima.
Daher haben Völker, die von Nordindien nach Süden wanderten, ihre
Jahreszeitenordnung verändert. Die Ursache, daß manche Naturvölker
Südasiens nach Halbjahren rechnen, liegt in dem regelmäßig halb-
jährigen Wechsel der Monsune'.
Ebenso wichtig für die chronologischen Einrichtungen wie die
Bewegung der Sonne ist die Bewegung des Mondes. Die Bahn
des Mondes um die Erde ist, wenn wir von seiner Bewegung mit der
letzteren um die Sonne absehen, eine Ellipse von schwacher Exzen-
trizität (0,055) ; in dem einen Brennpunkte derselben steht die Erde E
(s. Fig. 4). Die Sonne, die wir uns in der Richtung S denken müssen,
1) Das Wort Monsun (vom arabischen Mansim = bestimmte Zeit, Jahreszeit)
weist schon auf das regelmäßige, an gewisse Sonnenstände gebundene Eintreten dieser
Winde hin. Der Südwest-Monsun, vom Juni bis Ende August, ist in Vorderindien
die mächtigste, bis in die Äquatorzone hinabreiehende Luftströmung. Wie beein-
flussend die Zenitstände der Sonne auf den Regen sind, sieht man aus den Regen-
zeiten in der Äquatorzone sehr deutlich ; die Sonne kommt dort zweimal im Jahre
ins Zenit, Ende März und Ende September, und demgemäß treten bald darauf
zwei Regenzeiten ein, im April und November. Für Nord-Australien ist die Sonne
Ende Oktober und Mitte Februar im Zenit, und die Regenmaxima fallen Januar
und Februar.
§ 8. SoniuMi- und .Mondbewegung. Sonnen- und Mondjahr.
35
beleuchtet dieses Körpersystem, und ihre Strahlen S' 8" können wegen
der großen Entfernung der Sonne als parallel angenommen werden.
Da eine Kugel von irgend einer Lichtquelle aus immer nur auf einer
Seite erleuchtet werden kann und die andere Seite dunkel bleiben
muß, so kann auch die Mondkugel nur auf einer, und zwar auf der
der Sonne zugewendeten Seite erhellt sein. Da der Mond, den wii'
uns während seines monatliclien Umlaufs um die Erde in den
Stellungen M«, M^
M^^ .... denken,
seine beleuclitete
Hälfte also der Sonne
zukehrt, so können
wir von dem be-
leuchteten Teile je
nach seiner Stellung
gegen uns bald mehr,
bald weniger sehen.
Der Mond bietet uns
also von einem Um-
lauf zum andern ge-
wisse Lichtgestalten
oder Phasen dar.
Steht der Mond in
der Stellung M<^, näm-
lich in der Eichtung
ziu' Sonne, oder wie
man sagt, befindet er
sich mit letzterer in
Konjunktion, so
wendet er uns nur
seine unbeleuchtete
Hälfte zu, und wir f- 4.
sehen deshalb gar ^^'
nichts von ihm. Diese Stellung heißt N e u m 0 n d oder die X e 0 m e n i e.
Der Mond bewegt sich nun von West nach Ost und kommt bald in die
Stellung M^, in welcher ein Teil seiner beleuchteten Hälfte uns als Sichel
sichtbar wii'd. Die Sichel ist anfangs (etwa 1 "2 Tage nach Neumond)
kaum noch mit freiem Auge wahrnehmbar; sie heißt Neulicht und
bildet für die Chronologie die nichtigste Mondphase, da jene alten Völker,
welche nach Mondjahren rechneten, den Monat mit dem Neulicht be-
ginnen ließen. Die Sichel wächst in den folgenden Tagen, und wenn
der Mond (nach etwa 7 Tagen) die Stellung M" erreicht hat, kehrt er
uns die Hälfte seiner dunklen und die Hälfte seiner hellen (westlichen)
36 Astroiioinische Begrifte der teclmisclien Chronologie.
Seite zu, er ersclieint uns also als leuchtende Halbkreistiäche ; dies ist
das erste Viertel. Während er beim Neulicht noch tief am West-
horizont stand und bald nach der Sonne unterging-, l)leibt er jetzt
mehr gegen die Sonne zurück und wird uns besser sichtbar. Die
Sichel nimmt mm an Breite stetig' zu, bis der Mond in Opposition
(M^^) steht. Wir sehen jetzt die volle Scheibe, der Mond geht schon
beim Untergänge der Sonne auf und ist die ganze Nacht sichtbar;
dies ist die Phase des Vollmonds. In der zweiten Hälfte der Bahn
rückt darauf der Mond wieder auf die Sonne zu (M^), sein beleuchteter
Teil liegt jetzt auf der anderen, östlichen Seite und nimmt an Breite
täglich ab, bis er das letzte Viertel (M^^) erreicht. Um diese
Zeit geht er schon in den ersten Morgenstunden auf und am Tage
unter. Zuletzt verschwindet er, mit schmaler Sichel untergehend, in
der Morgendämmerung und nimmt wieder seine Stelle als Neumond
ein. Konjunktion und Opposition des Mondes werden auch Sj^zygien,
die Stellungen im ersten und letzten Viertel Quadraturen genannte
Die Zeit, die der Mond braucht, um von einer Konjunktion zur
anderen zu gelangen, heißt der synodische Monat. Da die Neu-
monde unsichtbar sind, läßt sich die Länge dieses Monats nicht direkt
bestimmen. Unter gewissen Bedingungen ereignet sich aber die Er-
scheinung, daß bei der Konjunktion der Mond direkt in die Ver-
bindungslinie E M^ S (Fig. 4) tritt, sich also vor die Sonne stellt : dann
tritt eine Sonnenfinsternis ein, weil für uns die Sonne ganz oder teil-
weise unsichtbar wird. Anderseits kann bei der Opposition der Mond
(W^) in den Schatten, den die Erde wirft, kommen und es wird uns
der Vollmond verfinstert erscheinen: dann hatte eine Mondfinsternis
statt. Um die Länge des synodischen Monats aus diesen Finster-
nissen abzuleiten, beobachtet man die Zeit der Mitte der Verfinsterungen,
wählt mehrere weit voneinander abliegende Finsternisse aus und divi-
diert die Zwischenzeit derselben durch die Zahl der Umläufe. Man
wird aber bei dieser Vergleichung der Finsterniszeiten ziemlich von-
einander abweichende Beträge der Dauer des synodischen Monats er-
halten, da die Bewegung des Mondes in den Zwischenzeiten wegen
mannigfacher Störungen eine sehr ungleichmäßige ist, außerdem auch
die Sonne sich nicht gleichförmig schnell fortbewegt. Aus den Finster-
nissen kann man deshalb nur einen Durchschnittswert des synodischen
Monats gewinnen, der bei Verwendung sehr vieler Finsternisse dem
wahren Werte nahe kommt. Diese Länge des synodischen
Monats ist 29,53059'* oder 29'» 12M4'" 2,9^ Das Mondjahr, mit
12 synodischen Monaten, hat also 354'* 8*' 48'" 36^
Wie oben gesagt wurde, bemerkt man nach der Konjunktion, daß
1) Die Viertel heißen auch Dichotomien.
ij 8. Sonnen- und Mondbewegung. Sonnen- und Mondjalir. 37
der Mond täglich mehr und melir gegen die Sonne zurückbleibt. Er
rückt der täglichen Bewegung des Himmels entgegen von Westen
nach Osten und steht also jeden Tag in der Nähe anderer Sterne.
Die Zunahme seiner Eektaszension beträgt pro Tag etwa ISV./'; nach
mehr als 27 Tagen sieht man ihn wieder im Meridian mit demselben
Stern, mit dem er im Monat vorher kulminierte '. Diese Zeit, welche
der Mond bedarf, um wieder an einen bestimmten Meridian des Himmels
zu kommen, nennt man den periodischen oder siderischen
Monat. Die Länge dieses Monats ist 27,32166'^ oder 27'^ 7^ 43™ 11,4'
mittlere Zeit*. Etwas kleiner wird der Monat, wenn man ihn als
die Zeit eines Umlaufs vom Frühlingspunkte aus betrachtet (tropisch).
Diese tropische Monatslänge wäre dann 27,32158'^ = 21^ 7^ 43«° 4,7^
also um 7^ kürzer als die siderische. Die mittlere tropische Bewegung
des Mondes beträgt in einem Tage l'?>^ 10' 35,03"; zu einem täglichen
scheinbaren Umlauf, d. h. zur Rückkunft zu der Kulmination in einem
gegebenen Meridian braucht er 24** 50™ 28,32' mittlere Zeit ; diese Zeit
bezeichnet man als einen Mondtag.
Die Ebene, in welcher sich der Mond um die Erde bewegt, fällt
nicht mit der Ekliptik zusammen, sondern bildet mit letzterer einen
Winkel von 5° 8' 48" (hat also gegen den Äquator eine Neigung von
28^36'); dieser Winkel bleibt nicht konstant, sondern die Mondbahn
schwankt um die Mittellage etwas auf und ab (um etwa 9). Die
beiden Punkte, in welchen die Mondbahn die Ekliptik schneidet, heißen
Knoten, die sie verbindende, durch den Erdmittelpunkt gehende
Linie die Knotenlinie. Der eine Knotenpunkt, durch welchen der
Mond bei jedem Umlauf von der nördlichen Seite der Ekliptik auf
die südliche Seite übertritt, heißt der absteigende (IS) oder
D r a c h e n s c h w a n z , der andere, durch den sich der Mond von Süden
nach Norden bewegt, der aufsteigende Knoten (SL) oder Drachen-
kopf. Die Knoten unterliegen einer Bewegung, welche aus der
Attraktion der Sonne entspringt: sowohl einer regelmäßig fortschreiten-
den, wie einer in kurzen Intervallen bald vorwärts, bald rückwärts
gehenden (periodische Störung). Die Zwischenzeit der Durchgänge
r Am 2. Januar 1906 kommt z. B. der Mond mit dem Stern u Andrem, in
Konjunktion. Am nächsten Tage ist der Mond um 1,4 Stunde, am folgenden Tage
um fast 1 Stunde, am .3. Tage um P ^ Stunden von dem Stern entfernt, da der Mond
täglich später durch den Meridian geht, anfänglich " '^ Stunden, dann fast eine Stunde
später. Der Mond entfernt sich also immer mehr von dem Stern. Erst am
29. Januar kommt er wieder mit u Androm. in Konjunktion, dann am 25. Februar,
24. März, 20. April, 17. Mai u. s. f. ,
2) Die Länge des siderischen Monats findet man aus der Formel s = -^ — '——■>
J + p
wo J das siderische Sonnenjahr, p der synodische Mondmonat ist. Da J = 365,25636,
OÜ-QA..Q1 «^^ 865,"25636 • 29,53059 o-qoiaa^
p = 29,o8059'i, so findet man s ^= qq^ '-<ä.Rcr "^ 2<,32166<i.
38 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
des Mondes durch die Knoten ist dalier selir ungleich. Im allgemeinen
braucht die (von Ost nach West gerichtete) Knotenbewegung zu einem
ganzen Umlauf etwa 18,6 tropische Jahre (nach Hansen 6798*^ 8^ 3"'
9,8' mittl. Zeit). Der durchschnittliche drakoni tische Monat
(Drachenmonat), d. i. die Zeit zwischen zwei einander folgenden Durch-
gängen des Mondes durch den aufsteigenden Knoten, beträgt (nach
Hansen) 27,21222^ == 27'' 5^^ 5™ 35,8« mittl. Zeit. Die Lage und Be-
wegung der Knoten kann man ungefähr aus der Beobachtung der Mond-
finsternisse ableiten, da diese sich nur in der Nähe der Knoten ereignen.
Ebensowenig fest wie die Knoten liegen in der Mondbahn die
beiden Punkte, welche der größten Nähe zur Erde resp. der größten
Entfernung entsprechen, und in welchen sich der Mond am schnellsten
resp. am langsamsten bewegt. Diese Punkte heißen Perigäum
(Erdnähe) und Apogäum (Erdferne). Ihre Lage läßt sich aus Be-
obachtungen des größten und kleinsten Durchmessers des Mondes nur
schwierig ermitteln (nicht wie Perihel und Aphel aus dem variierenden
Sonnendurchmesser), da die Maxima und Minima des Monddurchmessers
unter sich verschieden sind. Außerdem verändern beide Punkte ihre
Lage am Himmel sehr beträchtlich ; es findet im ganzen eine Vorwärts-
bewegung (von West nach Ost) statt, aber auch zeitweises Rück-
schreiten; die Apsiden (Perigäum und Apogäum) liegen daher selten
einander gegenüber, wie es sonst bei der Sonne der Fall ist. In etwa
8,85 tropischen Jahren (3231^ 11^ 11™ 22,3« mittl. Zeit) vollenden sie
einen Umlauf. Das Mittel der Zeit, welches zwischen zwei einander
folgenden Durchgängen des Mondes durch die Apsiden liegt, heißt der
anomal istische Monat. Er beträgt (nach Hansen) 27,55460*^ =
27d 13h 18"^ 37,4« mittlere Zeit.
Alle diese Zahlenverhältnisse des Mondsystems sind jedoch nur
mittlere. Die wahre Bewegung des Mondes, welche ungemein kompli-
zierter Natur ist, läßt sich- nur immer für einen gegebenen Fall mit
Hilfe der Mondtheorie (d. h. der auf die Analysis gegründeten Theorie
seiner Bewegung) berechnen. Die elliptische Form der Bahn, welche
wir für die Bewegung des Mondes um die Erde vorausgesetzt haben,
hält der Mond nur im allgemeinen ein ; in der Tat weicht er von der-
selben fortwährend wegen der vielfachen Störungen (Ungleichungen)
ab, die durch die Anziehungskraft der Erde, der Sonne und der
Planeten hervorgerufen werden. Die größten und wichtigsten dieser
Ungleichungen sind unter den Namen Evektion, Variation und
jährliche Gleichung bekannt. Was schließlich die Frage betrifft,
welche mathematische Linie die Bahn des Mondes während des Umlaufs
mit der Erde um die Sonne darstellt, so kann man dieselbe als eine
Schraubenlinie bezeichnen mit ungleich langen Windungen, die sich im
Laufe eines Sonnen jahrs etwa 12,4 mal um die Erdbahn herumziehen.
§ 9. Sonnen- und Mondfinsternisse. 39
§ 9. Sonuen- und Mondfinsternisse.
Wenn die Bahnebenen des Mondes und der Erde nicht einen
Winkel machen würden, so könnte, wie im vorigen Paragraphen be-
merkt A\urde, öfters der Fall vorkommen, daß für uns eine Sonnen-
finsternis eintritt. Sobald nämlich der Mond die Konjunktion-
stellung M" erreicht hat (s. Fig. 4), fällt sein Schatten, den die Sonne
erzeugt, in der Eichtung gegen die Erde. Da jedoch die Neigung
der Mondbahnebene über 5" beträgt und anderseits die scheinbaren
Durchmesser des Mondes und der Sonne nur etwa '/a^ erreichen, so
streift der Mond meist unter oder über der Sonne vorbei und sein
Schatten fällt nicht auf die Erde. Die Neumonde (Konjunktionen)
bleiben daher vielfach ohne die Begleiterscheinung einer Sonnenfinsternis.
Geht aber der Mond zur Zeit der Konjunktion durch den Knoten oder
ist er in der Nähe desselben, so befindet er sich in diesem Moment
in der Ekliptik, und der von ihm ausgehende Schatten kann also die
Erde treffen. Die Sichtbarkeit der Sonnenfinsternis gestaltet sich ver-
schieden je nach der Lage des Schattenkegels. Letztere hängt von
der jeweiligen Entfernung der Sonne und des Mondes von der Erde,
d. h. von ihren scheinbaren Durchmessern ab, und von der Entfernung
der Knoten vom Neumond. Der Durchmesser der Sonne wechselt
zwischen 31' 30" bis 32' 35", jener des Mondes von 29' 30" bis über
33', je nach den Entfernungen von der Erde; der Monddurchmesser
kann also kleiner sein als der kleinste Sonnendurclimesser, und größer
als der maximale der Sonne. Infolgedessen ^\'ii'd es vorkommen, daß
die Spitze a des Schattenkegels b a c (Fig. 4) so weit von der Erde E
absteht, daß sie die Erdoberfläche nicht erreicht: dann erscheint uns
zwar der Mond zentral die Sonne zu verdecken, jedoch bleibt um den
Band der Mondscheibe ein schmaler Bing der Sonne noch hell leuchtend.
Eine solche Finsternis ist eine ringförmige (annulare) Sonnen-
finsternis. Fällt aber der Kernschatten des Mondes ganz auf die
Erde (bei d), so war der scheinbare Monddurchmesser größer als der
Sonnendurchmesser, und ein in d befindlicher Beobachter sieht die
Sonne für einige Zeit ganz durch den Mond verdeckt: es tritt für
ihn eine totale Sonnenfinsternis ein. Sie wird auch eine zentrale
genannt, weil die Mittelpunkte von Mond und Sonne für jenen Ort
zusammenfallen. Bei den ringförmigen Finsternissen erscheint der
leuchtende übrig bleibende Bing der Sonne nicht überall auf der Erde
gleich breit; für solche Orte, wo aber der Bing gleichmäßig breit
erscheint, ist die Bedeckung auch zentral gewesen ^ Endlich ent-
steht nui' eine p a r t i e 1 1 e S o n n e n f i n s t e r n i s , wenn der Schatten-
1) Die ringförmigen Finsternisse sind jedoch für die einzelnen Erdorte nicht
notwendig immer zentral.
40 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
kegel die Erde nicht trifft, wolil aber der Halbschatten b f e c auf sie
fällt ; ein Beobachter in e f sieht dann nur einen Teil der Sonne, den
oberen oder unteren verdeckt. Auch jeder totalen und ring^förmigen
Finsternis g-eht eine partielle voran und folgt derselben, da der Eintritt
und Austritt des Mondes in und aus der Sonne nicht plötzlich erfolgen
kann, sondern entsprechender Zeit bedarf. Die seltener stattfindenden
Finsternisse, bei welchen bisweilen ein Übergang der Eingförmigkeit
in die Totalität stattfindet, nennt man ringförmig- totale Finster-
nisse. Sie charakterisieren sich durch die sehr kurze Dauer ihrer
Zentralität. Da die Lage der Knoten zur Zeit der Konjunktion ver-
schieden ist, hängt die Art der eintretenden Finsternis und ihre
Möglichkeit überhaupt von der Entfernung der Knoten ab. Diese
Finsternisgrenzen sind ungefähr folgende: Ist der Abstand der
Sonne vom Mondknoten größer als 18^ 21', so tritt keine Sonnen-
finsternis ein; zwischen 12° bis 18^ 21' Distanz finden partielle Finster-
nisse statt oder können eintreten; die Grenzen für totale und ringförmige
Finsternisse sind O^'a his 12^.
Unter Größe der Finsternis versteht man gewöhnlich die Maximal-
phase, d. h. die größte Fläche, welche der verfinsternde Mond im Ver-
laufe der Sonnenfinsternis von der Sonnenscheibe verdecken kann.
Man drückt dieselbe in Teilen des Durchmessers aus oder, wie be-
sonders für die historischen Finsternisse üblich, in Zollen, indem der
ganze Durchmesser der Sonne gleich 12 Zoll gesetzt wird. Die Phase
beträgt 7 Zoll z.B. heißt, es werden "/^o oder 0,58 Teile der Sonne
verfinstert. Das Sichtbarkeitsgebiet der Sonnenfinsternisse auf
der Erde ist sehr verschieden, je nach den Verhältnissen, unter denen
sie eintreten. Im allgemeinen kann, da der Mond kleiner ist als die
Erde und letzterer 400 mal näher steht als die Sonne, immer nur ein
kleiner Teil der Erdoberfläche die Sonnenfinsternisse sehen. Für die
partiellen Finsternisse lassen sich nur die Grenzkurven des Sichtbar-
keitsgebietes angeben. Innerhalb dieses Gebietes variiert die Größe
der Verfinsterungsphase je nach der Lage des Ortes, ebenso die Zeit.
Bei den zentralen Finsternissen (den totalen und ringförmigen) läuft
der Mond-Kernschatten in Form einer Zone über die Erde ; die Grenzen
einer solchen Zone (Nord- und Südgrenzen der Zentralität) schließen
dann das Gebiet in sich, innerhalb dessen die Orte das Maximum
der Phase (Totalität, Eingförmigkeit) sehen können; die nördlich und
südlich von dieser Zone situierten Orte können die Verfinsterung nur
partiell sehen, und zwar eine desto größere Phase, je näher sie der
Zentralitätszone liegen. Die Breite der Zentralitätszone ist sehr ver-
schieden; ein Maximum erreicht dieselbe dann, wenn die Sonne weit
vom Monde und die Erde nahe demselben ist, da dann der Kern-
schatten sich auf der Erde mehr ausbreitet; die griUke Breite der
§ 9. ^>oiinoii- und Mondfinsternisse. 41
Zone kann etwa 220 km erlangen. Eine bemerkenswert schmale
Zone haben die ringförmig -totalen Finsternisse. Die Dauer der
Finsternisse ist ebenfalls verschieden. Die r4esamtdauer einer zentralen
Finsternis d. h. vom Zeitpunkte des Mondeintritts am Westrande der
Sonne (Anfang der Finsternis) bis zum Austritt am Ostrande (Ende
der Finsternis) kann etwa 2 Stunden sein; die Dauer der Totalität
und Ringförmigkeit ist viel kürzer, da der Mond vermöge seiner
schnellen Bewegung eine längere Bedeckung der Sonnenscheibe unmöglich
macht. Bei totalen Sonnenfinsternissen beträgt die Dauer der Totalitäts-
phase gewöhnlich 3 — ^5 Minuten ; länger dauernde Verfinsterungen sind
schon selten ; die nächste über 7 Minuten dauernde und auf der Nord-
hemisphäre der Erde sichtbare totale Finsternis wird die am 8. Juni
1937 stattfindende sein. Bei ringförmigen Finsternissen ist die Dauer
der Zentralität etwas größer als bei totalen und kann sogar bis auf
12 Minuten steigen. Bei den ringförmig-totalen erreicht dagegen diese
Dauer kaum einige Bruchteile von einer Minute. Schließlich muß
auch noch auf die Seltenheit totaler Finsternisse für einen
gegebenen Ort aufmerksam gemacht werden. Es können viele Jahr-
zehnte vergehen, ehe die Totalitätszonen (welche in verschiedenster
Richtung die Erdoberfläche kreuzen) wieder auf denselben Ort treffen.
Athen z. B. hat im ganzen 4. Jahrh. v. Chr. nur eine totale Sonnen-
finsternis, jene vom 15. August 310 v. Chr., gesehen.
AVas die W a h r n e h m b a r k e i t der Sonnenfinsternisse mit freiem
Auge anbelangt, so sind nur die bedeutenden Phasen sichtbar, ins-
besondere muß die Phase eine beträchtliche Größe erreicht haben,
wenn die Sonne zur Zeit der Verfinsterung hoch steht, falls die Phase
der Allgemeinheit auffallen soll. Bei sehr niedrig stehender Sonne,
am Horizonte, können auch kleinere Phasen dem freien Auge wahr-
nehmbar werden. Im allgemeinen kann man bei der Beurteilung der
Sichtbarkeit historischer Finsternisse an dem Erfahrungssatze fest-
halten, daß die Verfinsterungen erst dann die Aufmerksamkeit des
Volkes erregen, wenn die Phase wenigstens 9 Zoll erreicht hat. Die
bekannten Erscheinungen, welche den Eintritt der Totalität anzeigen,
wie die plötzliche Abnahme des Tageslichtes, die eigentümliche Färbung
des Himmels , das Sichtbarwerden von Sternen u. s. w\ , stellen sich
gewöhnlich erst bei einer Phase von 12 Zoll ein. Einzelne von hellen
Sternen oder Planeten können auch bei einer 11 zölligen Phase schon
sichtbar werden. Es mag noch bemerkt werden, daß die ringförmigen
Sonnenfinsternisse weniger auffällig sind als die totalen.
Ich wende mich nun zu den Mondfinsternissen. AVie die
Sonnenfinsternisse niu' bei den Konjunktionen (Neumonden) entstehen
können, so können die Mondfinsternisse nur bei den Oppositionen
(Vollmonden) zustande kommen. Der Kernschatten ghi (Fig. 4), den
42 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
die Erde wirft ^), zeigt, wenn man ilm in der auf die Schattenachse oi
senkrechten Riclitung- sclineidet, die Gestalt einer Kreisfläche. Dieser
Kreis ist , wenn man als Schnittstelle i , d. h. die Entfernung" des
Mondes betrachtet, immer noch größer als der Mond (der Durchmesser
des Schattenkreises ist etwa das 2,7 fache des Monddurchmessers), so
daß der Mond je nach der Lage der Bahn ganz in den Schatten ein-
tauchen kann oder nur zum Teil verfinstert wii'd. Im ersten Falle
tritt eine totale, im anderen eine partielle Mondfinsternis ein.
Wie bei den Sonnenfinsternissen entscheidet die Entfernung des Erd-
schattens vom Mondknoten, welche Art von Mondfinsternis eintritt.
Ist die Entfernung der Sonne vom (auf- oder absteigenden) Knoten
zur Zeit des Vollmonds größer als 12*^4', so findet überhaupt keine
Mondfinsternis statt. Unterhalb dieser Grenze tritt die Möglichkeit
für partielle Verfinsterungen ein; die totalen und partiellen können
zwischen 4^10' und 12" 4' sich ereignen, nur totale bedürfen der
Grenze von weniger als 4^10' Entfernung. Die Dauer der Ver-
finsterung ist bei den Mondfinsternissen, welche bloß partielle sind, sehr
verschieden, je nachdem ein kleinerer oder größerer Teil des Mondes
in den Schatten kommt, kann aber 3 Stunden erreichen; bei den
totalen Finsternissen dauert die Partialität maximal 3^/4 Stunden,
die Totalität 1^/4 Stunden. Die Phasen einer totalen Mondfinsternis
reihen sich wie folgt aneinander: Beginn (Anfang) der Partialität,
Anfang der Totalität, Mitte der Finsternis, Ende der Totalität, Ende
der Partialität. Die Größe der Verfinsterung wird in Teilen
der Linie ausgedrückt, welche man sich (für die Mitte der Finsternis)
vom Mittelpunkt der Mondscheibe bis zum Rande des Schattenkreises ge-
zogen denkt. Alle Finsternisse über 12 Zoll sind totale Verfinsterungen,
jene unter 12 Zoll partiell-. Die Verfinsterungsgröße ist nicht (wie
bei den Sonnenfinsternissen) für die Erdorte verschieden, sondern für die
ganze Erde die gleiche, ebenso der sonstige Verlauf. Das Sichtbarkeits-
gebiet der Erde für die Beobachtung der Mondfinsternisse ist viel größer
als bei den Sonnenfinsternissen. Deshalb sind für einen gegebenen Ort
der Erde viel mehr Mondfinsternisse sichtbar als Sonnenfinsternisse.
Die periodische Wiederkehr der Sonnen- und Mondfinster-
nisse hängt von dem Verhältnis des sjiiodischen Lhnlaufs zum di-ako-
nitischen ab". Die Wiederholung der Finsternisse tritt in Zeiträumen
ein, welche eine ganze Zahl beider dieser Umläufe in sich enthalten.
1) Der Halbschatten ist für eine merkbare Verfinsterung des Mondes zu schwach.
2) Die Astronomen der früheren Zeit geben die Verfinsterungsgröße (von
Sonnen- und Mondfinsternissen) durch 12 digiti an, welche die Größe der ver-
finsterten Oberfläche darstellen. Ungefähr ist 1 Zoll = 0,4 digiti, 2 Zoll = 1,0 digiti,
3 Zoll = 1,7 digiti, 4 Zoll = 2,6 digiti, 5 Zoll = 3,6 digiti, 6 Zoll = 4,7 digiti,
7 Zoll = 5,8 digiti, 8 Zoll =: 7,0 digiti, 9 Zoll = 8,2 digiti, 10 Zoll = 9,5 digiti,
11 Zoll = 10,8 digiti, 12 Zoll = 12 digiti.
i? 10. Pluncteiicrscheiiuxngen. Sonstige Pliänomene. 48
Die Periodizität hänget also von dem Verhältnis 27,21222'' : 29,53059'*
ab. Verwandelt man diesen Bruch in einen Kettenbruch, so erhält
,. ^T-i . 12 13 38 51 242 777 , ,
man die Näherungswerte jy, -^, ^, ^, ^^, ^-^, u. s. w., d. li.
11 synodische Monate = 12 drakonitischen, 12 synod. = 13 drak. u. s. f.
Von diesen Näherungsbrüchen sind die Verhältnisse 223 synod. = 242
drak., und 716 synod. = 777 drak. bereits recht genaue, da die
Differenz in Tagen beim ersteren nur 0,0359'*, beim letzteren gar nur
OjOOßS"* beträgt. Man wird also die Wiederkehr der Finsternisse nach
Zeit und Grüße erwarten können nach je 223 synodischen Monaten
oder 6585 '/g Tagen = 18 Jahren lO^/s Tagen; oder aber beim zweiten
Verhältnis nach 716 synodischen Monaten = 21144 Tagen = 57 Jahren
325 Tagen. Die erstere Periode ist der babylonische Saros.
Die Brauchbarkeit dieser und anderer Perioden, die man für die
Vorausbestimmung der Finsternisse angegeben hat^, erleidet aber
Einbuße, wenn es sich (und dies ist für das Altertum der eigentliche
Fall) darum handelt, die Finsternisse voraus anzugeben, die alle für
ein bestimmtes Land oder einen bestimmten Ort stattfinden sollen.
Dann zeigt sich, daß der babylonische Saros bei weitem nicht den
"Wert besitzt, den man ihm in astronomischen Handbüchern oft bei-
legt. Dagegen steigt die Leistungsfähigkeit des Saros, wenn man
nicht den einfachen, sondern den dreifachen d. h. die Periode 54 Jahre
33 Tage anwendet. Bei den 128 Sonnenfinsternissen, die z. B. zwischen
900 bis 1 V. Chr. für Kleinasien auffällig gewesen sind, würde mau mit
dem einfachen Saros nur fünfmal einen Treffer machen (also 10 Finster-
nisse dem Datum nach richtig treffen) ; bei Anwendung des dreifachen
Saros macht mau dagegen 27 Treffer, ferner 12 doppelte, di-eifache und
vierfache Treffer (mit 95 Finsternissen). Die moderne Astronomie
rechnet selbstverständlich nicht mehr mit solchen Perioden, da diese
immer nur als Annäherungen und nicht als zuverlässig zu betrachten sind.
§ 10. Die Plaueteuersclieinungeii. Sonstige für die Chronologie
bemerkenswerte Phänomene.
Von den Planeten kommen für die Chronologie nur Merkur.
Venus, Mars, Jupiter und Saturn in Betracht. Die ersteren beiden
1) Solche Perioden sind z. B. 6444 svnod. M. = 6998 drak. = 190295 Tage
(521 Jahre); 1.33449 Tage (365 Jahre 182 Tage) u.a. Merkwürdig ist, daß auch
der Kallippische Zyklus, wenn er um einen Mondmonat vermindert wird, für
Finsternisvorausbestimmungen geeignet wird , wie L. Schlachter gesehen hat.
Dieser Zyklus bezweckt nur den Ausgleich des Sonnenjahrs mit dem Mondjahre
und faßt 27 759 Tage oder 76 Jahre. Vermindert man ihn um 29 Tage, so sind
die restlichen 27 780 Tage ;= 989 synod. Mon. = 1019 drakon. Mon. Dieser ver-
kürzte Kallippische Zyklus gleicht also das Verhältnis zwischen synod. Mon. und
Knoteubewegung ebenfalls aus.
44 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
bezeichnet man als untere (innere) Planeten, die anderen als obere
(äußere), weil die Bahnen der unteren zwischen Sonne und Erde, die
Bahnen der oberen außerhalb der Erdbahn liegen. Die Planeten
mußten schon in den Anfängen der Himmelsbetrachtung durch ihre
eigene, von den Sternen verschiedene Bewegung, durch ihre zeitweisen
Stillstände, ihr Vor- und Eückwärtsgehen, durch die Schleifenbildung
in ihren scheinbaren Balinen und durch ihre an die Sonne gebundenen
Stellungen auffallen. Merkur und Venus zeichnen sich, entsprechend
ihrem im Verhältnis zu den anderen Planeten kleinen mittleren
Abstand von der Sonne, durch rasche Bewegung aus. Sie entfernen
sich nie weit von der Sonne, sondern werden in der Nähe derselben
bald in der Morgendämmerung, bald am Abendhimmel sichtbar (Morgen-
und Abendsterne); insbesondere wechselt Merkur sehr oft diese
Stellungen und ist deshalb wegen seines meist tiefen Standes mit
bloßem Auge nicht leicht zu sehen. Wenn ihre Rektaszension zu-
nimmt, die Planeten sich also von West nach Ost (gegen die Sonne)
bewegen, nennt man ihre Bewegung recht lauf ig. Öfters ver-
langsamt sich diese Bewegung, der Planet scheint einige Zeit an
einem Punkte des Himmels still zu stehen, worauf er rückläufig
wird, d. h. anfängt sich in entgegengesetzter Richtung zu bewegen;
nach einigen Tagen steht der Planet wiederum still, und schließlich
eilt er wieder in der Richtung West-Ost mit wachsender Geschwindig-
keit der Sonne nach. Es entsteht also in dem Wege des Planeten
eine Schleife; um die Zeit dieser Schleif enbildung hat der Planet
seine Konjunktion mit der Sonne, und zwar liegt die innere
(untere) Konjunktion gegen uns zu, vor der Sonne, die äußere
(obere) Konjunktion jenseits (hinter) der Sonne. Da der Planet
einmal zurückbleibt, das andere Mal voreilt, so erreicht er auf der
westlichen (rechten) Seite der Sonne resp. auf der östlichen (linken)
einen Grenzwert des Abstandes von der Sonne; die größte Distanz
auf der westlichen Seite heißt die westliche Elongation, jene auf
der östlichen die östliche Elongation. Die Elongationen betragen
beim Merkur nahezu 23", bei Venus über 46*^. Die äußeren Planeten,
Mars, Jupiter, Saturn, haben ebenfalls ihre Konjunktionszeiten; sie
werden (wegen ihrer langsamen Bewegung) durch die Sonne eingeholt
und werden uns auf einige Zeit in dem sie überstrahlenden Sonnen-
lichte unsichtbar. Allmählich bleiben sie gegen die Sonne zurück und
erreichen bei 180*^ ihren Gegenüberstand von der Sonne, ihre
Opposition. Um diese Zeit sind sie uns die ganze Nacht sichtbar.
Merkur und Venus haben keine Oppositionen, sondern nur Konjunk-
tionen. Die Oppositionszeiten der äußeren Planeten, welche zugleich,
wie bemerkt, die Zeit ihrer besonders guten Sichtbarkeit für das
freie Auge bezeichnen, bleiben selbstverständlich nicht in jedem Jahre
i^ 10. l'lanetenerscheinungen. Sonstige Phänomene. 4o
die gleichen, sondern verschieben sich allmählich. Jupiter z. B. hatte
im Jahre 1894 seine Opposition im Dezember; seither verschob sich
die Oppositionszeit jährlich um einen Monat, so daß er 1001 die
Opposition im Juni erreichte und erst 1906 wieder im Dezember in
Opposition kommt. Bei Saturn rücken die Oppositionen langsamer
weiter als bei Jupiter; 1894 war Saturn im April in Opposition.
1906 hatten sich seine Oppositionen erst bis in den September ver-
schoben ^
Die Oppositionen der äui>eren drei Planeten führen zu einer Be-
merkung, welche für die Jahrformen in der Chronologie wichtig ist.
Diejenigen Oppositionen werden den schönsten Anblick des Planeten
darbieten, welche in die Jahreszeit der langen Nächte fallen; der
Planet wird in seinem vollen Lichte sich zeigen, wenn er nicht zu
ungünstig (nicht zu südlich vom Äquator) steht. Da nun die Oppo-
sitionen, wie oben gesagt, nach einer Eeihe von Jahren in dieselbe
Jahreszeit zurückkehren, so wird auch eine besonders günstige, in
welcher der Planet besonders auffällig und leicht erkenntlich erschien,
nach einer gewissen Jahresreihe zur selben Zeit ^wiederkommen. Der
Planet steht dann (infolge seines siderischen Umlaufs) das ganze Jahr
wieder in denselben Sternbildern und bei den hellen Sternen, wo
er vor Jahren gestanden hat. So wiederholt sich die Eückkehr in
dieselben Himmelsstellungen bei Jupiter nach je 12 Jahren (1879.
1891, 1903), bei Saturn nach 29 Jahi-en (1845, 1874, 1903), bei
Mars nach 2 bis 5 Jahren (Herbst 1886, Januar 1888, 1903); auch
Venus kehi't nach 8 Jahren in dieselben Stellungen zuiiick (1879.
1887, 1895, 1903). Es ist deshalb erklärlich, daß die alten Völker
in den Zeiten, wo die Planeten noch durch Götter personifiziert und
ihnen bedeutsame Eigenschaften beigelegt WMirden, dieser periodischen
Wiederkehr der Planeten besondere Beachtung geschenkt haben"-.
Auf diese Weise wahrscheinlich entstanden Planetenjahre, wie der
12 jährige und 60 jährige Jupiterzyklus der Inder,
Die Planeten kommen bei ihrem zeitweisen Voreilen und Zurück-
bleiben auch häufig in gegenseitige Konjunktion und stehen dann
1) Die KoujuuktioDszeiten von Mars, Jupiter und Saturn rücken in
Intervallen vor, welche den Oppositionen entsprechen. Bei Saturn liegen die Kon-
junktionen um 377 Tage auseinander, bei Jupiter um 403 Tage, bei Mars um 2 Jahre
46 Tage (1906). Gegenwärtig (1907; fällt die Konjunktion von Jupiter in den Juli,
von Saturn in den März, von Mars in den August.
2) Die ßabylonier kannten bereits solche Planetenperioden. Auf drei keil-
iuschriftlich erhalten gebliebenen Tafeln {Zeitschr. f. Assyr. V 342) wird z. B. ein
bestimmtes Jahr der seleukid. Ära durch ein Beobachtungsjahr plus der Planeten-
periode ausgedrückt ; für Venus gebrauchen die babylonischen Astronomen 8 Jahre
(wie oben), für Jupiter 83 (die etwa 7 fache Periode), für Mars 79 (die 16 fache
Periode), für Saturn 59 Jahre (die doppelte).
46 Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.
öfters einander recht nahe. Am auffällig-sten wird eine solche
Erscheinung, wenn mehrere der hellsten Planeten sich zu einer
Konstellation vereinigen und durch längere Zeit in einem Stern-
bilde dicht beisammen stehen. In der Mitte des Dezember 1901
konnte man in unsern Gegenden in den ersten Abendstunden eine
Konstellation von Mars, Jupiter und Saturn im Sternbilde des Schützen
(beim Sterne n Sagitt.) bemerken. Historische Konstellationen fanden
statt z. B. zur Zeit der Geburt Christi, vor der Geburt Mohammeds
(die „Konstellation der Religion"); die Inder rechnen die Epoche des
Kali-yuga von einer angeblich allgemeinen Planetenkonjunktion am
17. Febr. 3102 v. Chr.
Einige Bemerkungen verdient noch die H e 1 1 i g k e i t des Planeten
Venus. Dieser Planet kann um mehr als 4 Größenklassen heller
werden als Arktur (Bootes) und ist dann, wenn man seinen Ort am
Himmel kennt, selbst am Tage mit freiem Auge wahrnehmbar. Das
Licht von Venus wechselt mit den Planetenstellungen gegen die Sonne;
das Maximum des Glanzes tritt etwa 37 Tage vor und nach der
unteren Konjunktion ein^; obwohl die Differenz zwischen dem Maximum
des Glanzes und der mittleren Phase nur eine Viertel - Größenklasse
beträgt^, so muß Venus in Gegenden, die durch besonders klare Luft
ausgezeichnet sind, zu diesen Zeiten doch einen auffälligen und pracht-
vollen Anblick darbieten, welcher sich namentlich durch die Rück-
künfte von Venus in dieselben Himmelsplätze (alle 8 Jahre) in der
Erinnerung der Völker befestigt hat. — Jupiter und Mars können
bei günstigen Oppositionen etwa eine Größenklasse schwächer werden
als Venus. Die Helligkeitsschwankungen sind bei diesen beiden
Planeten unbedeutend. Größer sind die Helligkeitsdifferenzen an
Saturn, bei welchem sie 2 Größenklassen betragen können.
Von den sonstigen Erscheinungen, welche der Himmel dem freien
Auge darbietet, wären hauptsächlich die Kometen zu erwähnen,
über welche sich Aufzeichnungen aus sehr zurückliegender Zeit (bei
den Chinesen) vorfinden. Welchen Weg am Himmel ein Komet
zurückgelegt hat, läßt sich rechnerisch nur ermitteln, wenn hin-
reichende Angaben vorhanden sind, um seine Bahn bestimmen zu
können; desgleichen läßt sich die Frage, ob ein bestimmter Komet
schon zu einer anderen, früheren oder späteren, Zeit erschienen sein
könnte (periodisch wiederkehrend wäre), erst beantworten, wenn seine
Bahnbestimmung verbürgt ist. — Schließlich haben noch die periodischen
Sternschnuppenschwärme einiges Interesse für den Historiker,
1) Die unteren Konjunktionen (und die oberen) wiederholen sich bei Venus
nach etwa 584 Tagen; ebenso die Elongationen.
2) s. G. Müller, Die Photometrie der Gestirne. Leipz. 1897 S. 366.
§ 11. Allgemeine Bemerkungen über die Hilfe der Astronomie. 47
da sich in den Annalen hie und da ebenfalls Aufzeichnungen über diese
Erscheinungen vorfinden. Kann man aus den Angaben konstatieren,
aus welcher Gegend des Himmels (Sternbild) ein solcher Schwärm
scheinbar zu kommen schien, so läßt sich ein Rückschluß auf die uns
derzeit bekannten Sternschnuppenschwärme machen und die vermutliche
Zeit der Erscheinung näher definierend
B) Hilfsmittel der Chronologie.
§11. Allgemeine Bemerkungen über die Hilfe der Astronomie.
Der Nutzen, den die Astronomie bei chronologischen Untersuchungen
gewähren kann, besteht hauptsächlich darin, daß sie astronomische Er-
scheinungen, von denen in historischen Quellen die Rede ist, oder
chronologische Einrichtungen, welche auf jenen Erscheinungen auf-
gebaut sind, rechnerisch fixieren hilft. Der Stand, den gegenwärtig
die theoretische Astronomie erreicht hat, ermöglicht es, solche Fest-
stellungen und Nachweise mit viel größerer Zuverlässigkeit vornehmen
zu können, als dies in früherer Zeit der Fall sein konnte. Unsere
Tafeln der Bewegung der Sonne, des Mondes und der Planeten, die
Positionen der Fixsterne u. dergl. sowie die verbesserte Kenntnis der
astronomischen Konstanten und ihrer langsamen Veränderungen haben
gegenwärtig einen hohen Grad an Schärfe erlangt, so daß man mit
diesen Hilfsmitteln rechnerisch auch bis auf entfernte Zeiten zurück-
gehen kann ; höchstens läßt unsere Kenntnis der Bewegung des Mondes
für die älteste Zeit noch einiges zu wünschen übrig. Ferner sind —
und dies ist ein sehr beachtenswertes Moment — in neuerer Zeit
speziell für chronologische und historische Zwecke mit Aufgeben der
äußersten Genauigkeit eingerichtete, aber die Wahrheit doch treffende
Hilfsmittel geschaffen worden, welche die Beantwortung der sich ein-
stellenden Fragen mit Bequemlichkeit und vor allem mit einem viel
geringeren Zeitaufwand gestatten, als es früher der Fall gewesen ist.
Die Hilfe, welche die Astronomie durch diese Eim-ichtungen ge-
währen kann, ist aber au die historischen Grundlagen gebunden, unter
welchen die betreffende Frage formuliert wird. Der Erfolg hängt
also weniger von der Rechnung ab als davon, ob der Inhalt der
historischen Nachricht hinreichend verbürgt, ob eine Inschrift richtig
1) Von den zahlreichen Werken , welche eingehendere Belehrung über die
hier nur kurz behandelten Gegenstände geben, seien zwei besonders brauchbare
den Historikern empfohlen: Th. Epstein, Geonomie. "Wien 1888; und H. C. E. Martcs,
Astronomische Erdkunde. 3. Aufl. Dresden, Leipzig 1904 (das erstere Werk mit
mehr, das zweite mit weniger Anforderungen an mathematische Kenntnisse).
48 Hilfsmittel der Chronologie.
gelesen und sinngemäß übersetzt ist, ob die zeitlichen Grenzen der
berichteten Tatsachen festgestellt werden können, ob ein Anhaltspunkt
über den Ort, wo eine astronomische Erscheinung beobachtet worden
sein soll, vorhanden ist u. s. f. Sind diese näheren Umstände, welche
eine Frage begleiten, gesichert, so können die astronomischen Hilfs-
mittel oft direkt entscheidend eingreifen ; bisweilen müssen sie sich
aber mit dem Hinweise auf gewisse Möglichkeiten begnügen; sie ver-
sagen endlich auch hie und da, wenn entweder die historischen Grund-
lagen sehr unsicher sind, oder wenn sich die rechnerisch ermittelten
astronomischen Erscheinungen so gruppieren, daß eine Entscheidung
nicht getroffen werden kann. Es wird nicht überflüssig sein, die
Resultate, die man gegebenenfalls von der Astronomie zu erwarten
hat, durch einige Beispiele nachstehend zu illustrieren.
Bei Plutaech {de facie in orhae limae c. 19) ist die Rede von
einer Sonnenfinsternis, welche um Mittag eingetreten und so bedeutend
gewesen sei, daß die Luft eine Färbung wie um die Zeit der Dämmerung
angenommen habe, und daß viele Sterne sichtbar geworden seien. Nach
den sorgfältigen Untersuchungen von Pomtow über die Lebensumstände
Plutaechs ist das wahrscheinlichste Geburtsjahr des Plutaech das
Jahr 45 n. Chr., er muß mindestens bis 125 n. Chr. gelebt haben, da
er die Aufstellung der Hadrianstatuen überwacht hat und diese nicht
vor Mitte 125 errichtet worden sind. Seine Familie entstammte der
Gegend von Delphi, er war Delphischer Bürger, bekleidete städtische
und Tempelämter; sein Wohnort war (abgesehen von seinen Reisen)
meist Delphi und Chäronea. Die Schrift de facie gehört wie die
meisten seiner philosophischen Werke in die jüngere Lebenszeit; zur
Zeit Neros, um 67 n. Chr., war Plutaech in Delphi, beteiligte sich
an den philosophischen Unterhaltungen und beschäftigte sich mit mathe-
matischen Wissenschaften {de el apud Deljjhoa). Damals, unter dem
Eindruck der großen Sonnenfinsternis, entstand wahrscheinlich die
Schrift de facie. Die Zeit der Sonnenfinsternis liegt demnach etwa
um 67 n. Chr.; der Ort, wo sie äußerst auffällig war, ist Delphi oder
Chäronea. Auf Grund dieser sehr gut definierenden Umstände ergibt
sich aus der astronomischen Untersuchung der in Betracht kommenden
Finsternisse mit Sicherheit, daß die gemeinte Sonnenfinsternis keine
andere sein kann als die ringförmig-totale vom 20. März 71 n. Chr., da
diese sowohl für Delphi als für Chäronea nach ll'> Vormittag total
war. Plutaech war 26 Jahr alt, als er die Finsternis beobachtete.
Neben diese vollständig sichere Finsternisbestimmung will ich
gleich eine zweifelhaft gebliebene setzen. Nach Zonaeas (IX 14) sollen
die Karthager während der Schlacht bei Zama mit wenig Kampflust
gegen die Römer gekämpft haben, da „die Sonne sich ganz verfinstert
hatte". Als Ort der Schlacht wird Zama regia (nach Mümmsen) oder
§ 11. Allgemeine Bemerkungen über die Ililt'c der Astroiiomle. 49
Ost-Zaiiia (J. Schmidt) im karthagischen Afrika angenommen. Für
das Jahr dieser Sclilacht (202 v. Chr.) gibt es aber keine Sonnen-
finsternis, die in Nordatrika hätte halbwegs auffällig sein können ; von
einer totalen kann überhaupt keine Rede sein. Nur die Finsternis
vom 19. Oktober 202 v. Chr. war zu Zama regia vormittags mit einer
Maximalphase von S^'g Zoll sichtbar; eine so geringe Phase kann aber
mit freiem Auge gar nicht wahrgenommen werden, um so weniger, als
die Sonne zur Verfinsterungszeit schon eine Höhe von 32" über den
Horizont erreicht hatte. Die Finsternis ist wahrscheinlich nur vor-
ausgesagt worden ^
Während die astronomische Rechnung in den beiden vorgenannten
Fällen eine positive Antwort erteilen kann, in dem einen Falle be-
jahend, im anderen verneinend, bleibt sie im Resultat bei einer weiteren
Finsternis, die für die römische Chronologie viel besprochen worden ist,
ganz zweifelhaft. Bei Ciceeo {de repuhl. I § 25) findet sich ein Vers
nach Exxirs zitiert, welcher als Beschreibung einer bei Sonnenunter-
gang vorgefallenen Sonnenfinsternis gedeutet worden ist. Man hat
daraus die Gleichung 350 urb. cond. = 400 v. Chr. gezogen, voraus-
setzend, daß es sich in dem Verse um die totale Sonnenfinsternis vom
21. Juni 400 v. Chr. handelt. Andere dagegen nehmen eine andere
Gleichung und demgemäß eine andere Abend-Sonnenfinsternis an, während
manche Forscher nach besonderen Deutungen des Verses und diesen
entsprechenden Tagesfinsternissen suchen. Die astronomische Rechnung
kann keine Entscheidung bringen, da der Fall, daß für Rom bei Sonnen-
untergang beträchtliche Verfinsterungen sich ereignet haben, in der
Nähe des Jahres 400 v. Chr. noch dreimal vorkommt, und zwar 405,
399, 391 V. Chr. Weil also die historischen Grundlagen hier bedenk-
lich sind und die Rechnung keinen Beitrag zur Entscheidung stellen
kann, gehört die ENxius-Finsternis zu den zweifelhaftesten Finsternissen.
Um von historisch gemeldeten Planeten-Konstellationen ein Bei-
spiel zu geben, sei die Konstellation von Jupiter und Saturn im Skor-
pion erwähnt, welche arabische Schriftsteller vor die Zeit der Geburt
Mohammeds, in das Frühjahr 571 n. Chr. setzen. "\\''ie die Rechnung
zeigt, standen in der Tat von Mitte Februar bis nach Mitte März
571 n. Chr. die Planeten Jupiter und Saturn im Skorpion dicht über-
einander.
Zuletzt setze ich noch ein Beispiel für die Beantwortung der
Frage, ob die Neumondsichel (das Neulicht) an einem bestimmten Tage
gesehen werden konnte, hier an. Zur Bestimmung der Regierungszeit
1) ZoNABAs, ein Byzantiner, benützt als Hauptquelle (bis zur Zerstörung von
Karthago) den Dio Cassius. Die Finsternis wird sonst von keinem der römischen
Schriftsteller erwähnt. Zonakas schrieb überdies erst im 12. Jalirh. n. Chr.
Giuzel, Chronologie I. 4
50 Hilfsmittel der Chronologie.
Thutmosis HL wird unter andern der Neumond, welcher am 22. Febr.
1477 V. Chr. morgens eintrat, herangezogen ^ Es fragt sich, ob am
nächsten Tage, dem 23. Febr. abends, die neue Mondsichel in Ägypten
unter etwa 30° n. Br. schon sichtbar sein konnte. Die Ermittlung
der Mondörter für den 22., 23., 24. Febr. des genannten Jahres mit
Hilfe der NEUGEBAUERSchen Mondtafeln und die Berechnung der Unter-
gangszeiten des Mondes aus diesen Örtern ergibt, daß der Mond unter
jener Breite am 23. Februar etwa um 7'' 4"^ mittl. Zeit unterging. An
diesem Tage erfolgte der rechnerisch ermittelte Untergang der Sonne
(wobei die Sonnenörter aus Neugebauers Sonnentafeln genommen sind)
um 5'' 43"*; die Dauer der astronomischen Dämmerung (s. S. 22) be-
trug an diesem Tage 1'' 26™, also konnten schwächere Sterne erst
etwa um 7*' 9^" für das freie Auge sichtbar werden. Da der Mond
aber schon vor dieser Zeit unterging, ist nicht besonders wahrschein-
lich, dai5 man die feine Sichel schon gesehen hat, um so mehr, als nur
0,04 des Monddurchmessers erleuchtet waren. Für eine so entlegene
Zeit, wie das in Eede stellende Jahr, können jedoch unsere Mond-
tafeln den Mondort und also dementsprechend die Untergangszeit nur
genähert angeben. Die Möglichkeit ist sonach nicht ausgeschlossen,
daß die Sichel noch sichtbar gewesen ist, aber das Gegenteil ist
ebenso leicht möglich.
§ 12. Spezielle astronomische Hilfsmittel.
Was nun die rechnerische Untersuchung von Fragen, wie solche
beispielsweise eben angeführt worden sind, betrifft, so kann ich nur
die neueren Hilfsmittel hier namhaft machen. Von den älteren ist
vieles, besonders die Sonnen-, Mond- und Planetentafeln, veraltet, und
es ist ratsam, die neueren Tafeln zu benützen, wenn man zuverlässige
Eesultate erhalten will.
Die Sonnenfinsternisse werden gegenwärtig nach der von
P. A. Hansen aufgestellten 'Theorie der Sonnenfiiideiiiisse und ver-
ivandter Erscheinungen (Ähhdlg. d. h sächs. Ges. d. Wiss. JF Leipz. 1858)
berechnet. Die Sonnenörter entnimmt man dabei den Tafeln von
Leverrier oder von Newcomb, die Mondörter den Mondtafeln von
Hansen. Da indessen die Berechnung der Sonnen- und Mondörter
nach diesen Tafeln schon für sich eine beschwerliche Arbeit ist, die
nur in dem Falle notwendig wird, wenn man besonders genaue Angaben
über die Zeit, die Sichtbarkeitsgrenzen, die Lage der Zentralitätszone
n. s. w. erhalten will , so tritt für historische Zwecke die Notwendig-
keit anderer Einrichtungen hervor. Man hat deshalb besondere Tafeln
1) Ed. Meyej{, Ä(JP2^L Chronologie, S. 50 {AhhäUj. d. Berlin. Akad. d. HVss. 1904;.
§ 12. Spezielk' astronomisclir HilfNiiiittcl. 51
konstruiert, -welche die direkte Bestimmung der Sonnen- und Mond-
örter umg-ehen, vielmehr die zur Ermittlung der Sonnen und Mond-
finsternisse nötigen Größen gleich für die Zeiten der Syzygien, d. h.
der Neumonde und Volhnonde finden lassen. Die ersten gut brauchbaren
neueren derartigen Tafeln waren die von C. L. Lakgeteau, TahJcs pour
le calcid des xijzijy'ws ecliptiques oh quelconqiies {Mein, de Vacad. des
Sciences de VInst, de France , t XXII Paris 1850. — Connaissance
des temps p. ran 1846, Addit Seife S. Paris 1843)'. Bald darauf
gab Hansen im Anschluß an seine großartigen Arbeiten über die
Theorie der Mondbewegung neue ekliptische Tafeln heraus: Eklipüsche
Tafeln für die Konjunliionen des Mondes und der Sonne, nehst
Angabe einer wesentlichen Ahlilrzung der Berechnung einer Sonnen-
finsternis {Berichte üb. die Verhandl. d. l: sächs. Ges. d. Wiss. IX. Bd.
Leipz. 1857). Etwas genauer und in den Zielen erweitert sind
P. Lehmanns Tafeln zur Berechnung der Mondphasen und der
Sonnen- und Mondfinsternisse, Berlin 1882 (herausgegeb. vom K.
Statistischen Bureau). Ein ganz vorzüglicher Rechnungsapparat
erschien durch Th. v. Oppolzeks Syzygientafeln für den Mond
{Publd-. d. Äsfron. Gesellsch. XVI. Leipz. 1881), welche es ermög-
lichen, sowohl die Elemente der Sonnenfinsternisse Avie der ]\lond-
finsternisse in verhältnismäßig kurzer Zeit mit einer für die historischen
Zwecke mehr als genügenden Genauigkeit zu bestimmen'. Die
Eechnungsarbeit zur Herstellung der Hauptdaten für eine Mond-
finsternis reduzierte dann Th. v. Oppolzee noch durch seine Tafeln
zur Berechnung der Mondfinsternisse {Denlschr. d. Wiener Akad. d.
Wiss., 47. Bd., math. Kl. 1883) auf ein Minimum. Das Hauptwerk
der Finsternisse für den heutigen Historiker, Th. v. Oppolzeks Canon
der Finsternisse {Denlschr. d. Wiener Akad. d. Wiss., ö2. Bd.. math. Kl.
1887), wurde mit Hilfe der beiden letzterwähnten Tafeln hergestellt.
Dieses Werk enthält von 8000 Sonnenfinsternissen (von 1208 v. Chr.
bis 2161 n. Chr.) die Elemente, von 5200 Mondfinsternissen (bis
2163 n. Chr.) die Zeit, Größe, Dauer, und den Ort, wo der Mond im
Zenit war; eine dem Werke beigegebene Ikonographie bringt auf
160 Karten von jenen zentralen Sonnenfinsternissen, die auf der
Nordhalbkugel der Erde sichtbar sind, die ungefähre Lage der
Zentralitätskurven , gestützt auf 3 Punkte, nämlich die Orte, wo die
Finsternis beim Sonnenaufgang zentral ist, wo sie im Mittag und
w^o sie beim Sonnenuntergang zentral erscheint. Durch diese Kurven
1) Vgl. auch JuH. VON GuMPACH, Hüfsbuch der rechnenden Chronologie, oder
Largeteau's abgekürzte Sonnen- und Mondtafeln. Heidelberg 1853.
2) S. auch die auf diesen Tafeln beruhenden , die Rechnung mehr populär
handhabenden Schriften von 0. Beau, Die Berechnung d. Sonnen- u. Mondfinst.
(Gymnas. Progr. Sorau. 4 Teile. 1897—1901.)
4*
52 Hilfsmittel der Chronologie.
wird die Lage des Gebietes, in welchem die Verflnsteriingspliase am
auffälligsten ist, der Hauptsache nach festgelegt, und der Historiker
kann daher mit Hilfe dieser Ikonographie bequem die Finsternisse
übersehen, welche für ihn in einem gegebenen Falle in Betracht
kommen. Um die Eechnungsai'beit , die mit den Elementen des
Kanon vorzunehmen ist, wenn man die ungefähre Zeit und Größe
der Finsternisse für einen bestimmten Ort oder die rohe Lage der
Grenzkurven ermitteln will, noch weiter abzukürzen und damit das
massenweise Berechnen der Finsternisse zu ermöglichen, gab E. Schkam
Tafehi zur Berechnung der näheren Umstände der Sonnenfinsternisse
{Denl'schr. d. Wiener Akad, d. Wiss., 51. Bd.. math. Kl. 1886). Da
bei der Darstellung der historischen Sonnenünsternisse , welche der
sehr weit zurückliegenden Zeit angehören, das HANSENSche Fundament,
wie oben angedeutet, nicht ganz befriedigend ist, hat Oppolzer in
seinem Kanon gewisse provisorische Korrektionen mit in Eechnung
gebracht, um den überlieferten Beobachtungen jener Finsternisse
besser Genüge leisten zu können. Aus einem sehr umfangreichen
Material von Finsternissen (besonders des Mittelalters), über welche
viele Augenzeugen berichten, hat F. K. Ginzel dann neue Korrektionen
abgeleitet. Um dieselben beim Eechnen mit Oppolzers Kanon be-
rücksichtigen zu können, fabulierte E. Schräm diese Korrektionen in
seinen ReduM'wnstafeln für den OppoLZERSchen Finsternis -Kanon
zmn Übergang auf die GiNZELSchen empirischen KorrelHoneti
{De7iJcschr. d. Wiener Akad. d. Wiss., 56. Bd.. math. Kl. 1889). Die
Berücksichtigung dieser Korrektionen, sowie die detaillierte Darlegung
aller Finsternisse, welche in das geographische Gebiet der alt-
klassischen Forschung fallen, lieferte F. K. Ginzel in dem Speziellen
Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse für das Ländergehiet der
Massischen Altertumswissenschaften und den Zeitraum von 900 v. Chr.
his 600 n. Chr., Berlin 1899, Dieses AVerk gibt von jeder Finsternis,
welche in den genannten 1500 Jahren in die Länder zwischen 350
bis 50^ östl. Lg. und 30 bis 50*^ nördl. Br. gefallen ist, die variierende
Größe innerhalb dieses Gebietes derart an, daß man dieselbe für jeden
beliebigen Ort selbst bestimmen kann, ferner Zeit und Größe speziell
für Eom, Athen, Memphis und Babylon. Die Zentralitätszonen der
zentralen Sonnenfinsternisse sind auf 15 Karten ausführlich ein-
gezeichnet; von den Mondfinsternissen wird Zeit, Größe und der Ver-
lauf für Eom, Athen, Memphis und Babjdon gegeben. Ferner sind
80 historische Finsternisse und die babylonisch - assyrischen in Be-
ziehung auf Literatur, Stellenbelege u. s. w. behandelt und näher
untersucht.
Die Mondphasen, Neumond, Vollmond, erstes und letztes
Viertel, kann man mittelst der oben genannten Tafeln von Lak(;eteau
§ 12. .Si)ezi(!lle astronomisclio Hilfsmittel. 53
und P. Lehmann bereclinen, die Neu- und Vollmonde auch mittelst
der OppoLZERSclien Syzygientafeln. Auf etwa eine halbe Stunde genau
kann man die Phasen auch durch eine im Anhange zu R. Schkams
HUfstafeln für Chronologie (DenJcschr. d. Wiener Äkad. d. Wiss., 4o. Bd.,
math. Kl. 1883) befindliche Tafel ermitteln. Da die Neumonde
von besonderer Wichtigkeit für chronologische Fragen sind (in der
ägyptischen Chronologie, wegen der Frage der babylonisch-assj'rischen
Schaltungsregel, in der griechischen Chronologie u. s. w.), so ist eine
umfangreiche Sammlung derselben wünschenswert. E. v. Haeedtl
hat mit Hilfe der zuletzt genannten ScHEAMSchen Tafel die Neumonde
von 957 bis 605 v. Chr. berechnet {Astron. Beiträge z. assyr. Chronologie,
Denl-schr. d. Wiener Ahid. d. Wiss., 49 ^r?., math. Kl. 1884). An
diese Arbeit schließt sich die ßeihe der Neumonde an, welche von
605 bis 100 V. Chr. (und zwar ebenfalls nach Scheams Tafel) von
mir berechnet und dem vorliegenden Werke als Tafel III (s. am
Schluß) beigegeben ist'.
Sternpositionen, in die alte Zeit zurückgehend, findet man
bei 0. Danckwortt, Sterntafeln von 46 Fundümentalsternen für alle
Jahrhunderte von — 2000 his +1800 (Vierteljahrsschrift d. Astron.
Ges., XVI. Bd., Leipz. 1881) und von 26 Hauptsternen bis 4000 v. Chr.
zurückreichend in der Tafel I des vorliegenden Werks.
Die Bestimmung der Zeit d e r Äq u i n o k t i e n u n d S o 1 s t i t i e n
für ein gegebenes Jahr kann man ausführen mittelst Laegeteau, Tables
ahregees pour le calcul des e'quinoxes et des solstices {Mem. de VAcad.
d. sc. de rinst. de France, t. XXII, Paris 1850), oder auch, sowie
überhaupt die Ermittlung der Eintrittszeiten der Sonne in die 12
Zodiakalzeichen , mittelst der ZodiaJccdtafel in R. Scheams oben an-
geführten HUfstafeln für Chronologie.
'Zur Berechnung der jährlichen Auf- und Untergänge der
Sterne (heliakische Aufgänge u. s. w.) benützt man am besten
W. F. WiSLiCENus' Tafeln zur Bestimmung der jährlichen Auf- und
Untergänge der Gestirne {Puhlil: d. Astronom. Gesellsch. XX
Leipz. 1892).
Was die Ort er der Sonne und der Planeten betrifft, so
müßten dieselben, wenn man Genauigkeit verlangt, aus den Tafeln
1) Da die Neumonde von 2000 v. Chr. bis 2000 n. Chr., von denen bei
E. Mahler {Zeitschr. f. ägypt. Spr. XXVII S. 104) die Rede ist, noch nicht
veröffentlicht sind, so habe ich es für angezeigt gehalten, meine oben angegebene
Neumondreihe von 605 bis 100 v. Chr. dem vorliegenden Buche einzuverleiben.
Einzelne alte Neumondreihen sind gerechnet von E. Mahler (a. a. 0.) für das
15. Jahrb. v. Chr., von R. Schräm für bestimmte Monate aus der Zeit 1600—
1200 V. Chr. (s. bei J. Krall, Grundriß d. altoriental. Geschichte I. Teil, S. 186;
Wien 1899).
54 Hilfsmittel der Chronologie.
von Lea'eekiee oder von Ne\vco3ib und Hill, jene des Mondes nach
Hansens Tdbles de Ja lune, Londres 1857, berechnet werden. Alle
diese Tafeln sind jedoch sehr umständlich^ im Gebrauch, gehen auch
nicht sehr weit in die alte Zeit zurück. Für historische Zwecke, wie
zur Ermittlung von Planetenkonjunktionen, der Sonnenlängen, der
Örter des Mondes behufs Bestimmung des Mond- Auf- und Untergangs
u. s. w. sind hinreichend P. V. Neugebauers ÄhgeJcürzte Tafeln der
Sonne und der großen Planeten, und dessen Abgeh'drzte Tafeln des
Mondes {VeröffeniJ'ichungen des Königl. Ästron. Becheninstituts ziv
Berlin, No. 25 und No. 27, Berlin 1904, 1905), welche auf Leverriers
und Hansens Tafeln beruhen und schnelles Arbeiten erlauben ; außer-
dem gehen sie bis 4000 v. Chr. zurück.
Schließlich sei noch bemerkt, daß dem Historiker zur Einführung
in den Gebrauch der astronomischen Tafeln als sehr gutes Hilfsbuch
W. F. WiSLicENUs' Astronomische Chronologie, Leipz. 1895, dienen kann.
§ 13. Chronologische Hilfsmittel. Archäologische Grundlagen.
Die Literatur, welche über die technisch - chronologischen Ein-
richtungen der Jahrformen der einzelnen Völker derzeit existiert, ist
so umfangreich, daß der Versuch gar nicht gemacht werden kann,
dieselbe in diesem Vorkapitel einigermaßen namhaft zu machen. Ich
werde deshalb am Schlüsse jedes der folgenden Kapitel über die Zeit-
rechnungsarten die hauptsächliche Literatur angeben und selbe, so
weit es sich tun läßt, auch nach den Materien ordnen. Hier inter-
essieren uns mehr diejenigen Werke, welche zusammenfassende Dar-
stellungen der gesamten Chronologie enthalten, oder die als grund-
legend betrachtet werden. Ich werde besonders solche AVerke auf-
führen, die auf den Inhalt dieses I. Bandes sich beziehen; im IL und
III. Bande sollen in der Einleitung die Bücher erwähnt werden, welche
Abrisse oder Gesamtdarstellungen der griechischen, römischen, der
jüdischen und der christlich-mittelalterlichen Zeitrechnungen enthalten.
Als Begründer der wissenschaftlichen Chronologie ist Josef Justus
1) Für den Fall, daß man auf diese Tafeln zurückgehen will, folgen hier die
nötigen Literaturangaben: J. U. Leveeeier, Tables du soleil (Annales de l'obser-
vatoirc imper. de Faris IV 1858), desselben Merkurstafeln (ibid. V), Mars, Venus
(ibid. VI), Jupiter. Saturn (ibid. Xll); S. Newcojibs Taf. der Sonne und des Merkur,
Astron. i^apers prepared for tlie use of the Americ. Ephemer, a. Nautic. Almanac,
vol. VI, Washington; Venus und Mars (ibid. VI); W. Hill, Jupiter und Saturn
(ibid. VII). S. auch C. M. Stürmer, Sonnentafcln nach Leverriers Elementen der
Sonnenhahn, Würzburg 1874. — Die HANSENschen Mondtafeln sind so kompliziert,
daß ein geübter Rechner zu einem vollständigen Mondorte einen ganzen Arbeits-
tag aufwenden muß. Die Bildung der Fundamental-Argumente bedarf 61 Tafeln,
der wahren Mondlänge 11 Tafeln, der Parallaxe 23 Tafeln, der Mondbreite
36 Tafeln.
v^ 13. Chronologische Hilfsmittel. Archäologische Grundlagen. 55
Scaliger (1540 bis 1609) anzusehen. In seinem Werke De emendatione
temporum (Paris 1583, verbesserte Auflage 1598, beste Ausgabe Genf
1629) gab er die Grundlinien der mathematischen und technischen
C'lironologie verschiedener Völker, und im Thesaurus temporum (Leyden
1606, vermehrte Ausgabe Amsterdam 1658) eine allgemeinere Dar-
stellung desselben Stoffs, sowie eine Beschreibung der alten Ären.
Sehr beachtenswert ist auch das Opws chronologlcum (Leipzig 1605,
2. Ausgabe Frankfurt a. 0. 1620, außerdem Ausgaben 1629, 1650,
1685) seines Zeitgenossen Sethus Calvisius. Der theologische Gegner
ScalictEes war Dionysius Petavius (1583 bis 1652). Das Werk Be
(hctruia temporum (Paris 1627, 2 Bände), später mit dem Ergänzungs-
bande Uranologlon (1629) vereinigt (Ausgaben Antwerpen 1703, Verona
1734, Venedig 1757; die erstgenannte die beste), ist gegen Scaliger
gerichtet, kritisiert denselben und sucht durch eigene Forschungen
Neues aufzustellen. Einen Auszug aus diesen Werken gibt das Ratio-
narium temporum (Paris 1631, verschiedene Auflagen). Mitte des
18. Jahi'h. wurde das große chronologische Werk Art de rerifier les
dates et les fa'its historiques von Dom d'Antine begründet. Die erste
Auflage, von Cle^eexcet und Durand, erscliien 1750 (Paris), die zweite,
verbesserte (von Cle^ient) 1770, die dritte, weiter vervollständigte
(von Clement) 1783—87. Die vierte Auflage, 1818—44 von St. Allais,
ist die vollständigste; sie erschien in zwei Ausgaben, 44 Bände Oktav
und 11 Bände Quart. Dieses außerordentlich inhaltsreiche Werk bildet
immer noch ein sehr schätzenswertes Hilfsmittel für den Chronologen
und Historiker. Die Angaben über die Finsternisse (St. Allais-Quart-
ausgabe 1818, T. I 87 — 131) benütze man nicht, da dieselben auf
Hallets ganz veralteten Sonnen- und Mondtafeln beruhen. Der Zeit-
folge nach ist dann von Gesamtdarstellungen der Chronologie Ludwig
Idelees Hcnidhuch der mathematischeji und techn'isclien Chro)iolog\e
(2 Bände, Berlin 1825 — 26) zu nennen; ein unveränderter Wieder-
abdruck erschien 1883 zu Breslau ^ Es bildet die vorzüglichste und
zuverlässigste Zusammenfassung der Chronologie der Völker, soweit sie
bis zum ersten Viertel des 19. Jahrh. bekannt war. Eine Aufarbeitung
des uns durch die aufblühende archäologische Forschung zugeführten
Materials hat seitdem nicht mehr stattgefunden ; nur einzelne Zweige
der Chronologie sind dargestellt worden.
Von späteren Werken ^sind (soweit sie nicht auf chronologische
Teile Beziehung haben, die außerhalb unseres I. Bandes liegen) etwa
die folgenden zu nennen: Die technische Chronologie im I. Band von
N. de Wailly, Elements de pale'oyraphie (Paris 1838), der clirono-
1) Einen Auszug daraus stellt Idelers Lehrbuch der Chronologie (Berlin
1829) vor.
56 Hilfsmittel der Chronologie.
logische Abriß in F. Akago, Astronomie populaire (Paris 1857) vol. IV;
F. J. Beockmann, System der Chronologie, Stuttgart 1883; E. Brestck-
MEiEE, Praliisches Handbuch der historischen Chronologie, Leipz. 1843.
2. Aufl. Berlin 1882; B. M. Lersch, Einleitung in die Chronologie,
2 Teile, Freiburg i. Br. 1899. (Die beiden letztgenannten Werke
weniger empfehlenswert.) Hervorgehoben muß noch werden Fe. Rlthl.
Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit, Berlin 1897; dieses
Werk, obwohl hauptsächlich das Mittelalter behandelnd, interessiert
hier wegen der mohammedanischen und persischen Zeitrechnung.
Die mathematische Chronologie erhielt Anstoß zur Weiterbildung
durch einige Arbeiten von C. F. Gauss über die Osternberechnung.
Verschiedene Autoren stellten Formeln auf zur Verwandlung der
Datierungen einer Zeitrechnung in die Datierung einer andern, und
die astronomischen und mathematischen Fachzeitschriften aus der ersten
Hälfte des 19. Jahrh. enthalten verschiedene Beiträge über die Lösung
dieser Fragen. Als sehr beachtenswerter, allerdings nur den Mathe-
matiker interessierender Versuch in dieser Beziehung sei W. Matzkas
Chronologie in ihrem ganzen Umfange, AMen 1844, erwähnt. Mit
der Zeit haben es aber die Praktiker vorgezogen, für die Vergleichung
der Daten der bekannteren Zeitrechnungen besondere Tafeln zu kon-
struieren, in welchen die einander entsprechenden Daten in gewissen
Intervallen gegeben werden. Solche Tafeln werden für einzelne Zeit-
rechnungsarten im vorliegenden Bande am Schlüsse der Kapitel unter
„Literatur-' genannt werden. Sofortige Erwähnung mögen die Chrono-
logischen Vergleichinigstahellen von E. Mahlee finden, deren erster
Band (Wien 1889) die Tafeln für die Ägypter, Alexandriner, Seleukiden,
Griechen, Inder und Mohammedaner enthält. Besondere Hervorhebung
verdienen endlich die Kalendariographischen Tafeln in den R. Scheam-
schen Hilf staf ein für Chronologie (s. oben S. 53). Diese gestatten
nicht bloß, ein Datum der fremden Zeitrechnung in das entsprechende
christliche zu verwandeln, und umgekehrt, sondern erlauben überhaupt
die Verwandlung jedes Datums einer beliebigen Zeitrechnung (mit
sicherer Ära) in das einer andern und zwar auf dem denkbar ein-
fachsten Wege; man hat im Prinzipe nur zwei Zahlen zu addieren
und mit der Summe in die entsprechenden Tafeln einzugehen, um die
Daten zu erhalten. Da diese Tafeln von R. Schräm ueuerdings um-
gearbeitet und in eine viel bequemere und erweiterte Form gebracht
werden 1, werde ich mich in diesem AA'erke öfters auf dieselben be-
zielien und Beispiele daraus bringen.
1) Da die neue Bearbeitung der Hilfstafeln für Chronologie, welche in dem-
selben Verlage wie das vorliegende Buch bald erscheinen wird, zur Zeit noch nicht
vollendet war, hat mir der Herr Verfasser die Entnahme der nötigen Zahlen aus
seinem Manuskripte gestattet.
§ 13. Chnmologische Hilfsmittel. Arcliäologisclio rirvindliifreii. 57
Scliließlicli wären nun noch die archäologischen Grund-
lagen der technischen Chronologie zu beschreiben. Diese sind aber
so vielfältig und so sehr voneinander verschieden, daß dieselben im
einzelnen besser bei den Zeitrechnungsformen selbst erwähnt werden.
Es mögen daher nur einige allgemeine Bemerkungen über die Mate-
rialien des vorliegenden Bandes hier Platz finden. Voran zu nennen
sind die Inschriften, die sich, in Stein oder Felsen gehauen, oder ge-
malt, an Tempelwänden, an Geländen der Flußtäler, auf Sarkophagen,
auf Tonscherben und Tontafeln u. s. w. vorfinden. Sie enthalten zum
Teil direkte Datierungen (wie das Dekret von Kanopus, der Stein von
Elephantine) oder bringen indirekt Beiträge zur technischen Chronologie
(wie manche babylonischen Tontafeln, Berichte der Beamten, Briefe
der Könige, Tafeln mit astronomischen Datierungen, oder wie die
Felseninschrift von Beliistän). Inhaltsreich für die Chronologie sind
die ägj'ptischen Papyrus, namentlich für das spätägyptische (nach-
römische) Zeitrechnungswesen, die Kontrakte, Verträge u. dergl. ; ferner
die ägyptischen Festkalender. Große Wichtigkeit für die Beschaffenheit
der Ären in Indien besitzen die Kupfertafeln, welche über Schenkungen
berichten und mit genauer Datierung versehen sind. Es ist erst mög-
lich geworden, den vollen Nutzen aus diesen vielfältigen Denkmälern
für die technische Chronologie zu ziehen, seit die Entzifferung und
Lesung der Inschriften festen Boden gewonnen hat, also seit der Ent-
wicklung der Paläographie (speziell der Epigrapliik). Mancherlei Ein-
blicke in das Zeitreclmungswesen, so in die Namen der Monate, ihre
Herkunft, in die Ausbildung der Definition der Jahreszeiten und in
andere chronologische Einrichtungen gewähren auch die uns erhalten
gebliebenen Bruchstücke der alten Nationalliteratur einzelner Völker,
wie die Schriften der Veda-Epoche, das Avesta. die heiligen Bücher
der Chinesen. Wichtig werden hie und da ferner manche uns durch
alte arabische, persische, indische und chinesische Schriftsteller über-
lieferten Nachrichten, wenngleich der Wert dieser Tradition ein sehr
verschiedener ist, da nicht alle diese Autoren ihre Mitteilungen aus
verläßlichen Quellen schöpfen (Albieuni beispielsweise ist mustergültig
und sehr wertvoll), oder bloß als Überarbeiter oder als Kommentatoren
auftreten (wie die chinesischen Schriftsteller oder die islamischen,
welche Nachrichten über den Kalender vor Mohammed geben). End-
lich leisten noch die Nachrichten der griechischen und lateinischen
Klassiker gute Dienste; allerdings treten sie gegenüber dem ander-
weitigen archäologischen Material gegenwärtig schon in die zweite
Linie zurück, während früher auf ihnen unser chronologisches Wissen
hauptsächlich beruhte. Von den Hilfswissenschaften der Geschichte,
welche auch die Chronologie unterstützen, ist besonders die Numis-
matik hervorzuheben; ihre wichtigen Beiträge auf dem Gebiete der
58 Die Zeitelemente und ihre historische Phitwiekhing.
iVIünzenfunde für die Kenntnis der Ären werden wir im II. Bande des
vorliegenden Werkes kennen lernen. Weitere Hilfsmittel der Chrono-
logie finden dort an passender Stelle ihre Erwähnung.
C) Die Zeiteleinente und ihre historische Entwicklung.
§ 14. Die priuiitiveu Zeitbegriife.
Ebenso wie alle Kulturerruugenschaften der Menschheit von ein-
fachen Anfängen ausgegangen sind und erst im Laufe der Zeiten die
Formen angenommen haben, unter denen sie sich uns jetzt vorstellen,
so haben auch die Zeitrechnungsformen und deren innere Einrichtungen
ihre Phasen durchgemacht. Viele der sogenannten Naturvölker zeigen
uns in der Gegenwart noch die Anfangszustände im Zeitrechnungs-
wesen. Je tiefer sie in der Kultur stehen, desto weniger ausgebildet
ist bei ihnen irgend eine Teilung der Zeit. Die Bewohner der mela-
nesischen Inseln z. B. zählen die Zeit nur nach den Beschäftigungen, die
für die Feldbestellung erforderlich sind, der Blüte- und Erntezeit der
Früchte u. s. w., indem sie ungefähr die Zahl der Monderscheinungen
wissen, die zwischen diesen Zeiten liegt. Sie haben überhaupt noch
kein „Jahr". Die Nikobaren rechnen nach dem Eintritt der Monsun-
^^'inde: die erste Hälfte der Zeit beginnt mit dem Südwestmonsun
(Mai), die zweite mit dem Nordostmonsun (November); diese beiden
Natur-Halbjahre werden nach den Neumonden roh geteilt; Anfang
und Dauer des Jahres bleiben aber sehr unbestimmt. Die Einteilung
des Tages ist bei diesen Völkern ebenfalls kaum entwickelt; einige
besondere Benennungen der Tagesabschnitte nach dem Sonnenstande
reichen ihnen hin, die Zeit für die Arbeiten im Freien und in den
Hütten anzugebend — Einigermaßen bestimmter beginnen sich die
Zeitbegriffe bei jenen Naturvölkern zu gestalten, welche durch die
geographische Lage ihrer A\'ohnorte, durch die Art der Boden-
produktion ihres Landes zu speziellen Beschäftigungen genötigt sind,
die einen zur Fischerei, die andern zum Anbau erträgnisreicher
Kulturpflanzen u. s. w. Diese achten auf die Zeit des Erscheinens ge-
1) Vgl. § 121. — Die Bali-Insulaner (die betreffs der Zeiteinteilung schon
auf einer etwas höheren Stufe stehen) stellen in einer Hütte ein mit Wasser ge-
fülltes Gefäß auf, in welchem sieh ein kupferner Napf mit einer Öffnung befindet.
Das Wasser dringt durch die Öffnung in den Napf. Nach dem jedesmaligen Voll-
laufen des Napfes ist ein Achtel des Tages vorüber. Der Wächter hat dann den
Auftrag, durch Schlagen auf einen von der Decke der Hütte herabhängenden
Tamtam dem Dorfe die Zeit zu verkünden. Auf derselben Methode beruht bei
den Indern die zur Zeitmessung bestimmte Kupferschale, welche durch ihr jedes-
maliges Untersinken den Ablauf einer nädikä = '/ßo der natürlichen Nacht anzeigt.
§ 14. Die i)riniitiv('ii Zfitbegriffe. 59
wisser Fiscliarten im Meere, jene auf die Zeit der Überschwemmung
der Eeisfelder beim Beginn der Tropenregen u. s. f. Bei diesen Acker-
bauern, Jägern und J'ischern mußte sich die Notwendigkeit einstellen,
jene Zeiten durch gewisse Anhaltspunkte genauer angeben resp. voraus-
sagen zu können. Bei solchen Völkern bemerken wir deshalb das
Achten auf die Stellungen einiger Gestirne, durch welche jährlich diese
Zeiten ungefähr feststellbar werden, ferner das Teilen der größeren
Zeiträume nach der periodischen AViederkehr der Mondphasen. Die
Bewohner von Timor, der Südwestinselu , die ßatta, Tenggern u. a.,
selbst die halbwilden Dajak (Borneo) haben Kenntnis von einigen
Sternen, wie vom Orion, den Plejaden, vom Siebengestirn, und regeln
nach deren Stellungen das Anpflanzen, die Bewässerung und die Ernte \
Auf der nächsthöheren Kulturstufe suchen die Naturvölker bereits die
Zeit durch die Bewegung des Mondes, wenn auch in nur primitiver
Weise, zu messen, und zwar durch den Umlauf, der sich unmittelbar
dem Auge darbietet, also durch den sich wiederholenden Stand des
Mondes bei denselben Sternen resp. durch seine wachsende Entfernung
von letzteren, d. h. durch den siderischen Umlauf. Hierauf beruht z. ß.
die Kenong-Hechnung der Atchinesen (s. § 121). Indem diese letzteren
dabei vom Sternbild des Skorpion ausgehen, anderseits aber die Auf-
und Untergänge der um 180*^ vom Skorpion abstehenden Plejaden
verfolgen, gelangen sie zu einem rohen Naturjahre für ihren Landbau.
Die Orion- und die Plejadenjahre - haben sich aus solchen Anfängen
ausgebildet ; sie faßten hauptsächlich dort Wurzel, wo sich der mytho-
logische Sagenkreis auf die Gestirne erstreckt hatte. Anderseits gaben
die Konjunktionen des Mondes mit denselben hellen Sternen oder, um
volkstümlich zu sprechen, der zeitweise sich wiederholende Aufenthalt
des Mondes in den gleichen Sternbildern den Anstoß zur späteren
Bildung eines wichtigen Zeitelementes, der Mondstationen. Die Natur-
stämme, bei denen sich Handel und Verkehr entwickeln, müssen bald
von diesen schwankenden Zeitabgrenzungen zu bestimmteren gelangen.
Der natürlichste Zeitmesser am Himmel ist für sie der Mond, als das
hellste Gestirn am Nachthimmel und wegen seiner für jedermann sicht-
baren, regelmäßig wechselnden Lichtgestalten. Die Naturvölker zählen
1) Die Dajak beginnen die Felderbebaiiung um die Zeit des Frübaufgangs
der Plejaden {Karantika), im Juli, die Atchinesen nehmen um dieselbe Zeit die
Aussaat auf den Reisfeldern vor.
2) Das Wiedererscheinen der Plejaden namentlich bildete bei manchen Völkern
das Zeichen zum Anfangen eines neuen Jahres. So rechneten die Tapujas (Brasilien)
den Jahresanfang von dem Aufgange der Plejaden (nach Marcgrav) , desgleichen
mehrere Indianerstämme in Nordamerika. Im Kultus spielen die Plejaden schon
bei den Babyloniern eine gewisse Rolle, so durch Symbolisierung als „Sieben-
gottheit" (s. E. ScHKADER, Keilschrift u. alt. Testament^ III. Aufl. v. Zimmern-
WiNCKLEB, S. 459, 620).
60 Die Zeitelemente und ihre historische Entwiekhmg.
also die Tage, die zwischen der Wiederkehr des Voll Werdens der
Mondscheibe oder zwischen dem Auftauchen der ersten Sichel am
Abendhimmel nach Neumond liegen und gewinnen, je nach den
Beträgen, die sie für diesen Monat annehmen, ein Jahr, das in
seinem Umfange entweder dem Mondjahre nahe kommt oder zwischen
dem Mond- und Sonnenjahre liegt; bisweilen schätzen sie aber auch
schon die Länge des synodischen Monats und bilden daraus ein
Jahr. So finden wir bei den Indern noch in der nachvedischen
Zeit, aber jedenfalls aus der älteren übernommen, ein 27tägiges
„Sternjahr" (Mondjahr) zu 324 Tagen, ein ebensolches von 13 Monaten
mit 351 Tagen, und ein riclitiges synodisches Mondjahr mit 354 Tagen.
Die Haida-Indianer (auf den Königin-Charlotte-Inseln) benennen ihre
13 Monate nach der Kälte, Wärme, dem Erscheinen des Bären, des
Lachses u. s. w. und rechnen jeden Monat zu 28 Tagen; ihr Jahr hat
also 364 Tage. Auf dieser Zivilisationsstufe machen sich auch die
Anfänge des Bestrebens bemerkbar, bei der Zeitrechnung auf die
Jahreszeiten Rücksicht zu nehmen und diese irgendwie mit den Mond-
erscheinungen in Verbindung zu bringen. Je nach der geographischen
Position des Volkes neigt dann die Zeitrechnung mehr zum Sonnen-
jahre oder mehr zum Mondjahre. Treten in dem betreffenden Klima
die Grenzen der Jahreszeiten scharf hervor, so daß die Länge der
einzelnen Perioden leicht erfaßt werden kann, so bildet sich ein Sonnen-
jahr meist eher aus, als das Mondjahr. Die Ägypter wurden durch
die Natur ihres Landes, durch die ziemlich regelmäßig sich einstellenden
Nilüberschwemmungen, die darauf folgende Fruchtbarkeit des Niltals
und die nach dieser auftretende brennende Hitze schon in der ältesten
Zeit zu einem dreiteiligen Sonnenjahre hingeführt. In dem an klima-
tischen Abstufungen reichen Indien dagegen ist das Mondjahr immer
das vorherrschende Jahr geblieben, obwohl es mit dem Sonnenjahre
verbunden wurde, denn es weist in seinen Einrichtungen deutlich auf
den Mond zurück. Nicht seßhafte, in ihrem Erwerbe bewegliche
Stämme begünstigen das Mondjahr, so die räuberischen arabischen
Stämme vor und nach Mohammed. In den nördlichen, durch scharf
differenzierte Klimate charakterisierten Breiten, mit seßhaften, Acker-
bau treibenden Völkern gewinnt das Sonnenjahr bald die Herrschaft;
so wurde in China schon in sehr alter Zeit das Mondjahr zu einem
Lunisolarjahre umgestaltet, in welchem das Mondjahr wesentlich zurück-
tritt. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Ausbildung
der Jahresart hatte ferner der Kultus, welcher bei den Völkern aus-
geübt wurde. Neuere Forschungen an alten Kultusstätten in Südarabien
lassen die Vermutung berechtigt erscheinen, daß im alten Arabien eine
weit verbreitete Verehrung des Mondes stattfand; dies erklärt die
Rechnung nach dem Monde, welche selbst Mohammed respektierte,
§ 14. Die primitiven Zeitbegriffe. 61
obgleich sie für ihn eine „heidnische" Gepflogenheit sein mußte. Audi
Südbabylonien hatte Mondkultus, während in den nördlicheren Ge-
bieten Mesopotamiens die Sonne verehrt wurde. — Die Länge des
Sonnen jalirs ist auf der Entwicklungsstufe der Chronologie, von der
hier die Rede ist, nur ganz ungefähr bekannt; man weiß nicht viel
mehr, als daß diese Länge größer ist als die des Mondjahrs. Den
ackerbauenden Stämmen kommt es hauptsächlich darauf an, die Länge
einzelner Jahresabschnitte zu kennen, während welcher gewisse Feld-
arbeiten ausgeführt sein müssen. Zur Bestimmung dieser Jahres-
abschnitte bedient man sich eines sehr einfachen Hilfsmittels, der
mit der Jahreszeit wechselnden Länge des Schattens eines senki'echt
stehenden Gegenstandes. So ermittelten früher auf Java die Priester
die mangsa, 12 ungleich lange Zeiträume, nach welchen die Feldarbeit
geregelt wurde (s. § 120). Bei den Inka von Peru standen auf
den Hügeln um Cuzco 12 Säulen, siiccanya (oder rucana) genannt,
nach deren Schattenlänge zu den verschiedenen Zeiten man die Monate
erkannte; auf 8 Türmen im Osten und 8 im A\^esten der Stadt er-
mittelten die Priester aus der Schattenlänge die Zeit der Sonnenwenden.
Nach dem Schu-king der Chinesen (L Kap. 2) sendet schon Kaiser Yao
(2357 V. Chr.) vier x4.stronomen aus nach Norden, Süden, Osten und
Westen, um die Örter der auf- und untergehenden Sonne und die
Längen des Schattens zu beobachten.
Die kulturfälligen Stämme kamen, wie man nach den bisherigen
Ausführungen beurteilen wird, überall, trotz räumlich großer Ent-
fernungen von einander, in den rohen anfänglichen Teilungen der
Zeit zu denselben Prinzipien. Dies bestätigt die Existenz des Faktors
im geistigen Entwicklungsleben, welchen A. Bastian den „Völker-
gedanken" genannt hat% auch für die chronologische Entwicklung.
Die Ureinteilung der Zeit ist auf niedriger Zivilisationsstufe nahezu
überall die gleiche ; erst wenn ein höheres Niveau erreicht ist, beginnt
des selbständige Denken und das subjektive Gestalten der Zeitelemente.
Auf noch höherer Stufe, auf der die Völker in geistigen und Haudels-
1) Der „Völkergedanke" besteht darin, daß der Mensch auf den unteren Ent-
wicklungsstufen überall auf der Erde im Denken zu gewissen gleichen Grund-
vorstellungen kommt. „Aus einer in der Ethnologie angesammelten Masse von
Beweismaterial, dem für jedes statistische Auge als entscheidendste Majorität
sich bereits der Ausschlag erklärt, ist die elementare Gleichartigkeit des Völker-
gedankens unwiderleglich erklärt, und erweist sich die Berechtigung der all-
gemein durchgehenden Phasen sowohl, wie der Grund für das Warum der
geographischen Abweichungen im einzelnen, bei den rechtlichen Institutionen,
aus dem Studium des menschlichen Gesellschaftseharakters in seinem sozialen
Organismus, oder in seinem psychologischen Wachstumsprozesse für die religiös-
mythologischen Anschauungen." (A. Bastian, Allgem. Grundzüge d. Ethnologie,
Berlin 1884, S. 79.)
62 Die Zcitelemente und ilire historische Entwiokhuig.
verkehr treten, kommen schließlich hie und da Übergänge chrono-
logischer Einrichtungen von einem Volke zum andern vor.
Die weitere Entwicklung des Zeitrechnungswesens zeigt das Ver-
folgen mehrerer Ziele. Die numerischen Annahmen über die Sonnen-
und Mondbewegung werden bestimmter und nähern sich mehr den
tatsächlich bestehenden. Man sucht nach Schaltungsarten, um eine
Verbindung des Mondjahrs mit dem Sonnenjahre herzustellen. Die
Schaltungen sind solange nur empirischer Art und schwankend, bis
es der sich entwickelnden Astronomie gelungen ist, die Verhältnisse
zwischen den Umlaufszeiten genauer festzulegen. Dann erfolgt ent-
weder der Übergang zum Lunisolarjahre oder zum reinen Sonnenjahre.
Ferner zeigt diese Periode das Bestreben, die übrigen Zeitelemente,
wie die Monats-, Wochen, Tages- und Stundenteilung, zu vertiefen
und entweder nach vorliegenden praktischen Bedürfnissen oder nach
allgemeineren Prinzipien durchzuführen.
Die vorstehenden Bemerkungen über die allmähliche Entwicklung
des Zeitsinnes und der Zeitrechnung sind für unser Buch nicht über-
flüssig, denn sie leiten zu der Folgerung, daß auch die Kulturvölker,
von deren Zeitrechnungen die Rede sein wird, nur vom Rohen zum
Vollkommneren fortgeschritten sind, und daß man also ethnologisch
nicht berechtigt ist, schon für die sehr alte Zeit dieser Völker eine
geordnete Zeitrechnung mit guter Jahrkenntnis anzunehmen.
§ 15. Mond- und Sonnenjahr. Ansgleichung. Schaltjahr.
Rundjahr.
Die astronomischen Erklärungen, auf welchen die Zeitelemente
beruhen, wurden in Einleitung A gegeben. Wir haben nun diese
Zeitelemente näher, nach der technischen und historischeu Seite, zu
betrachten; ich muß mich hier hauptsächlich über jene verbreiten,
welche für diesen I. Band wichtig sind.
Die Länge des synodischen Monats beträgt (s. S. 36) 29*^ 12'' 44™
2,9' oder 29,53059 Tage; das astronomische Mondjahr faßt also
354^1 8'^ 48™ 36^ Im praktischen Leben, wo es notwendig war, daß
der Anfang eines Monats mit einer Hauptphase des Mondes, mit Neu-
mond oder mit Vollmond, zusammenfiel, konnten die nach Mondjahren
rechnenden Völker nicht nach den astronomischen, aus ganzen Tagen
und Bruchteilen bestehenden Monatslängen rechnen. Der Überschul.)
des sjmodischen Monats über 29 Tage mußte daher ausgeglichen
werden. Dieser Überschuß ist nahezu — g'^^r — Tage ^ , der Monat ist
1) Nämlich 12ii 44>" 2.9s = 45842,98s ; J- Tag ist 864^, also der Überschuß =
458,4298 „ ^
i? 15. Mond- und Soiiiiciijiilir. Aus^'leicllUll^^ Scliiiltjiilir. Hiiniljalir. 63
kleiner als 30 Tage, und zwar beträgt er 30 — ^fj*^^ Tage. Man
konnte also den Ausgleich bewirken, wenn man im Verlaufe des
Mondjahrs bald volle Monate zu 30 Tagen, bald hohle zu 29 Tagen
annahm. Die letztgenannte Ergänzung gg^" Tage des synodischen
Monats zu 30 Tagen ergibt, wenn man diesen Bruch in einen Ketten-
1 7 8 23 422
bruch verwandelt, folgende Xäherungsbrüche: ö? ^? t^« y^? ^y^-. Der
^ ^ 2 lo w 49 899
erste dieser Näherungswerte ^ ,, zeigt schon an, daß man ungefähr
jeden zweiten Monat als hohlen anzusetzen haben wird, um den Über-
7 8
scliuß verteilen zu können. Die beiden folgenden Brüche r^ und ^^ sagen
^ lo 17 *=
aus, daß man unter 15 Monaten 7 hohle einsetzen darf, oder unter
17 Monaten 8 hohle. Eine genauere Ausgleichung würde sich mit
23 2 8 17
dem weiter folgenden ^g = -^^ — erreichen lassen, nämlich mit
2 achtmonatlichen und einer siebenmonatlichen Periode; es wären
unter 49 Monaten 26 volle und 23 hohle zu verteilen; man erhält
dann 1447 Tage, 49 Monate zu 29,53059^ geben aber fast 1447 Tage,
also wäre der Ausgleich bereits nahezu vollkommen erreicht. (Noch
genauer ist das letzte der obigen Verhältnisse.) ^^'as die zweck-
mäßigste Anordnung in der Verteilung der 23 hohlen Monate betrifft.
damit die Monatsanfänge möglichst wenig vom Anfange des astro-
nomischen Monats abweichen, würde man zuerst vom 2. bis 16. Monate
jeden 2. Monat hohl gelten lassen, dann vom 19. bis 31. jeden zweiten,
und vom 34. bis 48. jeden zweiten. Allein diese Perioden und diese
Art von Ausgleichung sind für das bürgerliche Leben nicht bequem:
außerdem haben in der ältesten Zeit die Kulturvölker die Länge des
synodischen Monats nicht so genau gekannt, um die Perioden aus-
findig machen zu können. Man hat sich daher, wie im arabisch-
türkischen Kalender, begnügt, die vollen Monate mit den hohlen ab-
w^echseln zu lassen (also nur das erste der oben genannten Verhältnisse
zu benutzen). Dafür muß nun der Überschuß von Zeit zu Zeit nach
ganzen Mondjahren ausgeglichen werden.
Man nennt Einschalten (intercalare, kißalXu v) das Verfahren,
einen vernachlässigten Überschuß in der .Jahreslänge, wenn er auf
eine volle Zahl von Tagen oder Monaten augewachsen ist, wieder
einzurechnen. Der eingelegte Monat ist der Schalt monat (bis-
weilen handelt es sich nur um Schalttage), das Jalu\ in welchem
die Schaltung stattfindet, das Schaltjahr, zum Unterschiede vom
Gern ein jähr. Wird das Einschalten nach gewissen Intervallen
wiederholt, so bilden diese Intervalle den Schaltzyklus.
Ich nehme zuerst das freie Mondjahr vor. Ein freies Mond-
64 Die Zeitelemente und ihre historische Eutwiekhuig.
jalir ist ein solches, welches ohne jede Beziehung znm Sonnenjahr
steht, also nur der synodischen Mondbewegung' folgt. Es hat in der
Eegel 6 volle und 6 hohle Mondmonate, enthält also im gemeinen
Jahre 354 Tage; das Schaltjahr zählt 355 Tage. Es fragt sich, wie
der Überschuß von S*» 48™ 36^ über 354'^ (s. oben. S. 62) durch
Schaltung eingebracht werden soll. Da das synodische Mondjahr
79 285
354,36707'^ zählt, die durch den gemischten Bruch 354 ^ „ aus-
gedrückt werden können, erhält man aus letzterem (wie oben) die
Näherungsbrüche -?r' -s-' -ö-' tt' th' ^ .... Die ersten beiden
° z ö ö 11 ly öU
Brüche deuten schon darauf hin, daß man nach 3 oder auch nach
je 2 Jahren ein Schaltjahr von 355 Tagen zu rechnen hat. Die
8 4
weiteren -g- und yj berücksichtigen die Schaltung schon besser; man
hat danach in je 8 Jahren dreimal, oder in 11 Jahren viermal
ein Schaltjahr einzulegen. Die Türken benutzen die achtjährige
Periode in ihren Bus-name (immerwährenden Kalendern). Der letzte
der obigen Brüche öt. zeigt den 30jährigen Schaltzyklus an, welcher
11 Schaltjahre enthält; derselbe ist bereits ziemlich genau und wird
von den arabischen Astronomen gebraucht. Die 11 Schaltjahre sind
das 2. 5. 7. 10. 13. 15. 18. 21. 24. 26. 29. Jahr des 30 jährigen Zyklus.
Danach ist die mittlere Dauer des Mondjahrs 354 ^^ = 354^^ 8'^ 48'^^
d. h. bis auf 36^ richtig.
Das freie Mondjahr durchläuft, da es um 11 Tage kürzer ist als
das 365tägige Sonnenjahr, mit seinem Anfange alle Jahreszeiten.
Ein solches Jahr ist nicht sehr für den Kultus brauchbar, wenn dieser
sich an die Mondphasen knüpft, denn meist wird an die Zeitrechnung
die Forderung gestellt werden, daß man die Feste immer in der
gleichen Jahreszeit feiern wolle. Daher bildete sich frühzeitig im
Oriente das gebundene Mondjahr (Lunisolar- Jahr) aus,
welches die Umlaufszeiten der Sonne und des Mondes so in der Zeit-
rechnung ausgleicht, daß eine Anzahl ganzer Sonnen jähre zugleich
eine Anzahl ganzer synodischer Mondmonate umfaßt. Der synodische
Monat ist in dem tropischen Sonnenjahre (365,2422 : 29,53059) un-
gefähr 121/3 mal enthalten 1; man wird also einen Ausgleich zwischen
beiden dadurch herstellen können, daß man 12 und 13 Monate in
gewisser Weise in der Jahreslänge abwechseln läßt, d. h. in einem
bestimmten Zyklus nach je einer Zahl gemeiner Mondjahre ein Schalt-
jahr von 13 Monaten einschiebt. Die überschüssigen Brüche über
1) Der genauere Betrag ist == 12,368268.
i^ 15. iMoml- und Soiiiioiijiilir. Ausgleichung. Schaltjahr. Kundjahr. (55
12 erhält man durch Verwandlung- des obigen Verhältnisses des
synodischen Monats zum tropischen Jahre in einen Kettenbruch. Es
ergeben sich die Näherungswerte y? g » -g » -^^> ~^, ^ .... Die
ersten fünf von diesen Näherungen haben wir schon vorher beim Aus-
gleich des freien Mondjahrs gefunden. Der fünfte Wert ist schon ziem-
7 235
lieh genau, denn 12^^ d. h. ^ zeigt an, daß 235 synodische Monate --=
19 tropischen Jahren sind; in der Tat haben die ersteren 6939,6884 Tage,
die zw^eiten 6939,6018 Tage, also ist die Differenz bei diesem Ver-
hältnisse nur 0,0866 Tage, Noch genauer würde der letzte der obigen
Näherungswerte 12gg^ = -^^- sein, denn 4131 synodische Monate geben
gegen 334 tropische Jahre nur einen Unterschied von 0,0310 Tagen.
Das Verhältnis 235 : 19 wurde von Metun um 432 v. Chr. für
den athenischen Kalender aufgestellt, aber erst später eingeführt.
Nach je 19 tropischen Jahren wiederholen sich die Neu- und Voll-
monde wieder an denselben Monatstagen wie früher i, sie können also,
wenn sie einmal durch 19 Jahre liindurch bestimmt sind, für kommende
Zeiten mit Hilfe dieses Mondzyklus angegeben werden. Der METoxsche
Zyklus erwarb sich großes Ansehen und w^urde noch im Mittelalter
gebraucht (Ostertafel des Axatolios). Da 235 synodische Monate nur
um die oben angeführte Differenz 0,0866 Tage (= 2"^ 5™) länger sind als
19 tropische Jahre, so genügt der Zyklus für nicht scharfe Forderungen;
erst in 219 Jahren (nach 11,54 Zyklen) steigt die Differenz auf 1 Tag.
Die späteren Verbesserungen des Zyklus durch KALLipprs und Hippaech
gingen von der vierfachen (76 jährigen) und 16 fachen (304 jährigen)
Periode aus. Die 7 Jahre, welche in dem 19jährigen Z3'klus zu
Schaltjahren gemacht werden, können auf mehrfache Weise verteilt
werden, z. B. auf das 3. 5. 8. 11. 13. 16. und 19. Jahr.
Das Sonnenjahr unterscheidet man in ein festes und ein
bewegliches. Das letztere wurde nur zu 365 Tagen ohne jede
Einschaltung angenommen; da also der Überschuß von 5'' 48'" 46,43*
(für 1800 nach Hansex) nicht in Eechnung kommt, durchlief es nach
und nach alle Jahreszeiten (in etw^a 1500 Jahren ein Jahr); das be-
wegliche Jahr heißt deshalb auch Wandel jähr {cmnus ragiis). Das
feste Sonnenjahr ist dagegen ein solches, welches möglichst mit der
faktischen tropischen Sonnenbewegung übereinstimmt. Um die Ein-
schaltungsverhältnisse übersehen zu können, entwickelt man den
Überschuß 5'' 48'^ 46,43^ = 20 926,43* oder in hundertfachen Tagen =
1) Abgesehen von Verschiebungen um einen Tag, wegen der veränderlichen
Länge des synodischen Monats.
Ginzel, Chronologie I. 5
66 Die Zeitelemeiite und ihre liistorisclie Entwicklung.
2 092 64-3 1 7
86'4ÖMö ^^S^f ^^^ Kettenbrucli und erhält die Näherungsbrüclie -^ ? 29'
^5 75^5 777? Berücksiclitig-t man nur das erste Verhältnis -,-?
33 128 417 ® 4
schaltet also jedes 4. Jahr einen Tag ein, so hat man ein mittleres
Jahr von 365^4 Tagen; dieses weicht, da es vom tropischen um
0,007796'! verschieden ist, in etwa 128 Jahren um einen Tag ab,
verdient also nicht den Namen eines festen Jahres. Eine vorzügliche
31
Übereinstimmung ließe sich durch den 4. Xäherungsbruch ^gg erreichen,
man hätte in 128 Jahren 31 Schaltjahre (zu iiQQ% und zwar 27 nach
je 4 Jahren und 4 nach je 5 Jahren unterzubringen; die mittlere
Länge eines Jahres wäre dann 365'^ 5'' 48™ 45^*, würde also gegen die
von Hansen angegebene nur um 1,43^ abweichen, also erst in 60 420
Jahren um einen Tag (wenn sich inzwischen die Länge des tropischen
Jahrs nicht verändern würde, s. S. 32). Auf das julianische und
gregorianische Sonnen jähr komme ich in § 19 zurück.
Es ist für die Beantwortung der Fragen nach den Jalirformen
der ältesten Kulturvölker nicht ohne Wichtigkeit, in Kürze noch die
AVege zu übersehen, auf welchen die Kulturvölker zur Erkenntnis
der Jahreslängen kommen konnten. Am leichtesten war die
Beobachtung zu machen, daß der Mond zeitweise in der Nähe eines
und desselben hellen Sternes stand, täglich hinter diesem zurückblieb,
und daß die Zeit der Unsichtbarkeit des Mondes (Neumond) mit
diesen Bewegungen durch Perioden zusammenhing. Indem man also
solche Annäherungen des Mondes an helle Sterne beobachtete, erhielt
man einen rohen Betrag der Länge des siderischen Monats ; durch
Vergleichung von Beobachtungen, die um mehrere tausend Tage aus-
einander lagen, ergab sich, wenn man auf die Zahl der Wiederkünfte
des Mondes aufgemerkt hatte, ein besserer Betrag des siderischen
Monats. Dabei mußte man bald wahrnehmen, daß die Zeit, zu welcher
der Mond ein und dieselben Phasengestalten zeigte, etwas von jener
Bewegung verschieden war. Nach je ungefähr 29 Tagen erschien
die feine Sichel wieder am Abendhimmel, nachdem der ]\Iond mehrere
Tage unsichtbar gewesen. Lange Zeit rechnete man wahrscheinlich
mit dieser primitiven Monatslänge, die zwischen zwei Neulicht-
erscheinungen enthalten ist. Die Zeit des Neulichtes wurde dadurcli
für die alten Völker ein so wichtiges Zeitelement, daß diese Phase
auch dann noch den Beginn des Monats bildete, als man längst die
Zwischenzeit zu bestimmen wußte, die zwischen den wahren Neu-
monden selbst liegt. Für die genauere Erkenntnis der Länge des so
gewonnenen synodischen Monats wurden die Mondfinsternisse
wichtig. Indem man die Zeiten der Hauptphase oder des Eintritts
zweier Älondfinsternisse beobachtete und durch die Zahl der inzwischen
§ 15. .Mond- und Suiuiciijalir. Ausgleicluui^'. Scliiiltjalir. Kuiidjalir. 67
abgelaufenen synodischen Monate dividierte, konnte die Kenntnis des
synodisclien Monats verbessert werden; den genaueren Wert konnte
man aber nur allmälilich ermitteln, in dem Maße, als die Aufzeichnungen
über beobachtete ]\rondfinsternisse sich über immer größere Zeit-
abschnitte auszudehnen begannen. Die Yergleichung der Zeiten der
^fondfinsternisse mit der Dauer des siderischen Monats führte zugleich
zu den ersten rohen Begriffen über die Länge der d r a k o n i t i s c h e n
Umlaufszeit und lieferte das ]\Iittel, die Mondfinsternisse im voraus
erwarten zu können. Auf die angedeutete Weise gelangte man früh-
zeitig zur Kenntnis der ungefähren Länge eines Mondjahrs; der
Mond gab den eigentlichen Ausgangspunkt aller Zeitmessung ab; in
den Veda-Schriften heißt er schon „der Ordner der Zeiten" oder ..der
Messende"; die Ägypter nannten ihn sol-ha = Teiler der Zeit, und
überall finden sich spezielle Einrichtungen der Kalender, die
Teilungen der Monate in gewisse Fristen, Wochen u. dergl. an seine
Bewegung geknüpft.
Die fortschreitende Kultur und vor allem der Ackerbau ließen
aber bald hie und da das Literesse an dem Sonnenjahre hervortreten.
Das Sonnenjahr wurde nun entweder das Hauptzeitmaß, oder man
trachtete — und dies ist bei der Überzahl der Nationen der Fall
gewesen — die wiederkehrenden Jahreszeiten mit dem Mondjahre zu
verbinden. Allein das eine wie das andere, die Ermittlung der Länge
des Sonnenjahrs sowohl, wie der Übergang auf das gebundene Mond-
jahr, muß den alten, noch auf den unteren Stufen der Zeitmessung
stehenden Völkern große Schwierigkeiten bereitet haben. Ein erster
roher Begriff von der Länge des Sonnenjahrs stellte sich ein durch
die Abweichung des zwölf monatlichen synodischen Mondjahrs von den
Jahreszeiten; man konnte daraus konstatieren, daß das Sonnenjahr
etwas länger sein müsse als das Mondjahr. Die nähere Kenntnis
dieses Überschusses ließ sich nur durch astronomische Beobachtungen
ermitteln. Die roheste Beobachtungsart war wohl folgende: Man
merkte von einem höher gelegenen Punkte aus auf die Orte der
Sonne am Horizonte. Durch Markieren dieser Orte (etwa auf einem
horizontal liegenden Steine) am Beobachtungspunkte sah man in kurzer
Zeit, daß der Ort des täglichen Sonnenaufgangs sich allmählich nach
Norden verschob, zum Stillstand kam, darauf nach Süden wanderte,
wieder zum Stillstehen gelangte, und dann wieder nach Norden
zurückkehrte. Die Zwischenzeit zwischen je zwei Eückkehrzeiten
gab die ungefähre Länge des Jahres. So beobachteten die alten
Peruaner die Sonne von dem Steine Int'i-hnatana. die Mexikaner von
den Höhen ihrer TeocaUis] auch mehrere der siebenstufigen Tempel-
türme und Terrassen der Babylonier zu Babylon, Borsippa, Sakkära,
vielleicht besonders der dem Manhd- (Gott der Morgensonne und der
68 Die Zeitelemeute und ihre historische Entwickhxng.
Frülijalirssonue 1) geweihte Tempel i!;>Yr///7 (= hochragendes Haus) mit
seinem Turm E-temen-an-Vi (= Haus des Fundamentes des Himmels
und der Erde) haben jedenfalls Beobachtuugszwecken gedient. Bei
der Schwierigkeit, die Sonne durch längere Zeit mit freiem Auge ver-
folgen zu können -, mußte die resultierende Länge des Jahrs nur eine
ungefähre sein. Mehr Sicherheit ließ sich erst mit der Aufstellung
der Gnomone erlangen, aus deren Schattenlänge man den Tag des
kürzesten Schattens konstatierte; die Zwischenzeit zwischen je zwei
solchen Tagen, aus möglichst vielen Jahren abgeleitet, gab die Jahres-
länge auf den Tag sicher (365 Tage). Allein diese Methode erfordert
schon Erfahrungen im astronomischen Messen, bedarf auch der Auf-
lösung einer Dreiecksaufgabe •', kommt also erst für die rechnerisch
und astronomisch weiter fortgeschrittene Zeit in Betracht und nicht
für die Epoche der Anfänge der chronologischen Elemente.
Das gebundene Mondjahr ist, wie wir gesehen haben, erst dann
mit Zuverlässigkeit herstellbar, wenn nicht allein das synodische
Mondjahr, sondern auch die Länge des tropischen Sonnenjahrs hin-
reichend genau bekannt sind. Die Länge des synodischen Mondjahrs
war nicht allzu schwer zu erkennen, dagegen mußte die Feststellung
der Länge des tropischen Sonnenjahrs großen Schwierigkeiten be-
gegnen ; die Beobachtung der (ebenfalls schwierig verfolgbaren) helia-
kischen Auf- und Untergänge der Hauptsterne, in welchen man
vielleicht ein Mittel zur Lösung der Frage zu finden vermeinte,
leitete eher zur Erkenntnis des siderischen Jahrs als des tropischen.
Wir müssen deshalb aus der ethnologischen Entwicklung dieser Dinge
den Schluß ziehen, daß auch das Schaltungsverfahren in jenen Zeiten
noch ein sehr unsicheres und darum schwankendes gewesen ist; man
1) Hiezu ist zu erinnern, daß in der späteren Zeit in Babylonien das Neujahr
mit der Frühlings-Tag- und Naehtgleiche (Nisannu) begann und daß das Neujahrs-
fest {alcitn) durch mehrere Tage mit großen Feierlichkeiten, Prozessionen u. s. w.
vom Mm-cZ!<Ä;-Tempel aus seinen Ausgang nahm.
2) Diese Schwierigkeit bildete bis ins Mittelalter hinaiif das Haupthindernis
für die Erkenntnis der wahren Sonnenbewegung. Die alten Astronomen behalfeu sich
damit, die Sonne entweder nur bei ihren Auf- und Untergängen zu beobachten
oder • reflektierte Sonnenbilder, die man in mit Öl und Wasser gefüllten Becken
herstellte, zu benutzen. Letzteres Mittel verwendeten die griechischen und römischen
Priester, selbst noch die arabischen Astronomen. Später verwendete man Diopter
mit feiner kreisffirmiger Öffnung. Zu Keplers Zeiten noch bedienten sich die
Astronomen solcher Platten bei Sonnenbeobachtungen, besonders bei Sonnenfinster-
nissen. Dann kam man auf die Methode, das Sonnenbild in einer verfinsterten
Kamera auf weißem Papier aufzufangen; Moestlin (1579 n.Chr.) scheint der erste
gewesen zu sein, der auf diese Art beobachtete. Mit der Entdeckung der Sonnen-
flecke (1611) kamen dann die Projektionsapparate und die farbigen Gläser zur
Abbiendung der Sonne auf.
3) Die Verwendung des Gnomons für obigen Zweck setzt auch schon eine
ungefähre Kenntnis der geographischen Breite des Beobachtungsortes voraus.
i^ lö. Mund- niid SoniU'iijiilir. Ausglcioluiii^^ Scliiiltjiilir. Ifundjalir. 69
vermochte nur durch Versuche (empirisch) zum Ziele zu gelang-en. Die
Chinesen (die man doch als eines der ältesten Kulturvölker hinstellt)
rechneten bis ins 7. Jahrh. n. Chr. mit einer gleichmäßig-en täglichen
Bewegung der Sonne und vermochten (wohl eine Folge ihrer Ab-
geschlossenheit) durch Jahrhunderte hindurch ihr Lunisolarjahr nicht zur
genügenden Cbereinstimmung mit dem Himmel zu bringen. In Ägj-pten
haben die Könige durch Veränderung der Schaltung ein zutreffenderes
tropisches Jahr herzustellen versucht, als vermutlich die Priester zu geben
imstande waren, denn späterhin mußten die Könige bei ihrer Krönung
den Schwur leisten, daß sie keine Schaltungen vornehmen würden ^
In der Entwicklungsperiode des Jahrs, von der hier die Rede
ist, scheint nun das Sexagesimalsystem , das sich von Bab^ionien aus
über Vorderasien verbreitete und in seinen Spuren bis nach Indien
und China reicht, einen entscheidenden Einfluß auf das Zeitrechnungs-
wesen geäußert zu haben. Es ist nämlich auffallend, daß in ganz
Vorderasien und in Ägypten das Sonnenjahr zu 360 Tagen mit 5
angehängten Ergänzungstagen (Epagomenen) gerechnet wird. Von
einem 360tägigen Jahre, zerfallend in 18 Abschnitte zu 20 Tagen
mit angehäugten 5 nemontemi, haben wir außerdem Nachricht bei
den Zentralamerikanern; die vedischen Schriften der Inder kennen
überhaupt nur das 360tägige Jahr, und Hinweise auf ebendasselbe
linden sich bei den Chinesen. Merwürdig ist, daß die 5 Ergänzungs-
tage überall eine unheilvolle, ungünstige Bedeutung haben; die
5 nemontemi der Mexikaner haben denselben schlechten Ruf wie die
5 Epagomenen der Ägypter. Daß man wirklich nach einem nur
360 Tage dauernden Sounenjahre gerechnet hätte, führt zu schweren
Ungereimtheiten, denn schon im Verlauf eines Menschenlebens würde
ein solches Jahr alle Jahreszeiten durchlaufen haben, und würde in
jeder Hinsicht als unbrauchbar befunden worden sein. Dagegen wird
die Abtrennung der 5 Ergänzungstage von einem 365tägigen Jahre
erklärlich, wenn man annimmt, daß man in der Epoche, wo die Länge
des Jahres noch nicht endgültig festgelegt war, mit den A^ersuchen
und den Schaltungen unter dem Einflüsse des Sexagesimalsystems von
einem 360tägigen Jahre ausging. Diese Jahrform werde ich im
folgenden ein Rund jähr nennen. Ein solches Rundjahr hatte den
Vorteil, daß man es in 12 Monate zu 30 Tagen zerlegen, die 5 Tage
anhängen und dabei dem sexagesimalen Prinzip genügen konnte-;
1) Bei den Babylonieni wurden im 3. Jahrtausend v. Chr. noch die Schaltungen
je nach Bedarf auf Befehl der Könige vorgenommen {Hammurabi).
2) Bei den Babyloniern nehmen die fünftägigen Fristen (liamustu) in der
Unterabteihmg des Monats eine wichtige Stelle ein; 6 solcher Perioden geben den
öOtägigen Monat, 72 = 6 ■ 12 ein Eundjahr, 73 = 6 ■ 12 -(- 1 = ein Sonnenjahr
von 365 Tagen.
70 Die Zeitelemeute und ihre liistorisclie Entwicklung.
das Euiidjahr gestattete aber auch, leichter die Schaltungsverhältnisse
zum siderischen, synodischen Mondjahre übersehen und bilden zu
können 1. Das Eundjahr stellte also ein theoretisches Jahr vor, von
welchem man bei der Feststellung der Verhältnisse der verschiedenen
Jahrformen zu einander ausging. In die Praxis trat es nur in ver-
einzelten Fällen über, namentlich dort, wo es eine bequeme Basis zur
•Rechnung abgeben konnte; wir linden das 360tägige Jahr als Ver-
rechnungsjahr in der Inschrift von 8iut und in den Texten von
Telloli, wo der Monat durchaus zu 30 Tagen gerechnet wird, wieder;
die 36 Dekaden der Ägypter beruhen ebenfalls darauf. Selbst in der
Gegenwart verrät es noch eine Spur, da unsere Kaufleute bei gewissen
Usancen den Monat nur zu 30 Tagen rechnen.
§ 16. Die Moudstatioueii.
Die Mondstationen gehören zum ältesten Bestände der chrono-
logischen Zeitelemente. Schon in der Zeit, da man den siderischen
Mondmonat erkannte, trat die Notwendigkeit hervor, den allmonatlichen
Weg des Mondes am Himmel irgendwie für das Gedächtnis festzulegen.
Da der Mond von Zeit zu Zeit immer wieder durch dieselben Stern-
bilder geht, so mußte man, um den täglichen Aufenthaltsort des
Mondes unter den Sternen zu charakterisieren, für die ganze Dauer
seiner sichtbaren Phasen 27 oder 28 Himmelsgegenden mit Namen
benennen; diese Himmelsgegenden führen die Gesamtbezeichnung
Mondhäuser oder Mondstationen. Der Weg des Mondes liegt
im allgemeinen in der Nähe der Ekliptik; vom Äquator kann er sich
weiter als die Sonne, bis zu 28*^ südlich und nördlich von demselben,
entfernen. Da man für jeden Tag des ,.lichten" Monats, d. h. während
der etwa 27 Tage fassenden Periode vom Sichtbarwerden der ersten
Sichel bis zum Verschwinden der letzten vor dem Neumond, eine
Station angeben wollte und letztere durch besonders helle Sterne
leichter kenntlich zu machen suchte, kam man zur Aufstellung von
von 27 oder 28 Mondstationen, die anfänglich ziemlich regellos nördlich
und südlich vom Äquator lagen und in sehr ungleichen Intervallen
1) Bei den Indern der nachvedischen Periode finden wir verschiedene Jahi'es-
arten zu monatlich 27, 29, 30 und 30'/., Tagen (s. § 78). Aus diesen Jahren bilden
die Inder ein fünfjähriges yuga von 1880 Tagen, in welchem sich die genannten
Jahresurten alle unterbringen lassen. Man bemerkt aber, daß das yuga auf sexa-
gesimalem Aufbau beruht: 1830 Tage = 5 liundjahre -j- 1 Kundnionat, oder ^^
61 Rundmonate. — Dii' Übergänge vom siderischen Mondmonat (27 Tage) auf das
Rundjahr hat C. F. Lehmann (Ztvei Hauptprobleme der altoricnt. Chronul, Leipz.
1898, S. 197) entwickelt, indem er von einer uddu {uddann) genannten babylonischen
Zeiteinheit (vermutlich ^/jgo des siderischen Monats) ausging.
§ 16. Die Mondstationeii. 71
einander folgten. Diese Mondstationen sind nns durch die Tradition
besonders bei drei Nationen, den Indern, Chinesen und Arabern,
zweifelfi'ei nachgewiesen. Bei den Indern heißen sie nah-^hatifi
(ursprünglich nur in der Bedeutung- „Stern", erst in den Brahmana-
Texten als Stationen des Mondes); die vedischen Schriften kennen
vorzugsweise 27 nakshatra, das 28. ahhijit entstand später, wahr-
scheinlich mit der genaueren Kenntnis der Länge des siderischen
Monats. Die nalshatra wurden für die indische Zeitrechnung von
größter Wichtigkeit, da sich bald an das Erscheinen des Vollmondes
in den Mondhäusern die Opferzeiten knüpften, aus diesen Zeiten aber,
und zwar zum Teil mit Beibehaltung- der nal-shatra-^2im&i\, die alten
Mondmonate hervorgingen (s. ;^ 76, 77, 80, 95). Bemerkenswert für
die Entwicklung der nal-shcdra bei den Indern ist, daß die Mond-
häuser in ungleichen Intervallen und in gleichen auftreten ; das erstere
Sj^stem ist aber sehr wahrscheinlich das viel ältere; man ging erst später
zu gleichen Intervallen über. — Die Chinesen kennen die Mond-
stationen unter dem Namen ^h( (= eine Nacht, während einer Nacht,
Domizil). Obwohl sich nach A. Webee die suc in der chinesischen
Literatur nicht über 250 v. Chr. zurückverfolgen lassen (und erst
während der iJfn« -Dynastie bestimmter auftreten), so ist doch ander-
seits, im Hinblick auf die Un Vollständigkeit der alten astronomisch-
chronologischen Literatur (vieles ging bei der Bücherverbrennung im
3. Jahrb. v. Chr. zugrunde) nicht zweifelhaft, daß die Mondstationen
auch in China sehr alten Ursprungs sind (s. § 133). — Die Araber
nennen die Mondstationen menäzil (Sing, maiml). Bei ihnen reichen
die Stationen vielleicht in eine weniger zurückliegende Zeit hinauf,
kommen aber nach Homseel schon in der altarabischen Poesie vor ^ ;
Speengek versuchte nachzuweisen, daß die Mondstationen von den
vorislamischen Arabern zur Bestimmung der Zeit des Pilgerfestes
gebraucht wurden, und ALBiErNi berichtet uns, daß die alten Araber
sich bei den Schaltungen der Monate nach den Auf- und Untergängen
der Mondstationen gerichtet hätten (s. § 51 und 52). — Die Identi-
fizierung der Sterne, welche die einzelnen Mondhäuser zusammen-
setzen, ist für die indischen, chinesischen und arabischen Stationen von
Le Gentil, Colebeooke, J. B. Biot, Bitegess, A. Webee, O. Schlegel,
HoMMEL u. a. vorgenommen worden. Ich setze hier die aus den
gleichen Sternen bestehenden Stationen resp. die parallelen neben-
einander :
1) lu dieser alten Literatur sollen 14 Stationen und zwar 1. 'dl-asarat\
3. Plejaden, 4. (al-clebarän) , 6. {al-gauzä) , 7. [al-dirä) , 8. {natra) , 10. ygabJia).
11. (al-Tiaräf^^ 13. (al-'aivivä) , 14. (simäk), 18. (al-'akrab), 20. (an-na'äm), 24. (as-
su'üd), 26/7. (ad-daluni) vorkommen.
72
Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhing.
Manzil.
1. as-saratäni oder al-
natli.
ß u. 7 Arietis.
2. al-butaiii ^ Bäuchlein
i^des Widders)".
a, b, c Muscae.
3. at-tnraijä (Plejaden).
7] Tauri.
4. al-daharän.
u & y 8 b Tauri.
5. al-hal'a.
l (p^ qp2 Oriouis.
6. al-han'a.
7] fi r 7 I Gremin.
7. ad-dirä'u.
a ß Gemin.
8. an-natra.
y S £ Cancri.
9. at-tarf „Auge (des
Löwen)".
I Cancri, X Leonis.
10. al-gahha ^Stirn (des
Löwen)".
a 7] y t Leonis.
11. as-suhra „Mähne".
d 9 Leonis.
12. as-sarfa , Wende".
ß Leonis.
13. aVawwci „die kläffende
(Hündin)".
ß 7] y ö h Virginis.
14. as-smäk „Höhe des
Himmels".
cc Virginis.
Naksliatra.
27. äsvini „Rosselenkerin".
ß u. y Arietis.
28. hliaram „die Weg-
führende".
a, b, c Muscae.
1. Icrittikä (Plejaden) „die
Verflochtenen".
T] Tauri.
2. rohini „die rote, auf-
steigende".
cc & y S £ Tauri.
3. mrigasiras „Haupt des
Rehs".
1 cp^ (p., ürionis.
4. ärdrä „ die feuchte "
(Arm, Vorderbein des
Rehs).
a Orionis.
5. imnarvasii „wieder
gut" >.
a ß Gemin.
6. imshya „Heilgestirn".
y d ^ Cancri.
7. äiilesha „die Umschlin-
gende".
8 S a 7} (j Hydrae.
8. magliä „die mächtige".
a 7] y ^ yb t Leonis.
9. pnrva-plidlguni „vordere
l^hälg^
ö & Leonis.
10. uttara-]^hälgum
„äußerer pJiälg."^
93, ß Leonis.
11. hastä „Hand".
S y i- cc ß Corvi.
12. chiträ „die wunder-
same".
cc Virginis.
Sin.
16. leu „Schnitterin".
a, ß, y Arietis.
17. wei „Kornbehälter
(Bauch, Magen)".
a, b, c Muscae.
18. mao „untergehende
Sonne "(auch „Himmels-
weg").
7] Tauri.
19._ pi „Jagdnetz".
cc & y S £ Tauri.
20. tsui „Mund (o. Kopf des
Kriegers)".
l qPi (p-2 Orionis.
21. tsan „der Erhabene".
ußyS£^7}ii Orionis.
22. tsing „Brunnen".
li V y ^ l ^ £ Gemin.
23. Jcui „die Manen (Ge-
spenster)".
y S 7] & Cancri.
24. Heu „Weide" oder
„Bambus".
d £ ^ & Q a CO Hydrae.
25. sing „Stern".
a T Hydrae.
26. tschang „Fangnetz".
V V cp ^ l K Hydrae.
27. iji „Flügel".
cc Crater. (u. 21 Sterne
des Bechers u. der Hydra).
28. tschin „AVagen".
y £ S ß 7] Corvi.
1. Jcio „Hörn" (des blauen
Drachen).
a Virginis.
1) Vom Wetter (meteorologisch resp. astrologisch, wie mehrere andere der
nakshatra).
§16. Die ^londsttitioiien.
73
Mauzil.
lö. al-gJinfr „Decke".
i ■K X Virgin.
16. az-zuhünay (Scheren d.
Skorpions) ^
u ß Librae.
17. al-iklil ,K^one^
ö 7t ß Scorpii.
18. al-kalh ^Herz (des Skor-
pions)".
a Scorpii.
19. aS-sliaula „Schwanz
(des Skorpions;".
l V Scorp.
20. an-na'äjim „die
Strauße".
y 6 h 7] f t l Sagitt.
21. al-haldäh „Land, Ge-
gend" (Sternenleere
Stelle bei it Sagitt.).
22. sa'd ad-däbih „ Glücks-
stern d.Schafschlächters".
u ß Capric.
23. SftVZ hiüa' „Glücksstern
d. A^erschlingers".
s {L V Aquarii.
2-1. sa'd as-su'üd „Glücks-
stern der Glückssterne".
ß ^ Aquarii.
25. sa'd al-alihija „Glücks-
stern der Zelte" (ver-
borgenen Orte).
a y ^ 1] Aquarii.
26. al-fargh al-awwal
„erster Henkel (des
Schöpfeimers)".
a ß Pegasi.
27. al-fargh- altäiii „zweiter
Henkel".
y Pegas. u Androm.
28. hatn al-Mt „Bauch des
Fisches".
ß Androm.
Nakshatra.
13. svuti (Halsband,
Schwert; ?
a Bootis.
14. visükliä „die zweizin-
kige, gabelförmige".
L y a ß Librae.
15. anurädhä „die heil-
bringende, günstige".
S Tt ß Scorpii.
16. jyeshthd (?)
aar Scorp.
17. mülam „Wurzel".
hXiirid'iycv Scorp.
18. ptirva-shädhäs „die \ov-
deren unbesiegten".
ö f Sagittarii.
19. nttara-shädhäs „die
äußeren unbesiegten".
a ^ Sagitt.
20. ahhijit „siegreich".
a f J Lyrae.
21. sravana „lahme Kuh".
cc ß y Aquilae.
22. sravishtliä „die ruhm-
reichste".
ß cc- y ö Delphini.
23. mtabJüshaj (?)
X Aquarii.
24. pürva-hhädra-padäs
„heilbringende Füße ha-
bend" (vorderer hhäd.).
u ß Pegasi.
25. nttara-hhädra-padäs
(hinterer hhädrapX
y Pegas. cc Androm.
26. rcvati „die reiche". .,
J Piscium.
Siu.
2. kang „Hals" (des
Drachen .
i y. X IL Virgin.
3. ti „Grund" 'Brust des
blauen Drachen;.
a ß y V Librae.
4. fang „Haus".
d n ß Q Scorpii.
5. sin „Herz" (des blauen
Drachen).
aar Scorp.
6. wi „Schwanz" (des bl.
Drachen).
b%^LT]&tv.v Scorp.
7. ki „Mistgefäß".
y S fc Sagitt. ß Telesc.
8. teil „Scheffel".
a X (p X 6 ^ Sagitt.
9. niu „Ochs" (Ochsen-
schlächter).
cc ß i, Capric.
10. nu „Jungfrau" (Hoch-
zeit).
h [i V Aquarii.
11. hiu „Grabhügel".
ß Aquar. cc Equulei.
12. wel „Giebel".
a Aquar. e & Pegasi.
13. tscM „Feueraltar".
cc ß Pegasi.
14. pi „Mauer".
y Pegas. cc Androm.
15. tili „Sandal" {tien-tschi
Himmelsschwein).
ri^iES7tv\Lß Androm.
a X V (p % t\> Piscium.
1) Der arabische Name hängt mit dem babylonischen zibaniht, „Wage" zu-
sammen; letzteres erlangte die Bedeutung „Scheren des Skorpions" erst, als die
Araber der Abbasidenzeit mit dem Ahnagest bekannt wurden.
74 Die Zeitelemente und ihre historische Entwicklung.
Die diesem Werke beigegebene Karte zeigt die Lage der Stationen
am Himmel für die Zeit 4000 v. Chr. Sie gründet sich auf die
Sternpositionen der Tafel I. Die arabischen Mondhäuser sind darin
mit [1] [2] [3] . . . ., die indischen mit I, II, III ... ., die chine-
sischen mit 1. 2. 3 ... . bezeichnet. Wie man aus dieser Karte
und aus der vorstehenden Übersicht der mcmzU, naJishatra und cs;^^
ersieht, stimmt die größere Zahl der Stationen in der Wahl der
Sterngegenden und der Sterne gegenseitig überein, wie z. ß. gleich
die ersten 5 manz'il mit den parallelen nalxshatra und siu: manche
Stationen sind nur Erweiterungen der parallelen, wie die chinesische
21. tsüu, welche die indischen 4. ärdrä, 3. mrigasiras und die
arabische 5. al-hak'a, die sich nur auf den Kopf des Orion beziehen,
durch ein über dieses ganze Sternbild reichendes Mondhaus ergänzt.
Manche bevorzugen ein und dieselben Sterngegenden, obwohl sich auf
dem Durchschnittswege des Mondes auch Sterne hätten finden lassen,
die diesen Weg besser bezeichnen. Anderseits finden auffällige Ab-
weichungen statt, z. B. die südliche Lage der chinesischen Stationen
24. Jieu, 25. sing, 26. tschang, 27. yi und 28. tsckin in der Hj^dra
und im Raben abweichend von den ihnen parallelen arabischen und
indischen, sowie die abirrende Position der indischen 26. revaii und
23. satahhishaj in den Fischen und im Wassermann von den be-
nachbarten arabischen 26. 27. 28. im Pegasus und der Andromeda;
ferner die abweichenden indischen Häuser 21. sravana (Adler) und
22. dravislithä (Delphin) gegen die arabisch - chinesischen 22. 9 und
23. 10. Ganz besonders merkwürdig liegen die indischen Mondhäuser
20. ahhijit (Wega) und 13. sväü (Arktur), die sich weitab vom Wege
des Mondes befinden. Eine gewisse Übereinstimmung ist trotz der
genannten Abweichungen zwischen den indischen, chinesischen und
arabischen Stationen nicht zu verkennen. Hätte jedes dieser drei
Völker die Mondstationen selbständig aufgestellt, so würden die zu-
sammengefaßten Sterngruppen keine solche räumliche Trennungen von-
einander aufweisen, sondern die verschiedenen Stationen würden mehr
durcheinander liegen und viel weniger koinzidieren, da hellere Sterne
genug auf dem Mondwege vorhanden sind. Betreffs der Inder kommt
noch der Umstand hinzu, daß die alten Schriften derselben zwar die
27 (28) nalshatra kennen, aber sonst nur sehr wenige Sterne des
Himmels, daß sie also, im (jegensatze zu den Chinesen und Arabern,
eine auffällige Kenntnislosigkeit des Sternhimmels verraten. Man
hat deshalb schon bald nach Colebeooke eine Entlehnung der Mond-
stationen von einem Volke zum andern angenommen ; Biot wollte die
Stationen allein den Chinesen zuschreiben (die Stationsreihe habe
anfänglich nur 24 Glieder gehabt), von welchen sie mit Mißverständ-
nissen zu den Indern übergegangen sei ; Max Müllee, Lassen, Burgess
ij 16. Die Mondstationen. 75
suchten dagegen den indischen Ursprung zu s-erteidigen. A\'eit nielir
Interesse als diese Kontroversen hat gegenwärtig die von A. Weber
näher begründete Hypothese eines gemeinsamen Ursprungs der
Mondstationen (welcher Ansicht später auch Whitney in der Haupt-
sache beitrat; Sedillut nahm ein Vorhandensein der ]\[ondstationen
bei allen orientalischen alten Völkern und eine spätere Bevorzugung
des arabischen Sj^stems in Indien und China an).
A. Webek führte (1860) für seine Vermutung eines ursprünglichen
Mondstationenkreises bei den westasiatischen Völkern hauptsächlich
drei Gründe an : Die Harraniter ^ feierten nach einer Angabe aus dem
Fihrisf des Ennedhn am 27. Tage des Mondmonats ein Neumondfest,
indem sie an diesem Tage dem Monde Opfer brachten; ferner sind
27 tägige Fasten zu Ehren des Mondes bezeugt. Durch den siderischen
Monat und den 27tägigen Kultus scheine die Existenz der 27 ]\[ond-
stationen bei den Harranitern angedeutet. Die zweite Beziehung fand
Weber in der Schriftstelle des Alten Testaments, wo (II. Buch der
Könige 23, 5) von Josias gesagt wird, dieser habe „die Eäucherer des
Baal, der Sonne und des Mondes und der mazzalot und alles Heeres
am Himmel" abgetan. Unter den mazzalöt kann nur eine bestimmte
Art von Sternen gemeint sein-, diese Bezeichnung finden wir aber
bei dem arabischen manml (Moudstatiouen) wieder. Das dritte
Moment bildet der Hinweis auf die Verbreitung der Mondstationen
bei den Arabern (Koran X 5, XXXVI 39) ^ Als Weber seine beiden
grundlegenden Abhandlungen über die nakshatra schrieb, war ihm
noch fraglich, ob die Araber unabhängig zu den Stationen gekommen,
oder ob sie dieselben von Indien her erhalten haben. Sicher erschien
nur, daß jene Anordnung der menäzü, welche sich zuerst bei
Aleerghaxi (9. Jahrh.) vorfindet, bestimmt aus Indien herrührt. Die
milcshatra zeigen nämlich eine zweifache Anordnung: in der alten
Zeit (BräJimana - Zeit) bildet die spätere dritte Station kritt'ild
(Plejaden) immer die erste und den Frühjahrspunkt der Eeihe
(s. § 77), in der späteren Zeit ist dagegen 28. revafi resp. 1. äsrim
1) Harrän in Mesopotamien, am Belias, ein altes Zentrum des Mondkultus.
2) Das "Wort maszalot ist sieber auf das babylonische manzaltu ^Standort"
(der Sterngötter) zurückzuführen. Ob damit die obige Stelle II Kön. 23, 5 zu-
sammengebracht werden darf und die bisweilen zitierte Job 38, 31 , scheint nach
ZniMERN (s. ScHEADER, KeiUnsclir. u. alt. Testam.. III; Aufl., S. 628) nicht hin-
reichend sicher.
3) X 5: „Er (Gott) ist es, der .... den Mond eingesetzt hat zu leuchten
bei Nacht, und seine Stellungen so bestimmt hat, daß ihr . . . die Berechnung der
Zeit wissen könnt." XXXVI 39: „Und dem Monde haben wir gewisse Wohnungen
bestimmt, bis daß er zurückkehrt gleich dem Zweige eines Palmbaums* Ver-
gleich mit dem Abnehmen des Mondes; der Palmzweig schrumpft wie der Mond
zusammen").
76 Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhing.
die oberste. Die Reihe bei Alfeeghani beginnt nun mit der Station
saratän (ß, y Arietis), welche identisch mit äsvim (ß, y Arietis) ist
(s. vorher S. 72). Weber nahm deshalb an, daß die 28 menäzil auf
Indien hinweisen. Auf Indien als Ursprungsort weist nach Weber
auch ein der hebräischen Literatur angehörendes Werk von MajarM
(gest. 1004 n. Chr.), in welchem die 28 Stationen mit ihren arabischen
Namen und ihrer Lage im Zodiakus aufgeführt werden, wobei sich
der Autor vielfach auf die Inder beruft (s. auch die vorher S. 71 von
HoMMEL, Speengee uud ALBiErNi gegebenen Nachweise). Ferner
scheinen in Iran die alten Parsen nach einer Stelle im Bundehesh
(c, 2) die indische äs'r Im -Reihe bei sich aufgenommen zu haben ^.
Diese gegenseitigen geographischen Beziehungen der Mondstationen,
sowie die angebliche Gleichheit der längsten Tagesdauer, die uns
(trotz des geographischen Breitenunterschiedes) aus Indien, China
und Babylon überliefert ist (s. hierüber § 79), bestimmten Weber
schließlich zur Annahme eines gemeinsamen Ursprungs der Mond-
stationen und Babyloniens als deren Quelle. „Wenn wir bedenken,
daß sich die Mondstationen mit geringen Verschiedenheiten ganz
identisch auch in China und Arabien vorfinden, und daß die Annahme
einer Entlehnung aus Indien großen Schwierigkeiten begegnet, daß
ferner für eine solche, in ihren Einzelheiten doch zum Teil will-
kürliche Himmelsteilung nicht anzunehmen ist, daß sie selbständig in
drei verschiedenen Ländern so identisch hergestellt sein sollte, daß
somit eine gemeinsame Quelle für die drei Länder sich fast als eine
Notwendigkeit ergibt, so drängt sich die Annahme, daß wir diese
gemeinsame Quelle in Babylon zu suchen haben, von selbst auf."
Seitdem ist durch Kugler der Nachweis geliefert worden, daß die
Dauer des längsten Tages, welche uns für Babylonien von Ptolemäus
überliefert ist, tatsächlich aus den keilinschrif fliehen astronomischen
1) ^ Auramazda erschuf zuerst die Himmelssphäre und die Sterne, jene 12,
deren Namen sind; sie sind von ihrem Anfang an in 28 Haufen (khürdak)
geteilt worden, deren Namen sind:
1. padevar 8. taraha
2. pcsh-parvts 9. avra
3. parviz 10. nahn
4. paha 11. miyän
5. avcsar 12. avdem
6. besn 13. mäshäha
7. rakhvad 14. spiir
Diese Pazend-Namen sind jedoch sehr entstellt, die entsprechenden Pc/i^evi-Namen
müßten erst ermittelt werden. Die 3. Station parviz ist sicher == parvcn (Plejaden),
also = der indischen Irittikä. Dann würde die 1. Station padevar = äsvini sein,
die parsischen Mondhäuser würden also mit derselben Station anfangen wie die
späteren indischen.
15.
husru
22.
(joi
16.
srob
28.
muru
17.
nur
24.
hunda
18.
gel
25.
kahtsar
19.
(jarafsa
26.
vaht
20.
varant
27.
miyän
21.
(jau
28.
kaht.^
i^ 16. Die MoiidstatioiiL'ii. 77
Tafeln folgt, womit der Schluß, daß diese Tageslänge von den Indern
angenommen worden ist, eine weitere Sicherung gewonnen hat. Es
müßte nun noch ein direkter Nachweis, daß die dreifache Mond-
stationenreihe in Babylonien ihren Ursprung nimmt, geliefert werden.
Dieser Beweis ist indessen bisher noch nicht erbracht. Eppixg glaubte
zwar etwa 28 Konstellationen, die man auf Planeten- oder Mond-
stationen deuten könnte (die Zahl blieb nicht sicher), in den
babylonischen Tafeln gefunden zu haben, und Ho.m.mels Yergleichung
dieser Stationen mit den arabischen manz'il läßt allerdings auf das
Vorhandensein von etwa 14 Sterngruppen schließen, die in der
babylonischen und arabischen Eeihe identisch sind; allein diese Yer-
gleichung ist nur eine künstliche und wirkt noch nicht überzeugend.
Die Voraussetzung, daß ursprünglich nur 24 ]\Iondstationen existiert
hätten, und daß diese aus dem 12 teiligen Zodiakus hervorgegangen
seien, ist von vornherein als sehr unwahrscheinlich abzuweisen. Trotz
dieses negativen Resultates bleibt aber die Hoffnung, daß der
babj^lonische Ursprung der Stationen aus inschriftlichem Material
noch nachweisbar sein wird, weiter bestehen. Der Einfluß der
Kultur Babj^loniens war in Asien ein so großer, daß er sich uns noch
in diesen Spuren verraten könntet
r Die Entstehung der Mondstationen müssen wir in die ersten Zeiten der
Bildung chronologischer Elemente setzen, also in vorhistorische Zeiten, in die Periode
der Staatenbildungen und Völkerwanderungen. In jenen Zeiten können schon die
Stationen sich in Westasien von Babylonien aus verbreitet haben. Aber auch für
die alte historische Zeit haben wir einige Zeugnisse, daß Indien, Arabien und
China nicht ohne alle Beziehungen zu Babylonien geblieben sind. Der Prophet
Jesaia (XLIII 14) spricht von der Schiffahrt der Chaldäer auf dem persischen
Golf. Babylonier hatten sich zu Gerrha :am Westufer des pers. Golfs nieder-
gelassen und betrieben Land- und Seehandel nach Babylon; eben von dort aus
später die Phönizier und Sabäer nach Indien. Von Babylon führten alte Handels-
straßen nach Medien, Baktrion und China. F. Hieth hat aus chiuesischen Quellen
nachgewiesen {China and the Roman Orient. 1885), daß kommerzielle Verbindungen
zwischen China und Babylon seit dem 1. Jahrh. v. Chr. bestanden, seit durch
Tschang Tschien die ersten Nachrichten von dem Lande Tiaotschi i^Babylonien
nach China gelangt waren. Nach diesen Quellen führte eine alte Handelsstraße
über Ssn-pin ;Ktesiphon) A-man (Ekbatana' An-hsi Parthien) und P'an-tu ' Heka-
tompylos^ nach Zentralasien. Die Verbreitung der Mondstationen in Arabien läßt
sich erklären durch den Mondkultus, der in ausgedehnter Weise in West- und
Südarabien betrieben wurde, wie verschiedene in neuerer Zeit aufgedeckte alte
Kuhusstätten lehren (s. § 52;. Zu Petra in Nordarabien hatten indische Kauf leute
eine Kolonie; zu Zeiten der römischen Kaiser war dieser Ort ein Hauptsitz des
indischen Handels. Für den ursprünglich engen Zusammenhang zwischen Persien
und Indien sprechen viele Gründe. Das Altpersische der Keilschriften, das Alt-
persische des II. Teils des Yasna und des übrigen Avesta sind mit dem Sanskrit
so verwandt, daß sie fast nur Dialekte einer Sprache genannt werden können.
Eine Reihe von Gottheiten, Heldensagen, religiöse und anderweitige Gebräuche
finden sich aus Persien in Indien wieder (F. Spiegel, Avesta I 5).
78
Die Zeitelemente und ihre liistoriscbe Entwicklving.
§17. Der Zodiakus.
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i^ 17. D.T Zodiakus. 79
Der Tierkreis bildet in der historischen Entwicklung des Zeit-
rechnungsAvesens ein ebenso wichtiges chronologisches Element wie die
■Mondstationen. Wir wollen zuerst die Namen seiner 12 Zeichen kennen
lernen, welche bei den Völkern vorkommen, deren Zeitrechnung uns
in diesem Bande hauptsächlich beschäftigt. Ich setze also die Tier-
kreisbenennungen der Griechen, Babylonier, Araber, Inder (Sanskrit
und aus dem Griechischen korrumpierte Namen), Parsen, Javanen und
Chinesen hier an (s. nebenstehende Tabelle); betreffs der Namen bei
den Ägyptern verweise ich auf die Zeitrechnung der letzteren § 31.
Über die Bedeutung und den Zweck des Tierkreises hatte
man früher die Ansicht, daß die Tierkreisbilder und die Teilung der
Ekliptik in 12 gleiche Intervalle miteinander gleichzeitig entstanden
sein müßten und aus der astronomischen Notwendigkeit hervorgegangen
wären, den Weg der Sonne und der Planeten zu bezeichnen. Allein
die Erfindung astronomischer Kreise, wie der Ekliptik, kann man
nicht in die Erstlingszeiten der Teilung der Zeit legen. Die natürliche
Entwicklung fordert vielmehr, daß man zuerst durch Verbindung von
Sternen in den Himmelsgegenden, wo sich die Planeten vorzugsweise
aufhielten, Bilder gestaltet hat und allmählich zu einer Teilung der
Ekliptik, die anfänglich ungleich war und später erst in Dodeka-
temorien (12 gleiche Abschnitte) zerfiel, übergegangen ist. Die Stern-
bilder Widder, Stier, Zwillinge u. s. w. liegen in ganz ungleicher Aus-
dehnung hintereinander (worauf schon Leteoxne hingewiesen hat)
und lassen auf allmähliche Entstehung schließen ; man hat die helleren
Sterne verbunden, wie man sie eben vorfand, später wurden die größten
Intervalle mit Bildern aus weniger auffallenden Sternen besetzt. Daß
der tägliche Weg der Sonne (die Ekliptik) in der Nähe der Bahnen
liege, welche die Planeten am Nachthimmel zwischen den Sternen
beschreiben, konnte erst in späterer Zeit erkannt werden. Den eigent-
lichen Ausgangspunkt der Himmelsteilung, abgesehen von der Formu-
lierung der vier Himmelsgegenden Norden, Süden, Osten, Westen,
bildet der Äquator. Dieser wurde aus dem täglichen Umschwung
des Himmels schon sehr früh erkannt ; auf ihn beziehen sich die ersten
Teilungen. Auch die 36 Dekane der Ägypter gingen aus der Äquator-
teilung hervor, während sie in der späteren Astrologie durchaus Teile
der Ekliptik vorstellen. Zur Charakterisierung der Ekliptik wurden
die Sternbilder Widder , die mehr oder weniger zwischen Äquator
und Ekliptik herum lagen, erst später erhoben, als man an die
Zwölfteilung schritt. Die Teilung nahmen die Alten (mittelst Wasser-
messungen und Wägungen, wie sie Sextus E^ipiricus advers. Astrol.
V 23 für die Babylonier beschreibt i) zuerst am Äquator vor (da dabei
1) Diese rohe Methode diente überhaupt zur Messung von Bögen am Himmel.
Den Durchmesser der Sonne z. B. bestimmte man auf folgende Weise. Zur Zeit
80 Die Zeitelemente und ihre historische EntwickUing.
die ekliptikalen Teile ung-leicli lang" ausg'efallen sein würden) und
gingen von da auf die Ekliptik über (s. Ideler, Uh. d. Ursprung
des Tierh-elses S. 17). Daß gerade eine Zwölfteilung eingeführt
wurde, hat nicht nur in der Übertragung der Zwölfteilung des Jahres
auf den täglichen Himmelsumschwung , sondern auch in dem vorder-
asiatischen Sexagesimalsj^stem seinen Grund, insbesondere in dem
babylonischen KAiS . BU d. i. der Doppelstunde des Tages (wie Boll
hervorgehoben hat). Die Idee der Doppelstunde konnte aus der Be-
obachtung entstehen, daß die Sternbilder längs des Äquators, d. h.
hauptsächlich die Zodiakalbilder , unter jeder geographischen Breite
die gleiche Zeit, etwa 6 Doppelstunden (= 12'^= ^2 Tag) von ihrem
Aufgange bis zum Untergänge brauchten, und daß auch die Sonne zur
Zeit zweier Hauptpunkte des Jahrs (Frühjahr- und Herbstäquinoktium)
6 Doppelstunden über und unter dem Horizont verweilte. Ebenso wie
der Tag dann von den Babyloniern in 12 Doppelstunden eingeteilt
wurde, so teilten diese auch den Äquator und später die Ekliptik in
in 12 gleiche Teile zu 30''. Auf diese Weise wurde der KAS.BU
auch ein Gradmaß (s. Zeitrechn. d. Babyl. § 24), Die Doppelstunde
treffen wir noch völlig deutlich bei der Tagesteilung der Chinesen
und Japaner an (s. § 128), Spuren dieser Teilung finden sich ander-
orts während des Altertums mehrere. Die Tierkreisbilder der Baby-
lomer stellen, wie sie uns durch Angabe der Sterne auf den Denk-
mälern entgegentreten, ungleiche Abschnitte vor; trotzdem rechnen
ihre Astronomen (d. h. die späteren, aus deren Zeiten wir Eechnungs-
tafeln besitzen) mit 12 Intervallen zu 30° und berücksichtigen dabei
die ungleich schnelle jährliche Bewegung der Sonne; die Monate
werden bei ihnen schon in der ältesten Zeit durch die Tierkreisbilder
charakterisiert (s. § 23); bei den Indern treten die 12 Tierkreis-
zeichen erst in einer späteren Epoche der Kultur, und zwar sofort als
gleichteilige Dodekatemorien auf (s. § 81), sind also wahrscheinlich
einer Entlehnung zuzuschreiben, um so mehr, da den Tierkreiszeichen
in ihrem Kalender eine weit weniger wichtige Stelle als den Mond-
stationen zukommt.
Auch die Ansichten über das Ursprungsland und die Ver-
breitung des Tierkreises haben in der neueren Zeit eine völlig
der Äquinoktien, wenn sich die Sonne morgens am Horizonte zeigte, öffnete man
ein mit Wasser gefülltes und durch Zufluß aus einem Wasserbehälter stets gefüllt
bleibendes Gefäß, das mit einem Loche im Boden versehen war. Zum Auffangen
des austropfenden Wassers bediente man sich zweier Behälter, wovon der eine bis
zum vollendeten Aufgange der Sonne und der andere geräumigere bis zu ihrer
Erscheinung am folgenden Tage untergeschoben blieb. Man maß oder wog das
in beiden Behältern gesammelte Wasser und schloß : wie sich die ganze Quantität
zu dem im kleinen Behälter vorhandenen verhält, so 360'^, der Umfang des Himmels,
zu dem gesuchten Durchmesser.
i< 17. D.T Zodiakus. 81
andere Basis erhalten. Dieselben gingen früher hauptsächlich von
den beiden ägyptischen Tierkreisen zu Dendera aus. Dupuis (Origlne,
(Je toi(s Jes cidtes, 1806) hatte aus den Figuren des Rundbildes auf
eine astronomische Darstellung, in die ältesten Zeiten Ägyptens zurück-
reichend, geschlossen und für das Alter des Tierkreises ein Alter von
15 000 Jahren angenommen. Diese Hypothese, welche durch Baillys
phantastische Vermutung über ein vorhistorisches Volk, das in Besitz
großer astronomischer Kenntnisse und Kultur gewesen, eine Stütze
erhielt, wurde durch Leteoxne zerstört, welcher nachwies, daß in
dem Tierkreise (sowohl dem runden wie dem viereckigen) keine Dar-
stellung vorliege, die zu irgendeiner Zeit mit dem Himmel überein-
gestimmt haben könne, sondern vielmehr als ein astrologisches Bild
angesehen werden müsse. Für den runden Dendera-Zodiak verneinten
auch Delambke und Foukier eine wirkliche Projektion des Himmels
(gegen Jollois und Devilliers). Bkjt glaubte noch das Alter der
Kreise in das 7. oder 8. Jahrh. v. Chr. setzen zu können, aber Lepsius
mußte (mit ge^vissen Einschränkungen in Letronxes Ausführungen)
damit bis in die römische Kaiserzeit heraufgehen. Nachdem in neuerer
Zeit noch C. Riel in dem Dendera-Kreise die Darstellung kalendarischer
Konstellationen vermutet hatte, ist man gegenwärtig wohl darüber
einig geworden, daß dieser äg3'p tische Tierkreis nur einen astrologischen
Zweck verfolgt.
Als der ägyptische Ursprung der Tierkreiszeichen aufgegeben
war, kehrte man zu Letr(jnnes Ansicht zurück, welche die Griechen
als Urheber des Tierkreises betrachtete und die Zeichen von Griechen-
land nach Ägypten und von dort durch die Entwicklung der alexan-
drinischeu Astronomie bis nach Indien verbreiten ließ. Der Versuch
A. W. v, Schlegels, die Inder als die selbständigen Erfinder des
Tierkreises hinzustellen, wurde von A. Holtzmaxx widerlegt. Schon
Ideler hatte 1838 vermutet, daß die Xamengebung des Tierkreises
zu den orientalischen Völkern (Babyloniern) in einer Beziehung stehe
und daß der Tierkreis von diesen zu den Griechen übergegangen sei^.
Die archäologischen Funde in Babylonien förderten etwa seit 1874
zahlreiches Material über die Kenntnis des Fixsternhimmels bei den
Babyloniern zutage, und um 1890 konnte nahezu gleichzeitig von
1) „Meine Ansicht geht dahin, daß die Chaldäer die Ekliptik frühzeitig in
12 Teile teilten, daß sie dieselben, um sie gehörig unterscheiden zu können, durch
einzelne Sterne und Sterngruppen bezeichneten , denen sie die Namen Widder.
Stier .... beilegten, und daß diese Namen mit einer rohen Notiz der Sonnenbahn
entweder über Phönizien oder durch die hellenischen Kolonien in Kleinasien um
das 7. Jahrh. v. Chr., vielleicht schon im ZeitalttT des Hesiod zu den Griechen
gelangten, die ihrer Weise nach förmliche Sternbilder an sie knüpften . . . ."
(Ursprung des Tierkreises S. 21).
Ginzel, Chronologie I. O
82 Die Zeitelementc und ihre historische Entwickhiiig.
Epping der Gebrauch der zwölf Tierkreiszeicheu bei den Babyloniern
des 3. Jahrh. v. Chr., und von Jensen die Existenz der Zeichen in
der alten Zeit nachgewiesen werden, und zwar von Eppinü auf
rechnerischem Wege durch Untersuchung der auf mehreren babylo-
nischen Tafeln angegebenen Planetenstände in den Sterngruppen, und
von Jensen mittelst sprachlicher Analyse der in vielen Inschriften
und Zylindern gleichmäßig wiederkehrenden Namen von Sternen, hin-
sichtlich einiger Zodiakalzeichen allerdings weniger erfolgreich. Die
Namen, unter welchen bei den Babyloniern die Zodiakalzeichen auf-
treten, lassen keinen Zweifel, daß die ganze Namengebung unter dem
Einflüsse der alten orientalischen Weltanschauung, ihrer Mythen und
kosmogonischen Legenden, entstanden ist. So sind Skorpion, Ziegenflsch,
Fische und Widder in der „Wasserregion" (Ea-Region) personifiziert,
weil in der Tiämat-ljegende {tlämat = das Meer) ein Skorpionmensch,
Fischmensch, Ziegenfisch und Widder zu den Helfern des Meeres ge-
hören. Manche Zeichen wollen Beziehungen zu den Jahreszeiten aus-
drücken. So der „Löwe" die Hitze des Sommers, die „Amphora" die
wasserreiche Zeit des Winters, „Jungfrau" die Zeit des in Ent-
wicklung (in Ähren) stehenden Korns. Diese Beziehungen lassen auch
einen Schluß darüber zu, um welche Zeit einzelne Zodiakalzeichen
eingeführt worden sein können. Für „Jungfrau" nimmt Jensen 3000
bis 4000 V. Chr. an; Löwe, Skorpion und Stier sind an den Himmel
gesetzt worden zu einer Zeit, wo der Frühlingspunkt im Stier lag
(3000 V. Chr.). Stier und Pegasus haben ursprünglich ein Sternbild
gebildet, und zwischen beide ist später der Widder eingeschoben worden.
Ebenso stellten einst Wage, Skorpion, Schütze e i n Sternbild vor, und
die Scheren des Skorpions reichten in das Gebiet der Wage hinein ^
Aus Jensens und Eppings Untersuchungen läßt sich im ganzen schließen,
daß von den bei den Griechen beschriebenen Tierkreisbildern, wie die
keilinschriftlich vermerkten Namen zeigen, in der älteren Zeit bei
den Babyloniern mindestens die Hälfte vorhanden waren und Spuren
der später eingeführten vorkommen, und daß alle diese Zeichen in
der babylonischen Astronomie (oder Astrologie) ihren Ursprung haben.
Das hohe Alter des Tierkreises bei den Babyloniern erhält eine ganz
wesentliche Stütze durch die Untersuchung von 22 babylonischen
Grenzsteinen, welche Hommel ausgeführt hat. Diese Grenzsteine,
welche etwa in die Zeit von 700 — 1300 v. Chr. zurückreichen, zeigen
im Prinzip ein und dieselben Bilder, welche den einzelnen Zodiakal-
zeichen zukommen, jedoch mit mancherlei Varianten. Nach den ge-
nannten Untersuchungen kann man annehmen, daß mehr als die Hälfte
1) Näheres über Jensens Vermutungen s. dessen „Kosmologie", S. 88 — 93,
315—320, 498—502.
i> 17. Der Zodiakus. 83
der Tierkreiszeicheu für jene Zeit nachgewiesen sind, nämlich Widder,
Stier, Zwillinge, Hund (Löwe), Skorpion, Schütze, Steinbock, Jung-
frau (?); die übrigen sind noch einigermaßen unsicher ^ Die Bilder,
durch welche die eben genannten Zeichen ausgedrückt werden, sind
ungefähr folgende: Widder und Stier durch dämonenhafte Tiere mit
Symbolen (Triangel und Keule) über sogenannten Altären; Zwillinge
durch einen Zwülingsdrachen mit Löwen- oder Geierköpfen, öfters
mit Streitkolben; Löwe als sitzender oder stehender Hund, mit Altar
auf dem Rücken, manchmal eine Göttin begleitend; Skorpion als Skorpion
mit Stachel; Schütze durch einen Skorpionmenschen (Zentaur) mit
Doppelkopf, oft mit Bogen, bisweilen nur durch einen Pfeil dargestellt;
Steinbock durch ein Fabeltier, Fischziege oder Fischbock mit einer
Schildkröte, öfters nur als Schildkröte dargestellt; Jungfrau durch
eine liegende Kuh (mit Altar), darüber eine Ähre. Selbst wenn man
für das 12. Jahrh. v. Chr. (für die Grenzsteine) bei den Babyloniern
noch nicht den vollständigen Zodiakus annehmen w^ollte, müßte man
dies mindestens vom 6. Jahrh. ab zugeben, denn nicht nur eine von
Eppixct untersuchte Tafel- aus dem 7. Jahr des Kambyses (521 v. Chr.),
sondern auch eine von Pinches bemerkte Tafel von etwa 500 v. Chr.
enthält den vollständigen Tierkreis. Bei den Griechen =^ finden wir
die Kenntnis des ganzen Tierkreises viel später. Da auch die ander-
weitige Kenntnis des Fixsternhimmels, nach den reichhaltigen Stern-
namen, die schon in den alten Tafeln auftreten, bei den Babyloniern
bereits im 6. Jahrh. v. Chr. eine ansehnliche w'ar, kann man w^ohl
nicht länger zweifeln, daß die Babylonier als die Begründer des
Zodiakus anzusehen sind.
Bei der Wichtigkeit, die der babylonische Tierkreis fernerliin für
die Geschichte der Astronomie und für die vergleichende Chronologie
haben wird, führe ich die in der Tabelle eingangs dieses Paragraphen
gegebenen Namen nochmals an, mit der verbesserten Lesung nach
1) Die babylonischen Grenzsteine enthalten Texte über Käufe, Besitz-
erwerbe u. s. w. ; s. zahlreiche Beispiele bei F. E. Peiser , Keilschriftliche Akten-
stücke mis hahyl. Städten, 1889, und Texte Jurist, u. geschäftl. Inhalts {Keilschr.
BiUioth., IV, 1896).
2) Zeitschr. f. Assyr. V 281.
•3) Die griechischen Schriftsteller und Dichter erwähnen die auf die Zodiakal-
zeichen Beziehung habenden Sternbilder erst ziemlich spät. Den Stier kennen
Homer und Hesiod noch nicht. Pindar (um 560 v. Chr.) kennt den Wassermann.
Um die Zeit Axakreons )540 v. Chr.) scheinen Widder, Schütze, Ziege (vermutlich
von Kleosträtos aus Tenedos benannt) bekannt gewesen zu sein. Euripides
(480 V. Chr.) erwähnt die Zwillinge. Die Gestirnbeschreibung des Aratus i^278
V. Chr.), hauptsächlich auf den Überlieferungen des EuDOxrs (409—356 v. Chr.)
beruhend, zählt alle 12 Zodiakalzeieheu auf ^^vgl. J. K. Schavbach, Geschichte d.
griech. Astronomie, 1802; E. Bethe, Das Alter d. (jriech. Sternbilder, Rhein. Mus.
f. Piniol.. LV, 1900, S. 414).
6*
84 Die Zeitelemeute und ihre historische Entwicklung.
Jensen, ferner die Ausdehnung der Zeichen in der Ekliptik nach
Epping, sowie die Bedeutung einiger Namen nach R. Bkown:
1. Im = Widder, l-u = Abkürzung von I-ln = „der vordere"
oder „Leitstern des Jahrs" ; hiermit übereinstimmend Jensens
Lesung hdhu = „Vorderschaf" = „Leitschaf". Von 358 — 18*^
der Ekliptik.
2. te-te = Stier = OUD-an-na („Himmelsstier" nach Jensen). Der
Hauptstern aläeharan heißt bei Epping GiS-Da =^ lüdnu („Stier,
oder Krieger des Himmels"). Von 26 — 47<*.
3. mas-masu = Zwillinge; sumerisch mas-tah-ha (Jensen), assyrisch
tuämii (rahuti) = die großen Zwillinge. Von 61 — 85<^.
4. nangaru = Krebs. Richtige Bezeichnung (n. Jensen) ]i)idiililiu
(Krebs?). Das Wort für Krebs im Sumerischen resp. Assyrischen
ist nicht bekannt ; auf Grenzsteinen findet man aber öfters über
einem Altar eine Schildkröte abgebildet. Brown liest Ms =
Teilung (Kolurkreis der Solstitien?). Von 89—1130.
5. a = Löwe; a = Abkürzung von aru == Löwe. Von 111 — 148".
6. M = Jungfrau; nach Jensen ahsinu und slru (irgend eine
Beziehung zu „Korn, Halm, Ähre"). Ohne Zweifel geht die
(griechische) Darstellung der Ähre in der Hand der Jungfrau
auf diese Namen zurück. Beown setzt Ici = asru^ einer Be-
zeichnung für „Mondstation", der chinesischen 1. lio = « Virginis
entsprechend. Von 152 — 174^.
7. nüru (?) = Wage = zibänitu, gleichwertig der arabischen Be-
zeichnung „Schere des Skorpions". Hiermit deckt sich die
Bezeichnung ;^rMat = Scheren des Skorpions, bei Akatus.
Von 177— 203».
8. rtkrcdni = Skorpion = sumer. Gir-fah (der Angreifer, der
Stechende). Von 213— 216^.
9. j>ft (od. kut) = Schütze; j^a eine Abkürzung für den Stern
2)(f-htl-sag =: „der geflügelte Feuerbringer" ; hut^^ „der Bringer
des Tages, des Tagesanfangs". Von 232 — 262^.
10. ÄftÄw = Steinbock; eigentliche Bedeutung = Ziegenfisch (^^MrM-
Fisch mit emii = Ziege als Kopf), nämlich eine (auf Siegel-
Zylindern bisweilen abgebildete) Ziegengestalt mit Fischschwanz.
Von 270—2940.
11. ^^?t = Wassermann; Bedeutung von git (ßcssyr. kd) ist unbekannt,
vermutlich = „Gefäß (Urne)" des Wassermanns (Amphora).
Von 298—314«.
12. 2:ih = Fische (= „Himmelsmarke, Ordnung, End-Zeichen"), oder
nünu = „Fisch (des Ea)". Auch das diir nünu „Fischband"
läßt sich inschriftlich nachweisen. Von 314 — 0«.
i> 17. DcT Z.Kliakus. 85
Der babylonische Tierkreis verbreitete sich im ganzen Orient
und in Südeuropa, erfuhr aber daselbst verschiedene Umgestaltungen,
indem er den landesüblichen Vorstellungen und besonders den Mj'then
angepaßt wurde. Der Skorpion nahm bei den Babyloniern früher
zwei Tierkreiszeichen ein und wurde erst später getrennt. Bei
Aeatus finden wir den Skorpion noch in der ersteren Gestalt, er
erhielt sich also bei den Griechen bis ins 3. Jahrh. v. Chr., während
zu dieser Zeit bei den Babyloniern das Sternbild in Wage und
Skorpion geschieden war. Engonasin ist bei Eudox und Aratus
noch ein auf den Knien flehender Mann, bei Eeatosthenes aber in
den mit der Keule gegen die Schlange streitenden Herkules um-
gewandelt. In einer von Teukkos (etwa 1. Jahrh. n. Chr.) her-
rührenden Beschreibung des Sternhimmels, welche im 5. Jahrh. von
Ehetoeios bearbeitet und späterhin von vielen benützt worden ist,
hat Bull verschiedene Hinweise darauf gefunden, daß, obwohl diese
Autoren die Sternbilder Ägyptens beschreiben, doch in den Dar-
stellungen Verschiedenes vorkommt, was nichtägyptischen Ursprungs
sein muß: so stimmt die Beschreibung des Schützen als eines ge-
flügelten, den Bogen spannenden Zentauren mit Doppelkopf und Doppel-
schwauz (desgleichen erscheint er so auf den beiden Dendera) ganz
mit der babylonischen Darstellung auf den Grenzsteinen (vgl.
oben S. 83). Boll hat noch auf einen Umstand aufmerksam gemacht,
der die Verbreitung des Tierkreises in Asien erklären könnte. Bei
den Tibetanern, den Thai und Khmer, sowie bei den Chinesen und
Japanern (s. § 118 u. 125) und anderen asiatischen Völkern finden
wir einen sehr alten Duodenar-Zyklus vor, welcher vorzugsweise zur
Bezeichnung der Jahre dient, in China aber auch ehemals zur Zählung
der Monate und Tage (zur Zählung der Tagesteile bei den Doppel-
stunden noch jetzt) verwendet wurde. Dieser 12 teilige Zyklus wird
durch Tiere charakterisiert und in folgender Ordnung gebraucht:
1. Maus (Ratte) 7. Pferd
2. Ochs (Stier) 8. Schaf (Ziege, Widder)
3. Tiger 9. Affe
4. Hase 10. Hahn (Henne, Vogel)
5. Drache 11. Hund
6. Schlange 12. Schwein (Eber)
Bailly* vermutete schon i, daß dieser Zyklus einst in ganz Asien
verbereitet gewesen sei, und daß die chinesischen Zodiakalzeichen
durch die eben angeführten 12 Tiernamen bekannt worden seien.
1) Histoire de V Astron. ancienne, Paris 1775. (^Eclair. IX. Des Constellations,
du Zodiaqne et des Planispheres anciens, S. 493.)
86 Die Zeitelemente und ihre historische Entu'iclvhing.
A. V. Humboldt bat den ostasiatisclieu Tierzyklus mit den Namen
der altmexikanischen Tage und mit dem Tierkreis des Bianchini ver-
glichen^ und glaubte eine gewisse Übereinstimmung in den gegen-
seitigen Bezeichnungen feststellen zu können. Nach Boll kommen
nun in den oben erwähnten ägyptischen Himmelsbeschreibungen (und
zwar vollständig nur im TEUKROs-EHETOEios-Texte) bei den Dekanen
der einzelnen Sternbilder 12 Tiernamen vor, nämlich
bei T der Kater bei d^ der Bock
„ "^ der Hund „ V^i der Stier (die Kuh)
„ n die Schlange „ >^ der Sperber
„ £d der Käfer „ "}o der Affe
„ 61 der Esel ,, :xt der Ibis
,. npder Löwe ,. 5 das Ki'okodil
In derselben Ordnung und mit denselben Tieren ist ein von Dakessy
beschriebener doppelter Zodiakus römischer Arbeit ausgestattet-. Auf
dem oben erwähnten Tierkreis des Bianchini ^ kommen 5 konzentrische
Kreise vor ; der zweite enthält eine Eeihe von Tieren ; noch erkennn-
bar davon sind
bei y der Hund bei trp der Löwe
„ n die Schlange „ t£h die Ziege
,, £d der Krebs „ V\i das Rind,
„ Sl der Esel
also dieselbe Eeihe wie bei den beiden vorher angeführten Tierkreis-
beschreibungen. Eine Ähnlichkeit mit diesen Tierkreisen scheint auch
der von Pococke beschriebene Zodiak von Panopolis (Akhmin) gehabt
zu haben*. Der oben angeführte ostasiatische Zyklus, verglichen mit
den 12 Tieren dieser drei Tierkreise, ergibt einen gewissen Zusammen-
hang: Ochs (Stier), Schlange, Ziege (Bock), Affe, Hund kommen
beiderseits vor, verwandt sind wenigstens Tiger-Löwe, Drache-Krokodil,
Pferd-Esel, Hahn (Vogel) - Ibis, unvergleichbar bleiben nur drei : Maus,
Hase und Schwein, mit Katze, Käfer und Sperber. Wenn man über
die völlig ungleiche Anordnung des Zyklus gegen die Tierfolge im
1) Vue des Cordüleres II. 6—12, 60.
2) S. Literatur am Schhiß dieses Kapitels.
3) 1705 auf dem Aventin gefunden und zuerst von Fh. Bianchini (1662—1729)
beschrieben; durch Napoleon I. im Louvre aufgestellt. Der Tierkreis ist unter
dem Namen ,die Planisphäre des Bianchini" oder als Marmoraltar des Louvre bekannt.
4) Descriptions of thc East I 77. Der Zodiak (jetzt zerstört) hatte in der
Mitte die Sonne, im Kreise herum 12 Vögel, im 3. Kreise die 12 Tierkreiszeichen,
im 4. Kreise 12 Gestalten.
ij 17. Dor Zcdiakus. 87
Zodiak wegsehen darf, würde man also annehmen müssen, daß der
ostasiatische Tierzyklus früher in Westasien (und Äg3q)ten) verbreitet
war und zur Bezeichnung- des Sonnenzodiakus verwendet worden ist.
Auf indischen Tierkreisen kommen bisweilen ebenfalls die oben be-
merkten Tiere vor \ auch scheinen sie hie und da für die Bezeichnung
der indischen 11 Karana (s. über diese § 94) gebraucht zu werden.
Für die Geschichte der Verbreitung des Tierkreises in Asien von
Wichtigkeit, aber, wie es scheint, bisher nicht recht gewürdigt (auch
bei BoLL nicht erwähnt), sind ferner die Tierkreisdarstellungen aus
Java, die sich auf becherförmigen Gefäßen aus Kupferblech vorfinden -
und außerdem in einigen Handschriften beschrieben sind. Nach den
Beschreibungen und Abbildungen, die T. St. Raffles, J. Crawfued,
Th. Feebdekich und H. C. Mellees davon geben, muß man schließen,
daß in diesen javanischen Tierkreisen etwas von dem babylonischen
Urbild erhalten geblieben ist. Java wurde von Indien aus kolonisiert;
mit gewissen Eigentümlichkeiten der indischen Zeitrechnung mag
gleichzeitig der indische Tierkreis nach Java übergegangen sein:
Reste der alten Zeitrechnung sind gegenwärtig noch trotz der Über-
wucherung des Mohammedanismus vorhanden. Da der indische Tier-
kreis auf dem westasiatischen beruht, der seinerseits wieder auf den
babylonischen zurückgeht, so ist es nicht befremdend, daß im java-
nischen Zodiak Spuren mehrerer Quellen sichtbar werden*^. Auf die
1) Ebabd Mollien, Becher dies sur le zodiaque Indien. {Mein. pres. p. divers
savants ci l'Acad. d. Inscript, I Ser., T. III, 1853, S. 240—276). Ein Zodiak auf
einer Kupferplatte der Pagode von Chellambaram zeigt: Götter und Figuren der
Planeten, am Rande die Schutzgötter der 27 nakshatra , als Zwischenstücke die
Zodiakalzeichen , darüber und dazwischen folgende Tiere: Hahn, Katze, Löwe,
Hund, Stier, Esel, Elefant, Rabe (Vogel). Ein gemalter Zodiak auf der Mauer
einer Pagode im Fort von Trichinopoly zeigt in der Mitte eine Lotosblume; um
dieselbe laufen in 6 Ringen : die 7 Wochentage, die 7 Planeten und die 2 Drachen-
stücke (Mondkuoten) , die 11 karana in Form von Tieren, die 12 Zodiakalzeichen,
die 14 tithi und die 27 nakshatra samt ihren Gottheiten.
2) Diese Gefäße rühren aus der Hinduzeit her; sie dienten wahrscheinlich
zu astrologischen Zwecken. Das Museum in Leyden soll Originale besitzen; im
Berliner Museum für Völkerkunde sind solche Becher nicht vorhanden, wie mir
mitgeteilt wurde.
3) Eine ganz kurze Beschreibung der einzelnen javanischen Zodiakalbilder wird
hier am Platze sein: 1. Widder: Obwohl der Widder für die Javaner fremdländisch
ist, wird das Zeichen durch ein Widder-ähnliches Tier, auf einem Fußstücke stehend,
ausgedrückt. 2. Stier: Ein Stier mit mehreren (viev) Hörnern. 3. Zwillinge:
Ein krebsartiges Schaltier, welches immer paarweise im Meere angetroffen wird;
auch als Zweiflügler Schmetterling? dargestellt. 4. Krebs: Ein Seekrebs mit
aufwärts gerichteten Scheren. 5. Löwe: Sitzender Löwe oder Hund, auch dämonen-
haftes Tier mit Hörnern und Hufen. 6. Jungfrau: Frauengestalt, knieend oder
nach orientalischer Weise sitzend, in der Linken ein Werkzeug. 7. Wage: Eher
Jochform als Schale; doch letztere auf javanischen und indischen Denkmälern
gleich. 8. Skorpion: Skorpion mit Stachel. 9. Schütze: Einzelner Pfeil, oder
88 Die Zeitelcmonto und ihre historische Entwiekhiiig.
babylonische weist der Stierdämon (Stier), der sitzende Hund (Löwe),
das Joch (Wage), der Skorpion, das gehörnte Meertier (Steinbock),
die Urne (Wassermann) und der abenteuerliche Fisch (Fisch). Auf
den genannten javanischen Bechern ist über jedem Zodiakalbilde ein
und dieselbe Gestalt angebracht, die 6. etwas größer, was 12 Genien,
ähnlich wie auf den westasiatischen Tierkreisen, zu entsprechen
scheint. Merkwürdig ist noch, daß die Jahreszahl auf vielen Bechern
gerade beim 9. Zeichen angebracht worden ist. Der 9. Monat ist in
der alt javanischen Zeitrechnung (s. § 120) Kasanga = Isidsv. , der
indische Chaitra. Dieser Monat bildet in vielen indischen Ären den
Jahresanfang. Betrachtet man dagegen als erstes Zodiakalzeichen
Widder = cluntra, so wäre das neunte im Monat Märga-^lrslui (Oktob.
Nov.), von welchem Monate allerdings nicht sicher ist, ob eine der
Indischen Aren das Jahr damit begonnen hat.
Auf die weite Verbreitung des westasiatischen Tierkreises deuten
endlich die Namen, die die Zodiakalzeichen auf Sunda, Sumatra und
dem malaiischen Archipel haben. Während die javanischen (s. Tabelle
am Anfang dieses Paragraphen) und die malaiischen sich an die
arabischen Namen anlehnen, sind die altjavanischen, sowie die auf
Sumatra (Battak) aus den indischen Sanskritnamen entlehnt ; die
Namen auf Madagaskar entstannnen wieder den arabischen.
§ 18. Ären. Zyklen. Jahres-, Monats- und Tagesteilung-.
Die Jahre wurden auf den niedrigen Stufen der Zeitrechnung
gewöhnlich nach irgend einem darin vorgefallenen Ereignisse benannt
und die Zeit gelegentlich von einem solchen Jahre ab gezählt, so vom
Jahre eines Erdbebens, von der Eröffnung eines Bewässerungskanals,
der Befestigung einer Stadt u. dgl. Solche Zählweise bemerken wir
in der altjüdischen, assyrisch-babylonischen und ägyptischen Zeit. Da
größere Jahresreihen sich nach solchen Jahren nicht ohne Mißver-
ständnisse vergleichen lassen und zu vielen Verwechslungen Anlaß
geben mußten, so benützte man später die ordnungsgemäß fortgeführten
Verzeichnisse der Statthalter, der Vorstände von Stadtgemeinden
(Eponymen, Archonten) und zählte die Jahre von dem Jahre des
Ämtsantrittes, bei den Königen nach deren Lebensjahren oder von
dem Jahre ihrer Regentschaft sübernahme. Hervorragend ist in dieser
Hinsicht die Zählung nach den Konsuln, die sich bis über das Alter-
Pfeil mit Bogen, oder auch Figur mit Bogen. 10. Steinbock: Phantastisches,
gehörntes Schaltier, mit Scheren. 11. Wassermann: Gefäß, Urne oder Topf (der
Sanskritname für Wassermann = Z;««»i&/(rt heißt Topf ). 12. Fische: Ein einzelner
Fisch, auch Delphin mit Rüssel; das Zodiakalzeichen für Fisch = mina heißt im
Kawi Fisch, Seetisch). — Die Zeichen 1, 2, 8. 10, 11 stimmen mit den entsprechenden
der indischen (besonders der südindischen) Tierkreise fast ganz überein.
§ 18. Ären. Zyklen. Jahres-. Monats- und Tagesteilung. 8J
tum hinaus erhielt. Da sich bei geschichtlichen Rechnungen und
chronologischen Yergleichungen die Notwendigkeit einstellte, große
Jahresreihen von einer bekannten Zeit ab zu zählen, so wählte man
liiezu historische Epochen, wie Kriege, Gründungen u. s. w. So rechnet
das Alte Testament vom Auszuge aus Ägypten, von der J^rbauung des
ersten Tempels, von der Zeit der Wegführung des jüdischen Volkes
in die babylonische Gefangenschaft. Thukydides zählt die Jahre vom
Anfange des peloponnesischen Krieges, von der Eroberung Trojas, vom
Sturze der Pisistratiden u. s. av. Polybius rechnet die Einnahme Roms
durch Brennus nach den Jahren der Schlacht bei Aigospotamoi (oder
von Leuktra).
Allmählich verlangte die Geschichte und die Chronologie für die
Zählung nach einem festen, womöglich bis auf den Tag bestimmten
Ausgangspunkt. So bildeten sich die Ären aus. Das Wort Ära^
stammt von der etwa seit dem 5. Jahrh. n. Chr. in Spanien und
Portugal üblichen gewesenen sog. spanischen Ära (hierüber im
III. Bande); die Jahre dieser Zeitrechnung werden nämlich in den
Dokumenten, Inschriften u. s. w. mit dem Zusatz Era verbunden ; aus
diesem Attribute entwickelte sich in der Chronologie der Begriff einer
von einem festen Zeitpunkte ausgehenden Jahresreihe. Die astro-
nomischen Ären wurden von den Chronologen und Astronomen auf-
gestellt und vorzugsweise von diesen gebraucht. Die älteste ist die
Ära des Nahonassar, welche w-ahrscheinlich babylonischen Ursprungs
ist, aber von Ägypten (den alexandrinischen Astronomen) aus unter
den Chronologen sich verbreitet hat; die Ära vom Tode Alexanders
(philippische Ära) und die Ära des Augustus sind eigentlich Fort-
setzungen der Ära Nahonassar. Das Kahyuga der Inder ist ebenfalls
eine astronomische Ära, von einer angeblichen Planetenkonjuuktion
ausgehend. Religionsären entstanden durch die Anknüpfung der
Zeitzählung an Lebensumstände hervorragender Religionsstifter; so
die christliche Ära von dem Geburtsjahr Jesu, die Hidschra vom Jahre
der Flucht Mohammeds, die burmesische Ära zum CTedächtnis der
Einführung des Buddhismus, die buddhistische Ära vom Todesjahre
des Buddha. Die Überzahl der Ären sind politische Ären, von
den Jahren der Regenten, der Dynastien u. s. w. gerechnet. Sie sind
weniger beständig, da mit dem Wechsel der politischen Verhältnisse
recht oft eine Änderung des Ausgangspunktes der Jalirzählimg ein-
tritt, wie bei den Ären der kleinasiatischen Städte, den Ären in
Indien u. s. f. Eine besondere Klasse bilden die Weltären, welche
1) Richtig iVa; so lautet die Schreibung in den Urkunden. Die Ableitung
dos Wortes era hat man aus einer Reihe von Sprachen versucht, aus dem Arabischen,
Hebräischen, Gothischen, Lateinischen, Iberischen.
90 Die Zeitelemente und ihre historische Entwicklung.
auf das Schöpf ungs jähr zurückgehen wollen, wie die verschiedenen
Weltären der Christen und Juden, die b3'zantinische , welche große
Verbreitung erlangte, u. a. Von anderen Ären seien hier nur noch
die Rechnungen nach Jahren der Stadt Rom (die verbreitetste , die
sog. varronische, von 753 v. Chr.) und die Olj'mpiaden (die erste im
Sommer 776 v. Chr.) erwähnt.
Zyklen (Zirkel, Zeit kr eise, Perioden) sind wieder-
kehrende Jahresreilien , nach deren Ablauf sich astronomische oder
anderweitige Verhältnisse wiederholen. An die Spitze derselben ist
der jedenfalls unter dem Einflüsse des Sexagesimalsystems entstandene
Sexagesimalzyklus der Chinesen zu stellen, der in seiner Anwendung
auf Monate und Tage sehr alt, in Beziehung auf die Jahrzählung
jüngeren Datums ist. Hierher gehört ferner der 60 jährige und
12jährige Jupiterzyklus der Inder, sowie der südindische graha-
parhr'dti (90 Sonnenjahre) und der 0/iÄo-Zyklus (59 Lunisolar jähre).
Historisches Interesse haben die sexagesimalen Saren, Keren und
Sossen der Babjionier, die Ar/ ;^ -Periode, Äef-Periode (30 Jahre), die
Apisperiode (25 Jahre), die Phönixperiode und die Sothisperiode
(1461 Jahre) der Ägypter. In die Zyklen kann man schließlich die
sog. großen und kleinen Jahre, die Weltalter, die Sabbat- und
Jubeljahre u. a. einreihen. Chronologisch von großer Bedeutung waren
die schon früher erwähnte Metonsche und Kallippische Periode, welche
in Grriechenland die schwankende Rechnung nach Olympiaden be-
seitigten. — Von den astronomischen Zyklen kann vorläufig (näheres
im IL u. III. Bande) der Sonnenzirkel {cj/dm solaris) und der
Mondzirkel {circulus lunaris) erwähnt werden. Der erstere stellt
eine Reihe von 28 Jahren vor, nach deren Ablauf wieder gleiche Wochen-
tage mit gleichen Monatstagen zusammenfallend Als 1. Jahr des
1. Zyklus nimmt man das Jahr 9 v. Chr. an. Hat man den Sonnen-
zirkel für ein gegebenes Jahr unserer Jahrform zu finden, so Avird
man also 9 zu der Jahreszahl addieren und die Summe durch 28 divi-
dieren; der Rest bezeichnet den Sonnenzirkel. (Bleibt kein Rest, so
ist der Sonnenzirkel = 28.) Der Mondzirkel faßt 19 Sonnenjahre
(s. vorher S. 65). Die Zahl, welche die Stelle eines Jahres in diesem
Zyklus angibt, heißt die goldene Zahl (numcrKs aureus). Für
die Bestimmung der goldenen Zahl wird das Jahr 1 v. Chr. als erstes
Jahr eines Mondzyklus angenommen. Man findet also die goldene
1) Das 365tägige Jahr hat 52 Wochen -f 1 Tag, das 366tägige 52 Wochen +
2 Tage. Der Beginn des Jahrs rückt also nach einem gemeinen Jahre um einen
Tag, nach dem Schaltjahre um zwei Wochentage vor. Bei gemeinen Jahren würde
in einer Jahresreihe nach je 7 Jahren das Datum auf dieselben Wochentage zurück-
kehren; da jedes 4. Jahr aber ein Schaltjahr ist, erfolgt diese Rückkehr erst nach
4 • 7 = 28 Jahren.
ij 18. Äifii. Zyklen. .liihres-, Monats- und Tagesteilung. 91
Zahl eines Jahres, wenn man zur betreffenden Jahreszahl der christ-
lichen Ära 1 addiert und die Summe durch 19 dividiert; der Rest
gibt die goldene Zahl. (Wenn der Rest = 0, ist 19 die goldene Zahl).
Auf die Anwendung und Besonderheiten dieser Zj^klen komme ich bei
der christlichen Zeitrechnung zurück.
Der Begriff J a h r ist aus der Vorstellung eines Kreislaufes (der
Jahreszeiten) entstanden, oder steht mit Jahreszeiten in direkter Ver-
bindung. Das griechische kviavrog deutet auf den Kreislauf, desgleichen
die Zusätze neQiTtko^svog, negiTeXlo^svog (=^ im Kreise, im Umlauf
der Jahre ; oft bei Homee), ebenso das altgriechische Xvxaßag == Licht-
gang (der Sonne d.h. des Jahres); ferner das lateinische annu><. Das
zendische jOrc, das deutsche Jahr und das gothische atapui dürften
Bezeichnungen an und für sich sein. Dagegen hängt die Wurzel
des Sanskritnamens für Jahr = samvat, mmratsara mit ramnta =
Frühling zusammen. Auch n;;a = schanah bedeutet nach der Ver-
mutung einiger eigentlich Jahreszeit.
Die Jahreszeiten wurden anfänglich den klimatischen Ab-
stufungen entsprechend nur in 2 oder 3 Zeiten zusammengefaßt, später
erweiterte man hie und da diese Teilungen. Als die älteste Unter-
scheidung hat man die Jahresteilung in die warme und kalte, oder
trockene und nasse Zeit anzusehen. So scheinen in Griechenland an-
fänglich nur Sommer und Winter im Sprachgebrauch unterschieden
worden zu sein; Hesiod kennt ägorog, den beginnenden Winter, und
äfi7]rog, den beginnenden Sommer; desgleichen dürften die Hebräer
der alten Zeit nur zwei eigentliche Jahreszeiten, hyiz den Sommer,
und choref den Winter, unterschieden haben. Hoüee spricht von drei
Jahreszeiten, ^ccg = Frühling, t)igog = Sommer, und xs^umv = Winter.
In der vedischen Periode der Inder galt ebenfalls die dreifache Jahres-
zeit: warme Zeit, Regenzeit und kühle Zeit, sie hatten aber in noch
früherer Epoche nur hima den Winter und samä den Sommer. Die
Ägypter kamen frühzeitig zu einer Dreiteilung nach Jahreszeiten.
Nach ihrer Ausbreitung über Indien hatten die Inder fünf, zuletzt
sechs Jahreszeiten. Bei den vorislamischen Arabern kommen vier
und sechs Jahreszeiten vor (ursprünglich hatten sie wahrscheinlich
drei), desgleichen bei den alten Persern. — Den Beginn der Jahres-
zeiten schätzte man in der ältesten Zeit nach der Stellung geAnsser
Gestirne. Die Griechen und Römer richteten sich nach dem Wieder-
erscheinen und Verschwinden der Plejaden , die Chinesen achteten auf
den großen Bären. „Wenn der Schwanz des Bären nach Osten zeigt,
ist es überall Frühling; wenn er nach Süden weist, ist es Sommer;
wenn er nach Westen zeigt, ist es Herbst, und wenn er nach Norden
sich richtet, wird es Winter" [Ho-laiang-i^e). Oder man merkte auf
den Stand der Sterne, welche die Mondstationen bildeten, und unter-
92 Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhnig.
schied danach (wie die Chinesen und Araber) die Wintermondhänser
von den Sommerstationen.
Der Monat ging entweder ans den Jahreszeitenbildnng-en oder
ans direkter Teilung des Jahrs hervor. Das erstere sieht man noch
an den Spuren der Halbjahrrechnung, die sich hie und da vorfinden.
Dadurch, daß man anfänglich die Zeit nur als nasse oder kühle und
als trockene oder heiße unterschied, war das Halbjahr, welches zur
Anordnung der Ackerbauarbeiten hinreichte, schon gegeben. Die
Monate, d. h. die 6 Unterabteilungen , in welche später das Halbjahr
zerlegt wurde, verraten durch ihre paarweise Gruppierung bisweilen
ihre Entstehung. Die alten vedischen Monate z, B. erscheinen deutlich
paarweise verbunden (je 3 Doppelraonate in einem Halbjahr) und
weisen, wie die Namen Madhu-Madhara (Honig - honigartig), Huh'a-
Suci (leuchtend -brennend), Xaldias - JS^ahhasya (Gewölk- wolkig), Jsh-
ürj (Saft-Kraft), Salms - Sahasija (Gewalt-gewaltsam), Tapas-Tapasya
(Wärme -warm) zeigen, auf die 6 (ehemals 2) Jahreszeiten zurück.
Bei den Arabern erscheinen nur die Monate des einen Halbjahrs ge-
koppelt, die anderen nicht: Eeln I, Behl. II, Dschumädä I, Dschumddä II,
Dhul-Tcade, Dhul-hiddscke, jedoch sollen die Monate Moharrem und
Safar früher als Safar I und Safar II bezeichnet worden sein
(s. § 49 u. 52). Ebensolche Verbindungen, jedoch viel weniger
deutlich, kommen anderwärts vor (bei den syrischen Monaten Tisri I
und Tisri II, Kanun I, Kanun II; bei den Angelsachsen hieß Juni
der „erste milde Monat", Juli der „zweite milde Monat"', bei uns der
Januar „der große Hörn", Februar „der kleine Hörn"). Die r2-Teilung
des Jahrs entwickelte sich aber auch durch die Wahrnehmung, daß
während der Wiederkehr derselben Jahreszeit, d. h. innerhalb zweier
Halbjahre, der Mond ungefähr zwölfmal die gleichen Phasen zeigte.
Als man die größere Länge des Sonnenjahrs einigermaßen kennen
gelernt hatte und man den Monat größer voraussetzen mußte, wurden
die Zodiakalabschnitte egalisiert, d. h. zu 30*^ angesetzt. Man be-
trachtete, unter dem Einflüsse des Sexagesimalsystems, den Sonnenlauf
(das Jahr) fernerhin als Kreis von 360^ (bei den Chinesen 365 '/4^).
Als „Monat" wurde in den ältesten Zeiten nur der Lichtmonat
genommen, nämlich die Zeit zwischen der Wiederkehr derselben Mond-
phase. Den Anfang des Monats bildete überall der Tag des Neu-
lichts, d. h. das Erscheinen der ersten feinen Sichel nach dem
Neumonde. Da diese Sichtbarkeit je nach der Lage der Ekliptik
gegen den Horizont verschieden ist, mußte die jedesmalige Beobachtung
entscheiden, deren Ergebnis man in primitiver Weise dem Volke be-
kannt machte. Mit der Ausbildung astronomischer Kenntnisse wurde
die Neulichtbestimmung auf Grund von Regeln vorgenommen; die
Rechnung nach dem Neulichte hatte sich aber (insbesondere durch
i^ 18. Äri'u. Zyklen. Jalnes-. .Moniits- und Tafrestciluiig. 9H
die Feier verschiedener Feste, die an die Xeumondszeit gebunden
waren) beim Volke so befestigt, daß man nach dem Neulichte noch
weiter rechnete, als die Ordner des Kalenders schon längst die Xeu-
und Vollmonde zyklisch vorausberechnen konnten. Hiervon geben die
astronomischen Tafeln der Babylonier des 3. Jahrh. v. Chr. einen
Beweis, in welchen eine Eeihe Zahlenkolumnen auftreten, welche zur
Vorausbestimmung der Zeit des Neulichtes dienen sollen. Auch die
späteren Juden verfügten (\vie aus Malmonith'.-! hervorgeht) über
solche Regeln. Aus den Angaben der babylonischen Tafeln folgt für
das Intervall des Neulichts nach dem Neumond eine Zeit von 19 bis
50 Stunden \ der Durchschnittsbetrag würde also etwa 1 ^'2 Tage sein.
Nach den Beobachtungen mit freiem Auge, die F. J. Schmidt in
Athen gemacht hat, liegt die Zeit der Sichtbarkeit der ersten Sichel
zwischen 63—29 Stunden nach Neumond -. Man wird demnach, wenn
von der berechneten Zeit des wahren Neumonds auf die Zeit der ersten
Sichel geschlossen werden soll, etwa den babylonischen Durchschnitts-
wert von 1^/2 Tagen nach Neumond anzunehmen haben. Ein zu-
verlässigeres Resultat läßt sich herstellen, wenn man mittelst
Neugebauees Mondtafeln (s. S. 54) die Mondörter für mehrere Tage und
daraus die üntergaugszeiten des Mondes ermittelt ; wenn man auch die
Untero-angszeit der Sonne und die Dauer der astronomischen Dämmerung
1) Stbass3iaier u. Epping, Astronomisches aus Sabylon, S. 42. 95.
2 Abgesehen von der Durchsichtigkeit der Luft u. s. w. hängt die früheste
Sichtbarkeit der Mondsichel für das freie Auge von der geographischen Breite des
Ortes und von der Monddeklination ab. Je steiler die scheinbare Mondbahn gegen
den Horizont abfällt, desto eher kann die Sichel gesehen werden. Für unsere Breiten
sind deshalb "Winter und Frühjahr am günstigsten, am spätesten wird der Mond in den
Sommermonaten gesehen. Für südlichere Breiten ist die Dämmerung kürzei-, daher
auch die Sichel leichter sichtbar auch im Sommer . Beobachtungen der Zeit, wann
nach Neumond die Sichel zum erstenmal am Abendhimmel gesehen werden kann,
sind für südlichere europäische Breiten nicht viele vorhanden. F. J. Sckuidt hat
zu Athen (und Korinth) von 1859 — 67 solche Beobachtungen gemacht Astro».
Kaclu:, vol. 71, 1868, S. 202 . Er gibt aus 23 Aufzeichnungen folgende Mittel-
zahlen für die einzelnen Monate: Januar 29,5 Stunden, Februar 40,9, März 30,8,
April 31,5, Juni 46,0, Juli 38.2. August 54,0, September 63,0, Oktober 44,5,
November 48,7, Dezember 38,7 Stunden. Vereinigt man diese Monatsmittel zu
Yierteljahrsmitteln , so erhält man für den Frühling 32, Sommer 46, Herbst 52.
Winter 36 Stunden, aus welchen Zahlen die bei weitem frühere Sichtbarkeit der
Sichel in den Herbst-, Winter- und Frühjahrsmonaten ohne weiteres hervorgeht. Unter
sehr günstigen Umständen, und wenn man den Ort des Mondes am Himmel durch
Vorausberechnung gut kennt, dürfte sich für das in Rede stehende Intervall aus-
nahmsweise ein Tag annehmen lassen. Über die Sichtbarkeit der Sichel in nörd-
licheren Breiten ^England s. Dexxing, VisihiUty of the neic moon The Astrono-
mical Register, vol. XIX p. 119, London 1881). Über neuere Beobachtungen mittelst
Opernglases s. 0. Sciirader, Astron. Nachr., vol. 168, 1905, S. 319. Vgl. auch
C. LiTTRow, Zur Kenntnis der kleinsten sichtbaren Blondphasen {Sitzher. d. Wiener
Akad. d. U'iss., Bd. 66, math. Kl., 1872).
94 Die Zeitelemeiite und ihre historische Eiitwiekhing.
berechnet, wird man die Bedingungen, ob die Sichel zu einer an-
genommenen Zeit schon sichtbar sein konnte, gut beurteilen können.
Die Einteilung des Monats tritt in verschiedenen Formen
auf. Sowohl der siderische wie der sjiiodische Mondmonat, sowie
später der SOtägige Monat des znr Ansgleichung bestimmten Jahres
bilden den Ausgangspunkt. Die natürliche Zerlegung ist die des
]\Ionats nach 2 Hälften, vom unsichtbaren Neumond bis zum Voll-
mond, und von diesem bis zum Neumond. Bei den Indern hat sie
sich noch bis heute erhalten; die vedischen Texte kennen schon die
die helle oder lichte Hälfte {parva pal-slm) und die dunkle oder
schwarze {aimra paksha). Die Zeit des Vollmonds war bei den
Indern, Harranitern, Arabern mit Zeremonien und Festen verknüpft,
das Erscheinen des Neulichts wurde mit Geschrei begrüßt (wie bei
den arabischen Stämmen) oder öffentlich ausgerufen (wie bei den
Juden und Eömern). Im alten China soll der Gebrauch bestanden
haben, daß man an jedem 2. und 16. des Monats (d. h. nach der
ersten Sichel und nach Vollmond) der Geisterwelt ein Opfer brachte.
Davon haben sich noch 2 Festtage des chinesischen Kalenders, der
2. Tag des ersten Monats (genannt „der erste Opfertag") und der
16. des 'letzten Monats („der letzte Opfertag") erhalten. Auf die
Auffassung des Monats im Sinne einer Zweiteilung weisen auch die
Ausdrücke vovpit^via (erster Monatstag) und dixofii^via (Vollmondstag)
bei den ältesten Griechen, die altgermanischen 14tägigen Fristen u.a. —
Wichtig ist für die vergleichende Chronologie die f ü n f t ä g i g e Woche
{hamustu) der Babj'lonier (s. § 24), weil sie auf dem Sexagesimal-
prinzip beruht; sie diente im Handels- und Geldverkehr; einen
gleichen Zweck hatte die ebenfalls fünftägige alte 2)asar -Woche auf
Java (s. § 120). — Die zehntägige Woche (Dekade) ist aus Denk-
mälern für die Ägypter festgestellt (s. § 35), Spuren finden sich bei
den Chinesen (s. § 127). — Die siebentägige Woche ist nicht
babylonischen Ursprungs (s. § 24), sondern hat überhaupt nur ihre
Entstehung in Vorderasien zu suchen; die heilige Siebenzahl spielte
dabei die wesentliche Ursache. Hierauf weist die Hervorhebung des
7. Tages bei den Babyloniern (des 7., 14., 19., 21., 28. Tages), wie
auch die astrologische Bedeutung der siebentägigen Frist. Bei den
Juden ging die (vermutlich ursprüngliche astrologische) siebentägige
Woche in den bürgerlichen Gebrauch über, unabhängig vom Mond-
monat. Derselben gemeinsamen vorderasiatischen Quelle entstammt
die siebentägige Woche der alten Perser. Spuren siebentägiger Fristen
finden sich in Indien, bei den chinesischen Buddhisten (in der Heiligung
des 8., 15. und 23. Monatstages) und in dem alten ivid-u-Zyk\us auf
Java (30 Wochen zu 7 Tagen). — Endlich wäre die rein sexagesimale
60tägige „Woche" (richtiger der Zyklus) der Chinesen zu nennen.
i? 18. Ären. Zyklen. ,J;ihrcs-, Moiuits- und Tiigcstciluiifr. 95
Den Tag- kann man entweder als die Zeit zwischen dem Auf-
und Untergange der Sonne (Lichttag), resp. zwischen dem Untergang
und Aufgang derselben (Nacht) ansehen, oder als die Zeit, welche
zwischen zwei Meridiandurchgängen der Sonne liegt. Der erstere
ist der natürliche Tag, der zweite heißt der bürgerliche Tag
(dicf! naturnJis, dies clriJis. Kalendertag). Einige Sprachen unter-
scheiden diese Begriffe voneinander. Im Dänischen und Schwedischen
heißt der natürliche Tag (Lichttag) dag, der bürgerliche dagegen
dänisch dog)i, schwedisch dygn: im Griechischen gilt vvx&j^/hsoov nur
für den bürgerlichen Tag, scliehanruz im Persischen. Der natürliche
Tag bildete bei den Völkern, deren Zeitrechnung uns hier im L Bande
interessiert, die Grundlage der Teilung. Es wurde nämlich die Zeit
zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne in 12 gleiche Teile und
die Nacht in ebensolche 12 Teile geteilt. Da der Tag- und Nacht-
bogen der Sonne sich mit den Jahreszeiten fortwährend verändert,
auch für jede geographische Breite ein anderer ist, wechselten die
Stunden dieser Teilung von einer Jahreszeit zur anderen an Länge.
Mittag fiel also auf den Anfang der 7. Tagesstunde, Mitternacht auf
den Anfang der 7. Nachtstunde. Diese Stunden heißen bei den
griechischen Astronomen doca xcugr/.ai (horap temporales oder horae
inaequaJes), d. h. Stunden, die von Bedingungen, von der jeweiligen
Länge des Tages und der Nacht abhängen. Sie wairden mittelst der
Sonnen- und Wasseruhren (clepsydra) gemessen. Diese Stunden
waren überall im bürgerlichen Leben verbreitet. Bei den griechischen
und orientalischen Astronomen kommen auch unsere gegenwärtigen
Stunden, die Vierundzwanzigstel des bürgerlichen Tages, vor; sie
werden nur für die Zwecke der Rechnung gebraucht; bei den
klassischen Schriftstellern werden sie sehr selten erwähnt (bei Plentx^s
hist. nat. II 99, VI 39, XVIII 59). Diese gleichlangen Stunden hießen
woat, ißouegival {horae aequinoctkdes). PTOLEMÄrs gebraucht haupt-
sächlich diese und unterscheidet sie als „gleichteilige" Stunden von
den anderen „zeitlichen" ; er rechnet sie von ]\nttag zu Mittag. Die
Temporalstunden haben während des ganzen Altertums und noch
lange im Mittelalter Geltung gehabt. j\Iit dem 14. Jalirh. gewannen
aber die Ä q u i n o k t i a 1 s t u n d e n (durch die Einführung der Schlag-
uhren) allmählich Eingang. — Der Tagesanfang wird sehr ver-
schieden gerechnet. Im allgemeinen betrachten die Völker, welche
ein Sonnenjahr haben, den Sonnenaufgang als Tagesbeginn, jene, die
nach dem Monde zählen, den Sonnenuntergang. Die Ägypter fingen
sehr wahrscheinlich den Tag mit der Morgendämmerung an. ebenso
die alten Perser ; betreffs der Babylonier ist der Tagesanfang noch nicht
hinreichend sicher erwiesen ; in Hinsicht der Griechen halten die einen
am Sonnenuntergänge fest, während andere den Sonnenaufgang als
96 Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhuig.
Tag-esanfang- glauben nachweisen zu können. Die Körner nahmen
Mitternacht als Tagesbeginn , desgleichen die Chinesen schon in alter
Zeit. Die Araber, Türken und Juden rechnen von Sonnenuntergang.
Es muß noch daran erinnert werden (vgl. S. 16), daß die heutigen
Astronomen den Tag von Mittag zu Mittag zählen (seit Ptolemäjjs),
und zwar von !'• bis 24'' hindurch, woraus sich gegen die bürgerliche
Zählung ein Unterschied von einem halben Tage (im ersten Halb-
kreise des Tags) ergibt. Die Eechnung nach Nächten finden wir
bei den Arabern, aber nach den Zeugnissen von Caesak (de hello
GaUico VI 18) und Tacitus (Germmi. c. 11) auch bei den Galliern
und Germanen.
Zuletzt noch einige Bemerkungen über den Ursprung der
24-Teilung des Tag-Nacht-Kreises. Ohne Frage ist die (babylonische)
Doppelstunde (Kas-hu) der Ausgangspunkt dazu gewesen. Wie man
auf die Doppelstunde kommen konnte, und welche Rolle dabei der
Zodiakus spielte, wurde schon früher erwähnt (vgl. S. 80). Durch
die Doppelstunde war die 12-Teilung des Tagkreises gegeben, welche
nach dem Vorbild der 12-Teilung des Jahrkreises (der 12 Monate)
ausgeführt wurde. Als man der Länge des Mondjahrs einigermaßen
sicher war und Versuche machte, auf Grund eines etwas längeren
Jahrs des 360tägigen Rundjahrs (s. S. 69), durch Schaltungen auf
das der Sonnenbewegung angepaßte Jahr überzugehen, nahm man
jeden Kreis, auch den Tagkreis, zu 360 Teilen an, also die Doppel-
stunde zu 30*^, analog der Sonnenbewegung von 30^ in einem Zwölftel-
jahr (Monat). Die Doppelstunde wurde dann sexagesimal weiter ab-
geteilt, wie der Grad des Kreises. Der natürlichen Vierteilung des
Tages durch die Sonne in Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht
entsprach der Quadrant des Kreises von 90^, oder im Tagesviertel-
kreise das Intervall von 3 Doppelstunden. Da dieses Intervall für
die Zwecke des täglichen Lebens eine weitere Teilung erforderte,
gingen die meisten Völker bald auf die Hälfte der Doppelstunden,
auf den Tagesviertelkreis von 6 einfachen Stunden, also auf die
24-Teilung des Tages über. Reste der Doppelstunde, sowie der sexa-
gesimalen Teilung der Tageszeit haben sich im Altertum noch er-
halten. Die halbe muhürta der Inder (der Tag wird bei ihnen in
30 muhürta geteilt) entspricht Voo des Tages, ebenso beruhen die
(später eingeführten) direkten 60-^'eilungen des Tags, wie die ghatt
jmlas u. s. w. auf dem Sexagesimalsystem ; selbst die jüdische Teilung
der Stunde in 1080 Khalakim scheint noch ihre sexagesimale Herkunft
zu verraten und aus einer ursprünglichen 3-Teilung der Stunde (ent-
sprechend den 3 Teilen des Vierteltagkreises) und aus der 360-Teilung
dieser (3 • 360 = 1080, oder = 3 • 60 • 60) hergeleitet zu sein.
i? 19. Julian, u. j^ri'^'or. .liilir. Julian. Periode. Fruhliiigspunkt im Julian. .Jalir. 97
§ 19. Juliauisches und ^rej^oriaiiisches Jahr. Jiiliaiiische Periode.
Lage des Frühliugspuuktes im Julianiseheii Jahre.
Obwohl die Darstellung- des julianischeii und des gregorianischen
Jahres in die beiden folgenden Bände dieses Werkes gehört, müssen
doch die Haupteinrichtungen dieser Jahre hier kurz angegeben werden,
da insbesondere das julianische Jahi* die Grundlage vieler chrono-
logischen Rechnungen ist.
Da der Kalender der Römer in arge Verwirrung geraten war.
unternahm C. Julius Caesar in seinem dritten Konsulate (46 v. Chr.)
eine Neuordnung der Jahresrechnung. Es sollte nach vierjährigen
Zyklen gerechnet w^erden, in welchen das erste Jahr immer 36(5 Tage
und die folgenden drei 365 Tage hatten. Das mittlere tropische Jahr
wurde somit zu 365^4 Tagen angenommen. Das erste Jahr dieser
Zeitrechnung (45 v. Chr.) begann mit dem ersten Neumondstage
nach der hriima (Wintersonnenwende, 1. Januarius 45 v. Chr.). Der
Schalttag (dies intercalaris) lag im Februarius. Diese Jahre er-
hielten, als von Julius Caesae eingeführt, im Volke die Bezeichnung
julianische Jahre {mini Julian i).
Das julianische Jahr steht bezüglich seiner Länge von 365^/4
Tagen noch auf der Stufe, die schon mehrere Jahrhunderte vorher
in Griechenland , Ägypten u. s. w. hinsichtlich der Bestimmung des
tropischen Jahres erlangt worden ist. In der Tat mußten sich die
Völker des Altertums bis ins 3. oder 4. Jahrh. v. Chr. mit diesem
Jahre begnügen, da mit den astronomischen Hilfsmitteln der alten
Zeit sich nicht viel mehr erreichen ließ. Erst mit der Erfindung der
Armillasphäre konnte man versuchen, den überschüssigen Jahresbruch-
teil von 5'i 48"^ 46' des tropischen Jahres genauer zu ermitteln, da
sich mit diesem Instrumente die Jahrpunkte besser beobachten ließen.
Dies w^ar Hippaech (um 150 v. Chr.) ziemlich gelungen, und der
Umstand, daß 100 Jahre später von dem Astronomen Sosigexes,
welcher den Caesar mit Rat untersützte, keine Rücksicht auf die
HippAECHSche Bestimmung genommen wurde, ist ein Beweis, wie
unklar man sich in der Länge des Sonnenjahres damals noch w^ar.
Der Fehler des julianischen Jahrs von 11"^ 14" gegen das tropische
(oder in 4 Jahren nahezu ■^/4 Stunden) mußte sich allmählich zeigen, da
er in etwa 128 Jahren auf einen Tag anstieg. Im Mittelalter wurde
der Fehler merkbar, um so eher, als man für die Bestimmung der
Neumonde nur den METoNSchen Zyklus verwendete, und diese in Ver-
bindung mit den unrichtig fallenden Tag- und Nachtgleichen die Lage
des Osterfestes nicht mehr richtig angaben, welches nach kirchlicher
Vorschrift an den Mond und an das Frühjahrsäquinoktium geknüpft
Ginzel, Chronologie I '
98 Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhing.
war. Vom 13. Jahrh. an datieren daher die Versuche der Eeform
des Kalenders, welche durch Papst GkegokXIII. 1582 ihren Abschluß
fanden. Hinsichtlich des tropischen Jahres wurde durch die greg'oria-
nische Eeform bestimmt, daß das Frühjahrsäquinoktium , welches zur
Zeit des Konzils Ton Nicaea (325 n. Chr.) auf den 21. März gefallen
war, jetzt aber um 10 Tage früher, auf den 11. März fiel, fortan
unveränderlich auf dem 21. März haften sollte. Zu dem Zwecke
Avurden im Oktober 1582 diese 10 Tage weggelassen, indem man
vom 4. Oktober sogleich zum 15. Oktober überging. Zur Verbesserung
in der Annahme der Jahreslänge wurde folgende Bestimmung getroffen :
Jedes 4. Jahr bleibt wie im julianischen Kalender ein Schaltjahr,
jedoch sind jene Säkularjahre (d. h. das letzte eines Jahrhunderts,
mit 2 Nullen in den Einheiten und Zehnern) fernerhin Gemeinjahre,
welche durch 400 nicht ohne Rest teilbar sind. (Daher sind die
Jahre 1600 und 2000 n. Chr. Schaltjahre, die Jahre 1700, 1800, 1900
aber Gemeinjahre.) Durch diese Eegel erreicht man in der Haupt-
sache die Ausgleichung, wenn auch nicht ganz^ Die Eechnung nach
dem eben beschriebenen gregorianischen Jahre nennt man auch
Rechnung nach dem neuen Stil, zum Unterschiede vom alten Stil,
dem julianischen Kalender. — Es ist chronologisch öfters von Interesse
zu wissen, um wieviel Tage ein gegebenes gregorianisches Datum dem
entsprechenden julianischen vorausgeht. Folgende Eegel liefert diese
Differenz : Man multipliziere die in dem gegebenen Jahre n. Chr. ent-
haltene Zahl der Jahrhunderte mit 3, subtrahiere vom Produkt 5 und
dividiere dann den Unterschied durch 4, so gibt der Quotient die
Anzahl Tage, um welche die Datierung nach beiden Stilen ver-
schieden ist; z.B.: um wieviel Tage eilt im Jahre 2157 n.Chr. der
gregorianische Stil gegen den alten voraus? Die Zahl der Jahr-
hunderte in 2157 ist 21, demnach " ' ^"'^ = 14, d.h. das gregoria-
nische Datum ist um 14 Tage voraus. Folgende kleine Tafel gibt
die gesuchte Differenz für einige Jahrhunderte. Um ein julianisches
Datum zwischen den nachstehenden Grenzen auf das entsprechende
gregorianische zu reduzieren, hat man
1 Bei der Erklärung der Ausgleichung des Überschusses über .865^1 (s. S. 66)
wurde schon hervorgehoben, daß man diese Ausgleichung ziemlich vollständig er-
reichen könnte, wenn in 128 .lahren 31 Schalfjahre eingelegt würden. 384 Jahre
brauchten 98 Schaltjahre. Nach der gregorianischen Regel würden in 400 Jahren
97 Schaltjahre nötig sein. Die von .884 auf 400 fehlenden 16 Jahre liefern noch
4 Schaltjahre. Während aber bei den 3 • 128 = 384 Jahren durch die Schaltung
eine erhebliche Genauigkeit erzielt wird, legt man bei den 16 Jahren etwas zu
viel hinzu, so daß in 400 Jahren ein Plus von etwa 2li 50°» entsteht, welches in
3400 Jahren wieder 1 Tag ausmacht. Die gregorianische Schaltregel ist also nur
näherungsweise richtig.
1800
11
1900
12
2100
13
2200
14
ij 1 9. .luliiiii.ii.grogor. .Fuhr. .Iiiliiiii. Periode. Friililiii'.'-spuiikf im Jiiliiui. .Inhre. 99
vom 5. Oktob. 1582 bis 29. Febr. 1700 (alt. Stil) 10 Tage
,, 1. März 1700 ,, .,
1800 „ „ ,
n j) lyuu „ „ ,
2100 „ , ,,
zu addieren.
In der Chronologie zählt man die julianischen Jahre von der
Epoche der Geburt Christi nach vorwärts und rückwärts, unter-
scheidet also Jahre vor und nach Christus. Das erste Jahr v. Chr.
und das erste n. Chr. folgen bei den Historikern unmittelbar auf-
einander. Die Zählung nach vorwärts beginnt mit drei Gemein-
jahren, so daß das 4. 8. 12. . . . n. Chr. ein Schaltjahr ist; dem-
entsprechend sind die Jahre 1, 5, 9, 13 . . . v. Chr. ebenfalls
Schaltjahre; es gilt also die Eegel: diejenigen Jahre n. Chr. sind
Schaltjahre, welche bei der Division durch 4 keinen Eest geben;
jene v. Chr. sind Schaltjahre, für welche bei der Division durch 4
der Rest 1 bleibt. Von dieser historischen Zählung der Jahre
unterscheidet sich die astronomische dadurch, daß die letztere bei
den Jahren v. Chr. ein Jahr weniger zählt. Die Jahre v. Chr. werden
nämlich als negative ( — ), die Jahre n. Chr. als positive (-j-) der
ganzen Eeihe aufgefaßt ; ein solcher Begriff erfordert aber den Durch-
gang der Jahre durch Null. Es wird daher das dem Jahre 1 n. Chr.
vorausgehende Jahr mit Null bezeichnet; hiedurch wird
das Jahr 2 v. Chr. (histor.) = — 1 (astronomisch)
55 » 3 „ „ = — 2 „ u. s w.,
oder allgemein: die astronomischen Jahre v.Chr. sind um eine Einheit
kleiner als die der Historiker. Bei den Jahren n. Chr. ist in beiden
Zählungsarten kein Unterschied. Wie man leicht bemerkt, gewährt
die astronomische Zählung zwei Vorteile. Nach derselben sind die
Jahre +4, +8, +12... Schaltjahre (wie bei den Historikern),
aber auch die Jahre — 0, — 4, — 8, — 12 . . ., es gilt also hier
die Regel ohne Ausnahme, daß alle durch 4 ohne Rest teilbaren
Jahre Schaltjahre sind. Ferner läßt sich irgend ein Intervall zwischen
Jahren v. Chr. und Jahren n. Chr. ohne weitere Überlegung, durch
Subtraktion, bilden. Das Intervall zwischen der Olympiadenrechnung
776 V. Chr. und der Epoche der Hidschm 622 n. Chr. ist nicht
1398 Jahre, sondern (1398— 1) =^ 1397 Jahre, da die historische
Zählung bei den Jahren v. Chr. eigentlich 1 Jahr zuviel rechnet.
Nach der astronomischen Zählweise hat man aber unmittelbar:
(-h 622) — (— 775) = + 622 + 775 = 1397 Jahre.
Unter der julianischen Periode versteht man einen Zyklus
von 7980 Jahren, dessen Jahre julianische sind. Das erste Jahr der
7*
100 Die Zeitelemente und ihre Instorische Entwicklung.
Periode beginnt mit 1. Januar 47U] v. Chr. (= — 4712 astronomisch).
Die jnlianische Periode ist eine künstliche, aus dem Produkte der
Zykluszahlen 28, 19, 15 (Sonnenzirkel, Mondzirkel, Indiktion) gebildete,
von Josef Scalkjee eingeführte Periode'. Sie wird besonders dann
vorteilhaft, wenn man statt mit Jahren nach den Tagen der julia-
nischen Periode rechnet und die Daten durch diese ausdrückt, wie
es in den ScHEAMSchen Tafeln (s. S. 56) geschieht. Die Verwandlung
von Datierungen einer Zeitrechnung in die einer anderen wird durch
die Anwendung dieses Prinzips höchst einfach, und die meist schwer-
fälligen Pegeln, die man zur Lösung solcher Aufgaben gegeben hat.
werden überflüssig. Ich setze noch den Epochetag einiger Aren,
welche uns im I. Bande interessieren, und von denen dieser Tag fest-
steht, in solchen julianischen Tagen ausgedrückt hier an:
Epoche der Ära
Julian. Tag
Kalbjuga
17.
Febr.
3102 V.
Chr.
= 588 465
NahoncD^sar
26.
Febr.
717
y
= 1448 638
Fkülpin
12.
Nov.
324
y.
= 1603 398
Sal'ci - Ära
15.
März
78 n.
Chr.
= 1749 621
Diocleüan
29.
Aug.
284
)*
= 1825 030
Hldschra
16.
Juli
622
1'
= 1948 440
Jezdegerd
16.
Juni
632
r
= 1952 063
Burmesische
21.
März
638
V
= 1954167
Neiüär-Ärsi
20.
Okt.
879
V
= 2 042 405
DschelaJeddin
15.
März
1079
?•
-= 2115 236
Diese Ausdrucksweise von Datierungen durch julianische Tage hat
auch den Vorteil, daß man nach den ScHRAMSchen Tafeln sofort den
Wochentag des Datums finden kann, wenn die jnlianische Tageszahl
durch 7 dividiert wird ; der bei der Division bleibende Rest = 0 gibt
Montag, 1 = Dienstag, 2 = Mittwoch, 3 = Donnerstag, 4 = Freitag,
5 = Sonnabend, 6 = Sonntag. Die Division der julianischen Tageszalil
der ersten von den eben angeführten Ären durch 7 zeigt, daß die
Epoche des KaUyuga ein Donnerstag ist (Rest = 3).
Von Wichtigkeit für die Chronologie ist schließlich noch die Be-
antwortung der Frage, um wieviel die Jahrpunkte (s. S. 14) zu ver-
schiedenen Zeiten im julianischen Jahre zurückliegen. Dieses Zurück-
weichen beträgt, da das mittlere tropische Jahr um 11'" 14' kürzer
ist als das julianische, ungefähr alle 128 Jahre einen Tag. Das ge-
naue Datum, wann die Sonne nach julianischer Zählung in den Widder,
Krebs, Wage, Steinbock in einem gegebenen Jahre tritt, muß aus den
Sonnentafeln berechnet werden. Direkt für diese Ermittlung ein-
1) De emendatione temponim, Colon. AUobr. 1629, p. 359 f.
i?19. Juliaii.u. ^Tt'gor. Jahr. Julian, l'criodc. Frühlingspunkt im Julian. Jahre. 101
gerichtet ist die ,,Zodiakaltafel-' in Schha.ms Hilfstafeln für Chronologie
(s. S. 53). In der folgenden Tabelle gebe ich die Lage des wichtigsten
der vier Jahrpnnkte, des Frühlingspnnktes, berechnet nach der eben
genannten Tafel, von — 4000 (4001 v. Chr.) bis + 1600 (1600 n. Chr.)
von 100 zu 100 Jahren, und zwar das Datum in ganzen Tagen und
deren Bruchteilen, gerechnet von Mittag zu Mittag des Meridians von
Greenwich. Mit Berücksichtigung dieser Zählungsart des Tages und
des Meridianunterschiedes gegen Greenwich kann man Tag und Stunde
des Frühlingspunktes für jeden anderen Ort ermitteln; für das 4. Datum
Julian.
Jahr
Datum des
Frühlings-
äquinoktiums
Julian.
Jahr
Datum des
Frühlings-
äquinoktiums
Julian.
Jahr
Datum des
Frühlings-
äquinoktiums
— 4000
April
23,3568
— 2100
April
8,0075
200
März
23,8531
— 3900
»
22,5571
— 2000
'
7,2034
—
100
n
23,0740
— 3800
1
21,7418
— 1900
n
6,3983
0
n
22,2789
— 3700
fl
20,9368
— 1800
■n
5,5958
+
100
1
21,5019
— 3600
n
20,1312
— 1700
i>
4,8030
+
200
n
20,7213
— 3500
fl
19,3218
— 1600
n
3,9939
+
300
n
19,9293
— 3400
n
18,5174
— 1500
1)
3,1951
-f-
400
n
19,1625
— 3300
1»
17,7106
— 1400
n
2,3953
+
500
n
18,3705
— 3200
1
16,8912
— 1300
n
1,5821
+
600
„
17,5977
— 3100
n
16,0862
— 1200
März
31,7995
+
700
y>
16,8201
— 3000
3
15,2739
— 1 100
n
30,9884
-t-
800
n
16,0328
— 2900
n
14,4591
— 1000
■t
30,1985
+
900
1
15,2614
— 2800
y>
13,6683
— 900
n
29,4017
+
1000
n
14,4833
— 2700
1
12,8459
— 800
n
28,5977
+
I 100
n
13,7112
— 2600
D
12,0476
— 700
D
27,8130
+
1200
n
12,9466
— 2500
n
11,2396
— 600
f>
27,0163
+
1300
11
12,1758
— 2400
y>
10,4216
— 500
n
26,2285
+
1400
»
1 1,4028
— 2300
1
9,6278
— 400
y>
25,4395
-f-
1500
»
10,6392
— 2200
1
8,8112
— 300
n
24,6482
4-
1600
1
9,8634
der Tabelle z. B. hat man — 3700 April 20,9368 = 20. April 22»» 29'"
Gr. Zt., daher für Babylon (2'' 58«» östl. v. Gr.) 21. April 1^ 27"^
Babyl. Zt. Im Jahre 3701 v. Chr. trat also die Frühjahrs-Tag- und
Nachtgleiche für Babylon am 21. April Julian, um 1*» 27°» nachmittags
ein. Für die z"wischen die Intervalle fallenden Jahre, d. h. zu Inter-
polationen, darf die Tabelle nicht benützt werden, da die Bewegung
des Frühlingspunktes von einem Jahre zum nächsten zu unregelmäßig
ist, eine Interpolation also ein falsches Resultat liefern würde \ Trotz-
1 Für die Zeit des Konzils zu Nicaea ergibt z. B. die direkte Rechnung den
Frühlingseintritt am 20. März .325 n. Chr. 1^ 53'" Nicaea-Zcit i^Nachmittag , [März
19,9960 Gr. Zt.].
102 Die Zeitelemente und ihre historische Entwickhing.
dem wird die Tabelle wohl willkommen sein, da sie eine Übersicht
über die Bewegung des Frühlingspimktes in 5600 Jahren gewährt
und sogleich auch auf die ungefähre Lage der andern 3 Hauptpunkte
schließen läßt.
§ 20. Literatur zu C.
L Entwicklung der Zeitbegriffe, der Beobachtungen
und des Jahres.
John Narrien, An historical account of the origin and progress of Astrotionvj,
London 1833. — P. Tannery, Eecherches sur Vhist. de l'astron. ancienne (Mem.
de la societ. des sciences de Bordeaux, 4. ser. T. I, 1893). — H. Zimmern, Das
Prinzi'p unserer Zeit- und Baumteilung {Berichte d. König. Sachs. Ges. d. Wiss.,
philol.-liist. KL, 1901, S. 47). — E. Mahler, Die Entstehung der Zeit- und Kreis-
teiliing {Orient. Litterat.- Zeitung, ed. Peiser, YI, 1903, S. 9). — L. Ideler, Histor.
Unters, üb. die astron. Beob. der Alten, Berlin 1806. — Vgl. ferner in vielen der
nachstehenden Arbeiten.
2. M 0 n d s t a t i 0 n e n.
Colebrooke , On the Indian and Arabian divisions of the Zodiac {Miscell.
Essays II 821 ; 1837). — Sedillot, Materiaux i)our servir ä Vhist. comparee des sc.
math. chez les Grecs et les Orient. , II S. 548. — Burgess (In den Anmerkungen
zur Übersetzung d. Sürya Siddhunta, Journ. of the Americ. Orient. Society, VI,
1860). — J. B. BioT , Etudes sur l'Astr. indienne et sur l'Astr. chinoise, Paris
1862. — A. Weber, Die vedischen Nachrichten v. den naxatra (Abhdlg. d. Berl.
Akad. d. IC, I u. II, 1860); Indische Studien IX, 1865, S. 424; X, 1868, S. 213. —
Hommel, Üb. d. Urspr. u. d. Alter der arab. Sternnamen ti. insbes. der Mond-
stationen {Zeitschr. d. deutsch, morg. Ges. XLV, 1891 , S. 613). — G. Thibaut,
Astronomie, Astrol. u. Mathem. (Grundriß d. Indo- Arischen Philologie, vol. III,
1899, S. 12 — 19). — A. DE MoTYLiNSKi, Les inansions lunaires des Arabes, Algere
1899. — Vgl. vieles in der Liter, üb. den Zodiakus.
3. Zodiakus.
Letronne, Ohservat. critique et archeol. sur l'objet des representations sodia-
cales, Paris 1824; Sur l'origine grecque des zodiaques pretendus egyptiens {s.
Melanges d'erudition et de critique historique). — Biot , 3Iem. sur le zodiaque
circulaire de Denderah {Mem. de l'Inst. roy. d. France, Acad. d. Inscr. XVI 2,
1846). — Letronne, Analyse critique des represent. zodiac. de Dendera et d'Esve
(ibid.), [Vgl. auch Journ. des savants 1839, 40, 45, 59, 60, 61.] — A. W. Schlegel,
Üb. d. Sternbilder d. Tierkreis, im alt. Indien {Zeitschr. f. d. Kunde d. Morgenl. 1 354,
111 369; vgl. auch IV 302). — A. Holtzmann, Vb. d. griech. Ursprung des indischen
Tierkreises, Karlsruhe 1841. — L. Ideler, Üb. d. Urspr. d. Tierkreises {Abhdlg. d.
Berl. Akad. d. IT. 1838). — Buttmann, Üb. d. Entstehung d. Sternbilder auf d.
griechisch. Sphäre {Abhdlg. d. Berl. Akad. d. IT. 1826). — Th. Friederich und
H. C. MiLLiEw {Opmerkingen over den oud-Javaanschen dierenriem) Verslagen en
Mededeel. d. Koninkl. Akad. v. U'etensch. 7. deel 1863, Afdeel. Letterkunde,
S. 237 u. 298. [Daselbst Literatur über javanische, indische und mohammedanische
Tierkreise] — W. Fröhner, Notice de la sciilpture antique du Musee Imperial,
§ 20. Literatur zu ('. 103
Paris 1869 [Beschreibung des Tierkr. von Bianchi.ni]. — Epi'ino u. Sti<a.s.smaiek,
Astronomisches aus Bab'/lon , Freiburg 1889. — 1*. Jk.nskx, Die Kosmologie der
Bahylonier, Straßburg 1890. — Hommel, Die Astronomie d. alten Chaldäer (Auf-
sätze u. Abhdlgn. II 1900, III 1, 1901; vgl. „Ausland- 1891, 1892). — Thiklk,
Antike Himmclsbilder , Berlin 1898. — R. Bkown, liesearches into the oriyin of
the primitive Constellations of the Greeks, Phoenicians and Babylon i ans , 2 vol.,
London 1899, 1900; Bemarks on the Euphrat. astron. names of the sir/ns of the Zodiac
(Proceed. of the Soc. of Biblical ArchaeoL, vol. XIII, S. 246). — E. W. Mauxdkk,
Snake forms in the constellations and on Babylon. Boundury Stones {Knoivledge,
Neue Serie 1904, I 227; London). — Daressy, Recueil de travaux rel. u la philol.
et ä Varch. Egypt. Assyr., vol. XXIIl 1901, S. 126 ]Be.schreibg. d. ägypt. Tier-
kreises, vgl. S. 86]. — Jensen-, Göttinger Gelehrt. Ämeig. 1902, S. 370 [Spät-
babylonische Nanaen der Tierkreisbilderl. — Fr. Boll , Sphaera, neue griech.
Texte u. Untersuchtingen z. Geschichte d. Sternbilder , Leipz. 1903. — Vgl. auch
F. Stuhk, Unters, üb. die Ursprünglichkeit u. Altertümlichkeit d. Sternkunde unter
den Chinesen u. Indern, Berlin 1831 ; J. Gr. Rhode, Versuch üb. d. Alter d. Tier-
kreises u. d. Urspr. d. Sternbilder, Breslau 1809; J. K. Schaubach, Geschichte d.
griech. Astronomie, Göttingen 1802.
4. Abbildungen von Tierkreise n.
Bei Boll (a. a. 0 ) das Rundbild von Dendera , der rechteckige Tierkr. v.
Dendera, Bl\nchinis Zodiakus, der ägyptische Tierkreis von Daressy, die Plani-
sphäre Vatican. gr. 1087. — Javanische Tierkreise: T. St. Raffles, History of
Java, London 1817, I 478, II 52, 56; John Crawfcrd, History of the Indian
Archipelaijo , Edinb. 1820. vol. I 303, pl. 8; Friederich, Verhandelingen van het
Batav. Genotschap, d. XXIII, Batavia 1850. Betr. Abbildungen indischer u. arab.
Tierkreise s. die Literaturangaben bei H. C. Millies (s. oben).
5. Tage, Stunden, Wochenu. s. w.
G. BiLFiNGER, Der bürgerliche Tag, Unters, üb. d. Beginn des Kalendertages
im klass. Altert, u. christl. 3Iittelalter , Stuttgart 1888; Die babylonische Doppel-
stunde, Stuttgart 1888; Die Zeitmesser der antiken Völker, Stuttgart 1886; Die
antiken Stundenangaben, Stuttgart 1888. — W. H. Röscher, Die enneadischen
und hebdomadischen Fristen u. Woclien der ältesten Griechen (Abhdlg. d. Königl.
Sachs. Ges. d. HYss., philol.-hist. KL, XXI. Bd., 1903, Nr. IV).
Zeitrechnung der einzelnen Völker
I. Kapitel.
Zeitrechnung der Babylonier.
§ 21. Torbemerkiiug:.
Über das Zeitrechnungswesen von Babylonien und des mit diesem
zeitweise verbunden gewesenen Assyrien haben uns die klassischen
Schriftsteller nur dürftige Nachrichten hinterlassen. Der Grund davon
liegt nicht sowohl in der für die alte Zeit bedeutenden Entfernung des
Zweistromlandes von Griechenland und Italien, als vielmehr darin, daL)
in der Periode der Blüte Griechenlands und Roms die Kulturhöhe
Babyloniens bereits einer längst vergangenen Zeit angehörte. Die
Geschichte der Babylonier beginnt für uns jetzt, auf Grund der dui'ch
die Ausgrabungen zutage geförderten Dokumente, mindestens mit
3000 V. Chr., und die Anfänge der Kultur jener Länder haben wir,
nach allem was bis jetzt bekannt geworden, vielleicht auf 6000 v. Chr.
zurückzusetzen. Zur Zeit, da die Dorier erst in den Peloponnes ein-
wanderten, waren die Babylonier bereits in Besitz des größten Teils
ihrer eigenen geistigen Errungenschaften, und für die römischen und
griechischen Klassiker, welche (mit Ausnahme Hekodots) im ersten
Jahrh. v. Chr. oder viel später über die Babylonier schrieben, war
die hohe Kultur Mesopotamiens nur mehr eine Legende, um so mehr,
als Babylonien und Assyrien längst ihre politische Selbständigkeit
verloren hatten. Daher die schwankenden Berichte bei Plixits
(h. n. YII 56, 57), Maxilius (I 40, 45), Mackobius (Com. Somu. Sc'q).
I 21), Clem. Alexandk. {Strom. I 16), Achill Tatius (Isag. 1) u. a.,
welche den Ursprung der Astronomie in Ägypten und Babylon suchen ;
daher die fabelhaft großen Zahlen, die von Ciceeo (de dirhi. I 19),
DiODOR (II 31), PoEPHYurus (bei Simplic. Comment. in Aristot. de
caelo II 12)1 ^j^^ Hippaech (nach Jamblichus, bei ProcI. in Tim.
Fiat I 31) für das Alter der astronomischen Beobachtungen der
1) Einige dieser hohen Zahlen erklären sich durch fehlerhaften Gebrauch der
Zahlenzeichen; vgl. C. F. Lehsiann, Zicei Hauptprohleme d. altorient. Chronol..
Leipzig 1898, S. 110.
108 T. Kapitel. Zeitrecliimng der Babylonier.
Babylonier angegeben werden, und welche Zahlen zu erklären man
sich früher manche Mühe gegeben hat. In der Tat haben von den
Berichten jener Autoren nur noch einige Angaben von Gemexus,
DioDOE und Heeodot einigen Wert, besonders die Bemerkungen des
letzteren, der wahrscheinlich Babylon besucht hat und aus eigener
Anschauung spricht ^
Eine neue Ära für unsere Kenntnis der Kultur der Babylonier
und damit auch der Astronomie und des Zeitrechnungswesens dieses
Volkes datiert erst seit dem Beginne der Ausgrabungen, die durch
den Engländer J. Eich 1811—1820 in den Euinenhügeln von HiUah
und Moml ihren Anfang nahmen. Die Entwicklung, welche aus
diesen Expeditionen für die orientalische Geschichtsforschung und für
das Aufblühen neuer AVissenszweige hervorging, kann hier nur
flüchtig angedeutet werden. E. Botta nahm 1842 — 46 die Aus-
grabungen in Kujumlschik (dem einstigen Ninive) und Khorsahad in
Angriff; ihm folgte 1852 V. Place, während Layard 1845 — 47 Nimrud
{Kalah. südlich von Xinive) und 1849 — 51 Babylon und Ninive auf-
deckte. Nun folgten fast gleichzeitig die Ausgrabungen durch
Rassam bei Kileh - Schergat (1852 — 54) und KujundscMl' , die der
französischen Expedition 1853 in Babylon und Borsippa, ferner die
Forschungen von Lord Loetus, Taylok und Rawlinson in Süd-
babylonien und Nimrud (1853 — 54). An diese reihen sich die wichtigen
Funde durch G. Smith (1873 — 76); von weiteren Expeditionen sind
die von Rassam in Nimrud, Babylon und Ahu-Hahha (1877 — 81),
die gleichzeitige von E. de Saezec in Telloh, die Berliner Expedition
in Surgkul und El Hlbha (1886 — 87), die amerikanische von Peters-
HiLPRECHT (1889 — 90), und zuletzt jene von Lehmann - Belck
(1898) und die Ausgrabungen der deutschen Orientgesellschaft (seit
1899) zu nennen'-. Die Entzifferung des gefundenen keilinschrif fliehen
Materials hängt mit der Lesung der persischen Keilschrift (der
Achämenidenurkunden) zusammen. Hincks identifizierte 1846/47 schon
76 der assyrischen Schriftzeichen, und später wies er die sy Ilabarische
Natur der phonetischen Zeichen nach. Rawlinson (1851) las bereits
246 Zeichen. Die erste assyrische Grammatik gab 1860 Julius
Oppert heraus, und durch die neueren Arbeiten von Norris, E. Schrader,
Friedr. Delitzsch, Lion u. a. wurde die Kenntnis der babylonisch-
assyrischen Keilschrift mit den günstigsten Erfolgen weitergeführt.
1) Daß Herodot eine Reise nach Babylonien gemacht hat, wird von einigen
bezweifelt (Sayce, Breddin, Winckler), von anderen (C. F. Lehmann, SamaSmmukin,
Lpzg. 1892, S. 173, und Bahyloniens Kulturmission einst u. jetzt, 1903, S. 63) als
sicher angenommen.
2) Über die Ausgrabiingen , die Entwicklung der Assyriologie u. s. w. s. be-
sonders Hommel, Geschichte Bahyl. u. Assyr., Berlin 188-5, S. 75 — 132.
i^ 22. Die liiiupt.sächliclistcii KultiiriiKuiu'ntc (itT l{Ml)yloiiicr. 109
§ 22. Die hauptsächlichsten in Uetracht koinuieiideu Kultur-
momeute der Bahyloiiier.
Eine Schilderung der großartigen Ergebnisse, welche das Studium
der durch die Ausgrabungen zutage geforderten Tontafelfunde in
Beziehung auf die Kulturgeschichte — durch den Nachweis des hohen
Alters gewisser Industrie- und Kunstzweige, geordneter Rechtspflege
u. s. w. — ergeben hat, muß notwendigerweise ebenso sehr außerhalb des
Bereichs dieses Werkes liegen, wie die Würdigung der rein historischen
Ergebnisse, durch welche die früheren Begriffe über altorientalische
Geschichte gänzlich umgestaltet worden sind. Für uns handelt es
sich hier nur um diejenigen Faktoren, welche mit der Zeitrechnung
der Babylonier im Zusammenhang stehen. In dieser Beziehung nimmt
den ersten Platz die Weltanschauung der Babylonier ein, oder
vielmehr, dieses System enthält die Wurzeln der Zeitrechnung, und
nicht nur dieser einen Disziplin, sondern überhaupt aller Formen, die
uns aus der babylonischen Überlieferung im wissenschaftlichen und
religiösen Denken entgegentreten. Zunächst enthält dieses System
die Götterlelire , welche vielfach astraler Natur ist: die Götter sind
nicht durch Gestirne personifiziert, sondern durch die Sterne wird
symbolisierend die Macht der Gottheiten ausgedrückt, es offenbart
sich deren Wesen durch die Sterne. Das Walten der Götter, ihr
Einfluß auf den Menschen ist für den Kundigen am Himmel lesbar.
So führt die astrale Mythologie zur Astrologie. Das Unabänderliche,
Gesetzmäßige am Himmel kann nur durch Verfolgung der Gestirne
erkannt werden, denn auch die Macht der Götter hängt von ihrer
Bewegung, ihrer gegenseitigen Stellung ab: so ist der Impuls zur
rein astronomischen Forschung gegeben. Aber eben diese Forschung
zeigt, daß das Weltall nach Grundsätzen einer ewigen Harmonie,
nach zahlenmäßigen Verhältnissen angeordnet ist. Darum leitet sich
aus der Astronomie die Zahlensymbolik, die Heiligkeit gewisser Zahlen
ab; aus ihr entspringt das Sexagesimalsystem und das Prinzip der
Zeitmessung. Auf diese W^eise haben sich Mythologie, Astrologie.
Astronomie und Messungslehre nicht unabhängig von einander ent-
wickelt, sondern sind ein und derselben Wurzel, der altorientalischeu
Weltanschauung, entsprossen. Schon in sehr alter Zeit, und zwar
weit vor der Epoche, aus der die ersten geschichtlichen Dokumente
stammen, bildeten sich die Anfänge dieses Systems aus, und in der
Folge gewannen die Grundsätze desselben, begünstigt durch die weit
reichende Verbreitung der Keilschrift — das Gebiet der letzteren
reichte von Iran bis nach Ägypten und Cypern — fruchtbaren Boden
in ganz Vorderasien. Die Ausläufer des Systems erhielten sich, nach-
dem Babylonien als Staat längst zu existieren aufgehört hatte, durch
110 I. Kapitel. Zeitrechnung der liabvlonier.
das ganze orientalische Altertum, gewisse Spuren und Trümmer selbst
im Abendlande und bis an die Schwelle der modernen Zeit. Wir
werden im Laufe dieses Werkes Gelegenheit haben, auf einzelne
Besonderheiten in der Zeitrechnung der orientalischen Völker hinzu-
weisen, welche auf babylonischen Ursprung hindeuten.
Was nun die einzelnen Eichtungen oder Glieder der altorienta-
lischen AVeltanschauung , soweit sie mit dem Zeitrechnungswesen zu-
sammenhängen, anbelangt, so können in dem vorliegenden Werke nur
kurze Hinweise gegeben werdend Der Gestirn dienst zeigt, da
er sich vornehmlich der Sonne und dem Monde zuwandte, seinen be-
stimmenden Einfluß in dem Gebrauch eines Sonnenjahres oder Mond-
jahres ; die eine oder die andere dieser beiden Jahrformen fand in der
Folge auch bei Völkern Eingang, denen der Gestirndienst vielleicht
ursprünglich fremd war. Die Astrologie tritt namentlich in den
sehr alten astronomischen Tontafeln durch die Deutung der be-
obachteten Stellungen der Gestirne auffallend hervor, im Zeitrechnungs-
wesen ordnet sie die Monate nach günstiger und ungünstiger Be-
schaffenheit, sie setzt über größere und kleinere Zeitabschnitte
dominierende Patrone u. s. w. Die astronomische Tätigkeit der
Babylonier müssen wir, da die Zeitrechnung auf den astronomischen
Zahlenverhältnissen basiert, wenigstens in ihren Hauptzügen charakteri-
sieren. Sie ist durchaus empirischer Art, indem sie hauptsächlich
auf die Kenntnis der Perioden abzielt, welche die Erscheinungen der
Sonne, des Mondes und die Bewegung der Planeten darbieten. In-
folgedessen betreffen die babylonischen Beobachtungen die Konjunktionen
der Planeten, die Abstände des Mondes und der Planeten von Sternen,
heliakische Auf- und Untergänge, die Zeiten der Kehrpunkte, der
Sonnen- und Mondfinsternisse u. dgl. Im 3. Jahrh. v. Chr. kennen die
Babylonier die Perioden, welche sich aus diesen Beobachtungen ziehen
lassen, bereits mit vorzüglicher Genauigkeit, und zwar sind sie in
dieser Beziehung die Vorläufer von Hipparch und Ptolemäus. Die
rechnerische Darstellung des Sonnen- und Mondlaufs ist in dieser Zeit
bei ihnen völlig ausgebildet, sie besitzen bestimmte Rechnungsvor-
schriften, und ihre Astronomenschulen lehren nach verschiedenen
Systemen die Vorausbestimmung der Sonnen- und Mondbewegung und
des Eintritts der Finsternisse. Die Zahlenverhältnisse sind ihnen mit
einer uns überraschenden Genauigkeit bekannt und zwingen zu dem
Schlüsse, dal.) dieser Kenntnis eine vielhundertjährige astronomische
Tätigkeit vorangegangen sein muß. Ilire Beobachtungen, bestehend
in Winkelmessungen und Zeitbestimmungen, lassen sich bis jetzt
mindestens bis ins 7. Jahrh. v. Chr. zurückverfolgen; kontinuierliche
1) Spezielle Literaturangaben enthält der Anhang , Literatur" dieses Kapitels.
v^ 22. Dil' li;iiiiits;i('liliclisti'ii Kultunnomciitr der Uiihyloiiicr. 111
Beobachtungsreihen (von ständigen Observatoren angestellt), durcli
einige Jahre fortlaufend, besitzen wir inschriftlich aus dem 3. und
4. Jahrh. v. Chr. Die Aufzeichnung roher Beobachtungen auf den
Tafelfunden aus der Zeit Sargons geht aber bis 2800 v. Chr. zurück.
Die allgemeine Kenntnis des Himmels ist offenbar noch bei weitem
älter. Der Zodiakus hat wahrscheinlich seinen Ursprung vor
3000 V. Chr.; Darstellungen sämtlicher 12 Tierkreisbilder zeigen
schon Grenzsteine des 12. Jahrh. v. Chr. Auch die Hauptsterne und
die Planeten sind um jene Zeit bekannt, und in der Arsacidenzeit
liegt bereits eine sehr vollständige Kenntnis und Namengebung des
Sternhimmels vor. In die sehr alte Zeit der babylonischen Astronomie
gehört auch das Auftauchen gewisser Verbindungen der Planeten mit
Sternbildern und dem Monde, vielleicht aufzufassen als Planeten-
und Mondstationen. Die Zahl dieser Konstellationen ist derzeit noch
sehr unsicher (s. Einleitung S. 77j, liegt aber vermutlich zwischen
24 bis 36; in diesen Konstellationen ist möglicherweise der Ursprung
der 28 (27) Mondstationen zu suchen, auf die wir bei den Arabern,
Indern und Chinesen treffen werden, und anderseits der 36 Dekane,
von welchen im nächsten Kapitel bei der Zeitrechnung der Ägypter
die Rede sein wird.
Das Sexagesimalsystem al s P r i n z i p d e r Z e i t m e s s u n g schließt
sich unmittelbar an die Astronomie und ist in Babylon so alt wie
diese. Auf die Sechs- und die Sechzig - Teilung als Grundlage des
360tägigen Rundjahrs und der Tagesunterabteilungen werden wir
alsbald zu sprechen kommen. Es muß aber noch flüchtig darauf hin-
gewiesen werden, daß die sämtlichen babylonischen Maße und Gewichte
auf sexagesimaler Basis ruhen, und ferner, daß aus den babylonischen
Längen- und Gewichtsmaßen sich in vielen Nachbarstaaten eine große
Reihe von Maßeinheiten entwickelt hat, die in ihrer "Weiterbildung
ins Abendland herüber und bis in die neuere Zeit heraufreicht.
Die weite Verbreitung einzelner Teile der babylonischen Welt-
anschauung, wie des Astralmythus, des Messungswesens, gewisser
Elemente der Zeitrechnung, wie der Monatsnamen, der Tages- und
Monatsteilung u. s. w. in Vorderasien wird verständlicher, wenn mr
neben dem schon genannten Faktor des weitreichenden Gebrauchs
der Keilschrift noch den Ursprung der Babylonier und die Völker-
bewegungen im Zweistromlande in Betracht ziehen. Von den
griechischen Schriftstellern werden die Babylonier als ein Priester-
volk, Xalöcüoi, hingestellt, das als besondere Kaste mit der Pflege
der Astrologie und Wahrsagerei in Babylonien betraut gewesen sei
(so bei DiODOR II 29 und Strabo XVI); doch unterscheidet Heeodot
deutlich zwischen Chaldäern, als den Priestern, und Babyloniern als
Volk. Diese Unterscheidung ging den späteren römischen und
112 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
griechischen Autoren verloren, besonders, als die Babylonier ihre
politische Unabhängig-keit hatten aufgeben müssen, und die Be-
zeichnung „Chaldäer" wurde in der Folge für das babylonische Volk
überhaupt gebraucht. Jedoch ist es heute keine Frage mehr, daß
die Chaldi oder Chaldäer nur ein Glied in der langen ' Kette der Ein-
wanderungen in Mesopotamien darstellen, und zwar eine ziemlich späte
Phase. Das Urvolk im Zweistromlande waren die Sumerer, ein nicht-
semitischer Stamm mit eigener Sprache ^ Die Existenz dieses Volkes
liegt weit vor dem Beginne geschichtlicher Überlieferung; ebenfalls
in jene Zeit noch reicht die erste Einwanderung der Semiten, in
welchen die Sumerer aufgingen und mit jenen eine neue Bevölkerung,
die „Babylonier", bildeten. In dieser Epoche einer neuen Sprache,
der babylonisch-assyrischen , liegen wahrscheinlich schon die Anfänge
des philosophisch - religiösen Systems, welches man gegenwärtig als
altorientalische Weltanschauung bezeichnet. Derselben Zeit gehören
auch die ältesten bisher bekannten Denkmäler an. Über den weiteren
Verlauf der Völkerbewegung gehen die Meinungen noch sehr aus-
einander; aber im allgemeinen wird angenommen, daß Babylonien-
Assyrien von Aveiteren, von Arabien nach Norden vordringenden
Einwanderungen (nach Schradee, Wincklek von den Kanaanäern,
Kassiten, Aramäern u. a.) mehr oder weniger beeinflußt worden ist.
Zu den spätesten Völkerströmungen würde das Auftreten der Suti
und der Chaldi (Chaldäer) im 11. und 9. Jahrh. v. Chr. gehören. Die
Chaldäer sollen aus Ostarabien oder vom äußersten Süden Mesopotamiens
hergekommen sein-. Diese Wanderungen mußten dazu beitragen, die
Errungenschaften der sumerischen und altbabylonischen Kultur weit-
hin in Vorderasien zu verbreiten, denn jene Stämme brachten eine
niedrigere Kultur mit, als diejenige war, auf die sie in Babylonien
stießen, sie nahmen daher vielerlei von den babylonischen Einrichtungen
an und behielten diese auch in den Wohnsitzen, an den^n sie seßhaft
wurden, bei.
1) Welchen Ursprungs die sumerische Sprache ist (ob turanischen oder ural-
altaischen) , bleibt derzeit noch eine Streitfrage. Daß sie eine selbständige nicht-
semitische sei, vertreten J. Oppekt und C. F. Lehmann, Gegner sind Halevv,
Guyard, Pognon und Fiuedk. Delitzsch. Geographisch bezieht man Sumer auf
das eigentliche Mesopotamien und Südbabylon, Akkad auf das Hochland gegen
Medien und Elam.
2) Dies würde die spätere Bezeichnung der babylonischen Priester als „Chaldäer"
erklären. Denn wenn Südbabylon der Sitz der sumerischen Kultur war und der
Stamm der Chaldäer in diesen Gegenden seinen Sitz hatte, so konnten die Priester,
deren Wissen ausschließlich auf dem der Sumerer fußte, ihrer Herkunft nach als
Chaldäer bezeichnet werden (C. F. Lehmann, Sama^sumukin, Lpzg. 1892, S. 173;
üb. die sumerische Sprache daselbst S. 57 f.).
i> 23. Monate. 113
§ 23. 3Ionate.
Da der Zeitraum, den wir für die Kultur in Babylonien in
Anspruch nehmen müssen, mindestens 6 Jahrtausende umfaßt, ist es
naheliegend, daß der Werdeprozeß alles philosophischen Denkens in
dieser Zeit mannigfache Entwicklungsphasen durchlaufen hat. Es
muß also auch das Zeitrechnungswesen notwendigerweise, und zwar
schon im bloßen Hinblick auf die sich allmählich vervollkommnenden
Kenntnisse in der Astronomie, gewisse Veränderungen erfaliren haben,
abgesehen von anderen Faktoren , welche (wie z. B. die ebenfalls der
Veränderung unterworfenen mythologischen Anschauungen) bestimmend
gewesen sind. Solche Differenzen können wir gleich bei den 31 o n a t s -
n a m e n konstatieren. Ich setze zuerst die Namen der Monate (arku)
hier an, wie sie sich in der späteren Entwicklungsstufe auf den
Tontafeln repräsentieren :
■"jL— I = Xisc'jinu *'^l = Tasrltii
A ■^"^■^■^ = Sivannu {Suiuumu) " *^ I = Kisllvu {Kislimu)
*^I = Dazu (Dii'mu) ' I = Dlialnta
^^-] = Abu ^ = Sahadhu
Uhilu ^ = Addaru
Die Bedeutung der Namen ist erst in neuerer Zeit aufgehellt worden,
doch vermutete 1874 bereits Sayce, daß Ahu mit dem Feuer, Tasritu
mit Heiligung in Verbindung zu bringen, daß Siran „der Monat der
Ziegelsteine" sei u. s. w., außerdem, daß die Namen irgendwie mit
den 12 Tierkreiszeichen in Verbindung stehend Bevor ich die neuere
Etymologie der Namen gebe, müssen wir aber die hauptsächlichsten
von den früheren, alten Monatsnamen kennen lernen.
Von den alten Namen der Monate sind bis jetzt vollständige
Reihen aus der Zeit Sargons L, Gudeas und der 4. (8.) Dynastie Cr
bekannt, also bis zum Ende des 3. Jahrtaus. v. Chr. zurück-. Die
Namen zeigen mancherlei Varianten gegen einander und sind vor-
1) Transaet. of the Soc. of Bibl. Ärchaeol. III, 1874, S. 161—65.
2) Wenn wir nämlich Sargon I. mit C. F. Lehmann {Zicei HmiptprohJ. d.
altorient. Clironol., 1898) auf 2800 v. Chr. (gegen 3800 nach Radau) und Hammurahi
auf 2194 — 2152 v. Chr. (nach demselben Autor, Beitr. z. alten Geschichte III 157)
ansetzen.
Ginzel, Chronologie I. O
114
I. Kapitel. Zeitrecbiiung der Babylouier.
läufig noch schwierig zu identifizieren. Aus den ziemlich zahlreichen
Listen hebe ich einige für verschiedene Zeiten nach Radau und
L. W, King heraus. (Die Namen treten meist ideographisch geschrieben
auf und folgen auch nachstehend in dieser Form):
I. II.
Zeit des Bur-Sin
Zeit Sargons I.
und seiner
Dynastie.
1.
SE-IL-LA
SE-IL-LA
2.
GAN-MAS
GAN-MAS
3.
GUD-DU-NE-
GUD-DU-NE-
SAE-SAB
SAR-SAB
4.
NE-SU
NE-SU
5.
?
SU-KUL
6.
ZIB-KU
ZIB-KU
t .
DUMU-ZI
DUMU-ZI
8.
V
DUN-GI
9.
BA-U
BA-U
10.
MU-SU-GAB
MU-SU-UL
11.
AMAR-A-SI
AMAB-A-A-SI
12.
?
SE-KIN-KUD
Schaltmonat:
DIB-SE-KIN-
KUD
III.
IV.
Zeit von
Hammurahi ab.
Zu identifizieren mit
BAB-AZAG-GAB
Ni-sa-an-nu
[Nisan]
GUD-SI-DI
A-a-rii
[Ijar]
SEG-GA
Si-ma-nu
[Sivan]
SU-KUL-NA
Du'-u-zu
[Tammuz]
BIL-BIL-GAB
A-hu
[Ab]
KIN{dingir) Innanna
U-lu-lu
[EM]
DUL-AZAG
Tis-ri-tu
[Tm-i]
ENGAB-GAB-A
A-ra-ah-sam-na
[MarlieSvan
G AN- G ANNA
Ki-si-U-mu
[Kislev]
AB-BA-UD-DU
Te-hi-tum
[Tebet]
AS-A-AN
Sa-ha-tu
[Sebat]
SE-KIN-KUD
Ad-da-rn
[Adar]
DIB-SE-KIN-KUD
ar-hii mah-ru sa
[IL Adar]
Ad-da-ru
Die letzte (Identifizierungs-) Kolumne ist, soweit sie die Namen der
Kolumne I und II betrifft, nur mit Vorbehalt zu lesen. Dagegen ist
die Identität der Namen .zwischen III und IV durch keilinschriftliches
Zeugnis gesichert auf neu - assyrischen Tafeln lexikalischen Inhalts,
welche altes Material verwertend Die Monatsnamen der Kolumne III
werden in einem besonderen Texte (V R 43) mit einer größeren Zahl
anderer, meist sonst nicht belegter (nichtsemitischer oder ideo-
graphischer) Bezeichnungen verglichen. Thureau - Dangin hat auf
folgende Namen aufmerksam gemacht-, die in der Zeit Sargons I. ge-
braucht wurden:
1. ITU EZEN GAN-MAÖ
2. ITU EZEN GIW-DU-NE-SÄR-SAB
3. ITU EZEN (dingh-yNE-SU
4. ITU EZEN HU-KUL
5. ITU EZEN DIM-KU
6. ITU EZEN (dlngir) DUMU-ZI
7. ITU UR
1) s. P. HAui'T, AJckadisehe u. sumerische Keilschrifttexte, Heft I, S. 44, sul)
No. 5, und Heft II, S 64, Z. 1—13.
2) Zeitschr. f. Assijr. XV, 1900, S. 410; vgl. auch Notice sur la troisieme
collect, d. tablettes decouverte p. De Sarscc {Bevuc d'Assyr. et d'Arch. Orient. V,
1902, No. 3).
§ 23. Mouate. 115
8. ITU EZEN (dingir) BA-U
9. ITU MU-SU-GAB
10. ITU MES-EN-DU-SE-A-NA
11. ITU EZEN AMAR-A-SI
12. ITU SE-SE-KIX-A
13. ITU EZEX >SE-IL-LA
Diese Liste unterscheidet sich von den Namen der Kol. I und II da-
durch, daß der Monat HE-IL-LA hier nicht an der Spitze, sondern
als letzter steht; ferner an Stelle des 7. Monats UR tritt oben
DUK-GI, und der 10. MES-EX-DU-SE-A-NA verschwindet ganz
aus der Eeihe (die den Namen vorangehenden ITU EZEX stehen
auch bei den Namen der Kol. I und II). Der Monat DUN -Gl
scheint zu Ehren des Königs DT/iS^- 6^7 (um Mitte des 3. Jahrtaus. v. Chr.)
so benannt und für den 7. substituiert worden zu sein. Mehrere
Namen deuten auf die Jahreszeiten, in welche die betreffenden ^lonate
gefallen sind. So soll C/.IJN"- J/A-S' = Feld in Blüte, HU-KUL = SMn,
SE-KIX-KUD = Kornernte , SE-IL-LA = Wachsen des Korns be-
deuten. Wenn dies zutrifft, müßte SE-KIX-KUD, den klimatischen
Verhältnissen in Mesopotamien entsprechend, etwa in den März (Ernte-
zeit) gefallen sein. Eadau glaubt, daß das Jahr ursprünglich mit
DUMU-ZI (dem 7. Monate in Kol. II), entsprechend dem Tlsrlta
(dem jüdischen Tisn) begonnen worden sein könnte, denn der 7. Monat
heißt auf babjionischen Tafeln der 3. Dynastie auch a-hi-ü = Neu-
jahrsfest (zur Zeit Gudeas hieß der 7. Monat BA- U, in ihn fiel das
zagmu =^ Neujahrsfest). Dies ist um so bemerkenswerter, als wir bei
den Juden nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft
neben dem kirchlichen Xi sau -Jahre ein bürgerliches, ebenfalls mit
dem 7. Monate, dem Tisrl beginnendes Jahr antreffen. Der jüdische
Tisrl bedeutet „Anfang, Einweihung", der Name deutet also auf den
Beginn einer Jahresrechnung (vom Herbste). Das alte babylonische
Jahr würde also mit dem Herbstäquinoktium begonnen haben; zur
Zeit Gudeas sei der Jahresanfang auf Frühjahr, den Monat SE-IL-LA
(entsprechend dem jüdischen Xisan) verlegt worden. — Außer den
obigen Namen und deren Varianten finden sich auf alten Tafeln noch
andere Monatsnamen, welche meist noch nicht identifiziert werden
können ^ Die folgenden Namen aus späterer Zeit lehnen sich bereits
nahe an die oben genannten an:
1) Z. B. in dem Datum des Prismas Tiglat Pihsers I. der Monat Ku-sal-lu
(Sivan?) [Keüinsclir. Bihlioth. I 46]; in der Inschrift Adadniraris I. der Monat
Mu-hu-ur iläni [ibid. I 7]-, auf den kappadozischen Tafeln Ah-m-ra-nu, Ku-sal-hi,
Sa-za-m-tim, Zi-zu-im [ibid. IV 51, 53, 55].
8*
116
I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
Elunu {E-lu-nbn, E-Ju-nu-um]
Tiru (Ti-ru-um, Ti-ri-im)
Kinnu {Ki-nu-nu)
Ndbru {Na-ab-ri)
Sibutii (Si-hu-ti, Z\-hu-tim)
Sandutu (Sa-du-tim, Sa-ad-du-üm)
Rcibutu (Ra-hu-tim)
Där-Bammänu
Dür-ahi
Hianfii (Hu-um-tum)
Die Monate sind in bestimmter Bezieliung zu den 12 Tierkreis-
zeichen, welche die Babylonier schon in alter Zeit kannten (s. Ein-
leitimg S. 82). HoMMEL hat an Grenzsteinen, die bis ins 12. Jahrh.
V. Chr. zurückreichen, dargetan, daß auf diesen Steinen die Bilder
der 12 Tierkreiszeichen größernteils schon gebraucht werden, und daß
in den Texten der Steine verschiedene Götter (besonders Sin, Samas,
Istar, Ann, Bei, Ea, MarduJc, Rammän, Ninlh, Gida, Nergal) an-
gerufen werden, denen die Zeichen und Planeten untergeordnet sind\
Den Monaten standen bestimmte Götter (Patrone) vor, wie bei den
Ägyptern und Persern, was überhaupt auf die Weltanschauung im
alten Oriente zurückgeht. Ein Beispiel von Gegenüberstellung solcher
Patrone bei den Monaten gibt folgender Text (IV R 33) :
[Monat] [Gottheit]
Nisannu Ann und Bei
Airu Ea, Herr der Menschheit
Sivanu Sin, der regierende Sohn Bels
Dum Der Held (od. kriegerische) Ninih
Alm Nin-gis-zidda (?)
Ululu Istar, Herrin ....
Tasritu Samas, der Held
Arak-samna Marduh, der weise der Götter
Kislivu Der Held Nergal
DhaMtu Pa])-sulml, d. Bote Annfi u. Istars
Sahadhu Rammcm, d. Gott d. Himmels u. d. Erde
Addaru Die große Siebengottheit-.
[Gestirn]
(Mond)
(Sonne)
(Nebo-Merkur)
(Venus)
(Mars)
(Jupiter)
(Saturn)
Die eingangs dieses Paragraphen angeführten Namen der Monate
stammen, wie bemerkt, aus jüngerer Epoche. Wann dieselben auf-
gekommen sind, ist schwer anzugeben, aber wahrscheinlich reicht ihr
1) Vgl. die interessanten Funde, welche V. Scheil, Notes (V Epigraph, et
d'Ärchaeol. assyr. {Recueil de trav. rel. ä la Fliil. et ä l'Ärch. ecjypt. et assyr.,
XXIII 13; vgl. auch Delegation en Persc. Memoires T. I, T. III Texte) be-
schrieben hat; einzelnen Gestirnen und Zodiakalbildern sind dort Götteruamen un-
mittelbar beigeschrieben.
2) H. WiNCKLEB, Altorient. Forschungen, 2. Reihe, II, 1900, S. 367; vgl.
HojiMEL, Aufsätze u. Abhdlgn., S. 447.
§23. Monate.
117
Alter schon über das 1. .Tahrtaus. v. Chr. zurück. Bei deu Juden
finden wir vom 6. Jahi'hundert v. Chr. ab (nach dem babylonischen
Exil, d. i. 538 v. Chr.) nämlich dieselben Monatsnamen vor, und durch
die Juden mögen die Namen auch im westlichen Vorderasien in Auf-
nahme gekommen sein, wie sich aus der nahen Verwandtschaft der
Monatsnamen z. B. mit den syrischen und heliopolitanischen ergibt:
Babylonische
Jüdische
Syrische
Heliopolitanische
Kisannio
Kisan
K'isan
Niasan
Äirii
Ijar
Ijar
Arar {larar)
Slvcmnu
Sil- an
Haziran
Ozir {Ezir)
Dazu,
Tammuz
Tammuz
Tammuz (Tamiza)
Abu
Ab
Ab
Ab
Ululu
Elul
IM
IJul
Tasritu
Tisri
Tesrin I
Ag
Arah-samna
MarJjesvan
Tesrin II
Torin (Tisirin)
KisiUvu
Kislev
Kanün I
Gelora
Dhabitu
Tebet
Kanün II
Kanu {Kamin)
Sabaähu
Sebat
Sebat
Sobnt
Addaru
Adar
Adar
Adad {Adar)
Der babylonische Monat Arah-samna heißt wörtlich „der achte Monat";
er deutet wohl auf die Zeit zurück, wo die Monate noch keine Namen
hatten und nach den Ordnungszahlen benannt wurden ^; die weit er-
folgenden schreibt man auch, mehr in Übereinstimmung mit den
jüdischen, Kislimu, Tebitu, Sabätu und Adaru.
Ich gebe nun noch die Etymologie der Namen nach Muss-
Aexolt :
1. Ni-sa-an-nu = Klsänii, , abzuleiten von ize.S72 = bewegen, fort-
schreiten, springen. Der entsprechende Name (s. Kol. IIl, S. 114)
des alten Monats ist ITU BAE-AZAG-GAR = ^oji2X der
Heiligung. Zodiakalzeichen dieses Monats ist lcu{-sarihlcu) =
Widder. Patron des Monats: Anu (Himmel) und Bei.
2. A-a-ru {Airu) von äru = ]ie]l, Licht, oder von n^N aussenden,
sprossen; also der blühende, Sprossen treibende Monat. GVD-
/S'J-DJ= Monat ..der auf den Hinterbeinen wandelnden Stiere".
Zodiakalzeichen te-te = Stier. Patron: Ea, Gott der Gewässer.
3. S'i-ma-nu, SEG-GA, der Monat der Ziegelerzeugung. Zodiakal-
zeichen mas-masu = ZvriRmge. Patron: Sin, der Mondgott.
4. Bu'-u-zu; von DU (Sohn) und ZT (Leben) = Sohn des Lebens,
Herr der Macht. SU-KUL-XA ^= Monat der aussäenden Hand.
1) Dieser Meinung sind mehrere Autoritäten ; s. die gegenteilige von Halevy,
Eevue des Etudes juives, 1881, S. IST.
118 I. Kapitel. Zeitrechimiig der Babyloiiier.
Zodiakalzeichen nangani (p^JuH'u) ^= Krebs. Patron: Adar
(= Ninih) (der Krieger, Richter, Zerstörer).
5. A-hu, von ^??>w = feindlich (wegen der Hitze); der Monat der
Vorbereitung- zum Bauen. NE-XE-GAB {BIL-BIL-GAR) =
der Monat, welcher mehr Feuer (Wärme) macht, die Zeit des
Herabsteigens des Feuergottes. Zodiakalzeichen a = Löwe.
6. U-lu-Iu (Etymologie?) EIN {dingir) i\"ZA^- iV:4 = Monat der
Botschaft der Istar. Zodiakalzeichen hi = Jungfrau. Patron:
Istar (Aphrodite).
7. Tis-ri-tii bedeutet „Beginn, Anfang" (des andern Halbjahrs).
DÜL-AZAG = der Monat des „reinen, leuchtenden Herrn"
(der Sonne). Zodiakalzeichen närii = W^ge. Patron: Samas
(Sonne).
8. A-ra-ak-sam-na = „der achte Monat". APIN-GAB-A (ENGAE-
GAB-A) = Monat der Grundsteinlegung, der Eröffnung der
Felder. Zodiakalzeichen akraJm = Skorpion. Patron : Marduh.
9. ^i-si-?i-mz* (Etymologie? vielleicht ^ Periode, Eponymat). GAN-
GAN-NA = Wolkenmonat (?). Zodiakalzeichen 2)a-hil-sag {pa
oder Imt) = Schütze. Patron : Nergal.
10. Te-U-tum, der trübe Monat. AB-BA-UD-DU =M.o\\dX „des
Weitergehens des Wassers" (der Wetterwolken?). Zodiakal-
zeichen sahü = Steinbock. Patron Pap-sukal {Nabu).
11. /Sa-ha-tu = der Zerstörende, der Monat der Regen und Fluten.
Yl6-J.-^iV= Regenmonat. Zodiakalzeichen gu = AVassermann.
Patron: Rammän „der Führer des Himmels und der Erde".
12. Ad-da-ru = der „dunkle" Monat. >S'£'-ÄTiV-ÄT"i) -= Erntemonat.
Zodiakalzeichen zllj = Fische. Patron: „die sieben großen Götter".
13. Der Schaltmonat arhu mahnt sa Addaru (der 2. Addar) oder
Addarii arl-u, in den nichtsemitischen Texten durch DIE- vom
parallelen Monat unterschieden. Patron: Asur.
§ 24. Monatseiiiteilung, Woclien [haniustn), Tageseinteilung; und
Tagesanfang.
Das in Babylonien uralte Prinzip des Sexagesimalsystems offen-
bart sich schon in der alten Teilung des Monats. In sehr alten
Texten wird nämlich öfters der 5. 10. 15. 20. 25. und 30. eines
Monats besonders gekennzeichnet, mit Opferhandlungen verbunden
u. dgl. In der Tafel III R 55 , No. 3 erscheinen Benennungen für
je 5 Tage; der Mond zeige sich vom 1. bis zum 5. Tage als Sichel
(asJcarii), vom 5. bis 10. als Niere (kaUtu), vom 10. bis zum 15. Tage
als Mütze, Königsmütze {agä tasrihti); das erste Zeitintervall wird
bisweilen (wie in IV R^ 82) dem Ann, das zweite dem Ea, das dritte
§ 24. Moiuitsi'iiitciluiig, Wochen, Tageseiiiteilniifi' uml Taf^csaiifiiiif;. 119
dem Bei gewidmet. Diesen „Tagesfünften" liegt oiTenbar die geheiligte
Zahl 6 als Teilungsprinzip zugrunde.
Ferner vermutete schon A. H. Sayce, daß die in einer kappa-
dozischen Tafel aus Gyül Tepe vorkommende Bezeichnung hamusthn
eine Fünfzahl, walirscheinlich eine fünftägige Woche, bedeute und von
der babylonischen Doppelstunde KAS.BU abgeleitet sei. Nach
H. WiNCKLER hängt das Verständnis des Wortes hamusti mit dem
Gebrauche von ina (= von) und i^iu, (= in) in den Texten zusammen,
und die Bedeutung dieses Ausdrucks läßt sich besonders aus Texten
feststellen, die aus Kappadozien herrühren. In diesen altassyrischen
Tafeln (s. Golenischeff , Vuigt-quatre fahldtc^ Cajtpadoctrniies) ist
von der Abmachung von Geldgeschäften oft die Rede, und es tritt
wiederkehrend die Phrase „isdii hamusü . . ." auf^ Aus der Ver-
gleichung solcher Texte stellt Wixckler fest, daß die Angabe „in der
hamustu'-'- als eine Zeitangabe zu verstehen ist, welche ausdrückt, zu
welcher Zeit ein Kapital geliehen worden ist resp. wann es zm^ück-
gezahlt werden soll. Da hamustu seiner Bedeutung nach irgend eine
Fünfheit ausdrücken muß, so liegt am nächsten, an ein Intervall von
fünf Tagen zu denken. Diese fünftägige Woche würde sich auch
dem Sexagesimalprinzip gut anpassen, denn zwölf Doppelstunden
KAS.BU machen einen Tag, und fünf Tage geben 60 Doppelstunden.
Die hamustu als bürgerliche Zahlungstermine aufzufassen, kann also
wohl berechtigt sein. Die Texte deuten sogar darauf hin, als wenn
zur Überwachung der hamustu besondere Eponymen bestellt gewesen
wären. Ob die hamustu als Woche in dem Sinne, wie wir sie gegen-
wärtig auffassen, gegolten hat, wird die zukünftige Forschung lehi-en"-.
Die Sechsteilung des Monats, die der hamustu zugrunde liegt
und, me es scheint, auch im alten Kultus verborgen ist, setzt einen
30tägigen Monat, also ein 360tägiges Jahr als Ausgangspunkt der
Zählung (ein Rundjahr im Sinne von Einleitung S. 69) voraus, deutet
mindestens auf ein Sonnen jähr. Wir werden im nächsten Para-
graphen sehen, inwiefern die Möglichkeit für den Gebrauch eines
solchen Jahres gegeben sein konnte. In der alten Zeit kommt aber
auch schon die Vierteilung des Monats vor. Der Monat wird
1) Z. B. „Von zwei Minen Geldes, welches Innam-Malik dem Asurrahi schuldet,
hat eine halbe Mine Geld in der hamustu von ASurhihnäti — ■ Kapital samt Zinsen —
Iradail gekauft."
2) Nach zwei Tafeln aus dem 7. Jahrh. v. Chr. summiert sich die tägliche
Bewegung des Mondes nach je ö Tagen derart, daß der Mond am 5., 10., 15., 20.
und 25. Tage an gewissen Hauptpunkten des Kreises anlangt. Die eine dieser
Mondlängen-Tafeln (K. 90; s. hierüber bes. Zeitschr. f. Assyr. II, 1887, S. 337;
Montlüy Notices Boy. Astron. Soc. vol. 40, 1880, S. 108) teilt den Kreis in 480o,
die andere (80—7 — 19, 278; s. hierüber Proceed. of the Soc. of Bibh Arch. XXII,
1900, S. 67) in 360".
120 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
deutlich nach den Mondvierteln abgeteilt, der 7. 14. 21. 28. Tag (und
der 19.) sind böse Tage (umit Jemnu), es sollen gewisse Handlungen
an diesen Tagen nicht verrichtet werden. Diese Teilung weist also
auf den Mondmonat resp. das Mondjahr hin.
Die siebentägige Woche, welche nicht selten, namentlich in
populären Werken, als babjdonischen Ursprungs und von den Juden
übernommen, hingestellt wird, kann nur mit Vorbehalt dem baby-
lonischen Kulturgebiet zugeschrieben werden. In dieser Form, nämlich
als eine siebentägige, ohne Beziehung auf den Monat durch das Jahr
fortlaufende Periode (also wie in der christlichen Zeitrechnung) ist
sie bis jetzt keilinschriftlich nicht nachweisbar. Ebensowenig sind
besondere AVochentagsnamen bekannt. Die heilige Siebenzahl hat
zwar bei den Babyloniern allerlei Bedeutung (z. B. es sollen an ge-
wissen 7. Tagen die Kleider nicht gewechselt, es soll der Wagen nicht
bestiegen werden u. dgl.) S und es ist daher nicht auffallend, daß auch
die Planetengottheiten mit der Siebenzahl in Verbindung gebracht
werden. (Die Sabier und Mandäer kennen ebenfalls diese Sieben-
reihe.) Die Ableitung unserer Wochentagnamen aus der ihnen ent-
sprechenden Reihe
1. Sonntag = Sonne 4. Mittwoch = Merkur
2. Montag = Mond 5. Donnerstag = Jupiter
3. Dienstag = Mars 6. Freitag = Venus
7. Sonnabend = Saturn
ist aus den uns bekannt gewordenen babylonischen Planetenreihen aber
direkt nicht möglich, da diese in ganz anderer Anordnung auftreten.
Die wahrscheinlich älteste Planetenreihe ist jene aus der Bibliothek
Ässurbanipals (II R 48, 48— 54^1^ und III R 57, 65—67^), welche die
Planetengottheiten wie folgt anführt:
1. Sin = Mond 4. Dilhat = Venus
2. Sanias = Sonne 5. Kahnänu = (später) Saturn
3. Sul.im .ud.du = ? 6. Gud-ucl = Merkur
7. Zal-hcd-a-nu = ?
1) Der hebräische ^Sahbath" steht nicht ganz ohne Beziehung zur babylo-
nischen Siebenzahl. Das babylonische sabattu (oder Sapattu) ist ableitbar entweder
von sahutu = aufhören, beruhigen, oder von Sabattu = schlagen (des Kopfes oder
der Brust) bei Bußwerkeu. Manche Tafeln (so II R 32, Ißab) bezeichnen nun
den Büß- und Bet-Tag als sabattu. Wenn die siebenten Tage, wie oben bemerkt,
ominöse Tage waren, so könnten sie als sabattu gegolten haben, wofür sich ein
inschriftlicher Nachweis bisher aber nicht erbringen läßt; insofern könnte also der
sabattu (als Bußetag) bei den Juden Aufnahme gefunden haben. — Zimmern hat
neuerdings aus einem Texte aus der Bibliothek Ässurbanipals nachgewiesen (Zeitschi:
d. deutsch, morg. Ges. LVIII, 1904, S. 199), daß im Ijaby Ionischen Monat nicht bloß
der 7., 14., 21., 28. Tag charakteristische Tage (sapattti-Tago) waren, sondern daß
hauptsächlich der 15. Tag (der Vollmondstag) sapattu hieß.
§ 24. Monatseinti'ilung, Wochen, Tageseinteilung und Tagesanfang. 121
Wenn die Namen der Planeten im Laufe der Zeit nicht geändert
worden sind, so würde die dieser Reihe entsprechende Planetenordnung
folgende sein (nach Jensex):
1. Mond, 2. Sonne, 3. Jupiter, 4. Venus, 5. Saturn, 6. Merkur, 7. Mars.
Aber die ursprüngliche Reihe war, wie Ho^imel und We\cki.er wahr-
scheinlich gemacht haben, eine andere, indem gegenseitige Substitutionen
der Planetennamen vorgenommen worden sind. Als die ursprüngliche
Anordnung betrachtet Hom.mel die folgende:
1. Sonne, 2. Mond, 3. Jupiter, 4. Merkm-, 5. Mars, 6. Saturn, 7. Venus.
welche auch den Planetenfarben (jeder Planet wurde durch eine Farbe
charakterisiert) auf den Mauern von Ekhafana (und dem Tmine von
Xhorsahad) entsprechen. Bemerkenswert ist die sporadisch bei den
Mandäern, Syrern und Juden vorkommende Ordnung
1. Sonne, 2. Venus, 3. ]\[erkur, 4. Mond, 5. Saturn, 6. Jupiter, 7. Mars;
aus der letzteren läßt sich nämlich die für die Folge unserer Wochen-
tage maßgebende Ordnung (Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter,
Venus, Saturn) ableiten, wenn man der zweiten von den beiden An-
weisungen folgt, welche Dio Cassius (XXXVII c. 17) für die Benennung
der siebentägigen Woche angibt i. Allein die Voraussetzung eines solchen
Prinzips für die Entstehung der siebentägigen Woche ist künstlich
genug. Wahrscheinlicher bleibt, daß außerhalb des babylonischen
Kulturgebietes die Heiligkeit der Siebenzahl mit der Zeit zu einer
Zusammenfassung eines siebentägigen Intervalls Veranlassung gegeben
hat, und insofern geht allerdings, da die Siebenzahl ein -wichtiges
Glied der Zahlenharmonie in der altorientalischen Weltanschauung dar-
stellt, die siebentägige Woche auf die babylonische Kultur zurück.
Ich begnüge mich in diesem Werke, in welchem weitgehende Schlüsse
vermieden werden müssen, mit diesem Hinweise. Auf Verbreitung der
1) ,,Oder, wenn man die Stunden des Tages vxnd der Nacht von der ersten
Tagesstunde zu zählen anfängt, diese dem Saturn, die folgende dem Jupiter, die
dritte dem Mars, die vierte der Sonne, die fünfte der Venus, die sechste dem Merkur,
die siebente dem Monde beilegt, nach der Ordnung, welche die Ägypter den Planeten
anweisen, und immer wieder von vorn anfängt, so wird man, wenn man alle
24 Stunden durchgegangen ist, finden, daß die erste des folgenden Tages auf die
Sonne, die erste des dritten auf den Mond, kurz die erste eines jeden Tages auf
den Planeten trifft, nach welchem der Tag benannt wird." — Zu den oben an-
geführten Planetenordnungen ist zu bemerken, daß dieselben keineswegs die einzigen
sind, die in der vorderasiatischen Überlieferung vorkommen. Eine namentlich von
den Klassikern aufgezählte Reihe ist die Anordnung der Planeten nach der schein-
baren Entfernung von der Erde: Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter,
Saturn. Für die spätbabylonische Zeit (2. Jahrh. v. Chr.) gibt Kugler die Planeten-
reihe Jupiter, Venus, Merkur. Saturn, Mars, Mond . . . an.
122 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylouier.
Woche, Benennung- der Tage u. s. w. komme ich im III. Bande bei
der christlichen Zeitrechnung zurück.
In Beziehung auf die Teilung des Tages ist man bisher
hauptsächlich auf die Angaben in den astronomischen Tafeln der
Babjionier angewiesen. In diesen Tafeln wird der Tag (d. h. der
volle Tag-Nacht-Kreis) dem sexagesimalen Prinzip gemäß in 6 Ab-
schnitte, jeder dieser in 60 Teile, und jeder der letzteren wieder in
weitere 60 Teile geteilt. Eigene Namen für diese Teile und Unter-
abteilungen scheinen nicht gebraucht worden zu sein. AVenn wir die
einzelnen Stufen dieser Teilung als „Sechsteltag", „Zeitgrade", „Zeit-
minuten" und „Zeitsekunden" bezeichnen, ist also
1 Sechsteltag = 60 Zeitgrade, 1 Zeitgrad = 60 Zeitminuten,
1 Zeitminute = 60 Zeitsekunden.
Dieses Zeitmaß erscheint fast durchaus auf allen astronomischen
Tafeln der späteren Zeit. Der „Zeitgrad" entspricht 4 unserer Zeit-
minuten. Bisweilen, und zwar nur in einzelnen Planetentafeln, wird
der Tageskreis unmittelbar in 60 Teile geteilt, mit weiteren Sechzig-
teilungen der einzelnen Abstufungen. Während diese beiden Zeit-
maße nur in der Astronomie üblich sind, scheint das eigentliche
populäre, bürgerliche Zeitmaß durch die Zwölfteilung des Tageskreises,
KAS.BU genannt', dargestellt zu werden. Dieses Maß findet nämlich
bei astronomischen Angaben weniger Verwendung, am ehesten noch
in Finsternisberichten. Ein KAS.BU, in modernen Schriften auch
als „babylonische Doppelstunde" bezeichnet, ist yn des Tages = 2 unserer
Stunden. Ein KAS.BU wird in 30 t"S' zerlegt, demnach 1 US ^=
4 Minuten. Da der Volltag somit 360 US faßt, repräsentiert diese
Teilungsart die direkte Übertragung des 360 teiligen Kreises auf den
Tageskreis. Die Entstehung dieses Zeitmaßes hängt wahrscheinlich
mit der Entstehung des Zodiakus zusammen (s. Einleitung S. 80).
Durch die „Doppelstunde" wird auch die Angabe von Hekodot be-
stätigt, welcher sagt (II 109), daß „die zwölf Teile des Tages von
den Babyloniern zu den Griechen" gekommen seien'. Erinnerungen
an die babylonische Doppelstunde scheinen sich übrigens im Altertum
hie und da erhalten zu haben. Letkonne hat aus zwei Stellen des
1) Die Lesungsart des Ideogramms KAS.BU ist zur Zeit noch nicht sicher
angebbar, desgleichen nicht die Lesung der Unterabteilung US. Dieses Maß wird
übrigens auch als Bogenmaß gebraucht und zwar ist
1 KAS.BU = i/i2 der Ekliptik = 30"
1 KAS.BU = 12 ammat, 1 ammat = 24 iibänu,
also 1 ammat = 2,5"; 1 ubdnii = 6^//.
2) nöXov iihv yuQ xai yväiiiovcc xat rä Svöidnxa ^itQia Tf/s /;fi^(?rjs ncxQU Baßv-
Xcovicov f^a&ov oi "Ellrivig.
i^ 24. Moiiatsoiiitcilung', Wochen, Tageseinteilung und Tagesjinfang. 123
EuDOXTjs-Papyrus dargetan, daß dort üna im Sinne von iJoppelstunde
gebraucht wird\ Der Doppelstunde werden wir auch bei den Chinesen
wieder begegnen (s. § 128). Eine 24-Teilung des Tages ist bis jetzt
inscliriftlich auf babylonischen Tafeln nicht nachgewiesen, man kann
daher die Babj'lonier nicht direkt als die Urheber unserer Tages-
teilung hinstellen, wohl aber als Vorläufer derselben. (Vgl. die
12 Stunden der Zifferblätter unserer IJliren.)
Eine sehr alte Teilung der Nacht in Babylonien ist die der drei
Nachtwachen : harantu = Zeit des Sternaufgangs, JcahUtii = Mitte der
Nacht, und namaritu = die Zeit der Dämmerung,
Was schließlich die Frage anbelangt, mit welcher Zeit die Baby-
lonier den bürgerlichen Tag angefangen haben, so hat sich bisher
darüber noch keine völlige Sicherheit gewinnen lassen. Eppixg konnte
die auf astronomischen Tafeln des 2. Jahrh. v. Chr. vermerkten An-
gaben über die Neu- und Vollmonde am besten mit der Rechnung
vereinigen, wenn die Mitternacht als Ausgangspunkt der babylonischen
Zeitzähhmg vorausgesetzt wurde. Denselben Tagesanfang konnte
KuGLER aus astronomischen Tafeln des 2. Jahrh. v. Chr. rechnerisch
feststellen; aus anderen Tafeln, die wahrscheinlich aus einer anderen
Astronomenschule herrühren (es bestanden in Babylonien mehrere der-
artige Schulen), konnte er aber die Zeit des Sonnenuntergangs als
Tagesanfang nachweisen. Für die astronomische Rechnung bot der
Sonnenuntergang als Tagesanfang keine bequeme Basis, da er durch
das ganze Jahr variierte, wohl aber für das Anstellen von Beobach-
tungen, wenn angegeben wurde, um welchen Zeitbetrag nach oder
vor Sonnenuntergang irgend eine astronomische Erscheinung sichtbar
sein werde, wann z. B. das für den Beginn des Monats so wichtige
Erscheinen der ersten Mondsichel (Neiilicht) stattfinden, oder wann
eine Finsternis eintreten werde u. s. w. Da nun viele babylonische
Ephemeriden tatsächlich in Zeitgraden angeben, welche Zeit zwischen
dem jeweiligen Sonnenuntergänge und einer astronomischen Er-
scheinung liegt, also in solchen mehr für die Öffentlichkeit bestimmten
Tafeln augenscheinlich auf den Gebrauch für das Volk Rücksicht
nehmen, so scheint es, daß wenigstens der Kalender für die Sonnen-
untergangszählung eingerichtet wurde. Wir müssen also vorläufig
annehmen, daß zu Rechnungszwecken von den Astronomen die Mitter-
nacht als Ausgangspunkt genommen, für den Volkskalender aber der
Sonnenuntergang als Tagesanfang betrachtet wurde. Wie im bürger-
lichen Leben der Tag gezählt worden ist, entzieht sich noch unserer
Kenntnis. Die alten Schriftsteller geben einstimmig an, es sei der
Sonnenaufgang gewesen; Plixius {li. n. II 79): Ipsum diem alii
1) Journal des savants, 1839, S. 585.
124 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
aliter observavere, Babylonii inter duos solis exortus. (S. a. Oensoein
c. 23 ; Maceobius, Saturn. I 3 ; Gellius n. a. III 2 ; Isidoe. Etym.Y 30).
§ 25. Sonnen- und Mondjahr. Perioden.
Welche Jahrform bei den Babyloniern die ursprüngliche gewesen
ist, läßt sich gegenwärtig- noch nicht entscheiden. In der Überzahl
der bis jetzt bekannt gewordenen Tafeln haben die Monate eine
Länge von abw^echselnd 29 und 30 Tagen, ergeben also zweifellos
die Voraussetzung eines Mondjahrs. Man muß also annehmen,
daß das Mondjahr schon ziemlich früh bei den Babyloniern Eingang
gefunden hat. Das Prinzip, nach welchem den Monaten die Längen
von 29 und 30 Tagen (hohle und volle Monate) beigelegt wurden,
ist nicht bekannt; in den astronomischen Tafeln wird, wie Epping
und Kuglee gesehen haben, ziemlich ausnahmslos die Länge der
Monate dadurch ausgedrückt, daß den einzelnen Monaten die Zahl 1
oder 30 beigesetzt wird: 1 zeigt an, daß der vorhergehende Monat
ein voller war, 30 definiert, daß er als hohl zu nehmen sei. Die
Tafel Sp. 1162 weist z. B. folgende Bezeichnungen auf^: Äirii 1,
Simamiu 30, Düzu 30, Abu 1, Ulälit 30, TisrUu 1, Ärah-samna 1,
d. h. der dem Äii-u vorhergehende Monat Nisannu hatte 30 Tage,
ebenso der dem Ahit vorhergehende Diizu, der dem TisrUii vorher-
gehende ülülu und der dem Arah-samna vorhergehende TisrUu;
dagegen hatten Airu, Simannu, Abu jeder 29 Tage. Die Monate
wurden von Neumond zu Neumond gerechnet, jedoch nicht vom
wahren Neumond, sondern vom ersten Erscheinen der IMondsichel
(vgl. Einleitg. S. 93). Daher ist erklärlich, daß die Berechnung der
Zwischenzeit vom Neumond bis zum „Neulicht" in den astronomischen
Tafeln der Babylonier eine wichtige Rolle spielt, und daß sich zahl-
reiche Angaben über diesen Zeitbetrag vorfinden (und z. T. auch
über das „Altlicht", d. h. die Zeit von der letzten Sichelerscheinung
des abnehmenden Mondes bis zum Neumond). Die Regeln, nach
welchen die Zeit des ,, Neulichtes" bestimmt wurde, sind noch nicht be-
kannt, ihre Aufdeckung wird aber sicher vieles in der babylonischen
Zeitrechnung für die Forschung klar legen. In der alten Zeit waren
die Babjionier, wie andere Völker, darauf angewiesen, den Beginn
des Monats durch faktische Beobachtung des Mondneulichtes zu be-
stimmen, und die große Zahl von Sonnen- und Mondbeobachtungen,
die wir frühe schon bei ihnen antreffen, entsprang offenbar dem Be-
streben, sich von jener primitiven ]\[ethode frei zu machen. Im
1) KuGLER, Die hahyl. Mondrechnung, S. 36; vgl. Eppincj-Strassmaier, Astron.
aus Babylon, S. 15.
tj 25. Sonnen- iinil Mondjahr. Poriodfn. 125
3. Jahrh, v. Clir. ist die Kenntnis der ^londbewegnng bei den Be-
rechnern der babylonischen Ephemeriden bereits ein so vorzügliche,
daß sich die AVerte, welche sie für die Dauer der einzelnen Arten
von Monaten annehmen, nahezu mit unseren modernen Annahmen
decken ; Kfulkk fand nämlich aus der rechnerischen Untersuchung
jener Ephemeriden folgende Elemente:
Babylonische Werte. Moderne Werte.
Dauer des synodischen Monats 29<i 12'^ 44™ 8^3' ^^^ IS*» 44™ 2,9»
„ „ drakonitischen „ 27 5 5 35,8 27 5 5 35,8
„ „ siderischen „ 27 7 43 14 27 7 43 11,4
„ anomalistischen 3ronats 27 13 18 34,7 27 13 18 37,4
:\Iittlere sider. tägl. Mondbewegung 13» 10' 34,851" 13^ 10' 34,893"i.
Perioden: 251 synod. Mon. = 269 anom. Mon.
5458 \, „ = 5923 drakon. „
Bei einer solch genauen Kenntnis der Mondbewegung (und auch einer,
wie wir noch sehen werden, guten Kenntnis der scheinbaren Sounen-
bewegung) ist es einigermaßen seltsam, daß die Babylonier bei der
Rechnung des Monatsbeginnes vom „Xeulicht" ab verblieben sind,
denn es mußte ihnen doch ein leichtes sein, die Zeit der wahren
Neumonde voraus anzugeben; aber eben das Beharren bei dem alten
Gebrauche zeigt, daß es sich dabei um eine tausendjährige Gepflogen-
heit handelte, die man dem Volke nicht nehmen wollte oder konnte.
Was den Jahresanfang betrifft, so muß derselbe im Frühjahr
liegen, um die Zeit der Tag- und Nachtgieiche. Der Monat Ähu wird
schon auf ziemlich alten Tafeln öfters der Monat der trockenen Hitze,
der Monat Sahafu der Monat des Schnees und der Kälte genannt ;
da der erstere in der Folge der Monate der fünfte, und der andere
der eilfte ist, so mu^ Xisannu, der Anfangsmonat, etwa März fallen-.
In der späteren Zeit des Gebrauchs der seleukidischen Ära ist der
Jahresanfang mit Xisan im Frühjahre außer Zweifel, außerdem ist
die Frühjahrs-i\"/ 6« «-Rechnung für mehrere Nachbarvölker nachweis-
bar; es wird daher die jetzt allgemein geltende Annahme zutreffen,
daß die späteren Babylonier ihr (gebundenes) Mondjahr mit dem
Xisannu um die Zeit des Früli Jahrsäquinoktiums, und zwar mit dem
1) Gemixus (im 1. Jahrh. v. Chr.) kannte den oben angegebenen genaueren
Betrag der Mondbewegung, den die Babylonier schon fast 200 Jahre vor ihm an-
wandten, noch nicht und gibt an, ,die mittlere Bewegung des Mondes wurde von
den Chaldäern gleich 13" 10' 35" gefunden" {Isagoge 15, 2).
2) In einem Berichte des Astronomen an den König (s. III R 51,1; vgl.
Delitzsch, Assyr. Lesestücke, 3. Autl., S. 122 No. 1) heißt es: ,Am 6. Tage des
Monats Xisdn waren Tag und Nacht gleich, es waren 6 KAS . BU des Tages und
6 KAS . BU der Nacht. Mögen Nabu und Marduk dem Könige günstig sein."
126 I. Kapitel. Zeitreclinuug der Babylonier.
„Neuliclit" begonnen haben. Sehr wahrscheinlich ebenso verhält es sich
mit dem Jahr der Assyrer. Trotzdem Babylonien und Assyrien in
Beziehung- auf Kultur und Schicksale eng mit einander verbunden er-
scheinen, wäre immerhin die Möglichkeit vorhanden, daß in einzelnen
Details der Zeitrechnung- zwischen beiden Staaten Unterschiede
existieren; aber vorderhand darf man die Identität der Jahrform im
allgemeinen voraussetzen.
Für die alte Existenz eines Mondjahres in Babylonien spricht
auch der in sehr alte Zeit zurückreichende Mondkultus. In der
Gestirnverehrung, die in Vorderasien (wie früher schon bemerkt) ein
Glied in der altorientalischen Weltanschauung bildet, ist neben Änu
(Himmel), Bei (Gott des Himmlischen und Irdischen) und Ea (Gott
der Gewässer) der Hauptgott Sin d. h. der Mond. Er genoß nament-
lich in Südbabylonien hohe Verehrung; Uno (heute EI Muglielr) und
HarrCin (am Uclias, einem Zuflüsse des Euphrat) waren die Haupt-
stätten des Mondkultus ^, außerdem aber finden sich auch Spuren
dieser Religion in Vorderasien und Arabien. Die heilige Zahl des
Sin ist 30, das Ideogramm seines Namens wird oft durch diese Zahl
ausgedrückt. Daß der Jahresanfang; durch das Erscheinen des Früh-
jahr-Neumondes signalisiert wird, und daß der Monatsbeginn an das
„Neulicht" geknüpft ist, wurde schon hervorgehoben. Es mag nur
noch bemerkt werden, daß auch die zu- und abnehmende Mondsichel
durch zwei Götter (Shi und Nergal^ die „Zwillinge") repräsentiert
werden.
Allein auch der Sonuenkultus ist in Babylonien von hohem
Alter. Die hauptsächlichste Verehrung der Sonne als oberster Gott-
heit (Samas) konzentrierte sich in Larsa {Senl-erch) und Sippar
{Abu Hahha). Da außerdem in diesem Kultus die Hauptphasen der
Sonnenbewegung, die täglichen wie die jährlichen (wie es scheint, be-
sonders die Frühjahrssonne), mit Göttern verknüpft werden-, so könnte
man hierin den Hinweis auf die Existenz eines S o n n e n j a h r e s sehen.
Mehr Grund für die Voraussetzung eines Sonnenjahres in der ältesten
1) Sin heißt in Harnin auch Bcl-Harrdn ; er wird von den Gottheiten Nikkal,
IStar und Nusku begleitet. Das Mondheiligtum zu Harrän war eines der be-
rühmtesten und erregte das Staunen der Kömer. Der dortige Kultus erhielt sich
über das Auftreten des Mohammedanismus hinaus, denn die Harraniter (Sabier)
widerstanden allen Bekehrungsversuchen und errangen sich 830 n. Chr. das Zu-
geständnis freier Religionsübung.
2) Das uralte berühmte Gilgame^-Epos (s. Transkr. u. Übersetzg. v. Jensen,
Keilinschr. Biblioth., VI) ist nach Rawlinson und Jensen ein Sonnen -Mythus,
-welcher eigentlich den jährlichen Lauf der Sonne darstellt; Kuglek hat auch den
in dem Epos vorkommenden Details einen durchaus astronomischen Hintergrund zu
geben versucht.
§ 25. Soimt'ii- vnid Moiidiiilir. Perioden. 127
Zeit dürfte indessen in gewissen alten Angaben über den sexagesimalen
Aufbau des Jahres liegen'. In einigen alten Texten finden sich nämlich
Spuren eines 860tägigen Jahres. So heißt es 1111x52, 37'': ,.(Die)
zwölf Monate eines Jahres (sind) sechs mal sechzig Tage .... Zahl . . .
zaymuJ:-¥e's,i^''-. Der Titel einer Tafelsammlung aus der Bibliothek
Sargons lautet: „Eine Sammlung von 25 Tafeln der himmlischen und
irdischen Zeichen nach ihrer guten und schlechten Bedeutung, Die Vor-
zeichen, die im Himmel sind, als auch die auf der Erde werden be-
richtet. Dies ist der Bericht ... 12 Monate für jedes Jahr, 6 mal 60 Tage,
nach der Ordnung verzeichnet . . ."■■. Ebenso hat das Jahr in der
Tafel III R 60 durchaus 360 Tage , denn bei jedem einzelnen Monat
werden 30 Tage angegeben ,.im Monat Ädar vom 1. bis zum 30. Tage
— im Monat Alsan vom 1. bis zum 30. Tage — " u. s. f. durch alle
Monate*. Ferner wird in den Tempelrechnungen des Tafelfundes von
TeUoh (aus der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr.), welche von Reissxee
bearbeitet worden sind, der Monat durchweg zu 30 Tagen gerechnet.
Es kann sich nun möglicherweise hier um ein astrologisches, d. h. dem
360 teiligen Ki-eise angepaßtes Jahr, oder um ein Geschäftsjahr handeln
(wie auch bei uns für gewisse kaufmännische Usancen ein 360tägiges
Jahr üblich ist), aber es kann in diesen Beispielen auch der Hinweis
auf ein theoretisches Jahr, das 360tägige „Rundjalir", liegen. Die
Annahme eines „Rundjahres" in dem Sinne, wie es früher (s.
Einleitg. S. 69) aufgefaßt wurde, wäre für die alte babylonische Zeit
1) Die Basis des Sexagesimal-Systems bei den Babyloniern wird von deu
meisten Autoritäten in astronomischen Beziehungen gesucht. Cantor sucht die
Entstehung der 60 in der Wahrnehmung, daß die aus dem ungefähr 360tägigen
Jahre erkannte Kreisteilung von 360'^ in Verbindung mit dem Verhältnis des
Kreisradius zum Umfange (die Sehne ist ^/g des Umfanges) zur Zahl 60 geführt
habe. Braxdis geht auf das Verhältnis des scheinbaren Sonnendurchmessers zum
Himmelskreise C^j.y : 360 = 1 : 720) zurück. C. F. Lehmaxx weist insbesondere
darauf hin, daß die Doppelstimde K AS . BU zum Sonnendurchmesser zur Zeit der
Äquinoktien im Verhältnis 1 : 60 steht. Kugler bemerkt, daß KAS .BU ein Natur-
maß insofern sein konnte, als es in der von den Babyloniern erkannten ungleich
schnellen Bewegung der Sonne den längeren Sonnenweg ausdrücke, nämlich 30";
dieser Betrag im Verhältnis zum scheinbaren Sonnendurchmesser ' '.," führt auf
1 : 60. ZiJiMERX sieht die Ursache des Verhältnisses 1 : 60 in einer ursprünglichen
Sechsteilung des anfänglichen 360tägigen Jahres. — Auf die mannigfachen Be-
ziehungen des Sexagesimalsystems zum Maß- und Gewichtswesen der Babylonier
und der antiken Maße überhaupt kann hier selbstverständlich nicht näher ein-
gegangen werden. Die wichtigsten Literaturnachweise hierüber habe ich am
Schlüsse dieses Kapitels unter „Literatur" beigebracht.
2) .^XII arhi m mtti Igan VI \us] üme sa minät [zag-mug] ina su . . ."
Vollständige Übersetzung der Stelle ist, wie mir Herr Prof. C. F. Lehmann mitteilt,
wegen der Verstümmelung des Textes nicht möglich.
3) Transaet. Soc. of Bihlic. Arch., III 155.
4) ibid. 272—288.
128 I. Kapitel. Zeitreclinung der Babylonier.
nicht unmöglich. Man kann sich denken, daß in der ältesten Zeit,
wo die Länge des Sonnenjahres noch mangelhaft bekannt war, und
wo man es doch des Ackerbaues wegen nötig hatte, das „Rundjahr"
den Ausgangspunkt der Versuche bildete, die Länge desselben mittelst
Schaltungen mit den Jahreszeiten übereinstimmend zu machen. Die
Schaltungen konnten anfangs in größeren Zeitintervallen (Jahren) vor-
genommen werden und waren jedenfalls noch unregelmäßig; als man
endlich wußte, daß das Sonnenjahr 365 Tage habe, genügte der Über-
gang von der 72 fachen (6 mal 12 fachen) hamiisttt (72 X 5 = 360)
auf die 73, hamustu (365 Tage) , um dem Sonnenjahre mit Berück-
sichtigung seines ursprünglich sexagesimalen Aufbaues (6 X 60 =
360 Tage) die richtige Länge zu geben. Auf sexagesimale Grund-
lage des Jahres würden aber die 6 Doppelmonate zu 60 Tagen deuten,
welche einstens das babylonische Jahr nach H. Wincklek gehabt
haben soll, und von welchen Doppelmonaten nach letzterem Autor die
Anordnung der Monate im altarabischen und römischen Jahre her-
rührte — Die vorstehenden Bemerkungen sollen nicht etwa die
Existenz eines Sonnenjahres für Babylonien beweisen, sondern nur
dessen Möglichkeit offen lassen. Es scheint sogar die Wahr-
scheinlichkeit näher zu liegen, daß im Volksgebrauch nie ein
anderes als das Mondjahr benützt worden ist. Ganz anders gestaltet
sich aber die Sache für die babylonischen Astronomen. Die Be-
obachter und Rechner kennen, wie aus den Arbeiten von Kugler
hervorgeht, im 3. Jahrh. v. Chr. bereits die Länge des siderischen
Jahres, die Beträge der ungleichen Bewegung der Sonne in der Eklip-
tik, die ungleiche Länge der astronomischen Jahreszeiten u. s. w. mit
respektabler Genauigkeit'-. Die Angaben, die in den babylonischen
1) C. F. Lehmann weist auf das Zagmulcu-Fest hin ( Verhdlg. d. Berl. anthropol.
Ges., 1896, S. 445), eine fünftägige Feier, die bei den Babyloniern an der Spitze
des Jahres stand und den 5 Epagomenen (durch die wir anderwärts, wie bei den
Ägyptern u. s. w., das 365tägige Jahr ergänzt sehen) entspricht. — In der Tat fällt
das Zaijmulcii- oder AkUH-F&?,i (Sakäen-Fest des Berossos) auf den Jahresanfang
{res-mtU) in (oder vor?) die ersten Tage des Nisannu und ist schon in der ersten
Hälfte des 3. Jahrtaus. v. Chr. iuschriftlich nachweisbar. Es hatte nach Meissner
{Zeitschr. d. deutsch, morgenl. Ges., L. Bd., S. 296) dieselbe Bedeutung wie die Feier
der Farivardigan-T Rgc bei den Persern (s. diese Kap. IV dieses Werkes), und auch
das Purimfest der Juden geht zum Teil hierauf zurück.
2) Obwohl die Tafeln, welche Kugler untersucht hat, vornehmlich sich mit
der Vorausberechnung der Neu- und Vollmonde befassen, also für sie die genauen
Werte der Sonnenbewegung nicht notwendig sind , geht doch für das siderische
Sonnenjahr der Betrag 365<i 6'» 13™ 48« aus ihnen hervor, welcher nur 4'/jj™ vom
modernen Werte abweicht. Die Länge des astron. Frühjahrs beträgt 94,498 Tage
(richtig 94,044), des Sommers 92,726 (statt 92,305), des Herbstes 88,592 (statt 88,619)
und des Winters 89,445 (statt 90,282) Tage. Die Kenntnis der Präzession ist
nicht sicher aus den Tafeln zu erweisen, es finden sieh aber einige Anzeichen dafür.
i^ 25. SnuiH'ii- uiiil Mondjülir. Perioden. 12'^
Ephemeriden über die Sonnenbewegung , die ungleiche Länge des
Tages, das „Neuliclit" u. s. w. gemacht werden, lassen keinen Zweifel
darüber, daß jene Astronomen das Sonnenjahr als Grundlage bei ihren
Rechnungen benützten und daß sie fähig gewesen wären, falls man
dieses Jahr im Volke eingeführt haben würde, diese Jahresform ge-
hörig zu überwachen. Daß die Einführung nicht geschehen ist,
beweist, wie eingewurzelt das Mondjahr im Volke war. Das Sonnen-
jalir verblieb Eigentum der Priesterkaste, aus der ja auch die Astro-
nomen hervorgingen.
Einigermaßen zweifelhaft bleibt auch, ob die Babylonier die
größeren Zeiträume nach Perioden abgemessen haben. Der Ge-
brauch von solchen Perioden („großen Jahren") ist zwar bei den
orientalischen Chronographen, wie wir bei der ägyptischen Zeitrechnung
sehen werden, nicht selten, aber bei den Babyloniern finden sich nur
einige Andeutungen vor ; inschriftlich sind solche Perioden bisher über-
haupt nicht nachweisbar gewesen. Eusebius, Synkellos, Suldas und
Hestchius erwähnen nämlich den Saros, Neros und Sossos in
mehr oder weniger deutlicher Weise als die Zeitperioden, nach denen
die Babylonier gerechnet haben sollen. Bei den ersteren beiden
Schriftstellern heißt es: „Beeossos hat in seiner Geschichte nach
Saren, Neren und Sossen gerechnet. Der Saros bezeichnet einen Zeit-
raum von 3600, der Xeros von 600, und der Sossos von 60 Jahren" \
Man hat früher geglaubt, daß Saros, Keros, Sossos n u r als Zeiträume,
und zwar insbesondere als Mondperioden (223 synod. Mondmonate)
aufzufassen seien ; andere haben hierin aber Tage gesehen, und es hat
sich eine ziemliche Reihe von Meinungen und mancherlei Literatur
hierüber angesammelt. Durch das Studium der Inschriften, welche
jene Ausdrücke recht oft darbieten, ist bald klar geworden, daß die
Wörter Saros, Xeros , Sossos nur Zahlen an und für sich sind, ohne
jede Beziehung auf Zeitmessung. Der Sossos (awoGog) oder assyrisch
mssu ist die Grundzahl des bei den Babyloniern über das ganze Maß-
wesen sich erstreckenden Sexagesimalsystems, nämlich sechzig. Xpr
(neric), vjjgog bedeutet „Führer, Leiter", die Führerzahl 600; iar
(aagog) bedeutet etwa „alles w^as groß ist", ,.Schaar, Masse", „Massen-
zahl oder Vollzahl", nämlich 3600. Ursprünglich bedeutete susm = i'c ;
das Ideogramm dafür ist der Kreissextant, im Gegensatze zu sar,
dessen Ideogramm durch einen Vollkreis ausgedrückt wird. Insofern
würde sar (cjäoog) also auch die Bedeutung „Kreis, Zyklus, Periode"
(z. B. der Zeit, der Jahre) rechtfertigen; ursprünglich hat sar ver-
1) Synkellos 30, 6 (s. Schoene, Eusehii CJironicon, col. 8) kXX' 6 uhv Br]QojGaug
äiä 6CCQ03V Kccl v-^QCov Y.al 6ÖJG6C0V aviyQccipaTO- iov ö filv aägog tQicyjhcov y.id
i:^ay.oai(ov irüv xQOVov 6r,uciLV£i, ö dh vfiQog irwv i-^u-xoaiwv, u öh aüaaog f^rjxovru.
— Hesychius: ccQi&uog rig TtaQa BaßvXaviotg.
Ginzel, Chronologie I.
9
130 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
mutlich (nach Zimmekx) 360 bezeichnet. Die Herkunft der Worte
suMu , ner, sar ist noch strittig-; die einen treten für sumerischen,
die anderen für semitischen Ursprung ein^. Da die Babjlonier ihre
Maßeinheiten streng sexagesimal aufgebaut haben, wofür z. B. die
berühmte Tafel von Senh'veh Zeugnis gibt (nicht blos in Beziehung
auf Längenmaße), so kann man zugeben, daß die Verhältnisse sustiu.
ner, sar vielleicht auch gelegentlich zur Konstruktion größerer Zeit-
perioden, durch welche eine große Reihe von Jahren sexagesimal zer-
legt werden sollte, verwendet worden sind'-.
§ 26. Schaltung.
Wenn also die Babylonier schon in alter Zeit nach dem Mond-
jahr gerechnet haben, so fragt es sich, wie sie die Übereinstimmung
desselben mit dem Sonnenlaufe durch Schaltungen bewerkstelligten.
Zuerst müssen wir konstatieren, daß überhaupt schon in der alten
Zeit ]\Ionate eingeschaltet worden sind. Bereits bei der Aufführung
der alten Namen der Monate (S. 114) konnte der Name eines Schalt-
monats DIR-SE-KIK-KUD genannt werden. Die Bezeichnung DIB
beim 12. Monat SE-KIN-KUD bezeichnet den Charakter als einge-
schalteten Monat-\ In der Tafel I R 56,5 heißt es: „Im Monate Ehil
macht Gott den König glücklich •' , dann folgt eine Notiz über das,
was „im zweiten EJuV'' geschehen werde. Wir lernen hieraus Elulu II
als Schaltmonat kennen. Das Studium der Tafeltexte zeigt also,
welche Monate auch Schaltmonate werden konnten. Bis jetzt hat
sich ergeben, daß EUdu II, Ädani II Schaltmonate waren, auch
Nisannu II kommt, obwohl seltener, vor. Bei den Assyrern scheinen
dieselben Schaltmonate gebraucht worden zu sein, aber über die
assyrische Schaltung wissen wir gegenwärtig noch weniger, als über
die babylonische^ Einen interessanten Beweis dafür, daß in der alten
1) Delitzsch, Soss, Ner, Sar (Zeüschr. f. ägypt. Spr., XVI, 1878, S. 56). —
Opfert, L'etalon des mesures assyriennes. Paris 1875. — Lepsius, Monatsher. d.
Berliner Akad. d. Wiss. , 1877 u. 1878. — A'gl. auch Lepsius, Die hahyl.-assyr.
Längenmaße nach der Tafel von Senlcereh {Ahhdlg. d. Berlin. Akad. d. Wiss.,
1877) und Beandis, 3Iünz-, Maß- u. Geivichhvesen in Vorderasien, Berlin 1866.
2) Vgl. z. B. die Anwendung der Tafel von Senkereh auf Zeitperioden durch
C. F. Lehmann {Beitr. z. alten Geschichte, I, 1902, S. 398). — Die 34080 Jahre,
welche Berossos den 86 Königen nach der Sintflut zuschreibt, zerlegen sich in
9 sar, 2 ner, 8 iuSsu. Berossos rechnete also jedenfalls mit den großen Perioden.
Der liest, der von jener mythischen Zahl übrig bleibt, wenn man sie von 10 sar
= 36 000 abzieht, nämlicli 1920 Jahre, hat nach Gutschmid historischen Grund
und Boden.
3) DIB bedeutet nach Sayce , dunkel", „blau", „finster".
4) Beispiele von babylonischen Schaltungen in alter Zeit bieten Taf. Bu.
88-5—12, 12 (23. Elid II); Taf. Bu. 91—5-9, 508 (13. Elul II); Taf. Bu.
§ 26. Schaltuiif-. 131
Zeit die Schaltung- Avillkürlich d. li. nur, wenn sich die astronomische
Notwendigkeit dafür zeigte, vorgenommen wurde, liaben wir aus der
Periode des Königs IJammurahi. Unter den Briefen und Anordnungen,
die dieser Herrscher (2194 — 2152 v. Chr.) wegen Landesangelegen-
heiten (Kanalbauten, Befestigungen u. s. w.) an untergebene richtete,
befindet sich folgender Befehl: „Dies sagt IJummurahi. Da das Jahr
eine Abweichung hat, so laß den Monat, der (nun) beginnt, als
zweiten EJul registrieren, l^nd anstatt daß der Tribut am 25. Tage
des Monats Thr'i in Babylon fällig werde, laß ihn auf den 25. Tag
des zweiten Elul verlegen"^. Das Einschieben eines Schaltmonats
erfolgte jedenfalls auf Vorschlag der Priester (Astronomen), welche
mit der Beobachtung der Gestirne betraut waren und welche hierüber
astrologische Berichte regelmäßig dem Könige vorzulegen hatten. In
den Zeiten, da die babylonischen Astronomen betreffs der Perioden,
welche die Vergleichung der Mond- und Sonnenbewegung darbieten
(s. Einleitg. S. 69), noch nicht sicher waren, konnte die Einschaltung
eines Älonats nur nach Bedarf stattfinden, war also willkürlich. Je
mehr aber die Astronomen durch ihre Beobachtungen Herren über
diese Verhältnisse wurden , je mehr sich die babylonische Astronomie
vervollkommnete, desto eher konnte die frühere Willkür einem ge-
ordneten Systeme weichen. Wenigstens wäre es widersinnig, anzu-
nehmen, daß die Priester die Einführung eines festen Schaltsystems
vermieden hätten, da ihnen doch die Errichtung einer Schaltungsregel
nicht schwer fallen konnte, und da die durch eine solche Regel herbei-
geführte Übereinstimmung des Mondjahres mit den Jahreszeiten das
Ansehen der Priester beim Volke befestigen mußte. Die Priester
werden also eine Schaltungsmethode versucht und dieselbe, da sie
wahrscheinlich nicht sofort zutraf, empirisch durch abgeänderte Ver-
suche verbessert haben. Das astronomische Wissen der Babylonier ist
auf dem W^ege der Empirie erworben worden, und die Erfindung des
Schaltungssystems wird kaum eine Ausnahme davon machen. Ich
glaube somit mutmaßen zu sollen, daß jene Regel nicht zu allen Zeiten
die gleiche gewesen ist, sondern daß sie z. B. zu Zeiten des Kamhyses
eine andere war als zu Zeiten der Arsakiden-Ära , und daß solche
Varianten in dem inschriftlichen Material in Zukunft aufgedeckt
w^erden können. Hierdurch kompliziert sich die ohnehin schwierige
Frage nach dem Schaltungswesen der Babylonier und Assyrer noch
88—5—12, 739 {Adar II)- Taf. Bu. 88—5—12, 454 (Adar II); Bu. 91—5—9, 320
{Nisannu II'?).
1) Das Schreiben ist an einen Vasallen Namens Sin-idinnatn (den höchst
wahrscheinlich gleichnamigen König von Larsa) gerichtet; cf. L. "NV. King, The
letters and inscriptions of Hammiirahi , King of Babi/lon, vol. III, 1900 (Brief
No. IV, S. 12).
9*
132 I. Kapitel. Zeitrechimiig der Bnbylonier.
bedeutend, und es ist klar, daß die Lösung- der Frage nur mit der
Zeit, an der Hand eines umfangTeiclien, zeitlich sehr verschiedenen
Materials, gelingen kann.
Von den älteren Versuchen zur Aufklärung der Schaltungsart bei
den Babyloniern sei hier nur vorübergehend, da er noch in die Zeit
fällt, wo noch kein Inschriftenmaterial vorlag, der Versuch Jon.
V. GuMPACHS erwähnt. Danach hätte ein 19 jähriger Zyklus, in
welchem etwa 7 Schaltjahre vorkommen können, die Grundlage der
Schaltung gebildet. Jene Jahre seien Schaltjahre gewesen, bei denen
der letzte Monat so früh endigte, daß der Schluß des unmittelbar
folgenden Monats nicht bis zum Tage des Frühlingsäquinoktiums
heran oder darüber hinausreichte ^ In neuerer Zeit ist mit Interesse
der Versuch E. Mahlees, die Schaltregel der Babylonier zu finden,
verfolgt worden. Der Versuch ging von der seleukidischen Zeit aus.
Danach wäre ein 19 jähriger Zyklus gebraucht worden, in welchem
das 3. 6. 8. 11. 14. 16. und 19. Jahr ein Schaltjahr war; das 11. Schalt-
jahr hätte 383 Tage, die anderen Schaltjahre zählen 384 Tage, die
gemeinen Jahre 1, 5, 10, 12, 17 sollen 355, die übrigen 354 Tage
gehabt haben. Das erste Jahr des Zyklus setzt Mahlek auf den
1. Xlsau 747 v. Chr. (= 21. April). Die auf diese Hypothese ge-
gründeten Tafeln stimmen zum Teil mit der inschriftlichen Über-
lieferung überein, zum Teil weichen sie um einen Tag oder auch um
einen Monat davon ab; unter den bis jetzt nachweisbar gewesenen,
unten folgenden 51 Schaltjahren der Babylonier gaben die Tafeln
33 Treffer, während 18 Jahre falsch sind; bei den in meinem „Spez.
Kanon" bearbeiteten 16 babylonischen Finsternissen mit Datum-
angaben trafen sie in 8 Fällen das Datum, in 8 Fällen nicht'-.
Für die Feststellung des Schaltungswesens der Babylonier und
Assyrer ist es von großer Wichtigkeit, daß die aus den Inschriften
nachweisbaren Schaltjahre gesammelt werden. Es folgt hier deshalb
die Liste der bisher bekannt gewordenen babylonischen Schaltjahre
nach F. H. Weissbach (Zcifschr. d. deutsch, morg. Ges., LV. Bd., S. 201)
1) Auf eine Beziehung des Schaltjahrs zum Fi-ühjahrspunkt hat auch Kugler
(Bahyl. Mondrechnung, S. 69) hingewiesen. Aus der Vergleiehung der Längen der
dem Nisannu vorausgehenden Neumonde in der Mondfinsternistafel 81 — 7 — 6, 93,
wek'he von 137 — 159 Seleuk.-Ara reichen, scheint sich zu ergeben, daß, wenn die
Positionen der Neumonde vor dem 13." des Widders liegen, ein Schaltjahr, wenn
sie jenen Punkt überschreiten , ein gemeines Jahr gerechnet wird. Ob dies etwa
ein Kriterium ist, muß erst die künftige Forschung entscheiden.
2) Albirimi, der sich in der Zeitrechnung der Juden sehr gut unterrichtet
zeigt, sagt von der jüdischen Schaltungsart nach Elicser (Schaltjahr des 3. 5. 8.
11. 14. 16. 19 im 19 jähr. Zyklus): „dies ist die verbreitetste unter den Juden, sie
ziehen sie den anderen vor, weil sie deren Erfindung den Babyloniern zu-
schreiben." {Tlie chronol. of anc. nations, edit. E. Sachau, 1879, S. 65).
§ 26. Schaltiini
133
mit Verbesserungen, die mir der Herr Verfasser ang-egeben hat. Die
Liste enthält die betreffenden Jahre v. Chr. samt den Belegstellen.
a) AssjTische Schaltjahre:
713 V. Chr.i [9. Jahr Sargons] K 2679.
t6"3 „ [,la.hr d. Eponym. Ad-ri-ilu] Johns, Assyrian Deeds, No. 53.
b) Babylonische Schaltjahre von 603 — 495 v. Chr. [von 747 — 603
sind keine bekannt]:
t*603 V.
Chr
Strassm.
Nbk
409'^
533 V.
Chr
Strassm. Cyr. 219, 242
*59S
V
„
„
61
t*530
71
Strassm. Camb. 5: Peiser,
*596
V
T
n
78
Bab. Vertr., XXV.
t 579
„
^
f
170
*527
71
Strassm.Camb.177-183,226
t 572
„
,.
r
262
525
r
7, 300.
569
r
^
r
314^
t 522
11
Strassm. Dar. 8'^
t*564
71
T
V
382 u. 385.
*519
71
, 80,81«
t 560
ji
Evetts Nerigl.
9
517
r
, 192—195
t 557
ji
Evetts Bab. 1
?^
514
Strassm. Dar. 245, 246;
555
11
Strassm.
Nbn.
51—53
Barton (Amer. Journ. of
553
,
^
^
132—134
Semit, lang. X\l 68
550
j,
j,
„
244. 245
*511
^
Strassm. Dar. 306, 307
*546
r
,
n
436—439 •
509
r
, 366
544
j,
,
r
683—689
506
71
. 435, 436
t 541
j,
„
r
938-944
t 500
71
Strassm. Dar. 557; Peiser,
*537
,
Strassm.
Cyr.
54-60
Babyl Vertr., CXXXYIII.
536
71
,.
71
148—152
495
T
Bartonfa. a.O. p.70No.7.^
c) Babjlonische Schaltjahre von 494—393 v. Chr. [von 494—434
und von 424 — 393 sind keine bekannt]:
395 V. Chr. (10. Reg.-Jahr Artaxerxes I). Y Rawl. 37. 58*.
373 „ (.32. , , ) Hilprecht a. Clav. Bah. Exped., Ser. A.
vol. IX No. 32.
365 , (40. , ,. ) ibid. No. 73.
d) Babylonische Schaltjahre von 392 — 100 v. Chr. nach Angaben
von Eppixg, Stkassmaiee und Kuglee:
t 389 V. Chr. ,
t 385 ,
t 378
t*313
Epping-Strassm. Sp. II, 71 ' Zeitschr. f. Assyr. VIII 170j
1) Die Jahre verstehen sich 603,2, 598/7 u. s. f.
2) Schaltjahr mit Ulidu II nach der Berliner Taf. VATh. 9. Einiger Wahr-
scheinlichkeit nach (^Taf. Strassm. Nbk. 409 war auch das 22. Jahr XabJc. ein
Schaltjahr mit Addaru II.
3) Auch durch ein Täfelchen der deutsch. Exped. Babyl. gesichert.
4) Dieses Jahr ist vielleicht einzufügen, vorbehaltlich Nachprüfung des Textes.
5) Jahr 523 ist zu streichen; s. Kugler, Zeitschr. f. Assyr., XVII, 1903, S. 214.
6) J. Oppekt {Zeitschr. f. Assyr., VIII 69) gibt aus der Zeit Darius I. als
Schaltjahre die Regierungsjahre 3, 5, 8, 11, 16, 19, 22, 25, 27 an. Die meisten
sind insehriftlich belegbar. Zum 19. Jahre (503 v. Chr.) ist zu bemerken, daü
nach Strassm. Dar. 495 Z. 10 ein „vorderer Addaru'^ augegeben ist, und, obwohl
diese Bezeichnung nicht durchgehends angewendet wird, auf einen Addaru II ge-
schlossen werden kann.
172
^
= 140
170
n
= 142
167
^
= 145
164
j,
= 148
t 161
71
= 151
159
n
=- 153
156
n
= 156
153
j,
= 159
t 123
^
= 189
t*104
•n
= 208
102
= 210
134 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
175 V. Chr. = 137 Sel.-Ära
Kugler, Bab. Mondrechn., S. 56 — 65'
„ Epping-Strassm., Astr. a. Babyl., S. 19, 179.
) Kugler, a. a. 0. S. 83.
Die mit * bezeiclineten Jalire haben als Sclialtmonat einen Vlulii II,
die übrigen den Äddarii IL Die mit f bezeichneten sind in Mahleks
Tafeln keine Schaltjahre, während sie inschriftlich als solche bezeugt
^iYi(\_. — Für die Prüfung der vorkommenden Schaltjahre sind die
Daten der stattgefundenen Neumonde von großer Wichtigkeit. Die
Tafel III der Neumonde (am Schluß dieses Bandes) wird solche
Untersuchungen wesentlich unterstützen.
Auch die von den Babj^loniern beobachteten Sonnen- und
Mondfinsternisse würden, wenn sie uns mit Datierung überliefert
wären, von großer Hilfe für die Erkenntnis des babylonisch-assjTischen
Zeitrechnungswesens sein. Leider sind nur wenige Finsternisse völlig
genau (nach Jahr, Monat, Tag) datiert ; außerdem sind manche Texte
schwierig zu interpretieren. Überdies erscheinen in verschiedenen
astronomischen Aufzeichnungen nicht selten berechnete und beobachtete
Finsternisse auf einer und derselben Liste, desgleichen meteorologische
Verfinsterungen (atmosphärische Trübung), so daß es noch der Er-
forschung und Sicherung der von den Babyloniern geübten Terminologie
bedarf, bevor alle Fälle zweifelfrei hingestellt Averden können. Hier
folgen in gedrängter Form die bisher rechnerisch behandelbar ge-
wesenen astronomischen Finsternisse; betreffs der Texte und Kechnungs-
resultate verweise ich auf meinen „Spez. Kanon d. Somuni- n, 2Io)idf."
S. 235 — 260 und auf die im folgenden beigefügten Literaturangaben.
1. Sonnenfinsternis im Eponymat des PUR . AN-sa-gal-e. Datum
feststehend nach Rawlinson, Scheadee, Hixcks, Hind, Lehmann-
GiNZEL 15. Juni 763 v. Chr.
2. Inschriftlich K. 154. Text schwierig, nach Lehmann - Ginzel
Sonnenfinst. 6. Aug. 700 v. Chr. oder Mondfinst. 2. Juli 671 v. Chr.
Nach Weissbach {Zeltschr. d. deutsch, morg. Ges., LV 218) Ent-
1) Epping nennt das Jahr 153 Sel.-Ära (159 v. Chr.) als gemeines Jahr
{Zeitschr.f. Assi/r., V 853), 154 als Sehaltjahr, Strassmaiek dagegen (ibid. VIII 107)
153 Sel.-Ära als Schaltjahr.
§ 26. Schaltuiif,'. 135
Scheidung nicht möglich; nach Kugler handelt K. 154 nur von
einer atmosphärischen Finsternis (Gewitter) (ibid. LVI 6,',).
3. ^^Fondfinsternis unter SamaUumid'hi an einem 15. Sahatu nach
einem Texte von Boissiek. Datum nach Lehmann - Gix55i:l
17. Feb. 664 v. Chr. (neben den konkurierenden Finsternissen
27. Jan. 662 und 18. Jan. 658). Oppeut {Zeltschr. f. Ässijr., XI 310)
18. Jan. 653. Der Text einer im ,,S2)ez. Kanon d. Fr an-
geführten Tafel K. 223 , nach Boissier Beziehung habend auf
eine im Sahat unter Aiurhanalml vorgefallene Mondfinsternis,
soll nach Weissbach (a. o. a. 0. 217) weder Monatsnamen noch
Tag enthalten.
4. Finsternisbericht in den Annalen Asurhcmahals , Zylinder B,
Kol. IV 84 — Kol. Y 9 , zu beziehen nach Lehmann - Ginzel auf
die :\[ondf]nsternis 3. Aug. 663 v. Chr. (ebenso Weissbach), die
Sonnen -Verdunkelung erklärbar durch die Sonnenfinsternis
27. Juni 661 (nach Weissbach nur eine atmosphärische Ver-
dunkelung) ; KrcxLER (a. a. 0. 68) bezieht den Text überhaupt
nur auf eine atmosphärische Erscheinung.
5. Mondfinsternisbericht K. 467 (R. F. Harper, Assyrian a. Bahijlon.
Letters, II No. 137), zu beziehen nach AVeissbach {Orient.
Uter. Zeitg., VI, 1903, S. 483) auf die Mondfinsternis
18. Jan. 653 v. Chr.
6. Mondfinsternisse im 7. Jahre des Kambyes nach Steassmaier,
Kambys., No. 400 Z. 45, 55. Datum nach Lehmann - Ginzel
und J. Opfert 16. Juli 523 und 10. Jan. 522 v. Chr.\
7. Berechnete Sonnenfinsternis R IV 397 (Strassm., Epping,
Zeitschr. f. Assyr., VI 236, VII 236); in Babylon unsichtbar.
Datum nach Epping, Lehmann- Ginzel 30. Novemb. 233 v. Chr.
Derselbe Text erwähnt eine unsichtbare (berechnete) Mond-
finsternis vom 13. Kislimu = 14. Dezemb. 233.
8. Sonnen- und :\Iondfinsternisse aus den Jahren 188, 189, 201
Seleuk. Ära (Epping -Strassm., Astronomisches aus Babylon,
S. 152), und zwar Sonnenfinsternisse 23. Jan. 123 v.Chr.,
19. Juli 123, 12. Jan. 122, 7. Juni 111, 2. Dezb. 111 v. Chr.;
Mondfinsternisse 7. Febr. 123 v. Chr., 2. Aug. 123, 28. Dezbr. 123,
24. Mai 111, 16. Novb. 111; jedenfalls nur berechnete Finster-
nisse.
1) Der Zeitfolge nach dürfte hier noch eine Sonnenfinsternis einzureihen sein,
von welcher ein sehr verstümmelter Text berichtet (s. Zeitschr. f. Assi/r., XV,
1900, S. 128 Anm. 1). Das Jahr und der Monat sind nicht genannt, nur der Tag 29.
Sie müßte in die Zeit Alexanders d. Gr. und Alexanders II. (lY.) fallen. Möglicher-
weise ist die Sonnenfinsternis vom 23. Mai 324 v. Chr. gemeint-, sie fand für Babylon
in den Morgenstunden statt und war dort 10,2 Zoll.
136 L Kapitel. Zeitroclimmg der Babylonier.
9. Mondfinsternis nach Strassmaiee (Zeitschr. f. Ässyr., III 15
Ko. 9, IV 76) vom 13. Nisan 232 Seleiik. Ära = 11. April
80 V. Chr.
Außerdem finden sich in dem sonstigen Inschriftenmaterial noch eine
größere Zahl von Finsternisangaben verzeichnet, welche wegen Mangel-
haftigkeit der Texte oder wegen Fehlens jedes chronologischen An-
haltepunktes bisher nicht näher untersucht werden konnten.
§ 27. Die seleukidisclie Ära (xara XaXdaiovg) und die
Arsakideu-Ära.
Die babylonischen astronomischen Tontafeln des 2. und 3. Jahrli.
V. Chr. erscheinen meist mit Datierung nach der seleukidischen Ära.
Diese Ära hat sich im 3. Jahrh. v. Chr. in dem von den Seleukiden
unterworfenen Babylonien verbreitet, erscheint aber auch in Phönizien,
Palästina, im 2. Jahrh. alleinherrschend in Syrien und hatte überhaupt
lange Zeit Verbreitung im Orient. Den Anlaß zu ihrer Errichtung
gab entweder die Schlacht von Gaza (312 v. Chr.), in welcher Seleukos
mit Unterstützung von Ptolemaios den Demetrius Poliorketes besiegte,
und auf welche die Einnahme Babylons erfolgte — oder die Ermordung
Alexanders IV. Ägus (311 v. Chr.). Als Epoche der Ära wird der
Herbst 312 v. Chr. angenommen (für das Mittelalter ist nach Rühl
der Epochetag 1. Oktob. 312 sicher).
Im Almagest des Ptolemäus (IX 7 u. XI 7) erscheint nun eine
Ära xard Xalöaiovg^ nach welcher 3 Planetenbeobachtungen mit den
entsprechenden Daten nach Nahonassar (s. nächsten Paragraph) ver-
glichen werden. Es heißt, daß die erste dieser Beobachtungen im
67. Jahre der Chaldäer am 5. ApeUaios, die zweite im 75. am 14. Dios,
und die dritte im 82. am 5. Xanthikos gemacht seien. Die beigesetzten
Angaben nach der Ära Nahonassar , mit den christlichen Daten ver-
glichen, geben
5. ÄpeUaios 67 cliald = 27. TJwth 504 Xahon. = 18. Novb. 245 v. Chr.
U.Dios 75 „ = 9. „ 512 „ = 29. Oktob. 237 v. Chr.
b. XanthiJcos 82 „ = U. Tf/hi 519 „ = I.März 229 v.Chr.
Der Umstand, daß es sich bei jenen Beobachtungen um babylonische
Aufzeichnungen handelt, läßt erkennen, daß ihre Datierung nach „dem
Jahre der Chaldäer" übereinkommen muß mit der als seleukidische
bezeichneten in den babylonischen Tontafeln des 2. und 3. Jahr-
hunderts V. Chr. Die astronomische Untersuchung mehrerer dieser
Tafeln durch Epping-Steassmaiek hat aber ergeben, daß die Angaben
jener Tafeln nur mit einander vereinigt werden können, wenn man
§ 27. Die seleukidische und die Arsakidcn-Ara. 137
als Epoche das Frühjahr 311 aimimmt, also am wahrscheinlichsten
vom 1. Nisannu ausgeht. Die seleukidische Ära oder, zur Unter-
scheidung von der Rechnung zar« XakSaiovg, auch syro-makedonische
Ära genannt, beginnt also ein halbes .Tahr früher, mit dem Herbst 312,
nach WiNCKLEK fünf Monate früher, weil das makedonische Jahr mit
dem Dios = Marhesevan begann , während das babylonische erst mit
dem Nisannu = Xanthikos anfangen konnte.
Eine andere Ära, von welcher die Babylonier derselben Zeit auf
ihren Tafeln Gebrauch machen, ist die a r s a k i d i s c h e Ära. Der An-
fang dieser Ära ist zweifelhaft. Der gewöhnliche Ansatz 256 v. Chr.
beruht auf der Aussage des Justinus (Hist. XLI, 4), daß die Parther
sich unter den Konsuln L. Maxlius Vuls<j und M. Attilius Regulus,
d. i. 256 V. Chr. von der Seleukidenherrschaft frei gemacht hätten.
Die Chronik des Eusebius (edit. Schoene II 120) setzt aber den
Abfall der Parther auf 248 v. Chr.\ Auf den babylonischen Tafeln
tritt die arsakidische Äi'a insofern auf, als zahlreiche Tafeln mit
Doppeldatierungen vorkommen, wo ein seleukidisches Jahr mit einem
anderen Jahr verglichen wird, bei welchem der Zusatz ..Arsakä (Jean)
sar iarräni" = Arsaces , König der Könige, gemacht ist; z.B. ,.im
Jahre 145 des Arsaees, des Königs der Könige, welches gleich ist dem
Jahre 209 am 13. Simannu, Mondfinsternis". Die Differenz beider
Jahreszahlen, die in diesen Doppeldatierungen nebeneinander gestellt
werden, beträgt auf allen Tafeln 64. J. Oppeet glaubte, daß in diesen
Tafeln die seleukidische Ära nur dann angenommen werden dürfe,
wenn der Name SeJeuJcos dabei vermerkt stehe. Epping-Steassmaier
haben aber eine Anzahl Doppeldatierungen veröffentlicht, wo die Jahre
nicht nach SeJeul-os benannt werden, aber doch die seleukidische Ära
gemeint ist. Oppeet nahm als Epoche der Arsakidenära das oben
genannte Jahr 256 (Herbst) an, allein diese Annahme widerspricht
der konstanten Differenz 64 auf den Tafeln. Später hat Oppeet als
Epoche 181 V. Chr. angenommen, durch welche Annahme gewisse
historische Schwierigkeiten, die man gegen die Verbindung der
seleukidischen Jahre mit den arsakidischen vorbringen kann, ge-
mindert werden. Die historischen Bedenken von Oppeet, Scheadee
hat Steassmaiee zu widerlegen gesucht ; derselbe, sowie auch Kuglee
auf Grund von Untersuchungan an astronomischen Doppeldatierungen,
sind bei der konstanten Differenz von 64 Jahren der arsakidischen
Ära gegen die seleukidische stehen geblieben und haben als Epochen-
jahre demgemäß angenommen
1) Eine Verwechslung des M. Attilius mit C. Attilius 'der mit L. Manlius
YuLSO 250 V. Chr. Konsul war). Cf. Gutschshd, Geschichte Irans. 1888, S. 30,
G. Rawlinsox, Orient. Mon., VI, S. 44.
138 I. Kapitel. Zeitrechnung der Babjdonier.
Jahr 1 Arsak. Ära = 65 fSeleuk. Ära = 247 v. Chr.
„ 1 Seleuk. Ära = 311 v. Chr.
Nach diesen Autoren liegt also das Anfangsjahr der Arsakiden-Ära
247 nahe bei dem obengenannten nach der Chronik des Eusebius, 248.
KuGLER ist auch der Ansicht, daß die babylonischen Astronomen nicht
nur die Jahre der Seleukidenära mit dem Nisannii im Frühjahre
begonnen, sondern auch jene der Arsakidenära so gerechnet und an
der Differenz von 64 Jahren zwischen beiden Jahreszählungen fest-
gehalten haben.
§ 28. Der Kanon des Ptolemäus und die Eponymenlisten.
In den Hauptstaaten des Altertums bildete sich, um die Zeit
irgend eines Ereignisses angeben zu können, der Gebrauch aus, das
betreffende Jahr vom Jahre des Eegierungsantrittes eines Königs ab
zu zählen. Auch die Babylonier befolgten (nach vorhergegangenen
primitiveren Versuchen) diese Art der chronologischen Fixierung. In
Assyrien sehen wir merkwürdigerweise diese ^lethode erst ziemlich
spät angewendet, denn vorher bestand der Usus, die Jahre nach den
sogenannten Limu zu bezeichnen (= Eponymen). Das Eegentenver-
zeichnis, dessen sich die alten Chronologen und Schriftsteller haupt-
sächlich bedienen, um die Zeit von Ereignissen nach Eegierungsjahren
der Könige angeben zu können, beginnt bezeichnenderweise mit einem
bab3^1onischen König, dem Nahonmsar {Nahä-ndslr). Das Verzeichnis
führt den Titel Kavwv ßaaiXeuv oder ßaaikeidlJv, Kanon der Eegenten
oder Eegierungen, auch der mathematische oder astronomische Kanon
genannt, besonders aber als der Ptolemäische Kanon bekannt, da
er uns hauptsächlich durch Claudius Ptolemäus (3. Jahrh. n. Chr.)
zugänglich gemacht worden ist. Der Kanon beginnt mit dem Anfang
des Kalenderjahrs, in w^elchem Nahonassar König von Babylon wurde,
mit 27. Februar 747 v. Chr. (astronomisch vom Mittag des 26. Febr.
ab) und enthält von jenem Jahre ab die Eegierungsdauer babylonischer
Könige, von 538 an persischer Könige, von 324 an makedonischer
Könige, von 30 v. Chr. an die der römischen Kaiser. Die Jahre dieses
Verzeichnisses sind als bewegliche Sonnenjahre d. h, 365 tägige (wie
sie in Ägypten gebraucht wurden) zu verstehen, also ohne Schaltung.
Jedes Eegierungsjahr beginnt, wenn vom 1. Thofh, dem Jahresanfang
der Ägypter (s. Kap. II) ausgegangen wird, wieder mit 1. Thofh. Wir
müssen den Ptolemäischen Kanon hier in seinem zuverlässigsten
Teile ansetzen, um so mehr, da sich an ihn die Nahouassarischc Ära
knüpft, von der noch die Eede sein wird. (Neben die vielleicht
manchem Leser nicht mehr geläufigen griechischen Zahlen sind unsere
modernen Beträge gesetzt.)
§ 28. r>('r Kanon des Ptolemäus und die Ei)onymenlisten.
139
iTTtOVr-
Namen der Regenten
itr,
Jalire
Jahre
des
Kegierungsdauer unter Annahme
[Jahre]
aycoyr)
Philipp!
Augiistus :
des beweglichen Sonnenjahres
1
[Summe] 1
1
1
1
von bis
1.
Naßovaaeäqov
iS(H)
i9 (14)
27.Fbr.747 22. Fbr.733 V.Chr.
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ß (2)
if (16)
23- , 733 21. , 731 „
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s (5)
xa (21)
22. , 731 20. , 726 ,
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f (5)
X,- (26)
21. , 726 19. „ 721 ,
Mccodo-'ituTtüdov
1^(12)
Zrj (38)
20. , 721 16. , 709 ,
'AQy.tuvov
f (5)
^7 (43)
17. , 709 H- V 704 ,
^•
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15- T. 704 14. , 702 ,
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15. , 702 13. , 699 ,
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14. , 699 12. , 693 ,
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13- . 693 11. , 692 ,
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12. , 692 10. , 688 ,
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II. , 688 8. , 680 ,
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9. , 680 5. , 667 ,
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X (20) ; p ( 1 00)
6. , 667 31. Jan. 647 ,
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Knn]hcdävov
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ß (2) Q7frj{iSS)
I. , 647 26. , 625 ,
27, Jan. 625 20. , 604 ,
21. , 604 10. , 561 ,
II. , 561 9- , 559 ,
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10. , 559 8. , 555 ,
Xaßovudiov
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9. . 555 4. , 538 ,
2.
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5. , 538 2. , 529 ,
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3. , 529 31.Dez.522 ,
JcCQsioV TTOÖITOV
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1. , 521 22. , 486 „
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23.Dez.486 16. „ 465 ,
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17. „ 465 8. , 424 ,
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7. , 424 I. , 405 ,
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2. , 405 20.N0v.359 „
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21.N0v.359 15. , 338 ,
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16. , 338 14. , 336 ,
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15- , 336 13- . 332 ,
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14- , 332 11. . 324 ,
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10. , 317 6. „ 305 ,
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(189}
20. , 137 , 13- , 160 ,
140 I. Kapitel. Zeitreclimiug der Babylonier.
Die erste Zahlenkolumne gibt die Dauer der einzelnen Eegierungen,
die zweite Kolumne {^niavvaywy)^) summiert dieselben, so daß man
sofort die seit Kahonassar verflossenen Jahre erhält; bei der dritten
Eegentenreihe ers.cheint neben diesen beiden Kolumnen eine weitere,
welche die Jahre nach Alexandeks Tode oder die der philippischen
Ära (s. nächsten Paragraphen) zählt; bei den römischen Kaisern
schließlich ist noch auf die Jahre des Augustus durch eine Kolumne
Rücksicht genommen. — Der Kanon zählt die Regierungs jähre nach
der in Ägypten üblich gewesenen Art (vgl. § 45), nämlich nicht
von dem Tage, an welchem die Regeuten zur Regierung gekommen
sind, sondern von dem 1. Thoth ab, welcher dem Regierungsantritte
vorangeht. Die Jahre werden also alle für voll gerechnet, auch
wenn der König erst im Verlaufe oder am Ende eines Jahres den
Thron bestieg. So z. B. werden dem Kaiser Titus 3 Jahre gegeben,
vom 4. Aug. 78 bis 2. Aug. 81, obwohl derselbe erst vom 23. Juni 79
(Vespasian f ) bis 13. Septb. 81, also nur 2 Jahre 3 Monate regiert
hat. Neko starb in der ersten Hälfte Juni 68 n, Chr. im Verlauf
des 391. Jahres der philippischen Ära, das ihm der Kanon noch zu-
schreibt, indem er die kurzen Regierungen von Galba, Otho und
ViTELLius (15. Januar, 16. April resp. 20. Dezemb. 69 n. Chr.) nicht
erwähnt. Vespasian wurde bereits am 1. Juli 69 n. Chr. zum Kaiser
proklamiert, im Jahre 392 der philippischen Ära (vom 6. Aug. 68 bis
5. Aug. 69 laufend); dieses wird im Kanon sein erstes Jahr genannt,
obgleich sein Vorgänger Vitellius über 4 Monate in das 393. Jahr
lebte. Bei vorkommender gemeinsamer Regierung (Mitregenten) wird
die Zeit im Kanon dem späteren Regenten angeschrieben.
Mit Hilfe des Kanons läßt sich eine mit dem Regentenjahre
verbundene Datierung leicht ermitteln. Ptglemäus sagt z. B. im
Abnagest^, daß unter Daeius I. in dessen 31, Jahre eine Mondfinsternis
am 3/4. Ti/hi beobachtet worden sei. Man hat also zu den bis auf
Kamhyses Tod verflossenen 226 Jahren Nahonassars die 31 Jahre des
Daeius zu addieren und erhält somit als Datum 257 Ära Nabon.
3/4. Ttßi. Die Umsetzung dieses Datums in das entsprechende der
christlichen Ära (s. nächsten Paragraphen) gibt 25. April 491 v. Chr.
Die Inschrift von Rosette ist vom 18. Mechlr des 9. Jahres des
Ptglemäus Epiphanes datiert. Das 9. Jahr des Epiphanes ist nach
dem Kanon das 128. der philippischen Ära, oder das 552. des
Nahofiassar. Die Umsetzung 552 Nahon. 18. Mechlr ergibt 27. März
196 V. Chr.
Der Ptolemäische Kanon ist in Ägypten entstanden und genoß
großes Ansehen bei den alten Chronologen und Astronomen, Er
1) IV 8 (Heiberg 329, 6).
§ 28. DtT Kanon des Ptolemäus uml die Eponymenlisten. 141
wurde von ihnen bei den Datierungen gebrauclit und seine Regenten-
reihe weitergeführt; in den letzten Eedaktionen reiclit er bis in die
Zeit der Eroberung Konstantinopels. Die Zuverlässigkeit des Kanons
hat sich seit der Aufdeckung der assyrisclien Limu-Datierung
vollständig bewährt. Wie schon angedeutet, bestand in Assyrien der
Gebrauch, nicht nach Regierungsjahren der Könige zu rechnen, sondern
man benannte die Jahre nach dem Ltmu. Dieses ist der Amts- oder
Ehrentitel von hohen Beamten, die dem Könige als Regierungsmit-
glieder nahe standen; ihre Stellung entsprach etwa dem Archontate
oder der Eponymie. Durch den Namen eines solchen Beamten wird
ein bestimmtes Jahr in irgend einer Jahresreihe bezeichnet. Die
Fortführung dieser Eponym en- Listen stellte also eine Chronologie
des Landes vor, unabhängig von einem festen Ausgangspunkte. Die
Listen sind schon in früher Zeit eingerichtet worden, wenigstens
schon im 12. Jahrh. v. Chr., Spuren reichen aber noch weiter zurück.
Die Verwertung der Angaben der Eponymen - Listen ^ hat nun die
Richtigkeit des Ptolemäischex Kanons erhärtet. Rawles"sox und
Smith konnten aus Bruchstücken eine Liste von 227 Namen zusammen-
stellen, welche sich über die Regierung von 14 aufeinanderfolgenden
Königen erstreckt. Aus dieser Liste läßt sich nachweisen, daß König
Sargons erstes Jahr als assyrischer König auf 721 v. Chr. fällt. Nach
dem Ptolemäischex Kanon ist das erste Jahr des 'Äoy.mvog (Sargoii)
als babylonischer König 709 v. Chr. Nun heißt es in einer der doppelt
datierten assyrischen Inschriften: „Monat Haljatu 24. Tag, Eponymie
des Mutal-ldl-assur, Jahr 16 des Sargina-arhu [= >S«r//o>^] König von
Assiir und Jahr 4 als König von Babylon" -. Wenn Sargons erstes
babylonisches Jahr 709 war, so war sein 4. babylonisches oder
16. assyrisches = 706 , also sein erstes assjTisches 721 v.Chr. Der-
selbe Eponym Midal-Vd-assur kommt unter dem 16. assyrischen Jahre
Sargons in einem Fragmente vorl Dort wird als dritter Vorgänger
dieses Eponymen d. h. im 13. assyrischen Jahre Mannu-M assur-JiJc
genannt und beigefügt, daß dieses Jahr dem ersten Sarru-khis
(d.h. Sargons) in Babylon entspreche. Das 13. assyrische Jahr, oder
das erste babylonische Sargo)is war demnach 709 v. Chr., wodurch
der Kanon bestätigt wird; das erste assyrische Jahr muß danach 721
gewesen sein. Den 17 Jahren Sargons entsprechen die babylonischen.
1) Es gibt bisher mehrere Eponymen-Listeu : Die mit 6 Kolumnen von
911—647 V. Chr. {Keilinschr. Biblioth., I, III, 2H.); die ,, Verwaltungsliste " von
817 — 723 V. Chr. (ibid. I), welche neben den Namen der Eponymen auch einzelne
Ereignisse notiert; ein von 708—704 reichendes Fragment (ibid. I).
2) Lepsius, Üb. den chronol. Wert der assyr. Annalen {Abhandig. d. Berl. Akad.
d. Wiss., 1869, S. 47).
3) S. Smith, Zeitschr. f. ägypt. Spr., VII, 1869, S. 96.
142 I. Kapitel. Zeitrechimng der Babvlonier.
welche der Kanon, und zwar 12 für Mardolcempad und 5 für Arheanos,
anführt. — Als erstes Regier ungs jähr Nehuhadnezars erscheint im
Kanon 604 v. Chr. In einer Eponymenliste wird vom 3. Jahre
Nehukadnemrs ab Sula (das Haupt der sogen. Egyh'i-YBmiXiQ) durch
20 Jahre, darauf Xahu-ahi-idma , dessen Sohn, durch 38 Jahre,
darauf It'i-Mardu'k-Balata durch 23 Jahre angeführt; dessen letztes
falle mit dem ersten des Darius I. zusammen. In der Tat ergibt
die Summe (3 + 20 + 38 + 23) dieser Jahre, von 604 weiter gezählt,
521 V. Chr., das erste Jahr des Darius I. (s. Kanon).
In dieser Weise läßt sich aus den Eponynien-Verzeichnissen auf ver-
schiedenem Wege die Bestätigung für die Eichtigkeit des Ptolemäischen
Kanons erbringen. Früher haben einige (J. Opfert, Haigh) Ein-
wände gegen die Vollständigkeit der Eponymen - Listen vorgebracht
und dementsprechend Lücken im Kanon vermutet. Seit den Er-
örterungen von E. ScHRADER uud Lepsifs indessen ist jene „Lücken-
theorie" beseitigt. Über die Hauptschwierigkeit des Kanons, Porös
(Phul des alten Testamentes) gleich Tiglath Pileser zu setzen, hat
man sich geeinigt. Eine vorzügliche Bestätigung erhält der Kanon
des Ptolemäus durch die Sonnenfinsternis vom 15. Juni 763 v. Chr.
In der „Verwaltungsliste" heißt es: „Im Eponymat des PUB-ÄX-
sa-gaJ-e Aufstand in der Stadt Asur. Im Monat Siran erlitt die Sonne
eine Verfinsterung." Wir haben schon oben aus Inschriften gesehen,
daß im 13. assyrischen Regierungsjahre oder dem ersten babylonischen
des Königs Sargon der Eponym Mminu-M assur-Jlh angeführt wird,
und daß dessen Jahr 709 v. Chr. war. Der obgenannte Eponym PUR-
AN-sa-gal-e ist aber in der Liste der 54. Vorgänger des Mamm-M
assur-Iik; die Sonnenfinsternis muß also 54 Jahre vorher, 763 v. Clir.,
und zwar in den Juni fallen (Sivan ist der 3. Monat), was sich
astronomisch vollauf bewahrheitete
1) Das Datum der totalen Sonnenfinsternis vom 15. Juni 763 v. Chr. hat, wie
man aus der oben gezeigten Übereinstimmung der Eponymenlisten mit dem Ptole-
mäischen Kanon ersieht, eine vorzügliche chronologische Festigkeit. Aus diesem
Grunde hat die Finsternis auch astronomischen Wert für die Prüfung unserer
Mondtheorie. Die , Verwaltungsliste " gibt außer dem Namen der Eponymen nur
dann und wann einzelne Ereignisse an, vind der Vermerk der Finsternis würde
sicher nicht stattgefunden haben, wenn sie im assyrischen Reiche (Ninive) nicht
besonders auffällig gewesen wäre. Die astronomische Rechnung hat also auf eine
Darstellung Rücksicht zu nehmen, welche als Phase der Verfinsterung für Assyrien
(Ninive) eine beträchtliche Größe — wenn auch nicht Totalität — ergibt, eine
Forderung, die vielleicht für manche Mondtheorie nicht bequem sein wird. In
meinem ^Speziell. Kanon der Sonnen- u. 3Iondfinst.'' (S. 244) ist eine Verfinsterungs-
phase von 11,6 Zoll (also nahezu Totalität) erreicht, was der oben zitierten Stelle
mehr als genügt. Es mag hinzugefügt werden, daß dabei gleichzeitig die ge-
sichertsten Finsternisse des Altertums und des Mittelalters gut dargestellt werden.
Die Sonnenfinsternis vom 13. Juni 809 v. Chr., welche J. Oppekt, um seine , Lücken-
§ 29. Die Ära Niil)onassiir und die i)liili])))i.scli(? Am. 143
Betreffs der Jahre der Eponj^men mag noch liinzugefügt werden,
daß J. Oppekt den Anfang- dieser Jalire auf den Herbst (Monat
Tasniu) setzte; er nahm aber gleichzeitig- an, daß das bürgerliche
Jahr mit dem Nisannu beginne. Dies wird wenig wahrscheinlich,
wenn wir uns daran erinnern, daß in historisclien Zeiten die Assyrer
und Babylonier ihr Jahr im Frühling mit dem Nisannu angefangen
haben, und daß sie auch die Jahre der seleukidischen Ära und
wahrscheinlich auch die der Arsakiden-Ära in jener Jahreszeit be-
ginnen ließen.
§ 29. Die Ära Nabonassar und die philippische Ära.
Die Ära Nabonassar schließt sich unmittelbar an den astro-
nomischen Kanon des Ptolemäus an, indem sie auf der gleichen
Epoche, dem 26. Februar 747 v. Chr., ruht; letzterer Tag ist der
1. Thot/i des Jahres 1 der Ära Naboa. und wird von Pt(jlemäus im
ÄJmagesf (HI 6) von Mittag ab gerechnet. Diese von dem sonstigen
Tagesbeginn des Altertums ganz abweichende Zählung des Tages von
Mittag an, vom Durcligang der Sonne durch den Meridian (welche
Zählungsart später allgemeiner Gebrauch bei den Astrunomen ge-
worden ist), weist speziell auf die astronomische Bestimmung hin,
welche die Ära bei den alexandrinischen Astronomen gehabt haben
mag. Daß sie in Ägypten hauptsächlich zur Fixierung des Datums
der astronomischen Beobachtungen dienen sollte, geht aus dem Umstände
hervor, daß Ptole^iäus im ÄJmac/est den ausgiebigsten Gebrauch von
ihr macht und das Datum z. B. der babylonischen Beobachtungen
meist durch sie ausdrückt. Die Richtigkeit der Epoche 26. Febr. 747
geht ohne weiteres aus den im Abnagest aufgezeichneten Beobachtungen
hervor. So heißt es dort (IV 5, Heibeeg 302, 12), daß „im ersten
Jahre des J/ardoJcrmpados [dem 27. Nabonassars] in der Nacht vom
29/30. Thofh der Ägypter eine Mondfinsternis stattgefunden hat; sie
begann ... in Babylon . . . reichlich eine Stunde nach Aufgang des
Mondes und war eine totale". Das Datum 27 NaJion. 29,30. Thoth
gibt nur bei Annahme des vorher genannten Epochetages den
richtigen Tag der Finsternis, nämlich 19. März 721 v. Chr. In
meinem „Sjjez. Kanon der Finsfr (S. 232) fiinde ich den Beginn dieser
theorie" zva stützen, iu Vorschlag gebracht hat, ist weit weniger wahrscheinlich,
denn sie konnte für Ninive höchstens 10 Zoll betragen, außerdem ist sie nur ring-
förmig, war also schon aus diesem Grunde von geringerer Auffälligkeit. Ein Ver-
such, sie für Assyrien durch Einführung einer empirischen Korrektion iu die Mond-
bewegung auffälüger zu machen , würde aber nur auf Kosten der guten gleich-
mäßigen Darstellung aller übrigen (alten und mittelalterlichen) Finsternisse mög-
lich sein.
144 1. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.
Mondfinsternis um 19'' 33™ m. Zeit Babylon, den Mondanfgang- um
l?'' 53™, also den Beginn l'' 40"' nach Mondaufgang-, den Worten des
Ptolemäus ,,reiclilich eine Stunde nach Aufgang des Mondes" völlig
entsprechend. Wäre die Epoche der Ära auch nur um einen Tag
ungewiß, so würde eine solche Übereinstimmung der Rechnung mit
der Beobachtung unmöglich sein.
Bürgerte sich wegen der Sicherheit ihres Epochetages die Ära
Nabonassar bei den orientalischen Astronomen und Chronographen
leicht ein, so deuten doch auch, obwohl die Ära sonst bei den Schrift-
stellern nicht vorkommt, einige Punkte darauf hin, daß ihre Anwendung
vielleicht über den bloß astronomischen Gebrauch hinaus gereicht hat.
Zunächst geht die aus der Zeit der Seleukiden und der Römer
stammende Sarostafel auf den 1. Nisannu des Jahres 1 Nahon. zurück.
Ferner ist auffällig, daß die im 22. Jahre des Darhis geschriebene
„Babylonische Chronik" von dem 3. Jahre Nahonassars ausgeht i, also
ebenfalls auf der Ära Nabonassar beruht. Weiter ist eine Nachricht
des Berossos^ beachtenswert, die allerdings nicht völlig klar ist. Es
heißt: „Nach Nabonassar untersuchten die Chaldäer die Zeiten der
Gestirnbewegung und nach diesen die griechischen Astronomen, nach-
dem (wie Alexaxder und Berossos sagen, welche die Erzählungen
der altchaldäischen Geschichte zusammengefaßt haben) Nabonassar
die Taten der Könige vor ihm gesammelt, aber den Augen entzogen
hatte, damit von ihm die Zählung der chaldäischen Könige anfange ('?)=*".
Diese Stelle würde etwa so zu verstehen sein, daß Nabonassar die
bis auf seine Zeit gesammelten babylonischen Urkunden habe zerstören
oder beiseite bringen lassen, damit er eine neue, mit seiner eigenen
Regierung beginnende Ära einführen konnte. Die Erzählung kann
aber auch eine boße Legende sein und dahin zu deuten, daß unter
Nabonassar eine Reform der Zeitrechnung stattgefunden hat, ver-
bunden mit einer Neuordnung der Inschriften der Vorgänger des
Nahonassar (so Rost und C. F. Lehmann). Jedenfalls bilden die ge-
nannten Hinweise, sowie die Epoche des Ptolemäischen Kanons ein
bemerkenswertes Faktum für eine Änderung in der Zeitrechnung,
1) Vom 3. Jahre Nahon. bis zum 1. des Samasmmukin (Keüinschr. Biblioth.,
II 274).
2) Ein Chaldäerpriester zur Zeit Antiochus I. (281 — 261 v. Chr.). Von ihm
rührt eine weit über die Zeit Nabonassars zurückreichende Liste von Königs-
dynastien her, deren Wert erst in neuerer Zeit gewürdigt worden ist.
3) 'A-jto öh NaßovaöccQOv rovs XQOvovg xfjg xGiv äar^Qcop iiLv^etcog XaXöaloi
7iy.QLß(a6av xal ano XalSaiav ol itaQ "EXlriGi [laO'riiiarixol laßovTng, insiäi] wg ö
Ali^uvdQOg Kai BriQcoGGog rpuGiv , ol rag XaXd'aiKccg ccQicaoloyiag TttQisilricporig,
NaßovccGaQOg Gvvayuywv tag ngä^sig xüv -jiqo avrov ßaGiXtcov r\(f>äviGtv , oitoag an
avrov T] ■naxaQi^iiriGig yivuxai xmv Xalöaicov ßuGilicov. (Berossos, Fragm. IIa,
SynkeUos:, vgl. Fragm. hist. graec. edit. Müller, II 504).
i^ 29. Die Ära Xaboiiassar uiul die i)liili])j)i.sclii' Ära. 145
um so mehr als Xahonassar politisch nicht so sehr hervorgetreten
ist, und kein eigentlicher Grund dafür ersichtlich scheint, daß man
aus freiem ^\'illen einen neuen Abschnitt in der Zeitrechnung gerade
mit diesem König begonnen hätte. AVinckler sucht die Erklärung
der Nachricht des Bejiossos darin, daß nur die Tatsache von den
Babyloniern astronomisch festgestellt worden sei, daß zu jener Zeit
der Frühjahrs- (resp. Jahres-) Anfang nicht mehr im Zeichen des
Stiers, sondern im Zeichen des Widders stattfinde. Im ganzen ge-
nommen läßt sich vermuten, daß in früherer Zeit aus irgend einem
Grunde die Jahre von Nabonassar ab gezählt worden sind, und daß
diese Zählung später in Ägypten die Basis zur Errichtung einer
astronomischen Ära gebildet hat. Ein inschriftlicher Nachweis für
den Bestand als besondere Ära in Babylonien und Assyrien läßt sich
noch nicht erbringen.
Die Reduktion eines gegebenen Datums der Xabonassarischen
Ära in das entsprechende der christlichen Zeitrechnung oder umgekehrt,
erfolgt am bequemsten mit Hilfe der neuen ScnEAMSchen Tafeln (s. S. 56).
Die erste Tafel der „Ära Nabon." gibt die dem Jahre Xcihouassars
und dem ägyptischen ]\Ionatstage entsprechende Zahl der julianischen
Tage, die korrespondierende Tafel „Julian. Kalender" die mittelst jener
Zahl zu entnehmenden Jahre und das Monatsdatum der julianischen
Ära. Es seien für die im vorigen Paragraphen angegebenen beiden
Daten 257 Xahon. 3. Tijhi und 552 Xahon. 18. Mech'ir die julianischen
Daten zu suchen. Man hat:
Tafel „Ära Nabon." : 257 Xah. 3. Tijhl = 1 542 200
Korresp. Julian. Kai. ( — 400 + r) = 1542175
= —490 April 0 -[- 25,
also das Datum 25. April 491 v. Chr.
552 Xüh. 18. Mcchlr = 1649 920
Korresp. Julian. Kai. (— 100 + r) = 1649 893
= — 195 März 0 H- 27,
also das Datum 27. März 196 v. Chr.
Damit der Leser die alte lüELEESche Regel nicht vermisse, setze ich
dieselbe ebenfalls hierher, obwohl die Rechnung danach viel um-
ständlicher wird als nach Scheams Tafeln. Man multipliziert die
gegebenen Jahre Xahonassars mit 365 und addiert zum Produkte die
Zahl der vom 1. Thoth bis zum gegebenen Datum abgelaufenen Tage,
wobei jeder Monat zu 30 Tagen gerechnet wird, und nach dem
12. Monat noch 5 Ergänzungstage zu berücksichtigen sind. Ferner
addiert man hiezu noch 1 448 638 Tage. Die so gebildete Tagessumme
ist durch 1461 zu dividieren. Der Quotient der Divison liefert die
Zahl der in der julianischen Tagessumme enthaltenen vierjährigen
Giuzel, Chrouologie 1. 10
146 T. Kapitel. Zeitrechnung der l>iil)ylonier.
Sclialtperioden , der Quotient ist daher mit 4 zu multiplizieren. Von
dem bei der Division gebliebenen Reste zieht man zuerst 366, nnd
falls es möglich, 365 einigemal ab und rechnet für jeden Abzug 1 Jahr
mehr dem mit 4 multiplizierten Quotienten hinzu. Man findet so die
abgelaufenen Jahre der julianischen Periode und hat dieselben von
4714 abzuziehen, wenn sie kleiner als diese Zahl, oder von ihnen 4713
abzuziehen, wenn sie größer sind ; im ersten Falle ergeben sich Jahre
vor Christus, im anderen Falle Jahre nach Christus. Der bei der
Division nach den Abzügen gebliebene Rest gibt die noch in Anrechnung
zu bringenden Tage; dieselben werden mittelst der Reihe Januar 31,
Februar 28 (Schaltjahr 29), März 31, April 30 u. s. w. in Monate
und Tage zerlegt. Das Resultat ist das julianische Datum der christ-
lichen Zeitrechnung. In den obigen beiden Beispielen hat man:
257 X365 = 93 805
3. Tijhi = 4 Mon. 3 Tag:e = 123
Grundzahl 1448 638
18. Mechir
1542 560:1461 --
= 1055 X 4
Rest 1211
= 4220
ab 366
-f- 3 Jahre
845
4223 jul. Jahre
ab 365
- 4714
480
491 V. Chr.
ab 365
Rest 115
= 25. April
Datum: 25. April 491
V. Chi
L\
552 X 365 = 201 480
5 Mon. 18 Tage = 168
Grundzahl 1448 638
1650 286:
1461
= 1129X4
Rest 817
= 4516
ab 366
+ 2 Jahre
451
4518 jul. Jahr
ab 365
— 4714
Rest 86
196 V. Chr.
= 27. März
Datum: 27. März 190 v. Chr.
Für den umgekehrten Fall, die Verwandlung eines julianischen
Datums in jenes der Ära jVahoHasf<(iy, wird man die ScHEAMSchen
Tafeln, aber in umgekehrter Folge, benützen.
§ 30. I.it.Tatur. 147
Die Pili lippische Ära wird im AJmagcd ebenfalls (z. II III 2)
in Verbindung- mit den ägyptischen Monaten gebraucht. Sie findet
sich unter der Bezeichnung „Jahre vom Tode Alexanders" (and rr^g
'Jkiiävöoov T€?>.svTrjg) oder auch, da Alexanders d. Gr. Nachfolger
Philippus Aeidaeus war, als Ära <l^iXi7inov rov fier l4k{iccvÖQov töv
xrißTijv (als anni Phil'ipin bei Cexsorix, de die nat. 21, 9). Sie ist
in der" Epoche um 424 ägyptische Jahre von der Ära Nahonasmr
verschieden und beginnt also am 1. Thotli 425 der Ära Xahonassar
oder 12. November 324 v. Chr. (s. Ptolemäus, Kanon, 2. Eegenten-
reihe). Bei Daten, welche nach dieser Ära angegeben sind, hat man
also zu dem betreffenden Jahre nur 424 zu addieren, um das ent-
sprechende Jahr Xaho)iassars zu erhalten; die übrige Reduktion er-
folgt dann wie oben.
§ 30. Literatur ^
Inschriftenmaterial.
C. Bezold, Catalogiie of the Cunciform tablets in the Kouynnjik coUection of
the British Museum, London 1899, 5 Bände. — H. C. Rawlinsox, The Cuneiform
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Texte, Leipz. 1887—97, 12 Teile. — K. C. Thompson, The reports of the Ma(jicians
and Astrologers of Niniveh and Babylon, 2 Bde. (I Cuneiform Texts, II English
Translat.).
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H. WiNCKLER, Bimmels- und Weltenbild der Babylonier (Der alte Orient,
III, 1901, Heft 2. 3). — C. F. Lehmann, Babyloniens Kidturmission einst und jetzt,
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Mythus, Kultus (Gestirndienst).
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1901, 4 Bände. — P. Jensen, Assyr.-babylonische Mythen u. Epen, Berlin 1901. —
P. Jensen, Das Nationalepos d. Babylonier u. seine Absenker in der israel., christl.
u. griech. Sage, 1904. — Kcgler, Die Sternenfahrt des Gilgames (Stimmen aus
Maria-Laaeh , 1904, Heft IV). — Vgl. auch E. Schradek. Die Keilinschriften u.
das alte Testament, 3. Aufl. von Zimmern u. Winckler, Berlin 1903. (Über ver-
schiedene Fragen der babyl. Zeitrechnung handelnd).
A b s t a m m u n g s f r a g e.
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S. 57. — H. Winckler (in verschied. Stellen seiner Schriften).
1) Vgl. außerdem die im Texte und in den Anmerkungen gegebenen Literatur-
nachweise.
10*
148 I. Kapitel. Zoitrcchimn^- der Rabylouier.
Sexagesimalsystem.
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hahylon. Maß- u. Gewichtssystem (Akten d. S. internat. Onental.-Ko)ifp-esses 1889)
1893; Verhdlcj. d. Berl. anthropol. Ges., 1895 S. 411, 1896 S. 488 ; Beitr. z. alten
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1891, 1892 u. Aufsätze u. Abhandlungen, II, 1900; III, 1901). — Ginzel, Die
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Woche.
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Sayce, Assyr. Notes No. 3 (Proceed. of the Soc. of Biblic. Archaeol., XIX, 1897,
S. 288). — 7 tägige Woche: Jensen, Zeitschr. f. deutsche Wortforschung, I, 1901,
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Tageseinteilung.
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— Versch. Bemerk, in den oben angef. Schriften v. Epping u. Kugler.
Schaltungsfrage.
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E. Mahler, Zur Chronol. d. Babylonier. Verglcichungstabcllen d. babyl. u. christl. Zeitr.
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Transact. of the 9. Intern. Congr. of Orient, 2, London 1893; Zeitschr. f. Assyr.,
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i> 30. Literatur. 149
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Ä r e n.
Arsakidenära : Schrader, Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wiss., 1890, S. 1319,
Nachtrag, 1891, S. 3. — StrassmaieRj-Zc^Ysc/*;-. f. Assyr., VIII 106. — J. Opfert,
Compt. rcnd. de l'Acad. d. sciences, T. 107, Journ. Asiat., 1889. — Üb. Ära Nabon.
u. Philippische Ära besonders J. B. Biot, Besume de Chronol. astronomique {Mem.
de l'Acad. d. sciences, T. XXII, 1849).
Hilfstafeln.
Zur Verwandlung von Daten der Nabon. Ära s. (außer Schrams Tafeln)
E. Mahler, Chronologische Vergleichungs-Tabellen, Wien 1889, I. Bd. (von 1 — 1200
Nabon. für jeden ersten Tag der 12 Monate) ; H. Brandes, Abhdlgn. z. Geschichte
d. Orients i. Altertum, Halle 1874, S. 134 bis 884 Nabon. von 4 zu 4 Jahren);
vgl. BioTs Besume (s. vorher). — E. v. Haerdtl, Astron. Beiträge z. assyr. Chronol.
(Denkschr. d. Wien. Akad. d. Wiss., 49. Bd., 1884) (enthält die Neumonde von
957-605 V. Chr.).
IL Kapitel.
Zeitrechiiiiug der Ägypter.
§ 31. Astronomie. Quellen für das Kalenderwesen.
Die Kenntnis des Zeitrechnungwesens der alten Ägypter kann
gegenwärtig ebenso wenig mehr auf den Nachrichten der klassischen
Schriftsteller aufgebaut werden, wie jene der Babjdonier, sondern be-
ruht auf den Dokumenten selbst, d. h. den Felsen- und Steininschriften
und den Papyrus; die Klassiker treten gegen dieses archäologisclie
Material in die zweite Linie der Zeugen zurück und können nur mehr
kontrollierend und vergleichend gebraucht werden. Es bietet sich da
ein ähnliches Verhältnis der Forschung wie bei den Babyloniern, nur
mit dem Unterschiede, daß die Ergebnisse in Beziehung auf das Zeit-
rechnungwesen betreffs der Ägypter ein greifbares Resultat zutage
fördern konnten, während wir mit den Babyloniern erst am Anfange
stehen. Dies ist bei der zeitlichen Differenz, die zwischen dem Beginn
der Ausgrabungen in Babylonien und Ägypten und der Entwicklung
der x4.ssyriologie und Ägyptologie zu selbständigen Wissenschaften
liegt, erklärlich. Gleichwohl hat sich trotz der erstaunlichen Menge
von Material, welches im Nillande aufgedeckt worden ist, und das
uns einen tiefen Einblick in das Kulturleben seiner einstigen Bewohner
gewährt, die Erwartung bis jetzt nicht erfüllt, daß die aufgefundenen
Dokumente auch das Zeitrechnungwesen der Ägypter vollständig auf-
hellen würden. Zwar konnte einzelnes klargestellt werden, und
manche Frage hat ihre Bereicherung erfahren, aber das Hauptproblem^
in welcher Weise sich die Form des Jahres in Altägypten allmählich
entwickelt hat, harrt noch der Lösung; ja dieses Problem hat sich
viel komplizierter gestaltet als in der zurückliegenden Zeit der Zeit-
rechnungskunde, wo man, wie z.B. Idelee, noch ausschließlich auf
der i'berlieferung der Klassiker fußen mußte.
Die Geschichte der wissenschaftlichen Wiederentdeckung Ägyptens
kann hier nur ganz flüchtig berührt werden. Die französische Livasion
1798 — 1801 vermittelte die erste Bekanntschaft mit den alten
§ 31. Astronomie. Quellen fiir das Kalendenvesen. 151
ägj'ptisclien Denkmälern; die Expedition CHA.-MpohLiox-KosELLixi
1828 — 34 und die preußische unter Lepsius 1842 — 45 legten den
Grund zur systematischen Durchforschung der Altertümer. An sie
schlössen sich die Arbeiten von H. Biudscn, Dümichex, de Rouge;
1866 fand Lepsii-s die für die ägyptische Kalendergeschichte so
wichtige Inschrift des Steins von Tanis, 1850 begann Mariette die
Ausgrabungen, welche 1859 zur Gründung des Museums von Bulaq
führten. 1884 wurde von französischer Seite die J/issio?i arf7zr'o%igi<e
frcmraisc. und englischerseits der Egypt e.rploration fimd gegründet. —
Die Erforschung der Sprache der Denkmäler begann mit der Ent-
zifferung der Schrift durch Champollion 1824. Die hieratischen
Texte wurden von Rouge, Chabas, Goodwix, die demotischen von
H. Bkugsch erklärt, die wissenschaftliche Durcharbeitung der Sprache
ist besonders durch Ermax (1880) in die Wege geleitet.
Von den ägyptischen Denkmälern können uns hier nur die astro-
nomischen und kalendaripgraphischen interessieren. Die
bis jetzt gemachten Funde (dieselben umfassen die zeitlich ver-
schiedensten Epochen) enthalten nur zum allerkleinsten Teil rein
astronomische Darstellungen, meist treten sie mit mythologischen in
Verbindung. Ältere solche Darstellungen, welche die Einteilung des
Himmels und dessen Götter zeigen, befinden sich an den Decken der
Königsgräber Sethos L, Ramses IV., Bamses VII., sowie im Tempel
Bamses IL Jüngerer Zeit angehörig sind die Bilder im Pronaos von
Edfn {Euergetes IL), in den Tempeln von Philac. Omhos, Enncnt
(unter Caesarion), und die beiden Himmelsbilder im Tempel zu
Bendera (römische Zeit). Hierher gehören auch die Tierkreise und
Dekanlisten auf den Innenseiten von Sarkophagdeckeln (Leyden,
Britisch Museum. Kairo und Louvre). Rein astronomischer Art, d. h.
auf Beobachtungen des Himmels beruhend, sind nur die Tafeln der
Sterne in den thebanischen Gräbern Bamses VI. und Bamses IX. ; die-
selben geben für bestimmte Stunden, von halbem zu halbem Monat
fortschreitend, die Stellung einer gewissen Anzahl Sterne an (Aufgang
oder Kulmination?) und gehören vielleicht der Zeit um 1100 v. Chr. an. —
Viel wichtiger als diese Denkmäler sind für die ägyptische Zeit-
rechnung eine Reihe von Dokumenten, die sich in Steininschriften
und auf PapjTus vorfinden. In erster Linie alte Festkalender in
Grabkapellen, die in die Zeiten der 4. Dynastie zurückreichen; der
Festkalender an der Außenseite des Tempels Bamses III. zu Medinet-
Hahu, und jener in einem der Propylone des großen Tempels daselbst;
die Kalenderfragmente aus der Zeit Thutmosls IIL {o^er Bamses IL)
zu Elejihaut'nie. die Papyrusbruchstücke aus Kahn» (12. Dj'nastie), die
jüngeren Kalender von Edfu und Esne, der Kalender von Dendera. Eine
Inschrift von hervorragender kalendariographischer Bedeutung trägt
152 Tl. Kapitel. Zeitrechnung der Ägvpter.
ein Stein aus Taais (äSiS sog. Dekret von Kanopus). Von den Pap3Tus
mit Kalendernotizen sind wichtig der Papyrus Sallier IV. (aus der
Eamessidenzeit) , und der merkwürdige Doppelkalender des Papyrus
Ebees (aus der Zeit um 1550 v. Chr.), der Leydener Papyrus mit
Angabe der 5 Epagomenen. Für die spätägyptische Zeit haben die
zahlreichen Papyrus von Kontrakten, Schuldscheinen und ähnlichen
Urkunden viele AVichtigkeit.
Die Schlüsse, die wir aus diesem Quellenmaterial in betreff der
astronomischen Kenntnisse der Ägypter ziehen können, sind wenig
günstige. Danach kannten die Ägypter den Zodiakus, die Dekane,
die vornehmlichsten Sternbilder, sie benannten eine Anzahl Sterne
mit Namen, unterschieden die Planeten von den Sternen % sie
beobachteten die heliakischen Aufgänge des Sirius und führten Zeit-
bestimmungen mittelst Sternkulminationen aus. Die Resultate aus
letzteren können, nach den sehr primitiven Instrumenten, die aus der
alten Zeit bekannt geworden sind'^, nur sehr rohe gewesen sein. Ob
ein weiteres, tieferes Wissen, z. B. über die Bewegungsverhältnisse
der Planeten u. s. w. vorhanden war, läßt sich aus den Denkmälern
1) Bilder der Zo diakalzeichen findet man u. a. in dem runden Tierkreise
von Dendera (Abbildung bei Lepsius, Wandgemälde, Taf. 35) und auf dem bei
Cailliaud, Voyaye ä Meroe, II Taf. 69 veröffentlichten Sarge der Kaiserzeit. Die
Zodiakalbilder sind: 1. Taschenkrebs = Krebs. 2. Löwe auf einer Schlange =
Löwe. 3. Göttin mit einem Zweige = Jungfrau. 4. Wage (mit der Sonnenscheibe
auf dem Wagebalken). 5. Skorpion. 6. Tiermensch, aus Teilen eines Löwen,
Pferdes, Skorpions vmd Menschen zusammengesetzt, den Bogen abschießend =
Schütze. 7. Bock ohne Hinterbeine, mit Fischleib = Steinbock. 8. Nilgott, Wasser
aus zwei Krügen gießend = Wassermann. 9. Fische. 10. Widder. IL Stier.
12. Zwei Götter, einander bei der Hand haltend = Zwillinge. Diese Bilder sind
aber so gut wie vollständig aus den bekannten griechischen Formen abgeleitet,
welche die etwa vorhanden gewesenen altägyptischen fast verdrängt haben. Über
Spuren des babylonischen Tierkreises in den ägyptischen Darstellungen s. F. Boll,
Sphaera, Neue griech. Texte u. Unters, z. Gesch. d. Sternbilder , Leipzig 1903,
S. 190. — Einige Reste der älteren Vorstellungen lassen sich aus den ägyptischen
Namen erschließen. Vgl. darüber Brügsch, Aegt/ptologie, S. 346, Spiegelbekg und
W. M. Müller, Orient allst ische Liter. Zeug. V, 1902, S. 6. 135 u. 228, VI, 1908,
S. 8. — Listen der Stellung der Planeten im Tierkreis: Demotische Papyri aus
dem Kgl. Museum zu Berlin, S. 29, und auf den STOnAKTschen Tafeln. Gegen-
überstellungen der Monate und der Tierkreiszeichen auf einem Ostrakon bei
Spiegelherg, Orient. Liter.-Zeitg., V 6 u. 136; ähnlich der Text Orient. Lit.-Zeitg.,
V 223. — Die Namen der Planeten aus der älteren Zeit und die etwas davon ab-
weichenden aus der jüngeren Zeit s. bei BRUGscir, Äegyptologie und Spiegelhkrg
(a. a. 0., V6).
2) Über die vermutliche Methode, nach welcher die Zeitbestimmungen mittelst
des Mierec/t-Instrumeutes genuicht worden sind, vgl. Boucuardt, Zeitschr. /'. dgypt.
Spr., XXXVII, 1899, S. 10 (mit Abbildung erhaltener Geräte im Berliner Museum,
die aus dem 15. und 6. Jahrh. v. Chr. stammen), ferner Romiku, Calcul de l'henre
chez les anc. Kgypt. {Hecueil de travaux rcl. ä la phil. nrcheol.. XXIV, 1902, S. 135).
§ 31. AstroiMiiiiic. <i>ii(llcii für «las Kiilondcrwcscii. ]^)?)
nicht beurteilen. Den ägyptischen Tierkreisen hat mau astronomische
Orientierung und liohes Alter zusprechen wollen, aber diese Schlüsse
sind haltlos, und auch bei den jüngeren Darstellungen (Ih-iKlfm-
Kreis) handelt es sich wahrscheinlicli nur um astrologische Zwecke.
Von beobachteten Finsternissen findet sich in den Quellen nichts
vor, und die ägyptischen Denkmäler weisen in dieser Beziehung eine
ebenso auffällige Leere vor wie die Überlieferung der Inder. Die
einzige, wie es früher schien, auf einer Wandinschrift in Theben ge-
meldete Mondfinsternis unter Takelotliis IL ist nach der EisEXLOHRSchen
Textrevision zu A\^asser geworden. Und doch haben wir gerade
die Aufzeichnung beobachteter Sonnen- und Mondfinsternisse als das
Hauptmittel erkannt (s. Babylonier), durch welches sich die alten
Völker auf dem einfachsten Wege die näherungsweise Kenntnis der
Sonnen- und Mondbewegung und der dieselbe einschließenden Perioden
verschaffen konnten, und haben bemerkt, inwiefern diese Perioden
die unmittelbare Vorstufe bei der Ordnung der Zeitrechnung bilden.
Wenn Ptölemäis im Almagest meist nur von babylonischen und
griechischen astronomischen Beobachtungen spricht, nicht aber von
ägyptischen, so muß wohl der Grund davon der Mangel an solchen
gewesen sein. Es fehlt in der ägyptischen astronomischen Über-
lieferung — dies muß ganz besonders hier hervorgehoben werden — in
dem bis jetzt gefundeneu Material jede Spur von systematischer
Beobachtungstätigkeit, welche etwa der uns in den astronomischen Keil-
inschriften der Babylonier entgegentretenden vergleichbar wäre. Und
ohne solches Beobachten ist das Erreichen einer gewissen Stufe astrono-
mischer Kenntnisse undenkbar. In späterer Zeit, vielleicht jener der
Ptolemäer, mag die Astronomie vorgeschrittener gewesen sein, allein da-
mals hatte sich auch die griechische Astronomie schon vervollkommnet,
und beträchtlich vor der Zeit Christi verbreiteten sich solidere asti'O-
nomische Kenntnisse in Asien nach dem Osten und Süden hin, von
einem Zentrum ausgehend, als welches wahrscheinlich Babylonien an-
zusehen sein wird. Einzelne Forscher sind in ihrer Begeisterung für
das Alter der ägyptischen Kultur soweit gegangen, den Ägyptern die
Kenntnis der Präzession zuzuschreiben (wie es Lepsius, gestützt auf
Aeistoteles, de coelo , II 12, Sexeca, Quaesf. nat., VII 56, Diodor
I 69, 81 u. a. Klassiker, versucht hat); wenn wir aber die Kenntnis
dieses Elements noch nicht einmal bei den Babyloniern voraussetzen
dürfen (vgl. S. 31), bei welchen die Entwicklung und Ausübung einer
messenden Astronomie außer allem Zweifel steht, um wieviel weniger
darf man solche Kenntnis den Ägyptern zumuten, bei denen (wenig-
stens nach den bis jetzt gefundenen Denkmälern) keine Spur eines
astronomischen Messens sich vorfindet.
Die geringe Entwicklung der Astronomie, die wir also gegenwärtig
154 II. Kapitel. Zi'itrochiiuug der Ägypter.
noch für das alte Agj^pten voraussetzen müssen, hat aber auch eine Kon-
sequenz für den Stand des Zeitrechnungswesens. Die Annahme, die man
gemacht hat, wird nicht gerechtfertigt, daß in Ägypten mehrere Jahr-
formen gleichzeitig nebeneinander gehandhabt worden seien (nach
Lauth, Kiel, Brugsch vier- und mehrerlei Jahresarten). Ein solcher
Zustand der Zeitrechnung würde, um Verwirrungen zu vermeiden,
eine entsprechende verläßliche astronomische Kontrolle der Jahres-
gattungen notwendig gemacht haben, und eine solche konnten die
ägyptischen Priester nach dem , was hier auseinandergesetzt worden
ist, schwerlich ausüben.
§ 32. Der Nil in seiner Beziehung zur ägyptischen Zeitrechnung.
In der Jetztzeit beginnt das Steigen des Nilwassers an der Süd-
grenze Ägyptens in der letzten Woche des Juni, mehrere Tage (3 — 9
Tage) nach dem Sommersolstitium. In Kairo bemerkt man das An-
wachsen des Stroms in der ersten Juliwoche. Nach etwa 7 Tagen
nimmt das Ansteigen schneller zu, und gegen Mitte August hat der
Nil zwei Dritteile der Differenz zwischen Maximum und Minimum
erreicht. Dann beginnt auch der Durchstich der Dämme zur Be-
wässerung des Landes. Das Maximum der Niltlut tritt ungefähr
zwischen dem 20. bis 30. September ein, und die Fluthöhe bleibt bis
Anfang November ziemlich dieselbe, dann fällt das Wasser rasch bis
Mitte November etwa auf die Hälfte seiner Höhe ab, hierauf folgt
langsames Zurücktreten, so daß um Ende Mai der Nil wieder seinen
tiefsten Stand erreicht hat. Die Aussaat der Frucht in den Nil-
schlamm erfolgt dementsprechend im November, die Erntezeit ist
März -April in Oberägypten, für die nördlicheren Gegenden Aussaat
und Ernte später, Ende November resp. Ende Mai. Je nach den
meteorologischen Jahresverhältnissen in den abessinischen Gebirgen
finden in diesem regelmäßigen Abwechseln zwischen Überschwemmungs-
und trockener Zeit zeitweilige Verfrühungen oder Verspätungen statt,
begleitet oft von beträchtlichen Verschiedenheiten in den Maxima der
jährlichen Fluthöhen.
Diesen angedeuteten Verhältnissen gemäß lassen die klassischen
Schriftsteller das x^inwachsen des Nil meist um die Zeit der Sonnen-
wende beginnen: Heroüot II 19 und Diojjok I 36 and twv tqottwv^
Heliüdok IX 9 zaTa rag rgoncig , iVMMiANrs XXII 15 cum sol per
cancri sidus coeperit vehi, LrcAxrs X 298 in ipsis solstitiis, Akis'ikidks
im löyog yllyCnzioq (Dind. II 462) voonalg t^egivalg /) öXiyo) ßfjaövr^Qov.
Das schnellste Steigen setzen sie in das Zeichen des Löwen (Juli-
August): LucANus X 233, Plinius XVIII 162. Plvt. Is. 38 u. a. Die
V? 32. ])(,'r \il in seiner Ik'ziehmi^^ zur ägy)itischon Zcitrccliniing. 155
größte Höhe hat der Nil nach Hekodot und Diodor am 100. Tage, zur
Zeit der Herbst-Tag- und -Xachtgleiche.
Bei der großen Wichtigkeit, welche der Nil für Ägypten hat, ist
es selbstverständlich, daß die Hauptabschnitte der Überschwemmung
von alters her durch Feste gefeiert worden sind. Im koptisch-
arabischen Kalender haben sich solche Feste und eine Reihe von
Niltagen erhalten, die wir bei der Zeitrechnung der koptischen Christen
kennen lernen werden. Hier seien nur folgende hervorgehoben: „die
Nacht des Tropfens" {Iclet-eii-nuqtah), welche die Überschwemmung
einleitet, wird auf den 11. Paijni (5. Juni jul.) gesetzt, das Anwachsen
des Nil 3 Tage nach dem Sommersolstiz 18. Faijni (12. Juni), die
öffentliche Verkündigung des Nilstandes auf den 26. Pai/ni (20. Juni),
das Fest der ., Vermählung des Nil" auf den 18. Mesori (11. August
jul.). In den Inschriften von Silsüis, die aus der Zeit Bmnses IL
\müRamsesin.{V^.mi([ 12.Jalirh. v. Chr.) herrühren, finden sich zwei Nil-
feste auf den Ib. Thoth und Ih. Epiphl angesetzt, welche nach m\
RoroE die Ankunft des Nilwassers in SUsilis und die Zeit des tiefsten
Wasserstandes markieren. Der 15. Thoth entspricht im alexandrinischen
Jahre dem 12. September, der 15. Eplphl dem 9. Juli, und beide
Daten liegen um 10 Monate auseinander. Da wir das Anwachsen
des Nil aber gegen Ende Juni oder Anfang Juli gefunden haben, so
würde es sich in den Inschriften um eine bedeutende Abweichung
gegen die gewöhnlichen Annahmen handeln. Gehen wir jedoch in die
alte Zeit, etwa auf 3500 v. Chr. zurück, so finden wir, daß damals
das Sommersolstiz und der heliakische Siriusaufgang ziemlich auf ein
und denselben Tag, den 20. Juli (vgl. § 40) fielen. Der 1. Thoth des
Siriusjahres begann mit letzterem Tage, also lag der 15. Thoth bereits
im August. Im 13. Jahrh. v. Chr. war dagegen das Sommersolstiz
am 1. Juli und also gegen den Beginn des Siriusjahres (da der helia-
kische Siriusaufgang ungefähr auf dem 19. — 20. Juli haften blieb)
schon um fast 3 Wochen verschieden. Da man den Anfang der
Überschwemmung mit dem heliakischen Siriusaufgauge zu verbinden
gewohnt war, aus der Zeit, wo noch mit ihm das Solstitium zusammen-
fiel, so setzte man aus alter Gewohnheit das Fest der Verkündigung
des Nils wie ehemals auf den 15. Thoth.
Die Notwendigkeit, die Bebauung des Landes und die Ernte der
Zeit nach zu regeln, und also auch nebenbei die Naturfeste der an-
gedeuteten Art, die die einzelnen Überschwemmungsabschnitte markieren,
zur richtigen Zeit zu feiern, führte jedenfalls schon in sehr früher
Zeit aus der Beobachtung des Nil zu der Erkenntnis der ungefähren
Länge des Jahres, und zwar des Sonnenjahres, da nur innerhalb eines
solchen die Nilerscheinungen sich regelmäßig wiederholen. Ein Mond-
jahr, wenn es in Ägypten überhaupt gebraucht worden ist, müßte in
156 II. Kapitel. Zeitreohnune: der Ägypter.
die ältesten Zeiten, wo das Land noch wenig kultiviert war und
man noch keiner Ordnung der Zeit nach der Sonne bedurfte, zurück-
reichen und müßte wohl aucli bald wieder verlassen worden sein.
Die Nilüberschwemmungeu führten aber nicht bloß zur Erkenntnis
des Sonnenjahres , sondern auch zur i^ufstellung der Tetramenien des
Jahres, wie wir sogleich sehen werden.
§ 33. Mouate, Jahreszeiten, veränderte Bedentung der Zeichen
der letzteren.
Die 12 Monate hatten möglicherweise ursprünglich keine eigenen
Namen, sondern wurden bloß nach der Ordnungszahl benannt. Mit
der Ausbildung der ägj^ptischen Mythologie erhielt jeder Monat seinen
Namen nach einer Gottheit, deren Fest in ihn fiel. Darstellungen
der ägyptischen Monatsgottheiten finden sich hie und da auf den
Denkmälern. Aus den Namen dieser Götter und den Namen ihrer
Feste lassen sich so ziemlich alle Monatsnamen ableiten. Champollion
und Mure waren die ersten, die die Monatsgötter mit den Monaten
in Verbindung gebracht haben; der erstere fand die Darstellungen
in den Tempeln zu T/tehen und Edfu auf, der andere versuchte
die Erklärung der Namen der Monate \ In der älteren Zeit scheinen
die Monatsnamen mehrfach gewechselt zu haben ; vielleicht ist die Zu-
teilung der Götter in den einzelnen Teilen Ägyptens eine ver-
schiedene und in der älteren Zeit schwankende gewesen. Es traten an
die Stelle der alten Monatsgötter im Laufe der Zeit eben andere,
bekanntere. Im folgenden gebe ich die hieroglyphischen Zeichen, die
koptischen Namen der Monate, nämlich die boheirischen (unter-
ägyptischen) und sahidischen (oberägyptischen), daneben die Monats-
Schutzgötter und die Ableitung der Monatsnamen.
Zeichen Name boheirisch Patrone
und sahidisch
1. "T m § = Thoth •-• I ^' """''" (^''''', "/t '"" '"■ ^"'""'
ii^i ^ I g oooyv ^t.y^ l und Techi.
(Ptah. Der Name bedeutet
^ /^-x^^^Q _ p, j. (1). ncvoni J ^der von (^e (Karnak)^
- W ^m,^ - inaop/ll I g_ „^^„, „oo„J AndereBezeichnungMeu-
A Andere
[ chet.
1) Salvolini, Des princip. expressions qui servent ä la notation des dates sur
les monuments de l'anc. Efiypte, Paris 1833. — Murk, A dissertation on tlie aalender
and zodiac of anc. Egypt., Edinburg 1832.
2) Über die Etymologie mehrerer Monatsnamen s. Erman, Monatsnamen aus
dem neuen lieich {Zeitsclir. f. ü(jypt. Spr., XXXIX, 1901, 129). — Über die Ver-
änderungen in der Zuteilung der Monatsgötter s. Wiedkmann, Zu den ägypt.
Monatsnamen {Orient. Lüer.-Zeüg., VI, 1903, S. 1).
§ 33. Moiiiite, Jahreszeiten, veränderte IJeileutung der Zeielien der letzteren. lo t
Zeichen
Name
boheirisch
und sahidisch
Patrone
3. III
llll
§ = Ath
in'
o _
III
II
0. I
10. 'TT
11. 11?
12. lTiT
AA/'-^'^A
AA./\A/\A
AAAAAA
CllOKth'
= Mi'chir
= PhamcnotJi
= Pliannuthl
=■ Pachoit
= Payn'i
■-= Epiplii
= Mesorl
iHatlior, nach welcher der
\ Name.
s. oö.-iiuy>
b. x*^'*-*^ f Sechemet. Der Name von
S. K!e.2^KXOie-e«''^ ^^^ '^^SyP^- Ke-hi-ke.
b. ruifii
s. xiujip
b. f^üvjuienui^
pejuio6.-rn
b. (^».pAioy-ei
S. nei.pju.uyxe
b. n*.^uin
S. n&.u3onc
b. iiikUini
S. nÄ.iuuenA.*.nH
b. eiiHTi
s. enen
b. AAecaipH
S. JuecmpH
(Andere Bezeichnung ScJief-
\ fcoie und, Fahrt der Mut".
{Dargestellt durch einen
Schakal od. ein Nilpferd.
Ägypt. Name Pen-pe-
mechir („der deB Mechir").
[Dargestellt wie Mechir. Der
, Name bedeutet ,Der des
l Königs Amenophis'^ .
(Göttin Benenntet, nach der
i der Name.
fChonsu, nach dem der
i Name.
fHar-chent-echtai. Der Name
bedeutet wohl „der des
Tales" (nach dem „Fest
[ des Tales").
/ Göttin i^jeiC?). Alter ägypt.
I, Name epep.
Be-har- achte. Der Name
bedeutet .Geburt des
J^e". Andere Bez. „das
Leben des Horus".
Die griechischen Namen der Monate, die bei den Klassikern vor-
kommen, decken sich fast mit den eben angeführten boheirischen
Xamen. Es sind fokende:
1. Qa>&
2. fpatoffji [<^lia(jü(ft)
3. 'Ad-vo
4. Xoiax
5. Tvßi [Tvßi)
6. Me/io
7. (Pa^svuid
8. ^liccQfjLOV&i {(Pagfioi&i)
9. flaycöv
10. riavvi [riaivi)
11. Emcpi ['Eni(f)
12. MwMgi [MsGoor]
Die boheirische Aussprache der Monatsnamen ist, da sich auch die
Eegiernng derselben bediente, die im Lande hauptsächlich herrschende
158 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
geworden. Viele Dialektformen der gTiechischen Namen sind auf den
ägyptischen Ostraka ersichtlich (den Topf scherben , auf denen all-
gemein die Quittungen über Geldbeträge, Steuerzahlungen, Natural-
lieferungen u. dgl. geschrieben wurden). Die bemerkenswertesten
dieser Varianten sind nach U. Wilcken {Griechische Ostraka aus
Ägypten ii. Nuhien, 1899, I 807 ff.) folgende:
1. Thoth. 6mv& oder Gcüvr in der Ptolemäerzeit ; in der Kaiser-
zeit 0üi& oder GwT ; selten ist &iÖvt.
2. Phaophi. ^iabJcfi allgemein üblich; ausnahmsweise Ilawm,
3. Äthyr. 'Ad-ig übliche Form.
4. Choiak. Xoiax oder Xoiay\ beide Formen kommen vor.
5. Tyhi. Tvßt übliche Form; selten Tvßs, Tvßu.
6. Mechir. Ms^ig oder Mix^ig.
7. Phamenoth, (lia^evcuß übliche Form; vereinzelt 'PajusvboT.
8. Fharmuthi. <Pagfiov&i übliche Form; vereinzelt (liagjnovri.
9. Fachon. na^ojv übliche Form; ältere Uaxt^vg.
10. Payni. IJavi/c übliche Form; auch Ilaolvi, Ilavvr] und ITaovi.
11. Epiphi. 'Eni(f o^Q,Y'Emicf>] a^ndere: 'EcfsiTi, Ecfsicp^^EndTi/ETtin.
12. Mesori. Meaogi] übliche Form; Msüog)]i, Ähaugr/, Msoovg)].
Auf den Ostraka der Kaiserzeit und in manchen Papyri kommen
Monatsnamen vor, die zum Gedächtnis der römischen Kaiser oder der
Mitglieder dieser Herrscherfamilien gebildet worden sind; sie werden
teils allein genant, teils neben den entsprechenden makedonischen oder
ägyptischen Namen. Auf den Ostraka aus der Ptolemäerzeit kommen
die makedonischen Monate nicht vor. Die Monatsnamen, die bisher
gefunden wurden und von denen nur ein Teil mit den ägyptischen
Namen identifiziert werden konnte, sind folgende:
:^aßuor6q = Thoth.
Niog ^sßaoTog = Äthyr.
'^öoiavoq = ChoinJx.
Eegfiaviy.eiog ' = Pachon.
Kaiödgsiog = Mesori.
^MTiigtog =
Negwreiog =
NegaivHog ^sßaßTog —
Otoyivaiog —
/JgovGievg =
/JouiTiavog =
^eßaöTog Eiosßsiog -
§ 33. Monate, Jaliroszeiten, veränderte Bedeutung der Zeichen der letzteren. 159
Aus den vorher angegebenen hieroglyphischen Zeichen der .^^onate
ist ersichtlich, daß je 4 ]\Ionaten ein und dasselbe Zeichen zukommt,
und zwar ,TH}I den Monaten Thoth, Fhaopid, Ät/njr und Choiak,
dem Tijhl , Mcchir, Phamenoth und Phannuthi, und ^^ dem
Fachon, Pai/ni, Ep'iphl und Mi'soyi-^ die Ordnung der AEonate wird
durch den Zusatz des Zeichens für erster, zweiter, dritter, vierter
ausgedrückt. Diese Zusammenfassung von je vier Monaten (Tetramenie)
unter einem Zeichen führt auf die ursprüngliche Dreiteilung des Jahres
nach Jahreszeiten. Und zwar sind dieselben folgende:
§ echet, die Überschwemmungszeit, mit den Monaten Thoth,
Phaophi, Athijr, Cho'iah:
2')'öjef, der Winter, die Saatzeit, mit den Monaten Tijhl, Me-
ch'ir, Phamenoth, Pharmuthi;
c^
C3C3 schömii, der Sommer, die Erntezeit, mit den Monaten Pachon,
^^^^^^^ Payn'i, Epiphl, Mesori.
DiüDüß Sic. (I, 11. 12. 16) kennt schon diese Dreiteilung bei den
Ägyptern, er führt sie in der Ordnung Frühling, Sommer, Winter
an und legt jedem Jahresabschnitt vier Monate bei. In der Tat
mußte, wie wir in § 32 gesehen haben, aus dem Verhalten des
Nilfiusses in Ägypten schon frühe die Annahme einer Überschwemmungs-
zeit, einer Zeit der Aussaat und einer Zeit der Ernte gemacht, also
eine Dreiteilung des Jahres aufgestellt werden. Die vorher ange-
führten hieroglyphischen Bezeichnungen der Monate finden sich daher
schon in alter Zeit vor; in der noch älteren weisen Spuren (z. B. auf
dem Annalenbruchstück von Palermo) darauf hin, daß man die
12 Monate fortlaufend gezählt hat.
Da wir für die Ägypter der alten Zeit annehmen müssen, daß
sie mit einem Wandeljahre von 365 Tagen gerechnet haben , so ver-
schob sich ein solches Jahr allmählich gegen die Jahreszeiten; denn
bei Nichtberücksichtigung des überschüssigen Vierteltages (des festen
Jahres von 365^/^ Tagen) waren die Ägypter in 500 Jahren um etwa
4 Monate gegen die Wiederkehr der Jahreszeiten zurück. Wenn man
also in der alten Zeit das Jahr gleich nach dem Sommersolstiz , mit
der Überschwemmungszeit anfing, reichte die Wasserjahreszeit vom
1. Thoth bis 1. Tijhi, verschob sich aber ein halbes Jahrtausend später
so weit, daß dann der 1. Tijhl den Beginn der Wasserzeit machte,
und endlich auch der 1. Pachon, wie es aus nachstehendem Schema
hervorgeht:
160 II. Kapitel. Zcitrecliiiung der Ä;^y))ter.
Wiisserzeit: Früliling: Erutezeit:
18. Jh. V.Chr. [Zeit der 15. Dynaslie] Pachon-Mesori, Thoth-Choiak, Tyhi-Pharmuthi,
18. ^ , [ ^ liamses IL, 19. Dju.\ T/iotJi-Choiak^ Tybi-PiKtrmuthi, I'achon-Mesori,
8. , , [„ der 25. Dynastie] T//bi-F/iarimithi, Pachon-Mesori, Tlioth-CItoiak,
3. , „ [ , der Ptolemäer] Pachoit-Mcsori, Thoth-Clioiak, Tijhi-Pharmuthi.
Daß an der Dreiteilung- des Jahres auch in der Praxis festgehalten
wurde, beweisen einzelne Feste, die man beim Beginn der drei Jahres-
zeiten feierte. Diese Feste sind in den Inschriften deutlich g^etrennt
von jenen, die sich auf astronomische Verhältnisse beziehen. Der
Beginn der Jahreszeiten wird in den Inschriften öfters als „Kopf"
oder „Anfang-" der Jahreszeit markiert'.
§ 34. Tageseinteiluug und Tagesanfang.
Soweit aus einzelnen Denkmälern ersichtlich, wurde der Tag
{Jiorw) in 24 Teile, nämlich 12 Tag- und 12 Nachtstunden ge-
teilt. Es sind also augenscheinlich horae temporales, ungleich lange
Stunden, gemeint. Die Tagesstunden erscheinen durch Göttinnen
repräsentiert, welche die Sonnenscheibe O über dem Kopfe tragen,
die Nachtstunden als Göttinnen mit dem i< . Die Stunden werden
gewöhnlich nach der Ordnungszahl, als erste, zweite u. s. w. des Tags
oder der Nacht angegeben. Außerdem haben aber die Stunden besondere
Namen, mit Abweichungen in den älteren und jüngeren Texten. Die
Kenntnis dieser Namen ist von Wichtigkeit, da ohne die Namen der
Stundengöttinnen manche Texte unverständlich bleiben. (Vgl. das
Namenverzeichnis bei BKr(i8CH, Thesaur. Inscript. Aegijpt.. 1883, II,
S. 843, und in Beziehung auf jüngere Namen die Angaben von
DüMicHEN, Zeitschr. f. ägypt. Spr., III, 1865, S. 1—4.) Über die Art
der Unterabteilung der Stunden und die Benennung dieser Teile ist
1) Dem kundif^en Leser, welcher mit dem ägyptischen kalendariographischen
Material vertraut ist, wird nicht entgeheu, daß ich von den Umschreibungen der
ägyptischen Namen, sowie von den Übersetzungen der Inschriften, welche Biuigscii
in seinen Arbeiten und namentlich in seinem Thesaurus Inscript. Aegypt. uns in
reichster Fülle dargeboten hat, verhältnismäßig nur wenig anführe. Ich hatte
zwar dieses Material gesammelt und auch schon in den §§ 38 — 38 der obigen Dar-
.stcUungeu verarbeitet. Allein die BKUGSCuschen Deutungen unterliegen vom Stand-
punkte der heutigen Ägyptologie aus mancherlei Bedenken und schließen häufig
Unsicherheiten in sich, so daß' ich es schließlich für richtiger erachtete, nur davon
das Haltbarste zu zitieren, um der Gefahr zu begegnen (die für alle naheliegt, die
sich mit der Sache weniger beschäftigt haben), daß jene Resultate als etwas Fest-
stehendes betrachtet und Schlüsse darauf gegründet werden könnten. In Hinblick
nuf die Wichtigkeit jenes Materials wäre es sehr an der Zeit, wenn durch einen
mit dem Gegen-stande vertrauten Ägyptologen der Versuch einer neuen sprach-
lichen und textlichen Bearbeitung des kalendarischen Inschriftenstoff'es gemacht
^Verden würde.
§ 34. Taffeseiiiteilunf,' und Taf.'-esjinfan'r. 161
nicht viel Sicheres bekannt. Auf einem Pylone von Kamak lieilJen
in einer Inschrift die Stunden totnt, die kleineren an sie gereihten
Zeitabschnitte werden nf. hat, K/it, genannt. Es wäre voreilig, in
diesen Bezeichnungen dünnten, Sekunden, und gar Tertien sehen zu
wollen, da vielleicht nur das Bestreben ausgedrückt werden soll, die
Aufzählung von Zeiten durch das Anhängen üblicher Ausdrücke über-
haupt zu verlängern, ohne daß der ^'erfasser damit genau abgegrenzte
Zeitbegriffe meint. Etwas ganz Ähnliches finden wir bei der in § 38 b)
angeführten Periode für die Verlängerung dieser Eeihe nach oben.
Was die Frage anbelangt, in welche Tageszeit die Ägypter den
Anfang des Tages setzten, so vereinen sich die Mehrzahl der
Zeugnisse auf den Morgen. Die nachstehende Stelle aus einer Inschrift
auf der Decke im Tempel Bamses IL zu Theben, welche Bkugsch^
zitiert, ist allerdings weniger entscheidend: „Er läßt dich (den König)
strahlen wie Isis-Sothis am Himmel am Morgen des Neujahres".
Beügsch glaubte hier „Morgen"- durch „die elfte Nachtstunde" defi-
nieren zu sollen, in Hinblick auf Theon {Schol. ad Arati Phaen. v. 152):
„Der Aufgang des Hundesterns findet um die elfte (Nacht-)Stunde
statt, und sie (die Ägypter) fangen damit das Jahr an und meinen, daß
der Hundestern und sein Aufgang der Göttin Isis geweiht sei" -. Wir
wollen von einer genaueren Zeitangabe in den beiden zitierten Stellen
absehen und nur annehmen, daß der Neujahrstag am Morgen, mit dem
Sichtbarwerden des Sirius in der Dämmerung, begonnen worden ist.
Setzen wir die Zeit Bamses II, der die obige Inschrift angehört, auf un-
gefähr 1300 V. Chr.-' und den Anfang des Sothisjahres auf den 20. Juli
(obwohl für Theben der heliakische Aufgang des Sirius um 4 Tage
früher fällt, s. § 39), und ermitteln wir für 1300 v. Chr., 20. Juli den
Auf- und Untergang der Sonne und den Aufgang des Sirius*, so resultiert
für den Aufgang der Sonne ungefähr die Zeit 5'' S'" mittlere Zeit
morgens für Theben, für den Sirius 3^48™; die Sonne ging den Tag
vorher etwa um Q^ 47™ abends unter, demnach lief die 11. Nachtstunde,
von Sonnenuntergang aus gerechnet, von 3"^ 25™ bis 4'^ l?'" morgens,
und der Aufgang des Sirius fällt in der Tat also in diese elfte Nacht-
stunde. Zugleich erhellt daraus, daß der Neujahrstag nicht genau mit
1) Brlgsch, Thesaur. Inscr., 1, S. 89.
2) 'H rov Kvvbg iTtiroli] xatu ivStv-ätriv mgav cpccivtrai. kuI tccvti]v Ctp;f^v
iTovg riQ'ivtai Kcd t/}s "Iciöog itgov eivat. top v.vva XiyovGi, v.al ri]v i-xirolr^v ainoi).
3) Ramses IL wird gegenwärtig etwa in die Zeit der zweiten Hälfte des
13. Jahrh. bis zum ersten A^iertel des 14. Jahrh. gesetzt.
4) Position des Sirius 1300 v. Chr. AR = 4h 20™, D = — 17^^ 45' (s. Taf. I
am Schluß d. Bandes), der Sonne (mit Hilfe von Necgebauers Sonnentafeln,
s. Einleitg. S. 54) a = 7h 3,4m, s = + 23"> 3,2'. Halber Tagbogen des Sirius
5h 24m für die Breite von Theben (25" 45' n, Br.), halber Tagbogen der Sonne
6I1 öO^i Zeitgleichung — 1,9".
Ginzel, Chronologie I. 11
162 11. Ka]>itel. Zeitrechnung der Ägypter.
dem Momente des Sonnenaufgangs, sondern mit der Morgendämmerung
überhaupt begonnen wurde (hier wohl etwa eine Stunde vor Sonnen-
aufgang), und in derselben Weise werden auch die übrigen Jahrestage
von der Morgendämmerung an gerechnet worden sein. Lepsius hat
aus dem wenigen, was über den Tagesanfang aus den Denkmälern bis
zu seiner Zeit (Chronol. d.Ägypt., 1849, I 130) bekannt war, mit Recht
auf den Tagesbeginn mit Morgen geschlossen, und Idelee (I 100) war
viel früher durch die Angaben von Ptolemäus im AJmngest schon zu
demselben Schlüsse gekommen.
Die letzteren Stellen bei Ptolemäus, die hier sehr ins Gewicht
fallen , haben besonders von A. Böckh ihre kritische Würdigung er-
fahren i. Ptolemäus gibt bei den Beobachtungen, die in der Nacht
gemacht sind, und insbesondere bei den nach Mitternacht ausgeführten,
ein doppeltägiges Datum, dagegen niemals bei den Tagbeobachtungen.
Dieser Zusatz war notwendig, wenn bei den in der Morgendämmerung
angestellten Beobachtungen kein Zweifel darüber bleiben sollte, welchem
Tagesdatum sie angehörten, denn die Zeit der Morgendämmerung
konnte sowohl zum Ende des abgelaufenen Tages, als auch als Anfang
des beginnenden gerechnet werden, wodurch bei einer nicht deutlichen
Bezeichnung ein Zweifel entstehen konnte, an welchem Tage die
Beobachtungen gemacht wurden. Eine Merkurbeobachtung , die z. B.
in der Morgendämmerung des 1. Januar angestellt ward, konnte im
entsprechenden alexandrinischen Datum dem 5. oder 6. T/jhi angehören,
je nachdem die Dämmerung an das Ende des 5. oder den Anfang des
G. Tyhi gelegt wurde, und konnte zu dem Mißverständnis führen, ob
der 5. oder der 6. Tyhi der Beobachtungstag sei, wenn die einen die
Dämmerung zum Ende des Tages, die anderen zum Anfang des Tages
hinzurechneten ; durch die Doppeldatierung 5/6. Tyhi d. h. vom 5. zum
G. Tyhi, aber wurde der Zweifel vermieden. Solcher entscheidender
Doppeldatierungen finden sich im Almagcst drei: a) Bei der Bestimmung
der Sommerwende im Jahre 463 vor Alexanders Tod heißt es-, sie
falle „auf den 11. Mesori nahe 2 Stunden nach der Mitternacht auf
den 12. Mesori'-^ 11/12. Mesori, d. h. die Bestimmung gehört noch
zum 11. Mesori; b) Hipparchs Bestimmung der Frühlingsgieiche im
43. Jahre der 3. Kailippischen Periode-' fällt „auf den 29. Mechir,
nach der Mitternacht auf den 30.;" c) ähnlich die Herbstgleiche des
32. Jahres der 3. Kailippischen Periode* „auf den 3. Epagomenentag,
in der Mitternacht, die zum 4. führt". Auch zwei andere Stellen, in
1) Üb. die vierjähr. Sonnenkreise der Alten, Berlin 1863, S. 303 f.
2) Almag. III 2 (1): rfj lcc (11) rov MtaoQi yitru ß (2) wQccg iyyvg rov sig t)]v
iß (12) fifffOWXT/oi'.
3) Almay. III 2 (1): rov Mij(^\Q rfj ytO" (29) iitrcc t6 utcorvartov t6 tig ti)v X (30).
4) Almag. III 2 (1) : rov ri/g tQlri]g rcJav inuyo^itvcov tig rljv rtTccQzrjV fif öovvxti'oi'.
^ 3L Tageseinteilung'- und 'J'iig('.s;inf;ing. 103
welchen zwar nur ein Tag- genannt ist, lassen erkennen, daß das
Datum nicht mit der Mitternacht wechselte; es wird jener Tag ge-
nannt, welcher der erste einer Doppeldatiei-ung sein müßte, wenn eine
solche gebraucht würde: a) Hitpakchs beobachtete Mondfinsternis im
55. Jahre der 2. Kailippischen Periode ^ wird auf den 9. Mcchir
gesetzt, obwohl der Beginn der Finsternis erst eine halbe Stunde vor
Mitternacht eintrat, und der Verlauf sich bis in den Morgen des
10. Mechlr erstreckte; b) auch die andere in demselben Jahre von
HipPAECH beobachtete ^Mondfinsternis vom 5. Mesori- wird noch zum
5. Mesori gerechnet, obwohl ihre Mitte bereits 2^3 Stunden nach
Mitternacht, also der Verlauf in die Morgendämmerung zum 6. Mesori
fiel. Ebenso drückt Ptolemäfs die Zeit zweier von Timochaeis in
den Morgenstunden gemachter Sternbedeckungs- Beobachtungen durch
Doppeldatierungen aus (Almag. VII 3).
HippAECH und nach diesem Ptolemäus beginnen also, wo es sich
um Datierung von Beobachtungen' handelt, den Tag mit dem Morgen.
Die Eechnung des Tages von Mittag ab, die sich bei Ptolemäus
(Ahnag. III 6) auch vorfindet, hat nur rein astronomische, nicht
chronologische Gründe für sich, und ist gerade deshalb in den Gebrauch
der Astronomen übergegangen. Die nähere Definition, was bei
Ptolemäus unter „Morgen" zu verstehen ist, leitet Böckh aus drei
Stellen des Ahnagest (IX 7, 8, 10) ab, wo von 2 Merkurbeobachtungen
und der zweiten der DioNTsischen Beobachtungen die Rede ist. Die
ersteren sind am 18. EjjipM resp. 18. Phamenoth E]g triv i& (19.)
oQifgov (Morgendämmerung) gemacht und werden nachher unter
19. Epiphi resp. 19. Phamenoth angeführt. Durch diese Doppel-
datierung ist ersichtlich, daß ögd-gog , die Dämmerung, die Zeit des
Tagesanbruchs, schon zum zweiten Tage der Doppeldatierung, zu dem
mit dem nächsten Sonnenaufgang beginnenden Tage hinübergezogen
wird. Man kann also im allgemeinen annehmen, daß die Ägypter
den Tag mit Tagesanbruch, etwa der 9. Nachtstunde (2^> Morg.),
spätestens mit der 11. (4 — 5*^ Morg.) begonnen haben, was mit dem
früher Gesagten übereinstimmt. Sie rechneten also von Dämmerung
zu Dämmerung. Wenn somit vom Morgen des 1. Thofh die Rede ist,
wird die den Tag 1. Thoth einleitende Morgendämmerung gemeint,
nicht die am Schlüsse dieses Tages wieder eintretende, den Übergang
zum 2. Thoth bildende Dämmerung. — Übrigens scheint auch aus
1) Almag. IV 10. Beginn nach 5M3 Stunden der Nacht = 23^ 28m mittlere
Zeit Alexandr.
2) Ahnag. IV 10. ,Und zwar war, wie er [Hipparch] sagt, die Mitte der
Finsternis ungefähr um S'/, Uhr", d. h. 2*1 lim mittlere Zeit Alexandr. (nach
Mitternacht).
11*
164 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
Stellen bei Censoein und Hephaestion liervorzug'elien \ daß die Zeit
um Sonnenaufgang die Grenzscheide der Tage bildete.
Die Bemerkung von Plixius (bist. nat. II 79), daß die Agj^pter
und HiPi'AKCH den Tag mit Mitternacht begonnen hätten, bestätigt
sich also schon aus dem Almagest in keiner Weise. Es gibt aber
noch einige Schriftsteller, die den Tagesanfang der Ägypter auf den
Abend setzen, so Isidoe (de natura rer. 1, etym. V 30): dies secundum
Aegyptios inchoat ab occasu solis, ähnlich Seevius (ad Aeneis V 738)
und Lydus (de mensibus II 1, vgl. a. Beda, de die, und de temp.
ratione); allein diese Autoren gehören bereits zu den späten der
Literatur und sind von keinem Gewichte. Eine Stütze für sie hat
man in den thebanischen Stundentafeln finden wollen. Diese Tafeln
geben für den Anfang und die Mitte jeden Monats die Nachtstunden
(von 1 bis 12) an, um welche eine bestimmte Stellung (Kulmination?-)
gewisser Sterne zu einander eintritt. Bei jedem ersten Monatstage
schreiben sie: „Thoth, Anfang der Nacht, Anfang des Jahres*',
„FJu(02)hi, Anfang der Nacht" u. s. f. ; sie scheinen also den Tag mit
Sonnenuntergang zu beginnen und rechnen die erste Nachtstunde von
letzterem an. Allein dies ist kein Argument dafür, daß der Tag
selbst mit dem Abend begonnen worden sei, da die Nachtstunden
ebenso wie die Tagstunden als etwas von einander Unabhängiges
laufen, jene von Sonnenuntergang, diese von Sonnenaufgang. Über-
dies findet sich bei den Tagen in der Mitte jedes Monats die be-
merkenswerte Schreibung ,,Thoth 16 — 15", „Phaophi 16 — 15" u. s. w.
Zwischen den Zahlen 16, 15 steht das Zeichen ^ .. Beugsch
{Materiaux, S. 106) hat in diesem Zeichen den Ausdruck „entsprechend"
oder „gleich" gesehen und eine Gleichung zwischen zwei verschiedenen
Datierungs weisen (einem „heiligen" Jahre und einem bürgerlichen)
angenommen. Die Bedeutung des Zeichens ist aber gegenwärtig keines-
wegs klar gestellt. Diese Datierungsform spricht für den Morgen als
Tagesbeginn und scheint in demselben Sinne wie die PTOLEMÄischen
Doppeldatierungen aufgefaßt werden zu müssen. Die Tafeln wollen
nämlich angeben, daß in der ersten Monatshälfte, vom 1. bis 15., und zwar
einschließlich der ganzen Nacht des 15., also bis zum Morgen am Ende
dieses Tages, diese und diese Stellungen von Sternen in den einzelnen
Nachtstunden stattfinden, daß aber von da ab, d. h. vom beginnenden
16. (Ende des 15.), vom Tagesanbruch ab bis zu Ende des Monats eine
veränderte Stellung der Sterne Platz greift, daß also (wenn Kulmi-
1) BüCKH, a. a. 0., S. 308—310.
2) 8. ScHACK-ScHACKENJsuRG {Ägyptol. Studien, I, No. 2, Leipzig 1902), welcher
in den Stundentafeln bestimmte Sternkidminatiouen sieht, die mittelst eines Appa-
rates zur Zeitbestimmung benützt worden seien.
§ 35. Dekiidcn (Woelifii; iin.l Doksine. 165
nationen gemeint sind) neue Sterne an Stelle der früheren (infolge
der merklich gewordenen Verschiebung des Sterntages gegen den
Sonnentag) eintreten.
§ 35. Dekaden (Wochen) und Dekane.
Für das Bestehen einer siebentägigen Woche bei den Ägyptern
konnte man schon früher nur die Worte eines einzigen der klassischen
Autoren, Dio Cassius, anführen: (Hist. Rom. XXXVII c. 17 u. 18)
„Wenn man die Stunden des Tages und der Nacht von der ersten
(Tagesstunde) zählt, diese dem Saturn, die folgende dem Jupiter, die
dritte dem Mars, die vierte der Sonne, die fünfte der Venus, die
sechste dem Merkur, die siebente dem Monde beilegt, nach der
Ordnung , welche die Ägypter den Planeten anweisen, und dies immer
von neuem wiederholt, so wird man finden, wenn man alle 24 Stunden
durchgegangen hat, daß die erste' des folgenden Tages auf die Sonne,
die erste des dritten auf den Mond, kurz die erste eines jeden Tages
auf den Planeten trifft, nach welchem der Tag benannt wird"; und
ferner: „Der Gebrauch, die Tage nach den 7 Planeten zu benennen,
ist bei den Ägyptern aufgekommen und hat sich seit noch nicht gar
zu langer Zeit von ihnen zu allen übrigen Völkern verbreitet. ..."
Wir haben aber gesehen (S. 121), daß der Ursprung der sieben-
tägigen Woche noch fraglich ist und nur im allgemeinen nach
Vorderasien, und vermutlich in die ältere Zeit, gelegt werden kann.
Die Bemerkung des überdies spät (im 3. Jahrh. n. Chr.) lebenden
Dio ÜAssirs, die sich wahrscheinlich auf die astrologische Woche
bezieht, hat keinerlei Gewicht mehr, seit durch Lepsius das Vor-
kommen einer zehntägigen Woche (Dekade) auf den Denkmälern
festgestellt worden ist. Dieses zehntägige Zeitintervall findet sich
bereits in den ältesten Inschriften unter der Bezeichnung O f) „die
zehn Tage" vor. Der erste Dekadentag jeder Periode wird durch
O n „Kopf, Anfang (oder erste) der Dekade" angezeigt und wurde
als Opfertag gefeiert ; ein solches Dekadenfest kommt z. B. schon in
dem Grabe des Methen (3. Dynastie) vor. Die Dekaden laufen auf
den Denkmälern von 10 zu 10 Tagen fort, und zwar ohne Unter-
brechung auch über das Jahresende hinweg. Da das Jahr aus
36 Dekaden und 5 Epagomenentagen besteht, so fallen die Anfänge
der Dekaden abwechselnd in einem Jahre auf den 1. Thoth, im darauf
folgenden Jahre auf den 6. Thoth, wie nachstehend: 1. 11. 21. Thoth,
1. 11. 21. Phaophi .... 21. Mesori , 1. Epagom., 6. 16. 26. Thoth,
6. 16. 26. Phaophi .... 26. Mesori, 1. 11. 21. Thoth u. s. f. Auf
einem Denkmalfragmente im Louvre z. B. heißt es: Choiak 11. bis
1B6 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
20. Tag-, Chotak 21. bis 30. Tag, Ti/hi 1. bis 10. Tag u. s. w.; in
dem Grabe Bamses IV. beginnen die Dekaden mit dem 6. Thoth und
schreiten von da um je 10 Tage fort. Das eine Jahr hatte also 36,
das andere 37 Dekaden. Auf den Himmelsbildern der Tempel werden
die Dekaden zu je drei zusammengefaßt, und über diesen Zeitraum
wird eine Schutzgottheit, der führende Dekan, g-esetzt. Auf dem
Dekanbilde von Edfn z. B. treten je 3 Figuren in 12 Gruppen in
ziemlich gleicher Anordnung auf: die erste Figur bringt das Opfer
dar; die zweite, mittlere hat die Gestalt einer Schlange; die dritte,
zug-leich die Hauptfigur jeder Gruppe, sitzt als Mensch mit Löwen-
kopf auf dem Thron und hat das Lotosszepter in der Hand. Ähnlich
ist die Darstellung der Dekane im Derulera- Tierkreis; dort hat die
Hauptfigur noch eine besondere Gottheit als Geleite, die hinter dem
Throne steht. Die Dekane galten als die Schützer und Sammler der
Seelen der Verstorbenen, welche zum Himmel emporsteigen und dort mit
den Dekanen am Anfange der Dekaden aufgehen. Demgemäß war der
Himmel (wie Ägypten nach den Klassikern) in 36 Gaue, nomos, ein-
geteilt; jeder Dekan-Stern hatte ein „Haus", aus welchem er beim Beginn
der Dekade hervortritt (aufgeht). An ihrer Spitze steht Isis-Sothis,
„der Regent der Dekane". Die Dekane führen eigene Namen, und zwar
mit wesentlichen Unterschieden in der jüngeren gegen die alte Zeit;
ferner erscheinen in der griechisch-römischen Epoche 8 neue Dekane,
wogegen frühere mit einander zusammengezogen werden u. s. w. Da
die Dekane nur in sehr wenigen Fällen kalendarisch gebraucht
werden, gehe ich auf diese Verschiedenheiten nicht näher ein, sondern
verweise betreffs der Namen aus der älteren und jüngeren Zeit, ihrer
Bedeutung und der ihnen zukommenden Gottheiten auf die Reihe der
Dekanlisten, welche Brugsch {Thesaur. Inscr. Aegijpt. I 131, 155) aus
den Gräbern Seüfi L, Bamses IV., den Königsgräbern der 20. Dynastie,
dem Pronaos von Eclfu und Dendera und aus anderen Fundstätten
mitgeteilt hat. Anzufügen an dieselben wären die Namen aus der
ältesten bis jetzt bekannten Liste aus dem mittleren Reiche, welche
Daeessy {Annales du Service des antiquites, I, S. 79 f.) nachgewiesen
hat. Zu bemerken ist, daß uns die ägyptischen Namen der Dekane
auch aus griechischen Quellen erhalten sind, was schon Champollion
erkannt hat. Diese Liste findet man ebenfalls bei Beugsch (Thes.
Inscr., I 166, und Äf/i/pfoJoi/ic, S. 340).
§ 36. Mondtage. Das hypothetisclie Mondjahr und Rimdjahr.
Die Epagomeneu.
Die Tage eines Monats werden gewöhnlich als erster, zweiter u. s. w.
gezählt, indem sesu (Tag) vor die Ordnungszahl gesetzt wird; der
i? 36. Mondtilge. Das liypotlictisflic iMoiid- u. Kundjalir. Dio Kjiagomeiien. 167
letzte wird nicht durch die Zahl, sondern durch den Zusatz alko „der
letzte" markiert. Bkuosch hat darauf aufmerksam gemacht, daß in
der jüngeren Zeit, in der Ptolemäerzeit und der römischen, sich noch
eine andere Bezeichnung der Monatstage vorfindet, bei welcher die
Monatstage durch den Namen eines Festes oder Erinnerungstages einer
Gottheit oder mj^thologischen Personifikation ausgedrückt werden. Eine
Liste dieser Namen der Monatstage findet man bei Brugsch, Ägyjjto-
log'ie, S. 332. Die Bedeutung dieser Tagesbezeichnungen ist größernteils
noch dunkel ; dem Sinne nach erinnert sie an den altpersischen Kalender,
wo die Monatstage ebenfalls nach Genien benannt werden. Daß be-
stimmte Stellungen der Sonne und die Phasen des Mondes in den Be-
zeichnungen der Monatstage ihre Berücksichtigung finden, sieht man aus
den Namen der Tage 11, 13, 25 und 1, 2, 6, 15, 18. Aber Brugsch
legt den letzteren Tagen eine tiefere Bedeutung bei. Nach ihm
weisen die Tage auf die Existenz eines Mondjahres hin. Die Monate
dieses Mondjahres seien mit den gleichen Namen der Monate des
Wandeljahres bezeichnet, und das Zusammentreffen bestimmter Mond-
tage (bes. des 1., 6. und 15. Tages) mit der gleichen Tageszahl in
einem Monat des Wandeljahres sei als „festliche Koinzidenz" gefeiert
worden. Dies führt uns vor die Frage, ob man annehmen darf, daß
die Ägypter in der alten Zeit eine Rechnung nach dem Mondjahre
gehabt haben.
Brugsch hat das Mondjahr für die Ägypter in verschiedenen Ver-
öffentlichungen (s. bes. Thesaiir. Inscr. Äegi/pf. 1 45 — 53, II 267 — 277,
280, 311, 476, Aegijpiologic 350, 335 u.a.) nachzuweisen versucht.
Nach seinen Ausführungen fänden sich die Spuren der oben genannten
30 Mondtage schon in den Inschriften aus dem Grabe Setis I. und
dem Eamesseum (Ramses IL), also in den Zeiten der 19. Dynastie, d. h.
im 15. und 16. Jahrh. v. Chr. In einer Inschrift Thutmosis IIL (18. Dyn.)
heißt es: „Im Jahre 23, Monat Paclion, Tag 21, Tag der Feier des
Neumondfestes", und in einer Bauurkunde im 24. Jahre desselben
Herrschers: „Ich befahl zuzurüsten die Ausspannung des Meßstrickes
für mich (d. h. die Grundsteinlegung), wenn eintreten wird der Tag
des Neumondfestes". Im Tempel Bamses IIL zu Mediuet-Habu: „Monat-
liche Himmelsfeste, Gaben allmonatlich, bei jedem eintretenden 29. Mond-
tage, beim eintretenden 30., am Neumondtage, am 2. 4. 6. 10. und
15. Mondtage". Aus dieser Verknüpfung bestimmter Mondtage (des
Neumondes , Vollmondes u. s. w.) mit Festen und Zeremonien , ihrer
Erwähnung bei den Totenfesten, welche den Verstorlienen im Lauf
des Jahres geweiht waren u. dgl., sowie aus dem Auftreten zahlreicher,
gleichzeitig nach dem Wandeljahr und dem Mondjahr datierter Doppel-
daten in der Ptolemäerzeit schließt Brugsch, daß die Anwendung
eines Mondjahres (bei gewissen feierlichen Gelegenheiten) außer allem
168 II. Kapitel. Zeitrechnung der Äg-ypter.
Zweifel sei und in seinem Ursprünge bis in die ältesten Zeiten der
ägyptischen Geschichte zurückgehe. Allein bis zur Begründung der
förmlichen Anwendung eines Mondjahres reichen die bisherigen
Inschriften nicht zu; die Vorausl)estimmung der wenigen Neu- und
Vollmonde, an denen Feste gefeiert werden sollten, konnte mit Hilfe
der ungefähren Kenntnis des 19 jährigen Zyklus hinreichend genau ge-
macht werden. Mehr ins Gewicht für eine Eechnung nach JMondmonaten
würde die Stelle fallen, welche in einem Papyrus über die Berechnung
der Monatseinkünfte des Tempels von Kahun^ enthalten ist: „Vom
26. des zweiten Erntemonats bis zum 25. des dritten . . . ., vom 20.
des zweiten Überschwemmungsmonats bis zum 19. des dritten . . . .,
vom 19. des vierten Überschwemmungsmonats bis zum 18. des ersten
Wintermonats . . . ., vom 18. des zweiten Wintermonats bis zum 17.
des dritten . . . ." Die Zwischenzeit der einzelnen Posten dieser
Tempelrechnung ist, wie man sieht, immer 29 Tage und geht viel-
leicht von Neumond zu Neumond. Diese Tabelle und andere ähnliche
könnten dafür sprechen, daß wenigstens innerhalb mancher Tempel
für gewisse Zwecke eine Rechnung nach dem Monde (wie genau, ist
ganz fraglich) gebraucht wurde.
Die Entwicklung des Jahres und einer geordneten Zeitrechnung
überhaupt hat zwar bei den meisten Völkern ihren Ausgang vom
Mondjahre genommen, und hervorragende Forscher wie Lepsius,
Leteonne, H. Martin haben sich deshalb auch betreifs der Ägypter
für ein Mondjahr, das in der ältesten Zeit vorhanden gewesen, aus-
gesprochen'-. Der erstere hat in der bei den Ägyptern vorkommenden
Periode, welche das „kleine Jahr" genannt wird (vgl. § 38) ein Mond-
jahr sehen wollen; er sagt: „Das natürliche oder künstliche Sonnen-
jahr ist seiner Natur nach erst ein wesentlicher Fortschritt einer
geregelten Zeitrechnung, es setzt bereits einen Kalender voraus.
Daher glaube ich, daß auch die Ägypter ursprünglich von einem
Mondjahre ausgingen und ihr Sonnenkalender schon einer höheren
Stufe ihrer Bildungsgeschichte angehört." Lepsius glaubte sogar an-
nehmen zu können, daß das ägyptische Mondjahr mit dem ersten
Neumonde nach der Sonnenwende begonnen habe. Allein ein Mond-
jahr müßte man in die zurückliegendsten, beinahe vorgeschichtlichen
Zeiten der Äg}T)ter setzen, in die Zeiten der Einwanderung aus
1) BoRCHAKDT, Der zioeite Papynisfund von Kahun (Zeitschr. /'. ö(jvx>t. Spr.^
XXXVII, 1899, S. 93; vgl. auch XLII, 1904, S. 34, 36, 38).
2) Lepsius, Chronol. d. Ägypt., I 155 — 159; Letbonne, Nouv. rech, sur le
calendr. des anc. Egypt, III. Mem., S. 143; H. Martin, Mem. sur le rapport des
Innuisons avec le calendr. d. Egypt, S. 441; vgl. auch Ventre-Bey, Essai sur les
cal. egypt. {BulUt. de l'Inst. egypt., 3 sdr., 1892).
§ 36. ^Mondtage. Das hypothctischo Mond- ii. Kuiiiljahr. Die Epagornciieii. 169
Asien, von wo sie es mit hergebracht haben könnten. Bekanntlich
gilt Hocharabien als älteste Stätte des Mondkultus. Die altsemitische
Mondreligion feierte Feste, die an bestimmte Neumonde geknüpft
waren. Da , wie wir gesehen haben , in den ägyptischen Kalendern
ebenfalls Feste auftauchen, die mit ^londphasen in Verbindung stehen,
wäre immerhin eine tliertragung denkbar, also ein einstiges Mond-
jahr durchaus nicht unmöglich. Aber ein solches müßte wohl bald
gegen das Sonnenjahr zurückgetreten sein, im Gegensatz zu den
Babyloniern, welche das Mondjahr ebenfalls vom Süden her er-
halten haben, aber bei diesem verblieben sind. Dafür sorgte bei
den Ägyptern der Nil. Seine regelmäßig wiederkehrenden Über-
schwemmungen mußten den Ägyptern, sobald sie nur die Kultur-
stufe des Ackerbaues erreicht hatten, zeigen, daß mit einem Mond-
jahre nicht auszukommen war. Der Übergang zum Sonnenjahre
müßte, und zwar wahrscheinlich mittelst einer weiteren Jahrform,
verhältnismäßig bald erfolgt sein.- Da die zehntägige Woche (Dekade),
die sich nicht mit einem Mondjahre verträgt, bereits in den
Zeiten der Pyramiden (4. und 5. Dynastie, 3. Jahrtaus. v. Chr.)
nachweisbar ist, muß der Übergang schon damals vollzogen gewesen
sein. Die Folgerungen, die wir aus der ägyptischen Mythologie be-
treffs eines etwaigen Mondkultus ziehen können, geben für ein Mond-
jahr keinerlei Entscheidung, da der Entwickelungsgang der ägyp-
tischen Mythologie zur Zeit noch kaum übersehen werden kann.
Die Doppeldaten in der Ptolemäerzeit können nicht als Beweis gelten,
denn bei diesen handelt es sich um das Eindringen eines fremden
Kalenders, des makedonischen Mondjahres; letzteres hat aber nichts
mit der Entwicklung des ägyptischen Jahres zu tun. Aus allen
diesen Gründen müssen wir derzeit noch von dem Mondjahre und s'on
der Wichtigkeit der Mondtage, welche Brugsch ^ diesen beigelegt hat,
für die historische Zeit wenigstens. Abstand nehmen, bis aus den In-
schriften kräftigere Stützen dafür nachgewiesen werden können. Die
Möglichkeit dagegen, daß die Ägypter in der allerältesten Zeit noch
das Mondjahr gehabt haben, bleibt offen.
Mehr Aussicht, die ursprüngliche Jahrform der Ägypter dar-
zustellen , scheint das E u n d j a h r zu haben. Diese Hypothese
eines Jahres von 360 Tagen ist von Des Vigxoles aufgestellt, von
1) Die Hott'nung, aus den in den Texten erscheinenden Mondtagen und Mond-
festen einen historischen Gewinn ziehen zu können (Brugsch, Ägyptologie, S. 335),
hat sich bisher nicht erfüllen lassen. (S. die Untersuchung von E. Mahler über
die Kegierungszeit Thutmosis III. und Bamses II, ZeitscJir. f. ägi/pt. Spi:, XXVIT
u. XXVIII, 1889, 1890, und die Widerlegung der Resultate durch Eisexlohr,
Akten des X. Intern. Orient.-Kongresses , 1896, S. 86 und C. F. Lehmaxx, Zwei
Hauptprohl. d. altorient. Chronol, 1898, S. 147.)
170 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
Idelee (I 187) aber bekanntlich als unmöglich abgelehnt worden.
Anderseits hat es an Leteonne, Biot und in der neueren Zeit
an den Ägyptologen Lauth, Ohabas, Vextee-Bey und J. Keall
seine Vertreter gefunden. Was man dafür vorbringt, ist etwa das
folgende. Die Inschrift von Tanis (s. § 41) sagt, daß es „später üblich
geworden ist, die fünf Epagomenen hinzuzufügen". Aus diesem Aus-
sprüche folgerte man, daß das ursprüngliche Jahr nur 360 Tage,
nämlicli 12 Monate zu je 30 Tagen gehabt habe. Allein die Inschrift
definiert durch diese Worte nicht ein 360 tägiges Jahr, sondern deutet
nur darauf hin, daß man früher ein seiner Länge nach noch nicht
bestimmt abgegrenztes Jahr hatte und zur Notwendigkeit gefülirt
wurde, dasselbe, um es mit dem Sonnenjahre übereinstimmend zu
machen, um mehrere Tage zu verlängern, und daß man schließlich
bei 5 Ergänzungstagen stehen geblieben ist. Von mehr Gewicht ist
der Hinweis auf die 36 Dekaden, die inschriftlich, wie wir gesehen,
schon in sehr alter Zeit bezeugt sind. Die sonstigen Beweise für ein
360 tägiges Jahr, wie die Inschrift von Siut {Zoitschr. f. (if/jjjd. Spr.,
XX, 1882, S. 171), wo „ein Tempeltag der 360. Teil eines Jahres"
genannt wird, oder die Bemerkung im Kalender von Medinet-Habu,
wo bei den täglich zu bringenden Opfergegenständen vermerkt ist:
„Gänse zwei täglich, macht im Jahre mit den 5 Epagomenen 730",
sind nicht entscheidend, da es sich in diesen Bemerkungen wahrschein-
lich nur um bloße Rechnungsjahre der Tempelverwaltungen handelte
Daß man nach einem 360tägigen Jahre im bürgerlichen Leben
gerechnet hätte, ist also abzuweisen. Dagegen muß in den Zeiten,
wo die Ägypter entweder von einem ursprünglichen Mondjahre zum
Sonnenjahre überzugehen suchten, oder mit den großen Schwierigkeiten,
die Länge des Sonnenjahres direkt festzustellen (die Niljahre konnten
nur ganz rohe Anfänge dazu geben), zu kämpfen hatten, das bab}'-
lonische Sexagesimalsystem auch in Ägypten seinen Einfluß ausgeübt
und den Aufbau der Jahreslänge auf sexagesimaler Grundlage, 12 Monate
zu 360 Tagen plus 5 Epagomenen, bewirkt haben. Wir kommen also
zum Begriff eines ursprünglichen „Eundjahres", wie es in der Ein-
leitung dieses Buches (s. S. 69) definiert wurde, d. h. die 360 Tage
desselben dienten zwar als Basis für die Jahreslänge, man suchte
aber das Jahr durch verschiedene Veränderungen allmählich mit dem
faktischen Sonnenjahre in Übereinstimmung zu bringen. Bei den
Ägyptern mag die Periode solcher Schwankungen schnell überwunden
worden sein. Sie werden schließlich (vielleicht nach einigen Jahr-
1) S. auch die Stellen I 22, I 97 bei Diodok, die, wenn vielleicht nicht auf
das 360tägige Jahr, so doch mindestens auf Reste des Sexagesimalsystems in
Ägypten deuten.
§ 36. MondtajLfe. Diis liyjxttbctische Moiul- u. Uundjalir. Die E])iif,'omfincii. 171
hunderten) die Zahl der Tage, die an das sexagesimale Rimdjahr an-
zuhängen waren, um mit den Jahreszeiten notdürftig in Überein-
stimmung zu l)leiben, auf fünf festgesetzt haben. Dies sind die
E 1» a g ü m e n e n. Bei der A\'ichtigkeit , welche diese Zusatztage für
den ägyptischen Kalender halben, müssen wir denselben noch einige
Ausführungen widmen.
Die E])agomenen verraten schon durch die Bezeichnung ihre er-
r ^ 1 1 1 §> Uv
gänzende Stellung zum Eundjalire. Sie heiben ] i i <i^. ]f ^ die
fünf, die auf dem Jahre l)efindlichen, u. a. Sie hatten bei den Ägyptern
dieselbe ominöse, Unheil bringende Bedeutung, die wir auch in der
Auffassung anderer Völker, wie bei den Persern und selbst bei den mit
Vorderasien m gar keinem Zusammenhange stehenden zentralamerika-
nischen Völkern antreffen. Die Epagomenen waren eine Art Bußtage,
dem Gedächtnis der Verstorbenen gewidmet ; an ihnen waren besondere
Gebete vorgeschrieben, die gegen den bösen Einfluß der fünf Tage
schützen sollten'-. Die Epagomenen werden auf den ägyptischen Denk-
mälern nach der Geburt von fünf Göttern benannt, welche die Mytho-
logie auf jene Tage legte. Darum heißt der erste dieser Tage „Geburt
des Osiris^% der zweite „Geburt des Horus^\ der dritte „Geburt des
^S'e^'', der vierte „Geburt der Isis'-', der fünfte „Geburt der Xephthys''.
Den betreffenden Mythus erzählt Plutaech-': Kronos (Seh) und Rhea
(Xiit) hatten heimlich miteinander verkehrt. Die Sonne aber ver-
fluchte die Ehea, daß deren Kinder weder in einem Monate noch in
einem Jahre geboren werden sollten. Diese wendete sich an den
klugen Hermes (ThotJi) um Rat. Derselbe spielte mit Selene Würfel
und gewann ihr von jedem Tage des 360tägigen Jahres den 72. Teil
ab"», aus dem er 5 Tage bildete, die hinter den 12 Monaten angehängt
wurden. Dadurch gewann das Sonnenjahr 5 Tage mehr als das alte
Jahr, und das Mondjahr hatte 355 statt 360; was jenem gegeben
wurde, mußte dieses verloren haben; und so konnten also die
fünf nachgeborenen Götter in die Welt treten. Die besondere
Stellung der Epagomenen und die Bedeutung, die man ihnen beilegte,
ging eben aus dem sexagesimalen Aufbau des Jahres hervor. — Die
Epagomenen sind nicht überall in den Inschriften vollständig ver-
zeichnet: in Omhos (dem Entdeckungsorte der Epagomenen) sind nur
1) Varianten in der Ejjagomenenbezeiehnung s. bei Brugsch, Thcsaur. Inscr.
Aeg., II 480.
2) F. Chabas, Le calendrier des jours fastes et nefastes de Vannee egi/j)t.,
Chalon-Paris 1870, S. 102 ff.
3) De Isis et Osir. e. 12.
4) Wir folgen hier der Lesung Scaligers {Emend. Temp., III), der sich
auch Lepsius {Chronol. d. Ägypt., I 92) anschließt.
172 Tl. Ka))itel. Zeitrecliiuiiig- der Ägypter.
zwei, der erste und zweite Tag, erhalten ; in den Kalendern von Esne
und Edfu ist der 1., 2., 4. und 5. Tag angegeben (der 3., der Tag
des bösen Set, wird oft weggelassen). Was die Zeit betrifft, in der
die fünf Tage zuerst auf Denkmälern genannt werden, so haben sich
dieselben lange nicht über die Zeit Amenemhets I. (12. Dynastie, Anfang:
des 2. Jahrtaus. v. Chr.) zurück verfolgen lassen; jedoch hat man in
neuester Zeit die Epagomenen schon unter König Weserl-af (mit dem
die 5. Dynastie beginnt) in einer von Feaser entdeckten Inschrift aus
Tehne gefunden ^ Sie spielen aber auch schon in den uralten religiösen
Texten, die uns zufällig erst in den Pyramiden der 6. Dynastie er-
halten sind, eine Rolle, und zwar schon in derselben mythologischen
Verbindung mit der Geburt der Götter. Demnach dürfte die Ein-
führung der 5 Tage in eine noch ältere Zeit fallen. Die von früheren
Autoren öfter benützte Stelle aus Synl-ellos, wonach die Einführung
der Epagomenen dem Hyksoskönig Ascth zugeschrieben wird-, hat
ffeffenüber den Denkmälern allen Wert verloren.
§ 37. Bezeiclinuug des Jahres iiud der Mond- und Sonnenstände.
Zum Verständnisse der ägyptischen Zeitrechnung, besonders der
Kalenderlisten sind einige Erörterungen über die Hieroglyphe des
Jahres und über die Auffassung der Sonne und des Mondes notwendig.
Das Wort für Jahr im gewöhnlichen Gebrauch-' lautet im Ägyptischen
roniK't, geschrieben 1 oder 1 | oder
1) s. Sethe, Urkunden des alten Reichs, I 24.
2) Olrog ['Aai]&] TtQoat&riyis tüv iviccvrwv rag i iitayo^ivag, xat iiil aitov^
log (paaiv i')[Qr]^i,drt6£v x'E,i i]\iiQ&v 6 Alyvitriaxog iviavtbg t^' ilovov ij^tQiov TtQO
xovxov \L£XQOv^Ltvog. Vgl. über die Stelle auch Lepsius, Chronol. d. Agypt., I 177.
3) Während die Bezeichnungen für Tag und Stunde gewöhnlich liorio und
unut, bei der Zählung der Monatstage und Tagesstunden aber sii und zeh' sind,
gebraucht man für die Zählung der Regierungsjahre das Wort ha . Es soUeu hier
einige Bemerkungen über die Elntwickelung der Jahresdatierung gemacht werden,
im Anschlüsse an die Untersuchungen von Sethe, der zuerst die (Irundzüge klar-
gelegt hat {Untersuch, z. Geschichte u. Altert. Agypt. III, S. 99). Während der
ersten beiden Dynastien datierten die Ägypter nach gewissen Ereignissen, etwa in
der Form wie ,Jahr des Schiagens der Nubier" u. dgl. Seit der zweiten Dynastie
wurden besonders die alle zwei Jahre stattfindenden Vermögenszählungen für die
Benennung der Jahre verwendet; man datierte also „Jahr des 1. 2. 3. . . . Males
der Zählung". Die dazwischen liegenden Jahre erhielten andere Namen. Seit dem
Beginn der vierten Dynastie bezeichnete man diese zählungslosen Jahre als das
„Jahr nach dem 1. 2. 3. . . . Male der Zählung". Späterhin wird das Wort
„Zählung" immer häufiger weggelassen, .so daß die Ausdrucksweise „Jahr des 1.
2. 3. . . . Males", oder „Jahr nach dem 1. 2. 3. . . . Male" entsteht. Am Ende
des alten lieiches beginnen die Zählungen alle Jahre stattzufinden, und so wurde
I
§ 37. Hozeichiimi;^- des Jalircs und (Irr Mond- und Sonnenstände. 173
Die Stellungen der Sonne während des Jahres erhielten bei den
Ägyptern bildliche Auffassung, die entsprechend hieroglyphisch aus-
gedrückt wurde ; selbst der tägliche Lauf der Sonne erscheint bildlich
eingekleidet. Die Sonne fährt täglich in göttlicher Barke durch den
Himmel und kämpft gegen die Finsternis. Beim Aufgange sind ihre
Strahlen schwach, darum wird sie ein Kind genannt ; mitzunehmender
Höhe werden ihre Strahlen heißer, dann ist sie zum Mann geworden,
und Abends, wenn ihre Strahlen ersterben, ist sie ein Greis; z. B. in
den Texten: „ein Kind in der Frühe, ein Jüngling zur Mittagszeit,
ist er Gott Ahim (Abendsonne) am Abend". In ähnlicher Weise
erscheinen auch die astronomischen Hauptjahrpunkte der Sonnen-
bewegung symbolisiert. An den Äquinoktial- resp. Solstitialpunkten
wird die Sonne immer in einer neuen Form geboren. Mackobius^
berichtet, daß bei den Ägyptern die Sonne der AVinterwende als
Kind, die Sonne bei der Frühjahrsgleiche als Jüngling, jene der
Sommerwende als bärtiger Mann, und die Sonne der Herbstgleiche
als ein hinfälliger Greis dargestellt werde. Dieser Bericht erhält
durch die folgenden Worte einer Inschrift auf der Ostwand des
Tempels von Edfu seine Bestätigung: „Helios geht auf als Jüngling,
hinauffliegend zum Himmel; als Käfer hervortritt eine Scheibe aus
den Lenden der Himmelsgöttin, als große geflügelte Sonnenscheibe
aus lauterm Golde; ein Greis in der Abendzeit, ein schönes Kind in
der Morgenzeit; (das ist) Honis von Bahudet, bei dessen Anschauen
man lebt". Aus den Inschriften ergeben sich in der Tat gewisse
Symbolisierungen für die vier Jahreszeiten der Winterwende, der
Frühlings-Tag- und Nachtgleiche u. s.w.; die bestimmten Formulierungen
indessen, welche Beugsch aus dem Inschriftenmateriale gezogen hat
bedürfen noch einer w^eiteren Festigung. In den Inschriften werden
öfters auch der Sonne bestimmte Farben, nach den Jahreszeiten ver-
schieden, zugeschrieben, was uns durch Macrobius (a. a. 0. I 19) be-
stätigt wird, welcher sagt, die Flügel der Sonnenscheibe seien glänzend
oder dunkel genannt worden, je nach dem Laufe der Sonne im Zodiakus.
Im Zusammenhange mit den Symbolisierungen der Jahrpunkte steht
die Auffassung der beiden Hälften des Jahres als die Augen des Bv.
Die eine Jahreshälfte heißt das linke Auge des Be. die andere bildet
das rechte. Das i?e-Auge heißt uzat Übrigens wird das uzat-Kvi^t auch
auf den Mond angewendet, indem Sonne und ]\Iond als die beiden Augen
des Lichtgottes, die Sonne als das rechte Auge, der Mond als das linke,
die Grruppe ^tTahr des Males" {ha'-sp'' zu einer Bezeichnung für .Regierungsjahr".
Da dieses Wort an das Wort für .Viertel'' anklingt, so suchte man in späterer
Zeit (HoRAPOLLOx I 5' dieses Zusammenstimmen durch eine haltlose Etymologie
zu erklären.
1) Saturnal. I 18.
174 Tl. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
angesehen werden. Die Phasen des Mondes, sein Zu- und Abnehmen,
werden (wie in Edfu und Dendera) durch eine Treppe von 14 Stufen
dargestellt und durch 14 Gottheiten (Gott des Mondes, der Wolken,
des Himmelsgewölbes, die vier Bestattungsgenien u. s. w.), die über
die Treppe schreitend Ähnlich wie bei der Auffassung- der Jahr-
punkte wird bisweilen der Vollmond als Jüngling, der abnehmende
Mond als Greis und der Neumond als das Kind (oder die Verjüngung)
symbolisiert. Der Mond führt mancherlei Beinamen, wie der „Wieder-
gestaltete", das „Glanzauge", das „große" oder „leitende" (Auge) u. a.
Schließlich kann hier nur noch kurz daran erinnert werden, daß
der ganze Jahreslauf gewiß auch auf den Mythus eingewirkt hat.
Darum hat man im Osirismythus eine Symbolisierung der Jahreszeiten,
der Überschwemmung, Ernte u. s. w. finden wollen.
§ 38. Große Jaliresperioden der Ägypter.
In den Schriften der klassischen Autoren und zum Teil auch auf
den ägyptischen Denkmälern kommen verschiedene Perioden vor, in
welche größere Zeiträume unter bestimmten Benennungen zusammen-
gefaßt werden. Einige dieser Perioden ermangeln noch einer zu-
verlässigen Erklärung.
a) Eine Periode von 365 Jahren hat man in einem Texte
aus Eäfu (Naville, Textes rdatifs au mythe d'Horus) vermuten
wollen. Dort wird ein mytholog-isches Ereignis, die Besiegung des
Typhon durch Horus in das 363. Regier ungs jähr des Gottes Horus
gesetzt. Möglich wäre wohl, daß der Verfasser des Textes auf diese
Jahreszahl durch die Vorstellung eines „großen" Jahres von 365 Jahren
gekommen ist, aber auf das Bestehen oder den wirklichen Gebrauch
von Perioden zu 365 Jahren kann man hieraus noch nicht schließen.
— Ähnlich scheint es sich mit der bei Synkellos {Chronogr.) ge-
nannten Periode von 36 525 Jahren zu verhalten. Über diese Periode
ist mancherlei geschrieben worden. Bailly und Lepsius- wollten
dieselbe als das 25 fache der Sothisperiode (25 X 1461 Jahre) er-
klären, andere durch das „große Jahr", nach dessen Ablauf sich alle
Dinge wiederholen. Da diese Periode inschriftlich nicht nachgewiesen
ist, so übergehe ich weiteres.
b) Die Han- oder Henti-Periode. Die ägyptischen
Inschriften sind reich an Ausdrücken für die Begriffe Unendlichkeit,
1) S. solche Darstellungen bei Brugsch, Thesaur. Inscr., I, S. 35, 62.
2) Bailly, Hist. de l'Astr. ancienne, I, VI, §9; Lepsius, Chronol. d. Ägyi>t.,
I 210, 11. Vgl. auch H. Martin, Mem. sitr le rapp. des lunais. avec le calendr.
des Egy^Jt. [Mem. de V Acad. d. Inscr., I. s^r., T, VI, 1864|.
i; 38. (iroßf .l;ilirosj)erio{l('ii der .\f,'y|ittT. 175
Ewigkeit u. dol. In den Kreis dieser Begriffe für große Zeitdauer
g-ehört auch der Ausdruck hentJ. In diesem Worte hat man die
Bezeichnung- für eine Jahrperiode von bestimmter Läng-e vermutet.
Man glaubte dies aus der Form der Aufzählungen schließen zu dürfen,
in welcher die Äg-ypter große Zeiträume angaben. AVie solche Auf-
zählungen lauten, sieht man aus dem folg-enden Beispiel, das nach
BructSch {Tlies. Inscr., S. 200) im südlichen Sokaris - Tempel von
Dendera steht: ..Vollende eine Ewig-keit von henfi, zahllose Gruppen
von zahllosen Jahren. Deine Jahre seien unendlich viele, Deine Monate
zählen nach hunderttausenden, Deine Tag-e nach zehntausenden. Deine
Stunden nach tausenden. Deine Augenblicke nach hunderten, Deine
Momente (nach Zehnern). Deine Regierung- seien die Jahre der Sothis
am Himmel." Oder in einer Inschrift von Eclfu (Beitgsch, ibid.
S. 207): ..Thoth der Große stellt sein Leben fest nach Millionen von
Heh-sed, hunderttausenden von Jahren, zehntausenden und tausenden
von Monaten, hunderten und Zehnern von Tag-en. Seine Stunde ist
henti, und seine Jahre Ewigkeit und Unendlichkeit." Es handelt sich
also bei diesen Ausdrucksweisen nur um die allgemeine Bezeichnung
für lange Zeiträume, und nicht um abgegrenzte Perioden. Etwas
Ähnliches konnte in § 34 für die Bezeichnung der kleinen Zeitab-
schnitte des Tages angeführt werden. Vermutungen über die Länge
der angeblichen Henti -Ferioäe haben Hinks^ und Lauth angegeben,
indem beide dafür 120 Jahre annehmen, ferner Lepsius, welcher an
eine Verdoppelung der 500 jährigen Phönixperiode gedacht hat (Chronol.
cl Ägypt, I 184).
c) Die Sed- (od. Set-) Periode, TgiaxavTaerrjolösg. Diese
30 jährige Periode, hib-sed genannt, kommt, wie aus der vorher mit-
geteilten Inschrift ersichtlich, bei der Erwähnung der größeren
Perioden vor. Die Aufmerksamkeit auf sie wurde durch die Inschrift
von Rosette erregt, eines zu Ehren des Ptolemäus Epiphanes erlassenen
Dekretes, in welchem der König den Titel xvgiog TgiaxovraeTj^giScov
xa&dnsg 6 "Hcpaiatog 6 fiiyag = „Herr der dreißigjährigen Zyklen,
wie Hephästos der Große", erhält. Die Periode geht aber bis in die
sehr alte Zeit — bis in jene der ersten Dynastien — zurück, da nach
Inschriften aus diesen Zeiten die Wiederkehr der 30 jährigen Periode
durch besondere Feste gefeiert worden ist. Das Fest und die Periode
stehen stets in enger Beziehung zur Regierung der Könige und kommen
nur in Verbindung mit dieser vor. So wird in der vorher zitierten
Stelle der Inschrift von Rosette König Ptolemäus mit Ptah als dem König
der Urzeit verglichen. Die erste Feier des Festes findet nie später
als im 30. oder 31. Jahre eines Königs statt. Bald wurden aber auch
1) Bei WiLKrssox, The hierat. papyr. of Turiii, S. 55.
176 Tl. Kapitel. ZcitrecbnuDg der Ägypter.
in unregelmäßigen, sehr kleinen Abständen „Wiederholungen" gefeiert.
So fanden unter Thutmosis III. solche Feiern im 30., 33., 86., 40. und
42. Jahre 1, unter Ramses II im 30., 34., 36., 40., 42. und 44. Jahre
(nach Beugsch) statt. Andererseits aber können die Könige auch
schon vor dem 30. Jahre das erste Mal dieses Fest feiern.
So dunkel der Ursprung und die Bedeutung der >SVf?-Periode ist ^,
so kann doch am wahrscheinlichsten die Erklärung von Sethe^ an-
genommen werden, welche das Fest als das Jubiläum der 30. Wieder-
kehr des Tages definiert, an dem der König zum Thronerben feierlich
proklamiert worden war. Mit astronomischen Erscheinungen hat die
Periode auf keinen Fall etwas zu tun, ebensowenig mit den regel-
mäßig wiederkehrenden Vermögens- oder Volkszählungen, wie Keall
vermutet hat. Daß solche Aufnahmen in Ägypten oft stattgefunden
haben, wissen wir aus vielen Erwähnungen derselben. Aus dem alten
Reiche sind uns zahlreiche Angaben über die Zählungen erhalten*.
In der römischen Kaiserzeit wurden, wie sehr zahlreiche Daten er-
geben"', die Steuerdeklarationen alle 14 Jahre von neuem eingefordert.
Nachweisbar aus den Papyri sind folgende Jahre: 8. Jahr Neros 61
n. Chr., 8. Jahr Vespasians 75, 9. Jahr Domitians 89, 7. Jahr Trajans
103, 2. Jahr Hadrians 117, 16. Jahr Hadrians 131, 9. und 23. Jahr
des Anton. Pius 145 und 159, 14. Jahr des Marcus 173, 28. Jahr des
Commodus 187, 10. Jahr des Severus 201 ; nachWEssELx waren auch
215, 229 und 242 Volkszählungen*^. Aus der Ptolemäerzeit sind bis
jetzt solche Steuererhebungs-Zyklen nicht erwiesen.
d) Das große und kleine Jahr. In einer Inschrift aus dem
Grabe des Chnemhotep in Benihassan (12. Dyn.) wird dem Toten ge-
wünscht, daß ihm Totenopfer gebracht werden „an allen Festen der
Nekropole'". In der dann folgenden Aufzählung dieser Feste werden
nebeneinander genannt „das Fest des großen Jahres" und ,.das Fest des
kleinen Jahres". Dies ist übrigens die einzige erhaltene Erwähnung eines
1) H. Breasted, The ObelisJcs of Tlndmose III and his Building Season in
Egypt {Zeitschr. f. ägypt. Sjir., XXXIX, 1901, S. 60)
2) Über die Erklärungsversuche s. Lepsius {Chronol. d. Agi/j^f., I 168), der
auf die Zahl 30, den 30jährigen Schaltzyklus der Araber, Gewicht legt; Biot (Sur
l'annee vague, S. 128); Letronne {De Vorig, du zod. gr., S. 23), welcher an den
Saturn-Umlauf denkt; ferner vgl. die Vermutungen bei Drumann, Histor. antiqu.
Unters, üb. Ägypt.., Königsberg, 1823.
3) Zeitschr. f. ägypt. Sj^r., XXXVI, 1898, S. 64, Anm. 3. Dazu Untersuch,
z. Gesch., III 1, S. 84.
4) H. Schäfer, Ein Bruchstück altügypt. Annalen {ÄbJidIg. d. Berl. Alcad. d.
Wiss., 1902); Sethe, Beiträge z. ältesten Gesch. Ägypt. {Unters, z. Gesch. u.
Altertumskunde Ägypt., III 1).
5) U. WiLCKEN, Griechische Ostraka aus Ägypt. u. Nubien, I 438.
6) Berichte d. kgl. süchs. Ges. d. ]yiss., 1885, S. 270.
§ 38. (Ti-oßc .liiliresjjprioilt'n der Ä;ryi)t('r. 177
„großen" und eines „kleinen Jahres". Lki'sm-s will unter dem „großen"
Jahre ein festes Jahr mit vierjähriger Einschaltung und unter dem
„kleinen" das Mondjahr sehen. Allein das erstere fließt nur aus der be-
kannten Voraussetzung der LEPsirsschen Theorie des ägyptischen Jahres
(gleichzeitiger Bestand eines festen Jahres neben einem Wandeljahre),
das andere aus dessen Hypothese vom Mondjahre. Die Beweisstelle im
Totenbuche c. 27, 2 „in diesem Mondjahre" oder „in diesem Jahre
[des] ]\[ondes" gilt nicht, da sie unkorrekt übersetzt ist und vielmehr
nur „in diesem Jahre, in diesem Monate" lautet. Früher (S. 109)
haben wir schon gesehen, wie wenig wahrscheinlich die Existenz eines
Mondjahres in der älteren Zeit ist. Brugsch macht dieselbe Annahme
wie Lepsit s und findet eine Stütze dafür in dem Vorkommen zweier
Neujahrstage in einigen Kalendern, allein wir werden später (§ 43)
finden, daß die zwei- und dreifachen Neujahrsfeste anders zu deuten
sind. Hier ist die IvEALLSche Meinung wahrscheinlich die zu-
treffende, welche in dem „großen" Jahr das gewöhnliche 365tägige
Wandeljahr, in dem „kleinen" das 360tägige Rundjahr, an welches
sich noch Erinnerungen erhalten haben können, sieht.
e) D i e P h ö n i X p e r i 0 d e. Abgesehen von den Verschiedenheiten,
in welchen uns die im Altertum weithin verbreitete Sage vom Phönix
entgegentritt, sind die alten Schriftsteller in dem Berichte einig, daß
der Phönix nach langen Zeitintervallen von Osten her (Indien oder
Arabien) nach Ägypten komme in die dem Re geweihte Sonnenstadt
HehopoVis. Dorthin bringt er nach Heeodot seinen sterbenden Vater;
nach anderen verbrennt sich der Phönix in dem dortigen Sonnentempel
selbst in Weihrauch, ersteht dann aus seiner Asche, und zwar zuerst
als weißer Wurm, dann als Vogel, der am dritten Tage wieder in
voller Kraft ist und der dann nach dem Osten zurückfliegt. Was den
Zeitraum anbelangt, nach welchem der Phönix immer wieder zurück-
kehren soll, so hat man denselben nach Heeodot zumeist auf 500 Jahre
angesetzt; letzterer sagt (II 73): „Auch ist noch ein anderer Vogel
heilig mit Namen Phönix, den ich indessen nicht sah, nur im Bildnis,
wie er denn auch gar selten und, wie die Einwohner von Heliopolis
sagen, in 500 Jahren einmal zu ihnen kommt" ^ Die meisten der
späteren Schriftsteller gehen auf die Angabe Heeodots zurück, so
OviD {Mptam. XV 402), Mela {de situ orb. III 9), Seneca {Epist 43),
Aelian {naf. auim. VI 58), Philostratus {vita Apollon. III 49),
HuRAPOLLON {Hierogl. I 35), Aueelius Victor {de Caesar. IV 14),
Epiphaxius {Änct/r. c. 85) u. a. Dagegen findet man 1000 Jahre
1) "Eon de y.ui äXXqg ögvig igog. rw orj'Ofia qjoTvt^. 'Eyco ^ti' lUv ovk tiöov
£1 ^ij oaov yQcccpfj- xai yao dij y.al ancivios imcpoiTä acpi, Sl irscov, (ag HkionoXi^rai
XtyovGi, Tttwaxodlcov.
Ginzel, Chronologie I. i-'i
178 H. Ki)])itel. Zeitrcohimng der Äirypter.
als Länge der Phönixperiode angegeben bei Maetial {Ep'tgr. Y 7),
Lactantius {de Phocn. y. 59), Claudias {Phoen. v. 27). Noch
andere Ansätze erscheinen bei Solinus {Pohjh. c. 33) 540 Jahre,
bei dem Byzantiner Tzetzes {Chiliad. V 6 v. 395) 7006 Jahre,
bei Hesiod {Fragm. 50) neun Eabenalter ii. m. a. Bei Tacitus
{ann. VI 28) findet sich die bemerkenswerte Notiz: Sacrum sali
id animal, et ore ac distinctii pinnarum a ceteris avibus diversum,
consentiunt, qiii formam eins definiere. De numero annorum varia
traduntur, maxime vulgatum quingentormn spatium; sunt qui adse-
verent, mille quadringentos sexaginta unum interiici. Weder der
500 jährige, noch der 1000 jährige Zeitraum der Periode hat ein
ägyptisches Gepräge, da den Ägyptern der Begriff des Jahrhunderts
und Jahrtausends nicht geläufig' war. Vielmehr spielen in Bitten und
Anrufungen andere Zeitintervalle, 110- und 120 jährige, bei ihnen eine
Eolle, Schon aus diesem Grunde haben die vielfältigen Versuche,
eine 500- oder 1000 jährige, womöglich astronomisch begründbare Periode
aufzufinden und sie als die Phönixperiode hinzustellen, keinen rechten
Halt. Ein 500 jähriger oder das Doppelte fassender astronomischer
Zyklus, der auf einer Ausgleichung- der Sonnen- und Mondbewegung
oder der Planeten beruhen würde, ist nicht leicht auffindbar und aus
dem Mondjahre (wie es Gatteeer getan) nur sehr künstlich herzu-
stellen. Einige haben die sagenhaften Berichte, die sich hie und da
über das Wiedererscheinen des Phönix bei den alten Schriftstellern
vorfinden', durch einen Zyklus zu verbinden gesucht und als Unter-
lage desselben ganz merkwürdige Hypothesen aufgestellt. Das astro-
nomisch Undenkbarste haben wohl Seyfeakth und Lauth geleistet,
indem der erstere die Merkurdurchgänge vor der Sonne, der andei^e
die Venusvorübergänge zur Erklärung heranzog-.
A\'ie auch die verschiedenen Annahmen über die Länge der Pliönix-
periode aufgekommen sein mögen, jedenfalls ist nach den alten Schrift-
stellern ein großer Zeitkreis darunter zu verstehen. Darauf deutet
schon der Name Phönix hin, der nicht von Pi-Euech (s. Ideler I 184),
sondern von (foivii. = die Palme, abzuleiten ist. Der Palme wurde
1) Man wollte ein uiigefuhr achtmaliges Erscheinen des Phönix während des
Aherturns annehmen: d?is erste im 16. Jahrh. v. Chr. {Tacitus), das zweite 608
{Suiclas), das dritte Mitte des 6. .lahrh. (Tacitus), das vierte um 311 {Maniliiis),
das fünfte in der 2. Hälfte des 3. Jalirh. (Tacitus), das sechste 34 n. Chr. (Tacitus),
das siebente 36 n. Chr. (Cornel. Valerian. Plinius, Dio Cass.), das achte 47 n. Chr.
(Aurel. Victor, Plinius).
2) Skyffakth, BerichtiijHvgcn der Geschichte u. Zeitrec/ni., Leipzig 1855;
Zeitschr. d. deutsch, morgenl. Ges., 1849, S. 63; Lauth, Ahhdlg. d. k(ß. hair. Akad. d.
W'iss., 1. Kl. X^', 2. Abt., S. 311. — Die älteren Hj-pothesen hat Martin (Mein.
sur la Periode egypt. da Phenix. Mcm. de VAcad. d. Inscr., 1. serie, VI, 1864)
gesammelt und kritisch beleuchtet.
§ 38. (troße Jiibresperiodeii der Ä;cyj)ter. 179
nämlich die längste Lebensdauer unter den Bäumen zugeschrieben,
und der Palmenzweig tritt in den Inschriften als das Symbol des
Jahres und der Zeiträume auf. Plixus^ berichtet daher, der Phönix-
vogel habe den Namen von einer Palme, und Oviu läßt den Phönix
sein Nest auf dem Gipfel einer Palme bauen. Was den Vogel betrifft,
so läßt sich aus den Beschreibungen der x\lten kein rechtes Bild ge-
winnen. Man hat geglaubt, ihn in dem eigentümlichen Vogel wieder-
zufinden, der auf den Denkmälern leicht kenntlich ist durch das
P>derbüschel, das er auf dem Kopfe trägt, oder durch die Menschen-
arme, die er in kiiieender Stellung erhebt. Bisweilen erscheint er
auf dem Zeichen ^^^zsc^, das sich auf den König bezieht, gewöhnlich
mit einem Stern davor-. Doch ist dieser Vogel nichts als eine Ver-
körperung der unterworfenen Menschen, die den König verehren.
Brugsch hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß der in den
religiösen Texten Bpuuu genannte Vogel identisch mit dem Phönix
sein müsse, und Wiedemaxn, der die Entwicklung der Sage vom
Phönix eingehend verfolgte, hat die Eichtigkeit dieser Annahme außer
Zweifel gestellt -l Er versucht auch zu zeigen, wie sich an diesen
Vogel (ardae cinerea, eine im Sommer in Nordägj'pten, im Winter in
Südägypten lebende Keiherart) die Phönixsage knüpft. Der Vogel i?e>/;m
bedeutet als Phönix ein Symbol für die Verw^andlung, Reinigung der
materiellen und geistigen Welt überhaupt, im speziellen ein Symbol der
belebenden Tätigkeit der Sonne. In der Phönix-Sage also liegt, wie man
sieht, kein Grund für die Annahme einer großen Jahresperiode; eine
solche müßte erst in der späten Zeit, wo man auch die anderen Perioden
zu bilden anfing , aufgekommen sein. Dies erklärt wohl auch , daß
man die 500jährige Phönixperiode auf Denkmälern bis jetzt nicht
hat nachweisen können.
Der Hinweis, den Tacitus gibt (s. die oben mitgeteilte Stelle),
betrifft die Sothisperiode von 1461 Jahren. In diesen 1461 Jahren
(= 1460 julianischen) kehrt, wie wir im nächsten Paragraphen sehen
werden, der Anfang des 305tägigen Wandeljahres auf den Beginn
des Sothisjahres zurück, oder Wandeljahr und Siiiusjahr gleichen sich
nach diesem Zeitraum aus. Manche meinen ohne hinreichenden Grund,
daß der Phönix ein Symbol der Sothisperiode sei. Der Beginn einer
neuen solchen Periode, die Wiederholung der heliakischen Siriusauf-
gänge, sei ein so wichtiges Ereignis für die Ägypter gewesen, daß sie
1) {Eist. nat. XIII 9): mirumque de ea (palmae specie syagro) accepimus.
cum Phoenice ave, quae putatur ex huius palmae argnmento nomen accepisse,
iterum mori ac renasci ex seipsa.
2) loMARD, Descript. de l'Eyi/pt. Antiq. d'Edfou, § VI; andere DarstellungeH
s. bei LEPSirs, Chronol. d. Ägi/pt., I 183.
3) Zeitschr. f. äyijpt. Spr., XVI, 1878, S. 89.
12^
180 Tl. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
diese Periode durch ein Symbol ausgedrückt hätten. Lepsius hat das
Zustandekommen einer 500 jährigen Phönixperiode folgendermaßen zu
erklären versucht: Der Überschuß des tropischen Jahres über 365 Tage
(0,24225 Tage) macht in etwa 1505 Jahren ein volles Jahr (365 Tage)
aus ; das tropische Jahr gleicht sich also in diesem Zeiträume mit dem
Wandeljahre aus, ebenso wie das Sothisjahr mit diesem in 1461 Jahren.
Man könne annehmen, daß das tropische Jahr das Phönixjahr der
Ägypter gewesen sei. Wenn man es (bei ihrer jedenfalls nicht voll-
kommenen Kenntnis desselben) auf 1500 Jahre ansetze und bedenke,
daß beim gewöhnlichen Jahre eine uralte Dreiteilung üblich war, so
könne man leicht zu dem Gedanken einer Übertragung der Dreiteilung
auf das große tropische Phönixjahr kommen, und damit wäre dann
die HEEODOTSche Angabe von 500 Jahren (als ein Drittel des großen
tropischen Jahres) erklärt. Allein wir haben (Einleitung S. 67) ge-
sehen, wie schwierig selbst für Astronomie treibende Völker die Fest-
stellung der Länge des Überschusses des Jahres über 365 Tage
gewesen sein muß. Die Erkenntnis der wahren Länge des tropischen
Jahres setzt schon einen beträchtlich hohen Stand der Astronomie
voraus, den wir nach dem früher Gesagten den Ägyptern nicht bei-
legen können.
Wir werden also wohl im ganzen die Phönixperiode durch keine
astronomischen Grundlagen erklären dürfen, sondern müssen annehmen,
daß sie nur allgemein einen großen Zeitkreis ausdrücken soll, inner-
halb dessen alle Naturerscheinungen, die an den Erhalter des ge-
samten Erdenlebens, die Sonne, geknüpft sind, sich immer wieder
erneuern.
f) Die Apisperiode. Die Verehrung der heiligen Stiere in
Ägypten scheint sich bis in die älteste Zeit, bis zur 2. Dynastie zurück-
zuerstrecken. Plutakch erzählt {Isis et (hir. c. 56), die Lebenszeit
des Apis sei das Quadrat von fünf, erreiche er diese Grenze, so werde
er in den heiligen Brunnen versenkt und getötet. Diese Nachricht
ist durch die Lischriften längst überholt. Auf den Apis-Stelen er-
scheinen alle möglichen Lebensalter der Stiere, z. B. 18 Jahre 7 Monate
17 Tage, 17 Jahre 6 Monate 5 Tage u. s. w. Nachweisbar sind die
meisten 22 bis 23 Jahre, manche aber 26 bis 28 Jahre alt geworden.
Nirgends scheint ihnen eine bestimmte Lebensdauer festgesetzt und
eine Periode von 25 Jahren geht aus den Denkmälern nicht hervor.
Der Apis wird auf den Denkmälern der „lebende hapc'', der „wieder
lebende PtoA" oder OsiriH-Hape genannt; er ist ein Sohn des Ptah
oder des Osir'is. Übereinstimmend damit setzen die klassischen Schrift-
steller den heiligen Apis dem Osirts gleich (Diod. I, 85, 4; Pliitaech,
Js. et Os. 20, 29; Steabo XVII c. 1, 31); er stand in gewisser Beziehung
zum Monde und war dem Mondgotte geweiht. Die Beziehung zum
i? 39. I>ie lifliakisclien Siriusaufgänfje. 181
]\ronde geht aucli aus einzelnen Stellen der Klassiker hervor (Hkikjuo'I'
III 28, LrciAX VIII 479, Ammiax. Makc. XXII 14 u.a.). Man hat
deshalb o-eglaubt, die von Plttaech benannte 25 jährfö-e Periode in
iro-end eine astronomische Verbindung- mit der Mondbewegung bringen
zu müssen. Bailly, Ideler und Lepsius^ haben darauf hingewiesen,
daL^ 309 mittlere synodische Mondmonate ungefähr 2.5 ägyptischen
Jahren (9125 Tagen) gleichkommen; Iuelee meinte überdies, in ge-
wissen 25 jährigen Intervallen, nach denen Ptolemäus astronomische
Zahlen anordnet, eine Bestätigung für das Vorhandensein einer 25 jährigen
Periode bei den Ägyptern zu sehen. J. v. Gumpach- glaubte dartun
zu können, daß die Epoche der Apisperiode immer auf den 1. Tlioth
gefallen und zugleich an die erste Sichel des Mondes (Neulicht, nach
Neumond) gebunden gewesen sei. In neuerer Zeit hat E. Mahler
die Hypotliese eines 25 jährigen Mondzyklus wieder aufgenommen und
besonders durch den Nachweis zu stützen gesucht, daß der Einführungs-
tag der Stiere in das Apieum auf Vollmondstage fällt. Die wenigen
Fälle sind aber nicht beweisend genug. Ferner schwebt die 25 jährige
Dauer der Periode inschriftlich völlig in der Luft, und außerdem sind
die Bew^eise für das Vorhandensein eines Mondjahres, welches aus der
Voraussetzung hinreichender Kenntnis obiger Gleichung folgen würde,
wie schon früher bemerkt, für die Ägypter recht schwach. Die Bildung
einer 25jährigen Apisperiode gehört also, wie mehreie der anderen
in diesem Paragraphen aufgeführten Perioden, einer späteren Zeit
an. — Zu den Perioden der Ägj'pter gehört schließlich die Sothis-
periode. Den Erörterungen über diesen wichtigen Zeitkreis muß
ich einige astronomische Auseinandersetzungen vorangehen lassen.
§ 39 Die lieliakischen Siriusaufgänge.
Sirius ist nächst dem /S«A-Gestirn (Orion) der bedeutungsvollste
unter den Sternen; war haben ihn schon als „Gebieterin der Schutz-
sterne" (Vorsteherin der Dekane) kennen gelernt. Sein ägyptischer Name
ist Sopdet, was die Griechen durch Sothis wiedergeben; er war der Isis
geweiht und erscheint deshalb als „Isis-Sothis^'' vielfach auf den Denk-
mälern. An seinen Frühaufgang Avar der Beginn des Jahres geknüpft.
Wir w^ollen zuerst die Haupterscheinungen dieses hellsten Sterns unseres
Nordhimmels kennen lernen, und wählen hierzu das Jahr 139 n. Chr.,.
in welchem, wie aus einer Stelle bei Censoeix folgen würde (auf die-
selbe und auf die Angaben anderer Schriftsteller kommen wir im
nächsten Paragraphen zurück), der Frühaufgang am 21. Juli statt-
1) Bailly, Hist. de l'Astr. 404; Ideler I 182; Lepsius, Chronol. d. Ägypt., I 160^
2) Zeitrechn. d. Bahyh n. Ässi/rer, 1852, S. 165.
1 82 Tl. Ka])itel. Zeitrechnung der Ägypter.
gefunden hat; als Ort der Beobachtung- nelimen wir Mempliis an.
Mit Hilfe der Position des Sirius für 139 n. Chr. (s. Tafel I am
Schluß dieses Bandes) ergibt sich, daß der Stern um Mitte Dezember
um die Mitternachtszeit kulminierte. Um diese Zeit bot er also den
schönsten Anblick und war die ganze Nacht sichtbar. Allmählich
aber rückte die Zeit seines Aufgangs in die Zeit der Abenddämmerung
hinein, und bald nach Januarbeginn konnte sein letzter Aufgang in
der Abenddämmerung (der scheinbare akronychische Aufgang) wahr-
genommen werden. l)ie Aufgangszeit verschob sich bis zum Frühjahrs-
äquinoktium in den Mittag, der Untergang in die ersten Abendstunden.
Im Mai blieb die Sichtbarkeit des Sterns auf die Zeit um Sonnen-
untergang beschränkt und in der zweiten Hälfte dieses Monats konnte
sein Verschwinden in den Sonnenstrahlen (der heliakische Untergang)
beobachtet werden. Im Juni entzog sich der Stern ganz der Wahr-
nehmung, da er am Tage auf- und unterging. Aber bald, wenn sich
das Ansteigen des Nil anmeldete, tauchte auch der Sirius wieder am
Morgenhimmel auf (heliakisclier Aufgang) und seine Untergangszeit
fiel auf den Nachmittag. Im September ging er schon um Mitternacht
auf und um Mittag unter, und zur Zeit der Aussaat der Frucht, im
November, erfolgte der erste Untergang in der Morgendämmerung
(scheinbarer kosmischer Untergang).
Die wichtigste dieser Erscheinungsphasen für die Ägypter ist der
heliakische Aufgang (Frühaufgang). Derselbe ist, wie schon in
§ 6 (S. 25) erklärt w^urde, von mehreren Bedingungen abhängig; nicht
nur von der Position des Sterns zu einer gegebenen Zeit, sondern
von dem Sehungsbogen (arcus visionis) und vor allem von der geo-
graphischen Breite des Beobachtungsortes. Der Sehungsbogen, in
Winkelmaß ausgedrückt, um welchen die Sonne senkrecht unter dem
Horizonte steht, wird für die heliakischen Auf- und Untergänge der
Sterne erster Größe von PTtn.EMÄis zu IP angenommen; der Betrag
des Sehungsbogens hängt aber auch von der Stellung des Sirius gegen
die Sonne ab, und Th. v. Oppolzer, dem wir die genaueste Unter-
suchung über die astronomischen Verhältnisse der Siriusperiode ver-
danken', hat deshalb in seinen Rechnungen diesen Umstand durch
Variation des Betrages des Sehungsbogens berücksichtigt. Die geo-
graphische Breite des Beobachtungsortes hat den größten Einfluß auf
die Eechnungsresultate. Innerhalb derjenigen Breiten, die für Ägypten
in Betracht kommen, kann sich ein heliakischer Siriusaufgang um
sieben Tage und mehr verschieben, wie aus den später mitzuteilenden
Zahlen hervorgehen wird. Südlichere Orte sehen im allgemeinen die
1) Ub. die Länqe des Striusjahres ii. der Sothisperiode {Sitzgsher. d. Wiener
Akad. d. Wiss., 1884, 90. Bd., nuitli. Kl.).
i; 39. Di«' licliakischc'ii Siiiiisaufgänge. 183
Aufg-änge wesentlich früher als nördliche ; für die Zeit um 200 n. Chr.
beträgt die Änderung für einen Breitegrad etwa 0,9 Tage. Die
geographische Länge des Beobachtungsortes dagegen beeinflußt die
Eechnung sehr wenig. Wegen dieser Änderungen des Eintrittes der
heliakischen Aufgänge unter verschiedenen Breiten wird in die Be-
urteilung der alten Nachrichten über den Tag des Siriusaufgangs in
Ägypten ein schwieriges Element eingeführt, und man ist vor die
A\'ahl gestellt, entweder einen einzelnen Ort, etwa ein Hauptheiligtum
Ägyptens, als autoritativ für die Festsetzung des Aufgangstages an-
zusehen, oder die einzelnen Tempelbezirke als unabhängig voneinander
hinzustellen, also mehrererlei Siriustage gelten zu lassen. Die Schwierig-
keit wird weiter noch erhöht durch die mißliche Wahrnehmbarkeit dieser
Erscheinungen (s. S. 26) und durch die Differenzen der meteorologischen
Verhältnisse in den verschiedenen Jahren^. Hierzu kommt zuletzt noch,
daß die heliakischen Siriusaufgänge nicht, wie man früher angenommen
hat, durch Jahrtausende für einen bestimmten Ort auf demselben Tage
haften, sondern es findet in. dieser Hinsicht eine, wenn auch langsame
Verschiebung der Aufgangszeit statt. Alle diese Umstände fordern
eine vorsichtige Behandlung der alten Nachrichten von heliakischen
Siriusaufgängen; die beträchtliche Unsicherheit, die der Gegenstand
mit sich bringt, gebietet wenigstens ein Zurückhalten in den Schlüssen,
die man an die Tradition zu knüpfen sich leicht versucht fühlen kann.
Wir wollen nun näher auf den Verlauf der heliakischen Aufgänge
während einer Jahresreihe und auf die Verschiebung gegen das
ägyptische Wandeljahr eingehen und dabei der Darstellung Oppolzees
folgen (Fig. 5). Es bezeichne HH' den Horizont, der Abstand HJ bis H'K
den Sehungsbogen , die Zeichen O die Stelle der Sonne unter dem
Horizonte HH', wenn der Sirius bei seinem Aufgange sich gerade in
dem letzteren befindet. Steht die Sonne näher dem Horizonte, also
über der Grenzlinie JK des Sehungsbogens , so sind ihre Strahlen
noch zu intensiv, um den Sirius über dem Horizonte hervortreten
lassen zu können, also sind die heliakischen Aufgänge unsichtbar, zu
deren Zeiten sich die Zeichen O oberhalb der Grenzlinie JK befinden;
dagegen sind jene Aufgänge sichtbar, wo die Sonne sich unter der
Grenze JK befindet. Die Zeichen in je einer der schief aufsteigenden
Eeihen gehören immer zu ein und demselben Monatstage, z. B. die
in der obersten schiefen Linie zum 3. Epagomenentag, die darunter
folgenden zum 4. und 5. Epagom., 1. und 2. TItof/i. Die Vertikallinien
A, B, C, D . . . . bezeichnen die Stellung der Sonne in den einzelnen
1} NoL'ET (s. A^OLNEY, Bech. SH7- Vhistoire anc, III 322) gibt z. B. an. daß
der Horizont in Ägypten fast stets von einer dichten Dunstsehiclit umlagert sei,
daß Sterne 2. und 3. Größe überhaupt kaum durchdringen können.
184
n. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
Jahren A, B, C, D . . . . an den entsprechenden Jahrestagen. Durch
Verfolgung- der vertikalen und schiefen Linien bis zu ihren Schnitt-
punkten kann man sofort beurteilen, ob in einem Jahre ein heliakischer
Aufgang an einem bestimmten Tage, z. B. am 21. Juli des Wandeljahrs
wahrnehmbar sein kann oder nicht. Man sieht z. B., daß im Jahre A
am 4. Epagomenentage die Sonne noch über der Grenze JK steht,
daß also der heliakische Aufgang unsichtbar bleiben muß ; am 5. Epag.
im selben Jahre A steht die Sonne gerade in der Grenze JK, der
heliakische Siriusaufgang wird immer noch nicht, wohl aber am
nächsten Tage, dem 1. Thoth, beobachtbar sein, wo das Zeichen O
schon unter der hackenförmigen Linie „21. Juli" steht. Mit den
laufenden Jahren nähert sich die Sonne der Grenzlinie JK etwas (für
die Breite von Memphis jährlich etwa 13 Bogenminuten), deshalb
/r-
A B C D A R C D' A" B" C D"
ysi
Fig. 5.
steigen die Zeichen O in schiefer Linie an. Man bemerkt, daß die
Wahrnehmbarkeit des heliakischen Aufgangs desto leichter wird, je
weiter der Jahrestag fortschreitet, und anderseits, daß mit den fort-
schreitenden Jahren der Aufgang auf einen anderen Tag rückt, z. B.
im Jahre A am 1. Thoth war der heliakische Aufgang gut sichtbar,
im nächstfolgenden Jahre B am 1. Thofh ebenfalls noch, dagegen am
1. Thoth der Jahre C und 1) kaum mehr, da die Sonne zu nahe der
Grenze JK stand; vom Jahre A' ab aber rückt die Sichtbarkeit auf
den 2. Thoth. Sie verbleibt auf dem 2. Thoth wieder 4 Jahre und
rückt dann (bei A") auf den 3. ThotJi u. s. w. Wenn nun der Beginn
einer Siriusperiode (des Sothisjahres) an einen festen Tag geknüpft
wird, so folgt aus diesen Verhältnissen, daß, mit Rücksicht auf die
Verschiedenheit der Sehschärfe der Beobachter und der meteorologischen
Bedingungen, an einem und demselben Orte (demselben Parallelkreis)
der entscheidende Tag, also der Beginn der Siriusperiode um 2 Jahre
i; 39. Die lii'liakisclirii Sirinsaufgängt'. 185
differierend festgesetzt werden kann. Im allgemeinen konnten aber
die Priester, wenn sie sich zahlreich an den Beobachtungen beteiligten,
feststellen, daß, wenn ihnen die Konstatierung des Aufgangs in einem
Jahre leicht, im nächsten aber nur schwierig möglich gewesen war,
sie im folgenden .lahre den nächsten Tag als Aufgangstag zu nehmen
und durch 4 Jahre beizubehalten hätten. Der julianische Kalender
(3651/4 Tage) geht nur durch 3 Jahre parallel mit dem ägyptischen
Wandeljahre (365 Tage) und springt alle 4 Jahre wegen des Schaltungs-
tages um einen Tag vor. Hieraus erklärt sich die hackenfürmige
Linie „21. Juli". Der 21. Juli fällt z. B. im Jahre A mit dem 1. Thoth,
in den Jahren B, C, 1) mit dem 2. Tliotli zusammen. Die Zeichnung
lehrt also, daß der julianische Jahrestag (21. oder 20. Juli) konform
läuft mit den heliakischen Siriusaufgängen der fortschreitenden Wandel-
jahre. Daraus ist die Annahme erklärlich, die man gemacht hat, daß
der heliakische Aufgang des Sirius während des ganzen Altertums
auf demselben julianischen Tage haften bleibe. Oppolzer hat aber
die Länge des Siriusjahres genau bestimmt und gefunden, daß sich
dieselbe langsam ändert. Für die Anfänge der hauptsächlich in
Betracht kommenden Sothisperioden beträgt die Länge des Siriusjahres
um 139 n. Chr. 365 Tage 6 Stunden 1 Minute 29 Sekunden
„ 1318 V. Chr. 365 „ 6 „ 0 „ 43 „
,, 2776 ,, 365 „ 6 .. 0 .. 8 „
„ 4236 „ 365 „ 5 „ 59 „ 46
Die Länge vergrößert sich also mit der Zeit; nur im sehr zurück-
liegenden Altertum, um etwa 3231 v. Chr., war das Siriusjahr völlig
gleich dem julianischen (365 Tage 6 Stunden). Diese Variation mußte
notwendigerweise den Ägyptern völlig entgehen, und sie waren auf
Grund ihrer Beobachtungen, wie man sieht, berechtigt, das Siriusjahr
zu 365 \/4 Tagen anzunehmen. Nach je 4 ihrer Wandeljahre war das
Siriusjahr um 1 Tag voraus, also waren 1461 Wandel jähre gleich
1460 Siriusjahren; diese letztere Periode nannte man eine Sothis-
periode. Man hielt diese Periode für konstant, in der Tat aber
verkürzte sie sich, denn ihr Anfang fiel rechnungsmäßig auf folgende
Jahre, zwischen denen sich die beigeschriebenen Intervalle ergeben:
Zwischenzeit iu
Siriusjahren Wandeljahren
4236 V. Chr.
1460
1461
2776
!?
1458
1459
1318
1457
1458
139 n. Chr.
186
II. Kiipitel. Zeitrt'chnuiig der Ägypter.
Die Annahme einer Sotliisperiode von 14(31 Wandel jähren ist also
eigentlich illusorisch, da sich die Länge derselben mit der Zeit um
mehrere Jahre verkürzt, während der Geschichte Ägyptens um
3 Jahre; nur für die Zeit des 4. und 5. Jahrtausends v. Chr. dürfen
1461 Jahre gerechnet werden. Die hier angesetzten Epochen der
Sothisperioden ändern sich ferner um 1 bis 2 Jahre, wenn man die Rech-
nungsbedingungen (Sehungsbogen , geogr. Breite u. s. w.) verändert ^,
allein das Resultat, daß die Siriusperiode nicht konstant ist,
bleibt der Hauptsache nach davon unberührt.
Was nun den Tag betrifft, an welchem unter verschiedenen
Breiten die heliakischen Siriusaufgänge stattfinden, so hat OrroLZER
Formeln gegeben, aus denen sich für eine gegebene Zeit und unter
den Bedingungen, die sich beim Ausgangspunkte 21. Juli sowohl wie
20. Juli ergeben, die Zeiten der Aufgänge berechnen lassen. Meine
hier folgenden Zahlen sind aber hiervon unabhängig, und zwar mit
der alten PTOLEMÄischen Annahme von IP für den Sehungsbogen,
ferner mit Zugrundelegung der Sternpositionen für Sirius- (Tafel I)
und der WiSLicENusschen und ScHRAMSchen Tafeln der jährlichen
Auf- und Untergänge der Sterne resp. des letzteren Zodiakaltafeln
(s. Einleitung S. 53) berechnet, haben also mit Oppolzees Formel
oder Voraussetzungen gar keinen Zusammenhang. Ich habe für die
geographischen Breiten 26^, 30*^, 34*^ und 38^ gerechnet, so daß man
für einen anderen gegebenen Ort von bekannter nördl. Br. interpolieren
kann; zugleich lassen diese Angaben die Abweichung in der Zeit der
heliakischen Aufgänge mit den verschiedenen Breiten deutlich über-
sehen. Die Resultate sind in Dezimalteilen des Tages (den Tag von
12'' Mittags, also astronomisch, gerechnet), und zwar in mittlerer
Greenwicher Zeit angesetzt.
Heliakische Aufgänge des Sirius.
Astro-
nomisch
Historisch
26^'
D. Br.
30» n. Br.
34« n. Br.
38» n. Br.
— 4000
= 4001 V. Chr.
,Iuli
13,271
Juli 19,039
Juli 25,354
Aug. 1,145
— 3200
= 3201 „
^
13,597
r 18,842
« 24,467
Juli 30,574
— 2400
== 2401 ,
p
14,016
. 18,729
„ 23,840
, 29,388
— 1600
= 1601 ,
„
14,487
. 18,835
. 23,522
„ 28.602
— 800
= 801
,
15,109
. 19,152
„ 23,484
T 28,159
0
= I ^
^
15,955
. 19,740
. 23,783
„ 28,076
-\- 800
= 800 n. ("hr.
•r
17,023
. 20,577
V 24,334
. 28,346
Diese Tafel ist nur für Schätzungen bestimmt. Man wird aus der-
selben z. B. für das Jahr 400 y. Chr. entnehmen, daß in diesem Jahre
1) s. Oppolzek, a. a. 0.
2) Diese Sternpositiouen stimmen mit den Oi'PoT.zKusehen a. a. 0., S. 566)
genau überein, sind aber bei mir weiter von 1600 bis 4000 v. Chr. zurüekgerechnet.
ij 40. Die S(itliis])cri()(lr. Ai)okjit;i.stiis('ii. Siriiisdiitcii.
187
der heliakische Aufo-ang für Theben (26^» nördl. Br.) luisetälir am
15. Juli, für Memphis (30*^ nördl. Br.) am 19. Juli, für Alexandrien
(31,1" nördl. Br.) am 20. Juli stattfand. Für eine jienauere Ermittlung-
des TajR-es sind die Sonnenlängen nötig-, bei Avelclien die lieliakischen
Anfg-äng-e vorfallen. Es sind folgende:
, Sonnenläng-en der heliakisclien Aufgänge des Sirius.
Astro-
nomisch
Historisch
26» n. Br.
30» n. Br.
34** n. Br.
38° n. Br.
— 4000
= 400 1 V. Chr.
77,66iO
83,2880
89,4480
96,191"
— 3200
= 3201 „
Ö3.934
89,012
94,540
100,561
— 2400
= 2401 „
90,368
94.976
99,974
105,399
— 1600
= 1601 „
96,972
101,191
105,739
1 10,668
— 800
■^ 801 ,
103,777
107,673
111,848
116,354
0
= I „
110,815
114,443
1 18,320
122,470
+ 800
= 800 n. Chr.
I 18,1 12.
121,524 ;
125,152
129,027
Um den Tag des Aufgangs mittelst dieser Tafel zu finden, interpoliert
man für das gegebene Jahr und die geographische Breite die Sonnen-
länge und ermittelt mit Hilfe der ScHKAMSchen Zodiakaltafel den Tag,
der dieser Sonnenlänge entspricht. Z. B. für das Jahr 139 n. Chr.
findet man für Memphis (30^ nördl. Br.) mit Rücksicht auf die höheren
Differenzen der angesetzten Werte die Sonnenlänge 115,650o. Aus den
ScHKA^rschen Tafeln resultiert für 90" Sonnenlänge der julianische Tag
1772001,8498, für 120" der Tag 1772033,1653, hieraus für 115,650" das
Komplement 26,7747 Tage, demnach der julianische Tag 1 772 028,6245.
Diesem Datum entspricht 139 n. Chr. Juli 20,6245 = Juli 20, 15"^ mittl.
Zeit Greenwich = 17'' mittl. Zeit Memphis, d. h. der Morgen des 21. Juli
139 n. Chr. Für Alexandrien würde die Sonnenlänge 116,698" sein,
entsprechend dem Datum Juli 21, 19^ mittl. Zeit Alexandrien, d. h.
der 22. Juli.
§ 40. Die Sothisperiode. Apokatastasen. Siriusdateu.
unter den alten Schriftstellern herrscht über den Tag des lielia-
kischen Siriusaufgangs wenig Übereinstimmung. Censoeix sagt darüber
folgendes: „Der Anfang desjenigen (großen) Jahres der Ägypter,
welchen die Griechen y.wiy.öv, die Lateiner annus canicularis nennen,
wird gesetzt, wenn am ersten Tage des Monats, den die Ägypter
Tlioth nennen, der Hundstern aufgeht; denn ihr bürgerliches Jahr
hat nur 365 Tage ohne eine Schaltung. Daher ist das Quadriennium
ungefähr um einen Tag kürzer als das natürliclie Quadriennium, und
daher kommt es, daß es (erst) mit dem 1461. Jahre zu jenem zurück-
kehrt. Dieses Jahr wird von einigen ißiaxog genannt , von anderen
188 11. Kapitel. Zeitreclinung der Ägypter.
6 ^sov iviavTog.^'- Ferner heißt es bei demselben Schriftsteller, daß
das gegenwärtige Jahr (in welchem Censorin schreibt) das 986. der
Nabonnassarischen Ära sei (d. i. 238 n. Chr.), oder nach der Ära
Philippi das 562. „Aber hierbei wird immer von dem ersten Monats-
tage, den die Ägypter 1. TJioth nennen, gerechnet, welcher in diesem
Jahre auf VII. Cal. Jul. (= 25. Juni) fiel, während er vor 100 Jahren,
unter dem (2.) Konsulate von Antoninus Pius und Bruttius Praesens,
mit dem XII. Cal. Aug. (= 21. Juli)^ identisch war, zu welcher
Zeit der H u n d s t e r n in Ägypten aufzugehen pflegt [solet].
Daher kann man auch wissen, daß von jenem großen Jahre (welches
das Sonnen- oder Hundejahr oder Götterjahr genannt wird) gegen-
wärtig das hundertste begangen wird-." Mit liücksicht auf die unten
in der Anmerkung erklärte Korrektur des Datums fällt also nach
Censorin der heliakische Siriusaufgang in Ägypten auf den 20. Juli.
Dagegen geben eine größere Zahl der alten Autoren den 19. Juli:
DosiTHEos (unter Ptolemäus IIL, oder dessen Nachfolger) '\ Palladius
[VII 9] (gegen Ende des 4. Jahrh.) „in ortu caniculae, qui apud
Romanos XIV, Cal. Aug. die tenetur" [= 19. Juli], ebenso Aetios
(Tetrahihl. III 164) und der jüngere Zoroaster {Excerpta Georgica
(rraecorum suh nomine Zoroitstrls)] Hephaestion (aus Theben, nach
Salmasius unter Konstantin d. Gr.) schreibt nagiatrioav ol naXatyevetg
oocfot yllyvTiTioi xccl tag trjg aoo&scog knixoXag kv ralg xe (25) tov
urjvcg ''ETiKfi*. Solinus (c. 32 Salm.) deutet ein dreitägiges Intervall^
1) Das Konsulat fällt 892 u. c. = 139 n. Chr. Censorin schrieb 238 n. Chr.,
wo der 1. Thotli = 25. Juni war. Da hundert Jahre vergangen sein sollen, müssen
100 : 4 = 25 Tage hinzugerechnet werden, und man gelangt auf den 20. Juli =
XIII. Cal. Aug., weshalb die meisten Editoren (Scaliger, Petavius u. a.) letzteres
Datum angenommen haben.
2) De die natali, c. 18: Ad Aegyptiorum vero aunum magnum luna non
pertinet, quem Graece xvvixöv, latine canicularem vocamus, propterea quod initium
illius sumitur, cum primo die eius mensis, quem vocant Aegyptii Thoth, caniculae
sidus exoritur. Nam eorum annus civilis solos habet dies CCCLXV, sine uUo
intercalari. Itaque quadrienuium apud eos uno circiter die minus est, quam naturale
quadriennium: eoque fit, ut anno MCCCCLXI ad idem revolvatur principium.
Hie annus etiam i]XiaK6s a quibusdam dicitur, et ab aliis ö &tov iviavrog. —
c. 21: Sed horum (annor. Nabonn. et Phil.) initia semper a primo die mensis eius
sumuntur, cui apud Aegyptios nomen est Thoth, quique hoc anno fuit ante diem
VII. Cal. Jul., cum abhinc annos centum, Imp. Antonino Pio II. et Bruttio Praes.
Coss. , idem dies fucrit ante diem XII. Cal. Aug., quo tempore solet canicula in
Aegypto facere exortum. Quare scire etiam licet, anni illius magni, qui. ut supra
dictum est, et solaris et canicularis et Dei annus vocatur, nunc agi verteutein
annum centesimum.
8) A. ßüCKH, üb. d. 4jähr. Sonnenkreise der Alten, 1863, S. 59.
4) Diese Beziehung der Angabe des Hephaestion vom 25. Epiphi ^= 19. Juli
hält Unger für statthaft {Ahfassungszeit d. äfiypt. Festkalender. AhhdUj. d. kgl. bnir.
Akad. d. Wiss., XIX. Bd., 210 und ^Chronul. des Manetlio\ Berlin 1867, S. 46)
gegen Böckii, a. a. 0., S. 310.
i? 40. J)if Sothisix'riodc. AimkiitastiisiMi. Siriiisdjiten. 1 H9
^•om 20. bi.s 22. Juli, an: „qiiod tempus (Zeit des Siriusaufgan^s)
sacerdotes natalem mundi indicanmt, id est inter tertium decimum
Cal. Aug. et undecimum". Für Eudoxis, der während seiner Eeise
in Ägypten bei Heliopolis astronomische Beobachtungen gemacht haben
soll (Stkabo XVII, c. 1,30), würde aus dem Parapegma zur Isagogc.
des Gemixus gar der 23. Juli folgend Diese Nachrichten gehören
noch nicht zu den alten; man würde erwarten können, daß sich in
dem Kalender von Esnc da dieser sicher der jüngeren Zeit angeliört,
der heliakische Aufgangstag festlich verzeichnet fände, und zwar an
dem Tage, der den obigen Ansätzen entspricht. In der Tat führt
dieser alexandrinisch datierte Kalender unter dem 29. Epiph'i
(= 23. Juli alex.) ein „Fest der Götter an dem Feste ihrer Majestät
Is'is-Sothis'-'- auf, welches bei der Erscheinung des Sirius gefeiert wurde,
aber das Datum stimmt nicht mit dem CExsoEixschen 26. Epiplil ^
20. Juli, sondern vielmehr mit dem des Eudoxus.
Diese ^Abweichungen sprechen nicht sehr dafür, daß "man sich in
Anbetracht der Differenzen des heliakischen Siriusaufgangs unter ver-
schiedenen Breiten zur Wahl eines bestimmten Ortes geeinigt hätte.
Die großen Tempelgemeinden hatten, soviel sich aus den Kalender-
listen ersehen läßt, manche Lokalfeste, und auch die Nilfeste wurden
in den einzelnen Gauen nicht an denselben Tagen gefeiert. Jedenfalls
könnte nicht Theben, wie Uxgee zeigen will, der bestimmende Ort
für den heliakischen Aufgang gewesen sein, denn wie ein Blick auf
die vorher (S. 186) gegebene Tafel lehrt, fand dort während des
ganzen Altertums der Aufgang um den 13. — 17. Juli und nicht am
19. statt. Dagegen blieb für die Breite von Memphis der heliakische
Aufgang ziemlich konstant auf dem 1 9. Juli haften. Gewöhnlich wird
daher dieser Ort von den Chronologen als der bestimmende voraus-
gesetzt, so in neuester Zeit von Eduakd Meyee - ; Letei )xxe verweist
auf Memphis als die Königstadt, den Sitz der Dynastie und der an-
gesehensten Tempel. Ob die Stelle bei Olympiodoe"', auf die er sich
1) Die Parapegma-Stellen über die heliakischen Aufgänge bei Dositheos,
Metox, Eudoxus u. s. w. sind folgende:
Krebs 23, 19. Juli, z/oct^fco iv AiyvTtrcp v.voiv iy.cfavi]g yivttai,
fl 25, 21. „ MircovL kvwv i-xixi'ü.si iäog.
„ 27, 23. „ Evy.Ti'iuovL xvcov i-xirtlXsi.
Evd6^(p 'Kvcov icoos iTtixii.Xti.
Metox und Euktemox beobachteten in Athen, Makedonien, Thrake. S. Bückh,
a. a. 0., S. 58, 62 f.
2) Ägyptische Chronologie {Abhdlg. d. Berlin. AJcad. d. ]l'iss., phil.-hist. KL,
I, 1904, S. 23).
3) Olymp, in Aristot. 3Ieteor. 2b 1 : y.al an avrr\ (Mt'fiqpis) ißuaiXtvGSP, öfiXov
ix xov Tovg 'AXs^avÖQtig tjjv rov "iivvbg fjrtro/.rjf iitirtlXtiv , ov^ örav ccvroig 6
xv(üv, aXX' örar rotg Mtiicpircag iTtixiXXti.
190 n. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
Stützt — „dies beweist, daß sie (Memphis) geherrsclit hat. da die
Alexandriner den Aufgang des Hundes niclit von dem Augenblicke,
wo er sich tür sie erhebt, zählen, sondern wenn er für die Bewohner
von Mempliis aufgeht" — allein entscheiden kann, mag dahingestellt
bleiben. Gegenwärtig wissen wir noch zu wenig von den hierarchischen
Verhältnissen der Tempelbezirke zu einander, um die Frage sicher
beantworten zu können.
Die Zeit also, wenn der Sirius nach der Sommersonnenwende
wieder zum ersten mal am Morgen aus den Sonnenstrahlen empor-
tauchte, bildete den Anfang des neuen Jahres. Die Konstatierung
dieses heliakischen Aufgangs wurde durch religiöse Feste gefeiert. Die
gütige Isis, die Personifikation der fruchtbaren Natur, führt um diese
Zeit auch die Nilschwelle herbei: „Du Herrin des Jahresanfangs, welche
schwellen macht den Nil zu seiner Zeit", „um Göttern und Menschen
Nahrung zu gewähren". Wegen der Nilüberschwemmung, dieser
wichtigen Jahreserscheinung, von der das Wohl von ganz Agj^pten
abhing, und die durch den Sothisstern herbeigeführt wurde, müssen
die heliakischen Aufgänge in der alten Zeit eine noch höhere Bedeutung
gehabt haben als in der späteren. AVir haben im vorigen Paragraphen
gesehen, daß gerade im 4. Jährt, v. Chr. die Länge des Siriusjahres
vollkommen mit dem Naturjahre (dem juliauischen) überein kam. Aber
auch die Nilschwelle fiel nahezu mit dem heliakischen Aufgange und
dem Sommersolstitium zusammen, denn für die vier früher angeführten
Anfänge der Sothisperioden fanden folgende Daten statt (in denen wir
nach dem Vorbilde des koptischen Kalenders den Beginn der Nil-
schwelle 3 Tage nach der Sommersonnenwende setzen):
Siriusaufgang
Sommer-
Solstitium
Beginn der
Nilschwelle
4236 V. Chr.
25. Juli
28. Juli
2776 „
1318 .,
■ 20. Juli
13. „
1- „
16. „
4. „
139 n. Chr.,
21. Juni
24. Juni
Also ging im 4. Jährt, v. Chr. der Sirius gleichzeitig mit der Sommer-
sonnenwende und der Nilschwelle auf. Zu Zeiten der Thutmosiden
(16. bis 15. Jahrh. v. Chr.) erfolgten die heliakischen Aufgänge aber
schon 17 Tage nach der Sommerwende, und zur Zeit des Dekrets von
Kanopus (238 v. Chr.) schon einen Monat nach Eintritt der Nilschwelle.
In den früheren Epochen der ägyptischen Geschichte konnte man so-
nach das steigende Nilwasser um die Zeit erwarten, wenn der strahlende
Siriusstern sich mit Sommersonnenwende im Morgengrauen zeigte; das
war auch die Zeit des 1. Thot/i, des neuen Jahres. Darum ist Sirius
auf den Denkmälern „die große Göttin Sothis, die Eegentin des Jahres-
i; •!(). l^ic Sotliisprriddr. AimkatiistMscii. Sirivisdiitcii. 191
aiifang-s, welche steigen macht den Nil zu seinerzeit", oder es heißt:
„Er {Horus) hat den Sothisstern eingesetzt am Himmel, welcher die
Fülle des A\'assers herbeiführt, um das Land zu überschwennnen".
Die Beobachtungen der heliakischen Siriusautgänge ergaben den
mit der Festsetzung- der Zeitrechnung- betrauten Priestern das Kesultat,
daß der Sirius alle vier Jahre um einen Tag später in der Morgen-
dämmerung- erschien, daß also das Siriusjahr länger sein mußte als
das 365tägige Wandeljahr. Je weiter sie den .Jahresanfang 1. TItoth
von dem Beginn der Nilschwelle wegrücken sahen, wurde diese Ver-
mutung zur Gewißheit. Es trat deshalb bald die Notwendigkeit ein,
die Anfänge des Naturjahres von denen des bürgerlichen durch eine
besondere Bezeichnung- zu unterscheiden ; so entstand die Bezeichnung
AV für das erstere, )] 1 für das andere Jahr. Allmählich kamen die
Ägypter zu der Erkenntnis, daß ihr Wandeljahr um einen Tierteltag
zu kurz sein müsse; allerdings .wird auch die Bestimmung dieses
Betrages — in Betracht der Schwierigkeiten in der Beobachtung der
Aufgänge, und da man wahrscheinlich keine Autorität in der Fest-
setzung des mittleren äg-3^ptischen Aufgangstages anerkannt hat —
eine nicht kurze Zeit gebraucht haben. Sobald der Vierteltag er-
kannt war, und man sich entschloß, ihn durch Bildung einer mit den
Jahreszeiten gleichen Schritt haltenden Rechnung zu berücksichtigen,
war auch die Länge der Sothisperiode gegeben; die Anfänge der
einzelnen Sothisperioden ergaben sich, wenn man von einem Datum
ausging, an welchem das Zusammenfallen des 1. Thoth mit dem helia-
kischen Aufgang durch Beobachtung konstatiert worden war, und
man von da ab um 1460 Jahre zurückrechnete.
Was nun die Erwähnung der Sothisperiode bei den alten Autoren
betrifft, so finden sich verschiedene Benennungen der Periode vor.
Bei Clemens Alexandrenus heißt sie ^co&iayS] negiod'og, bei Censorin
xvvDcog, annus magnus, canicularis, bei PLixirs und Solixus annus
magnus, bei Julius Fiemicus annus major, bei Theox die Ära cctio
M€v6(f()£Vüg. Die Länge der Periode, 1460 Jahre, geben mehrere an;
Tacitus, wo er über die Phönixperiode spricht (s. S. 178) sagt, es
legten einige dem Phönix ein Alter von 1461 Jahren bei (Aunal.
VI 28); Gemixus (Isagoge, c. 6) bemerkt „das Fest der Isis durch-
wandert in 1460 Jahren den ganzen Kreislauf der Jahreszeiten";
mißverstandene Nachrichten geben Dio Cassius {Hisf. Rom. I, XLIII
c. 26) und Fimiicus (Fraef. hi Ästro)i.). Bei Herojdot (II 142) wird
die Zahl 1460 nicht genannte
1) Die Erklärungen dieser Stelle s. bei Idelek I 138 und bei Riel , Das
Sonnenjahr u. Sirinsja/tr der liamessiden, Leipzig 1875, S. 184.
192 II. Kai)itt'I. Zeitrechnung der Ägy])ter.
Die Zeit, bei welcher das SßStäg-ige Wandeljalir mit dem festen
{365^/4 tägigen) Sotliisjahre zusammenfällt, nannten die griechischen
Astronomen eine Apokatastasis d. i. Wiederkehr des Ausgangs-
punktes. Wir haben gesehen, daß nach Censoein ein solcher Aus-
gangspunkt am 20. Juli 139 n. Chr. vorhanden war, denn an diesem
Tage fiel der 1. Thoth mit dem heliakischen Siriusaufgange zusammen
(s. S. 188). Rechnen wir von diesem Zeitpunkte um 1460 Jahre
zurück, so erhalten wir die Apokatastasen 20. Juli 1322 v. Chr. und 2782
V. Chr.; unser Täfelchen (y. 186) zeigt, daß auch für diese Zeiten
unter der Breite von Memphis der 19. oder 20. Juli als Tag des helia-
kischen Aufgangs angesehen werden kann. Nun verbleibt aber der
1. Thoth durch 4 Wandel jähre auf demselben Datum (s. S. 184) und
springt dann im nächsten Jahre um einen Tag vor. Handelt es sich
also darum, den Anfang einer Sothisperiode oder einer Reihe derselben
zu bestimmen, so wird dieser Anfang davon abhängen, ob das Jahr
■des Ausgangspunktes das letzte Jahr einer Tetraeteris (innerhalb
welcher der 1, Thoth an dem gleichen Datum haftet) oder das erste
derselben gewesen ist. War das CENsoRiNSche Jahr 139 n. Chr. z. B.
das letzte der Tetraeteris, so war schon 136 n. Chr. der 1. Thoth auf
den 20. Juli gerückt, und dieses Jahr 136 könnte deshalb schon als
der Anfangspunkt einer Sothisperiode angenommen werden; dann
wären Apokatastasen die Jahre 1325 und 2785 v. Chr. War dagegen
139 n. Chr. das erste Jahr der Tetraeteris, so verbliebe es bei den
Apokatastasen 1322 und 2782 v. Chr. Um den Anfangspunkt außer
Zweifel zu stellen, hat man in mehreren Stellen der alten Autoren
nach Stützen gesucht. So führt Lepsiu« Bemerkungen von Theon,
Plinius, Clemens Alex, und die schon genannte Stelle des Censoein
an. H. Beandes hat diese Stellen einer Kritik unterworfen. Die
Stelle bei Plinius% wo derselbe vom Phönix spricht, ist nur durch
eine recht künstliche Änderung, die Lepsius in Vorschlag gebracht
hat, mit dem Jahre 1322 in Verbindung zu bringen. Die Aussage
des Clemens von Alexandeien, der Auszug des Volkes Israel habe
sich zur Zeit des Inachns, 345 Jahre vor der Sothisperiode, ereignet-,
bedingt für den Auszug Moses das Jahr 1667 v. Chr. und für das Ende
der jüdischen Gefangenschaft 592 v. Chr. (statt 521). Eine Stelle
1) Hisi. nat. X 2: Hoc autem circa meridiem incipere, quo die signiim
arietis sol iutraverit. Et fuisse eins conversionis annum prodente se P. Licinio,
Cn. Cornelio coss. CCXV (die Konsulate waren 97 v. Chr.). Lepsius korrigiert
CCXV in MCCXXV; von 1225 um 97 zurück, würde man freilich auf 1322 v. Chr.
kommen.
2) Strom. I 401 : yivtrti i] t^oSog xaru "Ivuj^ov ttqo tT/s Ua&ianfjg nsQiöSov,
i^tX&ovTog ccTt' Aiyvnrov Mäatag hsai ngörsgov rgianooioig TtaaccQäy.ovxa nivts
.(= 345).
§ 40. Die Sotliisijcriodc. Ajidkatastiiscn. Siriiisdatcn. 193
bei TiiKox' hat Lkpshs dahin interpretiert, daß das Jahr 1322 v.Chr.
mit dem Regierungsanfang des Menophre^ zusammenfalle; indessen
würde man nach den Ausführungen von Brandks auf 1 '{21 v. C\n\ kommen,
abgesehen von Ungenauigkeiten,(lie die Stelle darbietet. Brandes
hat deshalb diese drei Zitate als nicht beweisführend angesehen (gegen
die Piiixirs-Stelle spricht sich auch Krall aus) und läßt nur Censorixus
gelten. Um zu entscheiden, welchem Jahre einer Tetraeteris das
CExsoRiNSche Jahr 139 n. Chr. angehört, zieht Brandes die ]\Iond-
finsternisse aus dem 17. und 20. Jahre Hadrians (Almag. IV 5) 6. Mai
133 und ß. März 136 n. Chr. heran und stellt fest, daß
1. Thofh 883 Nabon. = 21. Juli 135 n. Chr.
1. „ 880 „ = 21. .. 132 „
war; somit war 132 — 135 eine Tetraeteris, die nächste fing 136 an,
und 139 n. Chr. war das letzte Jahr derselben. Demnach fiel auf
139 der 20. Juli = 1. Tlwfh. Das erste Jahr der Tetraeteris, der
Beginn einer Sothisperiode, war also 136 n. Chr., und die Apokatastasen
wären dementsprechend in die Jahre 1325 und 2785 v. Chr. zu setzen.
Eduard Meyer geht dagegen in seiner „Ägypt. Chronol." von der
Annahme aus, daß man für die Sothisaufgänge den Normalparallel
von Memphis gehabt und als Anfang des Sothisjahres den festen Tag
19. Juli angenommen habe, was auch aus der Rechnung hervorgeht
(s. S. 186 u. 189). Der Beginn der Sothisperioden würde sich somit
an den 19. Juli (25. Epiphi alex.) knüpfen; E. Meyer findet dann
folgende Jalire als erste der Sothisperioden:
19. Juli 4241 V. Chr.
19. „ 2781 „
19. „ 1321 „
19. „ 140 n. Chr. 2
Die Sothisperiode ist sehr wahrscheinlich erst in später Zeit ge-
bildet worden. Die Ägypter verbesserten keineswegs nach der Konsta-
tierung des fehlenden Vierteltages ihr Wandeljahr, sondern behielten
noch durch Jahrhunderte das letztere bei, wie aus der Lage der Feste
im Jahre hervorgeht, welche alle Jahreszeiten durchwandert haben
(s. § 43). Sie wurden also an die Notwendigkeit der Aufstellung
1) Theon. Alex, in libros diios Magu. Construcl. Comment. libii duo [voll-
ständig bei BiOT, üecli. sur plua. points de VAstr. egijjtt., Paris 1823, S. 181, 803]:
■ntQl tfjg Tov Kvvbg ijTiTol))g vnödtiyua. 'Eni tov q (100) tTovg Jioy.X)]Tiuvov TitQt
rfig Toü Kvvbg iniTolijg v-nodtiyuuTog tvty.nv Xaiißclvouiv tu ccito MtrocfQtcog i'cog
TJ)? Xi]^tiüg Avyovarov. Ofiov rä iitiawayoutru trr] uxir (1605).
2) Vgl. auch Zeitschr. /'. Assyr., IX 326; Euiard Meykk, Geschichte d. Alter-
tums, 138; Abhdlrj. d. Berlin. Akad. d. U'iss., phil.-hist. Kl.. T, 1904, S. 28.
Giuzel, Chronologie I. 13
194 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
einer Periode nicht erinnert, so lange als der Gedanke an eine Ver-
besserung der Jalireslänge durch Berücksichtigung' des Vierteltages
sich ihnen nicht aufdrängte. Erst als es zu Verbesserungsversuchen
kam — und solche mögen mit der fortschreitenden Zeit häufiger
aufgetaucht sein — ■ erinnerte man sich daran, daß der heliakische
Siriusaufgang nach einer großen Zahl von Jahren auf denselben Tag
zurückkehren müsse, und bildete aus dem erkannten Vierteltage die
Sothisperiode von 14G0 Jahren. Die Sothisperiode ist also, wie die
anderen großen Jahresperioden der Ägypter (vielleicht nur mit Aus-
nahme der >SV^Periode, welche ein hohes Alter besitzt) ein Bildungs-
produkt der späteren Zeit. Dies hat schon Idelek anerkannt, indem
er (I 132) sagte: „Die Hundssternperiode gründete sich auf die Ver-
gleichung des festen Jahres mit dem beweglichen, konnte also nur
das Resultat fortgesetzter Beobachtungen des Frühaufganges des Sirius
sein. Da nun überdies das Bedürfnis einer festen bürgerlichen Ära
gerade nicht auf sie geleitet zu haben scheint, so ist sie wohl erst
späterhin von irgend einem sinnenden Kopfe gebildet worden, als man
die Urgeschichte des Volkes zu bearbeiten anfing, wobei man einer
weitzurückgehenden Are oder eines großen Zeitkreises nicht entbehren
konnte". Diejenigen, welche den Ägyptern die Kenntnis eines festen
Jahres schon für die alte Zeit zuschreiben, sind allerdings eben dieser
Annahme wegen genötigt gewesen, auch bei der Sothisperiode ein
hohes Alter vorauszusetzen. An der Spitze derselben stand Lepsius,
welcher als Zeit der Einführung der Periode 1322 v. Chr., die Epoche
des Königs Menophres^ annahm ; noch weiter zurück ging Biot, welcher
1780 V. Chr. als die Zeit der Existenz der Periode und zugleich als
die Zeit der Einführung des Wandeljahres ansah. Mit dem späten
Aufkommen der Sothisperiode stimmt auch der Umstand, daß man auf
den Denkmälern eine Angabe über die Länge der Periode (ebensowenig
wie betreffs der Phönixperiode) bisher nicht hat entdecken können.
Es erübrigt noch, der Siriusdaten zu gedenken, welche man
bis jetzt auf den Denkmälern verzeichnet gefunden hat:
a) Das Sothisdatum auf der Eückseite des medizinischen Papyrus
Ebers; auf diesen Doppelkalender kommen wir in § 42 bei den Fest-
kalendern zurück.
b) Auf einem Steine, welcher zu den Bauresten eines den Nil-
g()ttern Chnum, SaÜs und AniiJcc geweihten Temi)els (um 1822 n. Chr.
zerstört) auf der Insel Elephantmc (bei Syene) gehört, heißt es in
einer Inschrift: „Am 28. Epi'plil das Fest des Siriusaufganges". ICs
ist einigermaßen zweifelhaft, ob der Stein zu einer Festliste mit An-
gaben aus der Zeit Thi(tmos\i< ITI. gehört. Vom 28. Ejnji/ii bis
1. TItoth sind im ägyi)tischen AV^andeJ jähre 38 Tage, demnacli muß
man, um das Jahr zu finden, in welchem der 1. T/iol/i auf jenen Tag
§ 40. Die iSotliispcriodr. Apokatastascn. Siriusilatcii. 195
fallen soll, von der letzten Apokatastase um 4 • 88 = 152 .Jahre
zurückgehen, d. h. von 1322 v. Chr. auf 1474 v. Chr. Dieses Jahr
stimmt aber nicht mit der Regierungszeit des Thufmosis IIL, welche
LKi'sirs (1(503—1565 v. Chr.), Bkugsch (1625—1577 v. Chr.) u. a.
gefunden haben. Dagegen hat C. F. Leji.mann (Zird Haupt prohlcmc d.
altoricnt. ChronoL, 1898, S. 152 — 160) die Regierungszeit T/iutmosis III.
dem Jahre 1474 v. Chr. anzupassen vermocht (1515 — 1461 v. Chr.),
Zum gleichen Resultat (1515—1462), aber auf Grund anderer Voraus-
setzungen, kommt J. KiiALL (Grundrlfi d. altorient Gesch., I 191).
Ed. Meyer findet {Ägypt. Chronologie, S. 50 u. 68) diese Regierungs-
zeit 1501—1447 V. Chr.
c) Nach dem Dekret von Kanopus aus dem 9. Jahre des Eaer-
getes III. (238 v. Chr.) soll im 10. Monat am 1. Payui ein Fest des
Aufgangs der göttlichen Sothis gefeiert werden. Dieser heliakische
Aufgang entspricht dem Datum 19. Juli 238 v. Chr. (s. § 41)^.
d) Ein Tempeltagebuch - Fragment aus dem 7. Jahre des User-
tesenlll. [Sesostris] (12. Dynastie), gefunden 1899 bei IlJahum (Kahun)
berichtet: „Der Fürst und Tempelvorstand ... an den ersten Yorlese-
priester . . — Du sollst wissen, daß der Aufgang des Sirius am
16. des vierten Wintermonats (= Fharmuthi, s. S. 159) stattfindet.
Mögest Du (benachrichtigen) die Laienpriester des Tempels der Stadt
„mäclitig ist der selige Userteseu" und des Anubis auf seinem Berge
und des Suchos. Und lasse diesen Brief in (das Tagebuch) des
Tempels machen." Ein mit derselben Handschrift geschriebener Papyrus
berichtet von dem auf den Siriusaufgangstag folgenden Tage: ..Jahr 7,
vierter Wintermonat, am 17. . . . Einkünfte: Festgaben des Sothis-
aufgangs . . . 200 verschiedene Brote, 60 Krüge Bier . . . ." Illahun
liegt ungefähr unter der Breite von Memphis. Wenn wir vom 19. Juli
als traditionelles Aufgangsdatum für das mittlere Ägypten ausgehen,
so entspricht im 19. Jahrh. v. Chr. nach der 2. Tafel (S. 187) diesem
Tage das Jahr 1876 v. Chr. am besten (Juli 19,031). Oppolzeks
Formel gibt für dieses Jahr Juli 19,533. Der überlieferte Sirius-
aufgang wird also für die ungefälire Zeit Sesostris III. rechnerisch
hinreichend bestätigt. —
Zu den angeführten Sothisdaten käme noch das Datum 20. Juli
139 n. Chr., welches uns von Cexsuiun als ein Sothisdatum überliefert
ist (s. S. 188). Auf Sothisfeste, die in Kalendern verzeichnet stehen,
kommen wir noch zurück.
1) Nach Biu'GscH hat man früher ehie luschrift auf dem Felsen von Hamamat
aus der Zeit des Königs Fypc für ein Siriusdatum genommen (Lepsils, Denkmäler,
II 115 gl.
13*
196 IT. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
§ 41. Das tanitische Jahr (Dekret von Kanopus).
Die notwendige Folge des Bestehens des 365tägigen Wandel-
jalires war, daß allmählicli die Jahreszeiten, zu denen man die
Monate als Tetramenien zusammenfaßte, gegen die tatsächlich statt-
findenden sich verschoben (s. S. V)9, 1(30). Die Erkenntnis des Viertel-
tages aus dem Sothisjahre änderte zunächst noch nichts im Kalender-
W'esen der alten Zeit. In dieser Epoche war schon die Begründung
des Wandeljahres, die Anfügung von fünf besonderen Tagen an (his
sexagesimale 360tägige Jahr, ein Fortschritt gewesen. Zu der Zeit,
wo man des fehlenden Vierteltages durch die Verfolgung der heliakischen
Siriusaufgänge wirklich sicher wurde, hatte das Wandeljahr schon
festen Fuß im Volke gefaßt und neue Verbesserungen der Jahreslänge
mußten auf Schwierigkeiten stoßen. Die Priesterschaft zog es deshalb
vor, die Feste des Wandeljahres sich ungeändert gegen die Jahres-
zeiten verschieben zu lassen; ein großer Teil dieser Feste wurde
ohnehin weniger vom Volke gefeiert und ein Teil beschränkte sich
überhaupt auf die Tempel. Viel wichtiger war, daß die Naturfeste,
insbesondere die mit den Nilphasen zusammenhängenden (Nilschwelle,
Durchstich der Dämme, Erntefest u. s. w.) dem Volke richtig bekannt
gegeben wurden. Die Priester sahen sich deshalb genötigt, die Lage
des Wandeljahres gegen das feste (resp. gegen die Siriusaufgänge) zu
bestimmen und die Nilfeste u. s. w. jedesmal vorher anzuzeigen. Die
anderen Feste, die nicht an der Natur, sondern nur auf bestimmten
Monatstagen hafteten, ließ man sich verschieben. Dieser unsichere
Zustand des Kalenders konnte nicht ohne Anfechtung bleiben, und
offenbar haben die Könige (jedenfalls auf Betreiben einsichtsvoller
Persönlichkeiten) zu wiederholten Malen auf Reformen gedrungen und
schließlich sogar zur Selbsthilfe gegriffen, indem sie Schaltungen will-
kürlich einführten. Darauf deutet die alte Eidesformel, welche die
Priester vor der Umlegung des Diadems von den Königen forderten,
sich der Tag- und Monatseinteilung enthalten zu wollen^ und an
dem von den Antiqui eingerichteten 365tägigen Jahre nichts zu
1) Nigidius Figulus (Ptolemäerzeit) berichtet (Bueysiu, de P. Nigidii Fi{fiili
fragmeittis, Berol. 1854, S. 33; Haudsehr. bei Mkhkkl zu Ovids Fasten, p. LXXXVIll):
„In templo Apis Memphi — mos fuit solio regio decorari reges qui regna ineunt. Ibi
euim sacris initiantur — Deducuntur a sacerdote Isidis in locum qui vocatur
üdvTog et iure iurando adiguutur neque mensein nequc diem intercalaturos sc neque
festum diem immutaturos, sed CCCLXV peracturos, sicut institutum sit ab antiquis.
(Antiqui = den (^iQ^^toi der griechischen Inschriften.) Deinde alterum illis ius
iurandum inponitur senientim per terram aquamque custodiendam comparandamque.
Tum demum diademate inposito potiuntur Aegyptiorum regno.
ij 41. ])iis t:niitisc-lir .Tiihr Dfkrct v(.ii K;m<)i>us;. 107
ändern. SchlieLUicli salien sich aber die Priester genötigt, wenigstens
den Versuch einer Reform zu wagen. Dieser Versuch geschalt durch
das Dekret von Kanopus.
Diese Insclirift wurde von Lepsius im Frühjahr 1866 (gleichzeitig
auch von Reimsch und R()si;Ek) in den Tempelruinen von San, dem
alten Tunis am tanitischen Nilai-me (im Nildelta), aufgefunden. Die
Inschrift ist in Kalkstein gehauen, liierogl3i)hisch , demotisch und in
griechischer Sprache abgefaßt ; die drei Texte sind vollständig und
gut erhalten. Der Tempel, dem die Inschrift angehört, „der Tempel
der (TÖtter Eiicrgetcu zu Kanopus", war von den Eucrgpten (Ptole-
mäerzeit) erbaut und dem Osiris geweiht. Die wesentlichen Stellen
des Dekretes, soweit sie auf die Reform Beziehung haben, sind
folgende :
,.Unter der Regierung des Ftolrmäus, Sohnes des Ptolemäiia und
„der Arsinoe, der Götter Adelphen^, im neunten Jahre, als Apollomdes,
„Sohn des Mosch ion, Priester des Alexander und der Götter Addphen
„und der Götter Euergetm W'ar, (und) Menelrateia, Tochter des
„FhUammon, Kanephore der Arslnoe Fhiladelphus] am 7. des Monats
„A2JcUäus-, d. i. am 17. Tijbi der Äg3q)ter. — Die Erzpriester und
„Propheten und die in das Sanktuarium zur Bekleidung der Götter
„Eintretenden und Pterophoren und Hierogrammaten und die anderen
„Priester, die zusammenkamen aus den Tempeln des Landes auf den
„5. des Bios, an welchem das Geburtsfest des Königs gefeiert wird,
„und auf den 25. desselben Monats, an welchem er die königliche
„Würde von seinem Vater übernahm, als sie versammelt waren an
„diesem Tage in dem Tempel der Götter Euergeten zu Kanopus —
„sprechen aus: — daß, da jeden Monat in den Tempeln als Feste der
„Götter Euergeten nach dem früher abgefaßten Dekrete der 5. und
„der 9. und 25. (Tag) gefeiert werden*, den höchsten Göttern aber
„jährlich (auch) öffentliche Feste und Panegyrien abgehalten werden,
„jährlich eine (■)ffentliche Panegyrie sowohl in den Tempeln als im
„ganzen Lande dem Könige PtoJemäus und der Königin Berenike, den
„Göttern Euergeten. gefeiert werden an dem Tage, an welchem
„der Stern der Isis aufgeht, welcher in den heiligen Schriften
„als Neujahr angesehen, jetzt aber im 9. Jahre am ersten des
„Monats Fagni gefeiert wird, in welchem auch die kleinen Bubastia
1; D. i. Ptolemäus III., Euergetes (247—222 v. Chr.).
2) Makedonische Datierung.
3) Der Beiname Euergetes war dem Könige wahrscheinlich wegen seiner Ver-
dienste \\m das Land und wegen Zurückführung der von den Persern geraubten
heiligen Bilder von den Priestern verliehen worden ; ihm zu Ehren sind auch die
drei obgenannten Feste errichtet.
198 Tl. IvMpiti'l. Zcitrcclimuij,' der Ä^-yptcr.
„und die großen Bnbastia gefeiert werden und die Einbringung der
„Früchte und das Steigen des Flusses geschieht ■ — , daß aber, auch
„wenn der Aufgang des Sterns auf einen anderen (Kalender-)Tag im
„Verlauf von vier Jahren übergehen würde, (dennoch) die Panegyrie
„nicht verlegt, sondern am 1. Paijul gefeiert werde, an welchem sie
„von Anfang an im 9. Jahre gefeiert wurde — und daß sie 5 Tage
„lang abgehalten werde mit einer Stephanephorie und Opfern und
„Spenden und was sonst dazu gehört — daß aber, damit auch die
„Jahreszeiten fortwährend nach der jetzigen Ordnung der Welt ihre
„Schuldigkeit tun und es nicht vorkomme, daß einige der öffentlichen
„Feste, welche im Winter gefeiert werden, einstmals im Sommer ge-
„feiert werden, indem der Stern um einen Tag alle vier
„Jahre weiterschreitet, andere aber, die im Sommer gefeiert
„werden, in späteren Zeiten im Winter gefeiert werden, wie dies
„sowohl früher geschah, als aucli jetzt wieder geschehen würde, wenn
„die Zusammensetzung des Jahres aus den 8()0 Tagen und den fünf
„Tagen, welche später noch hinzuzufügen gebräuchlich
„wurde, so fortdauert: von jetzt an ein Tag als Fest der Götter
,,Euergpfen alle vier Jahre gefeiert werde hinter den fünf
„Epagomenen (und) vor dem neuen Jahre, damit jedermann wisse,
„daß das, was früher in bezug auf die Einrichtung der Jahreszeiten
„und des Jahres und des hinsichtlich der ganzen Hinimelsordnung
„Angenommenen fehlte, durch die Götter Euergeten glücklich berichtigt
„und ergänzt worden ist."
Durch diesen Erlaß erscheint ein festes Jalir eingeführt, und zwar
in der Weise, daß am Jahresschlüsse, nach den 5 Epagomenen, nocli
ein sechster Epagomenentag als Schalttag alle 4 Jahre angehängt
wird. Die gut gemeinte Eeform hatte aber keinen Bestand, denn
schon unter dem Nachfolger des Ffolenu'i/ts III, wurde das tanitische
Jahr wieder aufgehoben, der beste Beweis, wie fest das W^andeljahr
in Ägypten AVurzel gefaßt hatte. Das AVandeljahr erhielt sich noch
lange Zeit im Volke ; offiziell wurde es erst durch das alexandrinische
Jahr unter Augustus beseitigt, aber auch dieses verbreitete sich nicht
etwa allgemein.
Das Dekret von Kano})US fordert noch einige Bemerkungen. Der
Erlaß ist vom 17. 7)/l)i des 9. Jahres des Königs Ptolcmäus III.
datiert. Nacli dem Königskanon (s. S. 139) ist das 1. Jahr dieses
Königs 502 Nabon. = 247/6 v. Chr., also das 9. Jahr = 510
Nabon. Aus Schrams Tafeln erhält man als Datum des Dekrets
510 Nabon. 17. Tißn = 238 v. Ohr. 7. März'. Von Wichtigkeit ist
1) GuTscHMiD {Lüter. Zentralbl., 1867, S. 540; vgl. Lki-shs, Zcüschr. f. ägypt.
Sj)r., 1868, S. 36) hat ein anderes Datum abgeleitet, 2. Dezember 238 v. Chr., und
i^ 41. Diis tnnitisclic .J;ilir Dekret von Kiinojiiis). li)'.)
die Aufgabe des hei iaki sc lieii Siriusauf gangs, den das JJekret
in dem Passus enthält: ..dal.5 ein Fest gefeiert werde an dem Tage,
an welchem der Stern der Isis aufgeht . . . ., welches im 0. Jahre
am 1. Payni gefeiert wird-'. Der 1. Thoih 510 Nabon. fiel
22. Oktob. 239 v. Chr., also war der 1. Paijui 270 Tage später =
238 V. Chr. 19. Juli. Nun haben wir aber aus der bekannten
Censoeinus - Stelle (s. S. 188) gesehen, daß in Ägypten ein helia-
kischer Aufgang auf (h^n 20. Juli 139 n. Chr. gesetzt wird, demnach
müßte 376 feste Jahre früher, d. h. am 20. Juli 238 v. Chr. der Auf-
gang ebenfalls stattgefunden haben. Letzteres Datum gäbe 510 Nabon.
2. Faipü . das Dekret gibt aber 510 Nabon. 1. Fai/ni : es existiert
also eine Differenz, die zu Erklärungsversuchen herausfordert. Lepsius
sucht den fehlenden Tag zu deuten, indem er annimmt, die Eeform
habe schon vor dem Erlaß des Dekretes, eine Tetraeteris früher, statt-
gefunden; 242 V. Chr. würde der 1. Thoth auf den 23. Oktober ge-
fallen sein; man habe nun den Siriusaufgang , der konventionell auf
den 2. Paijm fiel, um einen Tag zurückverlegt, um für die Feier
des Sothisjahranfanges einen Monatsanfang herzustellen. Laüth setzt
ebenfalls die Reform vor das Jahr 239; schon in den früheren
Regieruugsjahren Ftolemiius III. sei ein sechster Tag mehreremal
eingeschaltet worden, was aus den Inschriften einiger Grabstelen
nachweisbar sein soll. Riel nimmt an, die Priester hätten den Anfang
des 1. Payni vom Morgen auf den Abend verlegt, ein w^enig glaub-
licher Vorgang, wenn man sich daran erinnert, daß allgemein die
Tageszählung vom ]\rorgen ab gebräuchlich war. Diese recht künst-
lichen Hj'pothesen werden durch den Hinweis Kralls beseitigt, daß
sich die Priester eben nicht an den 20. Juli als Aufgangstag, sondern
an den 19. Juli gehalten haben; wir haben ohnehin gesehen, daß der
bei weitem größere Teil der alten Autoren den 19. Juli als helia-
kischen Tag annimmt.
Es wird nunmehr auch wünschenswert erscheinen, die gegenseitige
Korrespondenz der bisher konstatierten Jahrformen, des tanitischen
(auch kanopisches Jahr genannt) mit dem Sothisjahre und dem später
noch zu erwähnenden alexandrinischen festzustellen. Das tanitische
Jahr nimmt seinen Anfang (1. Thoth) nach dem Dekrete am 22. Oktober
Julianisch, das theoretische Sothisjahr nach dem konventionellen 20. Juli
der Chronologen, und das alexandrinische am 29. August. Es er-
gibt sich somit folgende Korrespondenz der Monatsanfänge:
zwar durch verschiedene Erwägungen , haupt.säcbh'ch wegen des makedonischen
Datums 7. Apelläus. Näheres hierüber scheint indessen von ihm nicht angegeben
worden zu sein.
200
II. K;ii»iti']. Zi'itrL'cbmiiij;- der ÄgypttT.
'iitspriclit
Dem Monats-
im
1 taiii
itiscbcn
im Sothis-
im alexandr.
tagc
Jahr
Jahr
Jahr
1. Thoth
der
22
Oktoh.
(ler
20. Juli
der 29, Aug.
1. Phaophi
J7
21.
Novb.
19. Aug.
,. 28. Septb.
1. Äthyi-
)?
21.
Dezb.
18. Septb.
,. 28. Oktob.
1. Choiak
??
20.
Jan.
18. Oktob.
,. 27. Novb.
1. Tyhi
55
10.
Febr.
17. Novb.
,. 27. Dezb.
1. Mechir
5?
21.
März
17. Dezb.
,. 26. Jan.
1. Phamcnoth
51
20.
April
16. Jan.
„ 25. Febr.
1. Fhurrnuthi
5*
20.
Mai
15. Febr.
,, 27. März
1. Pachon
55
19.
Juni
17. März
,, 26. April
1. Payni
55
19.
Juli
16. April
„ 26. Mai
1. Epqjhi
55
18.
Aug.
16. Mai
„ 25. Juni
1. Mesori
55
17.
Septb.
15. Juni
„ 25. Juli
§ 42 Dt^r Doppelkalender des Papyrus Ebers.
Bevor wir auf die Wichtigkeit der Kalender- und Festlisten der
Ägj^pter eingehen, müssen wir eine Kalendernotiz erwähnen, Aveldie
vielerlei Erklärungen und Deutungen hervorgerufen hat. Dieselbe
reiht sich insofern gleich dem vorigen Paragraphen über das Dekret
von Kanopus an, als auch sie das Datum eines Sothisaufganges er-
wähnt.
Die Notiz befindet sich auf der Rückseite eines Papyrus, welcher
über medizinische Dinge handelt. Der Papyrus wurde durch Eisenlohk
und Brugsch 1869 in Europa bekannt, durch Ebers für die Leipziger
Fniversitätsbibliothek erworben und. von ihm herausgegeben. (Den
Text haben Goodwin und DI^michen schon 1864, Naville 1868 ge-
sehen.) Der Kalender enthält 2 Namen, in einer Reihe die Namen der
Monatsgötter, welche den einzelnen Monaten vorstehen (s. § 38, S. 157),
in der zweiten die der Monate des Jahres, in einer weiteren Reihe
die durchgehende Bezeichnung „Tag 9 Aufgang der Sotliis" mit
Wiederholungszeichen, und als Überschrift das Jahr 9 eines (dem
Namen nach schwierig zu lesenden) Königs, und zwar in folgender
Weise :
Jahr 9 seiner Majostät des Königs (?), er lebe ewig.
E2n2^hi
Mesori
Thnfh
aI-
[Mesori]
[Thoth]
[Phaophi
Hathor[Afh!/r]
KohA- [dwiak]
Tag 9 Erscheinung der Sothis
Techi
Ptah
l'htiDphi
Afhi/r
u. s. w. durch alle 12 Monate.
i> 42. D.T I)<.i.|.rlk:.I.Mi(lcr des J'iii.yrus Khors. 201
Die Anordminp: des Textes soll augenscheinlich bedeuten, daß am
9. Lp'l'/" i'" •'• -'^'^'i" eines Königs ein heliakischer 8iriusaufgang
stattfand; das Zeichen ^t^-^ bezeichnet das Sothisfest, den Neujahrs-
tag des Siriusjahres. Wenn es sich um einen Sothisaufgang in
der alten Zeit Ägyptens handelt, müßte man von der Sothisepoche
1. Thofh 1822 V. Chr. (s. oben S. 192) zurückrechnen, und zwar um
57 mal 4 Jahre ^ = 228 Jahre, und käme auf 1550 v. Chr., in welchem
Jahre ein Sothisaufgang auf den 9. EjnpM gefallen wäre. Dazu
stimmt der fragliche Name des Königs, betreffs dessen anfänglich
ziemliche Meinungsverschiedenheiten vorhanden waren, für den man
aber seit einigen Jahren (vor allem durch Erman) enägilüg Amenophis I.
angenommen hat. Die früheren Versuche, aaf Grund von falschen
Lesungen um eine Sothisperiode hinauf oder gar weiter hinunter zu-
gehen, sind als abgetan zu betrachten. Längere Zeit hat sich die
Beziehung auf einen König der vierten Dynastie, B'u-heres, gehalten
(EisEXLOHß, GooDwiN, DüMiciiEx). Das für A)ut')iophh I. ermittelte
Jahr 1550 paßt zu dem Ansatz, welchen man auch sonst für diesen
König gewinnt. Unsicher bleibt die Beantwortung der Frage, ob die
Kalendernotiz schon auf dem Papyrus ursprünglich augebracht war, oder
ob sie erst in später Zeit hinzugefügt worden ist. Das erstere behauptete
Lepsius. Es handle sich um die Vergleichung des Wandeljahres mit
dem festen Jahre durch alle Monate hindurch; der Kalender bezwecke,
das Ursprungsjahr des medizinischen Paijyrus anzugeben und das Ver-
hältnis der einzelnen Monate desselben gegen jene des festen Jahres
festzulegen, damit man in die Lage versetzt werden möge, die Heil-
mittel, die für Monate des Wandeljahres angegeben seien, in den ent-
sprechenden Monaten des festen Jahres gebrauchen zu können. Diese
Meinung beruht aber nur auf der äußerst zweifelhaften Hypothese
Lepsius betreffs des Parallellaufens eines festen Jahres mit einem
gleichzeitigen Wandeljahre. Bkuüsch schrieb dagegen der Kalender-
notiz ein jüngeres Alter zu. Der Kalender vergleiche die Stellung des
alten Neujahres, an welchem in früheren Zeiten die Nilüberschwemmung
begann, mit dem späteren Zeitpunkte des Anfangs der t^berscliwemmung.
A^'ill man wirklich die Kalendeniotiz als später angebracht annehmen,
so kann es sich nicht um viele Jahre handeln, denn dem Schrift-
charakter nach gehört der Kalender in dieselbe Zeit wie der Rest
des Papyrus, wenn er nicht von derselben Person geschrieben
worden ist. Schon dadurch erledigen sich Deutungsversuche, die den
Kalender bis in die Ptolemäer- oder Römerzeit herabrücken würden.
1) Vom 9. Epiphi ])is 1. Thoth mit Berücksichtigung der 5 Epagomenen^
sind 57 Tage. Alle 4 Jahre fällt der Aufgang 1 Tag später im Waudeljahre.
^^'^ II. K;ii)it('l. ZcitrtH'liiiuiij,'- der Aji'yptcr.
Kiel ging- von dem sogenannten JJciulcra- Jahre aus, einem festen
Jalire, das er bei den Äg3i)tern entdeckt haben wollte, und meinte,
dieses, welches mit 1. Mrsorl beginnt, werde mit dem Wandel jähre in
der Notiz verglichen; die Kalendernotiz stamme ans römischer Zeit.
Aber das Dendem- Jahr Riki.s ist eine nnerwiesene Hypothese ge-
blieben. Krall weist darauf hin, daß die Errichtung des festen
Jahres nicht früher dokumentarisch nachweisbar ist, als erst in der
Ptolemäerzeit durch das ])ekret von Kanopus. Der Kalender kann,
falls es sich wirklich um die Vergleichung eines festen Jahres mit
einem beAveglichen handelt, also erst in der Zeit des Dekretes,
frühestens unter Ptolcmäus Eucrg. I. gemacht sein. Da der Siriustag
mit dem 1. Mrsori in Verbindung gebracht wird, kann es sich nicht
um das feste tanitische Jahr handeln, da dort der Siriusaufgang auf
dem 1. Pdjim ruht. Aber im alexandrinischen Jahre fällt der
Siriustag nach Theon auf den 29. Epiphi (das CENsoRiNSche Sirius-
datum ist 26. Fplphi = 20. Juli alex.); der 1. Mcsorl des festen
alexandrinischen Jahres (= 25. Juli, s. S. 200) kommt also dem
9. Epiphi eines Wandeljahres gleich, der Kalender stammt daher
wahrscheinlich erst aus der Kaiserzeit. Denn rechnen wir von der
Epoche des alexandrinischen Kalenders, dem Jahre 30 v. Chr. ab, das
Wandeljahr, so war letzteres in 00 Jahren um 15 Tage voraus, also
entsprach um etwa 90 v. Chr. der 1. Epiphi (= 25. Juni alex.j dem
10. Juli, und der 9. Ej^q-ihi dem 19. Juli d.h. dem Siriustage. Die
Kalendei-notiz sei erst zu Zeiten des Kaisers Augustus abgefaßt.
EisENLOHR und C. F. Lehmann erachten es für einen wichtigen
Umstand, daß sich unter dem Zeichen für „Aufgang der Sothis"
bei den anderen um je einen Monat verschiedenen Daten Wieder-
holungszeichen befinden, womit gesagt werden soll, daß sich die
Sothisaufgänge um je einen Monat verschieben. Für eine solche Ver-
schiebung um einen Monat würden aber, da in je 4 Jahren der helia-
kische Aufgang sich um 1 Tag verschiebt, 120 Jahre erforderlich
sein. Der Verfasser der Kalendernotiz will also vielleicht den Sothis-
aufgang von der Zeit der Abfassung des Papyrus bis in die Zeit des
fraglichen lirmigs zurückrechnen. — Auffällig kann scheinen, daß in
der Kalendernotiz die 5 Epagomenen keine Berücksichtigung finden.
Dies ist auch von verschiedener Seite als Einwand erhoben worden.
Das unvollständige Anführen der Epagomenen in sonst vollständigen
Kalendern, sowie ihr manchmaliges Fehlen deutet aber wohl darauf
hin, daß man entweder absichtlich die Epagomenen vermied, oder sie
bei gewissen Jahresrechnungen überhaupt nicht berücksichtigte. Im
ganzen bleibt, wie man sieht, (h^r Zweck der Kalendernotiz immer
noch problematisch.
i:; -l.'i. Die Feste illiil ilire lledeiitmi^ für die ii^'-yiilisclie Zeit reclllilirif,'. 20H
§ 43. Die Ftiste uihI ihre Kedeutiins fiir die äiryptische
/eilrechmiiij;.
Die weitaus gi-ölUe AN'ichtig'keit für die Erkenntnis der äfryittisclien
.lahrformen und ihre alhnählige Entwickehing' haben unter dem (hircli
die Forscliung' zug-änpflieh gemachten archäolop^ischen ]\Iaterial die
Kalender und Festlistcn. Das Zeitrechnungswesen der Ägypter steht
in engster Verbindung mit der Mythologie; davon geben die Feste
beredtes Zeugnis. Es erscheinen in den Festlisten nicht nur Festtage,
die der Verehrung bestimmter Götter gewidmet sind, sondern auch
eine große Zahl solcher, welche auf die den Ägyptern eigen-
tümliche mythologische Verkleidung von Naturvorgängen Beziehung
haben. Wenn wir die Lage dieser Feste im -Talire, die sie in
Kalendern von verschiedenen Entstellungszeiten einnehmen, gegen-
seitig vergleichen könnten , so würden sich aus der Vergleichung
der Feste wichtige llückschlüsse ' betreffs der Jahrform der einzelnen
verglichenen Kalender ergeben, ja man würde aus umfangreichem
derartigen Materiale die Hauptphasen in der Entwicklung des
ägyptischen Jahres nachweisen können. Aber dieser Versuch be-
gegnet derzeit noch großen Schwierigkeiten. Abgesehen davon,
daß nur wenige Festlisten vollständig auf uns gekommen und von
vielen nur Bruchstücke vorhanden sind, bieten schon die Texte dieser
Listen mancherlei Hindernisse. Die konzise Art und Weise, wie die
Feste bezeichnet werden, erschwert oft genug die Identifizierung
eines und desselben Festes in den Kalendern; nicht selten steht man
der Terminologie der Feste ratlos gegenüber, da unsere Kenntnis der
ägyptischen Mythologie, trotz der Fortschritte seit der Aufdeckung
der Denkmäler, nicht soweit entwickelt ist, um entscheidend ein-
greifen zu können; verbale Übersetzungen geben oft gar keinen
Sinn und führen zu ^Mißgriffen '. Dazu kommt, daß in der ägyp-
tischen Mythologie im Laufe der Jahrtausende umfassenden Kultur-
entAvicklung des Nillandes sich große Veränderungen vollzogen haben,
die wir bisher nur in den Hauptzügen übersehen können, die aber
notwendig auch die Bedeutung mancher Feste, die Auffassung der
Symbolisierungen u. s. w. verändert haben müssen. Auch das Zeitalter,
in welches die einzelnen Festkalender einzureihen sind, unterliegt
hier und da mancher Unsicherheit. Wenn auch die Zeit der
1) Solche Schwierigkeiten der Terminologie bietet 7.. B. der sehr alte Kalender
au.s KaJinn. Dort gibt es im FhaopJii ein „Fest der Aufräumung des Sandes",
das „Kleid Scnwosrct IL"., im Athyr die „Dinge der Nacht beim Fassen des
Flusses", im Phamenoth ein „Rudern im Lande" und andere schwer übersetz-
bare Rätsel.
204 II. Kiipitel. Zcitrcclinuiii;- der Äiiyjiter.
Texte der Festkalender hier und da festgestellt werden kann,
so ist es nicht immer sicher, ob der Text nicht eine bloße Kopie
eines älteren ist. Eine rationelle Verwertung der Festlisten müßte
auf die Neuübersetzung- und Revision der Texte zurückgehen
und von sorgfältig vergleichenden Studien begleitet sein, und es
fragt sich dabei noch, ob das uns jetzt zugängliclie Material schon
definitive Schlüsse gestattet. Bei dieser Lage der Dinge muß
ich — da eine kritische Untersuchung eines größern Teils von
Kalendern in diesem Werke wegen des eng bemessenen Raumes
untunlich ist — mich damit begnügen, einige der vollständiger er-
haltenen Kalender, bei denen zugleich weniger Zweifel obwaltet,
welclien Zeiten dieselben angehören, hervorzuheben. Unter diesen
sind an die Spitze zu stellen die Kalender von Denüera {Tentyra),
Edfii (Apollinopolis Magna) und Eme, welche zu den jüngeren ge-
hören. Der £'^//'^<-Kalender bezieht sich nach Kkall auf das tanitische
Jahr, der Kalender von Es)ie nach Lauth auf das alexandrinische '.
Diese 3 Kalender sind im folgenden durch 7A. Edf.. Es., Es. II be-
zeichnet. Ein ebenfalls der späteren Zeit angehörender Kalender ist
der der thebanischen Feiertage (Hierat. Papyr., I 32, Leiden), welcher
die Feste aufzählt, die zur Zeit des Kaisers Augustus gefeiert wurden.
(In der folgenden Zusammenstellung mit Thcb. bezeichnet.) Ferner
führe ich an: Feste nach den Inschriften von SilsiUs (S.), nach alten
Gräbern aus der 5., 12., 18., 20. und 26. Dynastie {alfe K.), den
Kalender des Papyrus SaMcr IV. (Sali), welcher dem 14. Jahrh. v. Chr.,
und das Kalenderbruchstück von Kahun (K.), welches dem 18. oder
19. Jahi'h. V. Chr. angehört. Die folgende Festliste ist selbstverständlich
bei weitem nicht vollständig, sondern enthält nur die markanteren
Feste, da sie nur eine Übersicht über die Feste der einzelnen Kalender
ohne Rücksicht auf die Altersverschiedenheit der Kalender geben soll.
Die rechts beigeschriebenen Daten beziehen sich auf die Umsetzung
des betreffenden Monatstages in den entsprechenden Tag des alexan-
drinischen, tanitischen und Sothisjahres. Ferner sind in die folgende
Zusammenstellung die Feste des alexandrinischen Kalenders nach den
alten Autoren, und das Datum der Jahrpunkte nach Ptolemäis ein-
getragen. Diese Angaben sind hirsir gedruckt. Von den Benennungen
in diesen Festlisten gilt das oben Gesagte. Die Unsicherheit der
darin vorkommenden Deutung der Übersetzungen, welche überdies
aus verschiedenen Quellen zusammengetragen werden mußten , könnte
1) Die Abfassungszeit(?n dieser Kalender, welche ünoer (Ab/idlf/. d. hjl. hair.
Äkad. d. li'iss., 19. Bd. ) auf Grund von Kalenderangaben über die Zeit, der Ernte, der
Nilschwelle, der Ankunft der Schwalbe, der Kreignunj;^ bestiniiiiter „Mondtage"
abgeleitet hat, sind in ihrem Ziele verfehlt. Die drei Kalender gehören vielmehr
der I'tolemäer- und ersten Kaiserzeit an.
S('i)t.
f). Nov.
?,. Au,£c.
S.'pt.
8. Nov.
ß. Aug.
i^ 43. Die Feste und ilin- HcilcMitiui^ für die ägyptisclie Zritreeliriung. 20.')
nur durch die unbedingt nötige gründliclie Durcharbeitung des ganzen
Kaleudermaterials von ägyptologischer Seite behol)en werden. Einer
solchen künftigen Eevision dürfte aber die folgende Zusammenstellung
zu Hilfe kommen:
1. Tliotit. Neujahr. Fest aller (xötter u. Göttinnen
D., Edf., Es., K., alte K.). 2i). Aug. 22. (»kt. 20. .Juli
2. „ Niltag 7, Prozession der Lotosblume
(/)., Edf.).
9. „ Niltag 14, Prozession der Hathor (D.).
9. „ Fest des Neujahrs der Vorfahren (Es.).
9. „ Fest der gerösteten Fische [Plut., Is.
et Os., 7b]i. 6. Sept. — —
10. „ Niltag 15. Fest des Ilorsamfaui ■ (/).).
15. , Beginn der Nilschwelle (6'.). 12.
17/18. „ Uaff-Fest [alte K., Tlieb.).
18. „ Herhstanfaraj [Ptolemäuw|. 15.
19. , Fest des Thoth {Es., Theb., alte K.).
19. , Hermesfest [Plut. c. 68 a].
20. , 7ec//«-Fest (Kanop.).
22. , Fest des Anubis (Edf.).
28. „ Herbstäquinoktium [Ptolemäu.s]. 25. Sept. 18. Nov. 1(1 Aug.
28. „ Geburt der Niit'^ (i>.). Geburt der
Sonnenscheibe (Edf.).
4. Tiidophi. Schluß des Tec/iH-Festes (Kanop. V
5. , Der volle Nil (D., Edf.). 2. Okt. 25. Nov. 23. Aug.
6. ^ Fest der Isis (Es., Edf.).
6. „ Isislcgt den Talisman um[VLVT.c.&iMi\K 3. Okt — —
16. „ Osiris-Fest in Abydos (S., Sali).
19. „ Hervortreten der Flut (6'.).
19. „ Amonsfest (Es., Theb.). Hathor
(Edf.)
23. r, Geburt der Stütze (des Stabes) der
Sonne [Plut. c. 52 aj. 20. Okt. — —
26. „ Grundsteinlegungstag (S.).
30. , Flutfest (S.).
1. Athyr. Wasserfahrt der ilf<;sc/<;^ef-Barke(r/<e^.).
1. ^ Fest der Sechmcl^ (Es.). Himinelsfest
(Sali).
6. „ Allgemeines Freudenfest i^S.).
1) ,Wenn am 9. Tage des 1. Monats jeder andere Ägypter vor der Hoftür
einen gebratenen Fisch verzehrt, so genießen die Priester nichts davon, sondern
verbrennen die Fische vor den Türen" (Pakthey, S. 10).
2) Später gebildete Gottheit, Sohn von Hör und Hathor.
3) Göttin der Himmelswölbung (des Sternhimmels).
4) ,Sie sagen aus demselben Grunde, sobald Isis inne werde, daß sie schwanger
sei , so hänge sie am 6. Tage des Monats Pliaophi ein Schutzliildehen um , aber
Harpokrutes komme unvollkommen und sehwäeblich zur Welt um die Zeit der
Wintersonnenwende unter den früh aufgesproßten Blumen und Blüten" (Pakthey,
S. 114).
5) Göttin der Hitze, strafende Gottheit.
206 II. Kapitel. Zeitrcfhnung der Ägypter.
15. Athijr. Winteranfang [PTuhEMÄüsJ. 11. Nov. —
17. „ Todestag des Osiris [Vhv^. (i.\oc,A2ii\. 18. Nov. — —
16/17. „ Klage der Isis {S., Sali).
18/20. , Trailerlage der Isis. Der Fluß hört
auf zu steigen [Pi.ut. c. 39b]. 14/lß. Nov. — —
24. „ Erscheinung der Isis (S.).
29/30. , Prozession der Hathor (Edf).
\. Choialc. Fest Kahl ka [Es.). Kühe der Flut (5'.}. 27. Nov. 20. Jan. IS. Okt.
1. , Nilfest ,Theb^.
5. „ Großes Fest {S.).
7. , Anfang des Pflügens (S.). 3. Dez. 26. Jan. 24. Okt.
12. y, Verwandlung des Osiris (S.).
25. ^ Begräbnis des Osiris (D.).
26. , So^ar-Fest (Auferstehung des Osiris)
(D., Es., Edf. II, K., alte IL). 22. Dez. 14. Febr. 12. Nov.
26. „ Wintersolstitium [Ptolemäus].
26. T, Um die Zeit der W'interwende wird
Osiris gesucht, Prozession der Isis-
Kuh [Plut. c. 52 a, b].
30. , [1. Tghir\ Fest Neheb-ka (Edf, K.).
1. Tt/bi. Krönungsfest des Horus von Edfu {Edf.,
Edf II)-
1. ^ Fest der Sonneutochter Tafnut (Es.,
Edf.).
7. ^ FestderGöttin2icnenM<c<(Erntefest)(i,V//'.). 2. Jan. 25. Febr. —
7. „ Ankunft der Isis aus Fhoinike [Plut.
c. .50 b].
11. „ Zeremonie der vÖQtvai g ( Wasserschöpfen)
[Epiphan. comp. JablonsJci].
14. „ Isisklage (S.)
25. „ (20.— 30. Wasserfahrten D., Es., Edf.).
Opferfeste [Edf. II).
25. „ Großes Fest [unch 3Ioscs von CJioracnc]. 20. Jan. 15. März 11. Dez.
27. , Fest der Neter (Sali.).
1. Mechir. Fest des Ftah {Edf. II).
1. , Aufhängung des Himmels {Sali.). 26. Jan. 21. März 17. Dez.
4. , Großes Fest {alte K.) [6. Mechir Edf.].
9. „ Großes Glutfest {Edf, alte K.) [Fest
des großen Brandes]. 3. Febr. 29. März 25. Dez.
13/14. „ Frühjahrshegitin [Ptolemäus]. 8. Febr.
19. „ Auffindung des Gottes (S.).
21. , Fest des Starken (D., Es.', Edf.). 15. Febr. — —
27. „ Fest des Sokar (Sali.).
1. l'hamenoth. Aufhängung des Himmels (Es.,
Edf., Thcb.). 25. Febr. 20. April 16. Jan.
1. j, Osiris tritt in den Mond. Frühjahrs-
beginn [PhUT. c. 43 b].
26. „ Tag- und Nachtgleiche. Darauf Nieder-
kunft der Isis [Pjjjt. c. 65 b]'. 22. März — —
28. „ Osirisfest in Abydos {Sali.).
1) ,Sie feiern die Tage des Kindbeils iiaeh der Frühlingsnachtgleiche"
(Pakthkv, S. 115).
§ 43. Die Feste iiiid ilirc IJedcutiinp: für die iij^'yittisehc Zi'itrrcliiiiinf,'. 207
28. Phamenoth. Fest des Hiegciiden Käfers (Udf.).
1. l'liarmuthi. Erntefest der lienciiutet {Tlieh.).
2. , fJöttliehe Geburt der Sonne {Es., Edf.,
^'^df- 11). 28. iVIärz 21. Mai IH. Febr.
2. „ Frühlingsgleiehe (Theb.).
19. , Fest des Auges der Majestät lie (SalL).
25. „ Erntesett{üa.chTt{K()y,AratiFhaenom.). 20. Ajjril — __
28. , Fest des Horus {Es., Eclf.).
1. Pachon. Horus-Fesi (!>., Sali). Ernte (Es.).
1. „ Fest der Uzat-Augeu (Edf. II). 2f). April 19. Jur.i 17. März
3. , Sommersonne Großer Horus) (Theb.).
5. „ Mendes-Fest .S'., Sali.).
11. „ Geburt der Uzat- Aagea (Edf.).
15. , Großes Fest Z>.).
19. „ Prozession des Chonsu^ (Edf. II).
30. „ Erscheinung des Miti' \aUe K.j.
1. Fayni. Fest des Sonuenauges. Lanipenfest
{Edf). 20. Mai 19. Juli in. April
IG. „ Fest der Bubastia (Es.).
26. , Neujahr. Fest der Offenbarung (Es.). 20. Juni — _
1. Epiphi. Zweite göttliche Geburt der Sonne 25. Juni
(Es.).
1. , Verwundung des Set (Edf).
1. , Somniersolstüiiü» [Ptolemäus].
4. „ Empfängnis des Horus (von Isis) (Edf).
12. , Geburt des J./«" (Edf).
15. , Tiefster Nilstand (S.). 9. Juli 2. Sept. .30. Mai
27/28. „ Prozession der Hathor (Edf) [12 Tage].
29/30. „ Fest Isis-Sothis (Es^. 23. Juli — _
30. „ Geburt der Augen des Horus [Plut.
c. 52 a]-''.
\. Mcsori. Fest Ihrer Majestät (D., Edf, Edf. II). 25. Juli 17. Sept. —
1. „ Der Mesori bringt das belebende Wasser
des Nil (Antholog. Bücnk II 510\
2. „ Prozession der Isis i^Edf, Edf. II).
Aus dieser Festliste müssen sich einige Folgernng-en für das
ägyptische Jahr ergeben. Zwei wichtige Quellen behaupten, daß die
Feste sich mit der Zeit verschoben hätten. Der erstere Zeuge ist
Geminus (im ersten Jalirh. v. Chr.), welcher sagt: ,.Die Ägypter sind
ganz anderer Meinung und Absicht gewesen als die Griechen, denn
sie rechnen weder ihre Jahre nach der Sonne, noch ihre Tage und
Monate nach dem Monde, sondern verfahren nach gewissen, ihnen
eigentümlichen Grundsätzen. Sie wollen nämlich, daß die Opfer den
1) Mondgott.
2) Gott des Garten- und Feldbaues.
3) „Am letzten Tage des Monats Epiplii feiern sie die Geburt der Iloru.s-
Augen, wenn Mond und Sonne in gerader Linie erscheinen, denn sie halten
nicht allein den Mond, sondern auch die Sonne für des Horus Au'-e und Lieht"
(Pakthey, S. 92).
208 II. Kapitel. Zoitroelaming der Äi;-v))ter.
Göttern nicht immer zu derselben Zeit des Jahres dargebracht werden,
sondern alle Jahreszeiten durchwandern sollen, so daß das Fest des
Sommers ein Fest des Herbstes, Winters und Frühlings werde. Zu
diesem Ende haben sie ein Jahr von 365 Tagen, oder von zwölf
SOtägigen Monaten und fünf überzähligen Tagen; den Vierteltag
schalten sie aus dem gedachten Grunde nicht ein, nämlich damit die
Feste ihre Stelle ändern mögen ^." Das andere Zeugnis geben uns
die Ägypter selbst, und zwar durch das Dekret von Kanopus, wo es
heißt (vgl. S. 198), daß eine Reform des Jahres nötig werde, „damit
die Jahreszeiten fortwährend nach der jetzigen Ordnung der Welt
ihre Schuldigkeit tun, und es nicht vorkomme, daß einige der öffent-
lichen Feste, welche im Winter gefeiert werden, einstmals im Sommer
gefeiert werden . . . ., andere, die im Sommer gefeiert werden, in
si)ätern Zeiten im Winter gefeiert werden, wie dies früher geschah,
als auch jetzt wieder geschehen würde. ..." Wenn also die Mehr-
zahl der Feste alle Jahreszeiten durchwandert haben, dann müssen
sie in den verschiedenen Kalendern, gleichgiltig , aus welcher Zeit
diese herrühren, auf ein und denselben Tag fallen; in den Kalendern,
die auf festen Jahren beruhen, müssen die Feste ebenfalls auf den-
selben ägyptischen Tagen liegen, aber um die konstante Differenz der
Epochen der Kalender verschieden sein. Dies ist in der Tat der Fall.
Wir wollen einige der hauptsächlichsten Feste auf Grund der vorher
mitgeteilten Festliste durchsiebten:
a) 1. Tlioth, Neujahr, erscheint als Festtag schon in der Zeit
('/{('oj)s. aber auch in Esne (29. Aug.) und Edfu (22. Oktob.)
|tanitisches Jahr], obwohl diese letzteren beiden Kalender den ersten
Jahrhunderten v. Chr., die alten Kalender aber der Zeit der 5. und
früherer Dynastien angehören.
b) 17/18. Thoth. Das Ua(ja-FQ,^i erscheint ebenfalls schon in
den alten Festlisten, im Kalender von Medmet-Haha (Ramessiden-
zeit, 13. Jalirh. v. Chr.), in dem um ein Jahhundert älteren theba-
nisclien des Ncfcrhotcp am gleichen Tage, ebenso in dei' sehr alten
Inschrift von Hiiit am 17. Thoth. (Nach Bkicscii am 18. Tholh.)
c) 19. Thoth. Die thothische Feier findet sich sowolil in den
1) Isayog. in Arat. IVuien. c. 8 : Ol ^tv yaQ Alyvitrioi t>iv ivavriav diuh^xpiv v.cd
■jtQuQtoiv ia^rjxaai. roTg "EXXriaiv. Ovn- yccQ tovis iviavTovg ayovai xad-' ijXtov, üvt8
rovg (ifjVug xal tug ij^UQug y.uru. tijv ßtXi'jvriv, cdX' idla rivl vTtoata.6ti v.t'ji^Qmitvui
tlai. BovXovTCii yuQ rag &vaiag to/'s &toTg (ii) y.uru tuv avTov naiQov tov trtavTüv
yivtadui, äXXu ötä Ttaaüv riäv tüv iviuvtov wqwv dttXdi-rv- yia) yivta&ca ri^v ^irQtviiP
tOQTtjV y.ul itnuQivi]v, v.cd (p%'ivo7t(0(}ivi]v , y.a) taQtvrjV. "Ayovai yug tov iviavTÖv
ilutQcov TQiuxoaiMv h^i)xovTa ntvTt:. Awdtiia yaQ in'ivag ayovai TQiaKov&r](itQOve,
xul TitvTt inccyofitvceg. Ti) dh ä' ovx ^näyovai diu r/yr n()oi-iQi](itv}]v airiuv, i'vu
tiVTOig &l'U7todts(i>VTUl ui ioQTuL
§ 43. Die Feste und ihre Bedeutmig für die ägyptische Zeitrechnung. 209
alten Listen, wie im thebanischen, im Medinet-Hahu-Kalenäer, in Esnf^,
und als Hermesfest bei Plutarch.
d) 19. Phaophi. Das Amons-Fest wird schon im Mnlinct-
jy«&M - Kalender auf diesen Tag gesetzt, unter dem gleichen Datum
findet es sich 1100 Jahre später in Esnc-^ auch aus einer Stele aus
der Zeit des Fimichi (ums 7. Jahrh. v. Chr.) geht hervor, daß das
Fest noch seinen alten Ort zwischen den Monaten Thoth und Athi/r
hatte.
e) 20. Choiak. Das Fest des Sokar gehört zu den ältesten
Festen; es war ein Totenfest und fiel in den Zeiten beispielsweise
der 12. Dj-nastie, in der es schon angeführt wird, in den Sommer.
In den Kalendern von Esup, Dcndera und Edfu hat es dasselbe
Datum, entspricht aber dem 22. Dezember alex., der Winterwende.
Bei der Einführung des alexandrinischen Jahres kam so das Fest mit
der Winterwende in Verbindung; Ende Choiak war Schluß der Nil-
schwelle, Osiris war begraben und sollte wieder zum Leben erweckt
werden, das /SbZY/r-Fest wurde zu einem Auferstehungsfeste des Osiris
(s. Plutaech a. a. 0.)^
f) 9. Mech'ir. Die beiden Feste der ..großen Glut" (des großen
Brandes) und der ,.kleinen Glut"' sind schon in den alten Kalendern
vermerkt, im Mechir und Phamenoth. Sie hatten wahrscheinlich
Beziehung auf Frühjahr und Sommer, wie der Name der Feste andeutet,
auf die Zeit der Hitze. Im 14. oder 15. Jahrh. v. Chr. fiel in der
Tat die Tetramenie Tyhi - Pharmuthi , welche die Monate Mechir-
Phamenoth einschließt, in den Sommer (vgl. S. 160). Im tanitischen
Jahre des £'^//w-Kalenders hat aber das Fest des großen Brandes immer
noch seine Stelle auf dem 9. Mechir = 29. März.
g) 21. Mechir. Das ..Fest des Starken" erscheint in den jüngeren
Kalendern {D., Es., Edf.) unter demselben Datum trotz der, wenn
auch nicht sehr großen zeitlichen Verschiedenheit der Kalender, was
immerhin bemerkenswert ist, da das Fest wahrscheinlich irgend eine
astronomische Beziehung hat.
h) 1. Phamenoth. Das Fest ,.der Aufhängung des Himmels"
hat wie das vorhergehende einen astronomischen Sinn (Beginn der
Welterschaffung?). In den jüngeren Kalendern steht es unter dem
1. Phamenoth . im Kalender Papyrus Sallier IV. aber einen Monat
früher.
i) 2. Pharmuthi. Die ..göttliche Geburt der Sonne" (der Früh-
jahrssonne) wird übereinstimmend von den Kalendern Es., Edf. und
1) Mit dem Sokar-Feste stehen die Feste Neheb-ka und das Krönungsfest des
Horus (, Eröffnung des Jahres des Horiis, des Solines des Osiris und der Isis") am
1. Tyhi in Beziehung.
Ginzel, Chronologie I. 14
210 II. Kapitel. Zeitreehmuig der Ägvjjter.
Theh. auf den 2. Fharmufhi gesetzt, obwohl für Edf. der 21. Mai
und für Es. und Theh. der 28. ]\[ärz folgt.
k) Fachon. Dieser gilt in der Ptolemäerzeit als der erste
Wassermonat, demgemäß wird das „Fest der t/^af- Augen" {Edfit)
[die den Beginn der Überschwemmung ankündigende Sommersonne]
in diesen Monat (1. Fachon = 19. Juni tanit.) gesetzt. Der alexan-
drinisch datierende Esiie -K-dlender setzt das Sommersolstitium
1. EplpM = 25. Juni. — Im 3. Jahrtaus. v. Chr. war Fachon der
erste Frühlingsmonat; demgemäß erscheint unter dem Datum des
30. Fachon zu Zeiten Cheops das Fest des Gottes der Frühlings-
blumen und Erstlinge des Feldes, die „Erscheinung des il/r«" (des
äg^-ptischen Pan); das Fest behielt aber, trotzdem sich das Jahr
gegen die Jahreszeiten verschob und bis zu den Zeiten der 25. Dynastie
einen ganzen Umlauf ausführte, auf demselben Datum haften, denn
unter der 20, Dynastie und früher erscheint es immer noch im
Facho7i.
1) 27. Epiphl — 8. Meson. Die Hathor-Feste im £'f//"2t-Kalender
entsprechen ungefähr der Herbsttag- und Nachtgleiche im tanitischen
Jahre. Auch das „Fest Ihrer Majestät" am 1. Mesori war ein Hathor-
Fest, hat aber eine andere Bedeutung erlangt, worauf wir noch
zurückkommen.
Diese Vergleichungen stellen also wohl außer Zweifel, daß die
Mehrzahl der Feste in den verschiedenen Kalendern an denselben
Monatstag gebunden war, und daß man den älteren Kalendern des-
halb kein festes Jahr zuschreiben kann. Auch für den Medhiet-HahK-
Kalender aus dem 13. Jahrh. v. Chr. wird man ein Wandeljahr voraus-
setzen müssen. Riel hat für diesen Kalender das feste Jahr durch
die gewagte Annahme zu retten versucht, daß die Ägypter später
(um 1000 V. Chr.) wieder auf das Wandeljahr zurückgegangen wären.
Während die Ägypter somit am Wandeljahre festhielten und die
gewöhnlichen Feste (mit jedenfalls nicht vielen Ausnahmen) durch
die Jahreszeiten hindurchlaufen ließen, mußten sie anderseits bemüht
sein, die für die Feldarbeit wichtigen, also von den Nilphasen ab-
hängenden Festtage mit der Natur übereinstinnnend zu erhalten und
]'ichtig voraus zu bestimmen. Durch die Fortsetzung der Beobachtung
der heliakischen Siriusaufgänge und Berücksichtigung der eintägigen
Verschiebung derselben in 4 Jahren wurde letzteres möglich; die
Jahrpunkte der Sonne wurden durch rohe Beobachtungen, die wenigen
jMondwechsel, die mit der Feier einiger Feste in Verbindung standen,
durch zyklische Rechnung oder Beobachtung des Neulich tes nach dem
Neumonde ermittelt. Wenn wir uns auf das Datum der Nilschwelle,
der Hauptjahrpunkte und des Siriustages beschränken, so folgt in der
Tat aus der Vergleichung der Kalender von Esne und Eclfu, daß
§ 43. Die Feste und ilirc licdcutiiii«^- für (lic iif;yi)tiscli(' Zi'itrechiiuii}^. 211
diese Daten nicht an denselben Tagen beider Kalender hafteten, sondern
besonders festgesetzt worden sind:
Fruhlmgsgleiche { -^^ ' c,^ t>i ,i
\ Esne = 21. Phamcnoth
Fest der Uzat- Augen (Sommer- ( Edfu = 1/3. Fac/ion
solstiz) und Nilschwelle-Beginn l Esne =^ 26. Paynijl. Eprphi
heliakischer Siriusaufgang { ]^^ Z 29. EjÜ^m
Wie sicli die Bedeutung der Feste im Laufe der Zeit alhnählich
änderte, möge noch an einem Beispiele illustriert werden. Der
1. Thofh fiel in der alten Zeit mit dem Siriusaufgange, der Sommer-
sonnenwende und dem Beginn der Nilschwelle zusammen. Je weiter
sich der Nilschwellebeginn vom Tage des Siriusaufgangs entfernte
(vgl. S. 190), desto mehr verlor, der 1. T/wt/i seine Bedeutung als
Jahresanfang; die Erinnerung an ihn wurde aber als ein Festtag
„aller Götter und Göttinnen" gefeiert. In der Ptolemäer- und Kaiser-
zeit, wo unter dem 1. Mesori in Edfii und IJotdera und unter dem
29. Ep'ij^ihl ein ,.Fest der Götter an dem Feste Ihrer Majestät" an-
geführt wird, sehen wir die Erinnerung erhalten, nur ist das „Fest
Ihrer Majestät" im alexandrinischen Jahre zu einem Siriusaufgangs-
feste geworden'. Durch diese Übertragung des Sothisfestes auf den
1. Mesori wurde der Mesorl zu einem Neujahr - Monat , und darum
taucht in der Ptolemäerzeit dieser Monat unter den Bezeichnungen
„Anfangsfest" oder .,Fest des Neujahrs" auf. — Über die Verschiebung
der Niltage vom 15. Thofh und 15. Epiphi, die in Inschriften von
Silsilis angezeigt sind, wurde schon S. 155 gehandelt.
Es können zum Schluß hier nur noch einige Eigentümlichkeiten der
Kalender flüchtig berührt werden, so interessant es wäre, den
Erörterungen über die Lage mancher Feste nachzugehen. Die erste
betrifft die drei Neujalirstage des ^'sne - Kalenders. Dieser Kalender
(vgl. S. 205) führt außer dem Neujahre des alexandrinischen Jahres
1. Thoth noch ein „Neujahr der Vorfahren" am 9. Thofh auf; dieses
kann sich nur auf das frühere Wandeljahr beziehen (der Kalender
gehört dem alexandrinischen, festen Jahre an). Ein drittes Neujahi*
wird auf den 26. Fatjni (= 20. Juni alex.) gesetzt und von Lauth
auf das tropische Jahr, von Eomieu auf den Gebrauch eines religiösen
1) Fast eine Sothisperiode vor der Ptolemäerzeit fällt das Siriusaufgangsfest
des Steins von Elephantine (vgl. S. 194), welches vom 28. Epiphi datiert ist. In
der Zeit TJndmosis III. , welcher das Datum angehört, konnte in der Tat der
heliakische Siriusaufgang auf den 28. Epiphi fallen, da er nicht an einem festen
Tage des Wandeljahres haftete.
14*
212 IT. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
Jahres bezogen, nach Kkall bedeutet aber dieses dritte Neujahr,
r
welches mit -^ bezeichnet ist, den Beginn des Natur Jahres mit der
Nilschwelle. — Als weitere Besonderheit verschiedener, besonders der
jüngeren Kalender, sei hervorgehoben, daß in jedem Monate sich ein
oder selbst mehrere Feste vorfinden, die auf die Schutzgottheiten
Beziehung haben, welche den einzelnen Monaten vorstehen (vgl. S. 156).
So im Monat Thoth das Teclm-Fest (20. TJioth), im Äthyr das Hathor-
Fest (1. Athijr, Dendera) , im CJioiah das Kah'tl--Fest (1. Choial\
Esne), im TyU das Fest Schef-hote (20. Tyhi , Dcndera), im Mechlr
das Machiar-Ye'&i (21. Mecliir, Edfu), im Pachoti die Prozession des
Chonsu (19. Pachon, Edfu). — Zuletzt mag noch erwähnt werden,
daß das /SW-Fest, auf dessen Feier bei den Erklärungen über die
30 jährige /S'^'f/ - Periode hingewiesen wurde (S. 175), sich im Kalender
Edfu II, und, wie es scheint, nur dort, zweimal aufgeführt findet
unter dem 9. Thoih und dem 10. Pachon. In die voraufgeführte
Liste wurde es nicht eingetragen.
§ 44. Theorie des ägyptischen Jahres.
Eine Theorie des Jahres, d. h. eine Beantwortung der Frage, in
welcher Weise sich die Jahresformen bei den Ägyptern im Laufe der
Zeit entwickelt haben, läßt sich derzeit trotz der mannigfachen und,
wie wir gesehen haben, wichtigen Ergebnisse immer noch nicht in
abschließender Weise geben. Aber wir vermögen jetzt, wie es scheint,
die Hauptphasen der Entwicklung des ägyptischen Jahres mit größerer
Sicherheit als früher zu fassen, wenngleich noch vieles davon abhängt,
ob uns die Zukunft noch eine ansehnliche Bereicherung des archäo-
logischen Materials, besonders in Beziehung auf möglichst zeitlich von-
einander verschiedene Kalender, bringen wird.
Von Theorien des ägyptischen Jahres kann im wissenschaftlichen
Sinne erst seit der Zeit der Verwertung der Denkmäler die Eede
sein. Die Klassiker allein bilden auf diesem Gebiete, wo selbst das
positive Material der Inschriften Schwierigkeiten genug macht, einen
ganz unzureichenden und unsicheren Untergrund. Die Theorien, welclie
BAiTJiY, FiiERET, Delanauze, Balnbridge u. a. auf Grund der Über-
lieferungen der klassischen Autoren gegeben haben, müssen deshalb
hier wegbleiben; eine gehörige Berücksichtigung der arcliäologischen
Ergebnisse und deren Verbindung mit den klassischen Nachrichten
beginnt erst mit Lepsius. Im Folgenden sind die Klassikerstellen,
wo sie noch für die einzelnen Fragen Wert besitzen oder soweit sich
die Vertreter einzelner Theorien auf sie berufen, mit angeführt.
Über die Beschaffenheit des ältesten Jahres der Ägypter
§ 44. Tlieorie des ägyjttisclK'ii Jahres. 213
existieren nur unsichere Hypothesen, da es an inschriftlichen Zeug-
nissen noch ganz fehlt und die Meinungen sich nur auf einigen dürftigen
Nachrichten der Klassiker aufbauen. Plutarch {int. Numac. c. 18)^
und DioDoR (I c. 26) berichten, daß das ägyptische Jahr aus einem
Monate, später aus vier Monaten bestanden habe. Der erstei-e sagt :
„Das ägyptische Jahr war zuerst aus einem Monat gebildet, und
nachher aus vier Monaten" ; der zweite meldet: „Über diese alten
Zeiten sagt man, daß sich das Jahr aus vier Monaten zusammen-
setzte*'. In ähnlicher Weise drücken sich Pkoklus {Timacu^ Fiat.
I 31), Lactantius (Instit. d'iv. II 12) und Plinius {H. N. VII 49) aus.
SoLiNus (Poh/h. c. 1) und AugustdsUs {de cirit. Del XV 12) sprechen
allein von einem viermonatlichen; der letztere sagt: Ut autem aliter annum
tunc fuisse computatum non sit incredibile, adjiciunt quod apud plerosque
scriptores historiae reperitur, Aegyptios habuisse annum quatuor mensium.
Diese dunklen Nachrichten sind wahrscheinlich so zu deuten, daß man sich
vorstellte, die Ägypter hätten ursprünglich die klimatischen Phasen
ihres Landes als selbständige Zeiträume behandelt und jeder Phase vier
Monderscheinungen zugeschrieben. Die Nilüberschwemmung dauerte etwa
vier Mondmonate (der koptische Kalender rechnet noch jetzt die Über-
schwemmungszeit vom Sommersolstiz 15. Pcujui bis zum 7. Phaophi
= 117 Tage), und es könnte also immerhin möglich sein, daß in
den allerältesten Zeiten die Dauer der drei Jahreszeiten, die Über-
schwemmung, die Entfaltung der Flora und die Zeit der Hitze und
Dürre nach der Zahl der Vollmonde abgeschätzt worden ist. Dieses
viermonatliche Jahr muß aber verschwunden sein, sobald Ackerbau
und Kultur sich entwickelten, denn die ziemlich scharf begrenzten
Jahreszeiten forderten in ihrer regelmäßigen Wiederkehr bald etwas
längere Zeiträume, als die Vollmonde ergaben. Jene rohen Anfänge
in der Zeitzählung reichen in die vorhistorische Zeit zurück und haben
in der geschichtlichen Entwicklung Ägyptens kaum mehr einen Platz.
Man sah sich genötigt, wenn man in der ungefähren Vorausberechnung
der Zeit des Beginns und Endes der Flut, der Zeit der Aussaat und
Ernte mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bleiben wollte, eine
bestimmtere Jahresform aufzustellen, die sich der scheinbaren AVieder-
kehr der Sonne zu ihren Orten am Himmel einigermaßen anschloß. Vielleicht
unter dem Einflüsse des von den Babyloniern ihren Ursprung nehmenden
Sexagesimalsystems , das sich in Vorderasien schon in weit zui'ück-
liegenden Zeiten ausgebreitet hatte, kam es auch in Ägypten — wie
in ganz West- und Südasien — zur Bildung eines 360tägigen Eund-
jahres mit mehreren Epagomenen. Über die Gründe, welche für dieses
Jahr beigebracht werden können, habe ich mich schon im § 36 (S. 170),
1) AlyvTtTiois dh ^ii]viciiog i]v ö iviuvrög.
214 II. Kii])iti'l. Zcitrccluiuiig- der Ägyptt.'!'.
und über den Sinn, in welcliem es gebraucht worden sein wird, in
der Einleitung" (S. 00) geäußert. Zu einer Rechnung nach dem Monde,
d. h. einem durch irgend ein Sclialtungssystem geregelten Moniljahre,
ist es in Ägypten anscheinend nicht gekommen. Die Gründe, die
gegen ein solches regelrechtes Mondjahr sprechen, Avurden im § 36
gleichfalls dargelegt. Nur die Erinnerung an die Schätzung der Zeit
nach Voll- und Neumonden erhielt sich bei den Astrologen und Hiero-
grammaten, vielleicht auch in manchen Tempeljahren und in den alten
Beziehungen, in die man gewisse Feste mit den Neumonden gebracht
hatte. Das ursprüngliche Sonnen-Eundjahr hat wahrscheinlich vielerlei
Wandlungen durchgemacht , ehe man bei der Zahl von fünf Tagen,
um die es wegen der Übereinstimmung mit der Sonne zu vermehren
war, stehen blieb. Diese fünf Tage, Epagomenen genannt, wurden
am Schlüsse des Jahres angehängt, und zwar ^A'ahrscheinlich schon
im 4. oder 5. Jahrtausend v. Chr. (s. ij 36, S. 172). Auf diese Weise
war nun ein 365 tägiges Jahr gebildet, das wahrscheinlich lange Zeit
für die Dienste in der Zeitrechnung als richtig erachtet wurde, bis
die astronomische Beobachtung des Himmels (obgleich sie wohl nie
über ein mäßiges Niveau sich entwickelte), besonders der Siriusauf-
gänge, Zweifel an der Eichtigkeit des Jahres brachte, die zur Ge-
wißheit wurden, als man wahrnahm, daß die Monate trotz der Ver-
besserung des Jahres um die Epagomenen bald alle Jahreszeiten
durchliefen.
Ein Teil der Theorien des ägyptischen Jahres setzt nun hier bei
diesem Entwicklungsstadium ein, indem er die gleichzeitige Existenz
eines festen Jahies neben dem Wandeljahre annimmt. Schon die
älteren Vertreter dieser Ansicht (Delanauze, Feeeet, Foueebe u. a.)
bedienen sich gewisser Stellen aus den alten Autoren, um ihrer
Hypothese entsprechenden Halt zu geben. Da auch spätere Chronologen,
wie Leteonne, Lepsius, von denselben Stellen Gebrauch machen,
werde ich diese Stellen hier anführen. Vetths Valens (2. Jahrh.
n. Chr.) sagt: „Die Ägypter fangen ihr bürgerliches Jahr mit dem
1. Tlwth, ihr natürliches mit dem Frühaufgange des Hundssterns an".
PoEPHYEirs (3. Jahrh. n. Chr.): ,.Die Ägypter beginnen ihr Jahr nicht,
wie die Römer, mit dem Wassermann, sondern mit dem Krebs, denn
neben dem Krebs befindet sich der Stern Sothis, den die Griechen
Hundsstern nennen. Der Aufgang des Sothis ist ihnen das Neujahr".
Beim tScliülkiKtoi des Aeatis heißt es: „Das Gestirn des Löwen hat
man der Sonne geweiht, denn wenn die Sonne in dasselbe eintritt,
steigt der Nil, und der Hundsstern geht um die elfte (Nacht-)Stunde
auf. Mit diesem Zeitpunkt fängt man das Jahr an, und man be-
trachtet den Hundsstern und seinen Aufgang als der Isis geweiht"
S. 161). HoEAi'üJiLoN (4. ,lalirh. n. Chr.): ..Wenn die Hierophanten
§ 44. Theorie des ägyptiselicu Jahres. 215
das Jahr nennen wollen, so gebrauchen sie das Wort r^raoTov =
Viertel, denn sie sagen, es komme von dem einen Aufgange des
Sothis-Sterns bis zum andern ein Yierteltag hinzu, so daß das Jahr
Gottes aus 365 und einem Vierteltag bestehe, weshalb auch die Ägypter
alle vier Jahre den überschüssigen Tag in Rechnung bringen, denn
vier Viertel machen einen vollen Tag aus*' (Hierogl. I 5). Diodok
(1. Jahrh. v. Chr.) erzählt (I 50): „Die Thebäer, die bei der Be-
obachtung der Auf- und Untergänge der Gestirne durch ihr Klima
besonders begünstigt sind, ordnen ihre Monate und Jahre in einer
eigentümlichen Weise an. Sie zählen die Tage nicht nach dem Monde,
sondern nach der Sonne, indem sie jedem Monate 80 Tage beilegen
und zu den 12 Monaten 5\/t Tage hinzufügen, um die Jahreszeiten
zu ihrer Stelle zurückzuführen". Das Vorhandensein eines vierjährigen
Schaltungszyklus soll bewiesen werden durch Stkabox (um Christi Geburt j:
..Die Priester zu Theben .... zählen nach der Sonne, indem sie zu
den 12 Monaten von 30 Tagen jährlich 5 Tage rechnen, und da zur
Ergänzung des Jahres ein gewisser Teil des Tages überschüssig ist,
so bilden sie eine Periode aus ganzen Tagen und aus so vielen ganzen
Jahren, als von den überschüssigen Teilen zu einem ganzen Tage er-
forderlich sind" (XVII 816). Ferner durch Dio Cassius (2. Jahrh.
n. Chr., hist XLIII 26) und Maceobius (5. Jahrh. n. Chr., Saturn.
I 14): ..Sie (die Kalenderreform Julius Cäsars) war eine Frucht seines
Aufenthaltes in Alexandrien, nur daß man dort jedem Monate 30 Tage
beilegt und dann zum ganzen Jahre 5 Tage hinzurechnet, dahingegen
Cäsar sowohl diese Tage als auch die beiden, die er dem einen Monat
(Februar) abnahm, auf die Monate verteilte. Den Tag aber, der
durch die 4 Viertel gebildet wird, schaltete er alle 4 Jahre gleich-
falls ein". — - ..Imitatus Aegyptios, solos divinarum rerum omnium
conscios, ad numerum solis, qui diebus singulis trecentis sexaginta
quinque et quadrante cursum conflcit, annum dirigere contendit."
Schon Idelek hat, obwohl ihm die Denkmäler als Beweismaterial noch
nicht zur Seite standen, sich ablehnend gegen die erwähnten Stellen
ausgesprochen (l 167 — 174): „Alle diese Zeugnisse sind schon deshalb
von keinem Gewicht, da sie von ziemlich spät lebenden Schriftstellern
entlehnt sind, zu deren Zeit das bewegliche Jahr der Ägypter größten-
teils bereits durch das feste verdrängt worden war". In der Tat
gehören die zitierten Autoren meist dem 3. und 4. Jahrh. n. Chr. an,
die frühesten unter ihnen, Diodor und Steabon, reichen ins 1. Jahrh.
V. Chr. zurück. Gegen diese Stellen kann man die Worte des um
70 V. Chr. lebenden Gemixus {Isag. c. 8) anführen, die schon früher
(§ 43, S. 208) zitiert wurden, und die des Censorin (s. § 40, S. 187),
welche ausdrücklich betonen, daß das ägyptische Jahr ein gewöhn-
liches Jahr von 365 Tagen, ohne Einschaltungen, also kein festes
216 IT. Kapitel. Zeitreclinung der Ägypter.
gewesen ist'. Idelek hat daher mit Recht angenommen, daß jene
Stellen nicht das sagen, was sie beweisen sollen; daß man aus ihnen
höchstens herauslesen könne, daß das bürgerliche Jahr oder vielmehr
die Angelegenheiten des Volkes durch die Frühaufgänge des Sothis-
sterns geregelt wurden; ein festes Jahr mit regelmäßiger Schaltung,
das schon in den Zeiten vor August us bei den Ägyptern existiert
hätte, folge daraus nicht. Dies schließe aber keineswegs aus, daß den
alten Ägyptern schon aus den Siriusaufgängen der Vierteltag bekannt
geworden sei.
BiOT nahm an, daß dem 365 tägigen Wandeljahre ein 360 tägiges
vorausgegangen sei. Einen festen Ausgangspunkt habe die ägyptische
Zeitrechnung erst gewonnen, als Überschwemmungsbeginn, Sommer-
solstiz und heliakischer Siriusaufgang nahe zusammenfielen. Dies
würde nach ihm 3285 v. Chr. zugetroffen sein^. Damals koinzidierte
der Anfang der Erntejahreszeit (1. Fachon) mit Sommersonnenwende
(vgl. § 33, S. 160). Der Unterschied zwischen dem Wandel jähre und
dem tropischen Jahre (0,24225 Tage) macht in 1505 Jahren ein
Wandeljahr aus, demnach kehrte nach dieser Zeit die Wasserjahres-
zeit bei der Rechnung des Wandel Jahres wieder auf den 1. Pachon
zurück, d. h. 1780 und 275 v. Chr. Biot zögerte, die Einführung des
Wandeljahres in eine sehr alte Zeit zu setzen und ließ es unentschieden,
ob das Wandel jähr erst um 1780 v. Chr. eingeführt worden sein könne.
Die genauere Kenntnis der Länge des Sonnenjahres setzte er in viel
spätere Zeit, in die Zeiten des Hippakch und Ptolemäüs; auch die
Sothisperiode hielt er für keine alte Entdeckung, sondern für einen in
sehr später Zeit durch Rückrechnung gewonnenen Zyklus. Lepsius
ging viel zuversichtlicher und kühner vor. Schon um 3282 v. Chr.*
sei das bewegliche Jahr eingeführt worden. Aus den Siriusaufgängen
hätten aber die Ägypter auch bereits auf eine größere Länge des
Jahres geschlossen. Die Beobachtung der Solstitien bot den Anhalts-
punkt zur Regulierung des Mondjahres, und in jenen Zeiten schon
1) Hierzu kann noch die Aussage von Herodot gefügt werden, II 4: Die
Ägypter dagegen fügen zu ihren zwölf 30 tägigen Monaten jährlich noch fünf
überzählige Tage hinzu, und so kehren ihnen die Jahreszeiten im Kreislauf zurück.
(AlyvTtriot öh rQiTjv.ovd'riiiBQOvg äyovxtg rovg dvojdty.a iiyrag, tTtdyovGi ava nüv f'rog
rrtvth TjiitQag TtÜQt^ rov aQi&nov , ^ai acpi 6 KvtiXog rü)v wQtcov ig rcovro TttQiicüv
■jTUQuyivkrca.) Die Stelle enthält, wie man sieht, einen gewissen Widerspruch
in sich.
2) Im Jahre 3285 v. Chr. fiel das Sommersolstiz auf den 21. Juli, die Nil-
schwelie (wenn wir die Überschwemmung drei Tage nach dem Solstiz setzen)
auf den 24. Juli, der Siriusaufgang 20. Juli.
3) Lepsids rechnet, weil das Sommersolstiz mehrere Jahre hindurch auf den-
selben Tag bleibt, 3282 v. Chr. statt des Biorschen Ansatzes 3285 v. Chr. Vor
dieser Zeit soll das Mondjahr gebraucht worden sein.
i^ 44. Tlicorie dos ägyi)tisclien Jiihrcs. • 217
wurde die Länge des troi)isclien Jahres erkannt. Damals hatten die
Ägj'pter also bereits eine dreifache Jahrform , das JMondjahr , das be-
wegliche und ein festes Jahr. Aus der Verschiedenheit beider Sonnen-
jahre gelangte man zur Kenntnis der vierjährigen Schaltungsperiode,
aus dieser folgte die Kenntnis der Sothisperiode von 1461 Jahren und
der Phönixperiode von 1505 Jahren (s. S. 180). Die Sothisperiode
wäre also nicht ein Produkt späterer Spekulation, sondern schon
damals bekannt gewesen. Anfangs sind vielleicht Phönix- und Sothis-
periode für ein und dieselbe gehalten worden; erst als das Vorrücken
der heliakischen Aufgänge um je einen Tag in vier Jahren festgestellt
war, wurden beide Perioden von einander geschieden. Um 2782 v. Chr.,
500 Jahre d. h. um eine Phönixperiode später, als das Sommersolstitium
um vier Tage gegen den Sothisaufgang abwich^, wurde der Tag des
Sothisaufgangs um vier Tage zurück auf die Sommerwende verlegt.
Zugleich wurde der Anfang des Jahres (bis dahin Pachon) auf den
1. Thoth, welcher damals auf die Sommersonnenwende fiel, gesetzt,
und die Epagomenen wurden am Ende des Monats Majori eingeschoben.
Hierdurch wurde l)ewirkt, daß soAvohl der Jahresanfang auf den
1. Thoth als auch der Beginn der Sothisperioden auf den nach 1461
Jahren wiederkehrenden heliakischen 1. Thoth fiel. In derselben Zeit
etwa wurden auch die alten, von den Jahreszeiten entlehnten Be-
zeichnungen der Monate gegen die von den Monatsgöttern abgeleiteten
Namen vertauscht. Die dreifache resp. doppelte Art von Jahren,
welche diese Theorie bei den Ägyptern voraussetzt, soll durch
Inschriften bekräftigt werden, welche von den Anfängen zweier (ver-
schiedenen) Jahre sprechen. Wir haben aber gesehen, daß mehrfache
Jahresanfänge mit ersichtlicher Datierung in Kalendern sich vorfinden,
die der sehr späten Zeit angehören und schon nach festen Jahren
eingerichtet sind; die wenigen Angaben der alten Zeit berechtigen
jedenfalls noch nicht zur Aufstellung jener Theorie. Die Annahme
des festen Jahres stützt sich auf die schon angeführten Stellen bei
Vettius Valens, Pokphyeius, Hoeapollon, den SchoJiasteu des Aeatus,
die nicht als beweisend angesehen werden können; das Vorhandensein
einer vierjährigen Schaltung beruht ebenfalls auf denselben Stellen.
Lepsius ist in seinen Bestrebungen, das feste Jahr schon in die sehr
frühe Zeit zurückzuversetzen, jedenfalls viel durch seine übertriebenen
Voraussetzungen von der bedeutenden Entwicklung der ägyptischen
Astronomie mißleitet worden.
Auch Bexfey und Steex glauben '-, daß den alten Ägyptern schon
1) Es waren aber nur einundeinhalb Tage. Das Sommersolstiz 2782 v. Chr.
fällt Juli 17,38, der heliakische Siriusaufgang (für Memphis) Juli 18,78 (s. S. 186),
demnach Differenz 1,4 Tage.
2) Üb. die Monatsnamen einiger alten Völker, 1836, Exkurs IV.
218 II. Kapitel. Zeitrechnung der Afrypter.
ein festes Jahr, das mit dem Sommersolstitium begann, zuzuschreiben
sei, daß diese aber, ähnlich wie die Perser (s. § (37), die Schaltung-
durch einen SOtägigen Monat nach je 120 Jahren^ bewerkstelligt
hätten. Diese Schaltmethode sei allmählich mit dem Untergange der
Selbständigkeit Ägyptens verfallen (im 3. Jahrh. v. Chr. wären die
letzten Schaltungen vorgenommen worden), so daß man schließlich auf
das Wandeljahr von 365 Tagen zurückgekommen sei (ähnlich wie in
der Geschichte des persischen Jahres); erst mit Beginn der Eömer-
herrschaft erhielten die Ägypter wieder das feste Jahr mit vierjähriger
Schaltung. Solche Eückgänge der chronologischen Entwicklung an-
zunehmen, ist aber, wo sie nicht durch Zeugnisse wie bei den Persern
belegt werden können, ein mißliches Auskunftsmittel.
C. EiEL stimmt insofern mit Lepsius überein, daß er ein festes
Jahr ebenfalls in die alte ägyptische Zeit zurückverlegt. Jedoch
beginnt dasselbe nicht mit dem heliakischen Aufgange des Sirius,
sondern des Orion. Zur Vollendung der Flut für ganz Ägypten be-
darf es 14 Tage. Um 1780 v. Chr. (s. Biot) waren Nilschwellebeginn
und Siriusaufgang um 15 Tage von einander entfernt-. Wenn das
Jahr also um die Zeit der Sommersonnenwende und der Nilschwelle
am 1. Thoth begonnen wurde, so fiel der Siriusaufgang auf den
15. Thoth. Am 1. Thoth ging aber der Orion auf, und wenn also
der Jahresbeginn auf 1. Thoth gesetzt werden muß, so signalisierte
nicht Sirius, sondern das Orion->SVfÄ^f-Gestirn den Beginn des Jahres.
EiEL glaubt diese Voraussetzungen an den astronomischen Darstellungen
(Kalendersphären) aus dem Grabe Sdis I. und des Eamesseums nach-
weisen zu können, auch, daß der Tierkreis von Deridcra streng nach
dem zu Zeiten der Eamessiden (13. Jahrh.) gebräuchlichen festen
Jahre von 365 Vi Tagen (mit Jahresanfang am 15. T/zofA) konstruiert
sei. Im bürgerlichen Leben sei das Wandeljahr gebraucht worden,
auch nach Einführung des festen (welche Eiel auf 1766 v. Chr.
setzt). Den Festkalendern liege dagegen das „Sonnen- und Siriusjahr
1) Andeutungen über die 120 Jahre finden sieh bei Geminus (Isagofje, c. 8),
sowie möglicherweise (nach Krall) unter den Schreibungen des Namens der Königin
Skemiophris (Bikch, Zeüsclir. f. üiiypt- Sjir., 1872, 96). (Das Krokodil wird oft
mit der Zahl 60 in Verbindung gebracht; vgl. Plutarch, In. et ()sir.\ Iamulichus,
de myst., V 8.)
2) Schon diese Annahme ist bedenklich. Das Sommersolstiz trat 1780 v. Chr.
am 9. Juli ein (nach der Rechnung mit Schrams Tafeln S. Juli 28i> 46"» mittl.
Greenw. Zeit). Der Beginn der Nilschwelle (nach dem koptischen Kalender drei
Tage nach dem Sommersolstiz) kann also auf den 12. Juli gesetzt werden, der
heliakische Siriusaufgang für Memphis (s. Tafel S. 186) fällt 19. Juli, also ist die
Differenz nur 7 Tage, und nicht 15. Um auf 15 Tage zu kommen, müßte man
den heliakischen Aufgang für eine außerhalb Ägyptens liegende, viel nördlichere
Breite (Rhodus, Ninive) annehmen.
i? 44. 'J'licfirie des ägyittisclicu .lalircs. 219
der Ramessiden" zu Grunde, beginnend mit V.). Juli = 15. Thoth,
365 Tage zählend, mit Doppelzälilung des 15. Thoth alle vier Jahre.
Um 238 V. Chr. trat das kanopische (tanitische) Jahr auf ; dadurch kam
der erste Wassermonat 1. Pachon (19. Juni, durch Verlegung des Tages-
anfangs auf den Abend der 20. Juni) Avieder auf den Beginn der Xil-
schwelle, der 1. 'Thoth (der früher den Nilschwellebeginn angezeigt hatte)
auf den 23. Oktober. An die Stelle des tanitischen Jahres trat das feste
Jahr von Doidpm] bei diesem fällt der 1. Epiphl (Beginn der Mi-
sch welle) auf den 19. Juni. Schließlich wurde unter Augustus das
alexandrinische Jahr gebildet, um 6 Tage von dem vorigen abweichend,
bei welchem der 1. Ep'q/hl = 25. Juni (Sommersonnenwende). Die
Aufstellungen Riels, so scharfsinnig sie durchgeführt sein mögen, sind
vom Standpunkte der ägyptischen Archäologie aus nicht haltbar.
'\\'eder die ägyptischen Denkmäler wissen etwas von einem mit dem
Frühaufgang des Orion beginnenden Jahre, noch das griechisch-römische
Altertum. Auf der Darstellung .im Ramesseum reicht das Schiff des
Osiris-S((hi< (Orion) wegen Platzmangels über die den Jahresanfang
markierende Mitte des Bildes; auf dem Deckenbilde im Grabe Sdis I.
mac|^t Oi\Y\?,-Sahu richtig den Abschluß, Isis-Sothis den Anfang; Osiris-
Sahu ist dort nicht der Beginner des Jahres, sondern des Endes, der
Epagomenen. Die Methode, aus derartigen Denkmälern grundlegende
Bedingungen für eine Theorie abzuleiten, ist überhaupt bedenklich,
da diese Darstellungen entweder zu ungenau sind, oder ihnen leicht
eine Absicht unterlegt werden kann, welche die Urheber meistenteils
gar nicht gehabt haben.
Die Ansichten von H. BErascH, wohl einem der besten Kenner
des kalendarischen Materials, über die Theorie des ägyptischen Jahres
haben im Laufe seiner Forschungstätigkeit gewisse Veränderungen
durchgemacht, der beste Beweis, wie schwierig dieser große Ägyptologe
die Formulierung eines abschließenden Urteils in jener Frage gefunden
hat. Die Wichtigkeit, welche Beugsch dem Mondjahre beilegt, habe
ich schon (S. 1*37) erwähnt; es soll zur Fixierung mancher Feste in
Gebrauch gewesen sein. Neben dem Mondjahre will er aber noch
mehrere andere Jahrformen in den Inschriften erkennen, was z. B.
aus der folgenden hervorgehen soll, die der 18. bis 20. Dynastie an-
gehört (und gewiß nicht sehr beweisend lautet): „Mein Tun ist wie
das der Sonne und wie das des Mondes am Anfang des Jahres und
am Ende des Jahres, im Sommer und Winter, an den 365 Tagen des
Jahres". Mit Lepsifs, Riel u. a. stimmt Bkugsch insofern, als er
neben dem Wandeljahre eine gleichzeitig gebrauchte feste Jahrform
annimmt. Die Veränderung der letzteren soll in der Bildung von
•4 Jahresarten zum Ausdruck kommen: 1) Die Inschrift von Elephiuit'me
(s. § 40, S. 194) mit dem Datum des 28. Ejj'qjhi als Sothisaufgang
220 II. Kapitel. Zeitrechimiig der Ägypter.
würde, wenn man vom Wandel jähre absieht, auf 1. Fpiphl = 23. Juni
alex. und auf den 1. Thoth = 27. August alex. führen; BßUGiscH sieht
darin ein festes Jahr, das „Jahr Thutmosis IID\ der Anfang dieses
Jahres fällt auf den 27. August, seinem Ursprünge nach gehört es
in die vierjährige Schaltperiode 1477 — 74 v. Chr. 2) Das von Eiel
entdeckte Ramessidenjahr, mit dem Jahresanfänge vom 6. Juli. Die
Verschiebung der Nilschwelle vom 20. Juli (Sothisaufgang) der alten
Zeit auf den 6. Juli zur Ramessidenzeit (13. Jahrh. v. Chr.) habe auf
dieses Jahr geführt, welches etwa 1269 v. Chr. aufgekommen sei.
3) Das tanitische Jahr (238 v. Chr.) mit dem x^nfang 22. Oktober,
welches wir schon kennen gelernt haben. Endlich 4) nach Ver-
drängung des letzteren das alexandrinische, beginnend mit 29. August
25 v. Chr. Dieses ist nur eine Apokatastasis des alten Jahres
Thutmosis III. mit einer Abweichung von 2 Tagen. — Aber wie wir
sahen, ist das Mondjahr bedenklich, und das Thutmosis -J'dhr sowie
RiELS Ramessidenjahr sind völlig problematisch.
Des weiteren muß hier die Ansicht von J. Keall, die im vor-
liegenden Kapitel schon hier und da berührt worden ist, und die
meines Erachtens den Vorteil einer unbefangenen, ruhigen Prüfung
der Tatsachen vor den anderen Theorien voraus hat, kurz erwähnt
werden. Das 360tägige Rundjahr, das wahrscheinlich in die Zeiten
vor der Einwanderung in das Nilland zurückreicht, bildete den Aus-
gangspunkt des ägj^ptischen Jahres. Die Epagomenen werden von Keall
noch nicht in die allerältesten Zeiten gesetzt. Das Wandeljahr mag
anfänglich für ausreichend für die Wiederkehr der Daten zur selben
Jahreszeit gehalten worden sein. Als man aus der Verschiebung der
Nilüberschwemmungen ersah, daß dies nicht der Fall war, konnte eine
weitere Verbesserung der Jahreslänge nicht alsbald vorgenommen
werden, einesteils, weil die Priester der richtigen Jahreslänge noch nicht
völlig sicher waren und diese erst allmählich feststellen konnten (die
Konstatierung des Vierteltages aus den heliakischen Siriusaufgängen
ging nicht so schnell vor sich, wie Leps^iub u. a. gemeint haben),
andernteils, weil inzwischen das Wandeljahr festen Fuß im Volks-
gebrauch gefaßt hatte und mm Änderungen auf Schwierigkeiten stoßen
mußten. Zwar werden bald Schaltungsversuche verschiedener Art
aufgetaucht sein, wie es der Eid, den die Könige bei ihrer Inaugurierung
den Priestern leisten mußten (s. § 41, S. 19(3) beweist, aber bei der
bestehenden Unsicherheit der Jahreslänge zogen es die Priester vor,
am Wandeljahre festzuhalten; die Daten und Feste desselben ver-
schoben sich wie früher durch alle Jahreszeiten, nur nicht so schnell
wie im alten Rund jähr. Daß aber die Feste größtenteils mit dem
Wandeljahre alle Jahreszeiten durchlaufen haben, und daß nur einige
auf astronomische Erscheinungen und auf die Nilphasen Beziehung
§ 44. Theorie des ägyptischen .Jiihres. 221
habenden Feste oder Merktage auf den Jahresabschnitten zu halten
gesucht wurden, in welche alljährlich der Gang der Natur sie zurück-
brachte, ging aus der Vergleichung ältester und jüngerer Festlisten
und Kalender (im vorigen Paragraphen) hervor. Die Feste der letzteren
Art^, die Xiltage, die für das ganze Land hervorragende Bedeutung
hatten, bestimmten die Priester vorher, indem sie dieselben alle vier
Jahre um einen Tag vorrücken ließen; die anderen Feste, die meist
lokaler Art waren, ließen sie durch das Wandeljahr weiterlaufen.
Erst das tanitische Jahr, bis zu dessen Einführung man sich also des
AVandeljahres bediente, ordnete die Aufnahme einer regulären Schaltung
an und sollte damit jene Vorherbestimmungen überflüssig machen.
Die Jahrpunkte bestimmte man mittelst roher Sonnenbeobachtungen,
die Mondwechsel mit Hilfe irgend einer zyklischen Eechnung. Das
Deki'et von Kanopus, das von den Ägyptern die Einlegung eines
sechsten Epagomenentages alle 4 Jahre verlangte, griff zu sehr in
das alteingewurzelte Wandeljahr ein, als daß das tanitische Jahr hätte
allgemeine Anerkennung finden ■ können. Diese Jahrform vegetierte
noch anderthalb Jahrhunderte; Anwendungen derselben lassen sich,
wie ein von Dümichex gefundenes Datum aus dem 25. Jahre
Ftolemäu^ XIIL zeigt, bis 57 v.Chr. hinauf verfolgen. Aber der
fehlgeschlagene Versuch, in Ägypten ein festes Jahr einzuführen-,
trug doch seine Früchte: in Eom gab er Anlaß zur Errichtung des
julianischen Jahres, und unter Äugustus folgten die Ägj'pter selbst
nach mit der Aufstellung der alexandrinischen Ära.
Mit diesen Anschauungen decken sich im allgemeinen auch die
treffenden Darlegungen, welche Ed. Meyee im einleitenden Teile seiner
„Ägypt. Chrouol." über das altägyptische Jahr gibt. Danach gab es (ab-
gesehen von dem Versuch des Dekretes von Kanopus) vor Äugustus in
Ägypten kein festes Jahr. Man begnügte sich mit dem 365tägigen
Wandeljahre, dessen Einführung Ed. Metee in die 3. Sothisperiode
(s. S. 193) und zwar, wo der 1. Thoth auf den 19. Juli fiel, also auf
den Anfang einer solchen setzt, d. h. 4241 v. Chr. Die Ordnung des
ägyptischen Kalenders würde somit schon im 5. Jahrtausend v. Chr.
1) Das Dekret von Kauopus unterscheidet deutlich Feste, die im ganzen
Lande gefeiert wurden (ioQTui Sr^^oxtltls) von den lokalen Festen.
2) Leteoxxe glaubte in einem Eudoxischen Papyrus (von Bruset de Pbesle
herausgegeben), den BOckh (Vierj. Sonnenkreise d. Alten, S. 200) zwischen 193 —
190 V. Chr. setzt, zwei Stellen gefunden zu haben, die auf ein festes Jahr zu
deuten schienen; als Anfangspunkt dieses Jahres gab Letroxxe den 9. 10. Oktober
au Nouv. rech, siir le cal. des anc. Egypt., II Mem. — Mein, de l'Acad. d. Inscript.
et b. l., XXIY, 1864). Böckh hat sich ablehnend ausgesprochen. Nach Krall
{Stiid. z. Gesch. d. alt. Äyypt., I, S. 893' wäre es nicht ganz unmöglich, daß zu
Ehren des Epiphanes durch Festlegung des Wandeljahres 191/190 ein festes Jahr
mit dem 10. Oktober ^ 1. Thoth errichtet worden sein könnte.
222 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.
erfolgt sein. Für die Siriusauf g-änge sei ein Normaltag (19. Juli) und
die Breite von Memphis angenommen worden. Der Jahresanfang sei auf
Grund der alle vier Jahre eintretenden Verschiebung (des Wandeljahres
gegen das 365^4 tägige Siriusjahr) berechnet worden; danach habe man
das Sothisfest bestimmt, und alle Sothisdaten (s. diese S. 194) seien als
zyklisch gerechnete, nicht als astronomisch beobachtete zu verstehen.
Diese letztere Folgerung scheint mir indessen noch nicht sicher. Die
Priester werden zwar das Sothis- oder Neujahrsfest auf Grund der
Erfahrung, daß die Siriuserscheinungen sich alle vier Jahre um einen
Tag verschoben, vorausbestimmt haben ; allein die heliakischen Sirius-
aufgänge sind, wie schon an zwei Stellen dieses Buches (S. 20 u. 183)
erklärt wurde, recht schwierig konstatierbare Erscheinungen; aus
diesem Grunde und weil man doch jedenfalls sich bestreben mußte,
das Fest mit der Zeit des faktischen Erscheinens des Sirius am Morgen-
himmel zusammenfallen zu lassen, wird man der Sicherheit halber die
vorausberechnete Zeit durch das Anstellen von Beol)achtungen von
Zeit zu Zeit kontroliert haben. Es scheint demnach nicht leicht zu
entscheiden, welche der überlieferten Sothisdaten zyklisch berechnete
und welche direkt beobachtete sind. Ferner ist die Voraussetzung
eines Normalparallels für Ägypten, obwohl recht Avahrscheinlich, doch
nicht einwandfrei. Vielleicht war der Umstand, daß man bei der
Beobachtung der heliakischen Aufgänge gewöhnlich um mehrere Tage
im Zweifel war, sowie die Wahrnehmung, daß die Aufgänge in Süd-
und Nordägypten um mehr als eine Woche differieren konnten, der Grund,
weshalb es nicht zur Errichtung eines festen Sothisjahres gekommen
ist, sondern dieses Jahr immer nur ein theoretisches blieb. Die
Erfindung der Sothisperiode von 1461 Jahren und das Eechnen damit
entstammt jedenfalls erst der späteren Zeit, als man aus vielhundert-
jährigen Beobachtungen allmählich Sicherheit über das Verhältnis der
Länge des Siriusjahres zu der des Wandeljahres erlangt hatte.
§ 45. Die Ären. Die angebliche Ära Niibti. Die alexandrinische
Ära (anni Aiii?ustoruui). Die diokletianisehe und Märtyrerära.
In der alten Zeit fehlte den Ägyptern ein fester Ausgangspunkt
zur Zählung der Jahre, eine Ära in dem Sinne, wie wir sie z. B. in
der -lahresrechnung von der Geburt Christi besitzen. Die Datierung
der Inschriften u. s. w. wird vielmehr durch Ansetzung des Kegierungs-
jahres des herrschenden Königs vorgenommen. In der Weise, wie es
schon aus dem Kegentenkanon des Ptolemäus hervorging (s. S. 140),
wird das Jahr des liegierungsantrittes (welches mit 1. Thotli beginnt)
immer für voll gerechnet, auch wenn die Proklamation des Königs
§ 45. Die Ären. 223
erst nach dem 1. Tholh, im Verlauf des Jahres, erfolgt sein sollte.
Das letzte Jahr des einen Königs ist danach kongruent mit dem ersten
seines Nachfolgers. Bei Eintritt von ]\litregenten während der
Regierung eines Königs datiert der Mitregent vom Jahre seiner Ein-
setzung, während die Regierungsjahre des Königs ungehindert weiter-
laufen; jedoch wurde dieser Usus nicht angewendet, wenn der Mit-
regent den Königstitel nur als Auszeichnung führte, also an der
Regierung nicht teil nahm. Das eben genannte Prinzip wurde auch
beibehalten, wenn die Regierungszeit eines Königs nicht die Dauer
eines Jahres erreichte, wie z. B. in dem Falle, wenn der König gegen
Ende eines Jahres eingesetzt wurde, aber schon Anfang des nächsten
starb; es wird dann dieses letztere Jahr als sein Regierungsjahr ge-
nannt. Nach solchen Königsjahren datieren die offiziellen Königslisten
in Ägypten besonders seit der Epoche des mittleren Reichs. Die
noch ältere Datierung dagegen ist die nach bürgerlichen Jahren,'
welche an die Jahre eingetretener Ereignisse, besonders aber an vor-
aus bestimmbare Feste anknüpfen, wie an das Horusfest, ^SecZ-Fest,
Apis-Fest u. s. w., oder an Besitz aufnahmen des Volkes, die zu ge-
wissen Zeiten angeordnet wurden. Die Zählung nach solchen bürger-
lichen Jahren findet sich schon in sehr alter Zeit. Auf dem für die
ägyptischen Jahreszählungen lehrreichen Steine von Palermo \ welcher
aus der Zeit der 5. Djniastie herrührt, ist sowohl die Zählung nach
bürgerlichen, wie nach Königsjahren gebraucht (vgl. Anm. 3 S. 172).
Trotz der rnbehilflichkeit dieser Datierungsweise, w^elche namentlich
dann hervortritt, wenn voneinander sehr entfernte Fakta zeit-
rechnerisch zu verbinden sind, scheinen die Ägypter die Notwendig-
keit von Zeitären nicht gefühlt zu haben, ein Umstand, welcher der
Chronologie nicht selten große Schwierigkeiten bereitet. Auch die
astronomischen und sonstigen Perioden, wie die Phönix-, Apis-, und
Sothisperiode, wurden nicht chronologisch gebraucht und finden sich
nicht auf den alten Denkmälern. Nur einzelne angegebene Sothis-
aufgänge haben zur Fixierung einiger Könige dienen können. Von
Finsternisangaben, einem sonst wichtigen astronomischen Hilfsmittel
zur Herstellung von Daten, findet sich Brauchbares bei den Ägj^ptern
nichts vor"-. Das einzige Anzeichen für die (vermutliche) Existenz
einer Ära in der altägyptischen Zeit hat man in der Ära N u b t i zu
1) s. H. Schäfer, Ein Bnichstück altägypt. Annalen {AhltdUj. d. Berlin. Akad.
d. Miss., 1902).
2) Die Inschrift, welche früher auf eiue unter Takelothis IL stattgefundene
Mondfinsternis bezogen worden ist, kann nach der Rektifizierung des Textes durch
EiSEXLOHR nicht mehr auf eine Finsternis gedeutet werden. Über Text und Literatur
der Finsternis s. Gixzel, Spez. Kanon d. Sonnen- u. Mondfinst., 1899, S. 260.
224 II. Kapitel. Zeitreclinung der Ägypter.
finden geglaubt. Auf einer Stele aus Tauis^ ist das Datum i. 3Iesori
des 400. Jahres eines Königs Sct-Xuhfl (in die Zeit der Hyksos ge-
hörig ?) angegeben. Diese Inschrift fällt in die Zeit Iiamf<('f< IL Aus
einer Stelle in der Chronologie des Manetho (nach Julius Äfricanus)
hat WiEDEMANN geschlosseu ', daß der Anfang der Xuhfi-\Y3i 990 Jahre
vor den Tod des Bocchoris (732 v. Chr.) falle, also 1722 v. Chr. Es
ist aber fraglich, wenn auch das Wahrscheinlichste, ob hier unter
Kuhti ein wirklicher Herrscher gemeint ist, ober ob nur eine Beziehung
des Königs auf den Gott Set vorliegt. Im letzteren Falle liegt der
Gedanke an eine zu Tanis gebrauchte Tempelära nahe (Ed. Meyee
und J. Kkall).
Die Ära Nabonassar und die p h i 1 i p p i s c h e , beide auf das
Wandel jähr gegründet, stehen in unmittelbarer Beziehung zu dem
Regentenkanon des Ptolemäus und wurden deshalb schon im I. Kapitel
(S. 143) auseinandergesetzt -l
Die verbreitetste feste Ära, im Orient lange in Gebrauch, ist
die alexandrinische. Die Epoche derselben oder der 1. Thofh ist der
29. August julianisch. Sonst unterscheidet sich die Ära insofern vom
Wandeljahre, daß zu den 5 Epagomenen alle 4 Jahre ein sechster
hinzukommt. Daß der 29. August den Ausgangspunkt bildet, erhellt
aus der Vergleichung verschiedener Datierungen der Alten. So heißt
es bei Theon*, daß die Zeit einer von ihm zu Alexandrien beobachteten
Sonnenfinsternis „im 1112. Jahre seit Nahonassar nach dem Mittag
am 24. Thoth, nach alexandrinischem Datum aber .... gleichfalls
im 1112. Jahre nach dem Mittag des 22. Fayu'r^ war. Das erstere
Datum gibt den jul. Tag 1854176 (Scheams Tafeln) = 364 n. Chr.
16. Juni, der 22. Payni alexandrinisch entspricht (s. die Tafel S. 200)
nur dann dem 16. Juni, wenn 1. Thoth = 29. August voraus-
gesetzt wird. Bei der Berechnung des Osterfestes wird von den
griechischen Kirchenschriftstellern der Tag des Äquinoktiums 21. März =
25. Phamenoth gesetzt, was gleichfalls auf 1. Thoth = 29. August zu-
rückAveist, u. s. f. Die alexandrinischen Monate werden oft mit den
1) Mariette, Revtie archeoL, nouv. ser. XT, 1865 (Mars) ; Catalogue du Musee
de Boulaq, ed. III 279.
2) Bei Manetho heißt es: ^Bocchoris aus Sais herrschte 6 Jahre, nuter ihm
sprach ein Lamm. Jahre 1)90". Wiedemann versteht diese letztere Zahl als die
Additioiissumme einer bis zum Tode des Bocchoris abgelaufenen Anzahl von , Jahren.
Der Anfang der Zählung (ev. Ära) würde also 990 Jahre vor diesem Könige
liegen. — Diese Konjektur wird jedoch von neueren Forschern nicht angenommen.
3) Auf eine vielleicht mit der philippischen Ära identische oder später be-
gonnene Ära in der Lagide n zeit weisen Münzen mit TTro^tfica'oi' HiotfjQog und
Ilxoltnuiov ßaaiXtcog (s. Poole, Catalogue of greelc coins in the Br. Mus., 1883,
S. LXXIVf.).
4) Theon. Comment, p. 332 (Basel 1538). (Vgl. Ginzel, Spe^. Kanon d.
Sonnen- u. Mondfinst., S. 218.)
§ 45. Die Ären. 225
römischen parallel gestellt, der Thotli gleich dem .September, der Phao])hl
gleich dem Oktober u. s. w. (beim SchoViastm des Akatv-s, von Ptolemäus
in der Schrift von den Erscheinungen der Sterne). Dieselbe Gleichung
1. Thoth = 29. August, sowie die Lage des Schaltjahres geht aus einem
Fragmente der Schriftstücke des Kaisers Heradim hervor: ,.Wenn
wir den 29. August haben, zählen die Alexandriner den 1. Thoth oder
September, und wenn wir den 1. September haben, zählen die Alexan-
driner schon den vierten. — Die Alexandriner schalten jedesmal in
dem Jahre ein, das vor dem römischen Schaltjahre hergeht, wo sie
ihr Jahr nicht 3, sondern 2 Tage vor dem September anfangen"
(d. h. nicht am 29. August, sondern am 30. August). Danach fangen
diejenigen Jahre nach Christus mit dem 30. August an, welche durch
4 dividiert, den Eest 3 geben, bei den Jahren vor Christus jene, welche
bei der Division durch 4 den Rest 2 übrig lassen, z. B. das Jahr 15
n. Chr., sowie das Jahr 22 v. Chr. fängt mit dem 30. August an. Es
folgen also je 3 alexandrinische Jahre mit dem 29. August als Anfangs-
tag aufeinander, woran sich das vierte Jahr mit dem 30. August als
Anfangstag schließt.
Eine Vergleichungstafel für den ersten Tag jedes alexandrinischen
Monats im julianischen Kalender wurde schon früher, bei Vergleichung
mit dem tanitischen und dem Sothisjahre gegeben ; ich setze die Tafel
nochmals hier an, indem ich hierzu noch eine zweite, für den um-
gekehrten Fall, für die ägj'ptischen Monatstage, welche den Anfängen
der julianischen Monate entsprechen, beifüge.
I. I IL
Alexandr. Monat Julian. Tag ' Julian. Monat Alexandr. Tag
L Thoth 29. August L September 4. Thoth
L Phaophi 28. September L Oktober 4. Fhaojjhi
l. Athyr 28. Oktober L November 5. Athjr
L Choktl- 27. November 1. Dezember 5. Choiak
1. Tijhi 27. Dezember ; 1. Januar 6. Ti/hi
1. Mrch'ir 26. Januar L Februar 7. Mech'ir
L Phamenoth 25. Februar L März 5. Phmnenoth
L Pharmuthl 27. März
1. Pachon 26. April
L Pauni 26. Mai
1. April 6. Pharmuthl
L Mai 6. Pachon
L Epipki 25. Juni
1. Mcsor'i 25. Juli
(1. Epagomenai) 24. August
1. Juni 7. Payni
L Juli 7. Eplph'i
1. August 8. Mesor'i
"Wenn der L Thoth auf den 30. August fällt, sind die Julian. Tage
der Tafel I um eine Einheit zu vermehren, die der Tafel II, und zwar
Ginzel, Cbronologie I. 15
226 II. Kapitel. Zeitrechnung der Ägy])ter.
bis eiuscliließlicli 4. Phamtnwth (= 29. Februar), um eins zu ver-
mindern, vom 1. März resp. 5. riiamcnoth gelten beide Tafeln.
Als Epochejalir wird das Jalir 30 v. Chr. angenommen, doch ist,
wenn man darunter die Zeit der Errichtung der alexandrinischen Jahr-
form versteht, dieses Epochejahr nur konventionell; man setzt dabei
voraus, daß die Einrichtung- des festen Jahres gleichzeitig mit dem
Beginne der Ära des Augudus {Odavianus) erfolgte. Es besteht
nämlich hierbei eine eigentümliche Schwierigkeit, die sogleich aus-
einandergesetzt werden muß.
Kaiser Äugustus lieferte bei Actium am 2. September 31 v. Chr.
dem mit Cleopatra verbündeten Antonius eine Schlacht und landete
darauf in Ägypten. Am 1. ScrtUts (August) 30 v. Chr. versuchte
Antonius bei Alexandrien dem Sieger Widerstand zu leisten, allein
die Flotte verließ ihn, und er entleibte sich ; wahrscheinlich am selben
Tage ergab sich die Stadt. Auf die im September oder Oktober nach
Eom gelangte Nachricht von dem Tode des Antonius faßte der römische
Senat einen uns von Dio Cassius ^ überlieferten Beschluß, daß der Tag
der Einnahme Alexandriens ein heiliger sein und den Einwohnern
künftig als Ausgang ihrer Jahresrechnung dienen solle. Die Alexandriner
feierten demzufolge diesen Tag, legten aber den Anfang der Zählung
der Jahre nicht auf den 1. August, den Tag der Einnahme ihrer
Stadt, sondern an das Ende August. Die offizielle Bezeichnung dieser
Jahre, anni August omni-, ist jedenfalls erst später, nach der
Erteilung des Titels Äugustus an Octavian eingeführt worden. Böckh
{Epigr.-chronol. Studien, S. 94) hat nachgewiesen, daß der Beginn
des ersten Jahres der festen Zeitrechnung (und des ersten Jahres des
Äugustus) der 30. August 30 v. Chr. ist. Man sollte erwarten, daß
das erste Jahr mit dem 1. Thoth des Wandel Jahres 31. August be-
gonnen hätte, statt dessen fällt der feste 1. Thoth um einen Tag
früher als der erste bewegliche Thoth. Zur Erklärung dieses Umstands
sind verschiedene Meinungen aufgestellt worden, seit Ideler von Böckh,
Th. Mommsen, Lepsius, Soltau. Es kann hier nicht im einzelnen
auf diese Auffassungsarten eingegangen werden (s. Literatur am Schluß
dieses Kapitels); nur das Wichtigste sei hervorgehoben. Die H^ypothese
Idelers (I 160), die sich auf Solinus (FoJgh.. c. 1) und Macrobius
{Saturn., I 14) stützt, sucht zu beweisen, wie der 31. August auf den
29. (1. Thoth) vorgerückt sei; allein die Hypothese wird durch den
Umstand hinfällig, daß der Epochentag der festen Zeitrechnung nicht
der 29. August gewesen ist, sondern der 30. August. Böckh und
1) LI, 19 : Tjyj' r][itQav tv ij i] 'AXt^ccvÖQtia idho, äya&i'jv rt tlvcci Kccl tlg rcc
2) Augusti bei Censorin, trr\ ccjth Avyovorov bei Tjikon.
§ 45. Di.- Äiv.i. 227
Lepsius haben deshalb diese Ansicht, welche auf das Schaltungsver-
fahren der Pontifices (denen nach Caesars Tode die Schaltung über-
lassen blieb) zurückgeht, umgestaltet; der letztere hat außerdem noch
eine andere Ansicht der Sache gegeben. Th. Mommsen war dagegen
geneigt, auf die schon ältere Hypothese (Des Vkinoles u. a.) zurück-
zugreifen, daß im 5. Jahre Augusts der bewegliche und der feste
1, Thoth zusammengefallen seien, und daß die Einführung der anni
Augustl nicht am :^>0. August 30 v. Chr., sondern einige Jahre später
stattgefunden habe. Im Kommentar des Theox zu den Handtafeln
des Ptolemäus^, wo derselbe von dem Voreilen des AVandeljahres
gegen das feste alexandrinische Jahr spricht, heißt es nämlich: „Diese
Rückkehr (äjToy.aTceGTa(ng) des beweglichen Thoth zum festen Thoth
fand aber im fünften Regierungsjahre Augusts statt, so daß von dieser
Zeit an die Ägypter wieder jährlich einen Vierteltag antizipiert haben".
Die ersten Jahre des Augustus wären danach ohne Schaltung geblieben
und erst im Verlaufe seiner Regierung wäre zum ersten Male ein-
geschaltet worden, und zwar stellt sich der Verlauf auf folgende
Weise: die Ära begann mit dem beweglichen 1. Thoth, 31. August
30 V. Chr., dann sind 4 Jahre zu 365 Tagen gezählt worden, im
5, Jahre, 26 v. Chr., welches noch mit 30. August begann, wurde
dieser bewegliche 1. Thoth ein fester. Von da ab lief der Schaltzyklus,
so daß jedes erste Jahr desselben mit dem 30. August, das 2., 3., 4.
mit dem 29. August begann. Das Mo:\orsExsche Schema ist dann
folgendes :
Jahr des Augustus 1 = 30 v. Chr. 1. Thoth = 31. Aug. jul. 365 Tage
2 = 29 „
3 = 28 „
^ = 27 „
• 5 = 26 „
6 = 25 „
7 = 24 „
8 = 23 ,,*)
Die Schaltung müßte also erst vom 5. Jahre des Augustus = 26. v. Chr.
an laufen, die früheren Jahre wären noch Wandeljahre, das erste
Schaltjahr*) war 23. v. Chr. Bei antizipierender Schaltung hätte man
den Anfang der Ära auf den 29. August 23 v. Chr., bei Annahme
postnumerierender Schaltung auf den 30. August 26 v. Chr. zu setzen-'.
= 30.
n
365
= 30.
J5
365
= 30.
55
365
= 30.
55
365
= 29.
55
365
= 29.
55
365
= 29.
55
366
1) Commentaire de Theoti., edit. Halma, Paris 1822, T. I 30.
2) Für die Ansicht, das feste Jahr habe erst im 5. Augustischen angefangen,
spricht auch eine Stelle bei Panodor (Stnkell. 313 Par.): hsi nt^nrio Avyovßrov
TtQ'fivaL Tjjf TiTQcc{:Ti]Qiy.iiv i]uSQCCv , xcd iifXQ'^ ^oiJ vvv ovtco -KaO"' "EXXtivag, i']Toi
15*
228 II. Kapitel. ZL'itreehiiuiig der Ägypter.
BöcKH hat sich bestimmt gegen die Vorausnahme des Schalttages in
dem 4 jährigen Schaltzyklus ausgesprochen und hat die Apokatastase,
das Zusammenfallen des beweglichen und festen Thoth, als das Ent-
scheidende betrachtet: damit gilt ihm der 30. August 26 v. Chr. als
der Anfang der Zeitrechnung. ^ Eine Entscheidung in diesen Fragen
ist noch nicht erreicht, nur ist es als wahrscheinlich anzunehmen, daß
die Einrichtung resp. Schaltbestimmung des alexandrinischen Kalenders
erst 26 v. Chr. vorgenommen, die Epoche aber auf den 30. August
30 V. Chr. zurückverlegt wurde.
Durch eine Bemerkung von J. Keall wird die Errichtung des
alexandrinischen Jahres in die richtige Parallele zum tanitischen
Jahre gerückt. AVie das Dekret von Kanopus angibt, ist die Reform
im 9. Jahre Ptolemüus III., 510 Nabon. = 239 v. Chr. eingeführt
worden fs. § 41 S. 199). In diesem Jahre wurde zu Ehren des Königs
das tanitische feste Jahr gebildet durch Festlegung des Wandeljahres,
und zwar wurde die Schaltung gleich im ersten Jahre der Tetraeteris
eingelegt (antizipierende Interkalation). Eechnen wir vom Beginne
jenes 9. Regierungsjahres 1. Thoth 510 Nabon. = 22. Oktober 239
V. Chr. bis zu dem vorhin nach Mommsen gegebenen Anfange der
alexandrinischen Jahresrechnung 29. August 23 v. Chr., so ergibt die
Zwischenzeit zwischen beiden Daten 78840 jul. Tage oder 216 Wandel-
jahre oder 54 Tetraeteriden. Der Vorgang, der 239 v. Chr. mit dem
Wandel jähre vorgenommen wurde, wiederholt sich 23 v. Chr., indem
in beiden Fällen diesen Jahren 366 Tage gegeben werden. Wie die
Errichtung des tanitischen Jahres eine von den Priestern veranstaltete
Ehrung FfoJcmän/^ III. war, so bedeutete auch die Einführung des
alexandrinischen Jahres eine Ehrung für Augustus, und man wird
also kaum fehl gehen mit der Annahme, daß das Jahr 23 v. Chr. als
erstes geschaltetes eigens von den Priestern hierzu ausersehen
worden ist'.
Die alexandrinische Ära war keineswegs imstande , das Wandel-
jahr sofort zu verdrängen; sie bürgerte sich mehr bei den griechi-
schen und römischen Bewohnern Ägyptens ein, während die ein-
heimische Bevölkerung noch durch mehrere Jahrhunderte am alten
Wandeljahre festhielt. In der demotischen Schriftsprache wird das
'Alth,avdQtig '^njcpi^tad'ca rovg aarQoroiuKovg yiccvörag titL — Lauth [Die Schalttage
des Ptolem. Euerg. I., und Sothis- oder Siriusperiode. — Sitzbcr. d. legi. bayr. Alcad.
d. Wiss., 1874] sucht das Jahr 25 v. Chr. als Epochejahr liinzustellen.
1) Die Tatsache, daß Augustus den Bau des />c»r/era-Tempel8 sehr gefördert
hat (s. DiiMicmoN, Bangeschichte des Dendera- Tempels , 1877) muß wohl als sein
Dank für die Ehrung durch die Priester betrachtet werden. Nach Lepsius bezieht
sich auch die berühmte Ilimmelssphäre in diesem Tempel bemerkenswerterweise
auf das Jahr 2-3 v. Chr.
§ 45. Die ÄriMi. 229
alexandrinisclie Jalir als das ..Jahr des Joniers" bezeichnet, zur Unter-
scheidung vom „Jahre der Äg-ypter" , dem AVandeljahre'. Doppel-
datierungen mit dem alexandrinischen und \^'andeljallre sind bis jetzt
nur einige in äg3'ptischen Papyrus gefunden: in dem doppelsprachigen
Papyrus Jxhhul I .") findet sich aus dem 21. Jahre des Augustus
(9 V. Chr.) das Doppeldatum 10. Ej>ij)hi = 1(3. Mciori, beide dem
30. Juni jul. entsprechend; im demotischen Teile einer von BRuascH
{ZeiUchr. /'. %. Spr., X, 1872. S. 27) herausgegebenen Inschrift aus dem
17. Jahre des Tiberius das Datum 1. Mcchlr ..des Ägypters" (Wandel-
jahr) = 18. Tiiln ..des Joniers", beide entsprechend dem 13. Januar
31 n. Chr. Von gi-oßer Wichtigkeit ist, daß der ganze Festkalender
von Eme, Avie schon bemerkt, sich auf das alexandrinische Jahr be-
zieht. Bei den Kirchenschriftstellern wird das alexandrinische Jahr
etwa vom 3. Jahrh. an erwähnt : so von Clemens Alexaxdkixus,
Epiphanius (4. Jahrb.). Macrobus, im Anfange des 5. Jahrb., kennt
das Wandeljahr nicht mehr. Bei Plinius hat man, ohne Grund, ale-
xandrinische Daten vermuten wollen.
Die diokletianische Ära hat sich in Ägypten im Volks-
gebrauch viel schneller eingebürgert als die alexandrinische, die mehr
eine chronologische Ära geblieben ist, wogegen die am Ende des
Altertums in den Papyrus sehr zahlreich auftretenden diokletianischen
Datierungen Zeugnis von der Verbreitung dieser Jahreszählung geben.
Die Epoche der Ära knüpft sich nach dem Grundsatz der Ägypter
bei der Zählung der Regierungsjahre (S. 223) an das Datum des
Regierungsantrittes des Kaisers BiocJptian. Das Chronicon paschaJe
gibt beim Konsulat des Carinus II. und Xumerianus (284 n. Chr.) an:
.^Diodoüan, am 17. September zu Chalcedon proklamiert, zog am
27. desselben Monats mit dem Purpur in Nicomedia ein und wurde
am 1. Januar Consul-." Danach ist die Epoche entweder der 13. Juni
oder 29. August 284 n. Chr., je nachdem sie mit dem Wandeljahre
oder dem festen verbunden wird, ^ian muß sich für letzteres ent-
scheiden, da Verbindungen mit Wandeljaliren sehr selten vorkommen.
Damit wird die Epoche der diokletianischen Äi-a der 29. August
284 n. Chr.
Die Gründe für die Entstehung der Ära sind nicht völlig klar.
Hauptsächlich liegen dieselben wolü in der Entwicklungsweise des
r Ähnlich viuterscheidet Theox zwischen Jahren y.ax' AiyvTtTiovg und -/.ar'
'A}.t^avdQiccg. Ptolejlvus setzt im Almagest vor die Monatsnamen xat' AiyvTtriovg,
womit das Wandeljahr angedeutet wird.
2 Jioy.Xrftiavbg ävccyoQtv&tig rtQO tt KciXccvdäv 'OxrcoßQicov iv XalKr^dovi,
tiafj'/L&tv iv Niy.ouridtia Ttgb t KccXavöütv 'O-^raßgiav ftita Tfjg TtOQCpvgidog, v.al
Kcdürdcag'IcirovciQuag 7tQ0)]ld-iv i'rraTog. Corpus hist. Byzant., 18S2, Dind. S. 510.)
230 II. Kapitel. Zeitrecliimii<i- der Ägypter.
Zeitrechnimgswesens der spätägyptischen Periode überhaupt. Bis ins
vierte Jahrhundert wurden auf den Urkunden (außer dem äg-j'ptischen
oder makedonischen Datum) die Regierungsjahre der Kaiser angesetzt.
Später kamen noch das Konsuhitsjahr und die Indiktion in Gebrauch.
Diese Datierungsweise änderte sich aber im Laufe der Zeit, die
Konsulatsjahre vei-tielen, und als die Araber Ägypten erobert hatten,
verfielen aucli die Eegierungsjahre der Kaiser. Hierdurch kam in
die Datierung eine gewisse Unsicherheit, und man sah sich genötigt,
einen neuen festen Anknüpfungspunkt zu suchen. Im 3. Jahrhundert
hatten schon einige Kaiser ihre Regierungsjahre an jene ihrer Vor-
gänger angeschlossen. (So zählte Commodus von den Jahren seines
Vaters weiter bis zum 33. Regierungsjahre, CaracaJJa von den Jahren
des Septimius Severus, Gallien us von denen des Valeriemus.) Diohletian
war der letzte Herrscher, dessen Jahre nach der alten A^^eise gezählt
worden waren. Die Erinnerung an jene Weiterrechnung der Regierungs-
jahre kann also, wie Wessely bemerkt hat, das Volk bestimmt haben,
an DioJxletian anzuschließen, um so mehr, als gerade dieser Monarch dem
Volke denkwürdig bleiben mußte. Anderseits findet man bei den
alexandrinischen Astronomen den Gebrauch, bei der Datierung ihrer
Beobachtungen neben dem festen Jahre auch das Jahr DioJcletiaiif'
anzugeben. Dieser Vorgang kann auf die christlichen Ohronologen
nicht ohne Einfluß geblieben sein, und die letzteren gebrauchten daher
allmählich ebenfalls die Ära für den Ausgangspunkt der Osterrechnungen.
Die Verdienste DioUeüans um Ägypten erhellen z. B. aus Eutkopius,
welcher {Bveriar. hisf. Born., IX 23) sagt: Diocletianus obsessum
Alexandriae Achilleum octavo fere mense superavit, eumque interfecit:
Victoria acerbe usus est, totam Aegyptum gravibus proscriptionibus
caedibusque foedavit. Ea tamen occasione ordinavit provide multa
et disposuit, quae ad nostram aetatem manent. Die eingeborenen
Ägypter hatten also manche Ursache, sich der Regierung dieses Kaisers
zu erinnern, und da ihre Chronologen beinahe ausschließlich, bis zum
Niedergange der altägyptischen Religion und der Verbreitung des
Christentums , nach dem Kaiser datierten , so wurde die Ära bald
auch im Volke heimisch. Für die Christen haftete an der Regierung
DioTiJetians eine traurige Erinnerung, die im 19. Jahr derselben (nach
EusEBius, Hist. ecvl.,y\ll 2 und Okosius, Hist,Nll 25) über sie ver-
hängte Verfolgung. Die Christen nannten daher, als viel später die
Jahresrechnung nach DloMetians l^egierungs jähren bei ihnen ebenfalls
gebräuchlich wurde, die Ära, sei es um ihren heidnischen Ursprung
zu verkleiden, oder um eine Erinnerung an schlimme Zeiten zu stiften,
die Märtyrerära. Die letztere würde also eigentlich erst mit dem
19. Jahre B\oldeiuins , 302 n. Chr., zu beginnen haben; da sie unter
den Christen, den Kopten und im ganzen Oriente, ebenfalls von
§ 45. \)k' Ären. 231
284 n. Clir. ab gerechnet wurde, beweist dies, daß die Bezeicliiuing-
,.Ära der Märtyrer" erst im Laufe der Zeit aufgekommen ist. Die
Dlokh't'tan'ixche Ära erhielt sich lange in Gebrauch; ihre Anwendung
in Inschriften und dgl. findet sich selbst in der Zeit nach der P^roberung
Ägyptens durch die Araber, im 8. Jahrh. n. Chr. (Es existieren Daten
von 694, 708, 754 n. Chr.) Zur Verwandlung von Daten der IJiokk^-
tianischen Ära in julianische Daten der christlichen bedient man sich
der Tafel I (resp. II), S. 225. Man addiert 283 zur gegebenen Dio-
l-loi'ia)i'isch('}i Jahreszahl und dividiert die Summe durch 4; bleibt 0,
so ist der 1. Thoth = 30. August (s. Tafel I), bleibt nicht 0, so ist
der 1. Thoih = 29. August. Das christliche Monatsdatum ermittelt
man dann mittelst Tafel I; wenn das diokh't'uoiischc Datum später
liegt als der 5. TyM, hat man ein Jahr unserer Ära mehr anzunehmen. —
ScHEA^is Tafeln geben die geforderten Daten fast ohne Rechnung. —
Für gewisse Zeiträume liefern Maklers Chrono}. VergJ. TahelJen (s.S. 149)
das Datum von Jahr zu Jahr, und zwar für die Jahre DioJcleüans
von 1 — 1000 (284 bis 1283 n. Chr.) und für die Jahre des Äugustus
von 1 — 500 (30 v. Chr. bis 470 n. Chr.).
Beispiele für die Ermittlung des Julian. Datums aus Angaben
nach der Ära DloMeüan (Scheams Tafel):
1. In einem Briefe des Ämhroslus an die Bischöfe der Provinz
Ämilia (Opp., Tom. II 880 nach der Ausgabe der Benediktiner) heißt
es : Septuagesimo sexto anno ex die imperii Diocletiani vigesimo octava
die Pharmuthi mensis, qui est nono Kalendas Maii [= 23. April],
dominicam paschae celebravimus sine uUa dubitatione maiorum.
Jahr 76 DioMeüan 28. Pharmuthi = 1852 661
Korresp. Julian. Kai. (300 + t) = 1852 638
= 360 n. Chr. April 0 + 23
Demnach ist richtig, wie der Brief angibt, 76. Jahr DioUeüan
28. Pharmuthi = 360 n. Chr. 23. April; die Kalenderzahl des letzteren
Datums, 2227, lehrt (s. den christlichen Festkalender der ScHRAMSchen
Tafeln), daß Ostersonntag richtig auf den 23. April traf.
2. Paulus Alexamhinus, in seiner Einleitung in die Astrologie,
erklärt, welcher ^^'ochentag den Monatstagen entspricht ; der Tag, an
welchem er schreibe, der 20. Mechir des 94. Jahres der (lloUetlanlschen
Ära, sei ein Mittwoch.
Jahr 94 DloUetian 20. Mechir = 1 859 167
Korresp. Julian. Kai. (300 + t) = 1 859 153
= 378 n. Chr. Febr. 0 -}- 14
Demnach entspricht 94 Diokletian 20. Mechir = 378 n. Chr. 14. Februar,
und die Division der entsprechenden Julian. Tage 1859167 durch 7
gibt den Rest 2 = Mittwoch.
232 II. Kapitel. Zeitrecliiiung der Ägypter.
Es erübrigt noch, einige Worte über das Vorkommen des make-
donisclien Kalenders in Äg-ypten zu sagen (auf das Jahr der
Makedonier kommen wir im Tl. Bande dieses Werkes zurück). Das
makedonische Mondjahr ist in Ägypten im 3. Jahrh. v. Chr., nach dem
Eroberungszuge Alexanders des Großen, eingedrungen. AV'ährend bis
dahin auf den Denkmälern die altägyptische Datierung herrscht, finden
sich etwa von Ph'iladelphus (285 — 247 v.Chr.) ab immer häufiger
Doppeldatierungen nach makedonischem und ägyptischem Datum. Auf
2 Denkmälern, von denen in diesem Kapitel schon die Rede war, der
Inschrift von Rosette und im Dekret von Kanopus, finden sich schon
solche makedonische Datierungen: in der ersteren neben dem 18. Mt'chir
der 4. Xantliicm der Makedonier, im Dekret von Kanopus das Doppel-
datura 7. ÄpeUäus = 17. Tyhl (s. S. 197). Die späteren ägyptischen
Könige, im 2. Jahrh, v. Chr. {Pinlometor /., Euergetes IL u. s. w.),
datieren in ihren Erlassen, Königsbriefen überwiegend doppelt; das-
selbe ist in den Priesterdekreten, den Kontrakten und Berichten des
Geschäfts- und Privatlebens der Fall. Allmählich hat das Aufkommen
der festen Ären den makedonischen Kalender wieder verdrängt, jedoch
bis ins erste Jahrh. v. Chr., bis in die Zeit der letzten selbständigen
ägyptischen Könige reichen diese Doppeldatierungen; auch unter der
römischen Herrschaft scheinen sie nicht gänzlich erloschen zu sein.
(152 n. Chr. kommt z. B. ein Kontrakt mit der Gleichung vor „uv^og
"iavöixov 'A& ff^^/JtQ /<^".)
§ 46. Indiktioneii in Ägypten.
Im III. Bande dieses Werkes, bei der Zeitrechnung der christlichen
Völker, w^erden wir auf den im Mittelalter stark verbreiteten Zyklus
der Indiktionen (Römerzinszahl) zu sprechen kommen. Unter dem-
selben versteht man die Jahre eines 15jährigen Zyklus, welche von
keiner bestimmten Epoche aus, sondern nach Ablauf eines Zyklus, an
diesen sich anschließend, von Anfang weitergezählt werden. Es wird
gewöhnlich angenommen, daß der Anfang der Indiktionen in die Zeit
fällt, in der Konstant m der Große durch die Besiegung seines Gegners
Maxentius Herr von Italien wurde, 312 n. Chr.; der Monat des Beginns
steht nicht fest, es werden vielmehr je nach dem Beginne mehrere
Arten Indiktionen unterschieden; die hauptsächliche ist die ludidio
Constantinopolitana , welche auf den 1. September Julian, festgesetzt
wird. Den Ursprung dieses Zeitkreises, für den man die römischen
Steuerperioden angenommen hat, meinte zuerst Rossi (Inscr. Chr. I,
prol., p. XCVII) in Ägypten zu finden. Da in neuerer Zeit mehrere
Forscher sich ebenfalls für Ägypten ausgesprochen haben, so sollen
I
i^ 46. Iiidiktioiirii in Ägypten. 238
liier am Schlüsse des Kapitels über die Zeitrechnung' der Ägypter
noch einige Bemerkungen über diesen Gegenstand gemacht werden.
Die Datierungen nach Indiktionen treten in Ägypten (wie im
vorigen Paragraphen liüchtig angedeutet wurde) auf, als die Konsulats-
jahre allmählich verfielen; in den koptischen Papyrus und den Inschriften
sind sie vom 4. bis zum 8. Jalirh. n. Chr. nachweisbar. Die ägyptischen
Indiktionen weisen auf den Monat Payni hin (26. ]\[ai bis 24. Juni
des alexandrinischen Jahres, s. S. 200) und sind mit den Zusätzen
ügyrj (Anfang) oder rk\oq (Ende) verbunden. Anfänglich vermuteten
einige in dem Paynl eine regelmäßige Epoche, jedoch fanden sich bald
auch Daten aus dem darauffolgenden Monat Einphi vor. Dies weist
darauf hin, daß die Datierungen innerhalb der 3. Tetramenie, Pachou
bis Mesori, sich bewegen. Wilcken und. L. Stern glaubten deshalb,
daß der Indiktionsanfang ein schwankender sei, und daß die Zusätze
ccQxu und rilog zur näheren Definition der Stelle des Monats (Anfang
oder am Ende der Indiktion) dienen sollten. Nach J. Krall hat man
es aber sicher mit einer festen Indiktionsepoche, und zwar in der
zweiten Hälfte des Paijni zu tun; allerdings ist der Anfangstag der-
selben noch nicht sichergestellt. Gewiß ist aber, daß die Indiktionen
der Papyrus mit der Erntezeit in Verbindung stehen. In den Kon-
trakten ist sehr häufig als ausbedungene Zahlungszeit einer Schuld
der Monat Fai/ni , in der Kaiserzeit der Monat der Ernte, an-
gegeben, z. B. „Ich werde Dir zahlen im Monate der ICrnte der
glücklichen 13. Indiktion", oder „Ich werde zahlen zur Zeit der Ernte".
Ein Fragment aus dem 4. oder 5. Jahrh. setzt nach Wessely die
Indiktion direkt mit der Nilschwelle in Verbindung, und von dem
Eintreffen der letzteren hing ja die Ernte ab. Die Zeit der Voll-
endung der Ernte, der Paynl, war in der Kaiserzeit Ägyptens auch
der Beginn eines neuen Steuerjahres, um diese Zeit zahlte man Steuern
und Schulden, und hierdurch wäre das sehr häufige Vorkommen des
Payni in den Kontrakten erklärt. Krall knüpft hieran einige
weitere, für den eigentlichen Ursprung der Indiktionen bemerkens-
werte Schlüsse. Unter dem Beisatze ccQyj] wäre der Anfang, der Teil
des Steuerjahres zu verstehen, in welchem Steuern und Schulden be-
zahlt wurden, unter räAog die letzten Monate des Steuerjahres, in
denen die Ausschreibung der Steuern, die Vereinbarung der Kontrakte
fürs nächste Jahr erfolgte. Wenn spätere Termine als der Paym
(ausnahmsweise) in den l'rkunden vorkommen, so erklären sich diese
aus Steuererleichterungen oder Terminverschiebungen, die infolge
schlechter Ernte notwendig wurden; das Indiktionsjahr wurde in
solchen unabweisbaren Fällen über den Endetag hinaus prolongiert,
Tilog fiel dann in die Zeit, wo man sonst schon äoxü zählte. Es
chirf aber außerdem nicht übersehen werden, daß die Terminangaben
234 II. Kapitel. Zeitreclniung der Ägv})tor.
der Ptolemäerzeit nacli dem Wandel jähre zu verstehen sind. Die
]\[onate desselben aber verschoben sich gegen die Jahreszeiten (s. S. 159).
Wir haben gesehen, daß im 3. Jahrh. v. Chr. die Erntezeit etwa Mechlr,
Phamenoth und Pharmuthi in sich begriff, im 1. Jahrh. n. Chr. aber
war die Erntezeit auf den Fachon, Paym und Ejnplü gerückt. Dar-
aus erklärt sich das scheinbare Schwanken des Indiktionsjahres in
den Datierungen. Daß inzwischen das feste Jahr in Ägypten aufkam,
fällt nicht dagegen ins Gewicht, da wir wissen, mit welch zähen
Wurzeln das Wandeljahr noch lange im Volke haftete. Krall hatte
auch die Hypothese in Betracht gezogen, ob die ägyptischen Indiktionen
nicht bis auf die 30 jährige /iS'ef^-Periode (s. S. 176) zurückgehen könnten,
also der 15 jährige Indiktionszyklus durch Halbierung jener entstanden
wäre; er hat aber diese Vermutung selbst unhaltbar gefunden und
dieselbe (wie er mir angab) zurückgezogen. Auch 0. Seeck betrachtet
Ägypten als den Ursprungsort der Indiktionen {Deutsche Zeitsehr. f.
Geschichtsivissensdiaft , XII 279). Nach diesem Autor bestand der
Zyklus nicht in 15 jährigen, sondern in 5 jährigen Terminen, die unter
DioMcüan eingeführt wurden; der 15jährige Zyklus ist hieraus an-
läßlich der in den ersten Jahrhunderten in Ägypten aufgekommenen
Volkszählungen hervorgegangen. Auf die weiteren Details dieser
Theorie, sowie auf Einzelheiten der Geschichte der Indiktionen kommen
wir im III. Bande dieses Werkes zurück. — Schließlich wäre noch
zu bemerken, daß neben den Datierungen, die meist auf den Monat
Pnyn'i führen, einzelne Fälle in den Papyrus vorkommen, wo der
Thoth angegeben ist. Diese Indiktionen würden also dem September
(1. Thoth = 29. August alexandrinisch) entsprechen, d. h. der mdictlo
ConstantinopolUana, welche mit 1. September beginnt.
§ 47. Literatur 1.
Kaiende rmaterial und kalendarische Inschriften.
H. Brügsch, Thesaur. Inscript. Aegyptiacarum, Leipzig 1883. I. Abteilung,
Astron. u. astrol. Inschriften d. äg. Denkmäler. — H. Bruosch, Drei Festkalender
des Temp. von ÄpoUin. Mac/na, veröffentl. u. samt dem Kai. v. Dendera übersetzt,
Leipzig 1877. — H. Brugsch, Matcriaux pour servir ä la reconstruct. du calendr.
des anc. Kgypt., Berlin-Leipzig 1864. — H. Brugsch, Henri/ lihind's zwei bilingue
l'apyri, hierat. u. demot., Berlin 1865. — .1. Dümichen, Die monatl. Opferfestlisten
des großen theban. Festkalenders im Tempel v. Medinet-Habu, Leipzig 1881. —
J. DüMiCHEN, Altägypt. Kalenderinschriften, 1863—1865 ges. u. mit erläut. Te.xt
berausg. , Leipzig 1866. — Ciiabas, Le calendrier des jours fastes et nefastes de
1) Vgl. auch die Literaturangaben in den Anmerkungen,
§ 47. Literatur. 235
l'annee egypt., Paris 1870. — The Petrie Papyri. Hieratic Papyri from Kahun and Gurob,
edit. by F. L. Gkiffith, London 1898. — Gen.slkr, Die theban. Tafeln stündlicher
Sternaufgänge , Leipzig 1872 (s. a. Transact. of the Soc. of Bibl. Archäol., IIT,
1874, p. 400). — Über dieselben: Brugsch, Thesaur., I 185. — Brug-sch, Thesaur.
(älteste Feste: II 234; der hierat. Papyr. 132 zu Leiden: 11518;. — Wichtige
Bemerk, über einzelne Feste: Ztschr. f. äg. Spr., 1866. IV 5 u. 92 (Rorot), 1866,
IV 97 (L.A.UTH), 1867, V 8 (Dümichen:) 105 (Komiev).
Monatsnamen und J a li r e s z e i t e n.
Lepsus, Chronol. d. Ägypter, I, Berlin 1849, S. 135 — 144. — Brigsch, Thesaur.,
II 471—477. — Brugsch, Materiaux, p. 34, Thesaur. II 388—433.
Tageseinteilung und T a g e s a n f a n g.
LEPsirs, Cliron. d. Äg., 129. — Brugsch, Materiaux, 100—103, Thesaur., II 843.
Böckh, Vierj. Sonnenkreise der Alten. 298. 308 — 310. — Dümichex, Ztschr. f. äg.
Spr., 1865, III 1—4.
Dekaden und Dekane.
Lepsius, Chron. d. Äg., 132. — Brugsch, Thesaur., I 131. 1-35, 11488—491;
Zeitschr. d. deutsch, morg. Ges., IX 506. — Rojiieu, Sur un decan du ciel egypt., 1870.
Große J a h r e s p e r i 0 d e n.
Brugsch, Thesaur., II 195 — 215. — Phönixperiode: Lepsius, Chron. d.
Äg., 174 — 194. — H. Martin, Mein, sur la periode eg. du Phenix (Mem. pres. ä
Vacad.d. Inscr., l.ser.,VI, 1864). — Läuth, Abhd. d. Kgl. bayr. Acad. d. IJ'., I. Kl.,
XV. Bd., 311—396. — Setperiode: Lepsius, Chron. d. Äg., 163. — Apis-
periode: Lepsius, Cliron. d. Äg., 160. — Martin, Mem. sur le rapport des lunai-
sons avec le calend. des Eg., sur la per. d'Apis {Mem. pres. ä l'acad. d. Inscr.,
1. ser., VI, 1864). — Lauth, Sitzber. d. Kgl. bayr. Akad. d. W., phil. KI., 1879.
Bd. II 193. — E. Mahler , Die Apisperiode d. alten Ägypter {Sitzber. d. Wiener
Akad. d. \V., math. Kl., 103. Bd., 1894, S. 832).
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Lepsius, Chronol. d. Äg., 167 — 179. — Letronne , Nouv. recherches sur le
calendr. des anc. Egypt., Mem. I {Mem. de l'acad. d. Inscr., 1864, T. XXIV, 2. part.
9—44^. — H.Martin, Sur le date hist. d'un renouvellem. de la per. sothiaque {Mem.
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H. Brandes, Die ägypt. Apokatastascnjahre {Abhandl. z. Gesch. d. Orients im Altertum,
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math. Kl , 90. Bd., II, 1884\
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Lepsius, Das bilingue Dekret von Kanopus, 1, Berlin 1866. — L. Reixisch
u. R. RösLER, Die zweisprachige Inschrift von Tanis, 1866. — Texte außerdem:
BiRCH, Transact. of the Moy. Soc. of Literat., IX, 1869; Eecord of thc past, VIII 81;
236 II. Kapitel. Zeitrechming der Agyi)t('r.
PiEKKET, Le (leeret triling. de Canope, 1881 ; Rkvillout, Chrestom. demotique, p. 125.
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u. des Augustus (Sitzher. d. Kgl. bayr. Akad. d. If'., 1874). — Kiel, Sonnen- u.
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EisENLOHK, Die Bestimm, histor. Daten durch d. Hilfe d. Astron. (Akten d.
X. Intern. Orientalisten-Kongresses 1894, S. 76. — C. F. Lehmann, Zwei Haupt-
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108 (Brugsch), 1870, VIII 165. 167 (Lepsius) , 1873, XI 107 (Goodwin), 1875,
XIII 145 (Lepsius). — J. Kkall, Der Kalender des Pap. Ebers (Eecueil de tra-
vatix rel. ä la Philol. et ä l'Arch. eg. et assyr., VI, 1885, p. 57). — C. Riel, Der
Doppelkalender des Papyr. Ebers, Leipzig 1876. — [Vgl. a. Brugsch, Einleitung
zu ..Drei Festkai. v. Apoll. Magn.-, p. VIII; Lauth, Sothis- u. Siriiisper. {Sitzber.
d. kgl. bayr. Ak. d. IF., 1874, p. 108)].
Ä r e 11.
Ära Nubti: Wiedemann, Ztschr. f. äg. Spr., 1879, XVII 139. — Ale-
xandrinische: Ideler, I 153; Lepsius, Monatsber. d. Berl. Ak., 1858, 452. 545;
Theod. Mommsen, Böm. Chronol.. 2. Aufl., 262; Böckh, Vierj. Sonnenkreise d.
Alten, 1863, 254—285 (dort auch die Kritik der vorbeuannten Autoren); W. Soltau,
Chronologie, 170. — Lauth, Die Schalttage des Ptol. Euerg. I. {Sitzgher. d. Kgl.
layr.Ak.d. W., 1874). — Diokletianisehe: Letronne, Observations sur Vcpoque oii
le Paganisme a ete definit. aboli . . ., sur le rede, qiie cette ile ajoue entre les regnes
de Dioclet. et de Justin., et sur Vorigine de Vemploie de l'ere de Diocletian ou des
Marti/rs {Mcm. de Vacad. d. Inscr., 1833, X 208). — Wessely, Mitteil, aus d. Samm-
lung d. Papyr. Erzherz. Rainer, V 83. — Gardthausen, Griech. Paläographie, 384.
Iiidiktioiieii.
Hartel [Wiener Studien f. klass. Philol, V). — L. Stern (Ztsch. f. äg. Spr.,
1884, XXII 161). — WiLCKEN (Hermes, XIX 293, XXI 277). — Krall (Mitteil. a.
d. Sammig. Papyr. Erzherz. Bainer, I 14; Becueil de traveaux rel. ä la Phil, et
Arch. eg. et assyr., VI, 1885, 74).
Zusammenfassende Arbeiten
(Gesamtdarstellungen, Tlieorie des Jahres etc.).
Lepsius, Chronol. d. Ägypt., Berlin 1849, I 149—159. 220—221. — Brugsch,
Nouvelles rech, sur la division de l'annee des anc. Egypt., Berlin 1856. — Brugsch,
Thesaur., II 245. 249. 291— .308. 329. 476. — Letronne, Nouv. rech, sur le calend.
des anc. Eg., IL Mem. (Man. d. Vacad. d. Inscr., XXIV, 1864). — Biot, Bech. sur
Vannee vague des Egypt. (Man. d. Vacad. d. sciences, XIII, 1835, 547). — Biot,
Bech. sur plusieurs points d'Astr. anc. et en partic. sur la per. sothiaque (ibid. XX).
— H. Vincent, Bech. siir Vannee egypt., Paris 1865. — Romieu, Mem. sur le
calend. vague des Egypt, Paris 1866. — Ventre-Bky, Essai sur les calend. eg.
(Bullet, d. VInstit. egypt., 3. ser., 1892). — C. Riel, Das Sonnenjahr u. Siriusjahr
der Bamessiden, Leipzig 1875. — Riel, Der Tierkreis u. d. feste Jahr v. Dendera,
Leipzig 1878. — Krall, Studien z. Geschichte d. alt. Ägypten, I (Sitzber. d. Wiener
Ak. d. W., phil. bist. Kl., 98. Bd., 1881, 835—912) [Wichtig! Vergleichg. v. Ka-
lendern, Verschiebg. d. Feste]. — Ed. Meyer, Ägg f tische Chronologie (Ablidlg. d.
§ 47. Literatur. 237
Berlin. Akad. d. Wiss. , 1904). [Für den Leser unseres Buches sind besonders
die beiden ersten Abschnitte dieser Abhandlung , Kalender u. Sothisperiode"
und „Das neue u. mittlere Reich" wichtig.] — Brlt.sch, Die Äyyptolocjie ,
Leipzig 189L
Mythologie (soweit für einzelne Fragen in Betracht kommend).
Brugsch, Die Sage v. d. geflügelten Sonnenscheibe, Göttingen 1870. — Krall,
Etudes chronol. {Rec. de traveaux rel. ä la Phil, et Arch. eg. et assyr., II 66 . —
V. V. Strauss, Die altäg. Götter u. Göttersagen, 1889. — Wiedemann, Ztschr. f.
äg. Spr., 1878, XVI 89 (Bennu- Vogel). — A. Erman, Die ägypt. Religion (Hand-
bücher der Kgl. Museen z. Berlin, 1905.)
III. Kapitel.
Zeitrechnung der Mohammedaner (Araber und Türken).
§ 48. Yorl)emerliUiig.
Die Zeitrecbnimg- der iVraber, wie sie jetzt noch von den Moham-
medanern gebraucht wird, nimmt mit der Epoche der Hidschra, dem
15. Juli 622 n. Chr., ihren Anfang. Die Einrichtungen dieses Kalenders
sind uns völlig bekannt. Dagegen befinden wir uns noch sehr im
Zweifel, von welcher Beschaffenheit die Zeitrechnung der Araber in
der vorislamischen Zeit gewesen ist, nämlich in der Epoche, die dem
Auftreten Mohammeds als Eeligionsstifter voranging. In Beziehung
auf dieses altarabische Jahr sind wir nämlich auf die Nachrichten
arabischer Schriftsteller angewiesen, die ziemlich spät, in den vor-
gerückteren Jahrhunderten der Hidschra, gelebt haben und die in der
alten Tradition nicht mehr sicher sind, welche daher entweder die Nach-
richten voneinander entlehnen oder, wenn sie eigenen Interpretationen
folgen, vielfach einander widersprechen. Es finden sich zwar auch
in Resten altarabischer Dichtungen und Volkspoesien, die uns er-
halten geblieben sind, mancherlei Hindeutungen auf die Monate, das
Jahr u. s. w., allein diese Hinweise reichen zur Bildung einer Ansicht über
das vorislamische Jahr bei weitem nicht aus. Leider haben auch die
archäologischen Funde der neueren Zeit in Arabien in dieser Beziehung
nichts Positives an Material beigebracht. Vermöge dieser Verhältnisse
ist es erklärlich, daß sich die modernen Ansichten über die Frage der
altarabischen Zeitrechnung noch im scharfen Gegensatze zu einander
befinden, und es hat auch nicht den Anschein, daß — bei dem Mangel
an zuverlässigem Material — jene Frage bald einer befriedigenden
Lösung nähergerückt werden könnte. Unter diesen Umständen kann
dem Leser über das Zeitrechnungswesen vor dem Islam nicht viel
dargeboten werden, und insbesondere mag er die Ansichten über die
Form des altarabischen Jahres, die er im Folgenden (§ 52) dargelegt
findet, mit mancher Reserve entgegennehmen.
>^ 4 9. Neuere und alte Xameii der .Monate. 239
A) Die vorislamische Zeitreclnumg.
§ 49. Neuere und alte Namen der 3Ionate.
Die Namen, welche die Araber gegenwärtig für die Bezeichnung
ihrer Monate gebrauchen, sind ziemlich alt und kommen auch schon
einige Jahrhunderte vor Einführung des Mohammedanismus in der
Volkspoesie vor. Es sind folgende:
1. Moharrem (oder Safari) 7. Redscheb
2. Safar (oder Safar II) 8. Schahän
3. Rehi I 9. Ramadan
4. Rehi II 10. Schawwdl
5. Dschumäda I 11. Dhid-Jcade
6. Dschumddä II 12. Dhid-hiddsche.
Es ist von Wichtigkeit, den Sprachgebrauch kennen zu lernen, nach
welchem in der alten Poesie diese Namen den einzelnen Monaten
beigelegt werden. J. Wellhausen hat hierüber zahlreiche Beispiele
gesammelt.
Moharrem bedeutet „heilig*'. Der Name dieses Monats soll ur-
sprünglich Safar gewesen sein, so daß er mit dem darauffolgenden
Monate den Doppelmonat Safar I und Safar II bildete; erst unter
dem Islam sei (nach Buchaki) der Name Moharrem aufgekommen.
In der Tat ist in den Poesien hier und da von zwei Monaten Safar
tlie Eede; Moharrem- und Safar werden oft nebeneinander genannt
und an die Spitze des Jahres gestellt.
Safar ist die Zeit der wechselnden Temperatur, der Winde, die
Zeit vor dem Herankommen der Kälte, der Herbst.
ReM bedeutet Kegenzeit, Wachstumzeit überhaupt. Der Name
wird nicht nur auf den Herbst, sondern auch auf das Frühjahi' be-
zogen. Oft ist Rehi die Zeit der Frühlingsregen. ..wo die Steppe grün
wird und die Stämme sich auf der Weide zerstreuen, wo die Kamele
werfen und die fette Milchzeit anfängt''. Anderseits bezeichnete Rein
bei den alten Arabern aber auch den Herbst.
Dschumäda ist die Zeit der kalten Morgen, der Fröste, die dürre,
unfruchtbare Zeit. In den alten Poesien ist häufig die Rede von ..der
bösen Nacht im Dschumäda, wenn die Hunde nicht bellen, die Schlangen
in ihren Löchern bleiben und der Wanderer sich nach einem gast-
freundlichen Feuer umsieht*'.
Redscheb führt den Beinamen cd asamm „der taubstumme" von
alters her, d. h. der Monat, der nicht Waffenlärm hört; oder die Be-
zeichnung cd schahr cd haräm „der heilige Monat"'. Er war der
240
III. Kapitel. Zeitrechuiinji- der MoliMminedancr.
Friedensmonat, in welchem feindliche Absichten unterdrückt wurden;
im Eedschch wurde an den heiligen Orten ein Fest gefeiert.
Den Schahän nennt der Chronograph Albikuni (973 — 1048) die
Zeit, wo die Stämme sich in ihre Lager zerstreuten und wieder Eaub-
züge unternahmen.
Ramadan bezeichnet ..die Zeit, wo die Hitze anfängt und der
Boden brennend heiß wird".
Schawirdl leitet ALBiRUNi ab von schaivirtlu = abbrechen (nach
Ansicht anderer ist es die Zeit, wo die Kamele ihren Schwanz ab-
werfen).
DhuJ-hiäe und Dliul-hiddsche sind beide ,.heilige" Monate; im
ersteren heißt es im Volke „Sitz ab und vermeide den Kampf"
(ALBiEUNi); der andere Monat bestimmt die Zeit des Itadsch = des
Pilgerfestes.
Die Monatsnamen, welche vor der Einführung der eben genannten
in Arabien im Gebrauch waren, müssen in den einzelnen Landesteilen
recht verschieden voneinander gewesen sein, denn es werden uns von
den Schriftstellern ganz abweichende Namen überliefert, was schon
darauf hinweist, daß die Zeitrechnung bei den alten Arabern eine
wenig einheitliche gewesen sein mag. Ich setze hier die Monatsnamen
an, welche ALBißUNi', Masiidi (im MurCuhch-el-dhaliah) angeben, und
jene, welche bisher aus sabäischen Inschriften - bekannt geworden sind :
Albiröni :
Masudi :
Sabüische
Nameu :
al mutamir
natih
TVnhH
Dü-Ahalü '^
näjir
tahil
^hHH
Dü-Danim
lihawivän
talik
hXHH
Dü-Data
suwän
nddjlr
hXlTH
Dü-Hujgatän
hantam, hanm, henmn,
asJahah, af>mkh
I>BTH
Dü-Hadar
rohha
zahhä, ha'idah, romui
amnah
♦>»ilH
Dü-Harif
al asamm
älak
^HI'il^H
DCi-Mahiadim
Mil, adel, wüJ, woghl
kasa
XolHI^no
'Ahar-Xa'qivaf
näfiJc, natiJc
zäher
HAi^H
Dü-Falasim
wdghil, wa'il, ivaglwl
hart, mart
ll?h^|o>^H
Dü-fara'hanj . m
huwä, ranna, hewnh
harf, ndis
^h1AH
Da-SaVam
huraJc, haraJc
iiaas, meris
>oXH
Dü-Taiir
1) Chronol. of anc. nations, ed. Sachau, ö. 71.
2) MoHDTMANN u. D. H. MÜLLER, Sabütscke Denkmäler (Denkschr. d. Wiener
ATcad. d. U'iss., phil.-hist. Kl., 38. Bd., 1883), S. 51.
3) Umschroibuiif-- der sabäiselien Namen nach eiuer Mitteiluug von Prof. Dr.
I). H. Möller.
i^ 50. .lalireszc'itt'ii. W'oclicn. Zäliliinf,' iiacli Nät-htcii. 241
Von diesen Namen läßt sicli nur bei wenigen angeben, inwiefern sie
mit den neueren ^Monatsnamen identisch sind. Am wenigsten ist dies
der Fall bei den sabäischen. bei welchen kaum sicher ist, ob sie hier
in der richtigen Auteinanderfolge stehen. Der dritte der sabäischen
Monate ist der Friihlingsmonat. der vierte der Pilgermonat, der sechste
der Herbstmonat, der siebente der Erntemonat. Auch die Schriftsteller
weichen voneinander ab. sowohl in den Namen wie in der Reihenfolge,
wie man beim Monate naj'ir sieht, welchen ALBiKUNi als zweiten
Monat. MasIdI dagegen als vierten aufzählt. Einigermaßen sicher
ist. daß kliawwän = Rehi I, hantam {hennhi) = Dschumädä I,
iragli'd = Hchahän, und hiucä = Dhul-kade ist; von den übrigen ist
vermutlich middmir = Moharrem, nfijir = Safar oder Eedscheh,
suwdn == jRf'hl II, ronna (bdidah) ^= Dschumddä II, asamm =
Bedscheh, natik = Bamadnn , wid (adiJ) = Schawwfd , hiirah =
Dhid-hiddscheK
§ 50. Jahreszeiten. Wochen. Zählung nach Nächten.
Für die Zahl der Jahreszeiten (/W.s7), welche die alten Araber
unterschieden, kommen bei den Schriftstellern vier und sechs vor:
sa'if = Frühling, htis = Sommer, chcmf oder rebi = Herbst, schitä ^=
AVinter; oder reht el aivwel = Frühernte, saif ^= Vorsommer, Jcais =
Sommer, relu el f/?r?m = Späterute (der Früchte), c/^r^ri'/' = Herbst,
schitä = AVinter. Die ältere Teilung des Jahres aber war nach
Wellhausex wahrscheinlich eine Dreiteilung, in eine Eegenzeit, dürre
Zeit und heiße Zeit, worauf die Monatsnamen Eeh7 (Frühjahrsregen),
Dschumädä (dürre, unfruchtbare Zeit) und Ramadan (Hitzezeit) hin-
deuten, welche von jenen Jahreszeitnamen abgeleitet sein könnten.
Der Bedeutung der Monatsnamen nach müßten bei einer Vierteilung
des Jahres etwa Moharrem, Safar und Rehi I den Herbst, RelA II,
D>ichumädä I und II den Winter, Redscheh und Schahän das Früh-
jahr, Bamadän, Schawwäl und die beiden Schlußraonate den Sommer
vorstellen. Da Moharrem (oder Safar I) in den alten Dichtungen
den Beginn des Jahres bezeichnet — auch der ihm entsprechende
alte Monat al miitamir heißt „der das Glück bestimmende, welches
das Jahr bringt" — so müßte das Jahr mit dem Herbst begonnen
haben, also gleich dem der Hebräer u. s. w. ein sogenanntes „Tischri-
jahr'' gewesen sein. Dies ist auch die Meiiiung von Wellhausen,
Caussix de Peeceval u. a. Ferner scheinen die ]\[onatsnamen . wie
man aus den vorhin angegebenen Bedeutungen ersieht, mit einem nach
1) Über die Bedeutung der alten Monatsnamen vgl. die Erklärungen, welche
AlbiklnI (a. a. 0., S. 71) gibt.
Ginzel, Chronologie I. lo
242 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
dem Sonnenlaufe regulierten Jahre (Ackerbaujahr) zusammenzuhängen,
da sie auf Hitze. Kälte, Trockenheit einige Beziehung haben. Es
wird deshalb von einigen Autoren das altarabische Jahr als ein not-
dürftig eingerichtetes Sonnenjahr aufgefaßt. Jene Beziehungen, die
übrigens bei den altarabischen Monatsnamen viel weniger vorhanden
sind als bei den neueren Namen, können aber auch nur die klima-
tischen Differenzen innerhalb, des Jahres im allgemeinen ausdrücken,
ohne gerade für bestimmte Jahresteile zu gelten. Es scheint deshalb
bedenklich, wenn man^ bloß aus Beziehungen einiger Monatsnamen
auf Jahreszeiten die Annahme eines Sonnenjahres ableitet. Überdies
sprechen manche Erwägungen dafür, daß das Jahr der alten Araber
kein Sonnenjahr, sondern ein Mondjahr war. Die Gründe, die hierfür
beigebracht worden sind, werde ich in § 52 anführen.
Bei den alten Arabern kommt auch schon die siebentägige
Woche vor. Die Namen der Wochentage waren:
1. atvwel = Sonntag 4. dubär ^= Mittwoch
2. aliwan (hähün) = Montag 5. munis = Donnerstag
3. dschuhär = Dienstag 6. aruba = Freitag
7. schiyär = Sonnabend.
Die siebentägige Woche ist schwerlich eine eigene Erfindung der
heidnischen Araber. Den Babyloniern kann sie, wie schon (S. 121)
bemerkt worden ist, nicht mit voller Sicherheit zugeschrieben werden,
dagegen ist wahrscheinlich, daß sie doch in jenem vorderasiatischen
Kulturkreise, dessen Zentrum Babylonien war, ihren Ursprung gehabt
hat. Von dort werden die Araber sie übernommen haben. Die Sieben-
zahl der Wochentage erklärt sich, wie ebenfalls schon bemerkt wurde,
aus der Heiligkeit und Bedeutung der Sieben in der alten vorder-
asiatischen Weltanschauung. In ein Mondjahr — vorausgesetzt, daß
die alten Araber ein solches gehabt haben — scheint die siebentägige
Woche nicht gut zu passen. Doch hat D. Nielsen eine Erklärung
darüber gegeben i, welche die Einreihung der Woche in den Mondlauf
recht plausibel erscheinen läßt. Die Monate wurden jedenfalls vom
Neulichte ab gerechnet, und die drei Tage um die Zeit des Neu-
mondes, wo der Mond unsichtbar bleibt, haben schon in der alt-
babjJonischen Überlieferung ihre besondere Bedeutung, da sie als die
Zeit des Ruhens des Mondes {sahatfum oder iuhtu) hezeidmet werden-.
1) Die aUarahische Blonclrellgion u. die mosaische i'berlieferung, 1904, S. 72.
2 Daß der hebräische „Sabbath" von dem babylonischen sabattu ableitbar
ist, und daß mbattii in babylonischen Tafeln als Büß- oder Bettag erwähnt wird,
ist schon S. 120 Anm. 1 angegeben worden. Einige Spuren deuten daraufhin, daß
die oben erwähnte dreitägige „Ruhe" des Mondes durch ein Trauertest, Fasten
oder dgl. gefeiert wurde. So sollen die Harranier (Ilaupt-Mondverehrer) an den
ersten 3 Tagen des Monats (Neumond) gefastet haben [Chwulsoiin, Sabier II 74].
i? 51. Die hrilijioii .Monat.'. Die Xasaa. 243
Wenn man die Länge zweier jMondmonate (59 Tage) zusammenfaßte,
hiervon die ungünstigen 3 Ruhetage in Abzug l)rachte und die Zeit
der faktischen Sichtbarkeit des ]\rondes (50 Tage) in 8 Teile teilte,
so konnte man auf die siebentägige Woche gelangen. Einen ursprüng-
lichen Zusammenhang je zweier Monate bei den Arabern ersehen wir
aber aus den Bezeichnungen S((f((r I — Safar II, Rein I—R<In II,
Dschumädä I—Dschumädä II, welche darauf hindeuten, daß wenigstens
das eine Halbjahr, das AVinterhalbjahr, ehemals aus ;i Doppelmonaten
bestanden hat.
Von altem Gebrauche scheint bei den Arabern auch die Gewohn-
heit zu sein, nach Nächten zu zählen, die sich bis in die mohammeda-
nische Zeit erhalten hat. Es werden je drei Nächte unter einem
besonderen Namen zusammengefaßt. Die zehn Nächtebezeichnungen,
die sich so ergeben, sind mit Beziehungen auf den Stand und die
Liclitphase des Mondes ausgewählt und heißen, vom ersten Monats-
tage an gerechnet: ghurar , uufal, tiisa, ushar , hid, dura, zidam,
hanndls (od. diihm), da-ädi, mlMJc'^. Für einige Nächte hat man noch
andere Namen; die 14. Nacht (Vollmond) heißt hadr, die letzte im
Monat sirdr (fahaina. hard). Die Bezeichnungen weisen sehr auf den
Gebrauch eines Mondjahres hin.
Die 24-Stunden-Teilung des Tages, die wir bei den mohammeda-
nischen Arabern antreffen, ist den heidnischen Arabern nocli unbekannt
gewesen.
§ 51. Die heiligen Monate. Die Nasaa.
In § 49 haben wir schon den ^[ollarrem, den Eedscheh, den Dhul-
Jcade und den Dhid-hiddschc als „heilige" Monate kennen gelernt.
Der Moharrem war als Eröffnungsmonat des Jahres geheiligt, der
Redscheh wahrscheinlich wegen des Frühlingfestes, Dhid-l-ade und
DhuJ-hiddsche waren die Monate zur Vorbereitung und zur Ausführung
des uralten Festes der Pilgerfahrt. Während dieser Monate war es
üblich, Blutrache zu vermeiden und die kriegerischen Unternehmungen
einzustellen. Zwei der heiligen Festzeiten werden bereits im 6. Jahrh.
n. Chr. genannt. Pkokop {de hello ;persico, II c. 16) erzählt, bei der
Beratung eines Feldzugplanes (541 n. Chr.) hätten zwei Führer er-
klärt, daß sie wegen der in ihrer Abwesenheit von Syi'ien zu be-
fürchtenden räuberischen Einfälle des Araberkönigs Älmundhir ihren
Posten nicht verlassen könnten. Darauf habe ihnen BeVisar erklärt,
daß ein solcher Eaubzug jetzt nicht zu befürchten sei, da man sich
vor dem Sommersolstiz befinde, der Zeit, wo die Araber durch
1) S. die Erklärungen der Namen bei ALBiRUNi (a. a. 0., S. 74).
16*
244 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohanimeduner.
2 Monate vermöge ihrer Religion zu einer Waffenruhe gezwungen
seien. Eine andere Stelle aus Nonnosx's (Photios, Blhlioth. Cod. 3)
gibt Kunde von Arabern, die an einer heiligen Stätte jährlich zwei-
mal ein Fest feiern, das eine um Frühlingsmitte, beim Eintritt der
Sonne , in den Stier, durch einen Monat, ein zweites durch 2 Monate
um die Zeit der Sommersonnenwende.
In unmittelbarer Verbindung mit den heiligen Monaten stehen
die Kasaa. die Verschiebungen {Nasaa ist der Plural von Ä^dsi). Da
nämlich drei heilige Monate, Dhid-l-adc, Dhid-hiddsche und Moharrem
aufeinanderfolgen, so fanden sich manche arabische Stämme, die ihren
Erwerb hauptsächlich im Raube suchten, durch das Verbot der drei-
monatlichen Waffenruhe sehr geschädigt. Man griff deshalb über-
einkommend zum Näsi, d. h. man verschob die Heilighaltung eines
Monats auf einen späteren. Die Bestimmung des Monats, welcher an
die Stelle eines der heiligen Monate treten sollte, war den KaJammas
( = Meer des Wissens) vorbehalten, nämlich dem Oberhaupte eines für
diese Würde privilegierten Kinäna-Stammes. So erklärt z. B. Baghawy
(Tafsyr 9, 37): „Die Bedeutung des Wortes Näsi ist, daß die Heilig-
haltung eines Monats auf einen anderen verschoben wird. Die Araber
hielten sorgfältig auf die Beobachtung der heiligen Monate. Sie lebten
aber meistens von der Jagd und vom Raube, und es fiel ihnen oft
schwer, drei Monate nacheinander darauf zu verzichten. Es ereignete
sich bisweilen, daß ein Krieg in einem heiligen Monate veranlaßt
wurde, und sie wünschten ihn nicht zu verzögern. Sie halfen sich
also durch das Ä^id, d. h. sie erklärten den Monat für frei und einen
späteren für heilig. Auf diese Art pflegten sie die Beobachtung des
Moharrem auf den Safar zu verschieben, sie feierten den Safar und
erklärten den Moharrem für frei." Bei diesen Verschiebungen handelte
es sich um die Festsetzung des nächsten hadsch d. i. des Pilgerfestes.
Das Näsi wurde deshalb, dem in dieser Beziehung übereinstimmenden
Berichte von Mogahid, Kelbi, ALBiRUNi u. a. gemäß, nach Beendigung
jenes Festes vorgenommen. Die Verschiebungen müssen wir wohl als
willkürliche annehmen, denn wenn sie nach einer festen Regel, in
den gleichen Intervallen, erfolgt wären, so hätte man eigentlich der
Kalammas nicht bedurft. Hiermit deckt sich der Begriff des Wortes
Näsi = vergessen, übergehen, welcher darauf hindeutet, daß man das
Pilgerfest nur einige Jahre hindurch in dem gleichen Monate feierte,
nach dieser Zeit aber auf den folgenden Monat verlegte. Die alten
arabischen Schriftsteller sind sich aber betreffs des Gebrauches des
Näsi wenig klar und widersprechen sich in ihren Angaben. Während
man aus der Ausdrucksweise bei Ibn Lsjiak, Kki^bi, Bachiawv darauf
schließen kann, daß das Näsi in einer willkürlichen Verschiebung be-
stand, geht aus den AVorten anderer hervor, dal,} es sich um die regel-
i; 51. Dil' licili^fi'ii Afoiiatc. Die Xasuii. 245
mäßige Einschaltung' von Monaten nacli einem gewissen Turnus ge-
handelt hätte, um die Übereinstimmung des Pilgerfestes mit derselben
Jahreszeit herbeizuführen. Abt' Machar gibt an, die Araber hätten
in 24 Mondjahren 12 Mondmonate eingeschaltet, nach Ar.BiHrxi
9 Monate in 24 Jahren, desgleichen nach Makeisi, einen Monat in
3 Jahren nach Masudi. Da die Schriftsteller hier nicht einzeln an-
geführt werden können ^, so will ich wenigstens die Worte Albikuxis
ansetzen, eines Autors, dessen Berichte für die Kenntnis der orienta-
lischen Chronologie so wertvoll sind, obgleich er in dem uns hier
interessierenden Gegenstande ebensowenig selbständig spricht, wie die
anderen: „In den Zeiten des Heidentums gebrauchten die Araber ihre
Monate ähnlich wie die ^Muselmänner, ihr Pilgerfest durchlief alle
vier Jahreszeiten. Aber dann wollten sie das Pilgerfest in eine Zeit
verlegen , wo ihre Waren , die Häute, Felle, P'rüchte, für den ^Markt
vorbereitet wären, und suchten es darum unbeweglich zu machen,
damit es in die beste und ergiebigste Zeit des Jahres falle-'. Daher
lernten sie das Einschaltungssystem von den Juden ihrer Nachbar-
schaft, über 200 Jahre vor der Hidschrn. Und sie gebrauchten die
Einschaltung gleich den Juden, indem sie die Differenz zwischen
ihrem Jahre und dem Sonnenjahre , wenn sich dieselbe zum vollen
Monate angehäuft hatte, zu den Monaten ihres Jahres legten. Dann
erhoben sich nach Beendigung des Pilgerfestes die Kalanimas, hielten
eine Ansprache an das Volk und schalteten den ]\ronat ein, indem sie
dem nächsten ]\Ionat den Namen dessen gaben, in welchem sie sich
befanden. Die Leute stimmten bei und nahmen die Entscheidung der
Kaljunmas an. Dieses Vorgehen nannten sie Käst, d. i. Verschiebung,
weil sie in jedem 2. oder 3. Jahre den Jahresbeginn um einen Monat
verschoben, wie es das Fortschreiten des Jahres verlangt. Die erste
Einschaltung wurde auf den Moharrem gelegt, folglich wurde Safar
nun Moharrem genannt, Rehi I wmrde Safar geheißen u. s. w.. und
in dieser AVeise wechselten die Monatsnamen. Bei der zweiten
Schaltung wurde Safar genommen, folglich wurde Reht I nun Safar,
und so fort. Die Araber zählten die Schaltzyklen des Nasi und
fixierten danach ihre Daten. Sie sagten z. B. , von der Zeit A bis
zur Zeit B hätten die Jahre einen Zyklus durchlaufen. "Wenn es
1) Die Hauptstellen über das Näsi finden sich gesammelt bei Sprenger,
Zeitschr. cl. deutsch, morgenl. Ges., XIII, 1859, S. 143—150; vgl. Journ. asiatique,
1843, April; Mem. de l'Acad. d. Inscript, T. XL VIII.
2} Die Märkte hatten große Bedeutung für die nomadisierenden Stämme,
sie standen mit den Festen und Festorten in Verbindung und waren von diesen
abhängig. Vgl. Masudi: .Safar hatte seinen Namen wegen der Märkte in
Yemen .... die Araber holten sich dort ihr Korn , und wer dahinter blieb,
kam vor Hunger um". Albirüni (a. a. 0., S. 324) nennt eine Reihe von großen
Messen, die meist 5 bis 10 Tage lang abgehalten wurden.
246 III. Kai)itel. Zeitrecbming der Mohainmedauer.
aber trotz der Einschaltung' vorkam, daß ein Monat seinen Platz in
den Jahreszeiten überschritt — infolge des Überschusses über das
Sonnen jähr und der Überbleibsel vom Sonnen- und Mondjahr, welche
sie zu dem Mehr hinzugefügt hatten — machten sie eine zweite Ein-
schaltung. Solch eine Progression waren sie fähig aus dem Auf- und
Untergange der Mondstationen, ob notwendig, zu beurteilen. So blieb
es bis zur Zeit, als der Prophet von Mekka nach Medina flüchtete
und der Einschaltungsturnus an den Schahdn gekommen war. Da
wurde dieser Monat Moharrein genannt, und JRamadan wurde Safar.
Dann beobachtete der Prophet noch das Abschieds - Pilgerfest , bei
welcher Gelegenheit er sich zum Volke wandte und sagte: „„Die
Zeit ist herum, so wie sie war am Tage der Schöpfung des Himmels
und der Erde durch Gott" " ^ womit er meinte, daß die Monate nun an
ihre ursprüngliche Stelle zurückgekehrt seien, und daß sie von den
Veränderungen befreit seien, welche die Araber mit ihnen früher vor-
genommen hätten Darauf wurde das Näsi verboten und für
immer vernachlässigt-." In ähnlicher Weise drückt sich der noch frühere
Schriftsteller Abu Machar (gest. Hld. 272) aus. Man darf aber weder auf
diese Autoren noch auf die später schreibenden besonderes Gewicht
legen, da sie, wie eingangs dieses Kapitels bemerkt, von einander
entlehnen. Die verschiedenen Hypothesen von den Schaltzyklen
scheinen vielmehr erst aufgekommen zu sein, als die einstige Bedeutung
des Ndsi vergessen war und mit dem Schaltungsprinzip der Juden
zusammengeworfen wurde. Auch die modernen Chronologen befinden
sich über die Bedeutung des Ndsi im Zweifel und setzen darin, je
nach der Hypothese vom altarabischen Jahr, die sie vertreten, die
bloße Verschiebung der heiligen Monate oder aber ein Lunisolarjahr
mit zeitweiser Einschiebung eines dreizehnten Monats voraus. Ich
zitiere noch 2 Koränstellen, welche öfters als Beweis für die Bedeutung
des Ndsi als „Einschaltung" angeführt Averden:
Sure IX, 36 : „Die Zahl der Monate besteht nach g(»ttlicher Vorschrift
aus 12 Monaten. So ist's aufgezeichnet im Buche Gottes,
seit dem Tage, an welchem er Himmel und Erde ge-
schaffen. Vier von diesen Monaten sind heilig. So
lehrt's die wahre Religion."
Sure IX, 37: „Die Verlegung des heiligen Monats auf einen andern
ist eine Zutat des Unglaubens. Die Ungläubigen ■'• sind
hierin im Irrtum. In dem einen Jahre erlauben und
1) Koran, Sure IX, 38.
2) Chronol. of anc. nations, S. 73.
3) D. h. die Christen und die Juden 5 vielleicht bauptsächlieh gegen die Eiu-
schaltungsmethode der letzteren gerichtet.
i? 52. IIypoth(3seii über das altarabischc Jahr. 247
in dem andern Jahre verbieten sie einen Monat, damit
sie mit der Zalil der Monate, welche Gott ^elieiligt,
übereinstimmen, und so erlauben sie gerade das, was
Gott verboten."
Das Amt der Kalammas bestand bis zum Jahre Hichehra 9; der
letzte Kalammax war (nach Mastdi) Abv Temamah. Im darauf
folgenden Jahre verbot Mohammed den ferneren Gebrauch des Xa.4
durch die Koränverse IX, 36. 37. Deshalb hätten von da ab,
wie mehrere Schriftsteller bemerken, die arabischen Monate alle Jahres-
zeiten durchlaufen, und ihre Namen hätten nicht mehr mit der ursprüng-
lichen Bedeutung übereingestimmt.
§ 52. Hypothesen über das altarabische Jahr.
Bei der Frage nach der Form des altarabischen Jahres handelt
es sich hauptsächlich um das von Mekka, denn diese Stadt hatte
durch ihren Handel und als Kultusstätte schon lange vor Einführung
des Islam eine führende Stelle im mittleren Westarabien erlangt.
Über das anderweitige Arabien können nur schwache Vermutungen
geäußert werden, aber wahrscheinlich war dort das Zeitrechnungswesen
nur sehr wenig entwickelt und örtlich verschieden, wie die Kultusformen.
CArssiN DE Peeceval ging von der Bedeutung der Monatsnamen
aus; er nahm an, daß die Araber nach Mondmonaten (von Neumond
zu Neumond) rechneten, aber nach etwa 2 oder 3 Jahren einen Monat
einschalteten (gemäß den Berichten der alten Schriftsteller), daß jedoch
infolge des mangelhaften Schaltungsverfahrens allmählich die Monate
sich gegen die Jahreszeiten verschoben haben. Speexgek suchte da-
gegen aus Daten aus dem Leben des Propheten und aus den Schrift-
stellern darzutun, daß das altarabische Jahr nur ein reines Mondjahr,
ohne jede Einschaltung, gewesen sein muß ; er faßt also das Näsi nur
als Verschiebung auf. Dagegen sei die Zeit des hadsch insofern nach
dem Sonnenjahre bestimmt worden, daß die Opfertiere für das Fest
vor dem Vollmonde, welcher vor dem Frühlingsäquinoktium oder nahe
demselben war, geschlachtet wurden, und daß dem Volke bekannt
gegeben ward, auf welchen Mondmonat im nächsten Jahr der hadsch
fallen werde. Er glaubte auch vermuten zu sollen, daß der Monat
des hadsch durch die Änwä, d. h. durch das Sichtbarwerden und Ver-
schwinden der Mondstationen ^ in der Abend- und ^Morgendämmerung
1) Der kosmische Untergang der Mondstationeu heißt Naic, im Plural Anwä;
das Naw spielt in der Witterungslehre und Astrologie der alten Araber eine
wichtige Rolle. Vgl. die Stellen aus den Autoren, die Sprenger (a. a. 0., S. 161)
gesammelt hat.
248 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
vorherbestimmt worden sein könnte. J. Wellhausen griff Aviederum
auf ein mang-elhaft eingerichtetes Sonnenjahr zurück, in welcliem die
Monate alle Jahreszeiten durchlaufen hätten; er brachte zahlreiche
Beispiele aus der alten Poesie bei, welche dafür beweiskräftig" wirken
sollten. Nach sicheren Berichten aus dem Leben des Propheten fiel
im Jahre Hkhchra 10 der 1. Moharrem auf den 9. April, der
1. Eedseheh auf den S.Oktober; aus der Bedeutung- der Monatsnamen
haben wir aber g-esehen (s. S. 239), daß der Moharrem den Herbst und
der RedscUeh das Frühjahr eröffnet. Von den Festzeiten, über welche
die Stellen bei Peokop und Nonnosus (s. vorher S. 243) Kunde geben,
müßte die zweimonatliche, mit Sommer bezeichnete mit den Monaten
Dhnl-Iiade, Dhid-lüddsehe koinzidieren. die einmonatliche im Frühjahr
mit dem Redscheh, während im 6. Jahrb., wie eben g-ezeigt wurde,
der Eedseheh in den Oktober und der Doppelmonat Dh/d-Jcade-Dhid-
hiddsche auf Februar-März fiel.
Mahmud Effendi ist in einem , wie es scheint, bisher weniger
beachteten Memoire über das altarabische Jahr wieder auf die An-
nahme eines reinen Mondjahres zurückgekommen. Die Grundlage
seiner Untersuchung bilden 3 Daten: 1. Nach einer Tradition wurde
dem Propheten im 8. Jahre Hldsehra, als er nach Medina gekommen
war, von einer Sklavin ein Sohn Ibrahim geboren; letzterer starb,
als er 1 Jahr 10 Monate 10 Tage alt geworden war. Bei seinem
Tode ereignete sich eine Sonnenfinsternis, die vom Volke als Ursache
jenes Todes angesehen wurde, und über welche irrtümliche Meinung
der Prophet das Volk aufklärte. Da der Monat der Geburt nach der
Tradition der JJhul-hiddsche war, kommt man für den Todestag etwa
auf den Sehaivwtd Hld. 10. Am 27. Januar 632 n. Chr. fand aber
eine ringförmige Sonnenfinsternis statt, welche in Medina sehr auf-
fällig, nämlich 10 Zoll war. Diesem Datum entspricht der 29. Sehawwäl
Hld. 10. Der Todestag Ibrahims ist hierdurch zweifellos bestimmt.
2. Als zweiten Ausgangspunkt der Untersuchung nimmt Mahmud den
Tag der Flucht, welchen er, nach sorgfältiger Prüfung der Quellen,
auf den 20. September 622 n. Chr. festsetzt; der Tag entspricht
Montag, dem 8. Bein I. 3. Für die Zeit der Geburt des Propheten
läßt sich nach den besten Quellen das Frühjahr 571 n. Chr. voraus-
setzen. Eine Anzahl arabischer Schriftsteller berichtet, daß seine
Geburt durch eine Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn ver-
herrlicht worden sei, die kurz vor seiner Geburt im Skoi-pion statt-
fand und die sie deshalb die „Konjunktion der Religion^' nennen. Es
kann nur diejenige sein, die im jVfärz 571 stattfand ^ Als Geburtstag
1) Mahmud Effenih setzt die. Konjunktion auf den 29. oder 80. März 571,
da er aus den BouvAituschen Tafehi für den 1. April die geozeutr. Längen des
V? 52. IlypDtlicscii iilxT (bis altariiltisclit' .lahr. 249
wild der 8. oder 10. oder 12. Bchl I, ein Montag, angegeben. Der
Neumond nach der Konjunktion trat am 10. April 9*^ morgens (für
Mekka) ein, die Sicliel konnte also erst am 11. April abends sichtbar
werden; der iiV7>? J fing also mit dem 12. April an. Nehmen wir den
9. Mehl I als Geburtstag an, so kommen wir auf den 20. April 571
= Montag K — Von den 3 so erhaltenen Daten liegen zwei nach dem
Beginn der Hidschra, ein Datum vor derselben. Man kann also daraus
den Schluß ziehen, nach welcher Jahresform wenigstens seit 571 n. Chr.
gerechnet worden ist. Die Differenz 20. April 571 bis 27. Januar 632
ist 22 197 Tage, die andere zwischen 20. April 571 bis 20. September
622 ist 18 781 Tage. Da die Länge des reinen Mondjahres 354,367 (s. 8. 64)
Tage beträgt, ergibt die erste Differenz 62 ]\[ondjahre 226 Tage, die
zweite 53 Mondjahre weniger 1 Tag. Es dürfte hieraus hervorgehen,
daß in jener Zeit die Araber nach dem reinen Mondjahre rechneten,
oder wenigstens, daß dieses Mondjahr in den 62 Jahren, welche der
Kalenderreform vorangehen, nicht verändert worden ist, denn vom
9. Behf I (571 n. Chr.) bis 8. Rein I (622 n. Chr.) sind 53 reine
Mondjahre, vom 9. Rein I (571) bis 29. Schawival (632) sind 62 Mond-
jahre und (9. ReM I bis 29. Schawtväl = 226) 226 Tage verflossen.
Im Gegensatze zu Mahmud und Speexgee. welche das Xdsi nur
in der Bedeutung „Verschiebung des heiligen Monats-' auffassen und
bei den alten Arabern ein fortwährend gegen die Jahreszeiten sich
verschiebendes Mondjahr voraussetzen, hat in neuerer Zeit H. Wcscklee
die Hypothese zu beweisen versucht, daß das altarabische Jahr ein
Jupiter 215,04" und die des Saturn 215,28" erhält. Die Saturnbewegung in den
BouvARDschen Tafeln ist aber veraltet s. Einleitung S. 50). Die Konjunktion
fand vielmehr schon Anfang März statt. Aus den NEUGEBAUEEschen Tafeln erhalte
ich nämlich die geozentr. Orte des Jupiter und Saturn wie folgt:
15. Februar 571 geozentr. Länge des Jupiter 217, IP, geozentr. Breite -|- 1,30"
des Saturn 217,63 , , + 2,47
1. März , , des Jupiter 216,94 , , + 1,33
des Saturn 217,38 „ , + 2,51
1. April „ , des Jupiter 214,84 , , +1,39
des Saturn 216,04 , , + 2,-59
Beide Planeten hatten also eine langsame retrograde Bewegung und liefen längere
Zeit nebeneinander her. Durch mehrere Wochen standen sie dicht übereinander.
1) Den 20. April 571 als Geburtstag Mohammeds nimmt auch Sprenger nach
Diskussion der Überlieferung verschiedener Autoren an. Der Tod des Propheten
wird auf den 12. Kebi I Hid. 11, einen Montag, gesetzt (Juni 632). Die entsprechenden
Neumonde fanden am 24. Mai und 23. Juni statt, so daß der Anfang des Monat Eebi I
etwa auf den 26. od. 27. Mai fallen konnte. Der Todestag wäre dann 12. Rebil Hid. 11 =
7. Juni 632 Sonntag, oder 8. Juni Montag. Die Zwischenzeit zwischen 20. April 571 bis
7. Juni 632 ist 22 329 Tage oder 63 Mondjahre 3 Tage. Dieses Alter Mohammeds,
nämlich 63 Mondjahre, stimmt ebenfalls mit der Angabe zahlreicher Quellen,
wonach der Prophet 63 Jahre (Mondjahre, denn solche werden immer gemeint,
wenn die Quellen nicht andere bezeichnen wollen) alt geworden ist.
250 III. Kapitel. Zeitrecliiuing der Moliammedauer.
Völlig geordnetes, mit den Jahreszeiten konform gehendes gewesen
sei. Wie wir gesehen (S. 243), finden sich Andeutungen, daß das
arabische Winterhalbjahr aus 3 Doppelmonaten bestanden hat. Wixckler
glaubt, daß der 2. Monat des Doppelmonats Moharrem-Safar, der Safar,
ein eingeschalteter war; aus der Vergleichung der babylonischen
Monate mit mehreren alten vorderasiatischen Kalendern leitet er die
Folgerung ab, daß einige der alten Jahre (das babylonische, das
römische) aus 6 Doppelmonaten bestanden haben und erst durch Ver-
schiebung der Rechnung des Jahresanfangs (Herbst oder Frühjahr)
verschiedene Selbständigkeit erlangten. Auch das arabische Jahr be-
stand ursprünglich aus solchen 6 Doppelmonaten: Eehl (November-
Dezember), Dschumädä (Januar - Februar) , Redscheh (März - April),
Bamadän (Mai- Juni), Hiddscha (Juli- August) und Safar (September-
Oktober). Diese Anordnung soll hinreichen, die Widersprüche, die
nach Wellhausen in der Beziehung der Bedeutung der Monatsnamen
zwischen der alten Zeit und der späteren liegen, zu beseitigen. Behufs
Voraussetzung eines durch Schaltungen geregelten Jahres ist Winckler
genötigt, eine w^eit höhere Kulturstufe für das alte Arabien anzunehmen,
als man vorauszusetzen sich bisher für berechtigt hielt, xiber diese Be-
dingung, sowie andere weitgehende Folgerungen, welche AVinckler an
die Hypothese knüpft und welche hier nicht weiter ausgeführt werden
können, lassen die Theorie eines geordneten Jahres der Alt-Araber
sehr zweifelhaft erscheinen.
In der Gegenwart macht sich auch eine gewisse Strömung in
der vergleichenden Mythologie bemerkbar, welche die Religion der
alten Araber auf die Mondverehrung und im letzten Grunde auf die
südbabylonische (harranitische) Mond Verehrung zurückzuführen sucht.
Man wird zugeben müssen, daß, wenn der Nachweis eines verbreiteten
Mondkultus für Altarabien gelingt, auch das SpRENGER-MAHMUDSche
reine Mondjahr an Aussicht auf Annahme gewinnt, denn Kultus und
Zeitrechnung stehen in engster Beziehung zueinander. Die Vertreter
jener Forschung (Winckler, Hommel, Nielsen) stützen sich auf Spuren
der Gestirnverehrung, die aus den Inschriften südarabischer Denk-
mäler zutage treten \ und auf die weite Verbreitung gewisser Personen-
namen, die als Beinamen des Mondgottes {wadd = Freund, ah —
Vater, 'amm = Oheim, Beschützer; 'ahl = mein Vater, 'ammi =
mein Oheim u.dgl.) oft wiederkehren-; ferner auf Reste alter Kultus-
1) In den hadramautischen Inschriften soll Sin (der Mond) der Hauptgott
sein-, in den katabanischen erscheinen Amm (Mond), Sams (Sonne), AtJitar (Venus),
Amhai (Merkur), in den minäischen Athiar, Wadd (Mond), Sams.
2) In der arabischen Mondreligion erscheint (nach Niklsen) die Gottesauf-
fassung als eine dreifache, entsprechend Mond, Sonne, Venus, und zwar ist Gott
vorwiegend Mondgott, speziell Neumond-Gott. Damit laufen die Auffassungen der
i? 53. E])Ocli('ii der jiltcii Araber. 251
Stätten, die sich namentlich auf Bergen vorfinden und der .Aloiid-
verehrung g-eweiht gewesen sein sollend Einstweilen befinden sich
jene Forscher noch im scharfen Gegensatze zu den Tatsachen, die
aus der altarabischen Literatur u. dgl. bekannt sind. "Wellhatskn'
gibt zwar eine sporadische Gestirnverehrung zu, der Sonne (welche
oft „die Göttin" heißt)-, der Venus (bei den Uzza), des Merkur (bei
den Tamim in Ostarabien), aber die Objekte der Verehrung seien
hauptsächlich Steine und Bäume gewesen. Der Mondgott Hohäl, auf
den WiNCKLER viel Gewicht legt, nimmt bei Weijjiai'skx eine keines-
wegs besondere Wichtigkeit ein-'.
Man sieht wolil aus meiner bisherigen Darstellung, daß die Frage
nach der Beschaft'euheit des altarabischen Jahres zurzeit noch eine
offene ist.
§ 53. Epochen der alten Aral)er.
Die vorislamischen Araber müssen verschiedenerlei Epochen bei
den Jahrrechnungen gehabt haben; dieselben scheinen so zahlreich
gewesen zu sein wie ihre verschiedenen Monatsnamen. Albieuxi zählt
Schlachttage. Gedächtnistage, das Jahr der Erneuerung der Kaaba u. a.
als Epochetage einzelner Stämme auf^ Allgemeiner ist vermutlich
nur das Jahr des Verrates (oder des Frevels = jaum el fedschär)
und das Jahr des Elefanten {am el fil) gebraucht worden. Das erstere
bezeichnet das Jahr, in welchem die Banü-Yarbü gewisse Gewänder
stahlen, die der himjarische König zur Kaaba gesendet hatte, und
weswegen es zur Zeit des heiligen Pilgerfestes zu einem Zusammen-
Harraniter und Babylonier parallel; bei den ersteren bilden Sin (Mond , Sarratu
(Sonne) und Istar Venus^ die Dreiheit, bei den Babyloniern Sin. Samas und I^tar.
Die besondere Stellung, die der Mondgott einnimmt, soll auch dadurch angezeigt
sein, daß der Name des Gottes in den Inschriften nicht direkt genannt, sondern
umschrieben wird mit „Sein Name".
1 Offene Plätze, mit Steinen eingefaßt, bisweilen mit Fundamenten von
Opferaltären finden sich bei Marib , Südarabien [s. Beschreibung von Glaser , bei
Nielsen- S. 100, und Aknaud, Journ. Asiat., 4. ser., V, 1845], bei Petra 's. G. L.
R(jBissox, Die Opferstätte hei Petra, Mitteil. u. Nachr. d. deutsch. Palästina-
Vereins, 1901, Nr. 2\ Ob für Sonnen- und Mondbeobachtungen nach den Himmels-
gegenden orientiert?
2] Sonnenkultus in Arabien erwähnt schon Strabon XVI. Aus süd-
arabischen Denkmälern ist ansehnliches Material über- den Sonnendienst bekannt
geworden. S. Mordtmaxn-Mülleb, a. a. 0., S. 56; Osiander, Zeitschr. d. deutsch,
morg. Ges., VII 468, XX 285; Keehl, Die Heligion d. vorislam. Araber, S. 41.
3) Wellhavsen hält sich nur an die arabische Überlieferung und macht
deshalb der oben definierten Richtung wenige Zugeständnisse. Er geht sogar so
weit, die Existenz der 28 Mondhäuser und die Reste astronomischer und astro-
logischer Kenntnisse bei den alten Arabern in Frage zu stellen.
4) a. a. 0. 39, 40.
252 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammi'diUier.
stoße, kam. Das Jalir ist oanz unbestimmt; es heißt nur. daß der
Prophet selbst an diesem Kampfe in seiner Jugendzeit teiloenommen
liabe. Die Epoche könnte danach zwischen 585 — 591 n. Chr. fallen. —
Das Jahr des Elefanten ist das Jahr, „als der Herr die Äthiopier ver-
nichtete, welche die Kaaba zerstören wollten". Der Statthalter von
Yemen war nämlich mit einem Heere, welches Elefanten mit sich
führte, gegen Mekka gezogen, um den dortigen Tempel zu zerstören.
Nach einigen Schriftstellern soll das Geburtsjahr Mohammeds mit
dieser äthiopischen Invasion zusammenfallen; das Jahr würde dann
571 n. Chr. sein.
B) Die moliammedanische Zeitreclinung.
§ 54. Moiidmonate.
Nach allem, was ich im vorherg'ehenden Abschnitt über das Zeit-
rechnungswesen der Periode des Vor-Islam mitteilen konnte, ersieht
man, daß die Zeitrechnung in Altarabien wahrscheinlich wenig- ein-
heitlich gewesen ist und vermutlich nur eine primitive war. In West-
und Südarabien hatte vielleicht ein gebundenes Mondjahr, das aber
nicht gehörig reguliert wurde, im Laufe der Zeit am meisten Einfluß
gewonnen. Dieses Mondjahr fand Mohammed vor, als er als Religion-
Stifter, gesetzgeberischer und sozialer Reformator auftrat, und er hoffte
durch Einführung dieser Jahrform möglicherweise auch die Einigung
der Stämme zu fördern, die er anstrebte. Er erhob also die Rechnung
nach dem Monde, nachdem er den bisherigen Modus von den seiner
Meinung nach verunstaltenden Veränderungen durch das Xasi (sei dies
Einschaltung oder Verschiebung von Monaten) befreit hatte, zur
alleinigen Zeitrechnungsform des Volkes. Die neue Jahrform ist also
keine selbständige Erfindung Mohammeds , sondern entsprang aus
der alten Form. Vom Jahre Hidschra 10 ab griff das reine
Mondjahr, durch Weglassen jedweder Schaltung, Platzt Da der
jMohammedanismus im Laufe der Jahrhunderte große Verbreitung
außerhalb Arabiens gewann, verpflanzte sich auch sein Zeitrechnungs-
system, und letzteres wurde in fernen Ländern, oft nicht viel modifiziert,
1) Mohammed bestimmt den Mond ausdrücklich zum Zeitmesser durch die
Koranverse Sure II 214: ,Über den Mondwechsel werden sie Dich fragen; so sage
ihnen, er dient, den Menschen die Zeit und die Wallfahrt nach Mekka zu be-
stimmen", und durch Sure X5: „Er (Gott) ist es, der die Sonne eingesetzt, um zu
scheinen bei Tage, und den Mond, zu leuchten bei Nacht, und seine Stellungen
so bestimmt bat, daß Ihr dadurch die Zahl der Jahre und die Berechnung der Zeit
wissen könnt." — Die Vermeidung jeder Veränderung an der Länge des reinen
Mondjahres wird anbefohlen durch die schon früher i_S. 246) zitierten beiden Koran-
verse Sure IX 36, 37.
§ 54. Mondinoiiiite.
25:j
bisweilen auch mit alten einheimischen Institutionen verschmolzen,
angenommen. Wir werden im vorliegenden I. Bande Gelegenheit
haben, der mohammedanischen Zeitrechnung in Vorder- und Hinter-
indien, auf Java, Sumatra, zu begegnen. Im laufenden Abschnitt
beschäftigt uns hauptsächlich die Zeitrechnung in Vorderasien, die
der Araber. Türken, Syrer.
Ich beginne mit den Mondmonaten der Mohammedaner. Die
arabischen Namen der Monate {schuh ür, cschhur) sind jene, welche
sich schon vor Einführung der Hidschra eingebürgert haben (s. S. 239).
Sie folgen in der nachstehenden Zusammenstellung neben den marokka-
nischen Namen. Die Namen der türkischen Monate des Mondjahres
unterscheiden sich wenig von den arabischen. Einige Korrumpierungen
der arabischen Monatsnamen werden wir beim Zeitreclmungswesen
von Java und Sumatra (s. § 120 und 121) kennen lernen.
Arabische
Moharrem
Safar
Rehi el awwel {ReVi I)
ReM el äJchir (Reh7 II)
Dschumädä el ülä
(Dschumädä I)
Dschumädä el älhira
{Dschumädä II)
Redscheh
Schcibän
Ramadan
Schawiväl
Dhul-lride
Dhul-hiddsche
Marokkanische
(Maghreb, nordafrikanische)
Äschurä oder el äschür
Schal 'el äschür
El Mulüd
Schal 'el mülüd
Dschemädl el awwel
Dschemädi el äJcher
Redscheh
Schabän
Ramadan
Aid es srhlr od. el ftar
Bdin el ajäd
Aul el l-ehlr
Türkische
Muharrem
Safer
Rein ül eiüwel
ReM ül ähhir
Dschemäsl ül eivtvel
Dschemäsi ül äJchlr
Redscheh
Schahän
Ramasän
Schewwäl
SllJcade
Sllhidsche
Die Länge dieser Monate hängt in der vom Volke gebrauchten Zeit-
rechnung gemäß der Satzung des Korans ganz von den Lichtphasen
des Mondes ab, d. h. also, wie bei den Bab3^1oniern , Alt -Arabern,
Harraniern, Juden u. s. w., von dem „Neulichte"', dem Tage des ersten
Erscheinens der Sichel nach Neumond. Der Monat dauert vom
Abende dieses Tages bis zum Eintreffen der nächsten Mondsichel d. h.
29 oder 30 Tage ; der 30. Tag wird durch die Sunna (das Gesetzbuch
der Mohammedaner) für den Fall reserviert, wenn etwa die Mond-
phase wegen Bewölkung des Himmels nicht konstatiert werden kann:
„Wenn Euch die erste Phase bedeckt wird, so gebt dem Monate das
bestimmte Maß von 30 Tagen". In dieser Weise werden die Monate
von Neulicht zu Neulicht fortgezählt, bis 12 derselben vorüber sind:
254 Iir. Kapitel. Zeitreclinung der Mohammedaner.
dann beginnt ein neues Mondjahr. Der arabisch - türkische Volks-
kalender zeigt infolge dieser primitiven Einrichtung ein ziemliches
Schwanken (von 1 bis 2 Tagen). Alfergani bemerkt schon: „Die
Beobachtung der Mondphase gibt den Monat bald länger, bald kürzer,
so daß zwei aufeinanderfolgende Monate 30 oder 29 Tage halten
können, und der Anfang des ]\Ionats, wie ihn die Rechnung und die
Beobachtung geben, nicht allemal auf denselben Tag trifft, sondern
sich beide erst im Verlaufe der Zeit ausgleichen." Bei der Ver-
gleichung arabisch-türkischer historischer Daten mit irgend einer festen
Zeitrechnung hat man deshalb, um die Reduktion richtig ausführen
zu können, besonders auf den Wochentag des vorgelegten Datums zu
achten. Zumeist wird der Wochentag von den mohammedanischen
Historikern angegeben, so daß Zweifel, wenigstens bei historischen
Daten, nicht allzuviele vorkommen.
§ 55. Der 30jährige uud der 8jährige Zyklus.
Die arabischen Astronomen habe schon frühe, um die Unsicherheit
des Volkskalenders beim Datieren ihrer astronomischen Beobachtungen
zu vermeiden, eine zyklische Rechnung in das Mondjahr eingeführt.
Zunächst gaben sie, von der Beobachtung ausgehend, daß zwei synodische
Mondmonate etwa 59 Tage fassen, den Monaten eine abwechselnde
Länge von 30 und 29 Tagen, so daß der 1., 3., 5. . . . je 30 Tage,
der 2., 4., 6. . . . Monat je 29 Tage hält. Die Tageslänge der einzelnen
Monate ist also:
Summe
Summe
Moharrem
30
Tage
30
Redscheh
30 Tage 207
Safar
29
>?
59
Schahän
29 „ 236
Bebt I
30
;;
89
Ramadan
30 „ 266
ReU II
29
118
Schawwäl
29 „ 295
Dscliumädä I
30
11
148
Dhiü-Tcade
30 „ 325
Dschumädä II 29 „ 177 Dhul-hiddschc 29 „ 354
Das gewöhnliche (bürgerliche) Mondjahr zählt somit 354 Tage. Nimmt
man das astronomische Mondjahr zu 354<^ 8'' 48'" an, so kann der
Überschuß des letzteren von 8*^ 48'" derart eingebracht werden,
daß man denselben auf 30 Jahre, d. h. auf 264'' = 11 Tage an-
wachsen läßt. Ein 30 jähriger Zyklus der astronomischen IVlond jähre
beträgt also 10 620 Tage -\- 11 Tage = 10 631 Tage, oder 30 bürger-
liche Jahre und 11 Schalttage; nach je 30 Jahren läßt sich demnach
das bürgerliche jMondjahr mit dem astronomischen zur Übereinstimmung
bringen, indem man innerhalb des Zyklus elfnial je ein Schaltjahr zu
i^ 55. Der SOjiilirige und der 8 jährige Zyklus.
255
355 Tagen einschaltet. Über die zweckmäßigste Art der Verteilung
der Schaltjahre in dem Schaltkreise wurde schon in der p]inleitung
dieses Buches (s. S. 64) darauf hingewiesen, daß man am einfachsten
verfährt, indem man den oben erwähnten Überschuß von 8^ 48*" immer
dann einrechnet, wenn er — nach Abzug der ganzen Tage — gerade
auf einen halben Tag angewachsen ist. Man erhält dann das Jahr 2,
5, 7, 10, 13, 15, 18, 21, 24, 26, 29 des Zyklus als Schaltjahre. Statt
des 15. Jahres kann auch das 16. Jahr zum Schaltjalire gewählt werden,
da am Schlüsse des 15. Jahres der Überschuß über den vollen Tag
gerade 12'' beträgt. In der Tat ist dies die Anordnung, welche von
den arabischen Astronomen angegeben wird . nämlich Schaltjahre zu
355 Tagen sind das 2., 5., 7., 10., 13., 16.. 18., 21., 24., 26. und 29. Jalir
des Zyklus. Doch muß bemerkt werden, daß diese Anordnung nicht
überall in den mohammedanischen Ländern feststehend ist. Der Schalt-
tag in jedem dieser Schaltjahre wird immer dem letzten Monate des
Jahres zugeteilt; der Dhid-hiddsche hat also in Schaltjahren 30 Tage.
Das Anwachsen der Tage im 30 jährigen Zyklus nach dieser Schalt-
ordnung zeigt folgende Zusammenstellung; die mit * bezeichneten Jahre
markieren die l-eMse (Schaltjahre):
Jahr
Summe
Summe
Summe
der Tage
der Tage
der Tage
1
354
Jahr 11
3898
Jahr 21*
7442
9*
709
12
4252
22
7796
8
1063
13*
4607
23
8150
4
1417
14
4961
24*
8505
5*
1772
15
5315
25
8859
6
2126
16*
5670
26*
9214
7*
2481
17
6024
27
9568
8
2835
18*
6379
28
9922
9
3189
19
6733
29*
10 277
10*
3544
20
7087
30
10631
Die Türken bedienen sich in ihren Iius-name (immerwährenden
Kalendern) eines achtjährigen Schaltungszyklus. Derselbe ist aus
5 Jahren zu 354 Tagen = 1770 Tagen, und 3 Schaltjahren zu 355
Tagen = 1065 Tagen zusammengesetzt, enthält also 2835 Tage oder
405 Wochen. Der Zyklus ist weniger genau als der 30 jährige (s. S. 64), da
8 astronomische Mondjahre nur 2834 Tage 22'' 28,8™ ausmachen (die
Differenz kompensiert sich in nahezu 126 Jahren zu einem Tage), aber
er hat den Vorteil, daß er volle 405 Wochen faßt und dadurch als
Grundlage der immerwährenden Kalender gebraucht werden kann.
Schaltjahre sind das 2., 5. und 7. Jahr des Zyklus. Der Begründer
256 III. Ka})itel. Zcitrccliming der Mohammedaner.
der Rechnung' nach achtjälirig-en Zyklen ist vermutlich Daeendeli
]\[ehmed Effexdi, der auch sonst in der Geschichte der türkischen
Kalender als Reformator genannt wird.
Mit Hilfe der beiden eben beschriebenen Zyklen geben die Tahirim
(die Jahreskalender) und die Rus-name (die immerwährenden Kalender)
die Monatstage der ersten sichtbaren Sichel, d. h. den Monatsanfang
an. Im Volke wird aber nicht viel Rücksicht auf die zyklischen
Rechnungen genommen, namentlich nicht, wenn es sich um die Fest-
setzung des Beginns der Hauptfeste handelt. Dann greift man in
der althergebrachten Weise auf die unmittelbare Beobachtung des
Himmels zurück.
Betreffs der Mondkalender in den mohammedanischen Teilen
Indiens müssen hier noch einige Bemerkungen Platz finden. Bei
der großen Verschiedenheit der geographischen Breiten kann es dort
vorkommen, daß die in einem der indischen panchang (Kalender) an-
gegebenen Monatsanfänge nicht immer mit den faktischen Tagen des
Neulichts stimmen, denn letztere sind für die dem Kalender maßgebende
Breite berechnet; es kann die Notwendigkeit eintreten, daß man die
sonst beobachtete Abwechslung von 29 und 30 tägigen Monaten unter-
brechen und zwei volle Monate aufeinander folgen lassen muß. Ferner
ist darauf zu achten, daß die Hindu den Tag von Sonnenaufgang zu
Sonnenaufgang rechnen, nicht wie die Araber von Abend zu Abend.
Infolgedessen bezieht sich der mohammedanische erste Monatstag auf
den nächstfolgenden bürgerlichen im Hindukalender. Nach indischer
Zeitzählung kommt das Sichtbarwerden der Sichel nach dem Neumonde
(amcU-äsyä-T&g) mit der 1. oder 2. tlthi der hellen Monatshälfte
(suMa praüpadü) überein (s. § 90). Wenn die 1. tlthi etwa 5 ghatiM
(= 2 Stunden) vor Sonnenuntergang endet, ist die Mondsichel meist
an diesem Tage schon sichtbar; fällt das Ende der 1. titlii 5 ghatllm
nach Sonnenuntergang, so trifft das Sichtbarwerden der Sichel (chandra-
darsana) auf den nächsten Abend.
§ 56. Tag:esanfaiig. Tagesteiluiig. Wochen.
Den Anfang des Tages rechnen die Mohammedaner, wie es die
Zählung des Monatsbeginns nach dem Neulichte mit sich bringt, von
Sonnenuntergang. Bei den Arabern ist diese Gepflogenheit uralt und
aus den Zeiten des Gähüija (= Zeit der Unwissenheit, d. i. des
Heidentums) mit in die mohammedanische Zeit übernommen worden.
Alfeegani berichtet: „Sie rechnen den bürgerlichen Tag — jaiim
hilaUathi (= Tag mit seiner Nacht) — darum vom Untergange der
Sonne, Aveil sie die Älonatstage von dem hilal, d. i. der Wahrnehmung
i? 56. Tagesjiiit'ang. Tagesteilung. Wochen. 257
der ersten Mondpliase zählen, und diese Phase beim Sonnenuntergänge
gesehen wird" ^
Die Teilung des Tages in 24 Stunden, welche den alten
Arabern noch fehlt, tritt bei den mohammedanischen auf, und zwar
in der Form der horae temjjorales (Einleitung S. 95), der mit der
Ta^feslänge veränderlichen Stunden, wovon 12 auf den Tag und 12
auf die Nacht gerechnet werden. Diese Stunden, die also bei zu-
nehmender Ta^eslänge länger, bei abnehmender kürzer werden, heißen
el s(tät cl zcmanljL', Zeitstunden. Bei den Türken unterscheidet man
öfters noch die beiden Tageshälften durch die Bezeichnungen rus =
Tag, schch ^ Nacht, verwendet aber dort gleichlange Stunden-. In
späterer Zeit sind den Mohammedanern durch ihre Astronomen auch
unsere 24 europäischen Stunden bekannt geworden; dieselben werden
cl sadt cl uwsfeirye (oder d uwtedih), gleichförmige Stunden, genannt.
— Von Wichtigkeit für die Mohammedaner sind die 5 täglichen Gebet-
stunden. Bei den Türken heißen dieselben:
sahah nemasi (bei Tagesbeginn)
o'üe nemasi (um Mittag)
iJcindi nemasi (zwischen Mittag und Sonnenuntergang)
al'schani nemasi (nach Sonnenuntergang)
yatsl nemasi (vor der Schlafstunde).
Bei der siebentägigen Woche sind an Stelle der altarabischen
Namen (s. S. 242) bei den Arabern die bloßen Ordnungszahlen, von
Sonntag ab zählend, getreten. Diese und die übrigen türkischen und
mohammedanisch-indischen Wochentage heißen :
bei den Arabern
Sonntag: jaum el aliad = der erste
Montag: jaiim el itlinain = der zweite
Dienstag: jmim elthuläthä= der dritte
Mittwoch : jaum el arbiä = der vierte
Donnerstag: jaum el khamis = der fünfte
Freitag: jaum el dschuma = Tag der Zu-
sammenkunft
Sonnabend: jaum el saht = der Sabbat seht mni-vär sanichar.
Türken
Hindu
Hindnstani
ahad
ravl-vär
itwär
esnein
som-vär
somicär (pir)
salasa
mangal-vär
mangal
erbua
budh-vär
budh
khamis
brihaspati-vär
jxima-rät
dschuma
sukra-vdr
juma
1) Einige Anhaltspunkte deuten darauf hin, daß in ältester Zeit in Arabien.
Südbabylonien u. s. w. das Erscheinen des Neumondes (fiiläl) durch Feste begangen
worden ist. Hiermit hängt zusammen, daß hiläl auch Festjubel bedeutet, die Rufe,
mit denen das Erscheinen des Neulichts^-Gottes) begrüßt wurde. Im Ostjordanland
soll hiläl die seltenere Bezeichnung für Neumond, die gewöhnliche schuhür i^oder
schahär sein; schuhtir bedeutet nicht nur Monat, sondern auch Mond (so in süd-
arabischen Dialekten , in aramäischen und südarabischen Inschriften). Unter den
arabischen Personennamen sind manche , wo hiläl das Gottesäquivalent vorstellt
(D. Nielsen, a. a O., 51, 52).
2) Da aber die 24 gleichlangen Stunden doch von Sonnenuntergang zu
Sonnenuntergang genommen werden, muß man die Uhren sehr häufig umstellen.
Ginzel, Chronologie I. i'
258 III. Kapitel. Zeitreclinung der Mohammedaner.
Der Freitag ist der „Tag- der Versammlung'"', d. li. der offizielle Gebets-
tag in den Moscheen. Alfekgani erzählt: „Die Tage, nach denen
die Monate gezählt werden, sind sieben, von denen der erste j an m
el ahad, erster Wochentag, genannt wird. Dieser nimmt mit dem
Untergange der Sonne am Sabbat, ja um el saht, seinen Anfang, und
währt bis zu ihrem Untergange am folgenden Tage, und ebenso die
übrigen AVochentage". Da also, wie schon oben bemerkt, die moham-
medanischen Wochentage früher anfangen als unsere europäischen,
nämlich mit dem vorhergehenden Sonnenuntergang, muß man bei ge-
naueren Keduktionen mohammedanischer Datierungen auf diesen Um-
stand Rücksicht nehmen.
§ 57. Epoche der Hidsclira. Reduktion von Daten.
Als Beginn der Zählung der Jahre gilt bei den Mohammedanern
der 1. Moharrem desjenigen Jahres, in welchem Mohammed, um den
Bedrohungen durch die Koreischiten zu entgehen, seine Flucht von
Mekka nach Medina bewerkstelligt hat. Diese Epoche heißt tcmeh
el hidschra, das Jahr der Flucht. Die Einführung derselben erfolgte
erst unter dem Kalifen Omar. Dieser stellte wegen der Unsicherheit,
die in die Zeitrechnung gekommen war, mit den Führern der An-
hänger Mohammeds Beratungen an über die Einführung einer Epoche.
Von den vorgeschlagenen Epochen, dem Geburtstage des Propheten
und dem Tage seiner religiösen Erleuchtung, sowie dem Tage der
Flucht erschien der letztere am wenigsten zweifelhaft, da man ziemlich
allgemein für den Tag der Ankunft Mohammeds in Medina Montag
den 8. JReM I voraussetztet
Die Epoche der Hidschra fällt nach den orientalischen Chrono-
logen auf den 15. Juli 622 n.Chr., den Tag 1 948 439 der julianischen
Epoche. Als Autoritäten können hier nur einige angeführt werden.
Abulhassan Kuschjae sagt (Sldsch el dschämi , 1. Buch, IL Kap.):
„Die Epoche der arabischen Ära ist ein Donnerstag, und zwar der
Anfang des Jahres, auf welches die Flucht des Propheten trifft. Dieser
Tag ist der 15. Thamuz des Jahres 933 Dsil Mmniu'^ (d. h. der
seleukidischen Ära). Die Reduktion dieses Datums gibt den 15. Juli
622 n. Chr. Masudi (im Murädsch el dhahah) notiert: „Zwischen der
Ära Jezdegerd und jener der Flucht sind 3624 Tage". Da der
Epochetag der Ära Jezdegerd (s. § 69) der 16. Juni 632 n. Chr.
(= 1 952 063 Julian. Tag) ist , so erhält man nach Abzug der
3624 Tage die Julian. Tageszahl 1948 439 = 15. Juli 622. Ui.ra
Beg berichtet {Epochae celebriores, S. 7): „Die Epoche der arabischen
1) s. ALBiRUNf, a. a. 0., S. 34.
§ 57. Kpoflio der Jüdselira. Reduktion von Daten. 259
Ära ist der Anfang des Mo/iarrmi jenes Jahres, wo der Prophet aus
Mekka nach Medina geflohen ist. Zufolge der mittleren Bewegung
des Mondes war dies ein Donnerstag, zufolge der ^Fondbeobachtung
hingegen ein Freitag. Wir wählen den Donnerstag."
Nach den Autoritäten ist es zweifellos, daß Donnerstag der
15. Juli 622 n. Chr. als Ei)0che zu nehmen ist. Der Tag ist dabei,
wie schon oben wegen des Tagesbeginnes der Mohammedaner bemerkt
wurde, vom Sonnenuntergänge des vorhergehenden Tages gerechnet.
Der Tag 15. Juli = 1. Moharrem bezieht sich auf die wahre Kon-
junktion des ]\rondes. Der wahre Neumond fand nämlich (nach Schrams
Tafeln) statt am 1-1. Juli vormittags nahe 7'" mittlere Zeit Mekka.
Als Konjunktionstag konnte deshalb von den mohammedanischen
Astronomen der 15. Juli angenommen werden. Diesen Epochetag wird
man wählen müssen, wenn Daten, die sich an die Neumonde knüpfen,
also astronomische, zu reduzieren sind. Sollen aber die Monate der
Hidschra-Jahre so anfangen , wie- es der Volksgebrauch \\i\\, nämlich
mit dem Sichtbarwerden der ersten ]\Iondsichel , so muß man mit
dem Epochetage einen Tag später anfangen, d.h. vom 16. Juli aus-
gehen. Freitag der 16. Juli 622 wird also als Epoche für die Fälle
gelten, wenn die zj^klische Eechnung mit dem Volkskalender über-
einstimmen soll.
Die Epoche der Hidschra fällt keineswegs mit dem Tage der
Flucht Mohammeds zusammen. Wie schon aus dei- kurz vorher ver-
merkten Äußerung Albirunis ersichtlich, wird die Ankunft des
Propheten in Medina in den Bebt I, auf einen Montag gesetzt. Als
Tag wird, je nach den Traditionen schwankend, der 2., 8. oder
12. Rein angegeben. Einigen, obwohl nicht einwandfreien Anhalt zur
näheren Bestimmung des Tages der Flucht kann die von mehreren
Autoren überlieferte Nachricht bieten, die Juden hätten bei der
Ankunft des Propheten in 3Iekka ihren Äschürä-Hdig (Fasttag) ge-
halten % und der Prophet habe auf die erhaltene Auskunft über die
Bedeutung dieses Tages ebenfalls den Äschära-l2i^ als Fasttag zu
halten befohlen. Nach Albiruni feierten die Juden Aschürä (gleich-
bedeutend mit Kipur = Versöhnungstag) am 10. Tisri. Im Jahre
622 n. Chr. fiel danach der 10. Tisri (4383 der jüd. Ära) auf Montag
den 20, September, Wie Mahjmud Effendi zeigt, fand im September
1) Die Tradition ist keineswegs einstimmig darin, ob der Ankunftstag mit
dem Aschürä zusammenfiel. Ibn KelbI seheint der erste gewesen zu sein, der
beide Tage koinzidieren ließ. Nach der Ausdrucksweise anderer Autoren (wie
Ibn Gobayr, Bochary^ kann aber auch angenommen werden, daß dem Mohammed
das Fasten der Juden erst einige Zeit nach seiner Ankunft bekannt geworden ist
(s. Sprenger, Lehen Mohammeds, III, S. 53).
17*
260 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
der Neumond am 10. September um ]\[itternaclit statte es konnte also
die erste Sichel kaum vor dem 12. September gesehen werden. War
somit der 1. Rein I am 12. September, so war der 8. Rein I, der
wahrscheinlichste der traditionellen Angaben, der 19. September, oder
wenn die Sichel einen Tag später gesehen wurde, der 20. September.
Danach fiele der Ankunftstag 8. Rehi I = 20. September mit dem
Äschüi'ä -Festen zusammen und wäre um 67 Tage von der Epoche
der Hidschra 15. Juli entfernt. Hiermit stimmen die Ansichten der
orientalischen Autoren überein. Bei Abulpeda (Änncd. Musehn., 1 62)
heißt es: „Die Flucht von Mekka nach Medina erfolgte, als von dem
ersten Jahre bereits der Moharrem, der Safar und 8 Tage des Rein
el atvwel verflossen waren" (d. h. 67 Tage); sowie: „Als man be-
schlossen hatte, die Flucht zur Epoche der neuen Zeitrechnung zu
machen, zählte man von derselben 68 Tage zurück bis zum 1. Moharrem,
den man für den Anfang der Ära nahm."'
Die Reduktion mohammedanischer Datierungen auf entsprechende
der christlichen Zeitrechnung kann nun, da die Epoche der Hidschra
feststeht, ausgeführt werden. Man hat zu beachten, ob man den
Volkskalender oder die zyklische Rechnung der Astronomen zugrunde
legen will. Im ersten Falle hat man, wie früher bemerkt, vom
16. Juli 622 n. Chr., im anderen vom 15. Juli auszugehen. Die
Ungenauigkeit, die aus der eventuellen Unsicherheit, welcher Kalender
der maßgebende sei, folgt, läßt sich beseitigen, falls der Wochentag
angegeben ist. Außerdem hat man noch auf die Rechnung des Tages
von Sonnenuntergang entsprechend Rücksicht zu nehmen.
Die ScHEAMSchen Tafeln kann man für beide Fälle gebrauchen, ob
man nach dem Volkskalender oder dem astronomischen rechnen will.
Ob der richtige Tag getroffen wurde, entscheidet die Division der
von den Tafeln gelieferten Zahl durch 7; der Rest der Division, von
0 = Montag an gezählt, liefert den Wochentag.
Die umständlichere Regel Idelees zur Reduktion der mohamme-
danischen Daten auf christliche soll der Leser hier nicht vermissen:
Man dividiert die Zahl der abgelaufenen Hidschra- Jahre durch 30
und multipliziert den Quotienten mit 10631; hierzu addiert man die
dem Reste entsprechende Tageszahl aus der Tabelle S. 255 und die
dem ]\[onatsdatum entsprechende Tageszahl nach der Tabelle S. 254.
Zur so gebildeten Summe kommt noch die Grundzahl 227 015, nämlich die
vom 1. Januar 1 n. Chr. bis zum 15. Juli 622 abgelaufenen Tage.
Die Division der Summe durch 1461 (die Tage der vierjährigen
1) Nach ScHKAMs Neuraoudtafehi um 2^ 40™ Mekka-Zeit nach Mitternacht. —
Über das Zusammenfallen der Aschürä-Fsisten mit der Ankunft Mohammeds in
Medina vgl. auch AlbikünI, a. a. 0., S. ;327.
§ 57. Ki)()cli(' der llidselir;i. IJcduktiidi von Daten. 261
Schaltperiode) ergibt als Quotienten die Zahl der Schaltperioden ; die-
selbe ist mit 4 zu multiplizieren. Vom Reste der Division sind 365
so oft abzuziehen, als es mötrlich ist, und für jeden Abzu«- ist das
Plus von einem Jahre zum Produkte hinzuzurechnen. Der letzte Rest
gibt die Anzahl julianische Tage, die in Monate und Tage zu ver-
wandeln sind. Den entsprechenden Wochentag erhält man durch Di-
vision der abgelaufenen Tageszahl (d. h. ohne die Grundzahl; durch 7.
Der Rest 1 entspricht dem Donnerstag, 2 dem Freitag u. s. w., wenn
man vom Donnerstag als Epochetag ausgeht; der Rest 1, 2, ... .
entspricht dagegen Freitag, Sonnabend ..... wenn Freitag als Epoche-
tag der Hldschra angenommen wird.
Als Beispiel gebe ich die Ermittlung des Datums einer Sonnen-
finsternis. In der Geschiclite des ottomanischen Kaisertums des
Baschid Effendl'- heißt es: „Am 29. Eedschch 1071 gegen :\rittag
wurde die Sonne, deren Durchmesser nach astronomisclier Weise zu
12 Zollen gezählt wird, ganz verfinstert. Der ganz klare Tag schien
in Nacht verwandelt. Die schnell und total eintretende Finsternis
verursachte im größern Teile des Volkes solchen Schreck, daß viele
in die Moscheen eilten, um sich dort niederzuwerfen und heiße Gebete
zu verrichten-.-' Die Reduktion des Datums ist nach Schkams Tafeln
und nach Idelee folgende:
Schräm
Tafel Arab. türk. Jahr 1071 JRpdschph 29 = 2 327 817
Korresp. greg. Kai. Tafel = 2 327 787
= 1661 März 0 + 30
Daher das Datum = 1661 n. Chr. 30. März gregor.
Der Wochentag ist Mittwoch (Rest = 2).
Ideler
1070 : 30 = 35 + 20
10 631 • 35 == 372 085
Tageszahl der 20 Jahre = 7087
Tageszahl des 29. Redscheh = 206
379 378
hierzu Grundzahl 227 015
606 393
606 393 : 1461 = 415 Zyklen
Rest 78 Tage
Datum = 415 • 4 = 1660 Jahre + 78 Tage
Datum daher = 1661 n. Chr. 19. März jul. = 29. März gregor.
1) Fundgruben des Orients, Wien, Bd. IV, 1814, S. 263.
2i Die Sonnenfinsternis war für Konstantinopel , wie die Rechnung ergibt^
total 12 Zoll); die größte Phase trat einige Minuten nach dem Mittag ein.
262 III. Kapitel. Zeitreclmuiii;' der Mohammodiiiier.
Da die Mondsichel, welche den Anfang- des Bedf^cheh bestimmte, erst
am 2. März abends sichtbar werden konnte, begann der 29. Eedscheh
nach dem Volkskalender am 30. März abends; die obige Datie-
rung ist also im astronomischen Sinne zu verstehen. — Für den
entgegengesetzten Fall, die Verwandlung eines Datums der christ-
lichen Zeitrechnung in das entsprechende mohammedanische, ist
die Anwendung der iDELEiischen Regel die umgekehrte. Ein Beispiel
wird zur Illustration derselben genügen. Welchem Tage der Hldschra
entspricht der 7. Januar 1905 n. Chr.? Das julianische Datum dieser
Datierung ist 1904, 25. Dezember. Man hat:
1903 : 4 = 475 Schaltperioden. 475 • 1461 = 693 975 Tage
Rest 3 Jahre 3 Jahre = 1095
Tage vom 1. Jan. — 25. Dezb. = 359
Vom Anfang 1 n. Chr. bis 25. Dezb. 1904 = 695 429 Tage
ab die Grundzahl = 227 015
468"4U Tage
468 414 : 10 631 = 44 mohammedanische Schaltzyklen.
Rest 650 Tage = 1 Jahr 296 Tage nach Tabelle S. 255.
44 • 30 = 1320 Jahre der Hidschra.
Somit das Datum (1320 + 1) Jahre 296 Tage = 1322 Hidschra
1. Dhid-l-ade.
Oder mit Hilfe der ScHEAMSchen Tafeln:
Gregor. Kai. Tafel 1905 n. Chr. 7. Jan. = 2 416 853
Korresp. arab. Kai. Tafel =2 416 852
= 1322 Hidschra BhuJ-l-ade 0 + 1
Datum somit 1322 Huhchra 1. Dhul-lcade.
Gegenwärtig existieren bereits eine Anzahl Werke, welche die
Umwandlung der mohammedanischen Datierungen in christliche
möglichst vereinfachen, indem sie für eine größere Zahl Hidschra-
Jahre entsprechende Daten (z. B. von Monat zu Monat) direkt an-
geben. S. hierüber die Notizen sub „Literatur" am Schluß dieses
Kapitels. Die ScHKAMSchen Tafeln reichen für viel weitere Zeiten
aus und lassen an Einfachheit nichts zu wünschen übrig.
Schließlich mag noch bemerkt werden, daß nach Albiruni das
Volk die zehn Jahre, welche zwischen der Epoche der Hidschra und
dem Tode Mohammeds liegen, mit besonderen Namen benannt hat,
nach darin stattgehabten Ereignissen: das erste Jahr das „Jahr der
Erlaubnis", das zweite „das Jahr der Ordnung des Kriegs" u. s. w.
v^ 58. Fremdi' von deu Muhummedauern gcbrauclite Aren. Sümicnjahrc. 263
55 58. Freiiule von den Mohaininedancrn j^ebriiuclite Ären.
Sonnenjahre.
Die früheste von den fremden Zeitreclinun^sformen , welche die
Araber aus Nachbarländern übernahmen, war wohl die alexandrinische.
Sie adoptierten die altägyptischen Monatsnamen, welche wir schon bei
der Zeitrechnung der Ägypter (s. S. 156) kennen gelernt haben; sie
nennen die ägyptischen Monate schuhür el Jceht, Monate der Kopten.
Die korrumpierten Namen dieser Monate, vom ersten, dem Thoth,
angefangen, sind bei den Arabern
folgende :
oy
Tut
o'w.i/a J
Barmahat
».j'wJ
BfWeh
»Vy
Bammele
jy^^
Hätär
1JW.Ä-CC0
Beschnes
^^^/
Kijäh
^ij^
BaCnie
».iJS
Tobe
i^^-iwjl
Eluh
,j^Äm.a\
AmscMr
L5y^
Mlsra (Mesri)
Jeder der Monate hat 30 Tage, am Schluß des letzten Monats folgen
5 Ergänzungstage (ejäm e' nest) und alle vier Jahre ein sechster
Epagomenentag. Damit hatten die Araber das Sonnenjahr bei sich
eingeführt. Bei den Kopten heißen die 5 Epagomenen mskor iiKo-yKi =
der kleine Monat, wovon das arabische el schehr el mgJür. Mit den
Monaten übernahmen die Araber zugleich die Diokletianische Ära (bei
den Kopten „Märtyrerära", s. S, 230), welche sie tdrk-h el Jceht oder
tänch dil-letjfoius, oder auch tärk-h el schohada nennen. Sie wird
in den Kalendern häufig neben dem Hidschra - Jahre angegeben; so
ist in einem Rus-name von 1224 Hid. das Anfangsdatum des
Sonnenjahres 5. Safar 1224 richtig auf den 13. Barmahat 1525
Diokletianische Ära reduzierte Die arabischen Astronomen scheinen
die Ära wenig zu Datierungen zu verwenden.
Stark verbreitet ist bei den Mohammedanern die seleukidische
Ära. Sie muß in Vorderasien sehr bekannt gewesen sein, da sie zu
Zeiten AlbIeuxis noch viel bei den Datierungen gebraucht wurde.
Die Ära heißt bei den Arabern tarlch el räm, Ära der Römer, oder
tänch Ishender, Ära Alexanders, und tänch dhu-l-Jcarnaini , die Ära
des Zweigehörnten (Alexander heißt bei den Arabern „der Zwei-
gehörnte"). Sie wird in den Bus-name astronomisch d. h. von
311 V. Chr. ab gezählt und mit den sjTischen Monaten {schuhür el
1) Fundgruben des Orients, a. a. 0., 57.
264
III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
rum = Monaten der Römer, weil sie mit den nimisdien parallel
laufen) verbunden. Die Namen der syrisch -arabischen Monate sind:
Länge Entsprech. römische
Tlschrhi eJ awireJ
31
Tage
Oktober
Tischrhi el acher (cl
t/nnii)
30
November
Kanün el awivel
31
>5
Dezember
Kanün el acher
31
»?
Januar
Schebät
28
od.
29
«
Februar
Ädär oder Adsär
31
)!
März
Nisän
30
r
April
Ijär oder Ajar
31
»
Mai
Hazträn
30
»
Juni
Tamaz
31
J?
Juli
Ahh
31
)?
August
Eilül
30
»
September
In diesem Sonnenjahre läuft also das syrisch- arabische Datum, g-emäß
dem ursprünglichen Oktober-Beginn des syrischen Jahres, vom Oktober
an der julianischen Datierung parallel; der 5. Tischrm el atvivel =
5. Oktober Julian, u. s. w.
Die Einführung der beiden vorg'enannten julianischen Jahrformen
beweist, daß die Mohammedaner im Laufe der Zeit das Mondjahr (el
Sana el hmiarijc) zur alleinigen Richtschnur nicht genügend fanden,
und daß sie sich genötigt gesehen haben, zum Sonnenjahre (el sana
el schemsyje) zu greifen. Besonders eindringlich stellte sich die Not-
wendigkeit eines Sonnenjahres dort ein, wo der Ackerbau gepflegt
wurde, und man verschiedene mit der Bestellung der Felder verknüpfte
Tätigkeiten beim Eintritt bestimmter Jahreszeiten und Monate vor-
nehmen mußte. Auf die Erträgnisse des Ackerbaues gründete sich,
wie seit alter Zeit in Ägypten, die Besteuerung; die Erhebung der
Steuern, der noch vielfach üblichen Naturallieferungen, verlangte von
selbst nach einem mit den Jahreszeiten verbundenen Regulativ. Nach
der Invasion Ägyptens durch die Araber entstanden deshalb bald
Bauernjahre und Steuerjahre (charädschije , von charadsch = Grund-
steuer), die auch von den mohammedanischen Kalifen angenommen
wurden, da sie für gewisse Zwecke das Mondjahr unbequem finden
mußten \ Ein solches charadsch- Jahr führte in Ägypten der Kalif
1) Wassaf, der Wesier GJiasans, verbreitet sicli in seiner Geschichte Persiens
eingehend über die Mißstände, die aus der Verschiedenheit des Mondjahres gegen
das Sonnenjahr hervorgingen : ^Die arabischen Stämme gründen die Berechnung
ihrer Fasten, die Feste, die Pilgerschaft, die Zeit des Almosens und der Erlegung
der Kopfsteuer und des Grundzinses auf das Mondjahr. Ihre Zeitberechnung ist
ij 58. Frcindc von cU'ii .Mnhiiiniiifdiiiicni j,'<'l)riUR'lit(' Aren. Soniicnjalirc 265
el AzU mit 1. Moharrem 366 Hidschra {= 29. Aug. 976 u. Chr.)
ein; Anfang und Ende dieses Steuerjalires fällt mit dem ägyptischen
Sonnenjahre zusammen, die Jahre werden aber nach der Hidsc/na ge-
zählt; z. B. ist das Jahr 1091 n. Chr. = 484 Hid., aber = 481
c/iaradsc/i. Unter Mustahir wurden diese Steuerjahre wieder ab-
geschafft (501 Hid. = 1107 n. Chr.). In Ägypten ist diese Jahrform
auch als bürgerliches Jahr im Gebrauche gewesen ^ Zu diesen Ver-
suchen gehört auch noch der des arabischen Kalifen Mothedhad (des 16.
der Beni Ahbas), welcher im 'S. Jahre seiner Regierung (281 H'id. =
894 n. Chr.). als der Unterschied zwischen dem Steuerjahr und bürger-
lichen Jahre (Sonnen- und ]\roncljahre) sehr störend empfunden ward,
eine neue Ära aufstellte, welche mit dem 11. Juni 1207 der Ära
Alexanders [seleuk. Ära] = 11. Juni 896 n. Chr. beginnen und jenen
Unterschied regulieren sollte. Die Ausgleichung war aber nur eine
unvollkommene. Einige Notizen hierüber besitzen wir durch IscddpwJft,
welche Wassaf in seiner Geschichte Persiens aufgenommen hat-.
Das türkische Sonnenjahr (mällJe-Jaihr). welches neben dem
Mondjahr (dieses gilt mehr für religiöse Zwecke) läuft und das offizielle
Jahr darstellt, nimmt seine Monate teils aus dem sjTischen, teils aus
dem europäischen Kalender, wie aus den folgenden Monatsnamen
erhellt :
Länge Entsprech. Julian. Monate
Azer oder
Mart
31
Tage
März
I^'issän
30
H
April
Mais
31
»
.^lai
Hazvrän
30
5?
Juni
TemmCiz
31
»1
Juli
ein wirkliches Mondjahr .... Deshalb kommt bei ihnen die Zeit der Einbringung
der Einkünfte . . . immer herunter . . . Die Rechnung des Ertrages an Körnern,
an bestimmten Erhebungen .... der Clruudsteuer geschieht nach Sonnenjahren;
iu den gesetzlichen Handlungen hingegen, in der Einsendung des Almosens, in den
Zeiten der Andachtübungen, in den Terminen der Pachtungen und Kornlieferungen
und anderen öftentlicheu Verhandlungen halten sie sich an das Mondjahr. Wenn
dieses Ineinandergreifen des Sonnen- und Mondjahres übersehen und vernachlässigt
würde, so vpürden daraus Ausfälle entstehen, denn, wenn das Steuerjahr zu Ende,
so benannten sie den ^_ins neue Mondjahr hineinlaufenden^ Überschuß desselben
nach dem vorhergehenden Jahre, während es eiforderlich gewesen wäre, daß sie
denselben vom vorigen abgezogen und zu dem folgenden geschlagen hätten . . . ."
,s. Hammer-Puegstall , Geschichte der Ilchane . Darmstadt 1842 43, vol. II, Bei-
lage VII).
1) Einen Bauernkalender, der auf die Jahreszeiten Rücksicht nimmt und
z. B. noch den Siriusaufgang auf den 20. Juli setzt (s. Ägypter; , findet man in
den Auszügen der ägyptischen Geschichte des Schemseddin Mohammed {Notices et
extraits des manuscr. de la biblioth. imper., I 263, Paris).
2/ s. Hamjier-Purgstall, a. a. 0., vol. II 175.
266 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
Länge Entsprech. Julian. Monate
Äh oder Agosfo
31
Tage
August
EU Cd
30
??
September
Teschrhi-i-einvcl
31
>:
Oktober
Teschrm-i-särü
30
November
Kuinän-i-ewwel
31
«
Dezember
Kiänün-i-säm
31
»)
Januar
SchuMt 28 od.
29
»
Februar
Das Jahr hat, wie die Monatslängen zeigen, ganz die Form des julia-
nischen Jahres, der Schalttag fällt auf den letzten Jahrestag im
Februar. Aus dem letzteren Umstände folgt, daß diejenigen Jahre
Schaltjalire sind, welche ein Jahr vor den Schaltjahren der christlichen
Ära liegen, z. B. 1903. Die Datierungen laufen (vom 1. März Julian.)
mit den julianischen parallel. Das J/r?%e-Jalir war ursprünglich eine
arabische Jahrform (im 4. Jahrh. der HhlM-hra von dem Abbasiden
TaiMäh begründet) und wurde 1087 Hld (1677 n. Chr.) von
den Türken angenommen. Letztere zählen die Jahre nach Hidschra-
Jahren. Da diese Jahre infolge ihrer Kürze in 33 Jahren gegen das
Sonnenjahr um ein volles Jahr voraus sind, mußte, wenn die Hidschra-
Jahre zur Numerierung angewendet werden sollten, alle 33 Jahre
ein Jahr ausfallen. Diese herausfallenden Jahre hießen Siwhch. Im
Jahre 1288 Hid. (1871 n. Chr.) ist die Zählung nach Huhchra-
Jahren infolge eines Übersehens des letzterwähnten Umstandes etwas
in Unordnung geraten i.
Die Datierung nach fremden Ären, wie der griechischen AVeltära
und der christlichen Ära, kommt bisweilen auch offiziell, in Schrift-
stücken von Sultanen und Würdenträgern, vor. Hldschra- Jahre,
welche die Türken im Verkehre mit den fremden Mächten angeben,
werden ausdrücklich als solche bezeichnet.
§ 59. Beschreibuiii;' eines Riis-iiame.
Zur Illustration der Einrichtung der immerwährenden Kalender
folgt hier eine kurze Beschreibung der hauptsächlichsten Teile eines
1) Das letzte Shüisch-Jahr war 1255 Hidschrn. Das nächste Snvisch hätte
1288 sein sollen. Aus Versehen wurden aber die Coupons der ottomanischen Schuld-
verschreibungen mit 1288 HidscJira bezeichnet. Trotz eines Vorschlages einer
Kommission beließ man das fehlerhafte Finanzjahr in der Zählungsordnung. Daher
weicht jetzt die Nummer der Ma^ye-Jahre von den Hidschra- Jahren in einem Teile
des Jahres um 1, im anderen um 2 ab (s. Ghazi Ahmku Mukhtar Pascha, La
refnrme du calendrier, traduit par 0. N. E., Leyde 1893; dort auch Vergleiehungs-
tafeln der Jahre).
ij 59. Ik'schrt'ibung eines Iviis-uame.
267
türkisclien Bux-namc welclien Navoni veröffentlicht hat'. Folgende
5 Tafeln stehen an der Spitze des Rus-namc ; die ersten 3 beziehen
sich auf das moliaiiimedanische Mondjahr, die beiden letzten auf das
türkische Sonnenjahr.
Miüiarrem
7
B (J H V A
Safer Bebl ül etvivel Bebi ül äkhir Dschemasi 1 j Dsckemäsi II
2 ' 3 5 ' 6 I
B
Eedscheb
2
D
Schabän
4
H
Bamasän
5
Z
Scheivtcäl
7
A
Silkade
I
G
Silhidsche
3
IL
III.
IV
Sjähriger Zyklus Dschedwedi-Gurre-nima (Neumond-Anzeiger)
1 5374264
1224
Türkische Wochentage
i 2 ' 3 I 4 5 ' 6 7
ahad esneiti ■ salasa i erbua khmnis dschuma sebt
Sonntag | Montag i Dienstag Mittwoch i Donnerstag Freitag 1 Sonnabend
lO
1 1
12
13
14
4561 2346
Konkurrentes
7124 5672 3457 1235 613
Namen der türkischen Sonnenmonate.
5
Mart
[März]
Nissan
[April]
7
Eilül
[September]
Teschrin I
[Oktober]
Mais
[Mai]
6
Hazirän
[Juni]
5 ! _7
Teschrin II Kiänun I
[November] [Dezember]
Temnna
[JuU]
Ab, Agosto
[AugustJ
Kiänun II
[Januar]
6
Schubät
[Februar]
Die Tafel I zeigt an, mit welchem Wochentage die arabisch-türkischen
Monate Muharrem , Safer u. s. w. beginnen, den Anfang des ersten
Monats auf Sonnabend (7. Wochentag) vorausgesetzt. Die Buchstaben
über den Monatsnamen dienen den Türken zum Merken der darunter
gesetzten Zahlenwerte. Die 8 Zahlen der Tafel II zeigen an. mit
welchen Wochentagen die 8 Jahre des achtjährigen Schaltzj'klus
(s. vorher S. 25.5) beginnen. Man wird also die Zahlen der Tafel I
mit einer bestimmten Zahl der Tafel II zu verbinden haben, um für
ein vorgelegtes Jahr der Hldschra den Anfangswochentag der einzelnen
Monate des Jahres zu erhalten. Zu diesem Ende muß bekannt sein,
das mevielte Jahr des achtjährigen Zyklus das vorgelegte Jahr ist.
1) Fundgruben des Orients, IV 52, 467.
268 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
In den Bus-name findet sich deshalb unter oder über einer der
Zyklus-Zahlen Tafel II die Jahreszahl angesetzt, welche zur bestimmten
Zykluszahl gehört; in dem vorliegenden Rus-name von 1224 Hidschra
steht diese Jahreszahl unter 5, der zweiten Zykluszahl, d. h. das
Hidschra -Jahr 1224 ist das zweite des achtjährigen Zyklus. Die
Ordnungszahl des Hidschra- Jahres im Zyklus bestimmt sich leicht
durch die Bemerkung, daß den bei der Division der Jahreszahl durch
8 übrig bleibenden
Resten 12 3 4 5 6 7 0
die Jahre 3 4 5 6 7 8 12
entsprechen. 1224 : 8 = 153, Eest = 0, somit Ordnungszahl im
Zyklus = 2. Die Addition der Zykluszahl, welche zum gegebenen
Jahre gehört, zu den Zahlen aus Tafel I liefert nun die Wochentage
der einzelnen Monate, indem man diese aus Tafel III entnimmt; ist
die Summe aus Tafel II und I größer als 7, so hat man 7 abzuziehen.
Um letzteres zu ersparen, sind in Tafel III noch die Zahlen 8 — 14
angesetzt. Man erhält also den Wochentag des 1. Safer = 5 + 2 =
7 = seht = Sonnabend; den Wochentag des 1. Bebt 1 = 5 + 3 = 8:=
ahad = Sonntag u. s. f.
Die weiterfolgende Tafel IV enthält die 28 Jahre des Sonnen-
zirkels ^ Die erste dort stehende Zahl 4 bezieht sich auf das Jahr,
für welches der Bus-name den Anfang macht, nämlich 1224 Hidschra =
1809 n. Chr.; die zweite Zahl 5 gehört 1810 n. Chr. an, u. s. w. Um
die Wochentage, mit welchen die einzelnen Monate des türkischen
Sonnenjahres anfangen, zu ermitteln, hat man die Ausgangszahl 4
mit den Zahlen der Tafel V zu verbinden. So wird man für den
1. Hazlrdn die Summe 4 + 6 = 10 und mittelst letzterer Zahl aus
Tafel III den Wochentag salasa = Dienstag erhalten. Diese Wochen-
tage gelten natürlich nur bei Zugrundelegung der julianischen Rechnung.
Ich setze hier die aus den Tafeln IV, V und III sich so für das
Jahr 1224 Hid. ergebenden Wochentage der Monatsanfänge her, und
daneben, um den Beweis zu liefern, daß die Tage mit der julianischen
Rechnung stimmen, auch die nach Scheams Tafeln aus der Division
der julianischen Tage durch 7 folgenden Reste, welche den einzelnen
Wochentagen entsprechen (0 = Montag, 1 = Dienstag, 2 = Mittwoch,
3 = Donnerstag, 4 = Freitag, 5 = Sonnabend, 6 = Sonntag).
1) Der Wochentag der einzelnen Jahresanfänge verschiebt sich, wie späterhin
bei der julianischen Zeitrechnung zu erwähnen sein wird, weil das Jahr 52 Wochen
-\- 1 Tag und jedes vierte Jahr 52 Wochen -\- 2 Tage enthält, in der Weise, daß
erst nach je 28 Jahren wieder die Wochentage auf dieselben Monatstage fallen.
Dieser Zyklus ist der Sonnenzirkel.
§ 59. Bt'solir('il)iiug eines IJus-iiame
269
224 H. = I
809 n. dir
Monat-
Anfangstag
Julian.
Tageszahl
Reste
Entspr. Tag
I. Mart
I. März
2
= Montag
2381855
0
= Montag
Xissän
I. April
5
= Donnerstag
2381886
3
= Donnerstag
Mais
I. Mai
7
= Sonnabend
2381916
5
= Sonnabend
Hazirän
I. Juni
3
= Dienstag
2381947
1
= Dienstag
Temniuz
I. Juli
5
= Donnerstag
2381977
3
= Donnerstag
Agosto
I. Aug.
I
= Sonntag
2382008
6
= Sonntag
Eiläl
I. Sept.
4
= Mittwoch
2382039
2
= Mittwoch
TeschrinI
I. Okt.
6
= Freitag
2382069
4
= Freitag
V II
I. Nov.
2
= Montag
2382100
0
= Montag
Kid nun I
I. Dezb.
4
= Mittwoch
2382130
2
= Mittwoch
V II
I. Jan.
7
= Sonnabend
2382161
5
= Sonnabend
Schubät
I. Febr.
3
= Dienstag
2382192
I
= Dienstag
Die Tafel VI des Rus-name „Tafel der Jahre" enthält eine Keihe von
Kolumnen für die Jahre Hid. 1224 — 1309; die uns hier interessierenden
Kolumnen sind die ersten fünf:
1
2
3
4
5
Buchstabe u.
Mond-
Mondmonat,
Hidschra-
Wochentag
tvonkurrent des
Zyklus
in welchen der
Jahr
des 1. Mart
türk. Kai.
1. 3Iart fällt
alten Stils
4 D
2
26. Miiharr.
1224
]\[ontag
5 E
3
7. Safer
1225
Dienstag-
6 F
4
17. Safer
1226
Mittwoch
1 A
5
29. Safer
1227
Freitag-
2 B
6
11. Eeln I
u. s. w.
1228
Sonnabend
Kolumne 1 führt die Konkurrentes aus Tafel IV nochmals au. Das
Anfangsdatum des Hidschra- Jahres iu Kolumne 3 und 4 prüft sich
mit den ScHEAMSchen Tafeln; man erhält aus letztereren (mit Eück-
sicht auf die Unsicherheit in der zyklischen Rechnung der Türken)
für jene Daten immer den julianischen 1. März (1. Mart). Die
Kolumne 5, Anfangs -Wochentage des Hidschra- Jahres, ergibt sich,
wie vorhin bemerkt, aus der Verbindung des Mart Tafel V mit den
entsprechenden Konkurrentes der Tafel IV (oder der Kolumne 1):
1224 Hid. = 5 + 4 = 9 = Montag, 1225 Hid. = 5 -H 5 = 10 =
Dienstag, 1226 Hid. = 5 + 6 = 11 = Mittwoch, 1227 Hid. = 5 -{-
1 = 6 = Freitag, 1228 Hid. = 54-2 = 7 = Sonnabend, u. s. w.
Die Kolumne 2, Mondz5^klus. will die türkische „güldene Zahl"
liefern (analog der goldenen Zahl im julianischen Kalender, welche
die Tage der Neumonde während des 19 jährigen Mondzyklus durch
Ordnungszahlen bezeichnet). Mittelst der Zyklenzahlen des betreffenden
270
III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
Hiclschra- Jahres der Kolumne 2 geht man in eine weitere Tafel YII
ein imd erhält aus derselben das Monatsdatum der Neumonde, und
zAvar der sichtbar werdenden Sichel, mit welcher die arabisch-türkischen
Monate anfangen. Die Tafel enthält für die 19 Werte der „Zyklen-
zahl" die entsprechenden Monatstage durch die 12 Monate vom März
ab: ich setze nur die ersten 3 Zeilen der Tafel hier an:
Zvklenzahl
Zykleuzahl
Tafel VII.
1
2
3
März
17
6
25
April
15
4
23
Mai
14
3
22
Juni
13
2
21
Juli
12
1.31
20
1
2
3
September
10
29
18
Oktober
9
28
17
November
8
27
16
Dezember
7
26
15
Januar
(3
25
14
Februar
4
23
12
August 11 30 19
Da nach Tafel VI für 1224 Hidschra die Zyklenzahl 2 war, so finden
die betreffenden Neulichtmonde am 6. März , 4. April, 3. Mai u. s. w.
statt. Es wird von Interesse sein, diese Angaben des Bus-name
mittelst unserer astronomischen Tafeln zu prüfen. Ich gebe deshalb
die mittelst der ScHEAMSchen Tafel zur Berechnung der Mondphasen
(s. S. 53) ermittelten astronomischen Zeiten der Neumonde für den
Meridian von Konstantinopel (1^' 56™ westlich Greenwich) und die
daraus mit Zuschlag von etwa l^/a Tagen folgende Erscheinung der
Mondsichel :
1224 Hidschra = 1809 n. Chr.
Zeit Konstantinopel
Neulichl
; am
1809 3. März
l8,'o^
5.
März
Freitag
2. April
9,8
4.
April
Sonntag
2. Mai
1,4
4.
Mai
Dienstag
31. Mai
17,0
2.
Juni
Mittwoch
30. Juni
8,2
2.
Juli
Freitag
29. Juli
21,6
31.
Juli
Sonnabend
28. August
9,8
30.
August
Montag
26. September
21,4
28.
September
Dienstag
26. Oktober
7,9
28.
Oktober
Donnerstag
24. November
18,7
26.
November
Freitag
24, Dezember
5,5
26.
Dezember
Sonntag
1810 22. Januar
16,6
24.
Januar
Montag
21. Februar
3,6
23.
Februar
Mittwoch
Aus dem Bus-name folgen die Tage: 6. März, 4. April, 3. Mai, 2. Juni.
1. Juli, 31. Juli, 30. August, 29. September, 28. Oktober, 27. November,
i? 60. Die Feste der Moliamincdaner. 271
26. Dezember, 25. Januar, 23. Februar, somit in ^uter Übereinstimmung
mit der Rechnung. Mit den genannten Neulichttagen sollten die
Mondmonate eigentlich anfangen, der 1. Safer mit Freitag den
5, März, der 1. ReJn üJ-cwwd mit Sonntag den 4. April, der 1. Bchi
ül-cWür mit Dienstag den 4. Mai u. s. f. Berechnet man aber die
Wochentage des 1. Tages der Monate nach Tafel I, II, III, so findet
man hier und da Abweichungen von einem bis zwei Tagen. Die
Angaben des Bus-nnmc über die zyklisch ermittelten Neumonde können
also nur den Zweck haben, als ungefähre Orientierung zu dienen.
Von weiteren Tafeln und Angaben enthalten die Riis-name die den
Hi(hchra-^-A\\v^'ü parallelen Jahre der Seleukiden- und christlichen Ära,
den Wochentag des Jahranfanges der christlichen Jahre, eine die
Stunden der Neumonde liefernde Tafel, die Auf- und Untergänge der
Sonne, die Zeit für die Gebetstunden, die glücklichen und unglückliehen
Tage der Monate, welche an den sehr alten orientalischen Gebrauch
erinnern, u. dgl. mehr. Ich gehe auf diese für uns hier unwesentlichen
Tafeln nicht weiter ein, sondern verweise Interessenten auf die oben
a. a. 0. zitierte Beschreibung.
§ 60. Die Feste der Mohaminedaiier.
Die Mohammedaner haben zwei Hauptfeste. Das erste ist das
Fest der Beendigung des Fastens {kl el fitr), welches am Schlüsse des
Fastenmonats Bamadän, den 1. bis 3. Schawwal gefeiert wird. Bei
den persischen Mohammedanern und Türken heißt dieses Fest J^i
Bäiräm (gi'oßer Bairam). Das zweite Fest bildet den Schluß der
Pilgerfahrt, das Opferfest (id el nähr oder ul el l-urhän), bei den
Türken der kleine Bairam, vom 10. bis 13. Dlml-hidäsche.
Die Pilgerfahrt [hadsth) ist sehr alten, vorislamischen Ursprimgs.
In der heidnischen Zeit der Araber war es eine Art Versammlung,
bei welcher die einzelnen Stämme ihren Göttern (die meisten hatten
ihre besonderen Gottheiten) unter freiem Himmel Tieropfer brachten.
Im gegenseitigen Verhalten der Stämme bedeutete diese Zeit das
Enthalten vom Eaube, den Frieden. Hierdurch bekam späterhin der
Monat des hadsch, der Dlml-hiddsche , die Bedeutung eines heiligen
und Pilgerversammlungs-Monats. Der hadsch wurde gemeinsam gefeiert;
das Schlachten von Opfertieren bildete eine notwendige Bedingung
zui' Heiligung des Festes. Man unterschied deshalb den hadsch von
den omra, welche nur gelegentliche Pilgerfahrten einzelner vorstellen,
und zwar ohne Opferschlachtungen.
Die großen Fasten im Bamadän hat Mohammed eingeführt, als
er die Fasten der arabischen Juden und Christen kennen lernte.
Vorbilder waren ihm der läpiir (Versöhnungstag) der Juden und die
272 III. Kapitel. Zeitrechnniig der Mohammedaner.
ic^uadragesima der Christen. Nach einig-en Abänderungen in der Wahl
der Fastenzeit machte er (vermutlicli im 4. Jahre der Flucht) den
Monat RamaiUm zum Fastenmonate \
Bei den beiden vorg-enannten religiösen Festen befolgen die
Mohammedaner allgemein den Gebrauch, sich nur nach der sichtbar-
werdenden Mondsichel zu richten: wie der erste Tag des Dhul-h'uldsehc
durch die Mondsichel angezeigt wird, so gibt der Tag, wo der Ramada)i-
Neumond bei Sonnenuntergang als Sichel wahrnehmbar erscheint, das
Zeichen zum Beginn des Fastenmonats. Weder die Takwim noch die
Bus-name sind mit ihren Angaben bestimmend, sondern nur die faktische
Beobachtung. In der Türkei beispielsweise wird die Beobachtung des
Himmels schon zwei Monate vor dem Ramadan angefangen, um für
den Fall trüber Witterung den Tag voraus angeben zu können. Die
Leute begeben sich bereits am 27. Dschnnds^ ül dWir auf Anhöhen
vor den Städten, um zu sehen, ob der Neumond des Redscheh sicht-
bar wird. Sobald man die Sichel konstatiert hat, eilt man zum
MehUeme d. h. zum Ortsrichter (Kadi), welcher die Pflicht hat, die
Aussagen der Beobachter aufzunehmen und das Protokoll, Ilam ge-
nannt, dem Stamhol Efendisi (Polizeipräfekten der Hauptstadt) zu
übermitteln. Ebenso geht man mit der Konstatierung der Mondsichel
vor Eintritt des Schahdn vor. Der Stamhol Efendisi zählt, ohne auf
irgendwelche zyklische oder astronomische Eechnung der Kalender
Eücksicht zu nehmen, 30 Tage vom Tage der Sichel des Schahdn
vorwärts und setzt den sich so ergebenden Tag als Beginn des
Ramadan fest. Sobald am Ramaddn-Tage der Sonnenuntergang ein-
getreten ist, wird der Anfang der großen Fasten dem Volke durch
Kanonenschüsse und Beleuchtung der Minarets kundgegeben. Die-
selben Beobachtungen regeln auch am Ende des Ramadan das große
^rt)>Y?w-Fest. Die Notwendigkeit, bei der Reduktion türkischer (und
überhaupt mohammedanischer) Daten auf andere Zeitrechnungen auch
auf den Wochentag des Datums Rücksicht zu nehmen (s. S. 260),
tritt also deutlich infolge der Schwankungen des Volkskalenders schon
bei Datierungen aus den Festzeiten hervor.
Die sonstigen Feste, welche die Mohammedaner beobachten, sind
zum Teil nur zeremonielle Tage oder Erinnerungstage, doch werden
hier und da mehrere derselben mit Pomp begangen. Die liaupt-
1) Koran, Sure II 181, 193: „Ihr Gläubigen, auch eine Fastenzeit ist Euch
wie Euren Vorfahren vorgeschrieben, damit Ihr gottesfürchtig seid. Eine bestimmte
Zahl von Tagen sollt Ihr fasten Jetzt ist es der Monat Bamadän, in
•welchem Gott den Koran geoft'enbart hat als Leitung für die Menschen und als
Lehre zum Guten, der von jenen, so da gegenwärtig sind, gefastet werde; wer aber
krank oder auf Reisen ist, der faste zu einer anderen Zeit eine Anzahl Tage, denn
Gott will es Euch leicht und nicht schwer machen."
§ 61. Litenitiir. 273
säclilichsten Tage sind fulgende; einige sind naoli ALuiüiNi hinzu-
gesetzt :
1. Moluirrcm, Neujahr.
10. Molmrrem. AHchura. Todestag des Märtyrers Hussein.
12. Bi'ln el awwel. Mcuhid d. i. Geburt Mohammeds.
13. Rein el awwel. Gedächtnis des Todes Mohammeds.
3. Rein el äJchir. Brand der Kaaba.
8. Dsc/inwadä el üld. Alis Geburtstag.
15. Dsfluimädü el üld. Alis Todestag.
20. Dschumddä el üld. Eroberung Konstantinopels (1453 n. Chr.),
2. Dschumddd el dl-lilra. Tod Abu-Bekrs.
1. Rcdscheh. Ütsch Ailar.
4. Redscheh. Nacht der Herrlichkeiten, Lailet el regha'ib.
26. (29.) Redscheh. Nacht der Himmelfahrt, Lailet el mirddsch'^.
3. Schahdu. Geburtstag Husseins.
15. Schahdn. Lailet d herdt (Berät-Nsicht; Prüfung der guten und
schlechten Taten).
16. Schahdn. Mekka wird zur Kaaba gemacht.
1. Ramaddn. Beginn des Fastenmonats.
10. Ramaddn. Tod der Khadldscha.
19. Ramaddn. Eroberung von Mekka.
27. (23.) Ramaddn. Lailet el l-adar. Nacht der Allmacht^
1. 2. 3. Schawwdl. Fastenende. Großer Ba'irdm.
5. Dhul-l-ade. Herabsendung der Kaaba.
10. Dhul-h'iddsche. Opfertag. i Ydi azha oder
11. Tag des Aufenthalts in Mind. kleiner Bdirdm
12. Tag der Entfernung aus dem heiligen Bezirke. J {Kurhdn Bdirdm)
13. — Die 3 Tage vom IL— 13. heißen auch T^y^•f■^^;Ä•-Tage.
§ 61. Literatur-,
Caussin de Perceval, Essay sur l'histoire des Arabes acant l'islamismc (Jour-
nal asiatique 1843). — Sprenger, Üb. den Kalender der Araber vor Mohammed
(Zeitschr. d. deutsch, morg. Ges. XIII, 1859, S. 134); vgl. dessen Leben und Lehre des
Mohammed 111,1865, S. 531 ff. — J. Wellhausen, Beste arabischen Heidentums,
"2. Ausg., Berlin 1897; vgl. dessen Muhammed in Medina d. i. Vakidi's Kitab al
Maghazi, Berlin 1882, S. 17. — H. Winckler, Zur altarabischen Zeitrechnung.
1) Über den Tag dieser beiden Feste bestehen bei den mohammedanischen
ülemas Meinungsverschiedenheiten.
2) Vgl. außerdem die Literaturangaben in den Anmerkungen.
Ginzel, Chronologie I. 18
274 III. Kapitel. Zeitrechnung der Mohammedaner.
Himmel, Kalender und Mythus (Altorientalische Forschungen, 2. Reihe, Bd. II,
Heft 3, S. 324 u. 354); Arahisch-Semitisch-Orientalisch {Mitteilungen der Vorder-
asiat. Gesellsch. VI, 1901). — F. Hommel, Der Gestirndienst d. alten Araber u. die
israel. Überlieferung, München 1901 [Moudkultus]; vgl. dessen Aufsätze u. Abhand-
lungen II, München 1900, S. 1-54 — 160. — Mahmoud Effendi, Memoire sur le ca-
lendrier arabe avant l'Islamisme (Mem. des savants etrangers de l'Acad. roy. de
Belgique, T. XXX, 1861). — The chronologi/ of ancient nations of Albtritm, edit.
by E. Sachau, London 1879, S. 35, 39, 73, 74, 321, 327. — Gutschmid, Kleinere
Schriften II, 1890, S. 415, 513, 757.
Tafeln.
CuNNiNGHAM, Book of indiau eras, Calcutta 1883 (Taf. XV u. XVI, Ver-
gleichung der Hidschra-Jahre 1 bis 1440 mit der cbristl. Aera). — F. Wüsten-
feld, Vergleichungstabellen der muh. u. christl. Zeitrechnung, Leipzig 1854 (bis
1300 Hidschra; fortgesetzt von E. Mahler bis 1500 Hidschra; desgleichen E. Mahler
in seinen Chronol. Ver gl. -Tab eilen, S. 144 — 173 von 1 bis 1500 Hid.). — A. M. Loredo,
Bajiports entre les dates du calendrier miisulman et Celles des calendriers Julien et
gregorien, Tanger 1887 (bis 1500 Hidschra). In letzteren beiden Werken für jeden
Anfangstag der moham. Monate das christliche Datum (von 1582 n. Chr. ab nach
dem gregor. Kalender). — Mas-Latrie, Tresor de Chronologie, Paris 1889 (darin
die WüsTENFELDschen Tabellen bis 1260 Hidschra).
IV. Kapitel.
Zeitrechnung der Perser.
§ 62, A^orbeni erkling.
Die mohammedanische Zeitrechnung-, von Avelcher wir im vorlier-
g-ehenden Kapitel handelten, ist geg-enwärtig- auch über Persien ver-
breitet. Die Perser besaßen aber vor dem Untergange der Sassa-
niden (7. Jahrh. n. Chr.) eine selbständige Zeitrechnung, welche in
ihren Anfängen weit ins Altertum zurückreicht und mehrfache Wand-
lungen erfahren hat. Diese Zeitrechnung erhielt nach dem letzten
Sassanidenkönige 632 n. Chr. eine Ära und wurde durch Dscheläleddhi
Melil' Schah 1079 n. Chr. weiter umgestaltet. AVir werden also im
folgenden von einer altpersischen Zeitrechnung und einer neupersischen
zu reden haben. Da aber die Entwickelung der neupersischeu ganz
mit der Beschaffenheit der altpersischen verknüpft ist, so werden beide
Zeitrechnungen hier nicht getrennt, wie etwa die altindische oder die
altarabische von den späteren Formen, sondern mit Rücksichtnahme
auf jene Entwickelung behandelt werden.
§ 63. Die ältesten Namen der Monate (Inschrift von Behistan).
Die ältesten bisher bekannt gewordenen Monatsnamen des alt-
persischen Jahres finden sich in der gToßen dreisprachigen Inschrift
auf dem Felsen von Behistan (Baghastän^, Bisutünj, etwa 5 Meilen
östlich von Kii-manschah an der medischen Grenze. Der untere Teil
des etwa 500 m hohen, steilen Felsen zeigt in 100 m Höhe in einer
Vertiefung eingemeißelte Reliefs: der König Darius H3^staspes tritt
auf einen niedergeAvorfenen Empörer, hinter dem letzteren kommen
neun weitere Empörer, die Hände auf dem Rücken gebunden und mit
1) Bagistanon (Götterplatz) bei Ktesias.
18*
276
IV. Kapitel. Zeitrechnung- der Perser.
einem langen Seil um ihre Hälse ^ Den Darstellungen sind eine große
Inschrift und mehrere kleinere beigegeben. Darius erzählt darin, wie
er die 10 aufständischen Usurpatoren, deren Namen genannt werden,
und welche in den Provinzen des Reichs die Herrschaft an sich zu
reißen versucht hätten, mit Hilfe Auramazdas besiegt habe. Dann
werden die Gegenden und die Monate angegeben, wo die »Schlachten
gegen die Empörer stattfanden. Die Besiegung der Empörer vollzog
sich, mit mehreren Unterbrechungen, etwa 522 bis 514 v. Chr. (Es
sind in der Inschrift nur Monate und Tage, nicht aber die Regierungs-
jahre angegeben.) In der dreisprachigen Inschrift (persisch-skythisch-
babylonisch) sind noch neun Monatsnamen erkennbar, die jedoch nicht
alle in jedem der drei Texte konstatiert werden können, da einzelne
Stellen zerstört sind: Viyachna. Garmapada, Bdgayddi, Ätriyddija,
Änämala, Tharavähara, T/migraci, ÄdiiJcani, Margazana. Die Identi-
fizierung dieser Monate mit den entsprechenden babylonischen haben
Rawlinson, J. Oppert, Unger, Justi, Prasek versucht. Nach diesen
Autoren wäre die Aufeinanderfolge der altpersischen Monate die
nachstehende :
Babylonische
Monate
Nisannu
Airu
Siviannu
Düzu
Abu
Ulidu
Tisrltu
Arahsamna
Kislimii
Tebitu
Sabätu
Adäru
Rawlinson
Bägayädi
Thuraväliara
Thaigraci
Adukani
Garmapada
Opfert '^
Ungeb
Justi
Garmapada Thuraväliara Thuravähara
Thuraväliara Thaigraci Thaigraci
Thaigraci Adukani Adukani
Margazana
Garmapada Garmapada
Prasek
Thuravähara
Thaigraci
Garmapada
Margazana
Atriyädija
Anämaka
Bägayädi Bägayädi Bägayädi Bägayädi
Viyachna
Adukani
Atriyädija
Anämaka
Margazana
Viyachna
Atriyädija
Anämaka
Viyachna
Atriyädija
Anämaka
Margazana
Viyachna
Adukani
Atriyädija
Anämaka
Margazana
Viyachna
Übereinstimmung in der Identifizierung besteht danach bei den Monaten
Atriyädija = Kislimu, Viyachna = Adäru und Anämaka = Tebitu;
einiger Zweifel ist, ob Thurarähara = Airii und Thaigraci = Simannu;
die übrigen 4 Monate der Inschrift bleiben zweifelhaft. Man bemerkt
auch aus der vorstehenden Zusammenstellung, daß der Monat Thura-
vähara an die Spitze des Jahres, d. h. dem Nisannu gleichgestellt
oder wenigstens als der zweite Monat betrachtet wird. Dieser Monat
würde also dem Frühjahrsmonat entsprechen. Ich setze noch die
1) Weissbach u. W. Ban«, Die altpersischen Keilschriften I, S. 13. —
Abbildungen des Felsen s. bei Porter, Travels II 150; Flandin et Coste, voyage
I, pl. 16; Kossüwicz, Inscript. Archetypa.
2) Oppekts zweites System {Verhandl. d. 8. Orient. -Kongresses, 1893).
ij 64. Die alt- und neupersischen Monatsnamen. 277
Erklärung- der Monatsnamen liierher, welche Jlsti gibt, obwohl diese
vielleicht nicht allgemein angenommen wird:
1. Thuravähara, „den hehren Frühling habend" ist der Frühlings-
monat.
2. Thaigraci, nach Floigl {Ci/rus u. HerocJot, Lpz. 1881, S. 79)
der „Monat des Knoblauchsammeins" (April-Mai).
3. Adukan'i, der „Monat der Kanalgrabenden", der Monat der
Bewässerung (Mai-Juni).
4. (fehlt).
5. Garmapadu , „der Wärmestand", entspr. Abu, dem Monat des
Feuergottes (s. Zeitrechn. d. Babyl.. S. 118) (Juli).
6. (fehlt)^
7. Buqayääl, der Monat der Verehrung der Baghas^.
8. (feiilt).
9. Atnyadija, Monat der Feuerverehrung (November -Dezember).
10. Andmaka, der ..Monat des Namenlosen" d. h. des höchsten
Wesens.
11. Margazana, „das Wiesengras hervorbringend", für Susiana der
Monat der Wiesenpflanzen (Januar).
12. Yigachna, der eisfreie Taumonat (Februar).
§ 64. Die alt- und nenpersischeii Monatsnamen.
Die neupersischen Namen haben sich aus den altbaktrischen. den
Zendformen, entwickelt. Die altpersischen Monatsnamen w^erden durch
Namen von höheren Wesen (größtenteils der Yazatas=Ized) dargestellt.
Die Zend-Namen erscheinen in den heiligen Schriften der Perser. Da
die Abfassungszeit des Avesta (sie ist nur hypothetisch bestimmbar)
ziemlich weit ins Altertum zurückreicht, so sind die Namen von be-
trächtlichem Alter. Im Buudehesch , welcher erheblich jüngeren
Ursprungs und im Pehlewi geschrieben ist, werden die Monatsnamen
folgendermaßen angeführt: „Der günstige Fravardm, der Ardwvaliist
und Honadad sind Frühling, T'ir, Amerodad und Shatvarrö sind
Sommer ; der Monat Mltro, der Avän und der Atard sind Herbst, der
Monat Dm, Vohäman und Spendarmad sind Winter" {Bundehesch
XXY, 20). Die folgende Vergleichung gibt die Zend-, die Pehlewi-
und die neupersischen Namen der Monate:
1) Baghas sind göttliche geistige Wesen im allgemeinen. Auramazda ist der
höchste, weiseste Beherrscher der Geister.
278
TV. Kapitel. Zeitrecliniing der Perser.
Zend
1. Fravashinum
2. ÄshaM vahistahe
3. Haurvatäfo
4. Tistijehe
5. A^nerotäto
6. Ksludhrahe vairjeM
7. Mitrahe
8. Apäm
9. Äthro
10. Dathushö
11. Vanheus mananho
12. Spentajäo ärmatois
Pehlewi
Frarardino
Ärdarahist
Horvadad
Tir
Amerudad
Shatvatro
Mltro
Avän
Ataro
Dm 6
Vohäman
Spendarmad
Neupersisch
Fcrvcrdhi
ArdehcliCf<Jit
Khordäd
Trr
Mordäd
Sharir {Shahnvar)
Mihr (Mehr)
Ähän
Ader (Adser)
Del {Dae)
Balimen (Behmen)
Asfendärmed
Die Zendnameii (und die, wie man sieht, von ilmen abgeleiteten
Pelilewi- und neupersisclien Namen) erklären sich durch die Patrone
und Schutzgottheiten, die den Monaten vorgestanden haben; wie wir
gesehen haben, hatten die Ägypter ebenfalls Patrone für ihre Monate,
und die Namen der letzteren lassen sich größernteils aus den Namen
der Gottheiten ableiten.
Die Bedeutung der Monatsnamen gebe ich nach den Erklärungen
des Parsengelehrten Mehekjlbhai Noshekwanji Kuka ' , mit welchen
übrigens die schon von Benfey und Steen- gegebenen Definitionen
im wesentlichen übereinstimmen:
Ferverdm hat seinen Namen von den Frarnshl , den Seelen
(Geistern) der Verstorbenen, welche während der 5 Epagomenen, die
dem Monat Ferverdm vorangehen, und an den ersten 5 Tagen dieses
Monats wieder zur Erde niedersteigen. (Darum werden die Fravashi
auch als Sterne aufgefaßt.) Der Monat war sonach den Vorfahren,
dem Andenken an die Toten gewidmet.
Ardehehesht ist der Name des zweiten Ameshaspenta^, nämlich
Asha-vahista , welcher als der Herr der Feuer, der Hitze galt. In
den ^rt/i- Gebeten wird er öfters bei dem Tagesabschnitt rapithwina,
welcher den Tagesteil der größten Hitze bezeichnete (s. S. 288), an-
gerufen. Demnach muß Ardehehesht wohl den heißesten Monat des
1) An enquiry into the Order of the Farsee Months and the hasis of their
novienclahire. (The K. K. Cama Mevior. Vol., p. 54. Titel dieses Werkes s. sub
Literatur am Schluß dieses Kapitels.)
2) Üb. die Monatsnamen einiger alten Völker, inshes. der Ferser, Kappadolcier,
Juden u. Syrer, Berlin 1836, S. 76—115.
3) Die Ameshaspenta (= unsterbliche Heiligen) sind die oberste Klasse der
Genien, sie stehen Auramazda am nächsten ; es sind sechs (mit Auramazda sieben) :
Vohnvianv, Asha-vahista, Kshathra vairya, Spenta-imnaiti, , Haurvatät, Ameretät.
Anrufungen derselben kommen sehr oft vor (z.B. Yasht XY 111 das Khorda-Avesta).
i? G4. Dil' iilt- und iifupcrsisclicn .Monatsnuineii. 279
Jahres vorgestellt haben. Der ihm vorangehende Ferverdin müßte
dann um oder vor die Zeit des Sommersolstiz gefallen sein. Der
Ärdt'hehesht scheint dem 5. IMonat der Behistfiu-ln^dirHi, Garmapada,
zu entspreclien.
Khordäd, Dieser Monat ist nach Haurvatät, Herr der Gewässer
und A\^olken. dem 5. Ämes/taspenta, benannt. Er soll also den Über-
gangsmonat vor der Regenzeit vorstellen.
Tir (Ti<!hf)-'uj(() knüpft seinen Namen an den Sirius (Tlstrija).
Im Herbst, wenn der Sirius anfängt die ganze Nacht sichtbar zu
bleiben, trat in Baktrien die Regenzeit ein; deshalb sah man in
dem Sirius den Regenbringer. Ttr bezieht sich danach auf den
Herbstbeginn.
Mordäd {Amerdäd) führt den Namen des letzten der Ameshaspenta,
Ämeretät, des Herrn der Bäume und Früchte, des Schützers des
Wachstums überhaupt. Er folgt auf den regenreichen Tir, ist also
der Monat der auflebenden Vegetation.
Sharir (Shahrwar) ist nach dem Kshathra vairya, Genius der
Metalle, dem 3. Ä^neshaspmfa , benannt. Da dieser letztere Genius
nicht bloß als Herr der Metalle, sondern im weitern Sinne auch als der
Beförderer des Wohlstandes, der Schätze, als Befriediger aller Wünsche
galt, so deutet die Benennung des Monats nach ihm auf den Monat
des Einsammelns der Ernte, welche den Besitzern Geld und Gut
brachte. Hierzu würde der vorhergehende fruchtbare Monat Amerdäd
stimmen.
Jl'üir {M'ttrö). Der Lichtgott MUlira (= Tageslicht, Sonne), einer
der göttlichen Ized, war Gegenstand des auch außerhalb Persiens weit-
verbreiteten Mithrakultus. Bei den Anrufungen der Tagesabschnitte
{gäh) wird Mithra nur für die Zeit lu?irani, d. i. die Zeit des frühen
Morgens (s. S. 288) angerufen. Die Stellung des Monats als erster
Wintermonat, welche er in der Reihenfolge der Monate einnehmen
müßte, würde jener Bedeutung nicht widersprechen, da nach dem
Wintersolstiz das Tageslicht anfängt wieder zu wachsen,
Ahän hat Zusammenhang mit dem Ized der Flüsse und Gewässer.
Der Beiname der Göttin, Ardavisüra, wurde auch für den Oxusfluß
gebraucht.
Ader {Ataro) steht mit dem Ized des Feuers, Atar , in Ver-
bindung. Der Name soll wohl andeuten, daß man in diesem Monate,
dem 3. Wintermonate, sich genötigt sah, die Wohnungen durch das
Feuer zu erwärmen.
Dae (I)mö) resp. Dathuf^hö hat den Namen von dem Beinamen
Auramazds, Dathusho = Geber, Gesetzgeber, Schöpfer. Der Monat
bezeichnet die Frühlingszeit, in welcher der Natur ihre Verjüngung
280 IV. Kapitel. Zeitrechnung der Perser.
zurückgegeben wird; er entspricht vielleicht dem Bfigayndi der
Beh i.9f rt w-Inschrif t.
Bahnen (Behmen) ist nach dem 1. Ämeshnsjxmfa , dem guten
Ized, dem Beschützer der Lebenden, des Viehs und der Herden,
Vohummid, benannt. Er ist der „milchreiche'' Monat (mit Beziehung
auf die Herden) und stellt den zweiten Frühlingsmonat vor. Viel-
leicht korrespondent mit dem Monat Thuravähara der Bekistfm-
Inschrift.
Asfendärmcd leitet sich ab von Spenta-a rmalt] , dem 4. Amesha-
spenta, Gebieterin der Mutter Erde, der Ackerfluren. Der Monat be-
zeichnet die Zeit des Wachstums der Feldfrüchte.
Würde man sich nur auf die Bedeutung der eben aufgeführten
Monatsnamen stützen, so würde Dae den Beginn des Frühlings,
Ferverdtn den des Sommers und Tw den Anfang des Herbstes 1)e-
zeichnen, und da Ferverdm immer an der Spitze des Jahres erscheint,
müßte man annehmen, daß das Jahr mit dem Sommer begonnen worden
sei. Allein die Monatsnamen sind erst im Laufe der Zeit allmählich
entstanden, mit den Wanderungen der iranischen Stämme nach dem
Süden, entsprechend den klimatischen Abstufungen der Länder;
Ferverdm, Tir und Mitro sind vielleicht die ältesten dieser Namen;
die übrigen wurden später eingeschoben. Ferner scheint der Jahres-
anfang schon in der alten Zeit kein einheitlicher gewesen zu sein,
sondern dürfte mit jenen Wanderungen gewechselt haben, wozu das
ausgebreitete Sektenwesen der Zoroaster-Bekenner das seinige beitrug;
während die einen das Jahr mit dem Sommersolstiz anfingen, begannen
andere ihr Jahr mit dem Frühlingsäquinoktium. Spuren dieser
Wandlungen sind in der alten Parsenliteratur noch sichtbar. Die
vorher (S. 277) zitierte Stelle aus dem der jüngeren Zeit angehörenden
Bundehesdi zeigt z. B., daß dort der Frühling mit dem Ferverdm an-
fängt, also der Jahresanfang nicht zu der obigen Bedeutung dieses
Monats als Sommer stimmt.
§ 65. Die Monatstage, Jahreszeiten und die Oalianbsir.
Bei der Zeitrechnung der Ägypter hatte ich Gelegenheit zu l)e-
merken, daß bei denselben eine besondere Benennung der HO Tage
des Monats mit Zugrundelegung irgend einer mythologischen Basis
auftritt (s. S. 167). Eine ähnliche Bezeichnung der einzelnen Monats-
tage und zwar ebenfalls nach Genien findet sich bei den Persern. Im
Bundehesch (XXVII 24) heißt es: „Jede Blume ist zugeeignet einem
der Engel, wie der weiße Jasmin dem Yohaman, die Myrtlie dem
§ 65. Die Moiiatstjigc. Jalircszeitcn und die (jl!iliaiil)i'ir.
281
Auramazxi\ das Mauseolir dem Ärdara/iis/if. . .- Die 30 Namen,
die angeg:eben werden, sind die Namen der :30 Monatstage. Ich
setze diese (Pehlewi-) Namen liier an und daneben die entsprechenden
Zendnamen :
Zend
Pehlewi
Zend
Pehlewi
1. AlmraM mazdäo
A uharmazd
16.
Mithrahe
Mitro
2. Vanhcus mananho
Vohtiman
17.
Sraoshahe
Srösh
3. Ashahe vahistahc
Ardavahisht
18.
Rashnaos
Hashnd
4. Kshathrahc vairjeh
(} Shatvairö
19.
Fravashinäm
Fravardin
5. Spcntajäo urmatois
Spendarmad
20.
Verethraghnahe
Vähräm
6. Uaurvatätö
Uorvadad
21.
Rämanö
Räm
7. Ameretätö
Atnerudad
22.
Vätahe
Väd
8. Dathusho
Din-ipavanAtarö
23.
Dathusho
Din-i pavan
Dino
9. Äthrö
Atarö
24.
Dacnajäo
Dino
10. Apam
Avän
25.
Ashöis
Ard
11. Hvarekshactahe
Khürshcd
26.
Arstätö
Äshtäd
12. Mdonhö
Mäh
27.
Asmano
Äsmdn
13. Tistrjchc
Tu
28.
Zemo
Zamjäd
14. Gens
Gösh
29.
Mathrahe spentah
e Märspend
15. Dathusho
Din-ipavan Mitrö
30.
Anughrandm
Anirän
Aus der Vergieicliung' dieser Namen mit den früher angeführten Monats-
namen erhellt, daß die letzteren auch unter den 30 Monatstagen vor-
kommen; um Verwechslungen vorzubeugen, wird bei der Datierung
entweder neben dem Monatstage zugleich der betreffende Monat ge-
nannt, z. B. der Tag Khür des Monats Tu- d. h. der 11. des 4. Monats,
oder man unterscheidet den Monat durch den Zusatz »U mäh (Monat)
von dem gleichnamigen Tage durch 3». rüz (Tag). Spendarmad-mäh
heißt der 12. Monat des Jahres, Spendarmad -rüz der 5. Monatstag.
Der dreimal sich wiederholende Tag Dathusho {== Dino) wird durch
die Zusammensetzungen Dvn-'i paran Atarö {Dhi, auf welchen Atarö
folgt), Dhi-\ paran Mitrö {Dm mit folgendem Mitrö) und Dhi-i paran
Dmö {Dhi mit folgendem Dhiö) unterschieden.
Man erkennt aus der Reihe der Monatstage eine Vier -Teilung
des Monats: das dreimalige Auftreten des Dathusho (der gleichnamige
Monat Avar dem Ormuzd geweiht) bewirkt eine solche. Die beiden
ersten Teile des Monats vom 1. — 7. Monatstag und vom 8. — 14. Tag
haben jeder 7 Tage, die beiden andern Teile vom 15.— 22. und vom
23. — 30. haben jeder 8 Tage. Hierdurch zerfällt jeder ]\Ionat in vier
ungleich lange Teile, die man entfernt mit unseren AVochen vergleichen
Jvann. Bemerkenswert ist die Anordnung der Tage in diesen Abteilungen.
Der erste Tag jeder Abteilung (der'l., 8., 15., 23. Tag) gehört dem
höchsten Genius Aüharmazd = Ormuzd = Dathusho. Die erste Woche
1) Atiramazd steht hier als zweiter Tag, ist aber sonst immer der erste.
282 IV. Kapitel. Zeitrechnung der Perser.
wird von den 6 Ameshaspentas (s. S. 278, Anmerkung 3), Yohumano,
Ardavahishta , Kshathra ra'irya ^ Spenta armniti, Haurvatät und
Ameretdt eingenommen. In der 2. Woche sind die Genien Ataro, Armi.
Kliür, Müh, Th- (Sirius^) und Gosh untergebracht, von welchen 3
ebenfalls, wie die Ameshaxpentas , Monaten vorstehen-. Von den 12
Monatsgenien regieren also 10 die ersten beiden Wochen, so daß für
die anderen beiden Wochen nur 2 Monatsgenien, Fravardino und
2Iifrd, übrig sind, und diese werden in der 3. Woche eingeschoben.
Die übrigen Tage sind mit Genien niederen Ranges besetzt, so daß
die ganze Anordnung eine Art Abstufung nach dem Eange der Genien
darstellt. Eine tiefere Bedeutung gewinnt dieses System durch die
Bemerkung von E. J. Ü. Nadeeshah, daß die Genien der zweiten
Woche als die 7 Planeten aufgefaßt werden müssen'^, und daß die
ganze Eeihe eigentlich nur aus 21 Izeäs besteht, da Dathuso dreimal
eingeschoben wird, lediglich um die Zahl von 30 Namen zu erreichen.
Nach dem genannten Autor hätten wir in der 27 gliedrigen Eeihe die
27 altbaktrischen Mondstationen vor uns.
Ich gehe nun zu den Jahreszeiten der Perser über. Späteren
Erklärungen vorgreifend ist aber zu erwähnen, daß das Parsijahr
(altpersische Jahr) aus 3G5 Tagen, und zwar 12 Monaten zu je
30 Tagen und 5 Epagomenen bestand; die letzteren hatten früher
ihre Stelle hinter dem achten Monat, dem Ähän {Ävän\ wurden aber
1) Die Anführer der Sternbilder sind nach dem Bimdehesch II 5: Tistar (im
Zend Tistrja) der Führer des Ostens = Sirius, Sataves (resp. Satavaesa) der Führer
des Westens = Antares (V), Vanand (Vanant) der Führer des Südens = Fomal-
haut(?), und Haptoknng (Haptoiringa) der Führer des Nordens = großer Bär.
Vom Sirius erwartete der Parse den Regen, da der Stern auf seinem himmlischen
Wege aus den Wolken das Wasser in sich aufnehme. — Anpreisungen des Sterns
Tistrja kommen in den heiligen Schriften oft vor, z. B. in den Yashts (Lobgebeten
für bestimmte Tage und Zeiten) des Khorda-Avesta (s. XXIV Tistar-yasld).
2) Die ersten 16 Namen der 30 Monatstage finden sich oben durch einige
Beischreibungen erklärt. Für die übrigen folgen hier die ungefähren Bedeutungen
nach F. Spiegel, soweit sie durch bloße Schlagworte definiert werden können. Die
Namen gehören durchweg den Yasatas (späteren Ized) an, den Genien zweiten
Ranges : Sraosha (der Wachsame, Schützende) ; Bashnaos (der Überallseiende) [diese
beiden bilden mit dem Lichtgotte Mithra bei den späteren Parsen die Richter
über die Menschenseelen]; Fravcishi (die abgeschiedenen Seelen, die Sterne); Vere-
tliraglinahc [Behräm] (der Sieghafte); Bäman (die Luft); Väta (der Wind); Daena
oder Din (das gute mazdayasnische Gesetz); Ashöis (die Segnende, Beschützerin
der Ehe); Arstät (die Richtigkeit) meist in Verbindung mit Bashnaos-^ Asmano
(der Himmel); Zemö (?) : Mathraspenta (die heilige Schrift); Anaghra raosäo
(das anfanglose unendliche Licht). Ausführliches üb. die Yasatas, s. Fr. Spiegel,
Avesta, Die heilig. Schriften der Färsen, Leipz., III, Einleitg. XIII— XXXVIII.
3) In der zweiten Woche bedeuten nämlich: Dathushö (Auharmazd) = Ju-
piter, Ätara = Mars, Avun = Venus, Khürshed = Sonne, Mäh = Mond, Tir ==
Merkur, Gösh (Geus) = Saturn. The Zoroastrian months and years with their di-
visions in the Avestaic age. {The K. B. Cama Mernor. Vol. p. 250).
i^ 65. Die Monatstagc. Jaliroszeitcii und die Gahanbar. 283
nach der Reform der Zeitreclmimg dem 12. Monat Asfcmlärmcd
{Spi-ndarmad) ang-ehängt. — In der ältesten zoroastrischen Zeit scheint
man noch nicht mehrerlei Jahreszeiten unterschieden zu haben, da in
den Schriften öfters nur von Sommer- und Wintermonaten die Hede
ist, also nur zwischen kalter und warmer Jahreszeit unterschieden
wurde. In der früher zitierten Stelle des Bimde/irsch werden vier
Jahreszeiten genannt. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß es
schon in alter Zeit (wie z. B. in den Lobgebeten. den Afrhirjdn
deutlich sichtbar ist) sechs Jahresabschnitte gab. Es wurden nämlich
von alters her in Persien am Schlüsse gewisser Jahresteile mehrtägige
Feste gefeiert, die unter dem Namen der Gahnnlx'ir (Festzeiten) be-
kannt sind. (Anrufungen dieser Gahanliar kommen häuflg vor, z. B.
im Yispered I, II.) ^ R Eoth hat schon darauf aufmerksam gemacht,
daß die Bedeutung der 6 Gahanhdr nicht Festzeiten, sondern Jahres-
zeiten resp. eine Feier beim Wechsel der Jahreszeiten gewesen ist.
Die Namen der Gahanhdr sind folgende: 1. Maklhyozaremya = „]\Iitte
des Grünens", bezeichnet das Frühjahr (Mitte des Frühlings); heißt
auch die saftige, milchreiche Zeit. 2. Maidhi/cjshema == ..Mitte der
Hitze", die Zeit, welche in die Mitte der heißen Periode (Sommer)
fällt; das Fest definiert den Mitte-Sommer-Tag. 3. Paiüslialiya (von
XJü'iü, scheinen, erscheinen, hahya, Korn, Frucht) = die das Getreide
herbeiführende Zeit der Ernte, der Fruchtreife, des Kornschnittes,
4. Ayäthrema (von aya, gehend, dtar Hitze, Wärme) = die Zeit des
Zurückgehens der Hitze; auch die „Zeit der Heimkehr*' d. h. des
Viehs von den Weideplätzen, die windige. Stürme bringende Zeit.
5. Maidhyälrja (von maidhya, ]\Iitte, yahja, Jahr, Jahrteil) = ,.die
Mitte des Jahres*'; auch die kalte frostige Zeit. 6. Hamaspatkmaedya,
vermutlich- die ..Zeit der Sammlung. Stärkung, der Kraft", d.h. die
Zeit der Zurüstung für die Feldarbeiten des Frühjahrs ; oder die Zeit,
wenn die Opferfeste beendigt waren {hamaspat, endigen, vollständig
sein, niaedya, die Opferfeste). AVahrscheinlich war dieses Gahanhdr
mit Tieropfern verbunden.
Die 6 Jahresabschnitte sind, wie schon bemerkt, anfänglich nicht
alle unterschieden Avorden. Es scheint, daß die Parsen ursprünglich
nur Maidhydirja (Mitte -Winter) und Maidhyöshema (Mitte -Sommer)
gehabt haben, und daß die übrigen Naturfeste resp. Jahresabschnitte
erst mit den Wanderungen der Stämme (wie z. T. bei den Indern)
entstanden sind. Hierauf deutet auch der Umstand, daß das Avesta
1) Die Feier dieser Feste gehörte zu den gebotenen religiösen Handlungen,
sie werden samt den , Herren der Tage, Tageszeiten, Monatsfeste, Jahre" oft an-
gerufen. (S. z. B. Yasna IV 31—37.)
2) Dieser Name ist schwieriger erklärbar. Verschiedene Deutungen desselben
sind angegeben von Burxouf, Lagarde, Bezzexbergee, Justi, Nadershah.
284 IV. Kapitel. Zeitrechnung der Perser.
bei den Anruf ungeu zweierlei Ausdrücke, yfire und saredha, g-ebrauclit,
die vielleicht im Sinne von Halbjahren, oder als ganze Jahre, aber
mit verschiedener Jahreszeit beginnend, zu verstehen sind. Die oben
genannten 6 Jahreszeiten werden im Avesta als yäirya (Jahresteile;
davon ydre = Jahr, engl. 3'ear) bezeichnet.
Die sechs Gahanbär beziehen sich, wie man sieht, auf ein x4.cker-
baujahr, indem sie für die Zeiten der Aussaat im Frühjahre, der Ernte
der Feldfrüchte, für die Zeit der Einsammlung- der Herden und für
die Ruhezeit des Winters die Hauptzeitpunkte markieren wollen. Am
Schluß jedes dieser Jahresabschnitte wurde, wie vorhin bemerkt, ein
Fest durch mehrere Tage (wie es scheint, ein meist fünftägiges Fest)
gefeiert. Die Länge der 6 Jahresabschnitte konnte, da die Tätigkeit
der Landbebauer und Viehzüchter gemäß den klimatischen Verhältnissen
in Persien und Baktrien während der Jahresabschnitte verschieden
lang war, nicht als gleichmäßig für alle Jahreszeiten angenommen
werden. Die Dauer der 6 Jahreszeiten und ihre Lage im Jahr sind
hier und da aus den heiligen Schriften ersichtlich. Ich zitiere zuerst
den Bundehef<ch XXV, 1—7: ,.Zur Ausübung der Religion gehören
die sechs Zeiträume der Gahanhär, welche ein Jahr ausfüllen. . .
Von der Jahreszeit MedoJcshcm (= Maidhjoshema) , vom günstigen
Tage Khar des Monats Trr (d. h. dem 11. Tage des T7r, s. S. 278/81)
bis zur Zeit Mediyarem (= Maidhynirja), dem günstigen Tage Ydhrdm
des Monats Dm (d. h. dem 20. des De'i), dem kürzesten Tage, wachsen
die Nächte, und von der Jahreszeit Mediyarem bis zur Jahreszeit
Medol-^hem nehmen die Nächte ab und wachsen die Tage. Der
Sommertag ist so viel wie zwei kürzeste Wintertage, und der Winter-
tag so viel wie zwei kürzeste Sommernächte In der Zeit
Hamespamadnye}n{==Hamasp<ith))}aedh!i(i), der Zeit der fünf Ergänzungs-
tage am Ende des Monats Spendminad , sind Tag und Nacht wieder
gleich. Und wie vom günstigen Tage Adharmazd des Monats Fracdr-
din zum günstigen Tag Aiürdn des Monats MHrd (d. h. vom 1, Fer-
verdin bis 30. Mlhr) der Sommer von 7 Monaten währt, so ist vom
günstigen Tag Adharmazd des Avdn bis zum Monat Spendarmad, des
Endes der 5 Ergänzungstage (d. h. vom 1. Alan bis zum letzten
Epagomeneutage, 365. Tage) der Winter von 5 Monaten."
Die Länge der Jahreszeiten wird klar durch das Äferhi-Oahanhdr
des Khorda- Avesta (d. h. in den kleineren, für den Hausgebrauch be-
stimmten Gebetsammlungen, s. F. Spie(^el, Avesta, IIIj bestimmt. Es
heißt dort: „In 45 Tagen \iü\)^ ioh Aioramazd ^d^mt ditn Amesliaspentas
gewirkt, ich habe den Himmel geschaffen und den Gahaiihdr gefeiert
und ihm den Namen Maidhyomrcuiya gegeben, im Monate Ardehelüxht
am Tage Dae ])a niihr {I)in-i pavan Mitro). Nehmet die Zeit vom
Tage Khor (Khfnyhed), am Tage Dae pa mihr soll das Ende sein."
ij 65. I)io Monatstagc. Jahrpszcitcn und die (Jalianbär. 285
Das Fest Maidhi/özarcmi/a fällt danach 11. — \h. Ardchclüsht. Mit der-
selben stereotypen Formel wird die Dauer der übrig'en Jahreszeiten
und deren Festfeier ang'eg:eben : „In 60 Tagen habe ich . . . das
^^'asser geschaffen ... im Monat Th- , Tag Khor-Dac pa m'ihr
(11. — IT). Th-) . . .; in 75 Tagen ... die Erde ... im Monat Shah-
rh-ar , Tag Äxhffd -Aiüran (26. — 30. Shanr); in 30 Tagen ... die
Bäume . . . im Monat MitraM, Tag Äshtät-Anlrdn (26. — 20. Mihr):
in 80 Tagen ... das Vieh ... im Monat Dci , Tag Mitro -Väkräm
(16. — 20. D('})\ in 75 Tagen ... die Menschen . . . nehmt die Zeit
Tag Ahiinavat-gäh, der Tag Yahisidist (d. h. die fünf letzten Jahres-
tage, die Epagomenen) soll der letzte sein."
Die näher bestimmenden Angaben dieses Zitates über die Grenz-
tage der Jahreszeiten hält Nadershah für spätere (im 3. Jahrh. n. Ohr.)
eingeschobene Interpolationen; jedoch bleibt bestehen, daß schon in
der älteren Zeit für die Jahreszeiten folgende Längen angenommen
Avorden sind: i\\v MaldhijöiüremyaAo Tage, für Maidhijoshema 60 Tage,
für PaitishaJuja 75, für Ai/äthrema 30, für MaidJujdirja 80, und für
Hamaspaikmaklhya 75 Tage. Da in dem obigen Zitate des Bundehesch
der Sommer 210 Tage vom 1. Frarardhi bis 30. Mihr dauert, so fällt
Mitte Sommer (Maldhßshema) auf den 105. Tag, den 15. Tir, und
Mitte- Winter {Maidhyäirja) auf den 80. Tag des Winters, den 20. De'L
Um die Lage dieser Jahreszeiten mit dem julianischen Kalender un-
gefähr vergleichen zu können, nehmen wir für das Avesta das 5. oder
6. Jahrh. v. Chr. an (obwohl das Alter des Avesta derzeit noch streitig
ist). Damals lag das Sommersolstiz etwa beim 28. Juni; demnach war
Maidhyöshema am 28. Juni, der Frühling [Maidhydzaremya) fing aber
105 Tage früher, am 15. März an. Mit Eücksicht auf die anderweitigen
Angaben der Parsen-Literatur über die Dauer der einzelnen Jahres-
abschnitte ergibt sich dann folgende Übersicht über die 6 Jahreszeiten :
Dauer
1. Maidhydmremya (Frühling v. l.Ferverdhi — Ih. Ardehehesht
= 15. März bis 29. April .... 45 Tage
2. Maidhydshema (Sommer) vom 15. Ardehehesht — 15. Th-
= 29. Aprü bis 28. Juni 60 ,,
3. Paitishahya (Erntezeit) vom 15. Ttr — 30. Shanr
= 28. Juni bis 11. September ... 75 „
4. Ayäthrema (Herbstzeit) vom 30. Sharh- — 30. Mihr
= 11. September bis 11. Oktober . 30 ,,
5. Maidhyäirja (Winter) vom 30. Mihr — 20. De'i
= 11. Oktober bis 30. Dezember . . 80 ,,
6. Hamaspathmaedhya (Vorfrühling) v. 20. De'i — 5. Epagom.-Tag
= 30. Dezember bis 15. März ... 75 ,,
Zusammen 365 Tage
286 IV. Kapitel. Zcitrct'linuiig der Perser.
Danach hatten die Monate im G. Jahrh. v. Chr. etwa die folgende
Lage im Jahre:
Ferrcrdhi vom 15. März — 14. April
ArdehelieM .. U. April —14. Mai
Khordäd .. 14. Mai — 13. Juni
Ttr ,. 13. Juni —13. Juli
Mordäd „ 13. Juli — 12. August
Sharh „ 12. August — 11. September
2Ilhr ,. 11. September — 11. Oktober
Ähän „ 11. Oktober — 10. November
Ader „ 10. November — 10. Dezember
De'i „ 10. Dezember — 9. Januar
Balimen ., 9. Januar — 8. Februar,
Äsfendärmed „ 8. Februar — 10. März
(und 5 Epagomenen-Tage).
Die Bedeutung der oben angegebenen Namen der 6 Jahresabschnitte
mußte mit der Zeit verloren gehen, da das altpersische Jahr nur
zu 365 Tagen gerechnet wurde, also ein Wandeljahr war wie das
alte ägyptische und sich daher wie das letztere allmählich gegen
die Jahreszeiten verschieben mußte. Aber auch in dem Falle, wenn
die alten Perser durch Schaltungen ein festes Jahr zu erreichen
suchten, diese Schaltungen aber nicht regelmäßig ausübten, sondern
durch Jahrhunderte vernachlässigten (s. § 68), mußte ihr Jahr mit
den faktischen Jahreszeiten in Konflikt kommen. Mit den Monaten
wanderten auch Maid}iyd.car("mya , Maidhyöshema u. s. w. durch alle
Jahreszeiten und verloren so ihre ursprüngliche Bedeutung als Natur-
feste, Die alten Schriftsteller, welche mehrere Jahrhunderte nach
dem Untergange der Sassaniden - Dynastie über die Feste des alten
persischen Kalenders berichten, geben daher Datierungen der 6 Gahan-
liär an, welche um ein Vierteljahr von den obigen (natürlich
nur unter der ungefähren Voraussetzung des Frühjahrsbeginns auf
den 15. März erhaltenen) Daten abweichen; so ALBiRUUNi (973 bis
1048 n. Chr.):
Muldhydzaremya 11. Del
Maidhyöshema 11. Isfendarmad
Paitishahya 26. Ardehehesht
Ajäthrema 26. Khordäd
Maidhyäirja 14. Shartr^
Hamaspathmaedhya 26. Ahän
I) Bei Aj-ijfKUNi (Chrono!, of ancient nations , edit. E. Sachau, 1879) wird
Maidhyäirja irrtümlich auf den 16. Mihr gesetzt.
i^ 6G. Epiigomciicn, Tagcsaiifang, Tagestciluiig, Feste. 287
§ 66. Epaijomeiieii, Tai^esaiifaiig, Tagesteilunj?, Feste.
Die fünf Ergänzungstag-e (Epagomenen), welche den zwölf 30 tägigen
Monaten ang-ehängt wurden, heißen persisch (jhä Fcrvardlan , was
darauf hindeutet — und diese Bemerkung ist wichtig — , daß diese
Tage mit dem Monat Ferverdtn verbunden waren. Wir haben ge-
sehen, daß nach dem Bundehesch das Jahreszeitfest Hamaspathmaedhija
auf die Ergänzungstage am Ende des Monats Spondärmad gesetzt
wird (s. S. 284). Dieses Fest, persisch das Ferverdigän-Fest genannt,
verband die 5 letzten Tage des Jahres mit den 5 ersten des neuen
Jahres (2IuMf(t -Fest). Von den persischen Autoren werden die
Epagomenen auch Endergähä, von den arabischen cd musterake {cd
mcisruka) := ))uh)C(i xloniuaiai d. i. versteckte Tage, geheißen. Die
5 Ergänzungstage haben besondere Namen; die gewöhnlichen der in
mancherlei Varianten* auftretenden Kamen sind:
1. Ahnacl ' \_Aliunavaitl]
2. Äshnad [Ustavaiti]
3. Isfendärmed [Spentämcdnyn]
4. Achschcitar [VohuMishcdhrci]
5. Wahisht ivasht [Vahistdisti]
Die Stellung der Epagomenen zu den Monaten war nicht immer ein
und dieselbe. In der ältesten Zeit erhielten sie ihren Platz am Schlüsse
des Monats Asfendäfmed und bildeten den Übergang zum Ferverdin,
in den ersten Jahrhunderten des Islam aber wurden sie hinter dem
8. Monat, dem ÄhCoi^ eingelegt, und erst mit der Reform des Kalenders
durch Dscheläleddin (1079 n. Chr.) gelangten sie wieder ans Ende des
Monats Asfendärmed (s. hierüber später).
Über den Anfang der Zählung des bürgerlichen Tages {schebän-
rüz) scheinen nicht viele zuverlässige Angaben vorhanden zu sein.
ÜLUG Beg sagt (Epochae ceJehr., S. 3) daß die „Nichtaraber" den Tag
mit dem Morgen anfingen, womit vielleicht die Perser gemeint sein
1) Albikuni (a. a. 0. S. 53) gibt folgende 6 Varianten nach verschiedenen
Quellen :
1. Tag 2. Tag 3. Tag 4. Tag 5. Tag
sb'jcAPt s'J'AÄ.iit »lyAÄä^l 8Lyjs./cA;.ä>v.! BlXix;:^ij
»'J^ö^äPI s'j'öjJCiil sL5'i>.^Ä>.*^! 5L5\ÄAi>»^»
288 IV. Kapitel. Zcitrecliimiiji- der l'erser.
können. Die Zählung- des Tages vom Sonnenaufgang kann man aus
den Worten des Bwidehesch XXV 2 folgern: „Zuerst ist es notwendig
den Tag und die Nacht zu zählen, für den ersteren geht der Tag
voran und dann bricht die Nacht ein." Bei der Aufzälilung der Teile
des Tages scheinen die heiligen Schriften meist vom gdh harani, d. i.
von Sonnenaufgang, auszugehen. Es gab 5 solcher für den Kultus
wichtigen Tagesabschnitte oder ydhs (im Winter 4): ushahina = die
Zeit von Mitternacht bis zum Morgengraun, zum Verschwinden der
Sterne; hävani = die Zeit von Sonnenauf