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Full text of "Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie; das Zeitrechnungswesen der Völker"

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Ontario  Council  of  University  Libraries 


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/ 


HANDBUCH 

DER 

MATHEMATISCHEN  UND  TECHNISCHEN 

CHRONOLOGIE 

DAS  ZEITRECHNÜNGSWESEN  DER  VÖLKER 

DARGESTELLT  VOX 

F.  K.  GINZEL 

PROFESSOE,    STAND.   MITGLIED   DES   KÜXKiL.  PEEUSS. 
ASTRONOM.  RECHENTNSTITUTS 


I.  BAND 

ZEITRECHNUNG  DER  BABYLONIER 

ÄGYPTER,  MOHAMMEDANER,  PERSER,  INDER.  SÜDOSTASIATEN 

CHINESEN,  JAPANER  UND  ZENTRALAMERIKANER 


MIT  6  FIGUREN  IM  TEXT 
CHRONOLOGISCHEN  TAFELN  UND  EINER  KARTE 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'scHE  BUCHHAKDLUNG 
1906 


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Vorwort. 


Eine  zusammenfassende  Darstellung-  des  Zeitrechnungswesens  der 
Völker,  welche  sich  auf  dem  durch  die  neueren  Forschungen  zugänglich 
gewordenen  Material  aufbaut,  ist  seit  L.  Idelee  nicht  mehr  versucht 
worden.  Ideleks  ,. Handbuch  der  mathematischen  und  technischen 
Chronologie"  erschien  vor  80  Jahren  (1825  26)  und  beruht  noch  fast 
gänzlich  auf  den  von  den  klassischen  Schriftstellern  auf  uns  gekommenen 
Nachrichten. 

Als  vor  fünf  Jahren  Herr  Prof.  Haknack  mich  auf  die  dringende 
Notwendigkeit  einer  Neubearbeitung  des  iDELEESchen  „Handbuchs" 
hinwies,  Avar  ich  durch  anderweitige  astronomische  Untersuchungen 
zwar  mit  dem  Zeitrechnungswesen  der  Alten  verschiedentlich  in  Be- 
rührung gekommen  und  hatte  die  Notwendigkeit  einer  Eenovierung- 
des  „Idelee"  oft  gefühlt,  aber  Avelch  große  Ausdehnung  die  archäo- 
logischen Materialien  haben,  die  von  der  Forschung  seither  aufge- 
häuft worden  sind  und  bei  einer  Neubearbeitung  des  Gegenstandes 
herangezogen  werden  müssen,  konnte  ich  noch  nicht  übersehen.  Als 
ich  nun  an  die  Sammlung  des  Stoffes  für  diesen  I.  Band  herantrat, 
welcher  vornehmlich  das  Zeitreclinungswesen  der  Orientalen  enthalten 
sollte,  Avurde  mir  sehr  bald  klar,  daß  behufs  einer  Neudarstellung  des 
Ganzen  eine  Umarbeitung  des  ,.lDELEir-  den  Zweck  nichf  erreichen 
Avürde.  Die  meisten  Kapitel  des  iDELEEschen  Werkes  sind  für  die 
Jetztzeit  sehr  veraltet,  und  die  Einführung  des  modernen  Materials  in 
diese  alte  Form  würde  wegen  des  großen  Übergewichtes,  welches  man 
diesem  Material  gegenüber  dem  klassischen  Fundament  einräumen  muß, 
einer  einheitlichen  Darstellung  widerstrebt  haben.  Das  moderne  Material 
zAvingt  uns  nicht  nur  innerhalb  der  Darstellung  der  einzelnen  Zeit- 
rechnungsarten zu  neuen  Gruppierungen  des  Stoffs,  sondern  fordert 
auch  andere  historische  Gesichts])unkte  über  das  Zeitrechnungswesen 
der  Völker.  Die  Bearbeitung  des  Gegenstandes  verlaugte  also  von 
selbst  eine  in  Form  und  Inhalt  neue  Darstellung,  und  nur  Jene  Er- 
gebnisse wurden  mit  in  den  neuen  Aufbau  herübergenommen,  welche 
im  Fortschritte  der  Forschung  noch  unerschüttert  gel)lieben  sind. 


IV  Vorwort. 

Das  neue  AVerk  ist  auf  drei  Bände  bereclinet.  Das  Ziel  der 
Darstellung  ist  wesentlich  weiter  gesteckt  als  bei  Ideleks  Handbuch, 
da  nicht  bloß  auf  die  Zeitrechnung  der  A'ölker  der  klassischen  Zeit 
nnd  des  christlichen  Mittelalters  Eücksicht  genommen,  sondern  auch 
jene  anderer  Völker  erörtert  werden  soll ,  soweit  sich  hinreichende 
Xachrichten  hierüber  vorfinden.  Der  vorliegende  erste  Band  be- 
richtet vornehmlich  über  das  Zeitrechnungswesen  der  Asiaten  (mit 
Ausnahme  der  Juden,  welche  ein  umfangreiches  Kajiitel  beanspruchen 
und  einem  der  andern  beiden  Bände  einverleibt  werden  müssen),  und 
zw^ar  der  Babylonier,  Mohammedaner  (Araber  und  Türken),  Perser, 
Inder,  Chinesen  und  Japaner,  sowie  über  die  Zeitrechnungen  in  Hinter- 
indien und  auf  den  südostasiatischen  Inseln,  endlich  über  jene  der 
Ägypter  und  der  einstigen  Bewohner  von  Zentralamerika. 

Zn  diesem  ersten  Bande  sind  mir  wohl  einige  Bemerkungen 
gestattet.  Das  Material,  welches  hier  zur  Verwendung  kommt,  über- 
Aviegt  die  Nachrichten  der  Klassiker  gänzlicli,  und  letztere  kiinnen 
nur  hie  und  da  ergänzend  oder  vergleichend  gebraucht  werden.  Von 
den  Ergebnissen,  welche  aus  der  neueren  Erforschung  der  alten  Kultur- 
stätten Asiens  resultierten,  ist  eben  auch  ein  reiches  Maß  von  Erkenntnis 
für  das  Zeitreclinungswesen  abgefallen.  Es  bietet  sich  uns  da  ein  un- 
gemein reichhaltiges,  auf  die  Denkmäler  und  Literaturreste  jener  alten 
Völker  gegründetes  archäologisches  Material  dar,  dessen  Beurteilung, 
Aveil  es  bei  den  einzelnen  Völkern  in  verschiedener  Eigenart  auftritt 
und  Aveil  mitunter  auch  die  archäologische  Führung  in  Unsicherheit 
gerät,  schA\1erig  ist,  doppelt  scliwierig  aber  für  den  Astronomen,  der 
dieses  Material  verarbeiten  soll.  Die  Kenntnis  der  Sprachen  der  in 
Betracht  kommenden  Völker ,  welche  man  vielleicht  als  notwendig 
anzunehmen  geneigt  sein  wird,  hätte  allein  keine  Sicherung  gegeben.  Denn 
abgesehen  davon ,  daß  ihrer  vierzehn  für  den  vorliegenden  Band 
erforderlich  gewesen  wären  —  eine  Kenntnis,  die  man  dem  Bearbeiter 
kaum  zumuten  darf —  muß  daran  erinnert  werden,  daß  auch  die  Kenner 
der  Sprachen  sich  betreffs  des  Zustandes  mancher  Zeitrechnungs- 
arten in  bedeutendem  Zweifel  befinden.  Ich  verweise  auf  die  Zeit- 
rechnung in  Arabien  vor  dem  Aufkommen  des  Islam,  über  welche  nur 
einander  A\idersprecliende  Nachrichten  sjjäterer  Schriftsteller  und  un- 
zureichende Andeutungen  aus  der  altarabischen  Poesie  vorliegen :  oder 
ich  erinnere  den  Leser  an  die  AMdersprüche,  in  denen  sich  die  Kenner 
der  ägyptischen  Sprache  bei  vielen  Gegenständen  befinden,  die  sich 
auf  das  Kalenderwesen  der  Ägypter  beziehen.  Der  astronomische 
Bearbeiter,  A\elcher  das  vielgestaltige  archäologische  Material  in  Be- 
ziehung auf  das  ZeitrechnungSAxesen  zu  untersuchen,  d.  h.  im  letzten 
Grunde  auf  den  Zusammenlianf;'  mit  den  astronomischen  Tatsachen  zu 
prüfen    liaf.    tut    vielmehr   am   besten,    sich    auf   die   als   zuverlässig 


Vorwort.  V 

geltenden  Fachmänner  der  betreffenden  Sprachgebiete  und  auf  die  von 
diesen  gemachten  Vorarbeiten  zu  stützen.  (Tlücklicherweise  ist  gegen- 
wärtig bereits  ein  großer  Teil  der  in  Betracht  kommenden  Quellen, 
aus  welchen  man  Belehrung  über  das  Zeitrechnungswesen  der  Orientalen 
holen  kann,  in  die  europäischen  Hauptsprachen  übersetzt,  also  der 
Allgemeinheit  zugänglich.  Dieses  ist  der  Fall  bei  den  Hauptwerken 
der  Inder  über  Astronomie  und  Zeitrechnung;  auch  der  größere  Teil 
der  vedischen  Schriften  des  alten  Indiens  und  der  heiligen  Büclier  der 
Parstoliteratur  ist  leicht  lesbar  geworden.  Unter  den  modernen 
Schriftstellern  über  indische  und  altpersische  Zeitrechnung  befinden 
sich  auch  schon  Eingeborene,  deren  Beiträge  von  ^^'ert  sind.  \'on 
großer  Bedeutung  für  das  gesamte  ältere  Zeitrechnungswesen  sind 
die  Hauptwerke  des  Arabers  Albiefxi,  welche  uns  durch  E.  Sachaf 
zugänglich  gemacht  worden  sind.  Der  Aufhellung  bedürftig  bleibt 
derzeit  noch  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Zeitrechnung  im  alten 
(.'hina  und  Japan  und  im  alten  Arabien,  über  welche  noch  wenig  verläßliches 
Material  vorliegt.  Ziemlich  befriedigend  ist  unsere  Kenntnis  der  Zeitrech- 
nungsart der  früheren  zivilisierten  Bewohner  Zentralamerikas,  dagegen 
müssen  wir  uns  betreffs  Hinterindiens  und  der  Zeitrechnung  auf  den 
südasiatischen  Inseln,  in  Polynesien  u.  s.  w.  hauptsächlich  auf  die 
Eeisewerke  und  die  zerstreute  Eeiseliteratur  verlassen.  Für  Baby- 
lonien  und  Ägypten  liegt  reiches  Material  vor  durch  das  Inschriften- 
material auf  den  Tontafeln  und  den  altägyptischen  Altertümern.  Ich 
muß  hier  aber  gleich  bemerken,  daß  das  Kapitel  der  Zeitrechnung 
der  Ägypter  das  schwierigste  des  Buches  war,  und  daß  sich  dort  die 
Forderung,  eine  abgerundete  Darstellung  des  Gegenstandes  zu  erzielen, 
schwer  erfüllen  ließ,  da  sowohl  die  Übersetzungen  der  Inschriften  wie 
ihre  Interpretation  sehr  häufig  noch  einander  sehr  widerstreitenden 
Meinungen  unterliegen.  Ich  hatte  mich  bei  diesem  Kapitel  anfänglich 
hauptsächlich  au  die  Arbeiten  von  H.  Bkugsch,  wohl  des  besten  Kenners 
des  äg3'ptischen  Kalendermaterials,  gehalten,  und  das  Kapitel  in  dieser 
'.Testalt  hatte  auch  den  Beifall  des  Wiener  Ägyptologen  J.  Keall 
gefunden.  In  neuerer  Zeit  sind  aber  Zweifel  an  der  Eichtigkeit  der 
Deutungen  von  Beugsch,  und  noch  mehr  seiner  Übersetzungen,  laut 
geworden.  Wegen  dieser  Bedenklichkeit  habe  ich  deshalb  Herrn 
Prof.  H.  ScHÄFEE  (vom  ägyptischen  Museum  in  Berlin)  zu  Eate  ge- 
zogen. Derselbe  riet  mir,  von  jenen  Übersetzungen,  als  unsicher, 
möglichst  wenig  (jebrauch  zu  machen:  mit  seiner  Hilfe  habe  ich 
dann  den  größten  Teil  des  Kapitels  in  diesem  Sinne  umgearbeitet. 
Vielleicht  darf  ich  hoffen,  daß  meine  Darstellung  der  ägyptischen 
Zeitrechnung  einen  Ägyptologen,  der  mit  dem  einschlägigen  Material 
vertraut  ist  und  sich  auch  einige  astronomische  Kenntnisse  an- 
eignet,  dazu    ermuntert,    eine   kritische   Eevision    der   Arbeiten  von 


VI  ^\lr\vol•t. 

Bevgsch,  soweit  selbe  auf  die  Zeitrechnung  Bezieliung  haben,  zu 
versuchen. 

A\'as  weiter  die  Form  der  Darstellung-  des  Buches  l)etrittt,  so 
habe  ich  mich  bemüht,  dieselbe  dem  Zwecke  eines  ,. Handbuchs"  ent- 
sprechend so  zu  gestalten ,  daß  der  Leser  schnelle  Auskunft  über  die 
einzelnen  Gegenstände  erhalten  soll.  Die  Auseinandersetzungen  sind 
deshalb  kurz  gehalten,  und  ich  war.  so  gut  es  sich  tun  ließ,  darauf 
bedacht,  dabei  das  als  verläßlich  geltende  Material  zu  verwenden. 
Der  ganze  Stoff  des  Buches  wurde  nach  einzelnen  Paragraphen  be- 
handelt, um  dem  Leser  eine  leichte  Übersicht  darbieten  zu  können: 
dem  Buche  wurde  außerdem  ein  Register  beigegeben;  ich  hoffe  darum, 
daß  eine  schnelle  Orientierung  möglich  sein  wird.  Betreffs  der  Dar- 
stellung der  verschiedenen  Ansichten  und  Hypothesen  über  einzelne 
Zeitrechnungsarten  konnte  ich  nur  jene  aufnehmen,  welche  seit  Idelek 
entstanden  sind;  das  Buch  schließt  sich  also  in  dieser  Beziehung  an 
den  alten  ..Ideler"  an,  und  die  früheren  Ansichten  wird  man  in 
letzterem  nachzusehen  haben.  Der  Inhalt  des  Buches  erstreckt  sich 
wie  bei  Idelek  sowohl  auf  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Zeit- 
rechnungsformen, wie  auf  die  praktischen  Aufgaben  der  technischen 
Chronologie  (Verwandlung  gegebener  Daten  einer  Zeitrechnung  in  die 
einer  anderen  u.  dgl).  Gern  hätte  ich  die  Details  in  der  Zeitrechnung 
der  Inder  und  der  Chinesen  noch  Aveiter  ausgeführt,  mußte  mich  aber, 
da  das  Buch  trotz  Ausscheidung  manchen  Materials  über  den  geplanten 
Umfang  hinaus  Avuchs,  auf  das  Notwendige  beschränken.  Das  über 
beide  Zeitrechnungen  Gesagte  Avird  aber  genügen,  um  einen  hin- 
reichenden Einblick  in  die  Konstruktion  der  indischen  und  chinesischen 
Kalender  zu  gewähren.  Für  Detailstudien  ist  die  den  einzelnen 
Kapiteln  angehängte  Literatur  bestimmt.  Dieselbe  besteht  (mit 
wenigen  Ausnahmen)  nur  aus  solchen  Quellen,  die  ich  behufs  Abfassung 
des  Buches  selbst  benützt,  durchstudiert  oder  irgend  zu  Rate  gezogen 
habe.  Die  während  der  Herstellung  des  vorliegenden  Handbuchs  bis 
zum  Abschluß  desselben  noch  erscheinende  Literatur  wird  in  Form 
eines  Nachtrags  einem  der  späteren  Bände  einverleibt  werden. 

In  den  Rahmen  des  ..Handbuchs"  wurde  nicht  bloß  das  geordnete 
Kai  ender  wesen  der  Kulturvölker,  sondern  auch  die  primitive  Zeit- 
einteilung mancher  auf  tiefer  Zivilisationsstufe  stehenden  Nationen 
einbezogen.  Dies  geschah  mit  Absicht,  um  die  Schwierigkeiten  an- 
schaulich zu  machen,  welche  der  Mensch  überwinden  mußte,  ehe  er 
von  den  einfachsten  Zeitbegriffen  zu  einem  Kalender  gelangt  ist.  Es 
scheint,  daß  diese  Schwierigkeiten,  besonders  Avas  die  Bestimmung 
der  Länge  des  Sonnenjahres,  oder  den  Übergang  vom  Mondjahr  zum 
Sonnenjahr  (hirch  Schaltungen  betrifft,  recht  oft  unterschätzt  werden, 
da  sonst  Voraussetzunoen  wie  die  eines  vollkommen  bekannten  Jahres 


Vorwort.  \  II 

S(.-lioii  für  die  älteste  Zeit  der  Kultiirvrdker  (Ägypter  u.  a.)  nicht  hätten 
gemacht  werden  können.  Ich  habe  in  den  einzelnen  Kapiteln,  wie 
der  Leser  bemerken  wird,  anch  auf  diejenigen  Einrichtungen  der 
Zeitrechnung  geachtet,  welche  in  derselben  Weise  bei  verschiedenen 
Völkern  vorkommen,  welche  also  entweder  gemeinsamen  älteren  Ur- 
sprungs sind  oder  doch  auf  solchen  hinzuweisen  scheinen.  Die  Hervor- 
hebung dieses  Entwicklungsgedankens  konnte  selbstverständlich  nur 
skizzenhaft  und  mit  A'orsicht  geschehen.  Das  Gemeinsame  näher  zu 
präzisieren,  durch  genügendes  Material  zu  begründen,  ist  Sache  der 
zukünftigen  Forschung.  Vielleicht  führt  dieser  (^edanke  einst  zu 
einer  vergleichenden  Chronologie. 

Da  das  vorliegende  Handbuch  für  Historiker,  Chronologen  und 
Archäologen,  aber  auch  für  Astronomen  und  andere  Interessenten, 
also  für  weitere  Leserkreise  bestimmt  sein  soll,  habe  ich  getrachtet, 
die  Darstellungsform  hinreichend  verständlich  zu  halten.  Die  drei  dem 
eigentlichen  Zeitreclmungsw^esen  vorangehenden  Vorkapitel  dürften  des- 
halb gerechtfertigt  sein.  Der  Leser  wird  ferner  unter  den  An- 
merkungen im  Buche  einige  finden,  die  ihm  vielleicht  geläufig  und. 
selbstverständlich,  für  andere  aber  erwünscht  sind.  Die  Historiker, 
Avelche  die  Schwierigkeiten  meiner  Aufgabe  kennen  und  darum  wohl 
auch  die  aufgewendete  Mühe  zu  würdigen  wissen  werden,  bitte  ich 
noch  um  Nachsicht,  wenn  ich  in  meinen  Ausführungen  hier  und  da 
etwas  übersehen  haben  sollte.  Ergänzende  Bemerkungen  zu  einzelnen 
Kapiteln,  W' eiche  für  notwendig  gehalten  und  mir  angezeigt  werden, 
sollen  als  Nachträge  in  den  beiden  folgenden  Bänden  Platz  finden. 

Es  erübrigt  mir  noch,  meinen  besten  Dank  allen  jenen  Herren 
abzustatten,  welche  mir  bei  der  Abfassung  dieses  ersten  Bandes  des 
Handbuchs  ihre  Beihilfe,  sei  es  durch  Ratschläge  oder  Mitteilungen  u.s.  w. 
gütigst  gewährt  haben;  besonders  bin  ich  Dank  schuldig  den  Herren 
Professoren  W.  Grübe,  F.  Kielhoen,  C.  F.  Lehmann,  Gustav  Oppekt, 
H.  ScHÄFEK  und  E.  Selee.  Ferner  danke  ich  Herrn  Prof.  H.  Jacobi 
für  die  Erlaubnis,  seine  Tafeln  zur  indischen  Zeitrechnung  in  mein 
Buch  aufnehmen  zu  dürfen,  sowie  meinem  langjährigen  früheren  Kollegen 
Dr.  R.  Schea.m  für  die  Bereitwilligkeit ,  mit  welcher  er  mir  ge- 
stattet hat,  das  Manuskript  seiner  neuen,  in  Vorbereitung  befindlichen 
chronologischen  Tafeln  für  die  Beispiele  im  Buche  zu  benützen. 

Berlin,   im  April  1906. 

Der  Verfasser. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 


Eiiileitiiiig. 

i?  1.     A'^orbemerkuiig 3 

A)   Astronomische  Begriffe  der  technischen 
Chronologie. 

§  2.     Vorbegriffo 4 

§  3.     Die  vier  Koordinatensysteme 6 

§  4.     Geographische  Länge  und  Breite.     Reduktion  der  Zeit 9 

§  5.     Die   Bewegung   der   Sonne   in    der  Ekliptik.     Jahreszeiten.     Die   Arten 

der  Zeit 12 

§  6.     Täglicher  und  jährlicher  Auf-  und  Untergang  der  Grestirne       ....  18 
§  7.     Die   Sternbilder.     Veränderungen  der  Fundamentalebenen.     Wirkungen 

der  Präzession 27 

§  8.     Sonnen-  und  Mondbewegung.     Sonnen-  und  Mondjahr 31 

§  9.     Sonnen-  und  Mondfinsternisse 39 

§  10.     Die  Planetenerscheinungen.     Sonstige  für  die  Chronologie  bemerkens- 
werte Phänomene 43 

B)    Hilfsmittel  der  Chronologie. 

§  11.     Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Hilfe  der  Astronomie 47 

§  12.     Spezielle  astronomische  Hilfsmittel 50 

§  13.     Chronologische  Hilfsmittel.     Archäologische  Grundlagen 54 

C)  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische 
Entwicklung. 

§  14.     Die  primitiven  Zeitbegrifte 58 

§  15.  Mond-  und  Sonuenjahr.     Ausgleichung.     Schaltjahr.     Kundjahr   ...  62 

§  16.     Die  Mondstationen 70 

S  17.     Der  Zodiakus 78 

§  18.     Aren.     Zyklen.     Jahres-,  Monats-  und  Tagesteilung 88 

§  19.  Julianisches  und  gregorianisches  Jahr.     Julianische  Periode.    Lage  des 

Frühlingspunktes  im  julianischen  Jahre 97 

§  20.     Literatur  zu  C    .     .     .  ' 102 

Zeitrechnung  der  einzelnen  Yölker. 

I.  Kapitel. 
Zeitrechnung   der  Babylonier. 

§  21.     Vorbemerkung 107 

§  22.     Die    hauptsächlichsten    in     Betracht    kommenden    Kulturmomente    der 

Babylonier 109 


Inhaltsverzeichnis.  IX 

Seit© 

§  23.  Monate 113 

t?  24.  Monatseinteilung,  Wochen  (hamustu),  Tageseinteilung  und  Tagesanfang  118 

§  25.  Sonnen-  und  Mondjahr.     Perioden 124 

§  26.  Schaltung 130 

§  27.  Die  seleukidische  Ära  {y.axa  XuXSaiov?)  und  die  Arsakiden-Ara  .     .     .  136 

tj  28.  Der  Kanon  des  Ptolemäus  und  die  Eponyni.i'nlisten 138 

§  29.  Die  Ära  Nabonassar  und  die  philippische  Ära 14.^ 

§  30.  Literatur , 147 

IL  Kapitel. 
Zeitrechnung  der  Ägypter. 

§  31.     Astronomie.     Quellen  für  das  Kalenderweseu 150 

§  32.     Der  Nil  in  seiner  Beziehung  zur  ägyptischen  Zeitrechnung       .     .     .     .  154 

§  33.     Monate,   Jahreszeiten,  veränderte  Bedeutung  der  Zeichen  der  letzteren  156 

§  34.     Tageseinteilung  und  Tagesanfang 160 

§  35.     Dekaden  (Wochen)  und  Dekane 165 

§  36.     Mondtage.  Das  hypothetische  Mondjahr  und  Rundjahr.  DieEpagomenen  166 

§  37.     Bezeichnung  des  Jahres  und  der  Mond-  und  Sonnenstände 172 

§  38.     Große  Jahresperioden  der  Ägypter 

a)  Periode  von  365  Jahren 174 

b)  Han-  oder  Henti-Periode 174 

c)  Sed-  (oder  Set-(  Periode 175 

d)  Großes  und  kleines  Jahr 176 

e)  Phönixperiode 177 

f)  Apisperiode 180 

§  39.     Die  heliakischen  Siriusaufgänge 181 

§  40.     Die  Sothisperiode.     Apokatastasen.     Siriusdaten 187 

§  41.     Das  tanitische  Jahr  (^Dekret  von  Kanopus) 196 

§  42.     Der  Doppelkalender  des  Papyrus  Ebers 20O 

§  43.     Die  Feste  und  ihre  Bedeutung  für  die  ägyptische  Zeitrechnung  .     .     .  203 

§  44.     Theo.rie  des  ägyptischen  Jahres 212 

§  45.     Die  Ären.     Die  angebliche  Ära  Nubti.    Die  alexandrinische  Ära  (anni 

Augustorum).  ..  Die  diokletiauische  und  Märtyrerära 222 

§  46.     Indiktiouen  in  Ägypten 232 

§  47.     Literatur 234 

III.  Kapitel. 

Zeitrechnung  der  Mohammedaner 

(Araber  und  Türken). 

§  48.     Vorbemerkung 238 

A.  Die  vorislamische  Zeitrechnung. 

§  49.     Neuere  und  alte  Namen  der  Monate 239 

§  50.     Jahreszeiten.     Wochen.     Zählung  nach  Nächten 241 

§  51.     Die  heiligen  Monate.     Die  Nasaa 24ä 

§  52.     Hypothesen  über  das  altarabische  Jahr 247 

§  53.     Epochen  der  alten  Araber 251 

B.  Die   mohammedanische    Zeitrechnung. 

§  54.     Mondmonate 252 

§  55.     Der  30jährige  und  der  8jährige  Zyklus 254 

§  56.     Tagesanfang.     Tagesteilung.     Wochen 25& 

§  57.     Epoche  der  Hidschra.     Reduktion  von  Daten 258 

§  58.  Fremde  von  den  Mohammedanern  gebrauchte  Ären,     Sonnenjahre   .     .  263 

§  59.     Beschreibung  eines  Rus-name 266 

§  60.     Die  Feste  der  Mohammedaner 271 

§  61.     Literatur 273 

Ginzel,  Chronologie  I.  D 


X  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

IV.  Kapitel. 
Zeitrechnung'  der  Perser. 

§  62.     Vorbemerkung 275 

§  63.     Die  ältesten  Namen  der  Monate  (Inschrift  von  Behistän) 275 

§  64.     Die  alt-  und  neupersischen  Monatsnamen 2,77 

§  65.     Die  Monatstage,  Jahreszeiten  und  die  (Tahanbär 280 

§  66.     Epagomenen,  Tagesanfang,  Tagesteilung,  Feste 287 

§  67.     Das  persisch»!  Jahr  nach  den  alten  Autoren 290 

§  68.     Hypothesen  über  die  Einrichtung  des  altpersischen  Jahres 293 

§  69.     Die  Ära  Jezdegerd 298 

§  70.     Die  Ära..Dscheläleddin        300 

§  71.    Andere  Aren  in  Persien.    Monate  und  Tage  in  Sogd  und  Khwärizmieu  305 

§  72.     Literatur 308 

V.  Kapitel. 
Zeitrechnung  der  Inder. 

§  73.     Vorbemerkung 310 

A.  Zeitrechnung   der  Veda. 

§  74.     Das  vedische  Jahr 311 

§  75.     Jahreszeiten 314 

§  76.     Monate  und  Tagesteilung 316 

§  77.     Die  Nakshatra 317 

B.  Zeitrechnung   der   nachvedischen   Periode. 

§  78.     Die  Jahresarten 320 

§  79.     Monats-  und  Tagesteilung 324 

§  80.     Nakshatra 327 

§  81.     Zodiakus,  kalpa,  yuga 329 

C.  Zeitrechnung   der   Siddhänta. 

§  82.     Die  vier  Siddhänta 330 

§  83.     Die  späteren  Werke 333 

D.  Technische  Chronologie  des  indischen  Kalenders. 

§  84.     Hauptmeridian 336 

§  85.     Die  großen  yuga.     Epoche  des  Kaliyuga 337 

§  86.     Zodiakus,  Monatsnamen,  Wochentage  und  Tagesteihmg 338 

§  87.     Sonnenjahr.    Elemente  desselben,  Länge  der  Sonnenmonate,  Ahargana, 

Sanikranti,  Jahreszeiten 341 

§  88.     Beginn  der  Sonnenmonate 346 

§  89.     Mondmonat 347 

§  90.     Die  tithi 348 

§  91.     Das  Lunisolarjahr 350 

§  92.     Ermittlung   der   tithi   und   paksha   eines   gegebenen   Datums   und   um- 
gekehrt.    Nachprüfung  für  ein-  und  ausgeschaltete  Monate  ....  353 

§  93.     .Jahresbeginn.     Vollendetes  und  laufendes  Jahr 357 

§  94.     Karaiia  und  Yoga.     Lagna 359 

§  95.     Nakshatra  und  Finsternisse 363 

§  96.     Der  60jährige  und  der  12jährige  Jupiterzyklus 368 

§  97.     Religi.öse  Feste  und  l)Csondere  tithi 376 

E.  Die    Aren  der  indischen  Zeitrechnung. 

§  98.     A'orbemerkung 380 

a)  Die  Aren  in  Nordindien. 

§  99.       Die  Ära  Sap.tarshi-Käla 382 

§  100.     Die  Newär-Ära 384 

§  101.     Die  (iu])ta-Ära 384 

§  102.     Die  Srillarsha-Ära 387 

§  103.     Die.  Ära  des  Vikramäditya 387 

b)  Ären  in  Zentralindien. 

§  104.     Die  Saka-Ära 390 

§  105.     Die  Cbälukya-Vikrama-Ära 391 


§ 

106. 

4? 

107. 

§ 

108. 

§ 

109. 

§ 

110. 

§ 

111. 

§ 

112. 

§ 

113. 

§ 

114. 

§ 

115. 

§ 

116. 

§ 

117. 

Inhaltsverzeichnis.  XI 

Seite 

Die  Chrdi-  oder  KalaHiuri-Ara 392 

Die  Lakshmaiia-Sena-Ara 392 

Die  Fasli-Jahre    (Erntejahre),   das  Bengäli-^an,  Viljiyati-Öan  und  das 

Amli-Jahr 393 

Die  Ilähi-  oder  AUai-Ara,  die  Räjyäbhisheka  Saka  und  das  Shahur-San  390 

Die.Simha-Ara 396 

c)  Aren  in  Sud-  und  Hinterindien. 

Die  Kollam-Ara 396 

Die  burmesische  Ära 397 

d)  Die  liuddhistischc  Ära,  das  Kaliyuga,  Graha-parivritti 
und  der  Oiiko-Zyklus.    .. 

Das  Nirvaiia  (buddhistische  Ära"» 398 

Das  Kaliyuga 399 

Das  Graha-parivritti 399 

Der  Oiiko-Zvklus 400 

Literatur  .    " 400 

VI.  Kapitel. 

Zeitrecliniing  einiger  südostasiatisclier  Völker 

und  der  Zentralamerikaner. 

§  118.     Zeitrechnung  in  Tibet 403 

§  119.     Zeitrechnung  in  Siam  und  Kambodja 409 

§  120.     Zeitrechnung  auf  Java 414 

§  121.     Zeitrechnung    in  Inner- Java,   auf  Bali,   Sumatra,   Timor,   Melanesien 

und  Nikobar 422 

§  122.     Zeitrechnung  der  zentralamerikanischen  Völker 433 

§  123.     Literatur 44« 

VII.  Kapitel. 
Zeitrechnung  der  Chinesen  und  Japaner. 

§  124.     Vorbemerkung 450 

§  125.     Der  Sexagesimalzyklus 450 

§  126.     Die  Monate  .     .    '. 454 

§  127.     Der    60tägige    Zyklus.     Reduktion    zyklischer    Daten.      Die    7tägige 

Woche 457 

§  128.     Tagesaufang  und  Tageseinteilung 464 

§  129.     Jahresabschnitte  und  Jahreszeiten.     Zodiakalzeichen 467 

§  130.     Bürgerliches     Jahr    (Lunisolarjahr).      Konstruktion    des    chinesisch- 
japanischen Kalenders 471 

§  131.     Zählung  der  Jahre.     Zyklusjahre,   Kaiserjahre,   Regierungsprädikate. 

Nengo.     Ära  Nino.     Datierungsweise 479 

§  132.     Chinesische  und  japanische  Feste       483 

§  133.     Mondstationen.     Wahlzyklus.     Die  Perioden  tschang,  pu,  ki       ...  487 

§  134.     Bemerkungen  zur  Geschichte  des  chinesisch-japanischen  Kalenders     .  492 

§  135.     Literatur 497 

Anhang. 

§  136.     Die  Zeitrechnung  der  alttürkischen  Inschriften 499 

I.  Verzeichnis  der  chinesischen  Kaiser,  der  Regierungszeiten,   der  miao-hao 

und  nien-hao 505 

IL  Verzeichnis  der  japanischen  nengö 532 

III.  Charaktere    der  hauptsächlichsten  chinesischen  Namen   des  VII.  Kapitels  538 

b* 


XII  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

I.  Tafel  der  Positionen  der  26  hellsten  Sterne  des  Nordhimmels      ....  543^ 

II.  Tafel  der  Halbetagbogen 546 

III.  Tafel  der  Neumonde  von  605  bis  100  v.  Chr 547 

IV.  Jacobis  Tafeln  zvir  Zeitrechnung  der  Inder 563 

Eegister 575 


Zusätze  und  Berichtigungen, 

ad  S.  208  Anm.  1.     Zitat  nach  der  Manitius- Ausgabe. 

ad  S.  231  Z.  21  v.  o.  Das  dort  gegebene  Beispiel  so]l  nur  als  Illvistration  zur 
Verwandlung  des  Datums  der  Diokletianischen  Ära  dienen.  Der  angeb- 
liche Brief  des  Ämbrosius  ist  unecht,  und  die  Angabe,  Ostern  sei  am 
23.  April  gefeiert  worden,  zweifelhaft;  nur  nach  der  Osterrechnung  des 
alexandrinischen  Zyklus  fiel  Ostern  auf  den  23.  April;  s.  E.  Schwaetz, 
Christliche  h.  jüdische  Ostertafeln,  S.  54.  55  {Ahhandlg.  d.  Königl.  Ges.  d. 
Wiss.  z.  Göttingen,  phil.  bist.  Kl.,  N.  F.,  VIII  No.  6  [1905]). 

ad  S.  402  Zu  den  Tafeln  kann  noch  hinzugefügt  werden  Cowasjee  Patell,  Oirono- 
logy  containing  corresp.  dates  of  tlie  difj'erent  eras  used  hy  Christ.,  Jeios, 
Greeks,  Hindus  etc.   London  1866. 

ad  S.  444  Z.  12  v.  o.  zu  lesen  , Bienenzüchter"  statt  „Bienenpächter". 

ad  S.  547  Tafel  III  (Neumondtafel).  Handelt  es  sich  nur  um  die  näherungs- 
weise Kenntnis  der  Zeit  der  Neumonde,  so  kann  man  die  Neumondreihe 
benützen,  welche  von  1622  v.  Chr.  bis  1934  n.  Chr.  im  II.  Bd.  (Astron. 
Appendix)  von  H.  Grattan  Guinness,  Creation  centred  in  Christ,  London 
1896,  gegeben  ist.  Da  diese  Neumonde  nur  mit  Hilfe  einer  verbesserten 
Periode  berechnet  sind,  weichen  sie  von  jenen  der  Taf.  III  bald  im 
positiven,  bald  im  negativen  Sinne,  u.  z.  um  V  ^  bis  3  Stunden  ab. 


Einleitung:. 


Ginzel,  Chronologie  I. 


§  1.    A'orbemerkuug. 

Um  größere  Zeiträume  messen  d.  h.  die  zeitliche  Folge  des  Ge- 
schelienen  im  Leben  des  einzelnen  oder  der  Gesamtheit  der  Menschen 
bestimmen  zu  können,  bedarf  man  eines  möglichst  unveränderlichen 
Maßes.  Dieses  Maß  bieten  einzelne  Himmelskörper  durch  ihre  ewig  ge- 
setzmäßige Bewegung  und  durch  ihre  nach  Perioden  wiederkehrenden 
Erscheinungsformen.  Insbesondere  sind  es  die  Sonne  und  der  Mond, 
welche  schon  in  frühester  Zeit  der  Kulturentwicklung  der  Menschheit 
als  die  natürlichen  Zeitmesser  angesehen  worden  sind,  da  die  Sonne 
durch  ihren  scheinbaren  Umlauf  die  Jahreszeiten  und  das  Jahr,  und 
der  Mond  durch  seine  wechselnden  Lichtgestalten  die  nächst  kleineren 
Zeiträume,  die  Monate,  abmißt.  Um  aber  ein  sich  bewegendes 
Himmelsobjekt  als  Zeitmesser  benützen  d.  h.  angeben  zu  können, 
wievielmal  ge'VN^sse  Perioden  seiner  Bewegung  in  gegebenen  Zeit- 
räumen enthalten  sind,  mußte  man  eine  klare  Vorstellung  von  der 
Art  der  Bewegungen  der  Sonne  und  des  Mondes  zu  erlangen  suchen. 
Auf  diese  Weise  wurde  die  Menschheit  zur  Beobachtung  des  Himmels 
geführt,  und  die  Astronomie  verdankt  zum  guten  Teile  jener  Not- 
wendigkeit der  Zeitmessung  ihren  Ursprung.  Das  Ergebnis  der  Be- 
obachtungen der  Sonne  und  des  Mondes  waren  die  Jahrformen,  welche 
von  den  einzelnen  Nationen,  je  nach  dem  Grade  der  Erkenntnis  und 
je  nach  Entwicklungsbedinguugen,  die  in  dem  Werden  der  Völker  mit- 
spielten, mehr  oder  minder  übereinstimmend  oder  abweichend  aus- 
gestaltet wurden.  Die  Lehi'e  von  der  Beschaffenheit  der  verschiedenen 
Jahrformen  und  von  den  inneren  Einrichtungen  des  Jahres  bei  den 
einzelnen  Völkern  heißt  die  technische  Chronologie.  Unsere 
Kenntnis  derselben  beruht  gegenwärtig  hauptsächlich  auf  den  Denk- 
mälern, dem  archäologischen  und  inschriftlichen  Material,  das  uns  jene 
Völker  aus  verschiedenen  Kulturepochen  hinterlassen  haben;  daneben 
kommt  ihre  Nationalliteratur  in  Betracht.  Die  Nachrichten,  welche  die 
klassischen  Schriftsteller  darbieten,  und  auf  die  man  sich  früher  haupt- 
sächlich stützen  mußte,  sind  größernteils  in  die  zweite  Linie  zurück- 
getreten. Bei  der  Sichtung  und  Kritik  jenes  Materials  leistet  die 
rechnende  Astronomie  oft  Beihilfe,  indem  sie  die  jMittel  zur  Beurteilung 

1* 


4  Astronomische   Begriffe   der  teclinischen   Chronologie. 

der  Tradition  herbeischafft.  Unter  m  a  t  h  e  m  a  t  i  s  c  h  e  r  C  h  r  o  n  o  1  o  g  i  e 
versteht  man  vorzugsweise  die  astronomischen  Lehren  von  den  Be- 
wegungen der  Sonne  und  des  Mondes,  inwieweit  sie  mit  dem  Zeit- 
rechnungswesen in  Verbindung  sind;  im  engeren  Sinn  aber  besonders 
die  Anwendung  der  Mathematik  auf  die  Ergebnisse  der  technischen 
Chronologie,  wie  die  Herst elhmg  von  Formeln  zur  Verwandlung  ge- 
gebener Daten  einer  Zeitrechnungsform  in  Daten  einer  anderen  u.  dgl. 
Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Verhältnisse  hat  diese  Disziplin 
weit  weniger  Interesse  füi-  den  Historiker  als  früher,  und  es  wird 
deshalb  im  vorliegenden  Werke  überwiegend  die  technische  Chronologie 
behandelt  werdend 

Den  eben  gemachten  Andeutungen  entsprechend  tritt  die  Not- 
wendigkeit einer  Einleitung  hervor,  welche  auf  die  technische 
Chronologie  der  einzelnen  Völker  vorbereitet.  Ich  zerfalle  dieselbe  in 
drei  Kapitel.  Das  erste  Kapitel  der  Einleitung  gibt  eine  Definition 
der  astronomischen  Begriffe  und  technischen  Ausdrücke,  soweit  solche 
in  der  technischen  Chronologie  vorkommen.  Das  zweite  bespricht  die 
Hilfsmittel,  mit  denen  die  moderne  Chronologie  arbeitet,  und  zwar  die 
astronomischen  und  die  archäologisch-historischen.  Das  dritte,  welches 
man  einen  Versuch  oder  Abriß  vergleichender  Chronologie 
nennen  kann,  hebt  die  Haupt-Zeitelemente  besonders  hervor,  w^ eiche 
den  Zeitrechnungsformen  gemeinsam  sind,  und  sucht  deren  Entstehung, 
soweit  der  Stand  der  Forschung  dies  zuläßt,  zurück  zu  verfolgen. 


A)  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

§  2.    Yorjjegriffe. 

Der  gestirnte  Himmel  erscheint  uns  überall,  wohin  wir  uns  an 
der  Erdoberfläche  begeben,  als  Kugel  und  zwar  als  Halbkugel,  indem 
wir  immer  nur  den  Teil  des  Himmels  sehen  können,  welcher  über 
unserm  jeweiligen  Horizonte  liegt.  Denken  wir  uns  in  irgend  einem 
Standpunkte   an   der  Erdoberfläche    eine   horizontale  Linie  markiert 


1)  Der  '■J'itel  , Handbuch  der  math.  u.  technischen  Chronol."  dieses  Werkes 
•wurde  nur  nnit  Rücksicht  auf  das  gleichnamige  Werk  von  Ideleh,  dessen  Ziele  dem 
Verfasser  vorschwebten,  beibehalten.  Die  mathematische  Chronologie  hat  aus  dem 
Grunde  an  Interesse  für  den  Historiker  verloren,  weil  gegenwärtig  für  die  meisten 
Zeitrechnungsarten  ausgedehnte  Tafeln  vorhanden  sind,  nach  denen  man  fast  ohne 
Rechnung  die  Daten  einer  Zeitrechnung  in  diejenigen  einer  anderen  verwandeln 
kann,  ohne  daß  ein  Zurückgehen  auf  die  Formeln  der  Astronomen  notwendig  wird. 
Desgleichen  sind  die  anderweitigen  astronomischen  Hilfsmittel  vereinfacht  und  be- 
quemer eingerichtet  worden,  so  daß  die  mathematischen  Vorschriften  sehr  zurück- 
treten und  der  Historiker  meist  ohne  besondere  mathematische  Kenntnisse  jene 
Hilfsmitt(!l  benützen  kann. 


§    •_>.      Vorb.'-rirtV.  5 

(z.  B.  mit  Hilfe  der  Wasseiwage)  und  auf  derselben  eine  Senkrechte 
errichtet,  bis  diese  die  scheinbare  Himmelskugel  in  einem  Punkte 
trifft,  so  heißt  letzterer  Punkt  Z  das  Zenit  (oder  der  Scheitelpunkt) 
unseres  Standortes;  die  Verlänoerung-  dieser  Linie  führt  durch  den  Erd- 
mittelpunkt 0  (s.  Fig-.  1).  Die  durch  die  Horizontale  gelegte  Ebene  heißt 
die  Ebene  des  scheinbaren  Horizontes  und  die  zu  ihr  parallele, 
aber  durch  das  Erdenzentrum  0  gehende  Ebene  der  wahre  Horizont 
(HT).  Jeder  Ort  auf  der  Erde  hat  also  sein  eigenes  besonderes  Zenit 
und   seinen   besonderen   wahren  Horizont.     Der   dem  Zenit  entgegen- 


gesetzt liegende  Punkt  Z'  der  Senkrechten,  welcher  also  auf  der  für 
uns  unsichtbaren  Himmelshalbkugel  liegt,  heißt  das  Nadir  (der 
Fußpunktj.  Vermöge  der  Bewegung  der  Erde  um  sich  selbst  scheint 
sich  der  Sternhimmel  von  Ost  nach  West  zu  bewegen,  und  zwar  ergibt 
eine  aufmerksame  Betrachtung,  daß  nur  ein  Teil  der  Sterne  über  dem 
Horizonte  auf-  und  untergeht,  andere  dagegen  die  ganze  Nacht  über  dem 
Horizonte  bleiben  und  sich  nm'  sehr  langsam  fortbewegen;  an  einem 
bestimmten  Punkte  des  Himmels  scheint  überhaupt  kein  Umschwung 
des  Himmels  stattzufinden.  Dieser  letztere  Punkt  P,  um  welchen  die 
ihm  nahen  Sterne  ihre  Kreise  nur  langsam  durchwandern,  heißt  auf 
unserer  Nordhalbkugel  der  Nordpol  des  Himmels,  der  ihm  ent- 


6  Astronomische   Begrifte   der   technischen   Chronologie. 

gegengesetzte  der  Südpol;  beide  Pole  lieißen  die  H  i  m  m  e  1  s  p  o  1  e ;  sie 
müssen,  wie  bei  der  großen  Entfernung  der  Sterne  von  der  Erde  im  Ver- 
hältnis zum  Erddurchmesser  begreiflich,  beide  in  der  Verlängerung  der 
Erdachse  liegen.  Um  diese  Weltachse  (verlängerte  Erdachse)  PP' 
bewegen  sich  die  Sterne  in  Kreisebenen,  welche  auf  der  Weltachse 
senkrecht  stehen;  diese  Ki'eise  heißen  Parallelkreise  (z.  B.  GG). 
Der  größte  der  Parallelkreise  wird  jener  sein,  der  durch  den  Erd- 
mittelpunkt geht;  dieser  Parallelkreis  AQ,  welcher  die  Himmels- 
sphäre in  zwei  gleich  große  Halbkugeln  teilt,  ist  der  Äquator. 
Wenn  wir  durch  die  Weltachse  verschiedene  Ebenen  legen,  welche 
die  Himmelskugel  in  größten  Kreisen  schneiden,  so  heißen  diese  die 
Meridiane  des  Himmels;  sie  gehen  durch  die  Pole  PP'  und  stehen 
alle  senkrecht  auf  der  Äquatorebene.  Die  Meridianebene,  welche  durch 
einen  gegebenen  Ort  der  Erdoberfläche  geht,  der  Meridian  des 
Ortes  (Mittagskreis),  enthält  die  Weltpole,  das  Zenit  und  Nadir,  und 
schneidet  die  Horizontebene  in  einer  Geraden,  der  Mittagslinie. 
Für  den  Ort  0  ist  der  Halbkreis  TPZH  der  Meridian,  HOT  die  Mittags- 
linie. Ein  Stern,  welcher  einen  Parallelkreis  LL'  beschreibt,  muß 
notwendigerweise  den  Meridian  des  Ortes  in  einem  Punkte  L  treffen; 
man  sagt  dann,  der  Stern  kulminiert.  Die  Zeiten  zwischen  dem 
Aufgange  und  der  Kulmination  resp.  dem  Untergange  sind  einander 
gleich,  d.  h.  die  Halbetag-Bogen  «L  und  ßh  werden  durch  den  Kul- 
minationspunkt gleich  groß.  Liegt  die  Kulmination  auf  dem  Teile 
des  Meridians,  welcher  den  sichtbaren  Pol  und  das  Zenit  enthält,  so 
ist  dies  die  obere  Kulmination  des  Sterns  (auf  dem  Bogen  TZP); 
die  untere  Kulmination  liegt  auf  dem  Ergänzungsbogen  PH.  Der 
Bogen  PH  zwischen  dem  Pol  und  der  jeweiligen  Horizontebene  ist 
die  P  0 1  h  ö  h  e  (oder  geogr.  Breite  (f  des  betr.  Ortes).  Von  denjenigen 
Sternen,  deren  Polabstand  PG,  PG'  kleiner  ist  als  PH,  werden  wir 
beide  Kulminationen  beobachten  können;  solche  Sterne  —  die  also 
immer  über  dem  Horizonte  sind  —  heißen  Circumpolarsterne; 
ist  der  Polabstaud  der  Sterne  beträchtlich,  so  daß  ihr  Parallelkreis 
die  Horizontebene  schneidet,  wie  bei  LL',  so  kann  an  dem  Orte  nur 
eine  Kulmination  des  Sterns  gesehen  werden. 

§  3.    Die  vier  Koordinatensysteme. 

Mittelst  der  Ebene  des  Horizontes  und  mit  dem  Zenit  läßt  sich  die 
Lage  eines  Gestirns  gegen  einen  Ort  der  Erde  folgenderweise  angeben. 
Die  Sterne  erscheinen  mehr  oder  weniger  hoch  über  dem  Horizonte.  Ein 
durch  den  Stern  parallel  zum  Horizont  gelegter  Kreis  heißt  Horizon- 
talkreis oder  Almukantarat  (NN').  Man  legt  durch  den  Stern 
M  und  durch  das  Zenit  Z   einen  größten  Kreis  ZRR',  welcher  auf 


§   3.     Die   vier  Koordinatensysteme.  7 

dem  Horizonte  (und  dem  Almukantarat)  senkrecht  stehen  wird;  ein 
solcher  Kreis  heißt  Vertikal-  oder  Höhen  kreis.  Der  Bogen  RM 
zwischen  dem  Gestirn  und  dem  Horizont  ist  die  Höhe,  und  der 
Horizontbogen  Tli'HR,  nämlich  vom  Südpunkte  T  der  Mittagslinie 
über  Westen  (R'),  den  Nordpunkte  (H)  bis  zum  Fußpunkte  R  gezählt, 
ist  das  Azimut  des  Sterns ^  Das  Azimut  stellt  also  den  Winkel 
vor,  welcher  zwischen  dem  Meridiane  und  dem  Höhenkreise  irgend 
eines  Sterns  enthalten  ist.  Die  Ergänzung  der  Höhe  des  Gestirns  zu 
900  iieißt  die  Zenitdi  stanz  (MZ). 

Der  Horizont  ändert  vermöge  der  Achsendrehung  der  Erde  fort- 
während seine  Lage  gegen  die  Gestirne,  resp.  Azimute  und  Höhen 
der  letzteren  variieren.  Dagegen  bleiben  die  Abstände  der  Gestirne 
vom  Äquator  die  gleichen,  da  sie  über  und  unter  demselben  Parallel- 
kreise (GG)  beschreiben.  Legen  wir  durch  die  "\^>ltpole  und  das 
Gestirn  eine  Ebene  PMP',  so  steht  dieselbe  senkrecht  auf  dem  Äquator 
AQ.  Der  Bogen  MM'  zwischen  dem  Gestirn  und  dem  Äquator  ist  die 
Deklination  (Abweichung)  des  Gestirns;  sie  wird  positiv  für  die 
nördliche  Stellung  der  Sterne  vom  Äquator,  negativ  für  südliche 
Stellung  genommen.  Die  Deklination  ergänzt  sich  durch  die  Pol- 
distanz  PM  zu  90^.  Das  Gestirn  M  vollführt  in  einem  Tage  auf 
dem  durch  M  gehenden  und  auf  der  Achse  PP'  senkrechten  Parallel- 
kreise HH'  einen  vollen  Umlauf  d.  h.  360*^  in  24  Stunden;  es  nähert 
sich  im  Lauf  des  Tags  dem  Meridiane  TZH  und  geht  durch  denselben 
hindurch.  Der  jeweilige  Abstand  des  Deklinationskreises  PMP'  (auch 
Stundenkreis  genannt)  vom  Meridiane  heißt  der  Stundenwinkel 
des  Gestirns.  Derselbe  ist  Null,  wenn  das  Gestirn  den  Meridian  durch- 
schneidet. Der  Stundenwinkel  wird  vom  Meridiane  aus  gezählt  über 
Osten  nach  Westen;  er  wird  in  Zeit-  oder  Bogenmaß  ausgedrückt, 
Ih  =  150^  auch  als  w^estlicher  (positiver)  und  östlicher  (negativer) 
Stundenwinkel  unterschieden"-.  Stundenwinkel  und  Deklination  (resp. 
Poldistanz)  eines  Sterns  bilden  das  zweite  Koordinatensystem,  durch 
welches  die  Lage  des  Sterns  gegen  die  Erde  angegeben  werden  kann. 

Der  Stundenwinkel  dieses  Systems  ist,  wie  man  sieht,  nicht  nur 
nach  der  Zeit  veränderlich,  sondern  auch  für  einen  jeden  anderen 
Meridian  der  Erde  verschieden,  und  zwar  um  die  Differenz  der  Meri- 


1)  Das  Azimut  wird  auch  als  östliches  und  westliches,  von  0**  bis  180<>  gezählt, 
und  zwar  östlich  negativ,  westlich  positiv. 

2)  Stunden,  Minuten,  Sekunden  werden  in  der  Astronomie  mit  den  Buchstaben 
h,  m,  s  bezeichnet,  zum  Unterschiede  vom  Bogenmaß,  dessen  Grade,  Minuten, 
Sekunden  mit  °,  ',  ",  bezeichnet  werden.  Für  die  fortwährend  vorkommende  Ver- 
wandlung beider  Maße  ineinander  hat  man 

Ih    =  150  p  =  4ni 

Im  =  15'  r  =-  48 

l8  =  15"-,  1"=  0,07«. 


8  Astronomisclie   Begriffe   der  technischen   Chronologie. 

diane,  die  zwischen  den  gegebenen  Orten  liegt.  Die  Deklination  da- 
gegen ist  eine  für  alle  Erdorte  konstante  Koordinate.  Man  kann  den 
Stunden  Winkel  durch  eine  unveränderliche  Koordinate  ersetzen,  wenn 
man  die  Ekliptik  einführt.  Die  Ekliptik  (Sonnenbahn)  ist  der 
gi'ößte  Kreis,  den  die  Sonne  im  Laufe  eines  Jahres  scheinbar  um  die 
Erde  beschreibt;  diese  Bahn  projiziert  sich  auf  die  Himmelshalbkugel 
als  eine  gegen  den  Äquator  um  23V2^  geneigte  Kurve  EK,  Avelche  die 
Äquatorebene  AQ  in  zwei  einander  gegenüber  liegenden  Punkten  F 
und  F'  schneidet.  Letztere  Punkte  erreicht  die  Sonne  im  Frühlinge 
(21.  März)  und  Herbste  (23.  September);  sie  heißen  Äquinoktial- 
punkte (Frühlings-  und  Herbstpunkt) ;  Tag  und  Nacht  sind  zu  jenen 
Zeiten  gleich  lang,  daher  die  beiden  Punkte  auch  Tag-  und  Nacht- 
gleichenpunkte genannt  werden.  Da  die  Lage  des  Frühlingspunktes 
innerhalb  kleiner  Zeiträume  nahezu  unveränderlich  ist  (die  Bewegung 
desselben  kann  sehr  genau  in  Rechnung  gebracht  werden),  so  kann 
man  die  Stundenkreise  von  diesem  festen  Punkte  aus  zählen.  Die 
neue  Koordinate,  der  Bogen  des  Äquators  M'F,  von  West  nach  Ost, 
also  der  täglichen  Bewegung  entgegengesetzt  gerechnet,  heißt  die 
Rektaszension  (gerade  Aufsteigung,  Ascensio  recta)  des  Sterns  M. 
Rektaszension  und  Deklination  bestimmen  also  die  Lage  eines  Gestirns 
vollständig.  Das  auf  sie  gegründete  Koordinatensystem  verändert  sich 
erst  nach  langen  Zeiträumen.  Um  den  Ort  des  Gestirns  für  eine  be- 
stimmte Zeit  angeben  zu  können,  muß  man  noch  den  Stundenwinkel, 
den  der  Frühlingspunkt  zur  gegebenen  Zeit  gegen  den  Meridian  macht, 
kennen.  Dieser  Stundenwinkel  heißt  die  Sternzeit;  wenn  der 
Frühlingspunkt  durch  den  Meridian  eines  Ortes  geht,  hat  der  Ort  O'' 
Sternzeit.  Die  Rektaszension  eines  Sterns  ist  somit  durch  die  Gleichung 
bestimmt:  Sternzeit  minus  entsprechender  Stunden winkel ,  oder:  man 
findet  den  jeweiligen  Stundenwinkel  des  Sterns,  wenn  man  von  der 
Ortssternzeit  die  Rektaszension  des  Sterns  subtrahiert.  —  Kolur- 
kreis  heißt  der  durch  die  Punkte  F  und  F  gehende  Stundenkreis,  und 
zwar  ist  der  erstere  der  Kolur  der  Tag-  und  Nachtgi eichen;  der  andere 
Kolur,  um  90^  von  jenem  verschieden  und  den  Solstitien  oder  AVende- 
punkten  (am  22.  Juni  und  23.  Dezember)  entsprechend,  ist  der  Kolur 
der  Wendepunkte. 

Das  vierte  Koordinatensystem  beruht  ebenfalls  auf  der  Ekliptik. 
Die  Pole  BB'  der  Ekliptik  stehen  senkrecht  auf  der  Ekliptik  EK. 
Ein  durch  den  Stern  M  und  die  Pole  BB'  gelegter  größter  Kreis,  der 
Breitenkreis,  steht  senkrecht  auf  der  Ekliptik,  Der  Bogen  MM" 
zwischen  dem  Stern  und  der  Ekliptik  ist  die  Breite  des  Gestirns, 
positiv  für  die  nördliche  der  beiden  von  der  Ekliptik  abgeschnittenen 
Hemisphären,  negativ  für  die  südliche.  Der  Ekliptikalbogen  M"F  vom 
Breitenkreise  bis  zum  Frühlingspunkt,  gezählt  wie  die  Rektaszension 


§  4.    Geogra])liisclie  Länge  und  Breite.    IJcduktidn  der   Zeit.  9 

Über  Osten,  entgegengesetzt  der  täglichen  BeAvegung  des  Himmels,  ist 
die  Länge  des  Sterns ^ 

Das  wichtigste  von  diesen  vier  Koordinatensj'stemen  ist  für  die 
praktische  Astronomie  das  der  Rektaszension  und  Deklination,  da  die 
Positionen  der  Gestirne  vorzugsweise  durch  Rektaszension  und  Deklina- 
tion angegeben  werden  und  weil  die  Einrichtung  des  größten  Teils 
der  Messungsinstrumente  diese  Koordinaten  direkt  oder  indirekt  liefert. 
In  Länge  und  Breite  werden  hauptsächlich  die  aus  der  mathematischen 
Bewegungstheorie  der  Himmelskörper  resultierenden  Stelluugen  der  Ge- 
stirne, insbesondere  jene  der  großen  Planeten,  ausgedrückt.  Azimut  und 
Höhe  haben  nur  vereinzeltes  Interesse  für  Beobachtung  und  Rechnung. 

§  4.    Gleograpliische  Länge  und  Breite.    Reduktion  der  Zeit. 

Wir  haben  oben  gesehen,  daß  die  Erdachse  ein  Teil  der  Welt- 
achse PP  (s.  Fig.  1)  ist;  setzen  wir  in  den  Mittelpunkt  der  Himmels- 
kugel also  die  Erde,  so  liegen  die  Endpunkte  der  Achse  der  Erde, 
der  Nordpol  und  der  Südpol,  in  der  Weltachse;  ebenso  entsteht 
der  Erdäquator  durch  den  Durchschnitt  des  Himmelsäquators  AQ 
mit  der  Erdkugel.  Ebenen,  die  man  durch  verschiedene  Orte  der 
Erdoberfläche  parallel  zum  Äquator  legt,  stehen  auf  der  Erdachse 
senkrecht  und  ergeben  parallele  Kreislinien  zum  Äquator;  sie  heißen 
Breitenkreise.  Denkt  man  sich  irgend  einen  Ort  eines  Breiten- 
kreises mit  dem  Erdmittelpunkte  verbunden,  so  heißt  ,der  Winkel, 
welcher  zwischen  dieser  Verbindungslinie  und  der  Äquatorebene  ent- 
steht, die  geographische  Breite  des  Ortes.  Sie  ist  gleich  der 
Polhöhe  HOP,  und  wird  für  Orte  der  nördlichen  Erdhalbkugel  positiv 
(nördliche  Br.),  für  Orte  der  südlichen  negativ  (südliche  Br.)  und  zwar 
von  0°  bis  90^  gezählt;  0"  Breite  entspricht  den  Orten  am  Äquator. 
Sämtliche  Orte,  die  unter  ein  und  demselben  Parallelkreise  liegen, 
haben  dieselbe  Breite.  Legen  wir  durch  die  Erdachse  eine  Ebene, 
so  entsteht  durch  den  Schnitt  der  letzteren  mit  der  Erdoberfläche  ein 
größter  Kreis,  welcher  durch  die  beiden  Pole  geht  und  zum  Äquator 
senkrecht  ist;  er  entspricht  den  Himmelsmeridianen  PZT,  PUP',  und 
heißt  wie  diese  der  Meridian  eines  Ortes.  Jeder  Ort  eines  ge- 
gebenen Breitenkreises  hat  seinen  eigenen  Meridian,  da  sich  durch 
alle  Punkte  dieses  Kreises  und  durch  die  Pole  solche  Ebenen  legen 
lassen.  Wählt  man,  um  den  Abstand  der  Meridiane  von  einander 
bequem  zählen  zu  können,  einen  Meridian  für  den  Anfangspunkt  der 
Zählung  aus,  so  nennt  man  diesen  Meridian  den  H  a  u  p  t  -  oder  N  u  1 1  - 
m  e  r  i  d  i  a  n.   Der  Abstand  irgend  eines  andern  Meridians  von  dem  Haupt- 


1)  Längen  und  Breiten  der  Gestirne  sind  also  ganz  zu  unterscheiden  von  den 
Längen  und  Breiten  (geographischen  Koordinaten)  der  Erdorte. 


10  Astronomisclie  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

meridiane,  von  0"  bis  360"  in  östlicher  Richtung  um  die  Erde,  oder  von 
0»  bis  1800  (oder  bis  12'>)  in  westlicher  und  0«  bis  180«  resp.  12>^  in  öst- 
licher Eichtung  vom  Hauptraeridiane  gezählt,  ist  die  geographische 
Länge  des  Meridians;  alle  Orte,  die  unter  einem  gegebenen  Meri- 
diane liegen,  haben  die  gleiche  Länge  gegen  den  Hauptmeridian.  Als 
Hauptmeridiane  haben  diejenigen  besondere  Wichtigkeit,  welche  den 
Angaben  der  astronomischen  Jahrbücher  zugrunde  liegen,  und  zwar 
die  Meridiane  von  (jreenwich  (wegen  des  Nautical  Almanac),  von  Paris 
(wegen  der  Connaissance  des  temps),  von  Berlin  (wegen  des  Berl.  Astr. 
Jahrbuchs)   und   von  Washington   (wegen   der  American  Ephemeris)^ 

Da  die  Sterne,  wie  schon  gesagt  wurde,  Parallelkreise  über  dem 
Äquator,  und  zwar  in  der  Richtung  von  Ost  nach  West  während  eines 
Tages  zu  beschreiben  scheinen,  so  kann  ein  bestimmter  Stern  seine 
Kulmination  d.  h.  seinen  Durchgang  durch  die  einzelnen  Meridiane 
der  Erdkugel  nicht  überall  zu  derselben  Zeit  erreichen.  Wenn  der 
Stern  zu  einer  gewissen  Zeit  in  dem  Meridiane  TZH,  also  für  einen 
in  dieser  Linie  gelegenen  Erdort  kulminiert  hat,  so  wird  er  für  einen 
Ort  unter  dem  Meridiane  PUP',  westlich  vom  ersteren  Meridian, 
später  kulminieren,  und  zwar  für  je  1°  Längendifferenz  der  beiden 
Meridiane  um  4"'  später  (um  24i':  360).  Der  Unterschied  der  geo- 
graphischen Längen  eines  gegebenen  Meridians  gegen  einen  Haupt- 
meridian gibt  daher  auch  die  Zeit  an,  um  wieviel  später  oder  früher 
die  Kulmination  der  Gestirne  in  den  einzelnen  Meridianen  erfolgt  als 
im  Hauptmeridian.  Kulminiert  z.  B.  ein  Stern  im  Meridiane  von 
Berlin  an  irgend  einem  Tage  um  9''  16"  0^  abends,  so  wird  er  für 
München,  welches  eine  westliche  Länge  von  P  47,2'  oder  0''  7'"  O'^  gegen 
den  Berliner  Meridian   hat,   um   letzteren  Betrag  später  kulminieren. 

Durch  die  Kulminationen  der  Sonne  wird  die  Zeit  bestimmt,  mit 
der  wir  hauptsächlich  rechnen,  die  für  jeden  einzelnen  Meridian  maß- 
gebende Ortszeit.  Die  vorgelegte  Zeit  eines  Meridians  durch  die  Zeit 
eines  Hauptmeridians  ausdrücken,  heißt  die  Zeit  reduzieren.  Man 
hat  bei  der  Reduktion  nach  folgender  Regel  vorzugehen:  Liegt  der 
gegebene  Ort  östlich  vom  Hauptmeridian,  so  hat  man  von  der  Zeit- 
angabe des  Ortes  die  Längendifferenz  zu  subtrahieren,  um  die  ent- 
sprechende Zeit  des  Hauptmeridians  zu  erhalten;  und  umgekehrt,  ist 
eine  westliche  Zeitangabe  auf  den  Hauptmeridian  zu  bringen,  so  wird 
man  die  Längendifferenz  zu  jener  Zeitangabe  addieren'-.   Das  Reduzieren 


1)  Der  Meridian  von  Ferro,  welcher  20**  westl.  Paris  angenommen  wird,  hat 
bloß  geographisches  Interesse.  Die  Längen  der  obigen  Hauptmeridiane  gegen  den 
von  Berlin  sind:  Greenwich  0^  53^  35s  westl.,  Paris  0^  44™  14»  westl.,  Washington 
ßh  Im  5i8  westl. 

2)  Die  Reduktion  betrift't  nicht  nur  die  Ortszeit  (mittlere  Zeit),  sondern  auch 
die  wahre  Zeit  und  die  Sternzeit,  die  für  bestimmte  Meridiane  etwa  gegeben  sind. 


§  4.    Geographische  Länge  und  Breite.    Reduktion  der  Zeit.  11 

ist  für  den  Historiker  insofern  wichtig,  da  er  leicht  in  die  Lage  kommen 
kann,  astronomische  Zeitangaben  eines  Ortes  in  die  Zeiten  eines  anderen 
Ortes  verwandeln  zu  müssen.  Für  die  7.  Mondfinsternis  des  Almagest 
(Heibeeg  I  329,  6)  folgt  z.  B.  das  Rechnungsresultat:  Mitte  der  Ver- 
finsterung 23**  28"'  m.  Zeit  Babylon ;  welche  Zeit  des  Hauptmeridians 
Greenwich  entspricht  dieser  Angabe?  Da  die  Längendifferenz  Greenwich- 
Babj^lon  2''  58™  östlich  ist,  so  hat  man  2''  58™  zu  subtrahieren  und 
erhält  20''  80™  Greenwicher  Zeit. 

Aus  diesen  kurzen  Darlegungen  ersieht  man,  daß  die  richtig 
nach  Ortszeit  gehenden  Uhren  unter  einem  Meridian,  der  östlich  von 
einem  Hauptmeridian  liegt,  vorausgehen  gegen  diejenigen  unter 
dem  Hauptmeridiane,  und  die  westlichen  eines  Meridians  nachgehen 
gegen  die  Uhren  des  Hauptmeridians.  Jemandem,  der  um  die  Erde 
beständig  in  der  östlichen  Richtung  reist  und  seine  Uhr  nicht  korrigiert, 
verkürzen  sich  die  einzelnen  Tage,  da  ihm  die  Sonne  täglich  früher 
aufzugehen  scheint;  da  die  Verkürzung  für  je  1^  Länge  aber  4  Zeit- 
minuten beträgt,  hat  er  nach  der  halben  Reise  um  die  Erde  (180*^) 
schon  einen  halben  Tag,  und  nach  der  Rückkehr  an  den  Ausgangs- 
punkt einen  ganzen  Tag  mehr  im  Datum.  Bei  entgegengesetzter  west- 
licher Fahrt  um  die  Erde  verliert  der  Weltumsegler  hingegen  einen 
Tag'.  Um  diese  Datumverschiebung  zu  vermeiden,  wurde  es  bei  den 
Seefahrern  Gebrauch,  bei  westlicher  Fahrt  nach  Überschreitung  des  180^. 
V.  Greenw.  einen  Tag  in  der  Datumzählung  auszulassen,  dagegen  bei 
der  Reise  von  West  nach  Ost  nach  dem  180^.  v.  Greenw.  einen  Tag 
einzuschieben  d.  h.  ein  Datum  zweimal  zu  zählen.  Hieraus  ist  in  Ost- 
asien die  Da  tum  grenze  entstanden,  welche  sich  allerdings  nicht 
genau  an  diese  Regel  anschließt;  auf  den  ostasiatischen  und  austra- 
lischen Inseln  wurde  nämlich  das  Datum  üblich,  welches  die  Entdecker 
der  Liseln  auf  ihrer  Fahrt  von  Osten  oder  von  Westen  her  in  ihrer 
Datierung  führten,  wodurch  im  Laufe  der  geographischen  Entdeckungen 
eine  Grenzlinie  entstand,  jenseits  welcher  man  die  Datierung  mit  der 
europäischen  übereinstimmend  oder  verschieden  rechnete.  Gegenwärtig 
geht  die  Datumgrenze  (an  welcher  mit  der  Zeit  Veränderungen  ein- 
getreten sind)  durch  die  Behringsstraße  und  läuft  südwärts  im  Osten 
von  Japan,  den  Marschallinseln,  den  Fidschiinseln  und  Neuseeland. 
Die  Orte  westlich  von  dieser  Linie  haben  ostasiatisches  Datum,  die 
östlichen  Orte,  also  die  australischen  Inseln,  haben  das  amerikanische 
Datum. 


1)  Dies  bemerkten  z.  B.  die  Schiffer,  welche  von  der  Magelhaenschen  Erd- 
umsegelung 1522  nach  Europa  zurückkehrten.  Nach  der  Schiffsrechnung  schrieben 
sie  bei  ihrem  Eintreffen  in  San  Lucar  den  6.  September;  dort  zählte  man  aber  schon 
den  7.  September. 


12 


Astronomische  Begriffe  der  technisclien  Chronologie. 


§  5.    Die  Bewegung   der  Sonne   in  der  Ekliptik.    Jahreszeiten. 

Die  Arten  der  Zeit. 

Die  Rektaszensioii  und  Deklination  der  Sterne,  also  die  Stellung 
der  Sterne  gegen  den  Äquator,  bleibt  ungefähr  dieselbe,  ändert  sich 
im  Laufe  der  Zeit  wenigstens  nur  allmählich.  Die  Sonne  ändert  aber 
ihre  Rektaszension  und  Deklination  innerhalb  eines  Jahres  fortwährend, 
ihre  scheinbare  Bahn  kann  also  zum  Äquator  nicht  parallel  laufen. 
Dies  geht  schon  aus  der  leicht  zu  machenden  Beobachtung  hervor,  daß 
die  Kulminationshöllen  der  Sonne  (wenn  sie  durch  den  Meridian  eines 

Ortes  geht)  im  Som- 
mer wachsen ,  im 
Winter  abnehmen, 
und  demgemäß  die 
Tagbogen  länger 
resp.  kürzer  wer- 
den. Aus  Beobach- 
tungen der  Höhen 
der  Sonne  kann 
man  finden ,  daß 
die  Deklination  der 
Sonne  am  22.  Juni 
etwa  23»  27'  über 
dem  Äquator  (posi- 
tiv), und  am  23.  De- 
zember ebenfalls 
23«  27',  aber  unter 
dem  Äquator  (nega- 
tiv) ist;  ferner,  daß  die  Deklination  vom  ersteren  Tage  an  abnimmt,  an- 
fangs langsam,  um  die  Herbstzeit  aber  rasch,  daß  sie  am  23.  September 
Null  wird  und,  nachdem  sie  am  23.  Dezember  den  tiefsten  Stand 
erreicht  hat,  wieder  schnell  wächst  und  am  21.  März  abermals  Null 
Grad  erreicht.  Dies  beweist,  daß  die  Ebene  der  Ekliptik  (in  der 
die  Sonne  sich  bewegt)  gegen  den  Äquator  einen  Winkel  von  etwa 
23^  27'  macht,  und  daß  beide  Ebenen  sich  in  einer  Geraden  schneiden. 
Die  Schnittpunkte  FF'  (Fig.  1),  in  denen  die  Sonne  am  21.  März  und 
23.  September  steht,  wo  also  ihre  Deklination  Null  ist,  haben  wir 
schon  als  den  Frühjahrs-  und  Herbst-Tagundnachtgleichepunkt  kennen 
gelernt.  Die  vorstehende  Fig.  2  zeigt,  in  welcher  Rektaszension  und 
Deklination  sich  die  Sonne  während  eines  Jahres  am  ersten  Tage  der 
12  Monate  befindet;  man  wird  aus  der  Deklinationskurve  DSD'  er- 
kennen, daß  die  Veränderung  des  Sonnenortes  gegen  den  Äquator  zur 
Zeit  des  Frühjahr-  und  Herbstäquinoktiums,   an  den  Rektaszensions- 


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Fig.  2. 


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ij  5.    Die  Bewegung  der  Sonne.    Jahreszeiten.    Die  Arten   der  Zeit. 


13 


punkten  0''  und  12''  am  schnellsten  ist.  Teilt  man  die  Ekliptik,  vom 
Frühjalirsäquinoktium  ausgehend,  in  12  gleiche  Teile,  so  entsteht  der 
Zodiakus  (Tierkreis).  Die  12  Zeichen  dieses  Kreises  fassen  je  30" 
und  werden  nach  benachbarten  oder  in  den  Kreis  fallenden  Stern- 
bildern in  folgender  Weise  benannt  und  durch  Symbole  gekennzeichnet: 


0—30«  Länge: 

30— 60« 

60— 90« 

90—1200  „ 

120— 150°  „ 

150—180«  „ 

180-210«  ,, 

210—240«  „ 

240-270«  „ 

270—300«  „ 

300—330«  „ 

330—360«  ,. 


T  Widder  (Aries) 

\^    Stier  (Taurus) 

n   Zwillinge  (Gemini) 

55  Krebs  (Cancer) 

^  Löwe  (Leo) 

np  Jungfrau  (Virgo) 

dli  Wage  (Libra) 

V\|  Skorpion  (Scorpius) 

^   Schütze  (Sagittarius) 

Ic,  Steinbock  (Capricornus) 

txt  Wassermann  (Aquarius) 

5    Fische  (Pisces) 


Ältere  Bezeichnungen   sind   für  Schütze  Arcitenens,   für  Wassermann 
Amphora. 

Wäre  die  Bahn  der  Sonne  (resp.  der  Erde)  genau  ein  Kreis,  so 
müßte  die  scheinbare  Sonnenbewegung  durch  die  12  Zeichen  eine  gleich- 
mäßige sein;   da  dies  nicht  der  Fall  ist.  so  folgt,  daß  die  Bahn  eine 


Fig.  3. 

elliptische  (wenngleich  vom  Kreise  nicht  sehr  viel  abweichende)  ist, 
in  deren  einem  Brennpunkte  die  Sonne  steht.  Nach  den  Keplerschen 
Gesetzen  ist  die  Geschwindigkeit  der  Bewegung  in  dem  Punkte  am 
größten,  in  welchem  die  Erde  im  Perihel  d.  h.  der  Sonne  am  nächsten 
ist;  im  entgegengesetzten  Punkte  der  Ellipse,  dem  Aphel,  der  Sonnen- 
ferne, hat  die  Erde  die  langsamste  Bewegung.  Der  Perihelpunkt,  280«, 
wird  von  der  Erde  etwa  am  2.  oder  3.  Januar,  das  Aphel,  100«,  wird 
ungefähr  am  3.  Juli  erreicht  (s.  Fig.  3).    Die  Sonne  erhebt  sich  in  dieser 


14  Astronomische  Begrift'e  der  technischen  Chronologie. 

Ellipse  am  21.  März  über  den  Äquator,  ihre  Deklination  wächst;  dadurch 
werden  ihre  Meridianhöhen  über  dem  Horizonte  größer,  die  Tagebogen 
werden  länger,  und  die  Morgen-  und  Abendzeiten,  d.  h.  die  Abstände 
des  Aufgangspunktes  vom  Ostpunkte  und  des  Untergangspunktes  vom 
Westpunkte  rücken  vor.  Durch  die  länger  währende  Sonnenbestrahlung 
steigt  die  Temperatur  der  Luft  und  des  Erdbodens:  das  Frühjahr 
tritt  ein.  Ungefähr  am  21.  April  ist  die  Sonne  auf  der  Ekliptik  bis 
zum  Zeichen  des  Stiers  (30°),  am  22.  Mai  bis  zu  den  Zwillingen  (60") 
vorgerückt;  am  22.  Juni^  hat  die  Sonne  den  nördlichsten  Punkt  der 
Ekliptik,  das  Zeichen  des  Krebses  (90°),  erreicht;  sie  steht  im  Sommer- 
solstiz.  Die  heiße  Zeit,  der  Sommer,  beginnt  für  die  nördliche  Erd- 
heraisphäre.  Nach  dem  Durchlaufen  dieser  drei  aufsteigenden 
Zeichen  der  Ekliptik  wendet  sich  die  Sonne  (AVendepunkt  des 
Krebses)  in  den  zweiten  Quadranten  und  nähert  sich  wieder  dem 
Äquator;  am  23.  Juli  passiert  sie  das  Zeichen  des  Löwen  (120°),  am 
23.  August  das*  der  Jungfrau  (150°).  Die  Deklination  hat  abgenommen, 
die  Tagebogen  werden  kürzer,  die  Schatten  des  Gnomons  werden  zur 
Mittagszeit  länger-.  Am  23.  September  steht  die  Sonne  wieder  im 
Äquator,  in  der  Wage  (180°),  im  Herbstpunkte.  Tag  und  Nacht 
sind  wieder  gleich  lang.  Nun  gelangt  die  Sonne  in  die  Stellungen  unter- 
halb des  Äquators ;  die  Deklination  wird  negativ,  die  Tagbogen  werden 
immer  kürzer  für  die  Nordhälfte  der  Erde.  Am  24.  Oktober  steht 
die  Sonne  im  Skorpion  (210°),  am  23.  November  im  Schützen  (240°), 
und  am  23.  Dezember  hat  sie  ihre  südlichste  Stellung,  das  Winter- 
solstiz,  das  Zeichen-  des  Steinbocks  (270°),  das  letzte  der  ab- 
steigenden Zeichen,  erreicht.  Die  Tage  sind  jetzt  am  kürzesten, 
die  Mittagsschatten  des  Gnomons  am  längsten,  der  Winter  beginnt. 
Nun  wendet  sich  die  Sonne  wieder  nach  Norden  (Wendepunkt  des 

1)  Diese  Daten  der  Sonneneintritte  in  die  12  Zeichen  entsprechen  nur  der 
Jetztzeit.     Für  weit  zurückliegende  Zeiten  gestalten  sie  sich  wesentlich  anders. 

2)  Die  Messungen  des  Schattens,  welchen  eine  auf  horizontaler  Ebene  gehörig 
senkrecht  stehende  Säule  (Gnomon)  zur  Zeit  der  jeweiligen  Kulmination  der 
Sonne  wirft,  gehört  zu  den  ältesten  Beobachtungen  und  zu  den  Anfängen  der 
Astronomie.  Die  Vergleichung  zweier  Zeiten,  die  zwischen  den  Tagen  der  kürzesten 
oder  längsten  Mittagschatten  der  Sonne  liegen,  gab  ungefähr  die  Länge  des  Jahres; 
die  Schiefe  der  Ekliptik  läßt  sich  ebenfalls  näherungsweise,  wenn  die  geogr.  Breite 
des  Beobachtungsortes  bekannt  ist,  aus  den  Maximalhöhen  der  Sonne  zu  Zeiten 
der  Wendepunkte  mittelst  der  Schattenlängen  bestimmen.  Die  Schattenlängen  eines 
4ni  hohen  Gnomons  z.  B.  betragen  unter  52''  nördl.  Br.  am  22.  Juni  2,2™,  am 
23.  September  5,1™,  am  23.  Dezember  15,4™,  unter  20"  nördl.  Br.  an  denselben 
Tagen  dagegen  nur  0,2™  resp.  1,5™,  resp.  3,8™.  Als  älteste  Bestimmung  der  Schiefe 
der  Ekliptik  wird  die  von  Tschou-Kung  um  1100  v.  Chr.  an  einem  8  Fuß  hohen 
Gnomon  zu  Loyang  (34"  47'  nördl.  Br.)  vorgenommene  Beobachtung  angegeben. 
Die  Gnomonbeobachtungen  spielen  in  der  indischen  Astronomie  eine  wichtige  Rolle. 
Auf  die  Schattenlängen  gründet  sich  die  Berechnung  des  kifjna,  welches  zu  den 
Elementen  des  indischen  Kalenders  gehört  (s.  §  94). 


§  5.     Die  Bewegung  der  Sonne.    Jahreszeiten.    Die  Arten  der  Zeit.  15 

Steinbocks,  Winterpunkt)  und  erreiclit  nach  Durchlaufen  des  Wasser- 
manns (300*^,  am  21.  Januar)  und  der  Fische  (330^',  am  20.  Februar) 
mit  wachsender  Geschwindigkeit  wieder  den  F  r  ü  h  j  a  h  r  s  p  u  n  k  t. 

Die  astronomischen  Jahreszeiten  sind,  wie  man  aus  den 
angeführten  Daten  der  Jahrpunkte  ersielit,  nicht  gleich  lang:  der 
FrühUng  dauert  93  Tage,  vom  21.  März  bis  22.  Juni,  der  Sommer 
93  Tage,  vom  22.  Juni  bis  23.  September,  der  Herbst  91  Tage,  vom 
23.  September  bis  23.  Dezember,  und  der  Winter  88  Tage,  vom 
23.  Dezember  bis  21.  März^.  Die  Sonne  bleibt  also  um  etwa  6  Tage 
länger  auf  dem  nördlichen  Teile  der  Ekliptik  als  auf  dem  südlichen, 
ein  Hinweis  darauf,  daß  sie  sich  ungleich  schnell  in  der  Ekliptik 
bewegt  und  daß  die  Sonnentage  veränderlich  an  Länge  sind. 

Als  das  Maß  der  täglichen  Zeitmessung  kann  entweder  der 
Umschwung  der  Sterne  oder  die  Bewegung  der  Sonne  angenommen 
werden.  Die  zwischen  je  zwei  aufeinander  folgenden  Kulminationen 
eines  bestimmten  Sterns  in  demselben  Meridiane  verfließende  Zeit 
nennt  man  einen  Sterntag.  Er  enthält  24  Stunden  Stern  zeit. 
Man  zählt  0''  Sternzeit,  wenn  der  Frühlingspunkt  durch  den  Orts- 
meridian geht;  es  ist  1^,  2'^,  3''  .  .  .  Sternzeit,  wenn  der  Stunden- 
winkel des  Frühlingspunktes  1*^,  2>i,  3^  .  .  .  beträgt.  Die  Sonne  be- 
wegt sich  aber  nicht  in  einem  Parallelkreise  über  und  unter  dem 
Äquator  wie  der  Stern,  sondern  in  der  Ekliptik.  Nur  am  21.  März, 
wenn  sie  im  Frühlingspunkte  steht,  fällt  ihre  Kulmination  nahe  mit 
0''  Sternzeit  zusammen;  die  Zeit  ihrer  Kulminationen  verschiebt  sich 
also  desto  mehr  gegen  die  Sternzeit,  je  melir  die  Sonne  in  der  Ekliptik 
vorrückt.  Vergleicht  man  die  Sternzeit -Kulminationen  eines  Sterns 
mit  einer  nach  den  Kulminationen  der  Sonne  regulierten  Uhr,  so  wird 
man  finden,  daß  am  22.  ]\Iärz,  einen  Tag  nach  der  Kulmination  des 
Frühlingspunktes,  der  Stern  um  3'"  56^  früher  durch  den  Meridian 
geht  als  Tags  vorher,  am  23.  März  um  den  doppelten  Betrag  von 
3™  56^  früher  u.  s.  f. ;  um  den  22.  Juni  geht  derselbe  Stern  bereits 
6  Stunden  früher  durch  den  Meridian  als  am  21.  März,  am  23.  September 
12  Stunden  früher.  Schließlich  hat  das  mittlere  tropische  Jahr 
(vgl.  S.  32)  einen  ganzen  Tag  gewonnen  und  faßt  36(3,2422  Sternen- 
tage. Während  der  Zeit  also,  wo  die  Sonne  365  mal  kulminiert,  haben 
sich   366  Stern-Kulminationen   vollzogen,   und  die  Sternzeit  durchlief 

1)  Die  Erkenntnis,  daß  die  astronomischen  Jahreszeiten  ungleiche  Länge 
haben,  wird  gewöhnlich  dem  Hippaech  (150  v.  Chr.)  zugeschrieben.  Es  ist  aber 
kaum  mehr  daran  zu  zweifeln,  daß  die  babylonischen  Astronomen  diese  Kenntnis 
schon  vor  Hipparch  gehabt  haben.  Wenigstens  geht  dieses  Resultat  aus  Kuglees 
rechnerischen  Untersuchungen  babylonischer  astronomischer  Tafeln  des  2.  und 
3.  Jahrh.  v.  Chr.  hervor.  Die  Chinesen  dagegen  haben  sehr  lange  die  Bewegung 
der  Sonne  als  gleichförmig  angenommen  und  sollen  erst  im  6.  Jahrh.  u.  Chr.  die 
Jahreszeiten  als  verschieden  laug  betrachtet  haben. 


16  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

inzwischen   alle  Tages-  und  Nachtzeiten.    Die  Rechnung-  nach  Stern- 
zeit  ist   demnach   zwar  für   die   astronomischen   Beobachtungen   sehr 
brauchbar \  aber  für  das  bürgerliche  Leben  ganz  ungeeignet,  da  der 
Stand   der   Sonne,   nach   welchem   sich   unsere  Zeiteinteilung  richtet, 
dabei  unberücksichtigt  bleiben  muß.    Aber  auch  die  wahre  Sonnen- 
zeit,  nämlich  die  zwischen  je  zwei  aufeinander  folgenden  Kulminationen 
der  Sonne   liegende  Zeit,   der  wahre  Sonnen -Tag,   ist  kein  völlig 
gleichförmiges   Maß.     Wie   wir  gesehen   haben,   sind   die   Sonnentage 
veränderlich  in  ihrer  Länge.     Um  nun  mittelst  der  Sonne  ein  gleich- 
mäßiges Maß   herzustellen,   führt   man  eine   gedachte  Sonne   ein  und 
läßt  dieselbe  sich  nicht  in  der  Ekliptik,  sondern  im  Äquator  mit  einer 
gleichbleibenden  Geschwindigkeit  bewegen,  so  daß  diese  Geschwindig- 
keit  das  Mittel   der   variablen  Geschwindigkeiten   der  wahren  Sonne 
vorstellt,   dabei   aber   die   gedachte  Sonne   genau  ein  tropisches  Jahr 
beschreibt  wie   die  wahre  Sonne  in   der  Ekliptik.    Diese  mittlere 
Sonne  gibt  mittlere   Zeit  an,  und  zwar  durch  je  zwei  einander 
folgende  Kulminationen   die  Dauer   des  mittleren   Sonnentages. 
Es  ist  mittlerer  Mittag  an  einem  Orte,  wenn  die  mittlere  Sonne 
durch   den  Meridian   dieses  Ortes   geht.     Die  Astronomen   zählen  den 
Beginn   des   Tages   von   diesem  Momente   an.     Der   bürgerliche 
Tag   unserer  Zeitrechnung  fängt  aber  schon  mit  der  vorhergehenden 
Mitternacht  an ;  man  muß  also  auf  diesen  Umstand  bei  astronomischen 
Zeitangaben   achten.     Beide  Arten   von  Datierung  sind  kongruent  im 
Datum  von  Mittag   bis   zur   nächsten  Mitternacht,    dagegen   hat   das 
astronomische  Datum   einen  Tag  weniger  als  das  bürgerliche  für  die 
Zeit  von  Mittag  bis  zur  vorhergehenden  Mitternacht.    Juli  7,  7*^  IG™ 
astronomisch  ist  also  der  7.  Juli  bürgerlich,  Nachmittag  7''  16™ ;  und 
Juli  7,  19''  16™  astronomisch  kommt  dem  Vormittag  7''  16™  des  8.  Juli 
bürgerliche  Zeit  gleich.  —  Um   die  wahre  Sonnenzeit  gegebenenfalls 
in    mittlere  Zeit    verwandeln  zu  können,    muß   man   den  jeweiligen 
Unterschied  beider  Zeiten  im  Augenblick  des  Mittags  kennen.     Diese 
Differenz  heißt  die  Zeitgleichung;   sie  wird  in  dem  Sinne  in  den 
astronomischen  Jahrbüchern  angegeben,  daß  man  sie  zur  wahren  Zeit 
zu  addieren  hat,  um  die  mittlere  Zeit  zu  erhalten.    Die  Zeitgleichung 
variiert   während   eines   Jahres;   ihre   größten   und  kleinsten  Beträge 
erreicht  sie  ungefähr  an  den  folgenden  Tagen:  12.  Februar  -\-  1472"S 
14.  Mai  —  4™,  26.  Juli  +  6™,  3.  November  —  161/2'"-   Die  Verwandlung 


1)  Die  nach  Sternzeit  gehende  Uhr  gibt  iinmittelbar  die  Zeit  des  Meridian- 
durchganges der  Sterne  an ,  da  die  Rektaszension  der  Sterne  mit  der  Stenizeit  im 
Augenblicke  des  Meridiandurchganges  gleich  ist,  oder  diese  Uhr  zeigt  auch  die 
Entfernung  des  Gestirns  vom  Meridiane  an  (in  Zeit),  da  der  Stundenwiukel  gleich 
dem  Unterschiede  Sternzeit  weniger  Rektaszension  ist.  Man  begreift  also,  weshalb 
die  Astronomen  ihre  Beobachtungsuhren  nach  Sternzeit  gehen  lassen. 


§  5.    Die  Bewegung  der  Sonne.    Jahreszeiten.    Die  Arten  der  Zeit.  17 

wahrer  Zeit  in  mittlere  kommt  z.  B.  vor  bei  den  Ablesungen  von 
Sonnenuhren,  wenn  man  Angaben  der  letzteren  in  mittlere  Ortszeit 
umsetzen  will.  —  Viel  häufiger  hat  man  Sternzeitdaten  in  mittlere 
Zeit  (und  umgekehrt)  zu  verwandeln,  da  die  meisten  Beobachtungen 
in  Sternzeit  erhalten  werden  und  auch  viele  Rechnungsresultate  aus 
astronomischen  Tafeln  in  diesem  Zeitmaße  erfolgend 

Das  Rechnen  mit  der  mittleren  Zeit  hat  sich  erst  seit  etwa  1780 
in  den  europäischen  Staaten  allmählich  eingebürgert;  früher  rechnete 
man  nach  wahrer  Zeit-,  AVir  haben  oben  (S.  10)  gesehen,  daß,  um 
die  Zeitangaben  nach  zwei  verschiedenen  Meridianen  miteinander 
vergleichen  zu  können,  die  Anbringung  der  Längendifferenz  an  eine 
der  beiden  Zeitangaben  notwendig  ist.  Im  Eisenbahn-  und  Telegraphen- 
Verkehr  brachte  das  Bestehen  diverser  mittlerer  Ortszeiten  verschiedene 
Unzukömmlichkeiten  mit  sich  (z.  B.  in  den  Ankunfts-  und  Abfahrts- 
zeiten der  Eisenbahn-Fahrpläne),  da  man  dem  Publikum  die  richtige 
Reduktion  der  Zeiten  nicht  zumuten  durfte.  Man  strebte  deshalb 
bald   in  einzelnen   Staaten  nach  Einführung   einer  Einheitszeit, 


1)  Da  auch  der  Historiker  bisweilen  (beim  Rechnen  mit  astronomischen  Tafeln) 
in  die  Lage  kommen  kann,  solche  Verwandlungen  ausführen  zu  sollen,  so  gebe  ich 
(mit  Unterdrückung  der  Ableitung  der  Anweisung)  hier  wenigstens  kurz  die  Regeln 
zu  solcher  Rechnung  an.  Soll  die  Sternzeit  T  in  mittlere  Zeit  T'  verwandelt  werden, 
so  entnimmt  man  aus  den  astron.  Jahrbüchern  für  das  gegebene  Datum  die  , Stern- 
zeit im  mittl.  Mittag"  M  und  hat  zu  rechnen 

24h gm  55  909s 

T'  =:  (T  -  M)  "^ 1^^     '         =  (T  -  M)  .  0,99727  , 

resp.  für  den  umgekehrten  Fall 

■  T  =  M  +  T'.  24M- 3^56^«^  j,  _^  T'-  1,00274. 

Es  sei  z.  B.  1906,  Februar  1,  7^  50^  3s  Sternzeit  München  in  mittl.  Zeit  zu  ver- 
wandeln. Die  Längendifferenz  München-Berlin  ist  -|-  O^^  7™  98.  Die  entsprechende 
Berliner  Sternzeit  ist  also  7h  57ni  128.  Für  1.  Februar  1906  gibt  das  Berl.  Astron. 
Jahrbuch  M  =  20^  42™  598.  Man  hat  demnach  T  —  M  =  7ii  57™  12^  —  20^  42™  59^ 
=  llh  14m  13s  und  T'  =  11h  12m  238  m.  Berl.  Zeit  oder  llh  5™  14«  m.  Zeit  München. — 
Im  Falle  mau  für  eine  weit  zurückliegende  Zeit  die  Verwandlung  von  Sternzeit  in 
mittlere  Zeit  auszuführen  hat,  ermittelt  man  die  dazu  nötige  , Sternzeit  im  mittl. 
Mittag"  mit  Hilfe  der  NEüOEBAUERschen  Sonnentafeln  (s.  weiterhin  S.  54);  für 
das  gegebene  Datum  ist  aus  diesen  Tafeln  zuerst  die  Sonnenlänge  O  zu  be- 
rechnen und  letztere  mittelst  der  Formel  tang  a  =  tang  0  cos  8  (wobei  s,  die 
Schiefe  der  Ekliptik,  aus  den  Werten  sub  §  7  zu  entlehnen)  in  Rektaszension  zu 
verwandeln;  von  letzterer  hat  man  die  ebenfalls  aus  den  genannten  Tafeln  zu  er- 
mittelnde Zeitgleichung  zu  subtrahieren,  das  Resultat  gibt  die  „Sternzeit  im  mittl. 
Mittag".  Für  den  2.  März  571  n.  Chr.  z.  B.  hat  man  die  Sonnenlänge  343**  39', 
die  Schiefe  der  Ekliptik  23»  37',  die  Rektaszension  344^  57'  =  23h  0™,  die  Zeit- 
gleichung -|-  13™,  also  die  Sternzeit  im  mittl.  Mittag  22h  47m.  [Von  der  gering- 
fügigen Korrektion  der  Sternzeit  im  mittl.  Mittag  für  die  einzelnen  Ortsmeridiane 
kann  man  bei  historischen  Zwecken  absehen.] 

2)  Mallet  führte  1780  die  mittlere  Zeit  in  Genfein;  1810  wurde  sie  in  Berlin, 
1816  in  Paris  eingeführt.    Früher  schon  wurde  mittlere  Zeit  in  England  angenommen. 

Ginzel,  Chronologie  I.  ^ 


18'  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

nämlich  der  Zeit  eines  Hauptmeridians ,  nach  welcher  sämtliche  Ver- 
kehrszeiten  angegeben  werden  sollten.  England  wählte  deshalb  den 
Meridian  von  Green  wich,  Frankreich  die  Pariser  Zeit,  Schweden  den 
um  15^  östl.  von  Green  wich  abstehenden  Meridian.  Zu  der  Zeit  dieses 
letzteren  Meridians  ging  auch  Deutschland  am  1.  April  1893  über. 
Der  15.  Meridian  d.  i.  1'^  von  Green  wich  geht  dort  über  Stargard, 
Görlitz;  die  nach  ihm  gerechnete  Zeit  heißt  mitteleuropäische 
Zeit.  Diese  Zeit  ist  gegenwärtig  auch  in  Österreich,  Bosnien,  Serbien, 
Italien,  der  Schweiz,  Dänemark  und  Norwegen  (und,  wie  vorher  be- 
merkt, in  Schweden)  angenommen.  Osteuropäische  Zeit,  nämlich 
den  30.  Meridian  (2*')  von  Greenwich,  haben  Bulgarien,  Rumänien,  die 
türkischen  Eisenbahnen  und  Ägypten,  westeuropäische,  d.  i.  Green- 
wicher  Zeit,  haben  England,  Holland  und  Belgien.  Frankreich  und 
Algerien  rechnen  noch  nach  Pariser  Zeit,  Spanien  nach  Madrid-Zeit 
(die  Eisenbahnen  nach  Greenw.  Zeit),  Portugal  nach  Lissabon-Zeit, 
Griechenland  nach  Athener  Zeit.  Die  russischen  Eisenbahnen  richten 
sich  nach  Petersburger  Zeit,  die  Vereinigten  Staaten  haben  1883  die 
Meridiane  4'\  5*^,  6'',  7'',  8'',  9''  westl.  Greenwich  eingeführt  und  unter- 
scheiden demgemäß  Intercolonial  time,  Eastern  time,  Central  time, 
Mountain  time,  Pacific  time  und  Alaska  time.  In  Japan  gebraucht 
man  seit  1886  den  Meridian  9'^  östl.  Greenwich,  in  Australien  Zonen- 
zeiten von  8  bis  ll''  östl.  Greenwich  ^  Die  Einführung  der  Weltzeit, 
welche  alle  Ortszeitrechnung  aufheben  wird,  nämlich  der  Greenwicher 
Zeit,  und  des  Tagesbeginns  mit  Greenwicher  Mitternacht  ist  jetzt  noch 
ein  Traum  der  Zukunft. 

§  6.    Täglicher  und  jährlicher  Auf-  uud  Uutergang  der  Gestirne. 

In  §  2  haben  wir  schon  gesehen,  daß  jeder  Stern  wegen  der 
24  stündigen  Umdrehung  der  Erde  auf  seinem  Parallelkreise  zweimal 
durch  den  Meridian  irgend  eines  Ortes  gehen  muß,  und  zwar  in  Zeiten, 
die  um  12''  von  einander  verschieden  sind.  Diese  beiden  Meridian- 
durchgänge heißen  obere  und  untere  Kulmination.  Zur  Zeit  der 
Kulmination  erreicht  ein  Stern  seine  größte  Höhe  über  dem  Horizonte. 
Der  Bogen  LT  zwischen  dem  höchsten  Punkte  L  (Fig.  1),  in  welchem 
der  Parallelkreis  des  Sterns  den  Meridian  berührt,  und  dem  Horizonte 
nennt  man  die  Äquatorhöhe,  weil  dieser  Bogen  den  Winkel;'  an- 
gibt, um  welchen  der  Äquator  gegen  den  Horizont  eines  Ortes  geneigt 
ist.     Wie   man   leicht   sieht,   gibt   die   Summe   von  Äquatorhöhe  und 


1)  Über  den  gegenwärtigen  Stand  des  Gebrauchs  dieser  festen  Meridiane  in 
den  verschiedenen  Staaten  s.  E.  E.  Hayden,  The  present  Status  of  the  usc  of  Standard 
Time  {Public,  of  the  U.  St.  Naval  Observatori/ ,  II.  ser.  vol.  IV,  Append.  IV, 
1,905  Washington). 


§  6.     Täf^lifhcr  und  jälirlielicr  Auf-  und  Untergang  der  Gestirne.  19 

geogTaphischer  Breite  (cp)  immer  90<^.  Von  dem  Parallelkreise ,  den 
der  Stern  während  eines  Sterntags  beschreibt,  kann  nur  ein  Teil  ge- 
sehen werden,  nämlich  der  über  dem  Horizonte  des  Beobachters  be- 
findliche Bogen  ahß,  da  der  andere,  ah'ß,  durch  die  Erde  selbst  ihm 
verdeckt  wird;  der  erstere  Bogen  ist  der  Tagbogen,  der  andere 
der  Nachtbogen.  Die  Punkte  «  und  ß  sind  die  Auf-  und  Unter- 
gangspunkte des  Sterns  im  Horizonte.  Da  der  Meridian  den  Tag- 
bogen  (resp.  Nachtbogen)  halbiert,  sind  die  halben  Tagbogen,  also  die 
Zeitdifferenzen  zwischen  Aufgang  (Untergang)  und  Kulmination  einander 
gleicht  Für  alle  Sterne,  die  im  Äquator  AQ  selbst  stehen  (deren 
Deklination  0*^  ist),  beträgt  der  halbe  Tagbogen  6'',  also  der  Tag- 
bogen 12'';  ebensoviel  der  Nachtbogen.  Denkt  man  sich  einen  Stern 
nördlich  vom  Äquator,  so  wird  ein  desto  größeres  Stück  des  Tag- 
bogens  über  dem  Horizonte  bleiben,  je  nördlicher  der  Stern  steht; 
dagegen  werden  die  Nachtbogen  dieser  Sterne  immer  kürzer.  Hat 
ein  Gestirn  eine  solche  nördliche  Deklination,  daß  (Fig.  1)  der 
Parallelkreis  HH'  gerade  noch  den  Horizont  in  einem  Punkte  H  be- 
rührt, so  schneidet  der  Parallelkreis  überhaupt  den  Horizont  nicht 
mehr;  der  Stern  hat  nur  einen  Tagbogen,  seine  Deklination  d  ist 
dann  gleich  der  Äquatorhöhe  y.  Ist  die  nördliche  Deklination  eines 
Sterns  größer  als  die  Äquatorhöhe  eines  Ortes  (d.  h.  größer  als 
90*^ — cp),  so  wird  der  Stern  für  die  entsprechende  geographische 
Breite  zum  Circumpolarstern  (s.  §  2)  und  geht  für  diese  Breite  nicht 
mehr  unter.  Sterne  mit  südlicher  Deklination  (südlich  vom  Äquator) 
haben  für  Orte  der  Nordhemisphäre  der  Erde  desto  kleinere  Tag- 
bögen, gehen  also  für  jene  Orte  desto  früher  unter,  je  weiter  südlich 
die  Sterne  vom  Äquator  abstehen.  Beträgt  die  südliche  Deklination 
mehr  als  90^ — cp,  so  kann  der  Stern  für  den  Parallelkreis  der 
Breite  fp  überhaupt  nicht  mehr  über  den  Horizont  kommen,  und  für 
solche  Orte  bleibt  der  Stern  unsichtbar.  Betreffs  der  Punkte  des 
Horizontes,  an  denen  die  Sterne  auf-  und  untergehen,  ist  folgendes 
zu  bemerken :  Einen  durch  das  Zenit  gehenden  und  auf  die  Meridian- 
ebene senkrechten  größten  Kreis  nennt  man  den  ersten  Vertikal- 
kreis; seine  Schnittlinie  mit  dem  Horizonte  (die  also  auf  dem 
Meridian  senkrecht  steht)  weist  nach  dem  Ost-  und  Westpunkte 
des  Horizontes.  Steht  ein  Stern  im  Äquator  (ist  somit  seine 
Deklination  d  =  0),  so  geht  der  Stern  in  diesen  beiden  Punkten  auf 
resp.  unter.    Hat  ein  Stern  aber  eine  bestimmte  Deklination  nördlich 


1)  Hierauf  beruht  eine  Methode,  die  Richtungslinie  des  Meridians  eines  Ortes 
zu  bestimmen.  Man  mißt  das  Azimut  eines  Sterns,  bevor  er  in  Kulmination  kommt, 
und  mißt  das  Azimut  wieder  nach  der  Kulmination,  wenn  der  Stern  genau  die 
gleiche  Höhe  wie  vorher  erreicht  hat.  Das  Mittel  aus  beiden  Azimut  gibt  die 
Richtung  des  Meridians. 

2* 


20  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

oder  südlich  vom  Äquator,  so  treffen  die  Tagbögen  den  Horizont  in 
Punkten,  welche  vom  Ost-  und  Westpunkte  um  ein  gewisses  Azimut 
entfernt  sind;  diese  Distanzen  heißen  die  Morgen-  und  Abend- 
weite  des  Sterns.  Wie  man  aus  den  bisherigen  Erklärungen  sieht, 
hängen  Morgen-  und  Abendweite  der  Sterne,  sowie  die  Tag-  und 
Nachtbogen,  also  indirekt  auch  die  Zeiten  des  Aufgangs  und  Unter- 
gangs der  Sterne  von  der  jeweiligen  Deklination  des  Sterns  und  von 
der  geographischen  Breite  des  Beobachtungsortes  ab^.  Man  hat  also 
zuvor  die  jeweiligen  Positionen  der  Gestirne  zu  ermitteln,  welche  die- 
selben für  ein  vorgelegtes  Datum  einnehmen.  Die  Örter  der  Planeten, 
sowie  die  der  Sonne  und  des  Mondes  für  ein  historisches  Datum  kann 
man  aus  den  später  zu  erwähnenden  NEUGEBAUEESchen  Tafeln  hin- 
reichend genau  berechnen.  Für  die  Fixsterne  (welche  ihren  Ort  nur 
sehr  langsam  ändern)  genügt  es,  den  mittleren  Ort  d.  h.  die  Rektaszension 
und  Deklination  zur  Zeit  des  betreffenden  Jahranfanges  zu  nehmen. 
Die  Positionen  der  hellsten  (26)  Sterne  unseres  Nordhimraels  findet 
man  im  Anhange  (Tafel  I)  dieses  Buches  von  4000  v.  Chr.  bis  800 
n.  Chr.  In  der  untenstehenden  Anmerkung  wird  als  Beispiel  der  Be- 
rechnung die  Untergangszeit  für  den  Stern  »/  Tauri  (Plejaden)  vom 
2.  März  571  n.  Chr.  ermittelt,  und  zwar  für  die  Breiten  von  Athen, 
Babylon,  Mittelägypten  (Memphis)  und  Zentralindien  (Madras).  Die  Be- 
rechnung des  Halbetagbogens  kann  umgangen  werden  durch  Benützung 


1)  Zur  Ermittlung  der  Zeit  des  Auf-  und  Unterganges  hat  man  mittelst  der 
Deklination  S  und  der  geogr.  Breite  qp  den  halben  Tagbogen  t  zu  berechnen  nach 
der  Formel  cos  t  =  —  tang  qp  tang  S.  Diesen  Betrag  t  (in  Zeit  verwandelt)  hat 
man  zur  Rektaszension  des  Gestirns  (d.  i.  die  Sternzeit,  zu  welcher  der  Stern  den 
Meridian  passiert)  zu  addieren  resp.  davon  zu  subtrahieren,  um  die  Sternzeiten  des 
Untergangs  resp.  des  Aufgangs  zu  erhalten;  die  resultierenden  Sternzeiten  sind 
dann  noch  in  mittlere  Zeit  umzuwandeln  (s.  S.  17  Anm.  1).  Die  Morgen-  und 
Abendweite  M  eines  Gestirns  ergibt  sich  aus  sin  M  =  sin  d  :  cos  qp.  Für  das  obige 
Beispiel  der  Plejaden  hat  man  für  571  n.  Chr.  durch  entsprechende  Interpolation 
aus  den  Ortern  des  Sterns  rj  Tauri  in  Taf.  I  des  Anhangs  den  Sternort:  Rektasz. 
=  2h  25,4m,  Deklin.  =  +  IS"  39,3'.  Für  die  Breiten  von  Athen  qj  =  -(-  37"  58', 
Babylon  -f  32"  31',  Memphis  +  29"  52',  Madras  +  13"  4'  finden  sich  die  Halbetag- 
bögen  t  =  711  Im,  6h  50™,  6^  45™,  ßh  18m  und  daraus  die  Sternzeiten  des  Unter- 
gangs für  diese  Orte  9^26",  9^  15™,  9h  10™,  8h  43'",  welche,  mittelst  der  „Sternzeit 
im  mittl.  Mittag"  22h  47m  (s.  S.  17  Anm.  1)  und  Berücksichtigung  der  Längen- 
differenz in  mittlere  Zeit  verwandelt,  die  Untergangszeiten  für  Athen  IQh  38™, 
für  Babylon  IQh  27m,  für  Memphis  10h  22™,  für  Madras  9h  55™  ergeben.  —  Bei 
Gestirnen,  welche  ihre  Position  rasch  verändern,  wie  bei  Merkur,  Venus  und  nament- 
lich beim  Monde,  hat  man  mit  der  Deklination  zu  rechnen,  welche  der  Aufgangs- 
resp.  Untergangszeit  entspricht.  Da  letztere  bei  Beginn  der  Rechnung  niclit  be- 
kannt ist,  muß  zuerst  mit  provisorischen  Deklinationsbeträgen  gerechnet  und  die 
Rechnung  wiederholt  werden.  Bei  der  Berechnung  der  Auf-  und  Untergänge  der 
Sonne  genügt  die  Anwendung  der  Deklination,  welche  im  Mittag  des  betreffenden 
Datums  für  die  Sonne  statt  hat. 


§  6.     Täglicher  und  jährlicher  Auf-  und  Untergang  der   Gestirne. 


21 


der  Tafel  II  im  Anhange  dieses  Buches.  Dieselbe  gibt  für  die  geogra- 
phischen Breiten  von  20  bis  45"  nördl.  Br. ,  d.  h.  für  das  Gebiet  der 
älteren  Geschichte,  und  für  Gestirne  mit  der  Deklination  von  — 30" 
bis  4-  49",  unmittelbar  den  Halbetagbogen  (mit  Bücksicht  auf  Refrak- 
tion; über  letztere  s.  S.  22).  So  findet  man  für  das  unten  (Anmerkung 
S.  20)  stehende  Beispiel  der  Plejaden  für  die  Breite  von  Memphis  den 
Halbetagbogen  6''  47'"  mit  Berücksichtigung  der  Refraktion.  Die  Auf- 
und  Untergangszeiten  der  Sonne  besitzen  für  den  Historiker  besonderes 
Interesse,  da  sie  zur  Beurteilung  der  Fälle  notwendig  sind,  ob  helle 
Sterne  oder  Planeten,  oder  ob  die  beginnende  Mondsichel  (das  erste 
Erscheinen  des  Mondes  nach  Neumond)  in  der  Abenddämmerung  oder 
Morgendämmerung,  welche  an  jene  Untergangs-  und  Aufgangszeiten 
geknüpft  sind,  schon  sichtbar  werden  konnten.  Da  man  sich  die  Sonnen- 
längen für  jedes  gegebene  Datum  aus  den  NEUGEBAUEESchen  Tafeln 
sehr  schnell  berechnen  kann,  so  setze  ich  hier  ein  Täfelchen  an, 
welches  mit  den  Argumenten  0  (Sonnenlänge)  und  cf  (geogr.  Breite) 
von  20  bis  45"  die  entsprechenden  halben  Tagbogen  der  Sonne  (mit 
Rücksicht  auf  Refraktion)  liefert: 


0 


40" 


50" 


60"   j    70" 


80" 


90" 


,0     6h  2m  6h  8m 


6hi5n 
6  18 
6  21 
6  25 
6  30 
6  35 


6b  20m  61' 2  5m 
6  25    16  32 


öhßoni  6^34111  61137111  61139°! 
6  38    ,6  43    |6  47     6  49 


6  30 
6  36 
6  43 

6  50 


6  39 
6  46 

6  55 

7  5 


6  46 

6  55 

7  6 
7  20 


:6  53 

|7  3 
7  16 
7  31 


|6  58 
7  10 
'7  23 
7  40 


7  I 
7  13 
7  28 
7  46 


6li4oni  61139111  6^13711 
6  50     6  49     6  47 

7      I 

7   13 

7  28 

7  46 


6  58 

7  10 
7  23 
7  40 


^  I   120"     130"  I  140"     150»  I  i6o'>     170»  i  180"  j  190" 


O 


200" 


210"  I  220" 


230" 


6h34m  61130111  61125111  6b2oni  61115111  6li  Sm 
6  43     6  38     6  32     6  25     6   18     6   II 


|6  43  6  38 

6  53  6  46 
|7     3  6  55 

7  16  7     6 
I7  31  7  20 


6h   2ni 


5h56n 

5  55 
5  54 
5  52 
5  49 
5  47 


jhjim  5h46ni  51141111  5I136111 


5  48  j5  41 

5  45  :5  36 

5  41  J5  30 

5  36  |5  23 

5  31  5  16 


5  34 
5  27 
5  20 

5  " 
5     I 


5  2i 
5  20 

j5  II 
'5  o 
4  48 


0=     240"  1  250"     260"     270»  I  280"     290" 


310"     320"     330" 


540" 


350" 


20" 
25« 
30" 

35" 
400 

45" 


51132111 
5  23 
5  13 
5  3 
4  50 
4  36 


51129111 

5h27m 

5  19 

5  17 

5     8 

5     5 

4  56 

4  53 

4  43 

4  38 

4  27 

4  22 

51126I 
5  16 
5  4 
4  51 
4  36 
4  20 


511271] 
5  17 

i5  5 
14  53 
4  38 
I4  22 


5^^291 
5  19 
5  8 
4  56 
4  43 
4  27 


503211 
5  23 
5  13 
5  3 
4  50 
4  36 


5l»36'' 
5  28 
5  20 
5  II 
5  o 
4  48 


51141m  5h46iii'5li5ini  5h56ni 


5  34 
5  27 
5  20 

5  II 

5     I 


5  48 
5  45 

5  41 
5  36 
5  31 


5  55 
'5  54 
j5  52 
'5  49 
:5  47 


Die  Tafel  ist  für  das  Jahr  500  v.  Chr.  berechnet,  kann  aber  auch  für 
weit  von  diesem  Jahre  abliegende  Zeiten  gebraucht  werden,   da  sich 


22  Astronomische  Begriffe  der  technisclien  Chronologie. 

die  Tagbog-en  nur  sehr  wenig  verändern'.  Die  Tafel  werte  geben, 
zu  0^  (w.  Kulmin.  der  Sonne)  hinzugelegt,  die  wahre  Zeit  des  Sonnen- 
untergangs, von  0^  abgezogen,  die  wahre  Zeit  des  Sonnenaufgangs, 
bei  Anbringung  der  Zeitgleichung  (mittl.  —  wahre  Zeit)  die  mittlere 
Zeit.  Für  den  2.  März  571  n.  Chr.  war  die  Sonnenlänge  etwa  diS^ 
(s.  S.  17  Anm.  1),  daher  hat  man  für  Athen  (geogr.  Br.  4-  38«) 
den  Tagbogen  =  5^  43'";  die  Zeitgleichung  betrug  +  13"^,  somit  ging 
die  Sonne  für  Athen  unter  um  5^  43'"  +  13'"  =  5^  b6'''  abends,  auf 
um  18''  17'"  -H  13"^  =  6^  30™  morgens.  —  Die  Auf-  und  Untergangs- 
zeiten der  Gestirne  werden  durch  die  E  e  f  r  a  k  t  i  o  n  (Strahlenbrechung) 
etwas  verändert,  da  vermöge  der  letzteren  die  Gestirne  schon  sicht- 
bar werden,  wenn  sie  noch  unter  dem  Horizonte  stehen.  Die  Auf- 
gangszeit wird  dadurch  um  einige  Mnuten  verfrüht,  die  Untergangs- 
zeit um  denselben  Betrag  verspätet.  Nicht  ohne  Wichtigkeit  für  die 
Beurteilung,  ob  gewisse  Gestirne  dem  bloßen  Auge  gegebenenfalls  bei 
Sonnenauf-  oder  Untergang  sichtbar  sein  konnten,  ist  die  D  ä  m  m  e  r  u  n  g. 
Wenn  die  Zenitdistanz  der  Sonne  9 6 1/2^  beträgt,  d.  h.  wenn  die  Somie 
eVa^  unter  dem  Horizonte  steht,  tritt  das  Ende  der  bürgerlichen 
Dämmerung  (Abenddämmerung)  oder  deren  Anfang  (Morgendämmerung) 
ein ;  dieselbe  bezeichnet  den  Erleuchtungszustand  der  Atmosphäre,  bei 
dem  man  etwa  noch  ohne  künstliche  Beleuchtung  lesen  kann.  Hat 
die  Sonne  108*^  Zenitdistanz,  steht  sie  also  18*^  unter  dem  Horizonte, 
so  werden  erfahrungsgemäß  am  Abend  die  schwächeren  Sterne  für 
das  freie  Auge  sichtbar  resp.  erlöschen  dieselben  am  Morgen.  Dieser 
Stand  der  Sonne  bezeichnet  die  astronomische  Dämmerung.  Die 
Dauer  der  astronomischen  Dämmerung  (welche  also  am  Abend  von 
der  Zeit  des  Sonnenuntergangs  bis  zu  dem  Momente  währt,  wo  der 
Sonnenmittelpunkt  18«  unter  dem  Horizonte  liegt)  ist  verschieden  und 
hängt,  wie  der  Tagbogen,  von  der  geogr.  Breite  des  Ortes  und  der 
Deklination  der  Sonne  ab-.     Bei  dem  vorerwähnten  Beispiele  für  das 


1)  Die  Veränderung  der  obigen  Tafelwerte  beträgt  in  1000  Jahren  zwischen 
den  Sonnenlängen  von  240  bis  300^  und  30  bis  40"  geogr.  Br.  nur  -f  1^,  zwischen 
60  bis  120"  und  denselben  Breiten  —  1™,  für  die  übrigen  Sounenlängen  ist  sie  =  0. 
—   Direkt   würde   man    den   Halbetagbogen   der   Sonne   ermitteln   durch   taug  yt^ 

=  ^Q^  (.y  —    J     ^^  ^  ^.^  Deklination  der  Sonne :  d  verschafft  man  sich  mittelst  der 

cos  (qp  -j-  ^) 
Sonnenlänge  O  und  der  Schiefe  der  Ekliptik  f  durch  sin  d  =  sin  O  sin  4. 

2)   Um    die   Dauer    der    astron.  Dämmerung    zu  finden,    berechnet  man   den 
Stundenwinkel  des  Sonnenmittelpunkts  für  die  Zenitdistanz  108**  nach  den  Formeln 

a  =  i-  [1080  +  (g,  -  ^)]        b  =  I  [1080  _  (^  _  s)]        sin  •/..>  t  =  V '^y^g  ? 

cp  ist  die  geographische  Breite  des  Ortes ,  ä  erhält  man  aus  sin  d'  =  sin  O  sin  s. 
Der  positive  Wert  von  t  entspricht  der  Zeit  des  Untergangs,  der  negative  dem 
Aufgang.     Von  t,   in  Zeit  verwandelt,  hat  man  die  Zeit  des  Sonnenuntergangs  zu 


§  6.    Tägliclicr  und  jälirliclier  Auf-  und  Untergang  der  Gestirne.  23 

Datum  2.  März  571  n.  Chr.  liatten  wir  für  die  Breite  von  Athen  die 
Unterg-angszeit  der  Sonne  5''  43"'  abends  gefunden.  Für  da.s  Ende 
der  astronomischen  Abenddämmerung  erhält  man  7''  11™,  also  betrug 
die  Dauer  der  Dämmerung  P  28°»;  schwache  Sterne  werden  daher 
erst  nach  7''  11™  mit  freiem  Auge  wahrgenommen  worden  sein. 

Die  Sterne  verändern  ihre  Stellung  gegen  den  Äquator,  d.  h.  ihre 
Eektaszension  und  Deklination  nur  allmählich,  in  großen  Zeiträumen. 
Die  Tagbogen  der  Sterne,  die  Sternzeiten  des  Auf-  und  Untergangs 
(welche  von  letzteren  und  der  Eektaszension  abhängen)  bleiben  also 
für  einen  bestimmten  Ort  dieselben  (desgleichen  die  Morgen-  und 
Abendweiten).  Da  aber  die  Sternzeit  schneller  läuft  als  die  Sonnen- 
zeit und  jeder  Stern  um  3'"  56^  früher  durch  den  Meridian  geht  als 
an  dem  vorhergehenden  Tage  (s.  S.  15),  so  findet  auch  der  Aufgang 
resp.  Untergang  eines  Sterns  täglich  etwa  3™  56^  früher  statt.  Man 
bemerkt  deshalb  bald  bei  täglicher  Betrachtung  des  Abendhimmels, 
daß  am  Osthorizonte  immer  neue  Sternbilder  aufgehen,  während 
jene,  die  über  dem  Westhorizonte  bis  dahin  sichtbar  waren,  sich 
ihrem  Untergange  zuneigen  und  schließlich  unter  dem  Horizonte 
verschwinden.  Jeder  Monat  und  somit  auch  jede  Jahreszeit  bringt 
um  Mitternacht  andere  Sterne  in  Kulmination,  und  der  Anblick  des 
Sternhimmels  ist  so  in  jeder  Jahreszeit  ein  anderer,  bis  nach  Ablauf 
eines  Jahres  sich  der  alte  Umschwung  des  Himmels  wiederholt.  Für 
die  Bewohner  Deutschlands  hat  gegenwärtig  z.  B.  das  Sternbild  Orion 
im  Oktober  -  November  am  Abend  seinen  Aufgang;  im  Dezember- 
Januar  sehen  mr  Orion  um  Mitternacht  in  Kulmination ;  im  Februar- 
März  ist  er  aber  schon  so  weit  vorausgeeilt,  daß  er  nach  Mitternacht 
untergeht;  im  April  und  Mai  rückt  der  Untergang  des  Orion  immer 
mehr  in  die  Abenddämmerung  hinein ,  und  im  Juni  geht  er  mit  der 
Sonne  auf  und  unter,  wird  uns  also  unsichtbar;  erst  im  August  bemerkt 
man  vor  Sonnenaufgang  den  Orion  wieder  am  Osthorizonte,  im 
September  geht  er  schon  um  Mitternacht  auf,  und  im  Oktober  fällt 
der  Aufgang  wieder  auf  den  Abend.  Die  Auf-  und  Untergangszeiten 
irgend  eines  Sternbildes  liegen  demnach  in  dem  einen  Teile  der  Jahres- 
zeiten in  der  Zeit,  innerhalb  deren  sich  die  Sonne  unter  dem  Horizonte 
befindet,  in  den  andern  Jahreszeiten  in  dem  Tagesteile,  während 
dessen  die  Sonne  über  dem  Horizonte  ist.  Man  nennt  nun  jährliche 
Auf-  und  Untergänge  der  Sterne  (auch  poetische  genannt  bei 
den  Klassikern)  diejenigen,  welche  die  diesen  Sichtbarkeitsverhältnissen 
entsprechenden  Stellungen   der  Sterne   gegen   die  Sonne  bezeichnen. 


subtrahieren,  der  übrig  bleibende  Betrag  gibt  die  Dauer  der  astron.  Abenddämmerung 
an.  Im  oben  angesetzten  Beispiele  ist  qp  =  +  37'^  58',  6  =  —  6"  29',  t  =  107*'  48' 
=  7h  lim  (s.  auch  die  Tafel  für  die  Ermittlung  der  Dämmerung  in  Necgebacebs 
Abgekürzten  Mondtafeln). 


24  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

Es  wird  nämlich  zunäclist  zwei  Tage  im  Jahre  geben,  wo  Stern  und 
Sonne  einander  im  Horizonte  gegenüberstehen,  d.  h.  wo  der  Stern  in 
dem  Augenblicke  aufgeht,  in  welchem  die  Sonne  untergeht,  und  um- 
gekehrt, wo  zur  Zeit  des  Sonnenaufgangs  der  Stern  untergeht.  Der 
erstere  jährliche  Aufgang  heißt  der  wahre  akronychische  Auf- 
gang des  Sterns.  Für  den  Orion  fällt  dieser  Aufgang  in  unsern 
Breiten  in  die  erste  Hälfte  Januar.  Die  zweite  Art  von  Erscheinung 
heißt  der  wahre  kosmische  Untergang  des  Sterns  (für  Orion 
zu  Anfang  Dezember).  Ferner  müssen  zwei  Zeiten  eintreten,  wo 
Stern  und  Sonne  gleichzeitig  miteinander  auf-  oder  untergehen:  diese 
beiden  Erscheinungen  nennt  man  den  wahren  kosmischen  Auf- 
gang resp.  den  wahren  akronychischen  Untergang  des 
Sterns  (Orion  Mitte  Juli  resp.  Ende  Mai).  Es  ist  selbstverständlich, 
daß  man  mit  freiem  Auge  diese  vier  Erscheinungen,  welche  man  zu- 
sammen wahre  Auf-  und  Untergänge  benennt,  nicht  wahrnehmen 
kann,  denn  wenn  Stern  und  Sonne  gleichzeitig  auf  ein  und  derselben 
Seite  den  Horizont  aufgehend  oder  untergehend  durchschneiden,  über- 
wuchert das  Sonnenlicht  den  Stern  so  vollständig,  daß  der  letztere 
ganz  in  den  Sonnenstrahlen  verschwindet.  Dasselbe  ist  auch  noch 
der  Fall,  wenn  im  Augenblick  des  Untergangs  der  Sonne  ein  Stern 
eben  aufgeht,  oder  wenn  im  Momente  des  Sonnenaufgangs  der  Stern 
zum  Untergange  gelangt.  Dagegen  wird  die  Möglichkeit,  den  Stern 
in  der  Nähe  der  Sonne  zu  sehen,  vorhanden  sein,  sobald  der  Stern 
beim  Aufgange  der  Sonne  etwas  vorauseilt,  oder  beim  Untergange 
der  Sonne  folgt.  Nach  dem  wahren  kosmischen  Aufgange,  wo  Stern 
und  Sonne  gleichzeitig  miteinander  aufgingen,  kommt  der  Stern  Tag 
für  Tag  etwas  früher  in  den  Osthorizont  als  die  Sonne,  und  es  tritt 
bald  die  Zeit  für  ihn  ein,  wo  er,  falls  sein  Licht  der  ersten  Größen- 
klasse angehört,  nicht  mehr  von  der  Sonne  überstrahlt  werden  kann. 
Der  Stern  wird  also,  nachdem  er  der  Sonne  hinreichend  weit  vorauf 
gegangen  ist,  in  der  Morgendämmerung  wieder  wahrgenommen  werden 
können,  während  er  bis  dahin  unsern  Blicken  durch  die  Strahlen  der 
Sonne  entzogen  war.  Dieser  erste  in  der  Morgendämmerung  sichtbare 
Aufgang  des  Sterns  heißt  der  heliakische  Aufgang.  Nach  dem 
heliakischen  Aufgange  geht  der  Stern  täglich  früher  auf,  seine  Auf- 
gangszeiten rücken  allmählich  in  die  Nachtstunden  und  schließlich  tritt 
der  Aufgang  in  der  Abenddämmerung  ein.  Der  Aufgang  wird  aber 
nur  so  lange  verfolgt  werden  können,  als  die  Sonne  tief  genug  unter 
dem  Horizonte  steht.  Der  letzte  Aufgang,  der  in  der  Abenddämmerung 
noch  sichtbar  ist,  heißt  der  scheinbare  akronychische  Auf- 
gang der  Sterns.  Anderseits  sieht  man  vor  dem  akronychischen 
Untergange  des  Sterns  einige  Tage  den  Stern  in  der  Abenddämmerung 
untergehen;  bald  wird  aber  der  Stern  in  den  Strahlen  der  nicht  tief 


§  6.     Tüf^licluT  und  jährlicher  Auf-  und  Cntergang  der  Gestirne.  25 

genug  unter  dem  Horizonte  befindlichen  Sonne  verschwinden:  den 
letzten  noch  wahrnehmbaren  Untergang  des  Sterns  nennt  man  dessen 
heliakischen  Untergang.  Wenn  die  Untergänge  endlich  in  die 
Zeit  der  Morgendämmerung  gerückt  sind,  sieht  man  den  ersten  in 
der  Morgendämmerung  eintretenden  Untergang  als  scheinbaren 
kosmischen   Untergang^ 

Die  vier  letztgenannten  Erscheinungen,  die  heliakischen  Auf- 
und  Untergänge  und  die  scheinbaren  akronychischen  Aufgänge  und 
scheinbaren  kosmischen  Untergänge,  werden  unter  gewissen  Bedingungen 
für  das  bloße  Auge  sichtbar.  Hauptsächlich  hängt  diese  Wahrnehm- 
barkeit von  der  Helligkeit  des  Sterns  (der  astronomischen  Gi'ößenklasse) 
und  von  dem  jeweiligen  Tiefstande  der  Sonne  unter  dem  Horizonte 
ab;  in  zweiter  Linie  aber  auch  von  der  Sehschärfe  der  Augen  des 
Beobachters  und  von  seiner  Übung  im  Auffassen  geringer  Helligkeits- 
unterschiede,  sowie  von  der  Durchsichtigkeit  der  Luft.  Um  bei  der 
Vorausberechnung  der  jährlichen  Auf-  und  Untergänge  diesen  Be- 
dingungen zu  genügen,  muß  man  der  Rechnung  einen  Tiefstand  der 
Sonne  zugrunde  legen,  bei  welchem  nach  den  Beobachtungserfahrungen 
die  Wahrnehmung  der  helleren  Sterne  vorausgesetzt  werden  kann. 
Dieser  Bogen  der  Sonne  unter  dem  Horizonte  heißt  der  Sehungs- 
bogen  {arcus  visionis);  er  wird  in  Gradmaß  ausgedrückt.  Idelee 
hat  aus  zahlreichen  Angaben  über  Stern -Auf-  und  Untergänge  bei 
Ptolemäus  den  Sehungsbogen  rechnerisch  ermittelt,  welcher  den  ver- 
schiedenen Fällen  genügt-.  Er  findet,  daß  die  Alten  bei  heliakischen 
Auf-  und  Untergängen  für  Sterne  l.  Größe  einen  Sehungsbogen  von 
11  bis  120,  füi,  Sterne  2.  Größe  13  bis  U",  für  Sterne  3.  Größe 
14  bis  16",  für  schwächere  Sterne  15  bis  17"  angenommen  haben, 
und  daß  sie  beim  scheinbaren  akronychischen  Aufgang  und  kosmischen 
Untergang  für  die  genannten  Sternklassen  7",  8^2^  10"  und  14<^  an- 
setzen. Diese  Zahlen  stimmen  mit  den  Angaben  von  Lambeet  und 
WuEM  und  mit  den  Beobachtungen  überein,  welche  in  neuerer  Zeit 
F.  J.  Schmidt  und  F.  Haetwig  über  die  Wahrnehmung  der  in  den 
Sonnenstrahlen  verschwindenden  und  hervortretenden  Sterne  mit  freiem 
Auge  gemacht  haben.  Nach  letzteren  würde  der  Sehungsbogen  für 
den  Sirius  etwa  10",  für  Aldebaran  (1.  Gr.)  10  bis  IP/u^  für  Regulus 


1)  Die  Auf-  und  Untergänge  der  Sterne  werden  bei  den  Griechen  mit  (päais 
bezeichnet;  den  täglichen  Aufgang  nennen  sie  (Geminus  c.  11)  ävaroXi],  den  jähr- 
lichen iniroli];  im  Speziellen  heißt  bei  ihnen  der  heliakische  Aufgang  =  iniroli] 
tcpa,  der  heliakische  Untergang  =  Svatg  iansQici,  der  scheinbare  akronychische 
Aufgang  =  iniroXi]  iantQicc,  der  scheinbare  kosmische  Untergang  =  övaig  iäa- 
Die  Römer  wenden  auf  die  jährlichen  Auf-  und  Untergänge  nur  die  gewöhnlichen 
Ausdrücke  ortus  resp.  occasus  an. 

2)  Historische  Unters,  über  die  astron.  Beobachtungen  der  Alten;  und  über  den 
Kalender  des  Ptolemäus  {Abhdlg.  d.  Berlin.  Akad  d.  ll'iss.  phil.-hist.  Kl.  1816/17). 


26  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

(1,3  Gr.)  12»,  für  «  Arietis  (2.  Gr.)  IP  und  für  die  Plejaden  (»;  Tauri, 
3.  Gr.)  15  bis  16^  betragen.  Die  eben  genannten  Beobacht  ungsresultate 
gelten  als  ungefähre  Norm,  erheben  also  keineswegs  Anspruch  auf 
Eichtigkeit  in  einem  einzelnen  Falle.  In  der  Tat  variieren  die  Be- 
obachtungen der  heliakischen  Auf-  und  Untergänge  ungemein  je  nach 
den  Standpunkten  der  Beobachter  und  der  Klarheit  des  Horizontes; 
nicht  selten  gehen  die  Wahrnehmungen  geübter  Astronomen  um 
mehrere  Tage  auseinander.  F.  Hartwig  bemerkt,  daß  er  trotz 
Übung  in  solchen  Beobachtungen  und  trotz  guter  Augen  über  die 
Zeit  des  heliakischen  Untergangs  der  Sterne  zuweilen  volle  4  Tage 
in  Ungewißheit  geblieben  sei.  Wenn  solcher  Zweifel  bei  den  helia- 
kischen Untergängen  möglich  ist,  wo  man  den  Stern  längere  Zeit 
vorher  sieht  und  man  seinen  Ort  fast  bis  zum  Tage  des  Ver- 
schwindens  im  Gedächtnis  behalten  kann,  so  wird  es  erklärlich 
sein,  daß  die  lieliakischen  Aufgänge  noch  schwieriger  beobachtbar 
sein  müssen,  da  man  bei  diesen  den  Ort  am  Horizonte  nicht  kennt, 
wo  der  Stern  aufleuchten  soll;  und  in  diesem  Falle  haben  sich  die 
Alten  —  bei  Mangel  an  Positionsbestimmungen  der  Sterne  —  wohl 
meist  befunden.  Wegen  der  Schwierigkeiten,  denen  solche  Beobachtungen 
unterliegen,  können  z.  B.  die  Ägypter  aus  den  heliakischen  Siriusauf- 
gängen nicht  sobald  die  Länge  des  Jahres  erkannt  haben,  wie  man 
vorausgesetzt  hat;  wenigstens  darf  man  eine  solche  Erkenntnis  aus 
heliakischen  Aufgängen  niclit  in  die  älteste  Zeit  setzen. 

Die  jährlichen  Aut-  und  Untergänge  eines  Sterns  sind  für  die 
einzelnen  geographischen  Breiten  sehr  verschieden  und  müssen  deshalb 
bei  chronologischen  Fragen  für  den  betreffenden  Parallel  besonders 
berechnet  werden.  Abgesehen  von  der  Position  des  Sterns  im  vor- 
gelegten Jahre  ist  dazu  die  Schiefe  der  Ekliptik  und  die  Sonnenlänge 
bei  der  Zeit  der  Erscheinungen  notwendig.  Die  Reclmung,  die  sonst, 
wenn  man  volle  Genauigkeit  erzielen  wollte,  sehr  umständlich  wäre, 
kann  gegenwärtig  mit  Rücksicht  auf  gewisse,  ganz  zulässige  Ver- 
nachlässigungen an  Schärfe,  durch  die  Hilfsmittel  bequem  gelöst  werden, 
die  W.  F.  WisLicENus  und  R.  Scheam  gegeben  haben  (s.  die  Literatur- 
angaben in  §  12).  Die  Resultate  solcher  Rechnungen  gelten  nur  für 
die  Zeit,  für  welche  gerechnet  wird.  Denn  da  sich  die  Positionen 
der  Sterne  langsam  im  Laufe  der  Jahrhunderte  ändern,  auch  die 
Schiefe  der  Ekliptik  eine  andere  wird  und  die  Sonnenorte  sich  in 
andere  Jahrestage  verschieben,  so  variieren  mit  der  Zeit  die  jährlichen 
Auf-  und  Untergänge  für  einen  gegebenen  Parallel.  Ich  setze  hier 
noch  zur  Illustration  der  Sichtbarkeit  der  in  Rede  stehenden  Phänomene 
die  Zeit  der  heliakischen  Unter-  und  Aufgänge  einiger  hellen  Sterne 
für  die  Breite  von  Athen  im  Jahre  431  v.  Chr.  nach  der  Rechnung 
von  F.  Hartwig  an: 


§  7.   Sternbilder.   VerJinder.  d.  Fundainentalebenen.   Wirkungen  d.  l'räzession.       27 


a  Arietis  (Widder) 
7]  Tauri  (Plejaden) 
a  Tauri  (Aldebaran) 
a  Canis  maj.  (Sirius) 
a  Geminor.  (Castor) 
a  Leonis  (Regulus) 
«  Virginis  (Spica) 


Heliak.  Unterg. 
18.— 22.  März 
6.— 10.  April 
15.— 19.  April 
30.  Apr.— 4.  Mai 
3. — 7.  Juni 
1. — 5.  Juli 
18.-22.  Aug. 


Stern  unsichtbar 
März — gegen  April 
April — Mai 

Mitte  Apr. — Anfg.  Juni 
Anfg.  Mai — Ende  Juli 
im  Juni 

Juli — Anfg.  Aug. 
Aug. — Septbr. 


Heliak.  Aufg. 
7.-11.  April 
15.-19.  Mai 
3.-7.  Juni 
27.-31.  Juni 
20.— 24.  Juli 
6.— 10.  Aug. 
29.  Sept.— 3.  Okt. 


§  7.    Die  Sternbilder.    Yeränderungen  der  Fundameutalebenen. 
Wirkungen  der  Präzession. 

Von  den  Sternbildern  sind  für  den  Historiker  nur  die  von  der 
Nordlialbkugel  der  Erde  aus  sichtbaren  von  Interesse.  Die  auf- 
fälligsten sind,  nach  ihrer  Aufeinanderfolge  in  der  Rektaszension  ge- 
ordnet, folgende: 


s:!^ 

'ö     •£ 

^  2  i' 

Sternbild 

-  So 

Sternbild 

-r  So 

,n  z.    . 

-.3    t.      . 

oä  0/  -* 

CS     i  TJH 

"^zh  N 

■ 
Großer  Bär  (Ursa  maior) 

20 

Großer  Löwe  (Leo  maior) 

16 

Drache  (Draco) 

18 

Jungfrau  (Virgo) 

16 

Kleiner  Bär  (Ursa  minor) 

6 

Rabe  (Corvus) 

5 

Cepheus 

10 

Bärenhüter  (Bootes) 

17 

Cassiopeja 

11 

Wage  (Libra) 

3 

Andromeda 

17 

Krone  (Corona  bor.) 

7 

Fische  (Pisces) 

11 

Schlange  (Serpens) 

11 

Widder  (Aries) 

6 

Skorpion  (Scorpius) 

14 

Walfisch  (Cetus) 

16 

Herkules 

24 

Perseus 

7 

Schlangenträger  (Ophiuchus) 

16 

Stier  (Taurus)  Plejaden 

20  u.  6 

Schütze  (Sagittarius) 

16 

Fuhrmann  (Auriga) 

9 

Leier  (Lyra) 

9 

Orion 

16 

Adler  (Aquila) 

11 

Zwillinge  (Gemini) 

14 

Schwan  (Cygnus) 

22 

Großer  Hund  (Canis  maior) 

12 

Delphin 

5 

Kleiner  Hund  (Canis  minor) 

2 

Steinbock  (Capricoruus) 

10 

Krebs  (Cancer) 

5 

Wassermann  (Aquarius) 

16 

Wasserschlange  (Hydra) 

16 

Pegasus 

15 

Die  Lage  der  Sternbilder  gegeneinander  unterliegt  langsamen,  aber 
stetigen  Veränderungen,  die  aus  der  Anziehungskraft  der  Sonne,  des 
Mondes  und  der  Planeten  auf  die  abgeplattete  (ellipsoidische)  Erde 
hervorgehen.  Durch  diese  Anziehung  wird  zunächst  die  Lage  der  Erd- 
achse (Weltachse)  geändert,  wodurch  die  Äquatorebene  Schwankungen 
ausführt  und  daher  die  Sterne  ihren  Ort  gegen  letztere  verändern. 
Ferner  wird  ebenfalls  durch  die  Einwirkung  der  Planeten  die  Lage 
der  Ekliptik  allmählich  eine  andere.  Äquator  und  Ekliptik  schwanken 
also  gegeneinander,  es  ändert  sich  demnach  ihr  Neigungswinkel  (Schiefe 


28  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

der  Ekliptik)  und  es  erfolgt  eine  Verschiebung  der  Durchschnittslinie 
beider  Ebenen.  Man  bezieht  diese  Veränderungen  auf  eine  mittlere 
feste  Ekliptik  von  bestimmter  Epoche  und  bezeichnet  die  rückgehende 
Bewegung  der  Durchschnittspunkte  des  Äquators  mit  dieser  Ebene 
als  Lunisolar-Präzession  und  die  periodische  Bewegung  jener 
Durchsclmittspunkte  mit  Nutation.  Die  wahre  Ekliptik  (die  Ebene 
der  Erdbahn  um  die  Sonne)  ändert  ihre  Lage  gegen  jene  feste  Ekliptik; 
es  entsteht  eine  Säkularveränderung  der  Schiefe  (der  wahren 
Ekliptik  gegen  den  Äquator)  und  die  allgemeine  Präzession 
(die  Verschiebung  des  Durchschnitts  des  Äquators  und  der  wahren 
Ekliptik  auf  der  festen).  Die  periodische  Nutation  verändert  sowohl 
die  Längen  als  die  Schiefe.  Mittleres  Äquinoktium  heißt  die 
Lage  des  Durchschnitts  von  Äquator  und  Ekliptik  ohne  Rücksicht 
auf  die  Nutation;  wahres  Äquinoktium  bezeichnet  die  wirkliche 
Lage  der  beiden  Durchschnittspunkte ;  gleichfalls  um  den  Betrag  der 
Nutation  unterscheidet  sich  die  mittlere  Schiefe  der  Ekliptik  von 
der  wahren.  Diese  Einwirkungen,  welche  in  ihrer  Gesamtheit  sehr 
komplizierter  Natur  sind  und  über  die  hier  kaum  mehr  als  Andeutungen 
gegeben  werden  können,  verändern  mit  der  Zeit  sowohl  die  Längen 
als  auch  Rektaszension  und  Deklination  der  Sterne.  Das  Vorrücken 
der  Sterne  parallel  der  Ekliptik  (von  West  nach  Ost)  beträgt  (1900) 
jährlich  in  Länge  50,2564"  (nach  Newcomb)  mit  einer  Zunahme  von 
0,0222"  in  100  Jahren.  Die  Rektaszension  der  Sterne  nimmt  im 
allgemeinen  ebenfalls  zu,  ausgenommen  bei  nördlichen  Sternen,  wo 
mitunter  (wie  im  Drachen,  Cepheus  und  z.  T.  im  kleinen  Bären)  eine 
Verminderung  der  Rektaszension  eintritt;  die  Deklination  nimmt  bei 
jenen  Sternen  zu,  welche  zwischen  18''  und  6''  Rektaszension  liegen, 
bei  den  anderen  zwischen  6^  bis  18''  dagegen  ab;  der  Betrag  ist  ganz 
verschieden  für  die  einzelnen  Sterne  und  steigt  bis  zum  Maximum 
von  jährlich  20".  Diese  jährlichen  Änderungen  in  den  Koordinaten 
bleiben  sich  jedoch  nicht  gleich,  sondern  unterliegen  langsamen  Varia- 
tionen. Jedem  Sterne  kommt  also  seine  besondere  Präzession  zu.  Um 
die  Veränderungen  anschaulich  zu  machen,  vergleicht  man  die  oben 
angegebene  Präzession  in  Länge  bisweilen  mit  dem  Umfange  der 
Ekliptik  und  findet  dann,  daß  der  Sternenhimmel  in  etwa  25  800  Jahren 
(360" :  50,2564")  einen  ganzen  Umlauf  (das  sogen,  platonische 
Jahr)  vollendet.  Astronomisch  existiert  aber  eine  solche  Periode 
nicht,  da  das  Gesetz  der  Veränderung,  wie  angedeutet,  ein  kompli- 
ziertes ist^. 


1)  Zu  den  Ortsveränderuugen,  welchen  die  Fixsterne  unterliegen,  ist  noch  die 
sog.  Eigenbewegung  zu  rechnen,  welche  aus  Ursachen  entsteht,  die  mit  der 
Priizession  keinen  Zusammenhang  haben.  Diese  meist  sehr  geringe  Bewegung  wird 
erst  in  neuerer  Zeit  allmählich  für  viele  Sterne  bekannt,  durch  die  Vervollkommnung 


§  7.   Sternbilder.   Verändor.  d.  FundanKnitalehcnen.   WirkuDgen  d.  Präzession.       29 

Aus  dem  eben  erwähnten  Zurückgehen  des  Frühlingspunktes  (also 
auch  des  ihm  geo-enüber  liegenden  Herbstjjunktes)  auf  der  Ekliptik 
um  50,2564"  nach  Westen  folgt,  daß  der  Frühlingspunkt  allmählich  in 
andere  Sternbilder  kommt.  Um  3250  v.  Chr.  lag  er  im  Stier,  um 
1600  V.  Chr.  im  Walfisch,  um  350  v.  Chr.  im  Widder \  gegenwärtig 
befindet  er  sich  in  den  Fischen,  ist  also  seit  3250  v.  Chr.  um  45*^ 
zurückgegangen.  Dementsprechend  verändert  sich  auch  die  Lage  der 
anderen  Jahrespunkte:  das  Herbstäquinoktium  ist  in  der  genannten 
Zeit  vom  Skorpion  durch  die  Wage  bis  zur  Jungfrau  gegangen,  das 
Sommersolstiz  vom  Löwen  durch  den  Krebs  in  die  Zwillinge,  das 
Wintersolstiz  vom  Wassermann  in  den  Schützen. 

Die  numerische  Veränderung  der  Eektaszension  und  Deklination 
der  Sterne  durch  die  Präzessionswirkung  wird  aus  den  Zahlen  der 
Tafel  I  (s.  Tafeln  am  Schluß  dieses  Bandes)  ersichtlich,  welche  die 
Positionen  der  26  hellsten  Sterne  unseres  Nordhiramels  von  4000  v.  Chr. 
bis  800  n.  Chr. ,  und  zwar  von  400  zu  400  Jahren  angibt  -.  Da  die 
Tafel  auf  strenger  Berücksichtigung  der  Präzession  beruht,  kann  man 
von  derselben  guten  Gebrauch  machen,  wenn  man  die  Ermittlung  der 
Position  eines  dieser  hellen  Sterne  für  ein  bestimmtes  Jahr  behufs  der 
Beantwortung  einer  astronomischen  Frage,  wie  der  Auf-  und  Unter- 
gangszeit des  Sterns  für  eine  gegebene  Breite,  der  Zeit  des  helia- 
kischen  Aufgangs  u.  dgl.  nötig  hat.  Die  Örter  der  Sterne  für  das 
Jahr  4000  v.  Chr.  liegen  der  Karte  der  Mondstationen  zugrunde, 
welche  diesem  Werke  beigegeben  ist.  Man  wird  die  großen  Ver- 
änderungen, welche  der  Sternhimmel  in  6000  Jahren  durch  die 
Präzession  erfahren  hat,  am  besten  bemerken,  wenn  man  diese  Karte 
mit  einer  modernen  Sternkarte  vergleicht.  Die  Sternbilder  Widder, 
W^alfisch,  Perseus,   Stier  z.  B.   standen   um  4000  v.  Chr.  beträchtlich 


der  astronomischen    Meßapparate   und   Beobachtungsmethoden ,    und   aus   der  Yer- 
gleicbung  der  modernen  Positionsbestimmungen  mit  den  älteren. 

1)  Genauer  kann  man  die  Koinzidenzjahre  mittelst  des  Sternverzeichnisses 
Taf.  I  (am  Schluß  dieses  Bandes)  beurteilen.  Danach  war  der  Frühlingspunkt 
390  V.  Chr.  bei  a  Arietis,  1617  v.  Chr.  bei  cc  Ceti,  3244  v.  Chr.  bei  a  Tauri. 

2)  Als  Grundlage  der  Rechnung  dieser  Sterne  wurden  die  im  Fundamental- 
katalog von  Auw-ERS  (Publik,  d.  astron.  Gcsellsch.  XIV  Leipz.  1879)  enthaltenen  Stern- 
örter  angewendet.  Die  Übertragung  derselben  auf  die  verschiedenen  Jahrhunderte 
wurde  nach  den  von  Oppolzer  {Lelirb.  d.  Bahjihestim.  v.  Kometen  u.  Planeten  I.  Bd. 
2.  Aufl.  S.  219)  entwickelten  strengen  Ausdrücken  vorgenommen.  Da  den  letzteren 
die  LEVERRiERsche  Präzessionskonstante  zugrunde  liegt,  wurden  jene  mittleren  Stern- 
örter  für  1875  verwendet,  welche  Herz  und  Strobl  (Denkschr.  d.  Wiener  Akad.  d. 
]Vtss.  XLVI.  Bd.  math.  Kl.  1883)  für  diese  Konstante  umgerechnet  haben.  Die 
Verbesserungen  in  den  Angaben  der  Orter  und  der  Eigenbewegung  der  Sterne, 
die  seitdem  von  Auwers  angegeben  worden  sind  {Ästr.  Nachr.  Bd.  164  S.  226 — 306), 
kommen  für  historisch-astronomische  Zwecke  so  wenig  in  Betracht,  daß  von  einer 
Zuziehung  derselben  bei  der  Rechnung  abgesehen  werden  kann. 


30  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

südlicher  als  gegenwärtig ;  Pegasus,  Fische  waren  südlich  vom  Äquator 
(jetzt  nördlich);  dagegen  standen  Jungfrau,  Bootes,  Wage,  Krone, 
Skorpion  nördlicher.  Perseus  stand  dort,  wo  jetzt  der  Pegasus  steht; 
an  der  Stelle  des  letzteren  stand  der  Fuhrmann,  u.  s.  w.  Anderseits 
haben  sich  Sternbilder,  die  jetzt  zu  den  nördlichen  gehören,  wie  der 
kleine  Bär,  Cassiopeja,  Cepheus,  stark  von  Süden  nach  Norden  ver- 
schoben. Unser  jetziger  Polarstern  stand  um  4000  v.  Chr.  südlicher 
als  jetzt  das  Sternbild  des  Cepheus  liegt;  damals  nahm  der  Drache 
den  Nordpol  ein,  dessen  Hauptstern,  a  Draconis,  etwa  um  3000  v.  Chr. 
Polarstern  wurde i.  Mit  fortschreitender  Zeit  muß  sich  danach,  da 
der  Äquator  gegen  den  Horizont  eines  Ortes  seine  Lage  nicht  ver- 
ändert, aber  die  Gestirne  sich  gegen  den  Äquator  verschieben,  der 
Anblick  des  Sternhimmels  für  jenen  Ort  ändern.  Sternbilder,  die  für 
diesen  Horizont  aufgegangen  sind,  machen  anderen  Platz.  Für 
Deutschland  z.  B.  werden  in  fernen  Zeiten  (in  13000  Jahren)  manche 
Sternbilder  des  Südhimmels,  die  uns  jetzt  nie  sichtbar  werden,  wie 
das  südliche  Kreuz ,  der  Centaur ,  die  südliche  Krone  u.  a.  auf-  und 
untergehen;  dagegen  werden  Orion  und  Sirius  für  uns  verschwinden. 
Obgleich  die  durch  die  Präzession  hervorgebrachten  Veränderungen 
in  den  Stellungen  der  Sterne  im  Laufe  der  Jahrtausende  beträchtlich 
sind,  so  müssen  sie  doch  notwendigerweise  für  ein  Jahrhundert  oder 
für  ein  Menschenalter  der  Wahrnehmung  völlig  entgehen.  Von  einer 
Entdeckung  der  Präzession  aus  der  Beobachtung  des  Himmels  kann 
bei  den  alten  Kulturvölkern  deshalb  erst  in  dem  Falle  die  Eede  sein, 
wo  von  einem  solchen  Volke  eine  bedeutende  Stufe  in  der  Astronomie 
erreicht  worden  ist,  und  zwar  wo  im  besonderen  die  astronomische 
Meßkunst  sich  so  weit  entwickelt  hat,  daß  auf  Grund  der  Vergleichung 
früherer  und  späterer  Ortsbestimmungen  der  Gestirne  die  Möglichkeit 
der  Präzessionsentdeckung  gegeben  gewesen  wäre.  Eine  solche  Stufe 
astronomischer  Entwicklung  haben  aber  die  alten  Völker  während  des 
eigentlichen  Altertums  nirgends  erreicht.  Erst  im  2.  Jahrh.  v.  Chr. 
entdeckte  Hippaech  durch  eine  solche  Vergleichung  von  Sternörtern 
die  Präzession,  indem  er  die  Länge  und  Breite  von  ihm  selbst  ge- 
messener Sternkoordinaten  mit  den  150  Jahre  früher  von  Timochaeis 
und  Aeistyllus   gemachten  Beobachtungen   verglich   und  dabei  einen 


1)  Da  die  früher  viel  nördlichere  Stellung  des  Drachen  zu  wissenschaftlichen 
Kontroversen  benutzt  worden  ist,  so  folgen  hier  die  Stellungen  des  Hauptsterns 
a  Draconis: 


Rektasz. 

Deklin. 

—  4000 

171"  21' 

-f  (96"  58') 

—  3000 

172  38 

+  (91  15) 

—  2000 

186  24 

+  85  33 

—  1000 

191  47 

+  79  57 

0 

197  58 

-f  74  31 

§  8.     Sonnen-  und  Mondbewegung.    Sonnen-  und  Mondjahr.  31 

Unterschied  von  2^  in  Länge  fand;  dies  entsprach  einer  jährlichen 
Präzession  von  etwa  48".  Als  die  Entdecker  der  Präzession  sind 
also  bis  auf  weiteres  die  Griechen  anzusehen.  Durch  die  Forschungen 
der  Neuzeit  ist  indessen  auch  die  Möglichkeit,  daß  die  Babylonier 
früher  als  die  Griechen  die  Präzession  erkannt  haben  könnten,  näher 
gerückt  worden.  Bei  den  Babyloniern  findet  sich  die  Kunst  der 
Winkelmessung,  wie  aus  keilinschriftlichen  astronomischen  Tafeln  her- 
vorgeht, schon  mehrere  Jahrhunderte  vor  Hippakch  entwickelt.  Nach 
den  Darlegungen  F.  Kfglees  bestünde  immerhin  die  Möglichkeit,  daß 
die  Babylonier  schon  die  Präzession  gekannt  haben.  Gewißheit  hat 
aber  diese  Vermutung  bis  jetzt  nicht  erlangt. 

Am  Schlüsse  dieses  Paragraphen  mag  noch  die  langsame  Veränderung 
der  mittleren  Schiefe  der  Ekliptik  angegeben  werden,  welche  für  ver- 
schiedene astronomische  Rechnungen,  die  in  der  Chronologie  vorkommen, 
gebraucht  wird.     Die  mittlere  Schiefe  beträgt  nach  Xewcomb 


Jahri 

Schiefe 

Jahr 

Schiefe 

3000 

24«    1'  37" 

0 

230  41'  44' 

2500 

23    58  44 

+    500 

23    37  58 

2000 

23    55  39 

+  1000 

23    34     8 

1500 

23    52  23 

+  1500 

23    30  15 

1000 

23    48  58 

+  2000 

23    26  21 

500 

23    45  24 

AVie  man   aus  den  Differenzen  dieser  Zahlem^eihe  ersieht,   nimmt  die 
Schiefe  der  Ekliptik  allmählich,   jedoch  nicht  völlig  gleichmäßig   ab. 

§  8.  Sonnen-  und  Mondbewegung.  Souuen-  und  Mondjahr. 

Die  Zeit,  welche  die  Sonne  braucht,  um  einen  vollen  scheinbaren 
Umlauf  in  der  Ekliptik  zurückzulegen,  nennt  man  das  S  0  n  n  e  n  j  a  h  r. 
Es  wurde  früher  (S.  12)  schon  bemerkt,  daß  die  Sonne  gegenwärtig 
am  21.  März  den  Frühlingspunkt  passiert  und  in  die  drei  aufsteigenden 
Zeichen  der  Ekliptik  tritt.  Als  Anfangspunkt  des  Sonnenjahrs  nimmt 
man  diesen  Jahrpunkt  an;  die  Länge  des  Jahres  wird  also  durch  die 
Zwischenzeit  bestimmt  sein,  die  zwischen  zwei  aufeinander  folgenden 
Durchgängen  der  Sonne  durch  den  Frühlingspunkt  verfließt.  Dieses 
Jahr,  innerhalb  dessen  die  Sonne  vom  Widder  aus  sämtliche 
Zodiakalzeichen    durchläuft,    heißt    das   tropische  Jahr   (so   nach 


1)  Jahre  v.  Chr.  werden  astronomisch  als  negative  Jahre  bezeichnet.  Jahre 
n.  Chr.  als  positive.  Die  letzteren  stimmen  mit  der  historischen  Zählweise  überein, 
z.  B.  -f-  1000  =  1000  n.  Chr.;  die  negativen  Jahre  der  Astronomen  dagegen  sind 
um  1  kleiner  als  die  historischen  z.  B.  —  500  =  501  v.  Chr. 


32  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

den  Wendepunkten,    rgonal,  benannt).     Indessen   ist   der   Frühlings- 
punkt  kein  fester  Punkt,   sondern  rückt  auf  der  Ekliptik  der  Sonne 
entgegen  (s.  vorigen  Paragraph) ;  es  wird  also  dieses  Jahr  etwas  kürzer 
sein,  als  ein  anderes,  welches  auf  feststehende  Sterne  bezogen  wird.   Ein 
Jahr   letzterer  Art   faßt   in  sich  die  Zeit,   welche  die  Sonne  braucht, 
um   zu  demselben  Sterne  zurückzukehren;  man  nennt  es  deshalb  das 
siderische  Jahr.     Das   tropische  Jahr  stellt  somit  die  Zeit  vor 
von  dem  Augenblicke,   wo  der  Frühlingspunkt  und  die  Sonne  gleich- 
zeitig für  einen  Erdort  kulminieren,  bis  wieder  zu  dem  Momente,  wo 
dieselbe  Kulmination  für  denselben  Erdort  stattfindet;   das  siderische 
Jahr   dagegen   liegt   zwischen   zwei   gleichzeitigen  Kulminationen  der 
Sonne  mit  einem  bestimmten  Sterne.    Das  letztere  repräsentiert  einen 
vollständigen  Umlauf,  das  erstere  einen  unvollständigen  (mit  Rücksicht 
auf  den  beweglichen  Frühlingspunkt).    Die  Länge  des  tropischen  Jahres 
war   für   die   Alten   sehr   schwierig   festzustellen,    da   es   sich   darum 
handelte,   den  Zeitpunkt  zu  bestimmen,   wenn  der  Sonnenmittelpunkt 
den  Äquator  passierte.     Die  Beobachtungen  der  Schattenlänge  beim 
höchsten   und   niedrigsten   Zenitstande   der   Sonne,   um   die  Tage   des 
Sommer-  und  Wintersolstitiums  auszumitteln  (s.  S.  14),  gaben  nur  rohe 
Begriffe   über   die   Länge   des   tropischen  Jahres.     Überdies   ist   diese 
Länge  keine  konstante.    Da  der  Frühlingspunkt  vermöge  der  Nutation 
(s.  S.  28)  hin   und  her  schwankt,   tritt  bald  eine  Verlängerung  des 
tropischen    Jahres,     bald     eine     Verkürzung    desselben     ein.      Das 
Jahr  1868/69,   vom  Frühlingspunkte   an   gerechnet,   hatte   z.B.   eine 
Länge   von   365^  h^  49'«  5%   das   Jahr  1869/70   3Qb'^  5''  58™  57%   das 
Jahr  1870/71  365''  h^  48'"  34«  mittl.  Zeit;  aus  den  ansehnlichen  Unter- 
schieden,  die  sich  hier  zeigen,   wird  begreiflich  sein,   daß  die  Länge 
des  tropischen  Jahres  nur  aus  einer  großen  Reihe  von  Beträgen  des- 
selben abgeleitet  werden   kann,  und  daß  es  sich  dabei  um  die  Her- 
stellung eines  Durchschnittswertes,  um  die  mittlere  Länge  handelt. 
Nach    Newcomb    beträgt    diese    Länge    für    das   Jahr    1900    n.  Chr. 
365,24220'*  oder  365'*  b^  48™  46,0**;  sie  nimmt  ab,  die  jährliche  Ver- 
kürzung beträgt  0,0053^    Die  Länge   des  siderischen  Jahres 
läßt    sich   erst   dann    ermitteln,    wenn   man   die  jährliche   Präzession 
kennt.     Zu   einem   vollständigen   Umlaufe   der  Sonne   fehlt  noch   der 
Betrag  der  Präzession,  da  die  Sonne  erst  den  Bogen  360'^  —  50,2564" 
zurückgelegt   hat.     Hieraus   ergibt   sich,   daß  das  siderische  Jahr  um 
20'"  23,8'*  länger   ist   als   das   mittlere   tropische  Jahr,   somit  beträgt 
seine  Länge  365,25636'*  oder  365'*  6''  9'"  9,8«  mittl.  Zeit.    Wir  haben 
früher   gesehen  (S.  15),   daß   das   aus   den   Kulminationen   der  Sterne 
hervorgehende   Jahr   366  Sternzeittage   hat,   das   tropische  Jahr   hat 
also   einen  Sterntag  mehr   als   es  mittlere  Sonnentage  faßt,   es  hat 
demnach    366,24220    Sterntage;    daraus    ergibt    sich    das    Verhältnis 


ij  8.     Soiiiicii-  und  .Mniiillx'wt'gung.    .Sonnen-  und  Mondjahr.  33 

zwischen  dem  mittleren  Sonnentage  und  dem  Sterntage,  nämlich 
365,24220  :  366,24220,  oder  ein  Sterntag  ist  gleich  0,99727  Sonnentage  i. 
Die  scheinbare  Bahn  der  Sonne  ist  eine  Ellipse'-.  AMe  schon 
Seite  13  bemerkt  ist,  wird  der  Bahnpiinkt,  in  welchem  die  Sonne  der 
Erde  am  nächsten  ist,  das  Per i hei  genannt,  und  der  Punkt,  wo  die 
größte  Entfernung  stattfindet,  das  Aphel.  Beide  Punkte  heißen 
auch  die  Apsiden,  und  ihre  Verbindungslinie  die  Apsidenlinie. 
Im  Perihel  ist  die  tägliche  Bewegung  der  Sonne  am  schnellsten, 
etwa  61'  in  Länge,  im  Aphel  am  laugsamsten,  etwa  57'.  Jene  Be- 
wegung, vermöge  welcher  die  Sonne  wähi-end  des  tropischen  oder  des 
siderischen  Jalu-es  wirklich  360"  zurücklegt,  nennt  man  die  mittlere 
(gleichförmige)  tägliche  Bewegung.  Beim  siderischen  Jalu-e  be- 
trägt somit  die  mittlere  siderische  Bewegung  360" :  365,25636  ^=  59'  8,19 ", 
die  mittlere  tropische  Bewegung  360"  :  365.24220  =  59'  8,33"  in  Länge 
(3'^  56,56**  in  Eektaszension).  Auch  die  Apsiden  sind  keine  un- 
veränderlichen Punkte,  sondern  rücken  gegen  die  Präzession  vor,  die 
Apsidenlinie  trifft  also  mit  der  Zeit  immer  auf  andere  Sternbilder. 
Die  Zeit  von  einer  Stellung  der  Erde  im  Aphel  bis  zur  Wiederkehl- 
derselben  Stellung  im  Aphel  heißt  man  das  anomalistische  Jahr; 
es  beträgt  (nach' Hansen)  365<i  &"  13"^  48,5MBittlere  Zeit  (365,259589 
mittl.  Sonnentage) ,  ist  also  um  4°i  39'  länger  als  das  siderische.  — 
Wegen  der  bald  beschleunigten,  bald  retardierenden  Geschwindigkeit 
der  Sonne  in  der  Ekliptik  hat  man  zur  Zeitmessung,  wie  schon  früher 
(S.  16)  bemerkt  wurde,  eine  hypothetische,  mittlere  Sonne  eingeführt. 
der  man  eine  gleichförmige  Geschwindigkeit  gibt.  Wenn  man  beide 
Sonnen,  die  mittlere  und  die  wählte,  vom  Perihel  ausgehen  läßt,  so 
eilt  die  wahre  alsbald  voraus,  da  sie  im  Perihel  ihre  größte  Ge- 
schwindigkeit hat;  dann  nimmt  ilu'e  Geschwindigkeit  ab,  bis  sie  der 
mittleren  gleicli  wü'd,  und  beide  Sonnen  gehen  gleichzeitig  dui'ch  das 
Aphel.  Der  jeweilige  Winkel,  um  welchen  die  wahre  Sonne  sich  von 
der  mittleren  entfernt  hat,  heißt  die  Mittelpunktsgleichung. 
Den  größten  Betrag,  ungefähr  1"  55'  12",  erlangt  die  Mittelpunkts- 
gleichung etwa  90  Tage  vor  und  nach  dem  Periheldiu'chgange.  Um  aus 
der  mittleren  Länge  (des  Sonnenortes  in  der  Ekliptik)  die  wahre 
Länge    zu   erhalten,    wird   man   also   die   dem   Falle   entsprechende 


1)  Hieraus  erklärt  sich  die  auf  S.  17  Anni.  1  angegebene  Regel  zur  Verwandlung 
von  Sternzeit  in  mittlere  Zeit,  und  umgekehrt.  Ein  Sterntag  ist  um  3™  55,91s 
kürzer  als  der  mittl.  Tag  (24ii  —  3^  55,91s);  ein  mittl.  Tag  ist  1,002788  Sterutage, 
oder  der  mittl.  Tag  ist  {2^^   -\-  3^  56,558)  Sternzeit. 

2)  Diese  Tatsache  könnte  man  aus  Beobachtungen  des  Sonnendurchmessers 
ableiten.  Den  wechselnden  Entfernungen  der  Erde  von  der  Sonne  entsprechend 
variiert  der  Sonnendurchmesser  an  Größe  und  zeigt  ein  Maximum  (978")  am 
1.  Januar,  ein  Minimum  (946")  am  2.  Juli. 

Ginzel,   Chrouologie  I.  " 


34  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

Mittelpiinktsg'leicliung'  zu  bereclinen  und  mit  der  mittleren  Länge  zu 
verbinden  haben. 

Das  tropische  Jahr  ist  das  Jahr  des  Spracligebrauchs :  wenn  vom 
„Jahr"  geredet  wird,  so  verstellt  man  im  allgemeinen  hierunter 
das  tropische;  die  chronologischen  und  die  Kalenderjahre  sind  also 
tropische  Jahre.  Das  tropische  Jahr  reguliert  durch  den  wechselnden 
Sonnenstand  die  Temperaturverteilung  auf  der  Erdoberfläche,  die 
atmosphärischen  Strömungen,  die  Niederschlagsmengen  u.  s.  w.,  kurz 
den  Gang  der  Jahreszeiten.  Durch  die  tellurischen  Erscheinungen, 
die  es  bringt,  kennzeichnet  sich  von  selbst  seine  ungefähre  Länge, 
und  man  kann  vermuten,  daß  die  ersten  rohen  Anfänge  der  Völker, 
eine  Vorstellung  von  der  Länge  des  Jahres  zu  erhalten,  von  der 
Beobachtung  solcher  Erscheinungen  ausgegangen  sind,  wie  den  Ver- 
änderungen in  der  Pflanzen-  und  Tierwelt,  dem  Wechsel  der  Temperatur, 
dem  Auftreten  mächtiger  Luftströmungen  (der  Monsune)  u.  s.  w.  Je 
schärfer  sich  durch  diese  Erscheinungen  in  einer  Klimazone  die  Grenzen 
der  Jahreszeiten  markierten,  desto  eher  konnte  man  an  solchen  Orten 
einen  rohen  Begriff  von  der  Länge  des  Sonnenjahres  bekommen.  Diese 
Bemerkung  ist  chronologisch  nicht  unwichtig,  weil  darin  auch  der 
Hinweis  liegt,  daß  gewisse  technische  Einrichtungen  des  Jahres  an 
die  jeweiligen  örtlichen  klimatischen  Verhältnisse  gebunden  sein 
können.  In  Indien  z.  B.  ist  das  Gebiet  am  Indus  durch  Trockenheit 
charakterisiert;  das  Gangesgebiet  hat  dagegen  acJitmal  mehr  Eegen; 
desgleichen  hat  das  zentrale  Indien  ein  viel  mehr  abgestuftes  Klima. 
Daher  haben  Völker,  die  von  Nordindien  nach  Süden  wanderten,  ihre 
Jahreszeitenordnung  verändert.  Die  Ursache,  daß  manche  Naturvölker 
Südasiens  nach  Halbjahren  rechnen,  liegt  in  dem  regelmäßig  halb- 
jährigen Wechsel  der  Monsune'. 

Ebenso  wichtig  für  die  chronologischen  Einrichtungen  wie  die 
Bewegung  der  Sonne  ist  die  Bewegung  des  Mondes.  Die  Bahn 
des  Mondes  um  die  Erde  ist,  wenn  wir  von  seiner  Bewegung  mit  der 
letzteren  um  die  Sonne  absehen,  eine  Ellipse  von  schwacher  Exzen- 
trizität (0,055) ;  in  dem  einen  Brennpunkte  derselben  steht  die  Erde  E 
(s.  Fig.  4).    Die  Sonne,  die  wir  uns  in  der  Richtung  S  denken  müssen, 


1)  Das  Wort  Monsun  (vom  arabischen  Mansim  =  bestimmte  Zeit,  Jahreszeit) 
weist  schon  auf  das  regelmäßige,  an  gewisse  Sonnenstände  gebundene  Eintreten  dieser 
Winde  hin.  Der  Südwest-Monsun,  vom  Juni  bis  Ende  August,  ist  in  Vorderindien 
die  mächtigste,  bis  in  die  Äquatorzone  hinabreiehende  Luftströmung.  Wie  beein- 
flussend die  Zenitstände  der  Sonne  auf  den  Regen  sind,  sieht  man  aus  den  Regen- 
zeiten in  der  Äquatorzone  sehr  deutlich ;  die  Sonne  kommt  dort  zweimal  im  Jahre 
ins  Zenit,  Ende  März  und  Ende  September,  und  demgemäß  treten  bald  darauf 
zwei  Regenzeiten  ein,  im  April  und  November.  Für  Nord-Australien  ist  die  Sonne 
Ende  Oktober  und  Mitte  Februar  im  Zenit,  und  die  Regenmaxima  fallen  Januar 
und  Februar. 


§  8.     SoniuMi-  und  .Mondbewegung.    Sonnen-  und  Mondjahr. 


35 


beleuchtet  dieses  Körpersystem,  und  ihre  Strahlen  S'  8"  können  wegen 
der  großen  Entfernung  der  Sonne  als  parallel  angenommen  werden. 
Da  eine  Kugel  von  irgend  einer  Lichtquelle  aus  immer  nur  auf  einer 
Seite  erleuchtet  werden  kann  und  die  andere  Seite  dunkel  bleiben 
muß,  so  kann  auch  die  Mondkugel  nur  auf  einer,  und  zwar  auf  der 
der  Sonne  zugewendeten  Seite  erhellt  sein.  Da  der  Mond,  den  wii' 
uns  während  seines  monatliclien  Umlaufs  um  die  Erde  in  den 
Stellungen  M«,  M^ 
M^^  ....  denken, 
seine  beleuclitete 
Hälfte  also  der  Sonne 
zukehrt,  so  können 
wir  von  dem  be- 
leuchteten Teile  je 
nach  seiner  Stellung 
gegen  uns  bald  mehr, 
bald  weniger  sehen. 
Der  Mond  bietet  uns 
also  von  einem  Um- 
lauf zum  andern  ge- 
wisse Lichtgestalten 
oder  Phasen  dar. 
Steht  der  Mond  in 
der  Stellung  M<^,  näm- 
lich in  der  Eichtung 
ziu'  Sonne,  oder  wie 
man  sagt,  befindet  er 
sich  mit  letzterer  in 
Konjunktion,  so 
wendet  er  uns  nur 
seine  unbeleuchtete 
Hälfte  zu,   und  wir  f-     4. 

sehen    deshalb    gar  ^^' 

nichts  von  ihm.  Diese  Stellung  heißt  N  e  u  m  0  n  d  oder  die  X  e  0  m  e  n  i  e. 
Der  Mond  bewegt  sich  nun  von  West  nach  Ost  und  kommt  bald  in  die 
Stellung  M^,  in  welcher  ein  Teil  seiner  beleuchteten  Hälfte  uns  als  Sichel 
sichtbar  wii'd.  Die  Sichel  ist  anfangs  (etwa  1  "2  Tage  nach  Neumond) 
kaum  noch  mit  freiem  Auge  wahrnehmbar;  sie  heißt  Neulicht  und 
bildet  für  die  Chronologie  die  nichtigste  Mondphase,  da  jene  alten  Völker, 
welche  nach  Mondjahren  rechneten,  den  Monat  mit  dem  Neulicht  be- 
ginnen ließen.  Die  Sichel  wächst  in  den  folgenden  Tagen,  und  wenn 
der  Mond  (nach  etwa  7  Tagen)  die  Stellung  M"  erreicht  hat,  kehrt  er 
uns  die  Hälfte  seiner  dunklen  und  die  Hälfte  seiner  hellen  (westlichen) 


36  Astroiioinische  Begrifte  der  teclmisclien  Chronologie. 

Seite  zu,  er  ersclieint  uns  also  als  leuchtende  Halbkreistiäche ;  dies  ist 
das  erste  Viertel.  Während  er  beim  Neulicht  noch  tief  am  West- 
horizont stand  und  bald  nach  der  Sonne  unterging-,  l)leibt  er  jetzt 
mehr  gegen  die  Sonne  zurück  und  wird  uns  besser  sichtbar.  Die 
Sichel  nimmt  mm  an  Breite  stetig'  zu,  bis  der  Mond  in  Opposition 
(M^^)  steht.  Wir  sehen  jetzt  die  volle  Scheibe,  der  Mond  geht  schon 
beim  Untergänge  der  Sonne  auf  und  ist  die  ganze  Nacht  sichtbar; 
dies  ist  die  Phase  des  Vollmonds.  In  der  zweiten  Hälfte  der  Bahn 
rückt  darauf  der  Mond  wieder  auf  die  Sonne  zu  (M^),  sein  beleuchteter 
Teil  liegt  jetzt  auf  der  anderen,  östlichen  Seite  und  nimmt  an  Breite 
täglich  ab,  bis  er  das  letzte  Viertel  (M^^)  erreicht.  Um  diese 
Zeit  geht  er  schon  in  den  ersten  Morgenstunden  auf  und  am  Tage 
unter.  Zuletzt  verschwindet  er,  mit  schmaler  Sichel  untergehend,  in 
der  Morgendämmerung  und  nimmt  wieder  seine  Stelle  als  Neumond 
ein.  Konjunktion  und  Opposition  des  Mondes  werden  auch  Sj^zygien, 
die  Stellungen  im  ersten  und  letzten  Viertel  Quadraturen  genannte 

Die  Zeit,  die  der  Mond  braucht,  um  von  einer  Konjunktion  zur 
anderen  zu  gelangen,  heißt  der  synodische  Monat.  Da  die  Neu- 
monde unsichtbar  sind,  läßt  sich  die  Länge  dieses  Monats  nicht  direkt 
bestimmen.  Unter  gewissen  Bedingungen  ereignet  sich  aber  die  Er- 
scheinung, daß  bei  der  Konjunktion  der  Mond  direkt  in  die  Ver- 
bindungslinie E  M^  S  (Fig.  4)  tritt,  sich  also  vor  die  Sonne  stellt :  dann 
tritt  eine  Sonnenfinsternis  ein,  weil  für  uns  die  Sonne  ganz  oder  teil- 
weise unsichtbar  wird.  Anderseits  kann  bei  der  Opposition  der  Mond 
(W^)  in  den  Schatten,  den  die  Erde  wirft,  kommen  und  es  wird  uns 
der  Vollmond  verfinstert  erscheinen:  dann  hatte  eine  Mondfinsternis 
statt.  Um  die  Länge  des  synodischen  Monats  aus  diesen  Finster- 
nissen abzuleiten,  beobachtet  man  die  Zeit  der  Mitte  der  Verfinsterungen, 
wählt  mehrere  weit  voneinander  abliegende  Finsternisse  aus  und  divi- 
diert die  Zwischenzeit  derselben  durch  die  Zahl  der  Umläufe.  Man 
wird  aber  bei  dieser  Vergleichung  der  Finsterniszeiten  ziemlich  von- 
einander abweichende  Beträge  der  Dauer  des  synodischen  Monats  er- 
halten, da  die  Bewegung  des  Mondes  in  den  Zwischenzeiten  wegen 
mannigfacher  Störungen  eine  sehr  ungleichmäßige  ist,  außerdem  auch 
die  Sonne  sich  nicht  gleichförmig  schnell  fortbewegt.  Aus  den  Finster- 
nissen kann  man  deshalb  nur  einen  Durchschnittswert  des  synodischen 
Monats  gewinnen,  der  bei  Verwendung  sehr  vieler  Finsternisse  dem 
wahren  Werte  nahe  kommt.  Diese  Länge  des  synodischen 
Monats  ist  29,53059'*  oder  29'»  12M4'"  2,9^  Das  Mondjahr,  mit 
12  synodischen  Monaten,  hat  also  354'*  8*'  48'"  36^ 

Wie  oben  gesagt  wurde,  bemerkt  man  nach  der  Konjunktion,  daß 


1)  Die  Viertel  heißen  auch  Dichotomien. 


ij  8.     Sonnen-  und  Mondbewegung.    Sonnen-  und  Mondjalir.  37 

der  Mond  täglich  mehr  und  melir  gegen  die  Sonne  zurückbleibt.  Er 
rückt  der  täglichen  Bewegung  des  Himmels  entgegen  von  Westen 
nach  Osten  und  steht  also  jeden  Tag  in  der  Nähe  anderer  Sterne. 
Die  Zunahme  seiner  Eektaszension  beträgt  pro  Tag  etwa  ISV./';  nach 
mehr  als  27  Tagen  sieht  man  ihn  wieder  im  Meridian  mit  demselben 
Stern,  mit  dem  er  im  Monat  vorher  kulminierte '.  Diese  Zeit,  welche 
der  Mond  bedarf,  um  wieder  an  einen  bestimmten  Meridian  des  Himmels 
zu  kommen,  nennt  man  den  periodischen  oder  siderischen 
Monat.  Die  Länge  dieses  Monats  ist  27,32166'^  oder  27'^  7^  43™  11,4' 
mittlere  Zeit*.  Etwas  kleiner  wird  der  Monat,  wenn  man  ihn  als 
die  Zeit  eines  Umlaufs  vom  Frühlingspunkte  aus  betrachtet  (tropisch). 
Diese  tropische  Monatslänge  wäre  dann  27,32158'^  =  21^  7^  43«°  4,7^ 
also  um  7^  kürzer  als  die  siderische.  Die  mittlere  tropische  Bewegung 
des  Mondes  beträgt  in  einem  Tage  l'?>^  10'  35,03";  zu  einem  täglichen 
scheinbaren  Umlauf,  d.  h.  zur  Rückkunft  zu  der  Kulmination  in  einem 
gegebenen  Meridian  braucht  er  24**  50™  28,32'  mittlere  Zeit ;  diese  Zeit 
bezeichnet  man  als  einen  Mondtag. 

Die  Ebene,  in  welcher  sich  der  Mond  um  die  Erde  bewegt,  fällt 
nicht  mit  der  Ekliptik  zusammen,  sondern  bildet  mit  letzterer  einen 
Winkel  von  5°  8'  48"  (hat  also  gegen  den  Äquator  eine  Neigung  von 
28^36');  dieser  Winkel  bleibt  nicht  konstant,  sondern  die  Mondbahn 
schwankt  um  die  Mittellage  etwas  auf  und  ab  (um  etwa  9).  Die 
beiden  Punkte,  in  welchen  die  Mondbahn  die  Ekliptik  schneidet,  heißen 
Knoten,  die  sie  verbindende,  durch  den  Erdmittelpunkt  gehende 
Linie  die  Knotenlinie.  Der  eine  Knotenpunkt,  durch  welchen  der 
Mond  bei  jedem  Umlauf  von  der  nördlichen  Seite  der  Ekliptik  auf 
die  südliche  Seite  übertritt,  heißt  der  absteigende  (IS)  oder 
D  r  a  c  h  e  n  s  c  h  w  a  n  z ,  der  andere,  durch  den  sich  der  Mond  von  Süden 
nach  Norden  bewegt,  der  aufsteigende  Knoten  (SL)  oder  Drachen- 
kopf. Die  Knoten  unterliegen  einer  Bewegung,  welche  aus  der 
Attraktion  der  Sonne  entspringt:  sowohl  einer  regelmäßig  fortschreiten- 
den, wie  einer  in  kurzen  Intervallen  bald  vorwärts,  bald  rückwärts 
gehenden   (periodische   Störung).    Die   Zwischenzeit   der   Durchgänge 


r  Am   2.  Januar  1906   kommt  z.  B.  der  Mond  mit  dem  Stern  u  Andrem,  in 

Konjunktion.     Am  nächsten  Tage  ist  der  Mond  um  1,4  Stunde,  am  folgenden  Tage 

um  fast  1  Stunde,  am  .3.  Tage  um  P  ^  Stunden  von  dem  Stern  entfernt,  da  der  Mond 

täglich  später  durch  den  Meridian  geht,  anfänglich  " '^  Stunden,  dann  fast  eine  Stunde 

später.      Der    Mond    entfernt    sich    also    immer   mehr    von    dem    Stern.      Erst    am 

29.  Januar  kommt  er  wieder  mit  u  Androm.  in  Konjunktion,  dann  am  25.  Februar, 

24.  März,  20.  April,  17.  Mai  u.  s.  f.  , 

2)  Die  Länge  des  siderischen  Monats  findet  man  aus  der  Formel  s  =  -^ — '——■> 

J  +  p 

wo  J  das  siderische  Sonnenjahr,  p  der  synodische  Mondmonat  ist.    Da  J  =  365,25636, 

OÜ-QA..Q1          «^^                   865,"25636  •  29,53059       o-qoiaa^ 
p  =  29,o8059'i,   so  findet  man  s  ^= qq^  '-<ä.Rcr "^  2<,32166<i. 


38  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

des  Mondes  durch  die  Knoten  ist  dalier  selir  ungleich.  Im  allgemeinen 
braucht  die  (von  Ost  nach  West  gerichtete)  Knotenbewegung  zu  einem 
ganzen  Umlauf  etwa  18,6  tropische  Jahre  (nach  Hansen  6798*^  8^  3"' 
9,8'  mittl.  Zeit).  Der  durchschnittliche  drakoni tische  Monat 
(Drachenmonat),  d.  i.  die  Zeit  zwischen  zwei  einander  folgenden  Durch- 
gängen des  Mondes  durch  den  aufsteigenden  Knoten,  beträgt  (nach 
Hansen)  27,21222^  ==  27''  5^^  5™  35,8«  mittl.  Zeit.  Die  Lage  und  Be- 
wegung der  Knoten  kann  man  ungefähr  aus  der  Beobachtung  der  Mond- 
finsternisse ableiten,  da  diese  sich  nur  in  der  Nähe  der  Knoten  ereignen. 

Ebensowenig  fest  wie  die  Knoten  liegen  in  der  Mondbahn  die 
beiden  Punkte,  welche  der  größten  Nähe  zur  Erde  resp.  der  größten 
Entfernung  entsprechen,  und  in  welchen  sich  der  Mond  am  schnellsten 
resp.  am  langsamsten  bewegt.  Diese  Punkte  heißen  Perigäum 
(Erdnähe)  und  Apogäum  (Erdferne).  Ihre  Lage  läßt  sich  aus  Be- 
obachtungen des  größten  und  kleinsten  Durchmessers  des  Mondes  nur 
schwierig  ermitteln  (nicht  wie  Perihel  und  Aphel  aus  dem  variierenden 
Sonnendurchmesser),  da  die  Maxima  und  Minima  des  Monddurchmessers 
unter  sich  verschieden  sind.  Außerdem  verändern  beide  Punkte  ihre 
Lage  am  Himmel  sehr  beträchtlich ;  es  findet  im  ganzen  eine  Vorwärts- 
bewegung (von  West  nach  Ost)  statt,  aber  auch  zeitweises  Rück- 
schreiten; die  Apsiden  (Perigäum  und  Apogäum)  liegen  daher  selten 
einander  gegenüber,  wie  es  sonst  bei  der  Sonne  der  Fall  ist.  In  etwa 
8,85  tropischen  Jahren  (3231^  11^  11™  22,3«  mittl.  Zeit)  vollenden  sie 
einen  Umlauf.  Das  Mittel  der  Zeit,  welches  zwischen  zwei  einander 
folgenden  Durchgängen  des  Mondes  durch  die  Apsiden  liegt,  heißt  der 
anomal  istische  Monat.  Er  beträgt  (nach  Hansen)  27,55460*^  = 
27d  13h  18"^  37,4«  mittlere  Zeit. 

Alle  diese  Zahlenverhältnisse  des  Mondsystems  sind  jedoch  nur 
mittlere.  Die  wahre  Bewegung  des  Mondes,  welche  ungemein  kompli- 
zierter Natur  ist,  läßt  sich- nur  immer  für  einen  gegebenen  Fall  mit 
Hilfe  der  Mondtheorie  (d.  h.  der  auf  die  Analysis  gegründeten  Theorie 
seiner  Bewegung)  berechnen.  Die  elliptische  Form  der  Bahn,  welche 
wir  für  die  Bewegung  des  Mondes  um  die  Erde  vorausgesetzt  haben, 
hält  der  Mond  nur  im  allgemeinen  ein ;  in  der  Tat  weicht  er  von  der- 
selben fortwährend  wegen  der  vielfachen  Störungen  (Ungleichungen) 
ab,  die  durch  die  Anziehungskraft  der  Erde,  der  Sonne  und  der 
Planeten  hervorgerufen  werden.  Die  größten  und  wichtigsten  dieser 
Ungleichungen  sind  unter  den  Namen  Evektion,  Variation  und 
jährliche  Gleichung  bekannt.  Was  schließlich  die  Frage  betrifft, 
welche  mathematische  Linie  die  Bahn  des  Mondes  während  des  Umlaufs 
mit  der  Erde  um  die  Sonne  darstellt,  so  kann  man  dieselbe  als  eine 
Schraubenlinie  bezeichnen  mit  ungleich  langen  Windungen,  die  sich  im 
Laufe  eines  Sonnen jahrs  etwa  12,4  mal  um  die  Erdbahn  herumziehen. 


§  9.     Sonnen-  und  Mondfinsternisse.  39 

§  9.    Sonuen-  und  Mondfinsternisse. 

Wenn  die  Bahnebenen  des  Mondes  und  der  Erde  nicht  einen 
Winkel  machen  würden,  so  könnte,  wie  im  vorigen  Paragraphen  be- 
merkt A\urde,  öfters  der  Fall  vorkommen,  daß  für  uns  eine  Sonnen- 
finsternis eintritt.  Sobald  nämlich  der  Mond  die  Konjunktion- 
stellung M"  erreicht  hat  (s.  Fig.  4),  fällt  sein  Schatten,  den  die  Sonne 
erzeugt,  in  der  Eichtung  gegen  die  Erde.  Da  jedoch  die  Neigung 
der  Mondbahnebene  über  5"  beträgt  und  anderseits  die  scheinbaren 
Durchmesser  des  Mondes  und  der  Sonne  nur  etwa  '/a^  erreichen,  so 
streift  der  Mond  meist  unter  oder  über  der  Sonne  vorbei  und  sein 
Schatten  fällt  nicht  auf  die  Erde.  Die  Neumonde  (Konjunktionen) 
bleiben  daher  vielfach  ohne  die  Begleiterscheinung  einer  Sonnenfinsternis. 
Geht  aber  der  Mond  zur  Zeit  der  Konjunktion  durch  den  Knoten  oder 
ist  er  in  der  Nähe  desselben,  so  befindet  er  sich  in  diesem  Moment 
in  der  Ekliptik,  und  der  von  ihm  ausgehende  Schatten  kann  also  die 
Erde  treffen.  Die  Sichtbarkeit  der  Sonnenfinsternis  gestaltet  sich  ver- 
schieden je  nach  der  Lage  des  Schattenkegels.  Letztere  hängt  von 
der  jeweiligen  Entfernung  der  Sonne  und  des  Mondes  von  der  Erde, 
d.  h.  von  ihren  scheinbaren  Durchmessern  ab,  und  von  der  Entfernung 
der  Knoten  vom  Neumond.  Der  Durchmesser  der  Sonne  wechselt 
zwischen  31'  30"  bis  32'  35",  jener  des  Mondes  von  29'  30"  bis  über 
33',  je  nach  den  Entfernungen  von  der  Erde;  der  Monddurchmesser 
kann  also  kleiner  sein  als  der  kleinste  Sonnendurclimesser,  und  größer 
als  der  maximale  der  Sonne.  Infolgedessen  ^\'ii'd  es  vorkommen,  daß 
die  Spitze  a  des  Schattenkegels  b  a  c  (Fig.  4)  so  weit  von  der  Erde  E 
absteht,  daß  sie  die  Erdoberfläche  nicht  erreicht:  dann  erscheint  uns 
zwar  der  Mond  zentral  die  Sonne  zu  verdecken,  jedoch  bleibt  um  den 
Band  der  Mondscheibe  ein  schmaler  Bing  der  Sonne  noch  hell  leuchtend. 
Eine  solche  Finsternis  ist  eine  ringförmige  (annulare)  Sonnen- 
finsternis. Fällt  aber  der  Kernschatten  des  Mondes  ganz  auf  die 
Erde  (bei  d),  so  war  der  scheinbare  Monddurchmesser  größer  als  der 
Sonnendurchmesser,  und  ein  in  d  befindlicher  Beobachter  sieht  die 
Sonne  für  einige  Zeit  ganz  durch  den  Mond  verdeckt:  es  tritt  für 
ihn  eine  totale  Sonnenfinsternis  ein.  Sie  wird  auch  eine  zentrale 
genannt,  weil  die  Mittelpunkte  von  Mond  und  Sonne  für  jenen  Ort 
zusammenfallen.  Bei  den  ringförmigen  Finsternissen  erscheint  der 
leuchtende  übrig  bleibende  Bing  der  Sonne  nicht  überall  auf  der  Erde 
gleich  breit;  für  solche  Orte,  wo  aber  der  Bing  gleichmäßig  breit 
erscheint,  ist  die  Bedeckung  auch  zentral  gewesen ^  Endlich  ent- 
steht nui'  eine  p  a  r  t  i  e  1 1  e  S  o  n  n  e  n  f  i  n  s  t  e  r  n  i  s ,  wenn  der  Schatten- 


1)   Die  ringförmigen  Finsternisse  sind  jedoch  für  die  einzelnen  Erdorte  nicht 
notwendig  immer  zentral. 


40  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

kegel  die  Erde  nicht  trifft,  wolil  aber  der  Halbschatten  b  f  e  c  auf  sie 
fällt ;  ein  Beobachter  in  e  f  sieht  dann  nur  einen  Teil  der  Sonne,  den 
oberen  oder  unteren  verdeckt.  Auch  jeder  totalen  und  ring^förmigen 
Finsternis  g-eht  eine  partielle  voran  und  folgt  derselben,  da  der  Eintritt 
und  Austritt  des  Mondes  in  und  aus  der  Sonne  nicht  plötzlich  erfolgen 
kann,  sondern  entsprechender  Zeit  bedarf.  Die  seltener  stattfindenden 
Finsternisse,  bei  welchen  bisweilen  ein  Übergang  der  Eingförmigkeit 
in  die  Totalität  stattfindet,  nennt  man  ringförmig- totale  Finster- 
nisse. Sie  charakterisieren  sich  durch  die  sehr  kurze  Dauer  ihrer 
Zentralität.  Da  die  Lage  der  Knoten  zur  Zeit  der  Konjunktion  ver- 
schieden ist,  hängt  die  Art  der  eintretenden  Finsternis  und  ihre 
Möglichkeit  überhaupt  von  der  Entfernung  der  Knoten  ab.  Diese 
Finsternisgrenzen  sind  ungefähr  folgende:  Ist  der  Abstand  der 
Sonne  vom  Mondknoten  größer  als  18^  21',  so  tritt  keine  Sonnen- 
finsternis ein;  zwischen  12°  bis  18^  21'  Distanz  finden  partielle  Finster- 
nisse statt  oder  können  eintreten;  die  Grenzen  für  totale  und  ringförmige 
Finsternisse  sind  O^'a  his  12^. 

Unter  Größe  der  Finsternis  versteht  man  gewöhnlich  die  Maximal- 
phase, d.  h.  die  größte  Fläche,  welche  der  verfinsternde  Mond  im  Ver- 
laufe der  Sonnenfinsternis  von  der  Sonnenscheibe  verdecken  kann. 
Man  drückt  dieselbe  in  Teilen  des  Durchmessers  aus  oder,  wie  be- 
sonders für  die  historischen  Finsternisse  üblich,  in  Zollen,  indem  der 
ganze  Durchmesser  der  Sonne  gleich  12  Zoll  gesetzt  wird.  Die  Phase 
beträgt  7  Zoll  z.B.  heißt,  es  werden  "/^o  oder  0,58  Teile  der  Sonne 
verfinstert.  Das  Sichtbarkeitsgebiet  der  Sonnenfinsternisse  auf 
der  Erde  ist  sehr  verschieden,  je  nach  den  Verhältnissen,  unter  denen 
sie  eintreten.  Im  allgemeinen  kann,  da  der  Mond  kleiner  ist  als  die 
Erde  und  letzterer  400  mal  näher  steht  als  die  Sonne,  immer  nur  ein 
kleiner  Teil  der  Erdoberfläche  die  Sonnenfinsternisse  sehen.  Für  die 
partiellen  Finsternisse  lassen  sich  nur  die  Grenzkurven  des  Sichtbar- 
keitsgebietes angeben.  Innerhalb  dieses  Gebietes  variiert  die  Größe 
der  Verfinsterungsphase  je  nach  der  Lage  des  Ortes,  ebenso  die  Zeit. 
Bei  den  zentralen  Finsternissen  (den  totalen  und  ringförmigen)  läuft 
der  Mond-Kernschatten  in  Form  einer  Zone  über  die  Erde ;  die  Grenzen 
einer  solchen  Zone  (Nord-  und  Südgrenzen  der  Zentralität)  schließen 
dann  das  Gebiet  in  sich,  innerhalb  dessen  die  Orte  das  Maximum 
der  Phase  (Totalität,  Eingförmigkeit)  sehen  können;  die  nördlich  und 
südlich  von  dieser  Zone  situierten  Orte  können  die  Verfinsterung  nur 
partiell  sehen,  und  zwar  eine  desto  größere  Phase,  je  näher  sie  der 
Zentralitätszone  liegen.  Die  Breite  der  Zentralitätszone  ist  sehr  ver- 
schieden; ein  Maximum  erreicht  dieselbe  dann,  wenn  die  Sonne  weit 
vom  Monde  und  die  Erde  nahe  demselben  ist,  da  dann  der  Kern- 
schatten  sich   auf   der  Erde   mehr   ausbreitet;    die   griUke  Breite  der 


§  9.     ^>oiinoii-  und  Mondfinsternisse.  41 

Zone  kann  etwa  220  km  erlangen.  Eine  bemerkenswert  schmale 
Zone  haben  die  ringförmig -totalen  Finsternisse.  Die  Dauer  der 
Finsternisse  ist  ebenfalls  verschieden.  Die  r4esamtdauer  einer  zentralen 
Finsternis  d.  h.  vom  Zeitpunkte  des  Mondeintritts  am  Westrande  der 
Sonne  (Anfang  der  Finsternis)  bis  zum  Austritt  am  Ostrande  (Ende 
der  Finsternis)  kann  etwa  2  Stunden  sein;  die  Dauer  der  Totalität 
und  Ringförmigkeit  ist  viel  kürzer,  da  der  Mond  vermöge  seiner 
schnellen  Bewegung  eine  längere  Bedeckung  der  Sonnenscheibe  unmöglich 
macht.  Bei  totalen  Sonnenfinsternissen  beträgt  die  Dauer  der  Totalitäts- 
phase gewöhnlich  3 — ^5  Minuten ;  länger  dauernde  Verfinsterungen  sind 
schon  selten ;  die  nächste  über  7  Minuten  dauernde  und  auf  der  Nord- 
hemisphäre der  Erde  sichtbare  totale  Finsternis  wird  die  am  8.  Juni 
1937  stattfindende  sein.  Bei  ringförmigen  Finsternissen  ist  die  Dauer 
der  Zentralität  etwas  größer  als  bei  totalen  und  kann  sogar  bis  auf 
12  Minuten  steigen.  Bei  den  ringförmig-totalen  erreicht  dagegen  diese 
Dauer  kaum  einige  Bruchteile  von  einer  Minute.  Schließlich  muß 
auch  noch  auf  die  Seltenheit  totaler  Finsternisse  für  einen 
gegebenen  Ort  aufmerksam  gemacht  werden.  Es  können  viele  Jahr- 
zehnte vergehen,  ehe  die  Totalitätszonen  (welche  in  verschiedenster 
Richtung  die  Erdoberfläche  kreuzen)  wieder  auf  denselben  Ort  treffen. 
Athen  z.  B.  hat  im  ganzen  4.  Jahrh.  v.  Chr.  nur  eine  totale  Sonnen- 
finsternis, jene  vom  15.  August  310  v.  Chr.,  gesehen. 

AVas  die  W  a  h  r  n  e  h  m  b  a  r  k  e  i  t  der  Sonnenfinsternisse  mit  freiem 
Auge  anbelangt,  so  sind  nur  die  bedeutenden  Phasen  sichtbar,  ins- 
besondere muß  die  Phase  eine  beträchtliche  Größe  erreicht  haben, 
wenn  die  Sonne  zur  Zeit  der  Verfinsterung  hoch  steht,  falls  die  Phase 
der  Allgemeinheit  auffallen  soll.  Bei  sehr  niedrig  stehender  Sonne, 
am  Horizonte,  können  auch  kleinere  Phasen  dem  freien  Auge  wahr- 
nehmbar werden.  Im  allgemeinen  kann  man  bei  der  Beurteilung  der 
Sichtbarkeit  historischer  Finsternisse  an  dem  Erfahrungssatze  fest- 
halten, daß  die  Verfinsterungen  erst  dann  die  Aufmerksamkeit  des 
Volkes  erregen,  wenn  die  Phase  wenigstens  9  Zoll  erreicht  hat.  Die 
bekannten  Erscheinungen,  welche  den  Eintritt  der  Totalität  anzeigen, 
wie  die  plötzliche  Abnahme  des  Tageslichtes,  die  eigentümliche  Färbung 
des  Himmels ,  das  Sichtbarwerden  von  Sternen  u.  s.  w\ ,  stellen  sich 
gewöhnlich  erst  bei  einer  Phase  von  12  Zoll  ein.  Einzelne  von  hellen 
Sternen  oder  Planeten  können  auch  bei  einer  11  zölligen  Phase  schon 
sichtbar  werden.  Es  mag  noch  bemerkt  werden,  daß  die  ringförmigen 
Sonnenfinsternisse  weniger  auffällig  sind  als  die  totalen. 

Ich  wende  mich  nun  zu  den  Mondfinsternissen.  AVie  die 
Sonnenfinsternisse  niu'  bei  den  Konjunktionen  (Neumonden)  entstehen 
können,  so  können  die  Mondfinsternisse  nur  bei  den  Oppositionen 
(Vollmonden)  zustande  kommen.     Der  Kernschatten  ghi  (Fig.  4),  den 


42  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

die  Erde  wirft  ^),  zeigt,  wenn  man  ilm  in  der  auf  die  Schattenachse  oi 
senkrechten  Riclitung-  sclineidet,  die  Gestalt  einer  Kreisfläche.  Dieser 
Kreis  ist ,  wenn  man  als  Schnittstelle  i ,  d.  h.  die  Entfernung"  des 
Mondes  betrachtet,  immer  noch  größer  als  der  Mond  (der  Durchmesser 
des  Schattenkreises  ist  etwa  das  2,7 fache  des  Monddurchmessers),  so 
daß  der  Mond  je  nach  der  Lage  der  Bahn  ganz  in  den  Schatten  ein- 
tauchen kann  oder  nur  zum  Teil  verfinstert  wii'd.  Im  ersten  Falle 
tritt  eine  totale,  im  anderen  eine  partielle  Mondfinsternis  ein. 
Wie  bei  den  Sonnenfinsternissen  entscheidet  die  Entfernung  des  Erd- 
schattens vom  Mondknoten,  welche  Art  von  Mondfinsternis  eintritt. 
Ist  die  Entfernung  der  Sonne  vom  (auf-  oder  absteigenden)  Knoten 
zur  Zeit  des  Vollmonds  größer  als  12*^4',  so  findet  überhaupt  keine 
Mondfinsternis  statt.  Unterhalb  dieser  Grenze  tritt  die  Möglichkeit 
für  partielle  Verfinsterungen  ein;  die  totalen  und  partiellen  können 
zwischen  4^10'  und  12"  4'  sich  ereignen,  nur  totale  bedürfen  der 
Grenze  von  weniger  als  4^10'  Entfernung.  Die  Dauer  der  Ver- 
finsterung ist  bei  den  Mondfinsternissen,  welche  bloß  partielle  sind,  sehr 
verschieden,  je  nachdem  ein  kleinerer  oder  größerer  Teil  des  Mondes 
in  den  Schatten  kommt,  kann  aber  3  Stunden  erreichen;  bei  den 
totalen  Finsternissen  dauert  die  Partialität  maximal  3^/4  Stunden, 
die  Totalität  1^/4  Stunden.  Die  Phasen  einer  totalen  Mondfinsternis 
reihen  sich  wie  folgt  aneinander:  Beginn  (Anfang)  der  Partialität, 
Anfang  der  Totalität,  Mitte  der  Finsternis,  Ende  der  Totalität,  Ende 
der  Partialität.  Die  Größe  der  Verfinsterung  wird  in  Teilen 
der  Linie  ausgedrückt,  welche  man  sich  (für  die  Mitte  der  Finsternis) 
vom  Mittelpunkt  der  Mondscheibe  bis  zum  Rande  des  Schattenkreises  ge- 
zogen denkt.  Alle  Finsternisse  über  12  Zoll  sind  totale  Verfinsterungen, 
jene  unter  12  Zoll  partiell-.  Die  Verfinsterungsgröße  ist  nicht  (wie 
bei  den  Sonnenfinsternissen)  für  die  Erdorte  verschieden,  sondern  für  die 
ganze  Erde  die  gleiche,  ebenso  der  sonstige  Verlauf.  Das  Sichtbarkeits- 
gebiet der  Erde  für  die  Beobachtung  der  Mondfinsternisse  ist  viel  größer 
als  bei  den  Sonnenfinsternissen.  Deshalb  sind  für  einen  gegebenen  Ort 
der  Erde  viel  mehr  Mondfinsternisse  sichtbar  als  Sonnenfinsternisse. 

Die  periodische  Wiederkehr  der  Sonnen-  und  Mondfinster- 
nisse hängt  von  dem  Verhältnis  des  sjiiodischen  Lhnlaufs  zum  di-ako- 
nitischen  ab".  Die  Wiederholung  der  Finsternisse  tritt  in  Zeiträumen 
ein,  welche  eine  ganze  Zahl  beider  dieser  Umläufe  in  sich  enthalten. 

1)  Der  Halbschatten  ist  für  eine  merkbare  Verfinsterung  des  Mondes  zu  schwach. 

2)  Die  Astronomen  der  früheren  Zeit  geben  die  Verfinsterungsgröße  (von 
Sonnen-  und  Mondfinsternissen)  durch  12  digiti  an,  welche  die  Größe  der  ver- 
finsterten Oberfläche  darstellen.  Ungefähr  ist  1  Zoll  =  0,4  digiti,  2  Zoll  =  1,0  digiti, 
3  Zoll  =  1,7  digiti,  4  Zoll  =  2,6  digiti,  5  Zoll  =  3,6  digiti,  6  Zoll  =  4,7  digiti, 
7  Zoll  =  5,8  digiti,  8  Zoll  =:  7,0  digiti,  9  Zoll  =  8,2  digiti,  10  Zoll  =  9,5  digiti, 
11  Zoll  =  10,8  digiti,    12  Zoll  =  12  digiti. 


i?  10.     Pluncteiicrscheiiuxngen.     Sonstige  Pliänomene.  48 

Die  Periodizität  hänget  also  von  dem  Verhältnis  27,21222'' :  29,53059'* 
ab.     Verwandelt   man   diesen  Bruch  in  einen  Kettenbruch,  so  erhält 

,.      ^T-i  .      12      13      38     51      242      777  ,     , 

man    die  Näherungswerte   jy,  -^,  ^,  ^,  ^^,  ^-^,  u.   s.  w.,    d.  li. 

11  synodische  Monate  =  12  drakonitischen,  12  synod.  =  13  drak.  u.  s.  f. 
Von  diesen  Näherungsbrüchen  sind  die  Verhältnisse  223  synod.  =  242 
drak.,  und  716  synod.  =  777  drak.  bereits  recht  genaue,  da  die 
Differenz  in  Tagen  beim  ersteren  nur  0,0359'*,  beim  letzteren  gar  nur 
OjOOßS"*  beträgt.  Man  wird  also  die  Wiederkehr  der  Finsternisse  nach 
Zeit  und  Grüße  erwarten  können  nach  je  223  synodischen  Monaten 
oder  6585 '/g  Tagen  =  18  Jahren  lO^/s  Tagen;  oder  aber  beim  zweiten 
Verhältnis  nach  716  synodischen  Monaten  =  21144  Tagen  =  57  Jahren 
325  Tagen.  Die  erstere  Periode  ist  der  babylonische  Saros. 
Die  Brauchbarkeit  dieser  und  anderer  Perioden,  die  man  für  die 
Vorausbestimmung  der  Finsternisse  angegeben  hat^,  erleidet  aber 
Einbuße,  wenn  es  sich  (und  dies  ist  für  das  Altertum  der  eigentliche 
Fall)  darum  handelt,  die  Finsternisse  voraus  anzugeben,  die  alle  für 
ein  bestimmtes  Land  oder  einen  bestimmten  Ort  stattfinden  sollen. 
Dann  zeigt  sich,  daß  der  babylonische  Saros  bei  weitem  nicht  den 
"Wert  besitzt,  den  man  ihm  in  astronomischen  Handbüchern  oft  bei- 
legt. Dagegen  steigt  die  Leistungsfähigkeit  des  Saros,  wenn  man 
nicht  den  einfachen,  sondern  den  dreifachen  d.  h.  die  Periode  54  Jahre 
33  Tage  anwendet.  Bei  den  128  Sonnenfinsternissen,  die  z.  B.  zwischen 
900  bis  1  V.  Chr.  für  Kleinasien  auffällig  gewesen  sind,  würde  mau  mit 
dem  einfachen  Saros  nur  fünfmal  einen  Treffer  machen  (also  10  Finster- 
nisse dem  Datum  nach  richtig  treffen) ;  bei  Anwendung  des  dreifachen 
Saros  macht  mau  dagegen  27  Treffer,  ferner  12  doppelte,  di-eifache  und 
vierfache  Treffer  (mit  95  Finsternissen).  Die  moderne  Astronomie 
rechnet  selbstverständlich  nicht  mehr  mit  solchen  Perioden,  da  diese 
immer  nur  als  Annäherungen  und  nicht  als  zuverlässig  zu  betrachten  sind. 

§  10.    Die  Plaueteuersclieinungeii.    Sonstige  für  die  Chronologie 
bemerkenswerte  Phänomene. 

Von  den  Planeten  kommen  für  die  Chronologie  nur  Merkur. 
Venus,   Mars,   Jupiter   und  Saturn  in  Betracht.     Die  ersteren  beiden 

1)  Solche  Perioden  sind  z.  B.  6444  svnod.  M.  =  6998  drak.  =  190295  Tage 
(521  Jahre);  1.33449  Tage  (365  Jahre  182  Tage)  u.a.  Merkwürdig  ist,  daß  auch 
der  Kallippische  Zyklus,  wenn  er  um  einen  Mondmonat  vermindert  wird,  für 
Finsternisvorausbestimmungen  geeignet  wird ,  wie  L.  Schlachter  gesehen  hat. 
Dieser  Zyklus  bezweckt  nur  den  Ausgleich  des  Sonnenjahrs  mit  dem  Mondjahre 
und  faßt  27  759  Tage  oder  76  Jahre.  Vermindert  man  ihn  um  29  Tage,  so  sind 
die  restlichen  27  780  Tage  ;=  989  synod.  Mon.  =  1019  drakon.  Mon.  Dieser  ver- 
kürzte Kallippische  Zyklus  gleicht  also  das  Verhältnis  zwischen  synod.  Mon.  und 
Knoteubewegung  ebenfalls  aus. 


44  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

bezeichnet  man  als  untere  (innere)  Planeten,  die  anderen  als  obere 
(äußere),  weil  die  Bahnen  der  unteren  zwischen  Sonne  und  Erde,  die 
Bahnen  der  oberen  außerhalb  der  Erdbahn  liegen.  Die  Planeten 
mußten  schon  in  den  Anfängen  der  Himmelsbetrachtung  durch  ihre 
eigene,  von  den  Sternen  verschiedene  Bewegung,  durch  ihre  zeitweisen 
Stillstände,  ihr  Vor-  und  Eückwärtsgehen,  durch  die  Schleifenbildung 
in  ihren  scheinbaren  Balinen  und  durch  ihre  an  die  Sonne  gebundenen 
Stellungen  auffallen.  Merkur  und  Venus  zeichnen  sich,  entsprechend 
ihrem  im  Verhältnis  zu  den  anderen  Planeten  kleinen  mittleren 
Abstand  von  der  Sonne,  durch  rasche  Bewegung  aus.  Sie  entfernen 
sich  nie  weit  von  der  Sonne,  sondern  werden  in  der  Nähe  derselben 
bald  in  der  Morgendämmerung,  bald  am  Abendhimmel  sichtbar  (Morgen- 
und  Abendsterne);  insbesondere  wechselt  Merkur  sehr  oft  diese 
Stellungen  und  ist  deshalb  wegen  seines  meist  tiefen  Standes  mit 
bloßem  Auge  nicht  leicht  zu  sehen.  Wenn  ihre  Rektaszension  zu- 
nimmt, die  Planeten  sich  also  von  West  nach  Ost  (gegen  die  Sonne) 
bewegen,  nennt  man  ihre  Bewegung  recht  lauf  ig.  Öfters  ver- 
langsamt sich  diese  Bewegung,  der  Planet  scheint  einige  Zeit  an 
einem  Punkte  des  Himmels  still  zu  stehen,  worauf  er  rückläufig 
wird,  d.  h.  anfängt  sich  in  entgegengesetzter  Richtung  zu  bewegen; 
nach  einigen  Tagen  steht  der  Planet  wiederum  still,  und  schließlich 
eilt  er  wieder  in  der  Richtung  West-Ost  mit  wachsender  Geschwindig- 
keit der  Sonne  nach.  Es  entsteht  also  in  dem  Wege  des  Planeten 
eine  Schleife;  um  die  Zeit  dieser  Schleif enbildung  hat  der  Planet 
seine  Konjunktion  mit  der  Sonne,  und  zwar  liegt  die  innere 
(untere)  Konjunktion  gegen  uns  zu,  vor  der  Sonne,  die  äußere 
(obere)  Konjunktion  jenseits  (hinter)  der  Sonne.  Da  der  Planet 
einmal  zurückbleibt,  das  andere  Mal  voreilt,  so  erreicht  er  auf  der 
westlichen  (rechten)  Seite  der  Sonne  resp.  auf  der  östlichen  (linken) 
einen  Grenzwert  des  Abstandes  von  der  Sonne;  die  größte  Distanz 
auf  der  westlichen  Seite  heißt  die  westliche  Elongation,  jene  auf 
der  östlichen  die  östliche  Elongation.  Die  Elongationen  betragen 
beim  Merkur  nahezu  23",  bei  Venus  über  46*^.  Die  äußeren  Planeten, 
Mars,  Jupiter,  Saturn,  haben  ebenfalls  ihre  Konjunktionszeiten;  sie 
werden  (wegen  ihrer  langsamen  Bewegung)  durch  die  Sonne  eingeholt 
und  werden  uns  auf  einige  Zeit  in  dem  sie  überstrahlenden  Sonnen- 
lichte unsichtbar.  Allmählich  bleiben  sie  gegen  die  Sonne  zurück  und 
erreichen  bei  180*^  ihren  Gegenüberstand  von  der  Sonne,  ihre 
Opposition.  Um  diese  Zeit  sind  sie  uns  die  ganze  Nacht  sichtbar. 
Merkur  und  Venus  haben  keine  Oppositionen,  sondern  nur  Konjunk- 
tionen. Die  Oppositionszeiten  der  äußeren  Planeten,  welche  zugleich, 
wie  bemerkt,  die  Zeit  ihrer  besonders  guten  Sichtbarkeit  für  das 
freie  Auge  bezeichnen,  bleiben  selbstverständlich  nicht  in  jedem  Jahre 


i^  10.     l'lanetenerscheinungen.    Sonstige  Phänomene.  4o 

die  gleichen,  sondern  verschieben  sich  allmählich.  Jupiter  z.  B.  hatte 
im  Jahre  1894  seine  Opposition  im  Dezember;  seither  verschob  sich 
die  Oppositionszeit  jährlich  um  einen  Monat,  so  daß  er  1001  die 
Opposition  im  Juni  erreichte  und  erst  1906  wieder  im  Dezember  in 
Opposition  kommt.  Bei  Saturn  rücken  die  Oppositionen  langsamer 
weiter  als  bei  Jupiter;  1894  war  Saturn  im  April  in  Opposition. 
1906  hatten  sich  seine  Oppositionen  erst  bis  in  den  September  ver- 
schoben ^ 

Die  Oppositionen  der  äui>eren  drei  Planeten  führen  zu  einer  Be- 
merkung, welche  für  die  Jahrformen  in  der  Chronologie  wichtig  ist. 
Diejenigen  Oppositionen  werden  den  schönsten  Anblick  des  Planeten 
darbieten,  welche  in  die  Jahreszeit  der  langen  Nächte  fallen;  der 
Planet  wird  in  seinem  vollen  Lichte  sich  zeigen,  wenn  er  nicht  zu 
ungünstig  (nicht  zu  südlich  vom  Äquator)  steht.  Da  nun  die  Oppo- 
sitionen, wie  oben  gesagt,  nach  einer  Eeihe  von  Jahren  in  dieselbe 
Jahreszeit  zurückkehren,  so  wird  auch  eine  besonders  günstige,  in 
welcher  der  Planet  besonders  auffällig  und  leicht  erkenntlich  erschien, 
nach  einer  gewissen  Jahresreihe  zur  selben  Zeit  ^wiederkommen.  Der 
Planet  steht  dann  (infolge  seines  siderischen  Umlaufs)  das  ganze  Jahr 
wieder  in  denselben  Sternbildern  und  bei  den  hellen  Sternen,  wo 
er  vor  Jahren  gestanden  hat.  So  wiederholt  sich  die  Eückkehr  in 
dieselben  Himmelsstellungen  bei  Jupiter  nach  je  12  Jahren  (1879. 
1891,  1903),  bei  Saturn  nach  29  Jahi-en  (1845,  1874,  1903),  bei 
Mars  nach  2  bis  5  Jahren  (Herbst  1886,  Januar  1888,  1903);  auch 
Venus  kehi't  nach  8  Jahren  in  dieselben  Stellungen  zuiiick  (1879. 
1887,  1895,  1903).  Es  ist  deshalb  erklärlich,  daß  die  alten  Völker 
in  den  Zeiten,  wo  die  Planeten  noch  durch  Götter  personifiziert  und 
ihnen  bedeutsame  Eigenschaften  beigelegt  WMirden,  dieser  periodischen 
Wiederkehr  der  Planeten  besondere  Beachtung  geschenkt  haben"-. 
Auf  diese  Weise  wahrscheinlich  entstanden  Planetenjahre,  wie  der 
12  jährige  und  60  jährige  Jupiterzyklus  der  Inder, 

Die  Planeten  kommen  bei  ihrem  zeitweisen  Voreilen  und  Zurück- 
bleiben auch  häufig  in  gegenseitige  Konjunktion  und  stehen  dann 


1)  Die  KoujuuktioDszeiten  von  Mars,  Jupiter  und  Saturn  rücken  in 
Intervallen  vor,  welche  den  Oppositionen  entsprechen.  Bei  Saturn  liegen  die  Kon- 
junktionen um  377  Tage  auseinander,  bei  Jupiter  um  403  Tage,  bei  Mars  um  2  Jahre 
46  Tage  (1906).  Gegenwärtig  (1907;  fällt  die  Konjunktion  von  Jupiter  in  den  Juli, 
von  Saturn  in  den  März,  von  Mars  in  den  August. 

2)  Die  ßabylonier  kannten  bereits  solche  Planetenperioden.  Auf  drei  keil- 
iuschriftlich  erhalten  gebliebenen  Tafeln  {Zeitschr.  f.  Assyr.  V  342)  wird  z.  B.  ein 
bestimmtes  Jahr  der  seleukid.  Ära  durch  ein  Beobachtungsjahr  plus  der  Planeten- 
periode ausgedrückt ;  für  Venus  gebrauchen  die  babylonischen  Astronomen  8  Jahre 
(wie  oben),  für  Jupiter  83  (die  etwa  7 fache  Periode),  für  Mars  79  (die  16 fache 
Periode),  für  Saturn  59  Jahre  (die  doppelte). 


46  Astronomische  Begriffe  der  technischen  Chronologie. 

öfters  einander  recht  nahe.  Am  auffällig-sten  wird  eine  solche 
Erscheinung,  wenn  mehrere  der  hellsten  Planeten  sich  zu  einer 
Konstellation  vereinigen  und  durch  längere  Zeit  in  einem  Stern- 
bilde dicht  beisammen  stehen.  In  der  Mitte  des  Dezember  1901 
konnte  man  in  unsern  Gegenden  in  den  ersten  Abendstunden  eine 
Konstellation  von  Mars,  Jupiter  und  Saturn  im  Sternbilde  des  Schützen 
(beim  Sterne  n  Sagitt.)  bemerken.  Historische  Konstellationen  fanden 
statt  z.  B.  zur  Zeit  der  Geburt  Christi,  vor  der  Geburt  Mohammeds 
(die  „Konstellation  der  Religion");  die  Inder  rechnen  die  Epoche  des 
Kali-yuga  von  einer  angeblich  allgemeinen  Planetenkonjunktion  am 
17.  Febr.  3102  v.  Chr. 

Einige  Bemerkungen  verdient  noch  die  H  e  1 1  i  g  k  e  i  t  des  Planeten 
Venus.  Dieser  Planet  kann  um  mehr  als  4  Größenklassen  heller 
werden  als  Arktur  (Bootes)  und  ist  dann,  wenn  man  seinen  Ort  am 
Himmel  kennt,  selbst  am  Tage  mit  freiem  Auge  wahrnehmbar.  Das 
Licht  von  Venus  wechselt  mit  den  Planetenstellungen  gegen  die  Sonne; 
das  Maximum  des  Glanzes  tritt  etwa  37  Tage  vor  und  nach  der 
unteren  Konjunktion  ein^;  obwohl  die  Differenz  zwischen  dem  Maximum 
des  Glanzes  und  der  mittleren  Phase  nur  eine  Viertel  -  Größenklasse 
beträgt^,  so  muß  Venus  in  Gegenden,  die  durch  besonders  klare  Luft 
ausgezeichnet  sind,  zu  diesen  Zeiten  doch  einen  auffälligen  und  pracht- 
vollen Anblick  darbieten,  welcher  sich  namentlich  durch  die  Rück- 
künfte  von  Venus  in  dieselben  Himmelsplätze  (alle  8  Jahre)  in  der 
Erinnerung  der  Völker  befestigt  hat.  —  Jupiter  und  Mars  können 
bei  günstigen  Oppositionen  etwa  eine  Größenklasse  schwächer  werden 
als  Venus.  Die  Helligkeitsschwankungen  sind  bei  diesen  beiden 
Planeten  unbedeutend.  Größer  sind  die  Helligkeitsdifferenzen  an 
Saturn,  bei  welchem  sie  2  Größenklassen  betragen  können. 

Von  den  sonstigen  Erscheinungen,  welche  der  Himmel  dem  freien 
Auge  darbietet,  wären  hauptsächlich  die  Kometen  zu  erwähnen, 
über  welche  sich  Aufzeichnungen  aus  sehr  zurückliegender  Zeit  (bei 
den  Chinesen)  vorfinden.  Welchen  Weg  am  Himmel  ein  Komet 
zurückgelegt  hat,  läßt  sich  rechnerisch  nur  ermitteln,  wenn  hin- 
reichende Angaben  vorhanden  sind,  um  seine  Bahn  bestimmen  zu 
können;  desgleichen  läßt  sich  die  Frage,  ob  ein  bestimmter  Komet 
schon  zu  einer  anderen,  früheren  oder  späteren,  Zeit  erschienen  sein 
könnte  (periodisch  wiederkehrend  wäre),  erst  beantworten,  wenn  seine 
Bahnbestimmung  verbürgt  ist.  —  Schließlich  haben  noch  die  periodischen 
Sternschnuppenschwärme  einiges  Interesse  für  den  Historiker, 


1)  Die   unteren  Konjunktionen   (und   die  oberen)  wiederholen  sich  bei  Venus 
nach  etwa  584  Tagen;  ebenso  die  Elongationen. 

2)  s.  G.  Müller,  Die  Photometrie  der  Gestirne.    Leipz.  1897   S.  366. 


§  11.     Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Hilfe  der  Astronomie.  47 

da  sich  in  den  Annalen  hie  und  da  ebenfalls  Aufzeichnungen  über  diese 
Erscheinungen  vorfinden.  Kann  man  aus  den  Angaben  konstatieren, 
aus  welcher  Gegend  des  Himmels  (Sternbild)  ein  solcher  Schwärm 
scheinbar  zu  kommen  schien,  so  läßt  sich  ein  Rückschluß  auf  die  uns 
derzeit  bekannten  Sternschnuppenschwärme  machen  und  die  vermutliche 
Zeit  der  Erscheinung  näher  definierend 


B)  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

§11.    Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Hilfe  der  Astronomie. 

Der  Nutzen,  den  die  Astronomie  bei  chronologischen  Untersuchungen 
gewähren  kann,  besteht  hauptsächlich  darin,  daß  sie  astronomische  Er- 
scheinungen, von  denen  in  historischen  Quellen  die  Rede  ist,  oder 
chronologische  Einrichtungen,  welche  auf  jenen  Erscheinungen  auf- 
gebaut sind,  rechnerisch  fixieren  hilft.  Der  Stand,  den  gegenwärtig 
die  theoretische  Astronomie  erreicht  hat,  ermöglicht  es,  solche  Fest- 
stellungen und  Nachweise  mit  viel  größerer  Zuverlässigkeit  vornehmen 
zu  können,  als  dies  in  früherer  Zeit  der  Fall  sein  konnte.  Unsere 
Tafeln  der  Bewegung  der  Sonne,  des  Mondes  und  der  Planeten,  die 
Positionen  der  Fixsterne  u.  dergl.  sowie  die  verbesserte  Kenntnis  der 
astronomischen  Konstanten  und  ihrer  langsamen  Veränderungen  haben 
gegenwärtig  einen  hohen  Grad  an  Schärfe  erlangt,  so  daß  man  mit 
diesen  Hilfsmitteln  rechnerisch  auch  bis  auf  entfernte  Zeiten  zurück- 
gehen kann ;  höchstens  läßt  unsere  Kenntnis  der  Bewegung  des  Mondes 
für  die  älteste  Zeit  noch  einiges  zu  wünschen  übrig.  Ferner  sind  — 
und  dies  ist  ein  sehr  beachtenswertes  Moment  —  in  neuerer  Zeit 
speziell  für  chronologische  und  historische  Zwecke  mit  Aufgeben  der 
äußersten  Genauigkeit  eingerichtete,  aber  die  Wahrheit  doch  treffende 
Hilfsmittel  geschaffen  worden,  welche  die  Beantwortung  der  sich  ein- 
stellenden Fragen  mit  Bequemlichkeit  und  vor  allem  mit  einem  viel 
geringeren  Zeitaufwand  gestatten,  als  es  früher  der  Fall  gewesen  ist. 

Die  Hilfe,  welche  die  Astronomie  durch  diese  Eim-ichtungen  ge- 
währen kann,  ist  aber  au  die  historischen  Grundlagen  gebunden,  unter 
welchen  die  betreffende  Frage  formuliert  wird.  Der  Erfolg  hängt 
also  weniger  von  der  Rechnung  ab  als  davon,  ob  der  Inhalt  der 
historischen  Nachricht  hinreichend  verbürgt,  ob  eine  Inschrift  richtig 


1)  Von  den  zahlreichen  Werken ,  welche  eingehendere  Belehrung  über  die 
hier  nur  kurz  behandelten  Gegenstände  geben,  seien  zwei  besonders  brauchbare 
den  Historikern  empfohlen:  Th.  Epstein,  Geonomie.  "Wien  1888;  und  H.  C.  E.  Martcs, 
Astronomische  Erdkunde.  3.  Aufl.  Dresden,  Leipzig  1904  (das  erstere  Werk  mit 
mehr,  das  zweite  mit  weniger  Anforderungen  an  mathematische  Kenntnisse). 


48  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

gelesen  und  sinngemäß  übersetzt  ist,  ob  die  zeitlichen  Grenzen  der 
berichteten  Tatsachen  festgestellt  werden  können,  ob  ein  Anhaltspunkt 
über  den  Ort,  wo  eine  astronomische  Erscheinung  beobachtet  worden 
sein  soll,  vorhanden  ist  u.  s.  f.  Sind  diese  näheren  Umstände,  welche 
eine  Frage  begleiten,  gesichert,  so  können  die  astronomischen  Hilfs- 
mittel oft  direkt  entscheidend  eingreifen ;  bisweilen  müssen  sie  sich 
aber  mit  dem  Hinweise  auf  gewisse  Möglichkeiten  begnügen;  sie  ver- 
sagen endlich  auch  hie  und  da,  wenn  entweder  die  historischen  Grund- 
lagen sehr  unsicher  sind,  oder  wenn  sich  die  rechnerisch  ermittelten 
astronomischen  Erscheinungen  so  gruppieren,  daß  eine  Entscheidung 
nicht  getroffen  werden  kann.  Es  wird  nicht  überflüssig  sein,  die 
Resultate,  die  man  gegebenenfalls  von  der  Astronomie  zu  erwarten 
hat,  durch  einige  Beispiele  nachstehend  zu  illustrieren. 

Bei  Plutaech  {de  facie  in  orhae  limae  c.  19)  ist  die  Rede  von 
einer  Sonnenfinsternis,  welche  um  Mittag  eingetreten  und  so  bedeutend 
gewesen  sei,  daß  die  Luft  eine  Färbung  wie  um  die  Zeit  der  Dämmerung 
angenommen  habe,  und  daß  viele  Sterne  sichtbar  geworden  seien.  Nach 
den  sorgfältigen  Untersuchungen  von  Pomtow  über  die  Lebensumstände 
Plutaechs  ist  das  wahrscheinlichste  Geburtsjahr  des  Plutaech  das 
Jahr  45  n.  Chr.,  er  muß  mindestens  bis  125  n.  Chr.  gelebt  haben,  da 
er  die  Aufstellung  der  Hadrianstatuen  überwacht  hat  und  diese  nicht 
vor  Mitte  125  errichtet  worden  sind.  Seine  Familie  entstammte  der 
Gegend  von  Delphi,  er  war  Delphischer  Bürger,  bekleidete  städtische 
und  Tempelämter;  sein  Wohnort  war  (abgesehen  von  seinen  Reisen) 
meist  Delphi  und  Chäronea.  Die  Schrift  de  facie  gehört  wie  die 
meisten  seiner  philosophischen  Werke  in  die  jüngere  Lebenszeit;  zur 
Zeit  Neros,  um  67  n.  Chr.,  war  Plutaech  in  Delphi,  beteiligte  sich 
an  den  philosophischen  Unterhaltungen  und  beschäftigte  sich  mit  mathe- 
matischen Wissenschaften  {de  el  apud  Deljjhoa).  Damals,  unter  dem 
Eindruck  der  großen  Sonnenfinsternis,  entstand  wahrscheinlich  die 
Schrift  de  facie.  Die  Zeit  der  Sonnenfinsternis  liegt  demnach  etwa 
um  67  n.  Chr.;  der  Ort,  wo  sie  äußerst  auffällig  war,  ist  Delphi  oder 
Chäronea.  Auf  Grund  dieser  sehr  gut  definierenden  Umstände  ergibt 
sich  aus  der  astronomischen  Untersuchung  der  in  Betracht  kommenden 
Finsternisse  mit  Sicherheit,  daß  die  gemeinte  Sonnenfinsternis  keine 
andere  sein  kann  als  die  ringförmig-totale  vom  20.  März  71  n.  Chr.,  da 
diese  sowohl  für  Delphi  als  für  Chäronea  nach  ll'>  Vormittag  total 
war.     Plutaech  war  26  Jahr  alt,   als  er  die  Finsternis  beobachtete. 

Neben  diese  vollständig  sichere  Finsternisbestimmung  will  ich 
gleich  eine  zweifelhaft  gebliebene  setzen.  Nach  Zonaeas  (IX  14)  sollen 
die  Karthager  während  der  Schlacht  bei  Zama  mit  wenig  Kampflust 
gegen  die  Römer  gekämpft  haben,  da  „die  Sonne  sich  ganz  verfinstert 
hatte".     Als  Ort  der  Schlacht  wird  Zama  regia  (nach  Mümmsen)  oder 


§  11.     Allgemeine  Bemerkungen  über  die  Ililt'c  der  Astroiiomle.  49 

Ost-Zaiiia  (J.  Schmidt)  im  karthagischen  Afrika  angenommen.  Für 
das  Jahr  dieser  Sclilacht  (202  v.  Chr.)  gibt  es  aber  keine  Sonnen- 
finsternis, die  in  Nordatrika  hätte  halbwegs  auffällig  sein  können ;  von 
einer  totalen  kann  überhaupt  keine  Rede  sein.  Nur  die  Finsternis 
vom  19.  Oktober  202  v.  Chr.  war  zu  Zama  regia  vormittags  mit  einer 
Maximalphase  von  S^'g  Zoll  sichtbar;  eine  so  geringe  Phase  kann  aber 
mit  freiem  Auge  gar  nicht  wahrgenommen  werden,  um  so  weniger,  als 
die  Sonne  zur  Verfinsterungszeit  schon  eine  Höhe  von  32"  über  den 
Horizont  erreicht  hatte.  Die  Finsternis  ist  wahrscheinlich  nur  vor- 
ausgesagt worden  ^ 

Während  die  astronomische  Rechnung  in  den  beiden  vorgenannten 
Fällen  eine  positive  Antwort  erteilen  kann,  in  dem  einen  Falle  be- 
jahend, im  anderen  verneinend,  bleibt  sie  im  Resultat  bei  einer  weiteren 
Finsternis,  die  für  die  römische  Chronologie  viel  besprochen  worden  ist, 
ganz  zweifelhaft.  Bei  Ciceeo  {de  repuhl.  I  §  25)  findet  sich  ein  Vers 
nach  Exxirs  zitiert,  welcher  als  Beschreibung  einer  bei  Sonnenunter- 
gang vorgefallenen  Sonnenfinsternis  gedeutet  worden  ist.  Man  hat 
daraus  die  Gleichung  350  urb.  cond.  =  400  v.  Chr.  gezogen,  voraus- 
setzend, daß  es  sich  in  dem  Verse  um  die  totale  Sonnenfinsternis  vom 
21.  Juni  400  v.  Chr.  handelt.  Andere  dagegen  nehmen  eine  andere 
Gleichung  und  demgemäß  eine  andere  Abend-Sonnenfinsternis  an,  während 
manche  Forscher  nach  besonderen  Deutungen  des  Verses  und  diesen 
entsprechenden  Tagesfinsternissen  suchen.  Die  astronomische  Rechnung 
kann  keine  Entscheidung  bringen,  da  der  Fall,  daß  für  Rom  bei  Sonnen- 
untergang beträchtliche  Verfinsterungen  sich  ereignet  haben,  in  der 
Nähe  des  Jahres  400  v.  Chr.  noch  dreimal  vorkommt,  und  zwar  405, 
399,  391  V.  Chr.  Weil  also  die  historischen  Grundlagen  hier  bedenk- 
lich sind  und  die  Rechnung  keinen  Beitrag  zur  Entscheidung  stellen 
kann,  gehört  die  ENxius-Finsternis  zu  den  zweifelhaftesten  Finsternissen. 

Um  von  historisch  gemeldeten  Planeten-Konstellationen  ein  Bei- 
spiel zu  geben,  sei  die  Konstellation  von  Jupiter  und  Saturn  im  Skor- 
pion erwähnt,  welche  arabische  Schriftsteller  vor  die  Zeit  der  Geburt 
Mohammeds,  in  das  Frühjahr  571  n.  Chr.  setzen.  "\\''ie  die  Rechnung 
zeigt,  standen  in  der  Tat  von  Mitte  Februar  bis  nach  Mitte  März 
571  n.  Chr.  die  Planeten  Jupiter  und  Saturn  im  Skorpion  dicht  über- 
einander. 

Zuletzt  setze  ich  noch  ein  Beispiel  für  die  Beantwortung  der 
Frage,  ob  die  Neumondsichel  (das  Neulicht)  an  einem  bestimmten  Tage 
gesehen  werden  konnte,  hier  an.    Zur  Bestimmung  der  Regierungszeit 


1)  ZoNABAs,  ein  Byzantiner,  benützt  als  Hauptquelle  (bis  zur  Zerstörung  von 
Karthago)  den  Dio  Cassius.  Die  Finsternis  wird  sonst  von  keinem  der  römischen 
Schriftsteller  erwähnt.     Zonakas  schrieb  überdies  erst  im  12.  Jalirh.  n.  Chr. 

Giuzel,   Chronologie  I.  4 


50  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

Thutmosis  HL  wird  unter  andern  der  Neumond,  welcher  am  22.  Febr. 
1477  V.  Chr.  morgens  eintrat,  herangezogen ^  Es  fragt  sich,  ob  am 
nächsten  Tage,  dem  23.  Febr.  abends,  die  neue  Mondsichel  in  Ägypten 
unter  etwa  30°  n.  Br.  schon  sichtbar  sein  konnte.  Die  Ermittlung 
der  Mondörter  für  den  22.,  23.,  24.  Febr.  des  genannten  Jahres  mit 
Hilfe  der  NEUGEBAUERSchen  Mondtafeln  und  die  Berechnung  der  Unter- 
gangszeiten des  Mondes  aus  diesen  Örtern  ergibt,  daß  der  Mond  unter 
jener  Breite  am  23.  Februar  etwa  um  7''  4"^  mittl.  Zeit  unterging.  An 
diesem  Tage  erfolgte  der  rechnerisch  ermittelte  Untergang  der  Sonne 
(wobei  die  Sonnenörter  aus  Neugebauers  Sonnentafeln  genommen  sind) 
um  5''  43"*;  die  Dauer  der  astronomischen  Dämmerung  (s.  S.  22)  be- 
trug an  diesem  Tage  1''  26™,  also  konnten  schwächere  Sterne  erst 
etwa  um  7*'  9^"  für  das  freie  Auge  sichtbar  werden.  Da  der  Mond 
aber  schon  vor  dieser  Zeit  unterging,  ist  nicht  besonders  wahrschein- 
lich, dai5  man  die  feine  Sichel  schon  gesehen  hat,  um  so  mehr,  als  nur 
0,04  des  Monddurchmessers  erleuchtet  waren.  Für  eine  so  entlegene 
Zeit,  wie  das  in  Eede  stellende  Jahr,  können  jedoch  unsere  Mond- 
tafeln den  Mondort  und  also  dementsprechend  die  Untergangszeit  nur 
genähert  angeben.  Die  Möglichkeit  ist  sonach  nicht  ausgeschlossen, 
daß  die  Sichel  noch  sichtbar  gewesen  ist,  aber  das  Gegenteil  ist 
ebenso  leicht  möglich. 

§  12.    Spezielle  astronomische  Hilfsmittel. 

Was  nun  die  rechnerische  Untersuchung  von  Fragen,  wie  solche 
beispielsweise  eben  angeführt  worden  sind,  betrifft,  so  kann  ich  nur 
die  neueren  Hilfsmittel  hier  namhaft  machen.  Von  den  älteren  ist 
vieles,  besonders  die  Sonnen-,  Mond-  und  Planetentafeln,  veraltet,  und 
es  ist  ratsam,  die  neueren  Tafeln  zu  benützen,  wenn  man  zuverlässige 
Eesultate  erhalten  will. 

Die  Sonnenfinsternisse  werden  gegenwärtig  nach  der  von 
P.  A.  Hansen  aufgestellten  'Theorie  der  Sonnenfiiideiiiisse  und  ver- 
ivandter  Erscheinungen  (Ähhdlg.  d.  h  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  JF Leipz.  1858) 
berechnet.  Die  Sonnenörter  entnimmt  man  dabei  den  Tafeln  von 
Leverrier  oder  von  Newcomb,  die  Mondörter  den  Mondtafeln  von 
Hansen.  Da  indessen  die  Berechnung  der  Sonnen-  und  Mondörter 
nach  diesen  Tafeln  schon  für  sich  eine  beschwerliche  Arbeit  ist,  die 
nur  in  dem  Falle  notwendig  wird,  wenn  man  besonders  genaue  Angaben 
über  die  Zeit,  die  Sichtbarkeitsgrenzen,  die  Lage  der  Zentralitätszone 
n.  s.  w.  erhalten  will ,  so  tritt  für  historische  Zwecke  die  Notwendig- 
keit anderer  Einrichtungen  hervor.    Man  hat  deshalb  besondere  Tafeln 


1)  Ed.  Meyej{,  Ä(JP2^L  Chronologie,  S.  50  {AhhäUj.  d.  Berlin.  Akad.  d.  HVss.  1904;. 


§  12.     Spezielk'  astronomisclir  HilfNiiiittcl.  51 

konstruiert,  -welche  die  direkte  Bestimmung  der  Sonnen-  und  Mond- 
örter  umg-ehen,  vielmehr  die  zur  Ermittlung  der  Sonnen  und  Mond- 
finsternisse nötigen  Größen  gleich  für  die  Zeiten  der  Syzygien,  d.  h. 
der  Neumonde  und  Volhnonde  finden  lassen.  Die  ersten  gut  brauchbaren 
neueren  derartigen  Tafeln  waren  die  von  C.  L.  Lakgeteau,  TahJcs  pour 
le  calcid  des  xijzijy'ws  ecliptiques  oh  quelconqiies  {Mein,  de  Vacad.  des 
Sciences  de  VInst,  de  France ,  t  XXII  Paris  1850.  —  Connaissance 
des  temps  p.  ran  1846,  Addit  Seife  S.  Paris  1843)'.  Bald  darauf 
gab  Hansen  im  Anschluß  an  seine  großartigen  Arbeiten  über  die 
Theorie  der  Mondbewegung  neue  ekliptische  Tafeln  heraus:  Eklipüsche 
Tafeln  für  die  Konjunliionen  des  Mondes  und  der  Sonne,  nehst 
Angabe  einer  wesentlichen  Ahlilrzung  der  Berechnung  einer  Sonnen- 
finsternis {Berichte  üb.  die  Verhandl.  d.  l:  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  IX.  Bd. 
Leipz.  1857).  Etwas  genauer  und  in  den  Zielen  erweitert  sind 
P.  Lehmanns  Tafeln  zur  Berechnung  der  Mondphasen  und  der 
Sonnen-  und  Mondfinsternisse,  Berlin  1882  (herausgegeb.  vom  K. 
Statistischen  Bureau).  Ein  ganz  vorzüglicher  Rechnungsapparat 
erschien  durch  Th.  v.  Oppolzeks  Syzygientafeln  für  den  Mond 
{Publd-.  d.  Äsfron.  Gesellsch.  XVI.  Leipz.  1881),  welche  es  ermög- 
lichen, sowohl  die  Elemente  der  Sonnenfinsternisse  Avie  der  ]\lond- 
finsternisse  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  mit  einer  für  die  historischen 
Zwecke  mehr  als  genügenden  Genauigkeit  zu  bestimmen'.  Die 
Eechnungsarbeit  zur  Herstellung  der  Hauptdaten  für  eine  Mond- 
finsternis reduzierte  dann  Th.  v.  Oppolzee  noch  durch  seine  Tafeln 
zur  Berechnung  der  Mondfinsternisse  {Denlschr.  d.  Wiener  Akad.  d. 
Wiss.,  47.  Bd.,  math.  Kl.  1883)  auf  ein  Minimum.  Das  Hauptwerk 
der  Finsternisse  für  den  heutigen  Historiker,  Th.  v.  Oppolzeks  Canon 
der  Finsternisse  {Denlschr.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss.,  ö2.  Bd..  math.  Kl. 
1887),  wurde  mit  Hilfe  der  beiden  letzterwähnten  Tafeln  hergestellt. 
Dieses  Werk  enthält  von  8000  Sonnenfinsternissen  (von  1208  v.  Chr. 
bis  2161  n.  Chr.)  die  Elemente,  von  5200  Mondfinsternissen  (bis 
2163  n.  Chr.)  die  Zeit,  Größe,  Dauer,  und  den  Ort,  wo  der  Mond  im 
Zenit  war;  eine  dem  Werke  beigegebene  Ikonographie  bringt  auf 
160  Karten  von  jenen  zentralen  Sonnenfinsternissen,  die  auf  der 
Nordhalbkugel  der  Erde  sichtbar  sind,  die  ungefähre  Lage  der 
Zentralitätskurven ,  gestützt  auf  3  Punkte,  nämlich  die  Orte,  wo  die 
Finsternis  beim  Sonnenaufgang  zentral  ist,  wo  sie  im  Mittag  und 
w^o  sie  beim  Sonnenuntergang  zentral  erscheint.    Durch  diese  Kurven 


1)  Vgl.  auch  JuH.  VON  GuMPACH,  Hüfsbuch  der  rechnenden  Chronologie,  oder 
Largeteau's  abgekürzte  Sonnen-  und  Mondtafeln.     Heidelberg  1853. 

2)  S.  auch  die  auf  diesen  Tafeln  beruhenden ,  die  Rechnung  mehr  populär 
handhabenden  Schriften  von  0.  Beau,  Die  Berechnung  d.  Sonnen-  u.  Mondfinst. 
(Gymnas.  Progr.  Sorau.    4  Teile.   1897—1901.) 

4* 


52  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

wird  die  Lage  des  Gebietes,  in  welchem  die  Verflnsteriingspliase  am 
auffälligsten  ist,  der  Hauptsache  nach  festgelegt,  und  der  Historiker 
kann  daher  mit  Hilfe  dieser  Ikonographie  bequem  die  Finsternisse 
übersehen,  welche  für  ihn  in  einem  gegebenen  Falle  in  Betracht 
kommen.  Um  die  Eechnungsai'beit ,  die  mit  den  Elementen  des 
Kanon  vorzunehmen  ist,  wenn  man  die  ungefähre  Zeit  und  Größe 
der  Finsternisse  für  einen  bestimmten  Ort  oder  die  rohe  Lage  der 
Grenzkurven  ermitteln  will,  noch  weiter  abzukürzen  und  damit  das 
massenweise  Berechnen  der  Finsternisse  zu  ermöglichen,  gab  E.  Schkam 
Tafehi  zur  Berechnung  der  näheren  Umstände  der  Sonnenfinsternisse 
{Denl'schr.  d.  Wiener  Akad,  d.  Wiss.,  51.  Bd..  math.  Kl.  1886).  Da 
bei  der  Darstellung  der  historischen  Sonnenünsternisse ,  welche  der 
sehr  weit  zurückliegenden  Zeit  angehören,  das  HANSENSche  Fundament, 
wie  oben  angedeutet,  nicht  ganz  befriedigend  ist,  hat  Oppolzer  in 
seinem  Kanon  gewisse  provisorische  Korrektionen  mit  in  Eechnung 
gebracht,  um  den  überlieferten  Beobachtungen  jener  Finsternisse 
besser  Genüge  leisten  zu  können.  Aus  einem  sehr  umfangreichen 
Material  von  Finsternissen  (besonders  des  Mittelalters),  über  welche 
viele  Augenzeugen  berichten,  hat  F.  K.  Ginzel  dann  neue  Korrektionen 
abgeleitet.  Um  dieselben  beim  Eechnen  mit  Oppolzers  Kanon  be- 
rücksichtigen zu  können,  fabulierte  E.  Schräm  diese  Korrektionen  in 
seinen  ReduM'wnstafeln  für  den  OppoLZERSchen  Finsternis -Kanon 
zmn  Übergang  auf  die  GiNZELSchen  empirischen  KorrelHoneti 
{De7iJcschr.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss.,  56.  Bd..  math.  Kl.  1889).  Die 
Berücksichtigung  dieser  Korrektionen,  sowie  die  detaillierte  Darlegung 
aller  Finsternisse,  welche  in  das  geographische  Gebiet  der  alt- 
klassischen Forschung  fallen,  lieferte  F.  K.  Ginzel  in  dem  Speziellen 
Kanon  der  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  für  das  Ländergehiet  der 
Massischen  Altertumswissenschaften  und  den  Zeitraum  von  900  v.  Chr. 
his  600  n.  Chr.,  Berlin  1899,  Dieses  AVerk  gibt  von  jeder  Finsternis, 
welche  in  den  genannten  1500  Jahren  in  die  Länder  zwischen  350 
bis  50^  östl.  Lg.  und  30  bis  50*^  nördl.  Br.  gefallen  ist,  die  variierende 
Größe  innerhalb  dieses  Gebietes  derart  an,  daß  man  dieselbe  für  jeden 
beliebigen  Ort  selbst  bestimmen  kann,  ferner  Zeit  und  Größe  speziell 
für  Eom,  Athen,  Memphis  und  Babylon.  Die  Zentralitätszonen  der 
zentralen  Sonnenfinsternisse  sind  auf  15  Karten  ausführlich  ein- 
gezeichnet; von  den  Mondfinsternissen  wird  Zeit,  Größe  und  der  Ver- 
lauf für  Eom,  Athen,  Memphis  und  Babjdon  gegeben.  Ferner  sind 
80  historische  Finsternisse  und  die  babylonisch  -  assyrischen  in  Be- 
ziehung auf  Literatur,  Stellenbelege  u.  s.  w.  behandelt  und  näher 
untersucht. 

Die   Mondphasen,    Neumond,    Vollmond,    erstes   und   letztes 
Viertel,  kann  man  mittelst  der  oben  genannten  Tafeln  von  Lak(;eteau 


§  12.     .Si)ezi(!lle  astronomisclio  Hilfsmittel.  53 

und  P.  Lehmann  bereclinen,  die  Neu-  und  Vollmonde  auch  mittelst 
der  OppoLZERSclien  Syzygientafeln.  Auf  etwa  eine  halbe  Stunde  genau 
kann  man  die  Phasen  auch  durch  eine  im  Anhange  zu  R.  Schkams 
HUfstafeln  für  Chronologie  (DenJcschr.  d.  Wiener  Äkad.  d.  Wiss.,  4o.  Bd., 
math.  Kl.  1883)  befindliche  Tafel  ermitteln.  Da  die  Neumonde 
von  besonderer  Wichtigkeit  für  chronologische  Fragen  sind  (in  der 
ägyptischen  Chronologie,  wegen  der  Frage  der  babylonisch-assj'rischen 
Schaltungsregel,  in  der  griechischen  Chronologie  u.  s.  w.),  so  ist  eine 
umfangreiche  Sammlung  derselben  wünschenswert.  E.  v.  Haeedtl 
hat  mit  Hilfe  der  zuletzt  genannten  ScHEAMSchen  Tafel  die  Neumonde 
von  957  bis  605  v.  Chr.  berechnet  {Astron.  Beiträge  z.  assyr.  Chronologie, 
Denl-schr.  d.  Wiener  Ahid.  d.  Wiss.,  49  ^r?.,  math.  Kl.  1884).  An 
diese  Arbeit  schließt  sich  die  ßeihe  der  Neumonde  an,  welche  von 
605  bis  100  V.  Chr.  (und  zwar  ebenfalls  nach  Scheams  Tafel)  von 
mir  berechnet  und  dem  vorliegenden  Werke  als  Tafel  III  (s.  am 
Schluß)  beigegeben  ist'. 

Sternpositionen,  in  die  alte  Zeit  zurückgehend,  findet  man 
bei  0.  Danckwortt,  Sterntafeln  von  46  Fundümentalsternen  für  alle 
Jahrhunderte  von  — 2000  his  +1800  (Vierteljahrsschrift  d.  Astron. 
Ges.,  XVI.  Bd.,  Leipz.  1881)  und  von  26  Hauptsternen  bis  4000  v.  Chr. 
zurückreichend  in  der  Tafel  I  des  vorliegenden  Werks. 

Die  Bestimmung  der  Zeit  d e r  Äq u i n  o  k t i  e n  u n  d  S o  1  s t i t i e n 
für  ein  gegebenes  Jahr  kann  man  ausführen  mittelst  Laegeteau,  Tables 
ahregees  pour  le  calcul  des  e'quinoxes  et  des  solstices  {Mem.  de  VAcad. 
d.  sc.  de  rinst.  de  France,  t.  XXII,  Paris  1850),  oder  auch,  sowie 
überhaupt  die  Ermittlung  der  Eintrittszeiten  der  Sonne  in  die  12 
Zodiakalzeichen ,  mittelst  der  ZodiaJccdtafel  in  R.  Scheams  oben  an- 
geführten HUfstafeln  für  Chronologie. 

'Zur  Berechnung  der  jährlichen  Auf-  und  Untergänge  der 
Sterne  (heliakische  Aufgänge  u.  s.  w.)  benützt  man  am  besten 
W.  F.  WiSLiCENus'  Tafeln  zur  Bestimmung  der  jährlichen  Auf-  und 
Untergänge  der  Gestirne  {Puhlil:  d.  Astronom.  Gesellsch.  XX 
Leipz.  1892). 

Was  die  Ort  er  der  Sonne  und  der  Planeten  betrifft,  so 
müßten  dieselben,   wenn  man  Genauigkeit  verlangt,   aus  den  Tafeln 


1)  Da  die  Neumonde  von  2000  v.  Chr.  bis  2000  n.  Chr.,  von  denen  bei 
E.  Mahler  {Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.  XXVII  S.  104)  die  Rede  ist,  noch  nicht 
veröffentlicht  sind,  so  habe  ich  es  für  angezeigt  gehalten,  meine  oben  angegebene 
Neumondreihe  von  605  bis  100  v.  Chr.  dem  vorliegenden  Buche  einzuverleiben. 
Einzelne  alte  Neumondreihen  sind  gerechnet  von  E.  Mahler  (a.  a.  0.)  für  das 
15.  Jahrb.  v.  Chr.,  von  R.  Schräm  für  bestimmte  Monate  aus  der  Zeit  1600— 
1200  V.  Chr.  (s.  bei  J.  Krall,  Grundriß  d.  altoriental.  Geschichte  I.  Teil,  S.  186; 
Wien  1899). 


54  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

von  Lea'eekiee  oder  von  Ne\vco3ib  und  Hill,  jene  des  Mondes  nach 
Hansens  Tdbles  de  Ja  lune,  Londres  1857,  berechnet  werden.  Alle 
diese  Tafeln  sind  jedoch  sehr  umständlich^  im  Gebrauch,  gehen  auch 
nicht  sehr  weit  in  die  alte  Zeit  zurück.  Für  historische  Zwecke,  wie 
zur  Ermittlung  von  Planetenkonjunktionen,  der  Sonnenlängen,  der 
Örter  des  Mondes  behufs  Bestimmung  des  Mond- Auf-  und  Untergangs 
u.  s.  w.  sind  hinreichend  P.  V.  Neugebauers  ÄhgeJcürzte  Tafeln  der 
Sonne  und  der  großen  Planeten,  und  dessen  Abgeh'drzte  Tafeln  des 
Mondes  {VeröffeniJ'ichungen  des  Königl.  Ästron.  Becheninstituts  ziv 
Berlin,  No.  25  und  No.  27,  Berlin  1904,  1905),  welche  auf  Leverriers 
und  Hansens  Tafeln  beruhen  und  schnelles  Arbeiten  erlauben ;  außer- 
dem gehen  sie  bis  4000  v.  Chr.  zurück. 

Schließlich  sei  noch  bemerkt,  daß  dem  Historiker  zur  Einführung 
in  den  Gebrauch  der  astronomischen  Tafeln  als  sehr  gutes  Hilfsbuch 
W.  F.  WiSLicENUs'  Astronomische  Chronologie,  Leipz.  1895,  dienen  kann. 

§  13.    Chronologische   Hilfsmittel.     Archäologische   Grundlagen. 

Die  Literatur,  welche  über  die  technisch  -  chronologischen  Ein- 
richtungen der  Jahrformen  der  einzelnen  Völker  derzeit  existiert,  ist 
so  umfangreich,  daß  der  Versuch  gar  nicht  gemacht  werden  kann, 
dieselbe  in  diesem  Vorkapitel  einigermaßen  namhaft  zu  machen.  Ich 
werde  deshalb  am  Schlüsse  jedes  der  folgenden  Kapitel  über  die  Zeit- 
rechnungsarten die  hauptsächliche  Literatur  angeben  und  selbe,  so 
weit  es  sich  tun  läßt,  auch  nach  den  Materien  ordnen.  Hier  inter- 
essieren uns  mehr  diejenigen  Werke,  welche  zusammenfassende  Dar- 
stellungen der  gesamten  Chronologie  enthalten,  oder  die  als  grund- 
legend betrachtet  werden.  Ich  werde  besonders  solche  AVerke  auf- 
führen, die  auf  den  Inhalt  dieses  I.  Bandes  sich  beziehen;  im  IL  und 
III.  Bande  sollen  in  der  Einleitung  die  Bücher  erwähnt  werden,  welche 
Abrisse  oder  Gesamtdarstellungen  der  griechischen,  römischen,  der 
jüdischen  und  der  christlich-mittelalterlichen  Zeitrechnungen  enthalten. 

Als  Begründer  der  wissenschaftlichen  Chronologie  ist  Josef  Justus 


1)  Für  den  Fall,  daß  man  auf  diese  Tafeln  zurückgehen  will,  folgen  hier  die 
nötigen  Literaturangaben:  J.  U.  Leveeeier,  Tables  du  soleil  (Annales  de  l'obser- 
vatoirc  imper.  de  Faris  IV  1858),  desselben  Merkurstafeln  (ibid.  V),  Mars,  Venus 
(ibid.  VI),  Jupiter.  Saturn  (ibid.  Xll);  S.  Newcojibs  Taf.  der  Sonne  und  des  Merkur, 
Astron.  i^apers  prepared  for  tlie  use  of  the  Americ.  Ephemer,  a.  Nautic.  Almanac, 
vol.  VI,  Washington;  Venus  und  Mars  (ibid.  VI);  W.  Hill,  Jupiter  und  Saturn 
(ibid.  VII).  S.  auch  C.  M.  Stürmer,  Sonnentafcln  nach  Leverriers  Elementen  der 
Sonnenhahn,  Würzburg  1874.  —  Die  HANSENschen  Mondtafeln  sind  so  kompliziert, 
daß  ein  geübter  Rechner  zu  einem  vollständigen  Mondorte  einen  ganzen  Arbeits- 
tag aufwenden  muß.  Die  Bildung  der  Fundamental-Argumente  bedarf  61  Tafeln, 
der  wahren  Mondlänge  11  Tafeln,  der  Parallaxe  23  Tafeln,  der  Mondbreite 
36  Tafeln. 


v^  13.     Chronologische  Hilfsmittel.     Archäologische  Grundlagen.  55 

Scaliger  (1540  bis  1609)  anzusehen.  In  seinem  Werke  De  emendatione 
temporum  (Paris  1583,  verbesserte  Auflage  1598,  beste  Ausgabe  Genf 
1629)  gab  er  die  Grundlinien  der  mathematischen  und  technischen 
C'lironologie  verschiedener  Völker,  und  im  Thesaurus  temporum  (Leyden 
1606,  vermehrte  Ausgabe  Amsterdam  1658)  eine  allgemeinere  Dar- 
stellung desselben  Stoffs,  sowie  eine  Beschreibung  der  alten  Ären. 
Sehr  beachtenswert  ist  auch  das  Opws  chronologlcum  (Leipzig  1605, 
2.  Ausgabe  Frankfurt  a.  0.  1620,  außerdem  Ausgaben  1629,  1650, 
1685)  seines  Zeitgenossen  Sethus  Calvisius.  Der  theologische  Gegner 
ScalictEes  war  Dionysius  Petavius  (1583  bis  1652).  Das  Werk  Be 
(hctruia  temporum  (Paris  1627,  2  Bände),  später  mit  dem  Ergänzungs- 
bande Uranologlon  (1629)  vereinigt  (Ausgaben  Antwerpen  1703,  Verona 
1734,  Venedig  1757;  die  erstgenannte  die  beste),  ist  gegen  Scaliger 
gerichtet,  kritisiert  denselben  und  sucht  durch  eigene  Forschungen 
Neues  aufzustellen.  Einen  Auszug  aus  diesen  Werken  gibt  das  Ratio- 
narium  temporum  (Paris  1631,  verschiedene  Auflagen).  Mitte  des 
18.  Jahi'h.  wurde  das  große  chronologische  Werk  Art  de  rerifier  les 
dates  et  les  fa'its  historiques  von  Dom  d'Antine  begründet.  Die  erste 
Auflage,  von  Cle^eexcet  und  Durand,  erscliien  1750  (Paris),  die  zweite, 
verbesserte  (von  Cle^ient)  1770,  die  dritte,  weiter  vervollständigte 
(von  Clement)  1783—87.  Die  vierte  Auflage,  1818—44  von  St.  Allais, 
ist  die  vollständigste;  sie  erschien  in  zwei  Ausgaben,  44  Bände  Oktav 
und  11  Bände  Quart.  Dieses  außerordentlich  inhaltsreiche  Werk  bildet 
immer  noch  ein  sehr  schätzenswertes  Hilfsmittel  für  den  Chronologen 
und  Historiker.  Die  Angaben  über  die  Finsternisse  (St.  Allais-Quart- 
ausgabe 1818,  T.  I  87 — 131)  benütze  man  nicht,  da  dieselben  auf 
Hallets  ganz  veralteten  Sonnen-  und  Mondtafeln  beruhen.  Der  Zeit- 
folge nach  ist  dann  von  Gesamtdarstellungen  der  Chronologie  Ludwig 
Idelees  Hcnidhuch  der  mathematischeji  und  techn'isclien  Chro)iolog\e 
(2  Bände,  Berlin  1825 — 26)  zu  nennen;  ein  unveränderter  Wieder- 
abdruck erschien  1883  zu  Breslau  ^  Es  bildet  die  vorzüglichste  und 
zuverlässigste  Zusammenfassung  der  Chronologie  der  Völker,  soweit  sie 
bis  zum  ersten  Viertel  des  19.  Jahrh.  bekannt  war.  Eine  Aufarbeitung 
des  uns  durch  die  aufblühende  archäologische  Forschung  zugeführten 
Materials  hat  seitdem  nicht  mehr  stattgefunden ;  nur  einzelne  Zweige 
der  Chronologie  sind  dargestellt  worden. 

Von  späteren  Werken  ^sind  (soweit  sie  nicht  auf  chronologische 
Teile  Beziehung  haben,  die  außerhalb  unseres  I.  Bandes  liegen)  etwa 
die  folgenden  zu  nennen:  Die  technische  Chronologie  im  I.  Band  von 
N.  de  Wailly,   Elements  de  pale'oyraphie  (Paris  1838),   der   clirono- 


1)   Einen   Auszug   daraus   stellt   Idelers  Lehrbuch   der    Chronologie   (Berlin 
1829)  vor. 


56  Hilfsmittel  der  Chronologie. 

logische  Abriß  in  F.  Akago,  Astronomie  populaire  (Paris  1857)  vol.  IV; 
F.  J.  Beockmann,  System  der  Chronologie,  Stuttgart  1883;  E.  Brestck- 
MEiEE,  Praliisches  Handbuch  der  historischen  Chronologie,  Leipz.  1843. 
2.  Aufl.  Berlin  1882;  B.  M.  Lersch,  Einleitung  in  die  Chronologie, 
2  Teile,  Freiburg  i.  Br.  1899.  (Die  beiden  letztgenannten  Werke 
weniger  empfehlenswert.)  Hervorgehoben  muß  noch  werden  Fe.  Rlthl. 
Chronologie  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit,  Berlin  1897;  dieses 
Werk,  obwohl  hauptsächlich  das  Mittelalter  behandelnd,  interessiert 
hier  wegen  der  mohammedanischen  und  persischen  Zeitrechnung. 

Die  mathematische  Chronologie  erhielt  Anstoß  zur  Weiterbildung 
durch  einige  Arbeiten  von  C.  F.  Gauss  über  die  Osternberechnung. 
Verschiedene  Autoren  stellten  Formeln  auf  zur  Verwandlung  der 
Datierungen  einer  Zeitrechnung  in  die  Datierung  einer  andern,  und 
die  astronomischen  und  mathematischen  Fachzeitschriften  aus  der  ersten 
Hälfte  des  19.  Jahrh.  enthalten  verschiedene  Beiträge  über  die  Lösung 
dieser  Fragen.  Als  sehr  beachtenswerter,  allerdings  nur  den  Mathe- 
matiker interessierender  Versuch  in  dieser  Beziehung  sei  W.  Matzkas 
Chronologie  in  ihrem  ganzen  Umfange,  AMen  1844,  erwähnt.  Mit 
der  Zeit  haben  es  aber  die  Praktiker  vorgezogen,  für  die  Vergleichung 
der  Daten  der  bekannteren  Zeitrechnungen  besondere  Tafeln  zu  kon- 
struieren, in  welchen  die  einander  entsprechenden  Daten  in  gewissen 
Intervallen  gegeben  werden.  Solche  Tafeln  werden  für  einzelne  Zeit- 
rechnungsarten im  vorliegenden  Bande  am  Schlüsse  der  Kapitel  unter 
„Literatur-'  genannt  werden.  Sofortige  Erwähnung  mögen  die  Chrono- 
logischen Vergleichinigstahellen  von  E.  Mahlee  finden,  deren  erster 
Band  (Wien  1889)  die  Tafeln  für  die  Ägypter,  Alexandriner,  Seleukiden, 
Griechen,  Inder  und  Mohammedaner  enthält.  Besondere  Hervorhebung 
verdienen  endlich  die  Kalendariographischen  Tafeln  in  den  R.  Scheam- 
schen  Hilf staf ein  für  Chronologie  (s.  oben  S.  53).  Diese  gestatten 
nicht  bloß,  ein  Datum  der  fremden  Zeitrechnung  in  das  entsprechende 
christliche  zu  verwandeln,  und  umgekehrt,  sondern  erlauben  überhaupt 
die  Verwandlung  jedes  Datums  einer  beliebigen  Zeitrechnung  (mit 
sicherer  Ära)  in  das  einer  andern  und  zwar  auf  dem  denkbar  ein- 
fachsten Wege;  man  hat  im  Prinzipe  nur  zwei  Zahlen  zu  addieren 
und  mit  der  Summe  in  die  entsprechenden  Tafeln  einzugehen,  um  die 
Daten  zu  erhalten.  Da  diese  Tafeln  von  R.  Schräm  ueuerdings  um- 
gearbeitet und  in  eine  viel  bequemere  und  erweiterte  Form  gebracht 
werden  1,  werde  ich  mich  in  diesem  AA'erke  öfters  auf  dieselben  be- 
zielien  und  Beispiele  daraus  bringen. 


1)  Da  die  neue  Bearbeitung  der  Hilfstafeln  für  Chronologie,  welche  in  dem- 
selben Verlage  wie  das  vorliegende  Buch  bald  erscheinen  wird,  zur  Zeit  noch  nicht 
vollendet  war,  hat  mir  der  Herr  Verfasser  die  Entnahme  der  nötigen  Zahlen  aus 
seinem  Manuskripte  gestattet. 


§  13.     Chnmologische  Hilfsmittel.     Arcliäologisclio  rirvindliifreii.  57 

Scliließlicli  wären  nun  noch  die  archäologischen  Grund- 
lagen der  technischen  Chronologie  zu  beschreiben.  Diese  sind  aber 
so  vielfältig  und  so  sehr  voneinander  verschieden,  daß  dieselben  im 
einzelnen  besser  bei  den  Zeitrechnungsformen  selbst  erwähnt  werden. 
Es  mögen  daher  nur  einige  allgemeine  Bemerkungen  über  die  Mate- 
rialien des  vorliegenden  Bandes  hier  Platz  finden.  Voran  zu  nennen 
sind  die  Inschriften,  die  sich,  in  Stein  oder  Felsen  gehauen,  oder  ge- 
malt, an  Tempelwänden,  an  Geländen  der  Flußtäler,  auf  Sarkophagen, 
auf  Tonscherben  und  Tontafeln  u.  s.  w.  vorfinden.  Sie  enthalten  zum 
Teil  direkte  Datierungen  (wie  das  Dekret  von  Kanopus,  der  Stein  von 
Elephantine)  oder  bringen  indirekt  Beiträge  zur  technischen  Chronologie 
(wie  manche  babylonischen  Tontafeln,  Berichte  der  Beamten,  Briefe 
der  Könige,  Tafeln  mit  astronomischen  Datierungen,  oder  wie  die 
Felseninschrift  von  Beliistän).  Inhaltsreich  für  die  Chronologie  sind 
die  ägj'ptischen  Papyrus,  namentlich  für  das  spätägyptische  (nach- 
römische) Zeitrechnungswesen,  die  Kontrakte,  Verträge  u.  dergl. ;  ferner 
die  ägyptischen  Festkalender.  Große  Wichtigkeit  für  die  Beschaffenheit 
der  Ären  in  Indien  besitzen  die  Kupfertafeln,  welche  über  Schenkungen 
berichten  und  mit  genauer  Datierung  versehen  sind.  Es  ist  erst  mög- 
lich geworden,  den  vollen  Nutzen  aus  diesen  vielfältigen  Denkmälern 
für  die  technische  Chronologie  zu  ziehen,  seit  die  Entzifferung  und 
Lesung  der  Inschriften  festen  Boden  gewonnen  hat,  also  seit  der  Ent- 
wicklung der  Paläographie  (speziell  der  Epigrapliik).  Mancherlei  Ein- 
blicke in  das  Zeitreclmungswesen,  so  in  die  Namen  der  Monate,  ihre 
Herkunft,  in  die  Ausbildung  der  Definition  der  Jahreszeiten  und  in 
andere  chronologische  Einrichtungen  gewähren  auch  die  uns  erhalten 
gebliebenen  Bruchstücke  der  alten  Nationalliteratur  einzelner  Völker, 
wie  die  Schriften  der  Veda-Epoche,  das  Avesta.  die  heiligen  Bücher 
der  Chinesen.  Wichtig  werden  hie  und  da  ferner  manche  uns  durch 
alte  arabische,  persische,  indische  und  chinesische  Schriftsteller  über- 
lieferten Nachrichten,  wenngleich  der  Wert  dieser  Tradition  ein  sehr 
verschiedener  ist,  da  nicht  alle  diese  Autoren  ihre  Mitteilungen  aus 
verläßlichen  Quellen  schöpfen  (Albieuni  beispielsweise  ist  mustergültig 
und  sehr  wertvoll),  oder  bloß  als  Überarbeiter  oder  als  Kommentatoren 
auftreten  (wie  die  chinesischen  Schriftsteller  oder  die  islamischen, 
welche  Nachrichten  über  den  Kalender  vor  Mohammed  geben).  End- 
lich leisten  noch  die  Nachrichten  der  griechischen  und  lateinischen 
Klassiker  gute  Dienste;  allerdings  treten  sie  gegenüber  dem  ander- 
weitigen archäologischen  Material  gegenwärtig  schon  in  die  zweite 
Linie  zurück,  während  früher  auf  ihnen  unser  chronologisches  Wissen 
hauptsächlich  beruhte.  Von  den  Hilfswissenschaften  der  Geschichte, 
welche  auch  die  Chronologie  unterstützen,  ist  besonders  die  Numis- 
matik hervorzuheben;   ihre  wichtigen  Beiträge  auf   dem  Gebiete  der 


58  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Phitwiekhing. 

iVIünzenfunde  für  die  Kenntnis  der  Ären  werden  wir  im  II.  Bande  des 
vorliegenden  Werkes  kennen  lernen.  Weitere  Hilfsmittel  der  Chrono- 
logie finden  dort  an  passender  Stelle  ihre  Erwähnung. 


C)  Die  Zeiteleinente  und  ihre  historische  Entwicklung. 

§  14.    Die  priuiitiveu  Zeitbegriife. 

Ebenso  wie  alle  Kulturerruugenschaften  der  Menschheit  von  ein- 
fachen Anfängen  ausgegangen  sind  und  erst  im  Laufe  der  Zeiten  die 
Formen  angenommen  haben,  unter  denen  sie  sich  uns  jetzt  vorstellen, 
so  haben  auch  die  Zeitrechnungsformen  und  deren  innere  Einrichtungen 
ihre  Phasen  durchgemacht.  Viele  der  sogenannten  Naturvölker  zeigen 
uns  in  der  Gegenwart  noch  die  Anfangszustände  im  Zeitrechnungs- 
wesen. Je  tiefer  sie  in  der  Kultur  stehen,  desto  weniger  ausgebildet 
ist  bei  ihnen  irgend  eine  Teilung  der  Zeit.  Die  Bewohner  der  mela- 
nesischen  Inseln  z.  B.  zählen  die  Zeit  nur  nach  den  Beschäftigungen,  die 
für  die  Feldbestellung  erforderlich  sind,  der  Blüte-  und  Erntezeit  der 
Früchte  u.  s.  w.,  indem  sie  ungefähr  die  Zahl  der  Monderscheinungen 
wissen,  die  zwischen  diesen  Zeiten  liegt.  Sie  haben  überhaupt  noch 
kein  „Jahr".  Die  Nikobaren  rechnen  nach  dem  Eintritt  der  Monsun- 
^^'inde:  die  erste  Hälfte  der  Zeit  beginnt  mit  dem  Südwestmonsun 
(Mai),  die  zweite  mit  dem  Nordostmonsun  (November);  diese  beiden 
Natur-Halbjahre  werden  nach  den  Neumonden  roh  geteilt;  Anfang 
und  Dauer  des  Jahres  bleiben  aber  sehr  unbestimmt.  Die  Einteilung 
des  Tages  ist  bei  diesen  Völkern  ebenfalls  kaum  entwickelt;  einige 
besondere  Benennungen  der  Tagesabschnitte  nach  dem  Sonnenstande 
reichen  ihnen  hin,  die  Zeit  für  die  Arbeiten  im  Freien  und  in  den 
Hütten  anzugebend  —  Einigermaßen  bestimmter  beginnen  sich  die 
Zeitbegriffe  bei  jenen  Naturvölkern  zu  gestalten,  welche  durch  die 
geographische  Lage  ihrer  A\'ohnorte,  durch  die  Art  der  Boden- 
produktion ihres  Landes  zu  speziellen  Beschäftigungen  genötigt  sind, 
die  einen  zur  Fischerei,  die  andern  zum  Anbau  erträgnisreicher 
Kulturpflanzen  u.  s.  w.    Diese  achten  auf  die  Zeit  des  Erscheinens  ge- 


1)  Vgl.  §  121.  —  Die  Bali-Insulaner  (die  betreffs  der  Zeiteinteilung  schon 
auf  einer  etwas  höheren  Stufe  stehen)  stellen  in  einer  Hütte  ein  mit  Wasser  ge- 
fülltes Gefäß  auf,  in  welchem  sieh  ein  kupferner  Napf  mit  einer  Öffnung  befindet. 
Das  Wasser  dringt  durch  die  Öffnung  in  den  Napf.  Nach  dem  jedesmaligen  Voll- 
laufen des  Napfes  ist  ein  Achtel  des  Tages  vorüber.  Der  Wächter  hat  dann  den 
Auftrag,  durch  Schlagen  auf  einen  von  der  Decke  der  Hütte  herabhängenden 
Tamtam  dem  Dorfe  die  Zeit  zu  verkünden.  Auf  derselben  Methode  beruht  bei 
den  Indern  die  zur  Zeitmessung  bestimmte  Kupferschale,  welche  durch  ihr  jedes- 
maliges Untersinken  den  Ablauf  einer  nädikä  =  '/ßo  der  natürlichen  Nacht  anzeigt. 


§  14.     Die  i)riniitiv('ii  Zfitbegriffe.  59 

wisser  Fiscliarten  im  Meere,  jene  auf  die  Zeit  der  Überschwemmung 
der  Eeisfelder  beim  Beginn  der  Tropenregen  u.  s.  f.  Bei  diesen  Acker- 
bauern, Jägern  und  J'ischern  mußte  sich  die  Notwendigkeit  einstellen, 
jene  Zeiten  durch  gewisse  Anhaltspunkte  genauer  angeben  resp.  voraus- 
sagen zu  können.  Bei  solchen  Völkern  bemerken  wir  deshalb  das 
Achten  auf  die  Stellungen  einiger  Gestirne,  durch  welche  jährlich  diese 
Zeiten  ungefähr  feststellbar  werden,  ferner  das  Teilen  der  größeren 
Zeiträume  nach  der  periodischen  AViederkehr  der  Mondphasen.  Die 
Bewohner  von  Timor,  der  Südwestinselu ,  die  ßatta,  Tenggern  u.  a., 
selbst  die  halbwilden  Dajak  (Borneo)  haben  Kenntnis  von  einigen 
Sternen,  wie  vom  Orion,  den  Plejaden,  vom  Siebengestirn,  und  regeln 
nach  deren  Stellungen  das  Anpflanzen,  die  Bewässerung  und  die  Ernte  \ 
Auf  der  nächsthöheren  Kulturstufe  suchen  die  Naturvölker  bereits  die 
Zeit  durch  die  Bewegung  des  Mondes,  wenn  auch  in  nur  primitiver 
Weise,  zu  messen,  und  zwar  durch  den  Umlauf,  der  sich  unmittelbar 
dem  Auge  darbietet,  also  durch  den  sich  wiederholenden  Stand  des 
Mondes  bei  denselben  Sternen  resp.  durch  seine  wachsende  Entfernung 
von  letzteren,  d.  h.  durch  den  siderischen  Umlauf.  Hierauf  beruht  z.  ß. 
die  Kenong-Hechnung  der  Atchinesen  (s.  §  121).  Indem  diese  letzteren 
dabei  vom  Sternbild  des  Skorpion  ausgehen,  anderseits  aber  die  Auf- 
und  Untergänge  der  um  180*^  vom  Skorpion  abstehenden  Plejaden 
verfolgen,  gelangen  sie  zu  einem  rohen  Naturjahre  für  ihren  Landbau. 
Die  Orion-  und  die  Plejadenjahre  -  haben  sich  aus  solchen  Anfängen 
ausgebildet ;  sie  faßten  hauptsächlich  dort  Wurzel,  wo  sich  der  mytho- 
logische Sagenkreis  auf  die  Gestirne  erstreckt  hatte.  Anderseits  gaben 
die  Konjunktionen  des  Mondes  mit  denselben  hellen  Sternen  oder,  um 
volkstümlich  zu  sprechen,  der  zeitweise  sich  wiederholende  Aufenthalt 
des  Mondes  in  den  gleichen  Sternbildern  den  Anstoß  zur  späteren 
Bildung  eines  wichtigen  Zeitelementes,  der  Mondstationen.  Die  Natur- 
stämme, bei  denen  sich  Handel  und  Verkehr  entwickeln,  müssen  bald 
von  diesen  schwankenden  Zeitabgrenzungen  zu  bestimmteren  gelangen. 
Der  natürlichste  Zeitmesser  am  Himmel  ist  für  sie  der  Mond,  als  das 
hellste  Gestirn  am  Nachthimmel  und  wegen  seiner  für  jedermann  sicht- 
baren, regelmäßig  wechselnden  Lichtgestalten.    Die  Naturvölker  zählen 


1)  Die  Dajak  beginnen  die  Felderbebaiiung  um  die  Zeit  des  Frübaufgangs 
der  Plejaden  {Karantika),  im  Juli,  die  Atchinesen  nehmen  um  dieselbe  Zeit  die 
Aussaat  auf  den  Reisfeldern  vor. 

2)  Das  Wiedererscheinen  der  Plejaden  namentlich  bildete  bei  manchen  Völkern 
das  Zeichen  zum  Anfangen  eines  neuen  Jahres.  So  rechneten  die  Tapujas  (Brasilien) 
den  Jahresanfang  von  dem  Aufgange  der  Plejaden  (nach  Marcgrav)  ,  desgleichen 
mehrere  Indianerstämme  in  Nordamerika.  Im  Kultus  spielen  die  Plejaden  schon 
bei  den  Babyloniern  eine  gewisse  Rolle,  so  durch  Symbolisierung  als  „Sieben- 
gottheit"  (s.  E.  ScHKADER,  Keilschrift  u.  alt.  Testament^  III.  Aufl.  v.  Zimmern- 
WiNCKLEB,  S.  459,  620). 


60  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwiekhmg. 

also  die  Tage,  die  zwischen  der  Wiederkehr  des  Voll  Werdens  der 
Mondscheibe  oder  zwischen  dem  Auftauchen  der  ersten  Sichel  am 
Abendhimmel  nach  Neumond  liegen  und  gewinnen,  je  nach  den 
Beträgen,  die  sie  für  diesen  Monat  annehmen,  ein  Jahr,  das  in 
seinem  Umfange  entweder  dem  Mondjahre  nahe  kommt  oder  zwischen 
dem  Mond-  und  Sonnenjahre  liegt;  bisweilen  schätzen  sie  aber  auch 
schon  die  Länge  des  synodischen  Monats  und  bilden  daraus  ein 
Jahr.  So  finden  wir  bei  den  Indern  noch  in  der  nachvedischen 
Zeit,  aber  jedenfalls  aus  der  älteren  übernommen,  ein  27tägiges 
„Sternjahr"  (Mondjahr)  zu  324  Tagen,  ein  ebensolches  von  13  Monaten 
mit  351  Tagen,  und  ein  riclitiges  synodisches  Mondjahr  mit  354  Tagen. 
Die  Haida-Indianer  (auf  den  Königin-Charlotte-Inseln)  benennen  ihre 
13  Monate  nach  der  Kälte,  Wärme,  dem  Erscheinen  des  Bären,  des 
Lachses  u.  s.  w.  und  rechnen  jeden  Monat  zu  28  Tagen;  ihr  Jahr  hat 
also  364  Tage.  Auf  dieser  Zivilisationsstufe  machen  sich  auch  die 
Anfänge  des  Bestrebens  bemerkbar,  bei  der  Zeitrechnung  auf  die 
Jahreszeiten  Rücksicht  zu  nehmen  und  diese  irgendwie  mit  den  Mond- 
erscheinungen in  Verbindung  zu  bringen.  Je  nach  der  geographischen 
Position  des  Volkes  neigt  dann  die  Zeitrechnung  mehr  zum  Sonnen- 
jahre oder  mehr  zum  Mondjahre.  Treten  in  dem  betreffenden  Klima 
die  Grenzen  der  Jahreszeiten  scharf  hervor,  so  daß  die  Länge  der 
einzelnen  Perioden  leicht  erfaßt  werden  kann,  so  bildet  sich  ein  Sonnen- 
jahr meist  eher  aus,  als  das  Mondjahr.  Die  Ägypter  wurden  durch 
die  Natur  ihres  Landes,  durch  die  ziemlich  regelmäßig  sich  einstellenden 
Nilüberschwemmungen,  die  darauf  folgende  Fruchtbarkeit  des  Niltals 
und  die  nach  dieser  auftretende  brennende  Hitze  schon  in  der  ältesten 
Zeit  zu  einem  dreiteiligen  Sonnenjahre  hingeführt.  In  dem  an  klima- 
tischen Abstufungen  reichen  Indien  dagegen  ist  das  Mondjahr  immer 
das  vorherrschende  Jahr  geblieben,  obwohl  es  mit  dem  Sonnenjahre 
verbunden  wurde,  denn  es  weist  in  seinen  Einrichtungen  deutlich  auf 
den  Mond  zurück.  Nicht  seßhafte,  in  ihrem  Erwerbe  bewegliche 
Stämme  begünstigen  das  Mondjahr,  so  die  räuberischen  arabischen 
Stämme  vor  und  nach  Mohammed.  In  den  nördlichen,  durch  scharf 
differenzierte  Klimate  charakterisierten  Breiten,  mit  seßhaften,  Acker- 
bau treibenden  Völkern  gewinnt  das  Sonnenjahr  bald  die  Herrschaft; 
so  wurde  in  China  schon  in  sehr  alter  Zeit  das  Mondjahr  zu  einem 
Lunisolarjahre  umgestaltet,  in  welchem  das  Mondjahr  wesentlich  zurück- 
tritt. Einen  nicht  zu  unterschätzenden  Einfluß  auf  die  Ausbildung 
der  Jahresart  hatte  ferner  der  Kultus,  welcher  bei  den  Völkern  aus- 
geübt wurde.  Neuere  Forschungen  an  alten  Kultusstätten  in  Südarabien 
lassen  die  Vermutung  berechtigt  erscheinen,  daß  im  alten  Arabien  eine 
weit  verbreitete  Verehrung  des  Mondes  stattfand;  dies  erklärt  die 
Rechnung  nach   dem  Monde,   welche  selbst  Mohammed   respektierte, 


§  14.     Die  primitiven  Zeitbegriffe.  61 

obgleich  sie  für  ihn  eine  „heidnische"  Gepflogenheit  sein  mußte.  Audi 
Südbabylonien  hatte  Mondkultus,  während  in  den  nördlicheren  Ge- 
bieten Mesopotamiens  die  Sonne  verehrt  wurde.  —  Die  Länge  des 
Sonnen jalirs  ist  auf  der  Entwicklungsstufe  der  Chronologie,  von  der 
hier  die  Rede  ist,  nur  ganz  ungefähr  bekannt;  man  weiß  nicht  viel 
mehr,  als  daß  diese  Länge  größer  ist  als  die  des  Mondjahrs.  Den 
ackerbauenden  Stämmen  kommt  es  hauptsächlich  darauf  an,  die  Länge 
einzelner  Jahresabschnitte  zu  kennen,  während  welcher  gewisse  Feld- 
arbeiten ausgeführt  sein  müssen.  Zur  Bestimmung  dieser  Jahres- 
abschnitte bedient  man  sich  eines  sehr  einfachen  Hilfsmittels,  der 
mit  der  Jahreszeit  wechselnden  Länge  des  Schattens  eines  senki'echt 
stehenden  Gegenstandes.  So  ermittelten  früher  auf  Java  die  Priester 
die  mangsa,  12  ungleich  lange  Zeiträume,  nach  welchen  die  Feldarbeit 
geregelt  wurde  (s.  §  120).  Bei  den  Inka  von  Peru  standen  auf 
den  Hügeln  um  Cuzco  12  Säulen,  siiccanya  (oder  rucana)  genannt, 
nach  deren  Schattenlänge  zu  den  verschiedenen  Zeiten  man  die  Monate 
erkannte;  auf  8  Türmen  im  Osten  und  8  im  A\^esten  der  Stadt  er- 
mittelten die  Priester  aus  der  Schattenlänge  die  Zeit  der  Sonnenwenden. 
Nach  dem  Schu-king  der  Chinesen  (L  Kap.  2)  sendet  schon  Kaiser  Yao 
(2357  V.  Chr.)  vier  x4.stronomen  aus  nach  Norden,  Süden,  Osten  und 
Westen,  um  die  Örter  der  auf-  und  untergehenden  Sonne  und  die 
Längen  des  Schattens  zu  beobachten. 

Die  kulturfälligen  Stämme  kamen,  wie  man  nach  den  bisherigen 
Ausführungen  beurteilen  wird,  überall,  trotz  räumlich  großer  Ent- 
fernungen von  einander,  in  den  rohen  anfänglichen  Teilungen  der 
Zeit  zu  denselben  Prinzipien.  Dies  bestätigt  die  Existenz  des  Faktors 
im  geistigen  Entwicklungsleben,  welchen  A.  Bastian  den  „Völker- 
gedanken" genannt  hat%  auch  für  die  chronologische  Entwicklung. 
Die  Ureinteilung  der  Zeit  ist  auf  niedriger  Zivilisationsstufe  nahezu 
überall  die  gleiche ;  erst  wenn  ein  höheres  Niveau  erreicht  ist,  beginnt 
des  selbständige  Denken  und  das  subjektive  Gestalten  der  Zeitelemente. 
Auf  noch  höherer  Stufe,  auf  der  die  Völker  in  geistigen  und  Haudels- 


1)  Der  „Völkergedanke"  besteht  darin,  daß  der  Mensch  auf  den  unteren  Ent- 
wicklungsstufen überall  auf  der  Erde  im  Denken  zu  gewissen  gleichen  Grund- 
vorstellungen  kommt.  „Aus  einer  in  der  Ethnologie  angesammelten  Masse  von 
Beweismaterial,  dem  für  jedes  statistische  Auge  als  entscheidendste  Majorität 
sich  bereits  der  Ausschlag  erklärt,  ist  die  elementare  Gleichartigkeit  des  Völker- 
gedankens unwiderleglich  erklärt,  und  erweist  sich  die  Berechtigung  der  all- 
gemein durchgehenden  Phasen  sowohl,  wie  der  Grund  für  das  Warum  der 
geographischen  Abweichungen  im  einzelnen,  bei  den  rechtlichen  Institutionen, 
aus  dem  Studium  des  menschlichen  Gesellschaftseharakters  in  seinem  sozialen 
Organismus,  oder  in  seinem  psychologischen  Wachstumsprozesse  für  die  religiös- 
mythologischen Anschauungen."  (A.  Bastian,  Allgem.  Grundzüge  d.  Ethnologie, 
Berlin  1884,  S.  79.) 


62  Die  Zcitelemente  und  ilire  historische  Entwiokhuig. 

verkehr  treten,   kommen   schließlich   hie  und  da  Übergänge  chrono- 
logischer Einrichtungen  von  einem  Volke  zum  andern  vor. 

Die  weitere  Entwicklung  des  Zeitrechnungswesens  zeigt  das  Ver- 
folgen mehrerer  Ziele.  Die  numerischen  Annahmen  über  die  Sonnen- 
und  Mondbewegung  werden  bestimmter  und  nähern  sich  mehr  den 
tatsächlich  bestehenden.  Man  sucht  nach  Schaltungsarten,  um  eine 
Verbindung  des  Mondjahrs  mit  dem  Sonnenjahre  herzustellen.  Die 
Schaltungen  sind  solange  nur  empirischer  Art  und  schwankend,  bis 
es  der  sich  entwickelnden  Astronomie  gelungen  ist,  die  Verhältnisse 
zwischen  den  Umlaufszeiten  genauer  festzulegen.  Dann  erfolgt  ent- 
weder der  Übergang  zum  Lunisolarjahre  oder  zum  reinen  Sonnenjahre. 
Ferner  zeigt  diese  Periode  das  Bestreben,  die  übrigen  Zeitelemente, 
wie  die  Monats-,  Wochen,  Tages-  und  Stundenteilung,  zu  vertiefen 
und  entweder  nach  vorliegenden  praktischen  Bedürfnissen  oder  nach 
allgemeineren  Prinzipien  durchzuführen. 

Die  vorstehenden  Bemerkungen  über  die  allmähliche  Entwicklung 
des  Zeitsinnes  und  der  Zeitrechnung  sind  für  unser  Buch  nicht  über- 
flüssig, denn  sie  leiten  zu  der  Folgerung,  daß  auch  die  Kulturvölker, 
von  deren  Zeitrechnungen  die  Rede  sein  wird,  nur  vom  Rohen  zum 
Vollkommneren  fortgeschritten  sind,  und  daß  man  also  ethnologisch 
nicht  berechtigt  ist,  schon  für  die  sehr  alte  Zeit  dieser  Völker  eine 
geordnete  Zeitrechnung  mit  guter  Jahrkenntnis  anzunehmen. 

§  15.    Mond-  und  Sonnenjahr.    Ansgleichung.    Schaltjahr. 

Rundjahr. 

Die  astronomischen  Erklärungen,  auf  welchen  die  Zeitelemente 
beruhen,  wurden  in  Einleitung  A  gegeben.  Wir  haben  nun  diese 
Zeitelemente  näher,  nach  der  technischen  und  historischeu  Seite,  zu 
betrachten;  ich  muß  mich  hier  hauptsächlich  über  jene  verbreiten, 
welche  für  diesen  I.  Band  wichtig  sind. 

Die  Länge  des  synodischen  Monats  beträgt  (s.  S.  36)  29*^  12''  44™ 
2,9'  oder  29,53059  Tage;  das  astronomische  Mondjahr  faßt  also 
354^1  8'^  48™  36^  Im  praktischen  Leben,  wo  es  notwendig  war,  daß 
der  Anfang  eines  Monats  mit  einer  Hauptphase  des  Mondes,  mit  Neu- 
mond oder  mit  Vollmond,  zusammenfiel,  konnten  die  nach  Mondjahren 
rechnenden  Völker  nicht  nach  den  astronomischen,  aus  ganzen  Tagen 
und  Bruchteilen  bestehenden  Monatslängen  rechnen.  Der  Überschul.) 
des  sjmodischen  Monats  über  29  Tage  mußte  daher  ausgeglichen 

werden.    Dieser  Überschuß  ist  nahezu  — g'^^r —  Tage  ^ ,    der  Monat  ist 

1)  Nämlich  12ii  44>"  2.9s  =  45842,98s ;  J-  Tag  ist  864^,  also  der  Überschuß  = 
458,4298  „  ^ 


i?  15.    Mond-  und  Soiiiiciijiilir.    Aus^'leicllUll^^    Scliiiltjiilir.    Hiiniljalir.        63 

kleiner  als  30  Tage,  und  zwar  beträgt  er  30  —  ^fj*^^  Tage.     Man 

konnte   also    den   Ausgleich    bewirken,    wenn   man  im   Verlaufe  des 
Mondjahrs  bald  volle  Monate  zu  30  Tagen,  bald  hohle  zu  29  Tagen 

annahm.    Die  letztgenannte  Ergänzung      gg^"  Tage  des  synodischen 

Monats  zu  30  Tagen  ergibt,  wenn  man  diesen  Bruch  in  einen  Ketten- 

1       7       8      23     422 
bruch  verwandelt,  folgende  Xäherungsbrüche:  ö?   ^?   t^«   y^?   ^y^-.    Der 

^  ^  2      lo      w      49      899 

erste  dieser  Näherungswerte   ^ ,,   zeigt   schon   an,   daß  man  ungefähr 
jeden  zweiten  Monat  als  hohlen  anzusetzen  haben  wird,  um  den  Über- 

7  8 

scliuß  verteilen  zu  können.    Die  beiden  folgenden  Brüche  r^  und  ^^  sagen 

^  lo  17      *= 

aus,  daß  man  unter  15  Monaten  7  hohle  einsetzen  darf,  oder  unter 
17  Monaten  8   hohle.     Eine   genauere  Ausgleichung   würde   sich   mit 

23         2    8    17 

dem   weiter   folgenden  ^g  =  -^^ —    erreichen    lassen,   nämlich   mit 

2  achtmonatlichen  und  einer  siebenmonatlichen  Periode;  es  wären 
unter  49  Monaten  26  volle  und  23  hohle  zu  verteilen;  man  erhält 
dann  1447  Tage,  49  Monate  zu  29,53059^  geben  aber  fast  1447  Tage, 
also  wäre  der  Ausgleich  bereits  nahezu  vollkommen  erreicht.  (Noch 
genauer  ist  das  letzte  der  obigen  Verhältnisse.)  ^^'as  die  zweck- 
mäßigste Anordnung  in  der  Verteilung  der  23  hohlen  Monate  betrifft. 
damit  die  Monatsanfänge  möglichst  wenig  vom  Anfange  des  astro- 
nomischen Monats  abweichen,  würde  man  zuerst  vom  2.  bis  16.  Monate 
jeden  2.  Monat  hohl  gelten  lassen,  dann  vom  19.  bis  31.  jeden  zweiten, 
und  vom  34.  bis  48.  jeden  zweiten.  Allein  diese  Perioden  und  diese 
Art  von  Ausgleichung  sind  für  das  bürgerliche  Leben  nicht  bequem: 
außerdem  haben  in  der  ältesten  Zeit  die  Kulturvölker  die  Länge  des 
synodischen  Monats  nicht  so  genau  gekannt,  um  die  Perioden  aus- 
findig machen  zu  können.  Man  hat  sich  daher,  wie  im  arabisch- 
türkischen Kalender,  begnügt,  die  vollen  Monate  mit  den  hohlen  ab- 
w^echseln  zu  lassen  (also  nur  das  erste  der  oben  genannten  Verhältnisse 
zu  benutzen).  Dafür  muß  nun  der  Überschuß  von  Zeit  zu  Zeit  nach 
ganzen  Mondjahren  ausgeglichen  werden. 

Man  nennt  Einschalten  (intercalare,  kißalXu v)  das  Verfahren, 
einen  vernachlässigten  Überschuß  in  der  .Jahreslänge,  wenn  er  auf 
eine  volle  Zahl  von  Tagen  oder  Monaten  augewachsen  ist,  wieder 
einzurechnen.  Der  eingelegte  Monat  ist  der  Schalt monat  (bis- 
weilen handelt  es  sich  nur  um  Schalttage),  das  Jalu\  in  welchem 
die  Schaltung  stattfindet,  das  Schaltjahr,  zum  Unterschiede  vom 
Gern  ein  jähr.  Wird  das  Einschalten  nach  gewissen  Intervallen 
wiederholt,  so  bilden  diese  Intervalle  den  Schaltzyklus. 

Ich  nehme  zuerst  das  freie  Mondjahr  vor.    Ein  freies  Mond- 


64  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Eutwiekhuig. 

jalir  ist  ein  solches,  welches  ohne  jede  Beziehung  znm  Sonnenjahr 
steht,  also  nur  der  synodischen  Mondbewegung'  folgt.  Es  hat  in  der 
Eegel  6  volle  und  6  hohle  Mondmonate,  enthält  also  im  gemeinen 
Jahre  354  Tage;  das  Schaltjahr  zählt  355  Tage.  Es  fragt  sich,  wie 
der  Überschuß  von  S*»  48™  36^  über  354'^  (s.  oben.  S.  62)  durch 
Schaltung    eingebracht    werden   soll.     Da   das   synodische   Mondjahr 

79    285 

354,36707'^  zählt,  die  durch  den  gemischten  Bruch  354  ^  „  aus- 
gedrückt  werden   können,  erhält  man   aus  letzterem  (wie  oben)  die 

Näherungsbrüche   -?r'  -s-'  -ö-'  tt'  th'  ^    ....     Die    ersten   beiden 
°  z      ö      ö     11     ly    öU 

Brüche   deuten   schon   darauf   hin,   daß   man   nach  3  oder  auch  nach 

je    2  Jahren    ein   Schaltjahr    von   355  Tagen   zu  rechnen  hat.     Die 

8  4 

weiteren  -g-  und  yj  berücksichtigen  die  Schaltung  schon  besser;  man 

hat  danach  in  je  8  Jahren  dreimal,  oder  in  11  Jahren  viermal 
ein  Schaltjahr  einzulegen.  Die  Türken  benutzen  die  achtjährige 
Periode  in  ihren  Bus-name  (immerwährenden  Kalendern).    Der  letzte 

der  obigen  Brüche  öt.  zeigt  den  30jährigen  Schaltzyklus  an,  welcher 

11  Schaltjahre  enthält;  derselbe  ist  bereits  ziemlich  genau  und  wird 
von  den  arabischen  Astronomen  gebraucht.  Die  11  Schaltjahre  sind 
das  2.  5.  7.  10.  13.  15.  18.  21.  24.  26.  29.  Jahr  des  30  jährigen  Zyklus. 

Danach  ist  die  mittlere  Dauer  des  Mondjahrs  354  ^^  =  354^^  8'^  48'^^ 
d.  h.  bis  auf  36^  richtig. 

Das  freie  Mondjahr  durchläuft,  da  es  um  11  Tage  kürzer  ist  als 
das  365tägige  Sonnenjahr,  mit  seinem  Anfange  alle  Jahreszeiten. 
Ein  solches  Jahr  ist  nicht  sehr  für  den  Kultus  brauchbar,  wenn  dieser 
sich  an  die  Mondphasen  knüpft,  denn  meist  wird  an  die  Zeitrechnung 
die  Forderung  gestellt  werden,  daß  man  die  Feste  immer  in  der 
gleichen  Jahreszeit  feiern  wolle.  Daher  bildete  sich  frühzeitig  im 
Oriente  das  gebundene  Mondjahr  (Lunisolar- Jahr)  aus, 
welches  die  Umlaufszeiten  der  Sonne  und  des  Mondes  so  in  der  Zeit- 
rechnung ausgleicht,  daß  eine  Anzahl  ganzer  Sonnen  jähre  zugleich 
eine  Anzahl  ganzer  synodischer  Mondmonate  umfaßt.  Der  synodische 
Monat  ist  in  dem  tropischen  Sonnenjahre  (365,2422  :  29,53059)  un- 
gefähr 121/3  mal  enthalten  1;  man  wird  also  einen  Ausgleich  zwischen 
beiden  dadurch  herstellen  können,  daß  man  12  und  13  Monate  in 
gewisser  Weise  in  der  Jahreslänge  abwechseln  läßt,  d.  h.  in  einem 
bestimmten  Zyklus  nach  je  einer  Zahl  gemeiner  Mondjahre  ein  Schalt- 
jahr  von   13   Monaten  einschiebt.     Die  überschüssigen  Brüche  über 


1)  Der  genauere  Betrag  ist  ==  12,368268. 


i^  15.    iMoml-  und  Soiiiioiijiilir.    Ausgleichung.    Schaltjahr.    Kundjahr.        (55 

12  erhält  man  durch  Verwandlung-  des  obigen  Verhältnisses  des 
synodischen  Monats  zum  tropischen  Jahre  in  einen  Kettenbruch.     Es 

ergeben  sich  die  Näherungswerte  y?    g »  -g »  -^^>  ~^,  ^      ....     Die 

ersten  fünf  von  diesen  Näherungen  haben  wir  schon  vorher  beim  Aus- 
gleich des  freien  Mondjahrs  gefunden.    Der  fünfte  Wert  ist  schon  ziem- 
7  235 

lieh  genau,  denn  12^^  d.  h.  ^  zeigt  an,  daß  235  synodische  Monate  --= 

19  tropischen  Jahren  sind;  in  der  Tat  haben  die  ersteren  6939,6884  Tage, 
die  zw^eiten  6939,6018  Tage,  also  ist  die  Differenz  bei  diesem  Ver- 
hältnisse nur  0,0866  Tage,    Noch  genauer  würde  der  letzte  der  obigen 

Näherungswerte  12gg^  =  -^^-  sein,  denn  4131  synodische  Monate  geben 

gegen  334  tropische  Jahre  nur  einen  Unterschied  von  0,0310  Tagen. 

Das  Verhältnis  235  :  19  wurde  von  Metun  um  432  v.  Chr.  für 
den  athenischen  Kalender  aufgestellt,  aber  erst  später  eingeführt. 
Nach  je  19  tropischen  Jahren  wiederholen  sich  die  Neu-  und  Voll- 
monde wieder  an  denselben  Monatstagen  wie  früher  i,  sie  können  also, 
wenn  sie  einmal  durch  19  Jahre  liindurch  bestimmt  sind,  für  kommende 
Zeiten  mit  Hilfe  dieses  Mondzyklus  angegeben  werden.  Der  METoxsche 
Zyklus  erwarb  sich  großes  Ansehen  und  w^urde  noch  im  Mittelalter 
gebraucht  (Ostertafel  des  Axatolios).  Da  235  synodische  Monate  nur 
um  die  oben  angeführte  Differenz  0,0866  Tage  (=  2"^  5™)  länger  sind  als 
19  tropische  Jahre,  so  genügt  der  Zyklus  für  nicht  scharfe  Forderungen; 
erst  in  219  Jahren  (nach  11,54  Zyklen)  steigt  die  Differenz  auf  1  Tag. 
Die  späteren  Verbesserungen  des  Zyklus  durch  KALLipprs  und  Hippaech 
gingen  von  der  vierfachen  (76  jährigen)  und  16  fachen  (304  jährigen) 
Periode  aus.  Die  7  Jahre,  welche  in  dem  19jährigen  Z3'klus  zu 
Schaltjahren  gemacht  werden,  können  auf  mehrfache  Weise  verteilt 
werden,  z.  B.  auf  das  3.  5.  8.  11.  13.  16.  und  19.  Jahr. 

Das  Sonnenjahr  unterscheidet  man  in  ein  festes  und  ein 
bewegliches.  Das  letztere  wurde  nur  zu  365  Tagen  ohne  jede 
Einschaltung  angenommen;  da  also  der  Überschuß  von  5''  48'"  46,43* 
(für  1800  nach  Hansex)  nicht  in  Eechnung  kommt,  durchlief  es  nach 
und  nach  alle  Jahreszeiten  (in  etw^a  1500  Jahren  ein  Jahr);  das  be- 
wegliche Jahr  heißt  deshalb  auch  Wandel  jähr  {cmnus  ragiis).  Das 
feste  Sonnenjahr  ist  dagegen  ein  solches,  welches  möglichst  mit  der 
faktischen  tropischen  Sonnenbewegung  übereinstimmt.  Um  die  Ein- 
schaltungsverhältnisse übersehen  zu  können,  entwickelt  man  den 
Überschuß  5''  48'^  46,43^  =  20  926,43*  oder  in  hundertfachen  Tagen  = 


1)  Abgesehen   von  Verschiebungen  um  einen  Tag,   wegen  der  veränderlichen 
Länge  des  synodischen  Monats. 

Ginzel,   Chronologie  I.  5 


66  Die  Zeitelemeiite  und  ihre  liistorisclie  Entwicklung. 

2  092  64-3  1       7 

86'4ÖMö  ^^S^f  ^^^  Kettenbrucli  und  erhält  die  Näherungsbrüclie  -^  ?  29' 
^5  75^5  777? Berücksiclitig-t  man  nur  das  erste  Verhältnis  -,-? 

33     128     417  ®  4 

schaltet  also  jedes  4.  Jahr  einen  Tag  ein,  so  hat  man  ein  mittleres 
Jahr  von  365^4  Tagen;  dieses  weicht,  da  es  vom  tropischen  um 
0,007796'!  verschieden  ist,  in  etwa  128  Jahren  um  einen  Tag  ab, 
verdient  also  nicht  den  Namen  eines  festen  Jahres.    Eine  vorzügliche 

31 

Übereinstimmung  ließe  sich  durch  den  4.  Xäherungsbruch  ^gg  erreichen, 

man  hätte  in  128  Jahren  31  Schaltjahre  (zu  iiQQ%  und  zwar  27  nach 
je  4  Jahren  und  4  nach  je  5  Jahren  unterzubringen;  die  mittlere 
Länge  eines  Jahres  wäre  dann  365'^  5''  48™  45^*,  würde  also  gegen  die 
von  Hansen  angegebene  nur  um  1,43^  abweichen,  also  erst  in  60  420 
Jahren  um  einen  Tag  (wenn  sich  inzwischen  die  Länge  des  tropischen 
Jahrs  nicht  verändern  würde,  s.  S.  32).  Auf  das  julianische  und 
gregorianische  Sonnen  jähr  komme  ich  in  §  19  zurück. 

Es  ist  für  die  Beantwortung  der  Fragen  nach  den  Jalirformen 
der  ältesten  Kulturvölker  nicht  ohne  Wichtigkeit,  in  Kürze  noch  die 
AVege  zu  übersehen,  auf  welchen  die  Kulturvölker  zur  Erkenntnis 
der  Jahreslängen  kommen  konnten.  Am  leichtesten  war  die 
Beobachtung  zu  machen,  daß  der  Mond  zeitweise  in  der  Nähe  eines 
und  desselben  hellen  Sternes  stand,  täglich  hinter  diesem  zurückblieb, 
und  daß  die  Zeit  der  Unsichtbarkeit  des  Mondes  (Neumond)  mit 
diesen  Bewegungen  durch  Perioden  zusammenhing.  Indem  man  also 
solche  Annäherungen  des  Mondes  an  helle  Sterne  beobachtete,  erhielt 
man  einen  rohen  Betrag  der  Länge  des  siderischen  Monats ;  durch 
Vergleichung  von  Beobachtungen,  die  um  mehrere  tausend  Tage  aus- 
einander lagen,  ergab  sich,  wenn  man  auf  die  Zahl  der  Wiederkünfte 
des  Mondes  aufgemerkt  hatte,  ein  besserer  Betrag  des  siderischen 
Monats.  Dabei  mußte  man  bald  wahrnehmen,  daß  die  Zeit,  zu  welcher 
der  Mond  ein  und  dieselben  Phasengestalten  zeigte,  etwas  von  jener 
Bewegung  verschieden  war.  Nach  je  ungefähr  29  Tagen  erschien 
die  feine  Sichel  wieder  am  Abendhimmel,  nachdem  der  ]\Iond  mehrere 
Tage  unsichtbar  gewesen.  Lange  Zeit  rechnete  man  wahrscheinlich 
mit  dieser  primitiven  Monatslänge,  die  zwischen  zwei  Neulicht- 
erscheinungen  enthalten  ist.  Die  Zeit  des  Neulichtes  wurde  dadurcli 
für  die  alten  Völker  ein  so  wichtiges  Zeitelement,  daß  diese  Phase 
auch  dann  noch  den  Beginn  des  Monats  bildete,  als  man  längst  die 
Zwischenzeit  zu  bestimmen  wußte,  die  zwischen  den  wahren  Neu- 
monden selbst  liegt.  Für  die  genauere  Erkenntnis  der  Länge  des  so 
gewonnenen  synodischen  Monats  wurden  die  Mondfinsternisse 
wichtig.  Indem  man  die  Zeiten  der  Hauptphase  oder  des  Eintritts 
zweier  Älondfinsternisse  beobachtete  und  durch  die  Zahl  der  inzwischen 


§  15.    .Mond-  und  Suiuiciijalir.    Ausgleicluui^'.    Scliiiltjalir.     Kuiidjalir.         67 

abgelaufenen  synodischen  Monate  dividierte,  konnte  die  Kenntnis  des 
synodisclien  Monats  verbessert  werden;  den  genaueren  Wert  konnte 
man  aber  nur  allmälilich  ermitteln,  in  dem  Maße,  als  die  Aufzeichnungen 
über  beobachtete  ]\rondfinsternisse  sich  über  immer  größere  Zeit- 
abschnitte auszudehnen  begannen.  Die  Yergleichung  der  Zeiten  der 
^fondfinsternisse  mit  der  Dauer  des  siderischen  Monats  führte  zugleich 
zu  den  ersten  rohen  Begriffen  über  die  Länge  der  d  r  a  k  o  n  i  t  i  s  c  h  e  n 
Umlaufszeit  und  lieferte  das  ]\Iittel,  die  Mondfinsternisse  im  voraus 
erwarten  zu  können.  Auf  die  angedeutete  Weise  gelangte  man  früh- 
zeitig zur  Kenntnis  der  ungefähren  Länge  eines  Mondjahrs;  der 
Mond  gab  den  eigentlichen  Ausgangspunkt  aller  Zeitmessung  ab;  in 
den  Veda-Schriften  heißt  er  schon  „der  Ordner  der  Zeiten"  oder  ..der 
Messende";  die  Ägypter  nannten  ihn  sol-ha  =  Teiler  der  Zeit,  und 
überall  finden  sich  spezielle  Einrichtungen  der  Kalender,  die 
Teilungen  der  Monate  in  gewisse  Fristen,  Wochen  u.  dergl.  an  seine 
Bewegung  geknüpft. 

Die  fortschreitende  Kultur  und  vor  allem  der  Ackerbau  ließen 
aber  bald  hie  und  da  das  Literesse  an  dem  Sonnenjahre  hervortreten. 
Das  Sonnenjahr  wurde  nun  entweder  das  Hauptzeitmaß,  oder  man 
trachtete  —  und  dies  ist  bei  der  Überzahl  der  Nationen  der  Fall 
gewesen  —  die  wiederkehrenden  Jahreszeiten  mit  dem  Mondjahre  zu 
verbinden.  Allein  das  eine  wie  das  andere,  die  Ermittlung  der  Länge 
des  Sonnenjahrs  sowohl,  wie  der  Übergang  auf  das  gebundene  Mond- 
jahr, muß  den  alten,  noch  auf  den  unteren  Stufen  der  Zeitmessung 
stehenden  Völkern  große  Schwierigkeiten  bereitet  haben.  Ein  erster 
roher  Begriff  von  der  Länge  des  Sonnenjahrs  stellte  sich  ein  durch 
die  Abweichung  des  zwölf  monatlichen  synodischen  Mondjahrs  von  den 
Jahreszeiten;  man  konnte  daraus  konstatieren,  daß  das  Sonnenjahr 
etwas  länger  sein  müsse  als  das  Mondjahr.  Die  nähere  Kenntnis 
dieses  Überschusses  ließ  sich  nur  durch  astronomische  Beobachtungen 
ermitteln.  Die  roheste  Beobachtungsart  war  wohl  folgende:  Man 
merkte  von  einem  höher  gelegenen  Punkte  aus  auf  die  Orte  der 
Sonne  am  Horizonte.  Durch  Markieren  dieser  Orte  (etwa  auf  einem 
horizontal  liegenden  Steine)  am  Beobachtungspunkte  sah  man  in  kurzer 
Zeit,  daß  der  Ort  des  täglichen  Sonnenaufgangs  sich  allmählich  nach 
Norden  verschob,  zum  Stillstand  kam,  darauf  nach  Süden  wanderte, 
wieder  zum  Stillstehen  gelangte,  und  dann  wieder  nach  Norden 
zurückkehrte.  Die  Zwischenzeit  zwischen  je  zwei  Eückkehrzeiten 
gab  die  ungefähre  Länge  des  Jahres.  So  beobachteten  die  alten 
Peruaner  die  Sonne  von  dem  Steine  Int'i-hnatana.  die  Mexikaner  von 
den  Höhen  ihrer  TeocaUis]  auch  mehrere  der  siebenstufigen  Tempel- 
türme und  Terrassen  der  Babylonier  zu  Babylon,  Borsippa,  Sakkära, 
vielleicht  besonders  der  dem  Manhd-  (Gott  der  Morgensonne  und  der 


68  Die  Zeitelemeute  und  ihre  historische  Entwickhxng. 

Frülijalirssonue  1)  geweihte  Tempel  i!;>Yr///7  (=  hochragendes  Haus)  mit 
seinem  Turm  E-temen-an-Vi  (=  Haus  des  Fundamentes  des  Himmels 
und  der  Erde)  haben  jedenfalls  Beobachtuugszwecken  gedient.  Bei 
der  Schwierigkeit,  die  Sonne  durch  längere  Zeit  mit  freiem  Auge  ver- 
folgen zu  können  -,  mußte  die  resultierende  Länge  des  Jahrs  nur  eine 
ungefähre  sein.  Mehr  Sicherheit  ließ  sich  erst  mit  der  Aufstellung 
der  Gnomone  erlangen,  aus  deren  Schattenlänge  man  den  Tag  des 
kürzesten  Schattens  konstatierte;  die  Zwischenzeit  zwischen  je  zwei 
solchen  Tagen,  aus  möglichst  vielen  Jahren  abgeleitet,  gab  die  Jahres- 
länge auf  den  Tag  sicher  (365  Tage).  Allein  diese  Methode  erfordert 
schon  Erfahrungen  im  astronomischen  Messen,  bedarf  auch  der  Auf- 
lösung einer  Dreiecksaufgabe  •',  kommt  also  erst  für  die  rechnerisch 
und  astronomisch  weiter  fortgeschrittene  Zeit  in  Betracht  und  nicht 
für  die  Epoche  der  Anfänge  der  chronologischen  Elemente. 

Das  gebundene  Mondjahr  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  erst  dann 
mit  Zuverlässigkeit  herstellbar,  wenn  nicht  allein  das  synodische 
Mondjahr,  sondern  auch  die  Länge  des  tropischen  Sonnenjahrs  hin- 
reichend genau  bekannt  sind.  Die  Länge  des  synodischen  Mondjahrs 
war  nicht  allzu  schwer  zu  erkennen,  dagegen  mußte  die  Feststellung 
der  Länge  des  tropischen  Sonnenjahrs  großen  Schwierigkeiten  be- 
gegnen ;  die  Beobachtung  der  (ebenfalls  schwierig  verfolgbaren)  helia- 
kischen  Auf-  und  Untergänge  der  Hauptsterne,  in  welchen  man 
vielleicht  ein  Mittel  zur  Lösung  der  Frage  zu  finden  vermeinte, 
leitete  eher  zur  Erkenntnis  des  siderischen  Jahrs  als  des  tropischen. 
Wir  müssen  deshalb  aus  der  ethnologischen  Entwicklung  dieser  Dinge 
den  Schluß  ziehen,  daß  auch  das  Schaltungsverfahren  in  jenen  Zeiten 
noch  ein  sehr  unsicheres  und  darum  schwankendes  gewesen  ist;   man 


1)  Hiezu  ist  zu  erinnern,  daß  in  der  späteren  Zeit  in  Babylonien  das  Neujahr 
mit  der  Frühlings-Tag-  und  Naehtgleiche  (Nisannu)  begann  und  daß  das  Neujahrs- 
fest {alcitn)  durch  mehrere  Tage  mit  großen  Feierlichkeiten,  Prozessionen  u.  s.  w. 
vom  Mm-cZ!<Ä;-Tempel  aus  seinen  Ausgang  nahm. 

2)  Diese  Schwierigkeit  bildete  bis  ins  Mittelalter  hinaiif  das  Haupthindernis 
für  die  Erkenntnis  der  wahren  Sonnenbewegung.  Die  alten  Astronomen  behalfeu  sich 
damit,  die  Sonne  entweder  nur  bei  ihren  Auf-  und  Untergängen  zu  beobachten 
oder  •  reflektierte  Sonnenbilder,  die  man  in  mit  Öl  und  Wasser  gefüllten  Becken 
herstellte,  zu  benutzen.  Letzteres  Mittel  verwendeten  die  griechischen  und  römischen 
Priester,  selbst  noch  die  arabischen  Astronomen.  Später  verwendete  man  Diopter 
mit  feiner  kreisffirmiger  Öffnung.  Zu  Keplers  Zeiten  noch  bedienten  sich  die 
Astronomen  solcher  Platten  bei  Sonnenbeobachtungen,  besonders  bei  Sonnenfinster- 
nissen. Dann  kam  man  auf  die  Methode,  das  Sonnenbild  in  einer  verfinsterten 
Kamera  auf  weißem  Papier  aufzufangen;  Moestlin  (1579  n.Chr.)  scheint  der  erste 
gewesen  zu  sein,  der  auf  diese  Art  beobachtete.  Mit  der  Entdeckung  der  Sonnen- 
flecke (1611)  kamen  dann  die  Projektionsapparate  und  die  farbigen  Gläser  zur 
Abbiendung  der  Sonne  auf. 

3)  Die  Verwendung  des  Gnomons  für  obigen  Zweck  setzt  auch  schon  eine 
ungefähre  Kenntnis  der  geographischen  Breite  des  Beobachtungsortes  voraus. 


i^  lö.    Mund-  niid  SoniU'iijiilir.    Ausglcioluiii^^    Scliiiltjiilir.     Ifundjalir.         69 

vermochte  nur  durch  Versuche  (empirisch)  zum  Ziele  zu  gelang-en.  Die 
Chinesen  (die  man  doch  als  eines  der  ältesten  Kulturvölker  hinstellt) 
rechneten  bis  ins  7.  Jahrh.  n.  Chr.  mit  einer  gleichmäßig-en  täglichen 
Bewegung  der  Sonne  und  vermochten  (wohl  eine  Folge  ihrer  Ab- 
geschlossenheit) durch  Jahrhunderte  hindurch  ihr  Lunisolarjahr  nicht  zur 
genügenden  Cbereinstimmung  mit  dem  Himmel  zu  bringen.  In  Ägj-pten 
haben  die  Könige  durch  Veränderung  der  Schaltung  ein  zutreffenderes 
tropisches  Jahr  herzustellen  versucht,  als  vermutlich  die  Priester  zu  geben 
imstande  waren,  denn  späterhin  mußten  die  Könige  bei  ihrer  Krönung 
den  Schwur  leisten,  daß  sie  keine  Schaltungen  vornehmen  würden ^ 
In  der  Entwicklungsperiode  des  Jahrs,  von  der  hier  die  Rede 
ist,  scheint  nun  das  Sexagesimalsystem ,  das  sich  von  Bab^ionien  aus 
über  Vorderasien  verbreitete  und  in  seinen  Spuren  bis  nach  Indien 
und  China  reicht,  einen  entscheidenden  Einfluß  auf  das  Zeitrechnungs- 
wesen geäußert  zu  haben.  Es  ist  nämlich  auffallend,  daß  in  ganz 
Vorderasien  und  in  Ägypten  das  Sonnenjahr  zu  360  Tagen  mit  5 
angehängten  Ergänzungstagen  (Epagomenen)  gerechnet  wird.  Von 
einem  360tägigen  Jahre,  zerfallend  in  18  Abschnitte  zu  20  Tagen 
mit  angehäugten  5  nemontemi,  haben  wir  außerdem  Nachricht  bei 
den  Zentralamerikanern;  die  vedischen  Schriften  der  Inder  kennen 
überhaupt  nur  das  360tägige  Jahr,  und  Hinweise  auf  ebendasselbe 
linden  sich  bei  den  Chinesen.  Merwürdig  ist,  daß  die  5  Ergänzungs- 
tage überall  eine  unheilvolle,  ungünstige  Bedeutung  haben;  die 
5  nemontemi  der  Mexikaner  haben  denselben  schlechten  Ruf  wie  die 
5  Epagomenen  der  Ägypter.  Daß  man  wirklich  nach  einem  nur 
360  Tage  dauernden  Sounenjahre  gerechnet  hätte,  führt  zu  schweren 
Ungereimtheiten,  denn  schon  im  Verlauf  eines  Menschenlebens  würde 
ein  solches  Jahr  alle  Jahreszeiten  durchlaufen  haben,  und  würde  in 
jeder  Hinsicht  als  unbrauchbar  befunden  worden  sein.  Dagegen  wird 
die  Abtrennung  der  5  Ergänzungstage  von  einem  365tägigen  Jahre 
erklärlich,  wenn  man  annimmt,  daß  man  in  der  Epoche,  wo  die  Länge 
des  Jahres  noch  nicht  endgültig  festgelegt  war,  mit  den  A^ersuchen 
und  den  Schaltungen  unter  dem  Einflüsse  des  Sexagesimalsystems  von 
einem  360tägigen  Jahre  ausging.  Diese  Jahrform  werde  ich  im 
folgenden  ein  Rund  jähr  nennen.  Ein  solches  Rundjahr  hatte  den 
Vorteil,  daß  man  es  in  12  Monate  zu  30  Tagen  zerlegen,  die  5  Tage 
anhängen   und   dabei  dem  sexagesimalen    Prinzip  genügen  konnte-; 


1)  Bei  den  Babylonieni  wurden  im  3.  Jahrtausend  v.  Chr.  noch  die  Schaltungen 
je  nach  Bedarf  auf  Befehl  der  Könige  vorgenommen  {Hammurabi). 

2)  Bei  den  Babyloniern  nehmen  die  fünftägigen  Fristen  (liamustu)  in  der 
Unterabteihmg  des  Monats  eine  wichtige  Stelle  ein;  6  solcher  Perioden  geben  den 
öOtägigen  Monat,  72  =  6  ■  12  ein  Eundjahr,  73  =  6  ■  12  -(-  1  =  ein  Sonnenjahr 
von  365  Tagen. 


70  Die  Zeitelemeute  und  ihre  liistorisclie  Entwicklung. 

das  Euiidjahr  gestattete  aber  auch,  leichter  die  Schaltungsverhältnisse 
zum  siderischen,  synodischen  Mondjahre  übersehen  und  bilden  zu 
können  1.  Das  Eundjahr  stellte  also  ein  theoretisches  Jahr  vor,  von 
welchem  man  bei  der  Feststellung  der  Verhältnisse  der  verschiedenen 
Jahrformen  zu  einander  ausging.  In  die  Praxis  trat  es  nur  in  ver- 
einzelten Fällen  über,  namentlich  dort,  wo  es  eine  bequeme  Basis  zur 
•Rechnung  abgeben  konnte;  wir  linden  das  360tägige  Jahr  als  Ver- 
rechnungsjahr  in  der  Inschrift  von  8iut  und  in  den  Texten  von 
Telloli,  wo  der  Monat  durchaus  zu  30  Tagen  gerechnet  wird,  wieder; 
die  36  Dekaden  der  Ägypter  beruhen  ebenfalls  darauf.  Selbst  in  der 
Gegenwart  verrät  es  noch  eine  Spur,  da  unsere  Kaufleute  bei  gewissen 
Usancen  den  Monat  nur  zu  30  Tagen  rechnen. 


§  16.    Die  Moudstatioueii. 

Die  Mondstationen  gehören  zum  ältesten  Bestände  der  chrono- 
logischen Zeitelemente.  Schon  in  der  Zeit,  da  man  den  siderischen 
Mondmonat  erkannte,  trat  die  Notwendigkeit  hervor,  den  allmonatlichen 
Weg  des  Mondes  am  Himmel  irgendwie  für  das  Gedächtnis  festzulegen. 
Da  der  Mond  von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  durch  dieselben  Stern- 
bilder geht,  so  mußte  man,  um  den  täglichen  Aufenthaltsort  des 
Mondes  unter  den  Sternen  zu  charakterisieren,  für  die  ganze  Dauer 
seiner  sichtbaren  Phasen  27  oder  28  Himmelsgegenden  mit  Namen 
benennen;  diese  Himmelsgegenden  führen  die  Gesamtbezeichnung 
Mondhäuser  oder  Mondstationen.  Der  Weg  des  Mondes  liegt 
im  allgemeinen  in  der  Nähe  der  Ekliptik;  vom  Äquator  kann  er  sich 
weiter  als  die  Sonne,  bis  zu  28*^  südlich  und  nördlich  von  demselben, 
entfernen.  Da  man  für  jeden  Tag  des  ,.lichten"  Monats,  d.  h.  während 
der  etwa  27  Tage  fassenden  Periode  vom  Sichtbarwerden  der  ersten 
Sichel  bis  zum  Verschwinden  der  letzten  vor  dem  Neumond,  eine 
Station  angeben  wollte  und  letztere  durch  besonders  helle  Sterne 
leichter  kenntlich  zu  machen  suchte,  kam  man  zur  Aufstellung  von 
von  27  oder  28  Mondstationen,  die  anfänglich  ziemlich  regellos  nördlich 
und  südlich  vom  Äquator  lagen  und  in  sehr  ungleichen  Intervallen 


1)  Bei  den  Indern  der  nachvedischen  Periode  finden  wir  verschiedene  Jahi'es- 
arten  zu  monatlich  27,  29,  30  und  30'/.,  Tagen  (s.  §  78).  Aus  diesen  Jahren  bilden 
die  Inder  ein  fünfjähriges  yuga  von  1880  Tagen,  in  welchem  sich  die  genannten 
Jahresurten  alle  unterbringen  lassen.  Man  bemerkt  aber,  daß  das  yuga  auf  sexa- 
gesimalem  Aufbau  beruht:  1830  Tage  =  5  liundjahre  -j-  1  Kundnionat,  oder  ^^ 
61  Rundmonate.  —  Dii'  Übergänge  vom  siderischen  Mondmonat  (27  Tage)  auf  das 
Rundjahr  hat  C.  F.  Lehmann  (Ztvei  Hauptprobleme  der  altoricnt.  Chronul,  Leipz. 
1898,  S.  197)  entwickelt,  indem  er  von  einer  uddu  {uddann)  genannten  babylonischen 
Zeiteinheit  (vermutlich  ^/jgo  des  siderischen  Monats)  ausging. 


§  16.    Die  Mondstationeii.  71 

einander  folgten.  Diese  Mondstationen  sind  nns  durch  die  Tradition 
besonders  bei  drei  Nationen,  den  Indern,  Chinesen  und  Arabern, 
zweifelfi'ei  nachgewiesen.  Bei  den  Indern  heißen  sie  nah-^hatifi 
(ursprünglich  nur  in  der  Bedeutung-  „Stern",  erst  in  den  Brahmana- 
Texten  als  Stationen  des  Mondes);  die  vedischen  Schriften  kennen 
vorzugsweise  27  nakshatra,  das  28.  ahhijit  entstand  später,  wahr- 
scheinlich mit  der  genaueren  Kenntnis  der  Länge  des  siderischen 
Monats.  Die  nalshatra  wurden  für  die  indische  Zeitrechnung  von 
größter  Wichtigkeit,  da  sich  bald  an  das  Erscheinen  des  Vollmondes 
in  den  Mondhäusern  die  Opferzeiten  knüpften,  aus  diesen  Zeiten  aber, 
und  zwar  zum  Teil  mit  Beibehaltung-  der  nal-shatra-^2im&i\,  die  alten 
Mondmonate  hervorgingen  (s.  ;^  76,  77,  80,  95).  Bemerkenswert  für 
die  Entwicklung  der  nal-shcdra  bei  den  Indern  ist,  daß  die  Mond- 
häuser in  ungleichen  Intervallen  und  in  gleichen  auftreten ;  das  erstere 
Sj^stem  ist  aber  sehr  wahrscheinlich  das  viel  ältere;  man  ging  erst  später 
zu  gleichen  Intervallen  über.  —  Die  Chinesen  kennen  die  Mond- 
stationen unter  dem  Namen  ^h(  (=  eine  Nacht,  während  einer  Nacht, 
Domizil).  Obwohl  sich  nach  A.  Webee  die  suc  in  der  chinesischen 
Literatur  nicht  über  250  v.  Chr.  zurückverfolgen  lassen  (und  erst 
während  der  iJfn« -Dynastie  bestimmter  auftreten),  so  ist  doch  ander- 
seits, im  Hinblick  auf  die  Un Vollständigkeit  der  alten  astronomisch- 
chronologischen  Literatur  (vieles  ging  bei  der  Bücherverbrennung  im 
3.  Jahrb.  v.  Chr.  zugrunde)  nicht  zweifelhaft,  daß  die  Mondstationen 
auch  in  China  sehr  alten  Ursprungs  sind  (s.  §  133).  —  Die  Araber 
nennen  die  Mondstationen  menäzil  (Sing,  maiml).  Bei  ihnen  reichen 
die  Stationen  vielleicht  in  eine  weniger  zurückliegende  Zeit  hinauf, 
kommen  aber  nach  Homseel  schon  in  der  altarabischen  Poesie  vor  ^ ; 
Speengek  versuchte  nachzuweisen,  daß  die  Mondstationen  von  den 
vorislamischen  Arabern  zur  Bestimmung  der  Zeit  des  Pilgerfestes 
gebraucht  wurden,  und  ALBiErNi  berichtet  uns,  daß  die  alten  Araber 
sich  bei  den  Schaltungen  der  Monate  nach  den  Auf-  und  Untergängen 
der  Mondstationen  gerichtet  hätten  (s.  §  51  und  52).  —  Die  Identi- 
fizierung der  Sterne,  welche  die  einzelnen  Mondhäuser  zusammen- 
setzen, ist  für  die  indischen,  chinesischen  und  arabischen  Stationen  von 
Le  Gentil,  Colebeooke,  J.  B.  Biot,  Bitegess,  A.  Webee,  O.  Schlegel, 
HoMMEL  u.  a.  vorgenommen  worden.  Ich  setze  hier  die  aus  den 
gleichen  Sternen  bestehenden  Stationen  resp.  die  parallelen  neben- 
einander : 


1)  lu  dieser  alten  Literatur  sollen  14  Stationen  und  zwar  1.  'dl-asarat\ 
3.  Plejaden,  4.  (al-clebarän) ,  6.  {al-gauzä) ,  7.  [al-dirä) ,  8.  {natra) ,  10.  ygabJia). 
11.  (al-Tiaräf^^  13.  (al-'aivivä) ,  14.  (simäk),  18.  (al-'akrab),  20.  (an-na'äm),  24.  (as- 
su'üd),  26/7.  (ad-daluni)  vorkommen. 


72 


Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwickhing. 


Manzil. 

1.  as-saratäni  oder  al- 
natli. 

ß  u.  7  Arietis. 

2.  al-butaiii    ^ Bäuchlein 
i^des  Widders)". 

a,  b,  c  Muscae. 

3.  at-tnraijä  (Plejaden). 

7]  Tauri. 

4.  al-daharän. 

u  &  y  8  b  Tauri. 

5.  al-hal'a. 

l  (p^  qp2  Oriouis. 

6.  al-han'a. 


7]  fi  r  7  I  Gremin. 

7.  ad-dirä'u. 

a  ß  Gemin. 

8.  an-natra. 

y  S  £  Cancri. 

9.  at-tarf   „Auge    (des 
Löwen)". 

I  Cancri,    X  Leonis. 

10.  al-gahha   ^Stirn   (des 
Löwen)". 

a  7]  y  t  Leonis. 

11.  as-suhra  „Mähne". 

d  9  Leonis. 

12.  as-sarfa  , Wende". 

ß  Leonis. 

13.  aVawwci  „die  kläffende 
(Hündin)". 

ß  7]  y  ö  h  Virginis. 

14.  as-smäk    „Höhe    des 
Himmels". 

cc  Virginis. 


Naksliatra. 

27.  äsvini  „Rosselenkerin". 

ß  u.  y  Arietis. 

28.  hliaram    „die   Weg- 
führende". 

a,  b,  c  Muscae. 

1.  Icrittikä  (Plejaden)  „die 
Verflochtenen". 

T]  Tauri. 

2.  rohini  „die  rote,  auf- 
steigende". 

cc  &  y  S  £  Tauri. 

3.  mrigasiras  „Haupt  des 
Rehs". 

1  cp^  (p.,  ürionis. 

4.  ärdrä  „  die  feuchte " 
(Arm,  Vorderbein  des 
Rehs). 

a  Orionis. 

5.  imnarvasii    „wieder 
gut"  >. 

a  ß  Gemin. 

6.  imshya  „Heilgestirn". 

y  d  ^  Cancri. 

7.  äiilesha  „die  Umschlin- 
gende". 

8  S  a  7}  (j  Hydrae. 

8.  magliä  „die  mächtige". 

a  7]  y  ^  yb  t  Leonis. 

9.  pnrva-plidlguni  „vordere 

l^hälg^ 
ö  &  Leonis. 

10.  uttara-]^hälgum 
„äußerer  pJiälg."^ 

93,  ß  Leonis. 

11.  hastä  „Hand". 

S  y  i-  cc  ß  Corvi. 

12.  chiträ  „die  wunder- 
same". 

cc  Virginis. 


Sin. 

16.  leu  „Schnitterin". 

a,  ß,  y  Arietis. 

17.  wei  „Kornbehälter 
(Bauch,  Magen)". 

a,  b,  c  Muscae. 

18.  mao  „untergehende 
Sonne  "(auch  „Himmels- 
weg"). 

7]  Tauri. 

19._  pi  „Jagdnetz". 

cc  &  y  S  £  Tauri. 

20.  tsui  „Mund  (o.  Kopf  des 
Kriegers)". 

l  qPi  (p-2  Orionis. 

21.  tsan  „der  Erhabene". 


ußyS£^7}ii  Orionis. 

22.  tsing  „Brunnen". 

li  V  y  ^  l  ^  £  Gemin. 

23.  Jcui    „die    Manen    (Ge- 
spenster)". 

y  S  7]  &  Cancri. 

24.  Heu    „Weide"    oder 
„Bambus". 

d  £  ^  &  Q  a  CO  Hydrae. 

25.  sing  „Stern". 

a  T  Hydrae. 

26.  tschang  „Fangnetz". 

V  V  cp  ^  l  K  Hydrae. 

27.  iji  „Flügel". 

cc   Crater.    (u.    21  Sterne 
des  Bechers  u.  der  Hydra). 

28.  tschin  „AVagen". 

y  £  S  ß  7]  Corvi. 

1.  Jcio  „Hörn"  (des  blauen 
Drachen). 
a  Virginis. 


1)    Vom  Wetter   (meteorologisch   resp.   astrologisch,   wie  mehrere  andere  der 
nakshatra). 


§16.    Die  ^londsttitioiien. 


73 


Mauzil. 

lö.  al-gJinfr  „Decke". 

i  ■K  X  Virgin. 

16.  az-zuhünay  (Scheren  d. 
Skorpions)  ^ 

u  ß  Librae. 

17.  al-iklil  ,K^one^ 

ö  7t  ß  Scorpii. 

18.  al-kalh  ^Herz  (des  Skor- 
pions)". 

a  Scorpii. 

19.  aS-sliaula    „Schwanz 
(des  Skorpions;". 

l  V  Scorp. 

20.  an-na'äjim    „die 
Strauße". 

y  6  h  7]  f  t  l  Sagitt. 

21.  al-haldäh   „Land,    Ge- 
gend"    (Sternenleere 
Stelle  bei  it  Sagitt.). 

22.  sa'd  ad-däbih  „ Glücks- 
stern d.Schafschlächters". 
u  ß  Capric. 

23.  SftVZ  hiüa'  „Glücksstern 
d.  A^erschlingers". 

s  {L  V  Aquarii. 
2-1.  sa'd  as-su'üd  „Glücks- 
stern der  Glückssterne". 
ß  ^  Aquarii. 

25.  sa'd  al-alihija  „Glücks- 
stern der  Zelte"  (ver- 
borgenen Orte). 

a  y  ^  1]  Aquarii. 

26.  al-fargh   al-awwal 
„erster    Henkel    (des 
Schöpfeimers)". 

a  ß  Pegasi. 

27.  al-fargh- altäiii  „zweiter 
Henkel". 

y  Pegas.     u  Androm. 

28.  hatn  al-Mt  „Bauch  des 
Fisches". 

ß  Androm. 


Nakshatra. 

13.  svuti  (Halsband, 
Schwert;  ? 

a  Bootis. 

14.  visükliä    „die    zweizin- 
kige,  gabelförmige". 

L  y  a  ß  Librae. 

15.  anurädhä    „die  heil- 
bringende, günstige". 

S  Tt  ß  Scorpii. 

16.  jyeshthd  (?) 

aar  Scorp. 

17.  mülam  „Wurzel". 

hXiirid'iycv  Scorp. 

18.  ptirva-shädhäs  „die  \ov- 
deren  unbesiegten". 

ö  f  Sagittarii. 

19.  nttara-shädhäs    „die 
äußeren  unbesiegten". 

a  ^  Sagitt. 

20.  ahhijit  „siegreich". 

a  f  J  Lyrae. 

21.  sravana  „lahme  Kuh". 

cc  ß  y  Aquilae. 

22.  sravishtliä    „die   ruhm- 
reichste". 

ß  cc-  y  ö  Delphini. 

23.  mtabJüshaj  (?) 


X  Aquarii. 

24.  pürva-hhädra-padäs 
„heilbringende  Füße  ha- 
bend" (vorderer  hhäd.). 

u  ß  Pegasi. 

25.  nttara-hhädra-padäs 
(hinterer  hhädrapX 

y  Pegas.     cc  Androm. 

26.  rcvati  „die  reiche".     ., 

J  Piscium. 


Siu. 

2.  kang    „Hals"    (des 
Drachen  . 

i  y.  X  IL  Virgin. 

3.  ti  „Grund"    'Brust   des 
blauen  Drachen;. 

a  ß  y  V  Librae. 

4.  fang  „Haus". 

d  n  ß  Q  Scorpii. 

5.  sin  „Herz"  (des  blauen 
Drachen). 

aar  Scorp. 

6.  wi  „Schwanz"    (des  bl. 
Drachen). 

b%^LT]&tv.v  Scorp. 

7.  ki  „Mistgefäß". 

y  S  fc  Sagitt.     ß  Telesc. 

8.  teil  „Scheffel". 

a  X  (p  X  6  ^  Sagitt. 

9.  niu     „Ochs"     (Ochsen- 
schlächter). 

cc  ß  i,  Capric. 

10.  nu   „Jungfrau"    (Hoch- 
zeit). 

h  [i  V  Aquarii. 

11.  hiu  „Grabhügel". 

ß  Aquar.     cc  Equulei. 

12.  wel  „Giebel". 


a  Aquar.     e  &  Pegasi. 
13.  tscM  „Feueraltar". 


cc  ß  Pegasi. 

14.  pi  „Mauer". 

y  Pegas.     cc  Androm. 

15.  tili  „Sandal"  {tien-tschi 
Himmelsschwein). 

ri^iES7tv\Lß  Androm. 
a  X  V  (p  %  t\>  Piscium. 


1)  Der  arabische  Name  hängt  mit  dem  babylonischen  zibaniht,  „Wage"  zu- 
sammen; letzteres  erlangte  die  Bedeutung  „Scheren  des  Skorpions"  erst,  als  die 
Araber  der  Abbasidenzeit  mit  dem  Ahnagest  bekannt  wurden. 


74  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwicklung. 

Die  diesem  Werke  beigegebene  Karte  zeigt  die  Lage  der  Stationen 
am  Himmel  für  die  Zeit  4000  v.  Chr.  Sie  gründet  sich  auf  die 
Sternpositionen  der  Tafel  I.  Die  arabischen  Mondhäuser  sind  darin 
mit  [1]  [2]  [3]  .  .  .  .,  die  indischen  mit  I,  II,  III  ...  .,  die  chine- 
sischen mit  1.  2.  3  ...  .  bezeichnet.  Wie  man  aus  dieser  Karte 
und  aus  der  vorstehenden  Übersicht  der  mcmzU,  naJishatra  und  cs;^^ 
ersieht,  stimmt  die  größere  Zahl  der  Stationen  in  der  Wahl  der 
Sterngegenden  und  der  Sterne  gegenseitig  überein,  wie  z.  ß.  gleich 
die  ersten  5  manz'il  mit  den  parallelen  nalxshatra  und  siu:  manche 
Stationen  sind  nur  Erweiterungen  der  parallelen,  wie  die  chinesische 

21.  tsüu,  welche  die  indischen  4.  ärdrä,  3.  mrigasiras  und  die 
arabische  5.  al-hak'a,  die  sich  nur  auf  den  Kopf  des  Orion  beziehen, 
durch  ein  über  dieses  ganze  Sternbild  reichendes  Mondhaus  ergänzt. 
Manche  bevorzugen  ein  und  dieselben  Sterngegenden,  obwohl  sich  auf 
dem  Durchschnittswege  des  Mondes  auch  Sterne  hätten  finden  lassen, 
die  diesen  Weg  besser  bezeichnen.  Anderseits  finden  auffällige  Ab- 
weichungen statt,  z.  B.  die  südliche  Lage  der  chinesischen  Stationen 
24.  Jieu,  25.  sing,  26.  tschang,  27.  yi  und  28.  tsckin  in  der  Hj^dra 
und  im  Raben  abweichend  von  den  ihnen  parallelen  arabischen  und 
indischen,  sowie  die  abirrende  Position  der  indischen  26.  revaii  und 
23.  satahhishaj  in  den  Fischen  und  im  Wassermann  von  den  be- 
nachbarten arabischen  26.  27.  28.  im  Pegasus  und  der  Andromeda; 
ferner   die   abweichenden   indischen   Häuser   21.  sravana  (Adler)  und 

22.  dravislithä  (Delphin)   gegen   die   arabisch  -  chinesischen  22.   9   und 

23.  10.  Ganz  besonders  merkwürdig  liegen  die  indischen  Mondhäuser 
20.  ahhijit  (Wega)  und  13.  sväü  (Arktur),  die  sich  weitab  vom  Wege 
des  Mondes  befinden.  Eine  gewisse  Übereinstimmung  ist  trotz  der 
genannten  Abweichungen  zwischen  den  indischen,  chinesischen  und 
arabischen  Stationen  nicht  zu  verkennen.  Hätte  jedes  dieser  drei 
Völker  die  Mondstationen  selbständig  aufgestellt,  so  würden  die  zu- 
sammengefaßten Sterngruppen  keine  solche  räumliche  Trennungen  von- 
einander aufweisen,  sondern  die  verschiedenen  Stationen  würden  mehr 
durcheinander  liegen  und  viel  weniger  koinzidieren,  da  hellere  Sterne 
genug  auf  dem  Mondwege  vorhanden  sind.  Betreffs  der  Inder  kommt 
noch  der  Umstand  hinzu,  daß  die  alten  Schriften  derselben  zwar  die 
27  (28)  nalshatra  kennen,  aber  sonst  nur  sehr  wenige  Sterne  des 
Himmels,  daß  sie  also,  im  (jegensatze  zu  den  Chinesen  und  Arabern, 
eine  auffällige  Kenntnislosigkeit  des  Sternhimmels  verraten.  Man 
hat  deshalb  schon  bald  nach  Colebeooke  eine  Entlehnung  der  Mond- 
stationen von  einem  Volke  zum  andern  angenommen ;  Biot  wollte  die 
Stationen  allein  den  Chinesen  zuschreiben  (die  Stationsreihe  habe 
anfänglich  nur  24  Glieder  gehabt),  von  welchen  sie  mit  Mißverständ- 
nissen zu  den  Indern  übergegangen  sei ;  Max  Müllee,  Lassen,  Burgess 


ij  16.    Die  Mondstationen.  75 

suchten  dagegen  den  indischen  Ursprung  zu  s-erteidigen.  A\'eit  nielir 
Interesse  als  diese  Kontroversen  hat  gegenwärtig  die  von  A.  Weber 
näher  begründete  Hypothese  eines  gemeinsamen  Ursprungs  der 
Mondstationen  (welcher  Ansicht  später  auch  Whitney  in  der  Haupt- 
sache beitrat;  Sedillut  nahm  ein  Vorhandensein  der  ]\[ondstationen 
bei  allen  orientalischen  alten  Völkern  und  eine  spätere  Bevorzugung 
des  arabischen  Sj^stems  in  Indien  und  China  an). 

A.  Webek  führte  (1860)  für  seine  Vermutung  eines  ursprünglichen 
Mondstationenkreises  bei  den  westasiatischen  Völkern  hauptsächlich 
drei  Gründe  an :  Die  Harraniter  ^  feierten  nach  einer  Angabe  aus  dem 
Fihrisf  des  Ennedhn  am  27.  Tage  des  Mondmonats  ein  Neumondfest, 
indem  sie  an  diesem  Tage  dem  Monde  Opfer  brachten;  ferner  sind 
27  tägige  Fasten  zu  Ehren  des  Mondes  bezeugt.  Durch  den  siderischen 
Monat  und  den  27tägigen  Kultus  scheine  die  Existenz  der  27  ]\[ond- 
stationen  bei  den  Harranitern  angedeutet.  Die  zweite  Beziehung  fand 
Weber  in  der  Schriftstelle  des  Alten  Testaments,  wo  (II.  Buch  der 
Könige  23,  5)  von  Josias  gesagt  wird,  dieser  habe  „die  Eäucherer  des 
Baal,  der  Sonne  und  des  Mondes  und  der  mazzalot  und  alles  Heeres 
am  Himmel"  abgetan.  Unter  den  mazzalöt  kann  nur  eine  bestimmte 
Art  von  Sternen  gemeint  sein-,  diese  Bezeichnung  finden  wir  aber 
bei  dem  arabischen  manml  (Moudstatiouen)  wieder.  Das  dritte 
Moment  bildet  der  Hinweis  auf  die  Verbreitung  der  Mondstationen 
bei  den  Arabern  (Koran  X  5,  XXXVI  39)  ^  Als  Weber  seine  beiden 
grundlegenden  Abhandlungen  über  die  nakshatra  schrieb,  war  ihm 
noch  fraglich,  ob  die  Araber  unabhängig  zu  den  Stationen  gekommen, 
oder  ob  sie  dieselben  von  Indien  her  erhalten  haben.  Sicher  erschien 
nur,  daß  jene  Anordnung  der  menäzü,  welche  sich  zuerst  bei 
Aleerghaxi  (9.  Jahrh.)  vorfindet,  bestimmt  aus  Indien  herrührt.  Die 
milcshatra  zeigen  nämlich  eine  zweifache  Anordnung:  in  der  alten 
Zeit  (BräJimana  -  Zeit)  bildet  die  spätere  dritte  Station  kritt'ild 
(Plejaden)  immer  die  erste  und  den  Frühjahrspunkt  der  Eeihe 
(s.  §  77),   in  der  späteren  Zeit  ist  dagegen  28.  revafi  resp.  1.  äsrim 


1)  Harrän  in  Mesopotamien,   am  Belias,   ein   altes  Zentrum  des  Mondkultus. 

2)  Das  "Wort  maszalot  ist  sieber  auf  das  babylonische  manzaltu  ^Standort" 
(der  Sterngötter)  zurückzuführen.  Ob  damit  die  obige  Stelle  II  Kön.  23,  5  zu- 
sammengebracht werden  darf  und  die  bisweilen  zitierte  Job  38,  31 ,  scheint  nach 
ZniMERN  (s.  ScHEADER,  KeiUnsclir.  u.  alt.  Testam..  III;  Aufl.,  S.  628)  nicht  hin- 
reichend sicher. 

3)  X  5:  „Er  (Gott)  ist  es,  der  ....  den  Mond  eingesetzt  hat  zu  leuchten 
bei  Nacht,  und  seine  Stellungen  so  bestimmt  hat,  daß  ihr  .  .  .  die  Berechnung  der 
Zeit  wissen  könnt."  XXXVI  39:  „Und  dem  Monde  haben  wir  gewisse  Wohnungen 
bestimmt,  bis  daß  er  zurückkehrt  gleich  dem  Zweige  eines  Palmbaums*  Ver- 
gleich mit  dem  Abnehmen  des  Mondes;  der  Palmzweig  schrumpft  wie  der  Mond 
zusammen"). 


76  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwickhing. 

die  oberste.  Die  Reihe  bei  Alfeeghani  beginnt  nun  mit  der  Station 
saratän  (ß,  y  Arietis),  welche  identisch  mit  äsvim  (ß,  y  Arietis)  ist 
(s.  vorher  S.  72).  Weber  nahm  deshalb  an,  daß  die  28  menäzil  auf 
Indien  hinweisen.  Auf  Indien  als  Ursprungsort  weist  nach  Weber 
auch  ein  der  hebräischen  Literatur  angehörendes  Werk  von  MajarM 
(gest.  1004  n.  Chr.),  in  welchem  die  28  Stationen  mit  ihren  arabischen 
Namen  und  ihrer  Lage  im  Zodiakus  aufgeführt  werden,  wobei  sich 
der  Autor  vielfach  auf  die  Inder  beruft  (s.  auch  die  vorher  S.  71  von 
HoMMEL,  Speengee  uud  ALBiErNi  gegebenen  Nachweise).  Ferner 
scheinen  in  Iran  die  alten  Parsen  nach  einer  Stelle  im  Bundehesh 
(c,  2)  die  indische  äs'r Im -Reihe  bei  sich  aufgenommen  zu  haben ^. 
Diese  gegenseitigen  geographischen  Beziehungen  der  Mondstationen, 
sowie  die  angebliche  Gleichheit  der  längsten  Tagesdauer,  die  uns 
(trotz  des  geographischen  Breitenunterschiedes)  aus  Indien,  China 
und  Babylon  überliefert  ist  (s.  hierüber  §  79),  bestimmten  Weber 
schließlich  zur  Annahme  eines  gemeinsamen  Ursprungs  der  Mond- 
stationen und  Babyloniens  als  deren  Quelle.  „Wenn  wir  bedenken, 
daß  sich  die  Mondstationen  mit  geringen  Verschiedenheiten  ganz 
identisch  auch  in  China  und  Arabien  vorfinden,  und  daß  die  Annahme 
einer  Entlehnung  aus  Indien  großen  Schwierigkeiten  begegnet,  daß 
ferner  für  eine  solche,  in  ihren  Einzelheiten  doch  zum  Teil  will- 
kürliche Himmelsteilung  nicht  anzunehmen  ist,  daß  sie  selbständig  in 
drei  verschiedenen  Ländern  so  identisch  hergestellt  sein  sollte,  daß 
somit  eine  gemeinsame  Quelle  für  die  drei  Länder  sich  fast  als  eine 
Notwendigkeit  ergibt,  so  drängt  sich  die  Annahme,  daß  wir  diese 
gemeinsame  Quelle  in  Babylon  zu  suchen  haben,  von  selbst  auf." 
Seitdem  ist  durch  Kugler  der  Nachweis  geliefert  worden,  daß  die 
Dauer  des  längsten  Tages,  welche  uns  für  Babylonien  von  Ptolemäus 
überliefert  ist,   tatsächlich  aus  den  keilinschrif fliehen  astronomischen 


1)    ^ Auramazda   erschuf  zuerst   die  Himmelssphäre  und  die  Sterne,  jene  12, 

deren  Namen sind;  sie  sind  von  ihrem  Anfang  an  in  28  Haufen  (khürdak) 

geteilt  worden,  deren  Namen  sind: 

1.  padevar  8.  taraha 

2.  pcsh-parvts  9.  avra 

3.  parviz  10.  nahn 

4.  paha  11.  miyän 

5.  avcsar  12.  avdem 

6.  besn  13.  mäshäha 

7.  rakhvad  14.  spiir 

Diese  Pazend-Namen  sind  jedoch  sehr  entstellt,  die  entsprechenden  Pc/i^evi-Namen 
müßten  erst  ermittelt  werden.  Die  3.  Station  parviz  ist  sicher  ==  parvcn  (Plejaden), 
also  =  der  indischen  Irittikä.  Dann  würde  die  1.  Station  padevar  =  äsvini  sein, 
die  parsischen  Mondhäuser  würden  also  mit  derselben  Station  anfangen  wie  die 
späteren  indischen. 


15. 

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22. 

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16. 

srob 

28. 

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17. 

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18. 

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25. 

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19. 

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26. 

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20. 

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27. 

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21. 

(jau 

28. 

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i^  16.    Die  MoiidstatioiiL'ii.  77 

Tafeln  folgt,  womit  der  Schluß,  daß  diese  Tageslänge  von  den  Indern 
angenommen  worden  ist,  eine  weitere  Sicherung  gewonnen  hat.  Es 
müßte  nun  noch  ein  direkter  Nachweis,  daß  die  dreifache  Mond- 
stationenreihe in  Babylonien  ihren  Ursprung  nimmt,  geliefert  werden. 
Dieser  Beweis  ist  indessen  bisher  noch  nicht  erbracht.  Eppixg  glaubte 
zwar  etwa  28  Konstellationen,  die  man  auf  Planeten-  oder  Mond- 
stationen deuten  könnte  (die  Zahl  blieb  nicht  sicher),  in  den 
babylonischen  Tafeln  gefunden  zu  haben,  und  Ho.m.mels  Yergleichung 
dieser  Stationen  mit  den  arabischen  manz'il  läßt  allerdings  auf  das 
Vorhandensein  von  etwa  14  Sterngruppen  schließen,  die  in  der 
babylonischen  und  arabischen  Eeihe  identisch  sind;  allein  diese  Yer- 
gleichung ist  nur  eine  künstliche  und  wirkt  noch  nicht  überzeugend. 
Die  Voraussetzung,  daß  ursprünglich  nur  24  ]\Iondstationen  existiert 
hätten,  und  daß  diese  aus  dem  12 teiligen  Zodiakus  hervorgegangen 
seien,  ist  von  vornherein  als  sehr  unwahrscheinlich  abzuweisen.  Trotz 
dieses  negativen  Resultates  bleibt  aber  die  Hoffnung,  daß  der 
babj^lonische  Ursprung  der  Stationen  aus  inschriftlichem  Material 
noch  nachweisbar  sein  wird,  weiter  bestehen.  Der  Einfluß  der 
Kultur  Babj^loniens  war  in  Asien  ein  so  großer,  daß  er  sich  uns  noch 
in  diesen  Spuren  verraten  könntet 


r  Die  Entstehung  der  Mondstationen  müssen  wir  in  die  ersten  Zeiten  der 
Bildung  chronologischer  Elemente  setzen,  also  in  vorhistorische  Zeiten,  in  die  Periode 
der  Staatenbildungen  und  Völkerwanderungen.  In  jenen  Zeiten  können  schon  die 
Stationen  sich  in  Westasien  von  Babylonien  aus  verbreitet  haben.  Aber  auch  für 
die  alte  historische  Zeit  haben  wir  einige  Zeugnisse,  daß  Indien,  Arabien  und 
China  nicht  ohne  alle  Beziehungen  zu  Babylonien  geblieben  sind.  Der  Prophet 
Jesaia  (XLIII  14)  spricht  von  der  Schiffahrt  der  Chaldäer  auf  dem  persischen 
Golf.  Babylonier  hatten  sich  zu  Gerrha  :am  Westufer  des  pers.  Golfs  nieder- 
gelassen und  betrieben  Land-  und  Seehandel  nach  Babylon;  eben  von  dort  aus 
später  die  Phönizier  und  Sabäer  nach  Indien.  Von  Babylon  führten  alte  Handels- 
straßen nach  Medien,  Baktrion  und  China.  F.  Hieth  hat  aus  chiuesischen  Quellen 
nachgewiesen  {China  and  the  Roman  Orient.  1885),  daß  kommerzielle  Verbindungen 
zwischen  China  und  Babylon  seit  dem  1.  Jahrh.  v.  Chr.  bestanden,  seit  durch 
Tschang  Tschien  die  ersten  Nachrichten  von  dem  Lande  Tiaotschi  i^Babylonien 
nach  China  gelangt  waren.  Nach  diesen  Quellen  führte  eine  alte  Handelsstraße 
über  Ssn-pin  ;Ktesiphon)  A-man  (Ekbatana'  An-hsi  Parthien)  und  P'an-tu  ' Heka- 
tompylos^  nach  Zentralasien.  Die  Verbreitung  der  Mondstationen  in  Arabien  läßt 
sich  erklären  durch  den  Mondkultus,  der  in  ausgedehnter  Weise  in  West-  und 
Südarabien  betrieben  wurde,  wie  verschiedene  in  neuerer  Zeit  aufgedeckte  alte 
Kuhusstätten  lehren  (s.  §  52;.  Zu  Petra  in  Nordarabien  hatten  indische  Kauf  leute 
eine  Kolonie;  zu  Zeiten  der  römischen  Kaiser  war  dieser  Ort  ein  Hauptsitz  des 
indischen  Handels.  Für  den  ursprünglich  engen  Zusammenhang  zwischen  Persien 
und  Indien  sprechen  viele  Gründe.  Das  Altpersische  der  Keilschriften,  das  Alt- 
persische des  II.  Teils  des  Yasna  und  des  übrigen  Avesta  sind  mit  dem  Sanskrit 
so  verwandt,  daß  sie  fast  nur  Dialekte  einer  Sprache  genannt  werden  können. 
Eine  Reihe  von  Gottheiten,  Heldensagen,  religiöse  und  anderweitige  Gebräuche 
finden  sich  aus  Persien  in  Indien  wieder  (F.  Spiegel,  Avesta  I  5). 


78 


Die  Zeitelemente  und  ihre  liistoriscbe  Entwicklving. 


§17.    Der  Zodiakus. 


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i^  17.     D.T  Zodiakus.  79 

Der  Tierkreis  bildet  in  der  historischen  Entwicklung  des  Zeit- 
rechnungsAvesens  ein  ebenso  wichtiges  chronologisches  Element  wie  die 
■Mondstationen.  Wir  wollen  zuerst  die  Namen  seiner  12  Zeichen  kennen 
lernen,  welche  bei  den  Völkern  vorkommen,  deren  Zeitrechnung  uns 
in  diesem  Bande  hauptsächlich  beschäftigt.  Ich  setze  also  die  Tier- 
kreisbenennungen  der  Griechen,  Babylonier,  Araber,  Inder  (Sanskrit 
und  aus  dem  Griechischen  korrumpierte  Namen),  Parsen,  Javanen  und 
Chinesen  hier  an  (s.  nebenstehende  Tabelle);  betreffs  der  Namen  bei 
den  Ägyptern  verweise  ich  auf  die  Zeitrechnung  der  letzteren  §  31. 

Über  die  Bedeutung  und  den  Zweck  des  Tierkreises  hatte 
man  früher  die  Ansicht,  daß  die  Tierkreisbilder  und  die  Teilung  der 
Ekliptik  in  12  gleiche  Intervalle  miteinander  gleichzeitig  entstanden 
sein  müßten  und  aus  der  astronomischen  Notwendigkeit  hervorgegangen 
wären,  den  Weg  der  Sonne  und  der  Planeten  zu  bezeichnen.  Allein 
die  Erfindung  astronomischer  Kreise,  wie  der  Ekliptik,  kann  man 
nicht  in  die  Erstlingszeiten  der  Teilung  der  Zeit  legen.  Die  natürliche 
Entwicklung  fordert  vielmehr,  daß  man  zuerst  durch  Verbindung  von 
Sternen  in  den  Himmelsgegenden,  wo  sich  die  Planeten  vorzugsweise 
aufhielten,  Bilder  gestaltet  hat  und  allmählich  zu  einer  Teilung  der 
Ekliptik,  die  anfänglich  ungleich  war  und  später  erst  in  Dodeka- 
temorien  (12  gleiche  Abschnitte)  zerfiel,  übergegangen  ist.  Die  Stern- 
bilder Widder,  Stier,  Zwillinge  u.  s.  w.  liegen  in  ganz  ungleicher  Aus- 
dehnung hintereinander  (worauf  schon  Leteoxne  hingewiesen  hat) 
und  lassen  auf  allmähliche  Entstehung  schließen ;  man  hat  die  helleren 
Sterne  verbunden,  wie  man  sie  eben  vorfand,  später  wurden  die  größten 
Intervalle  mit  Bildern  aus  weniger  auffallenden  Sternen  besetzt.  Daß 
der  tägliche  Weg  der  Sonne  (die  Ekliptik)  in  der  Nähe  der  Bahnen 
liege,  welche  die  Planeten  am  Nachthimmel  zwischen  den  Sternen 
beschreiben,  konnte  erst  in  späterer  Zeit  erkannt  werden.  Den  eigent- 
lichen Ausgangspunkt  der  Himmelsteilung,  abgesehen  von  der  Formu- 
lierung der  vier  Himmelsgegenden  Norden,  Süden,  Osten,  Westen, 
bildet  der  Äquator.  Dieser  wurde  aus  dem  täglichen  Umschwung 
des  Himmels  schon  sehr  früh  erkannt ;  auf  ihn  beziehen  sich  die  ersten 
Teilungen.  Auch  die  36  Dekane  der  Ägypter  gingen  aus  der  Äquator- 
teilung hervor,  während  sie  in  der  späteren  Astrologie  durchaus  Teile 
der  Ekliptik  vorstellen.     Zur  Charakterisierung  der  Ekliptik  wurden 

die  Sternbilder  Widder ,  die  mehr  oder  weniger  zwischen  Äquator 

und  Ekliptik  herum  lagen,  erst  später  erhoben,  als  man  an  die 
Zwölfteilung  schritt.  Die  Teilung  nahmen  die  Alten  (mittelst  Wasser- 
messungen und  Wägungen,  wie  sie  Sextus  E^ipiricus  advers.  Astrol. 
V  23  für  die  Babylonier  beschreibt  i)  zuerst  am  Äquator  vor  (da  dabei 

1)  Diese  rohe  Methode  diente  überhaupt  zur  Messung  von  Bögen  am  Himmel. 
Den  Durchmesser  der  Sonne   z.  B.   bestimmte  man  auf  folgende  Weise.     Zur  Zeit 


80  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  EntwickUing. 

die  ekliptikalen  Teile  ung-leicli  lang"  ausg'efallen  sein  würden)  und 
gingen  von  da  auf  die  Ekliptik  über  (s.  Ideler,  Uh.  d.  Ursprung 
des  Tierh-elses  S.  17).  Daß  gerade  eine  Zwölfteilung  eingeführt 
wurde,  hat  nicht  nur  in  der  Übertragung  der  Zwölfteilung  des  Jahres 
auf  den  täglichen  Himmelsumschwung ,  sondern  auch  in  dem  vorder- 
asiatischen Sexagesimalsj^stem  seinen  Grund,  insbesondere  in  dem 
babylonischen  KAiS .  BU  d.  i.  der  Doppelstunde  des  Tages  (wie  Boll 
hervorgehoben  hat).  Die  Idee  der  Doppelstunde  konnte  aus  der  Be- 
obachtung entstehen,  daß  die  Sternbilder  längs  des  Äquators,  d.  h. 
hauptsächlich  die  Zodiakalbilder ,  unter  jeder  geographischen  Breite 
die  gleiche  Zeit,  etwa  6  Doppelstunden  (=  12'^=  ^2  Tag)  von  ihrem 
Aufgange  bis  zum  Untergänge  brauchten,  und  daß  auch  die  Sonne  zur 
Zeit  zweier  Hauptpunkte  des  Jahrs  (Frühjahr-  und  Herbstäquinoktium) 
6  Doppelstunden  über  und  unter  dem  Horizont  verweilte.  Ebenso  wie 
der  Tag  dann  von  den  Babyloniern  in  12  Doppelstunden  eingeteilt 
wurde,  so  teilten  diese  auch  den  Äquator  und  später  die  Ekliptik  in 
in  12  gleiche  Teile  zu  30''.  Auf  diese  Weise  wurde  der  KAS.BU 
auch  ein  Gradmaß  (s.  Zeitrechn.  d.  Babyl.  §  24),  Die  Doppelstunde 
treffen  wir  noch  völlig  deutlich  bei  der  Tagesteilung  der  Chinesen 
und  Japaner  an  (s.  §  128),  Spuren  dieser  Teilung  finden  sich  ander- 
orts  während  des  Altertums  mehrere.  Die  Tierkreisbilder  der  Baby- 
lomer  stellen,  wie  sie  uns  durch  Angabe  der  Sterne  auf  den  Denk- 
mälern entgegentreten,  ungleiche  Abschnitte  vor;  trotzdem  rechnen 
ihre  Astronomen  (d.  h.  die  späteren,  aus  deren  Zeiten  wir  Eechnungs- 
tafeln  besitzen)  mit  12  Intervallen  zu  30°  und  berücksichtigen  dabei 
die  ungleich  schnelle  jährliche  Bewegung  der  Sonne;  die  Monate 
werden  bei  ihnen  schon  in  der  ältesten  Zeit  durch  die  Tierkreisbilder 
charakterisiert  (s.  §  23);  bei  den  Indern  treten  die  12  Tierkreis- 
zeichen erst  in  einer  späteren  Epoche  der  Kultur,  und  zwar  sofort  als 
gleichteilige  Dodekatemorien  auf  (s.  §  81),  sind  also  wahrscheinlich 
einer  Entlehnung  zuzuschreiben,  um  so  mehr,  da  den  Tierkreiszeichen 
in  ihrem  Kalender  eine  weit  weniger  wichtige  Stelle  als  den  Mond- 
stationen zukommt. 

Auch  die  Ansichten  über  das  Ursprungsland  und  die  Ver- 
breitung  des   Tierkreises   haben  in  der  neueren  Zeit  eine  völlig 


der  Äquinoktien,  wenn  sich  die  Sonne  morgens  am  Horizonte  zeigte,  öffnete  man 
ein  mit  Wasser  gefülltes  und  durch  Zufluß  aus  einem  Wasserbehälter  stets  gefüllt 
bleibendes  Gefäß,  das  mit  einem  Loche  im  Boden  versehen  war.  Zum  Auffangen 
des  austropfenden  Wassers  bediente  man  sich  zweier  Behälter,  wovon  der  eine  bis 
zum  vollendeten  Aufgange  der  Sonne  und  der  andere  geräumigere  bis  zu  ihrer 
Erscheinung  am  folgenden  Tage  untergeschoben  blieb.  Man  maß  oder  wog  das 
in  beiden  Behältern  gesammelte  Wasser  und  schloß :  wie  sich  die  ganze  Quantität 
zu  dem  im  kleinen  Behälter  vorhandenen  verhält,  so  360'^,  der  Umfang  des  Himmels, 
zu  dem  gesuchten  Durchmesser. 


i<  17.    D.T  Zodiakus.  81 

andere  Basis  erhalten.  Dieselben  gingen  früher  hauptsächlich  von 
den  beiden  ägyptischen  Tierkreisen  zu  Dendera  aus.  Dupuis  (Origlne, 
(Je  toi(s  Jes  cidtes,  1806)  hatte  aus  den  Figuren  des  Rundbildes  auf 
eine  astronomische  Darstellung,  in  die  ältesten  Zeiten  Ägyptens  zurück- 
reichend, geschlossen  und  für  das  Alter  des  Tierkreises  ein  Alter  von 
15  000  Jahren  angenommen.  Diese  Hypothese,  welche  durch  Baillys 
phantastische  Vermutung  über  ein  vorhistorisches  Volk,  das  in  Besitz 
großer  astronomischer  Kenntnisse  und  Kultur  gewesen,  eine  Stütze 
erhielt,  wurde  durch  Leteoxne  zerstört,  welcher  nachwies,  daß  in 
dem  Tierkreise  (sowohl  dem  runden  wie  dem  viereckigen)  keine  Dar- 
stellung vorliege,  die  zu  irgendeiner  Zeit  mit  dem  Himmel  überein- 
gestimmt haben  könne,  sondern  vielmehr  als  ein  astrologisches  Bild 
angesehen  werden  müsse.  Für  den  runden  Dendera-Zodiak  verneinten 
auch  Delambke  und  Foukier  eine  wirkliche  Projektion  des  Himmels 
(gegen  Jollois  und  Devilliers).  Bkjt  glaubte  noch  das  Alter  der 
Kreise  in  das  7.  oder  8.  Jahrh.  v.  Chr.  setzen  zu  können,  aber  Lepsius 
mußte  (mit  ge^vissen  Einschränkungen  in  Letronxes  Ausführungen) 
damit  bis  in  die  römische  Kaiserzeit  heraufgehen.  Nachdem  in  neuerer 
Zeit  noch  C.  Riel  in  dem  Dendera-Kreise  die  Darstellung  kalendarischer 
Konstellationen  vermutet  hatte,  ist  man  gegenwärtig  wohl  darüber 
einig  geworden,  daß  dieser  äg3'p tische  Tierkreis  nur  einen  astrologischen 
Zweck  verfolgt. 

Als  der  ägyptische  Ursprung  der  Tierkreiszeichen  aufgegeben 
war,  kehrte  man  zu  Letr(jnnes  Ansicht  zurück,  welche  die  Griechen 
als  Urheber  des  Tierkreises  betrachtete  und  die  Zeichen  von  Griechen- 
land nach  Ägypten  und  von  dort  durch  die  Entwicklung  der  alexan- 
drinischeu  Astronomie  bis  nach  Indien  verbreiten  ließ.  Der  Versuch 
A.  W.  v,  Schlegels,  die  Inder  als  die  selbständigen  Erfinder  des 
Tierkreises  hinzustellen,  wurde  von  A.  Holtzmaxx  widerlegt.  Schon 
Ideler  hatte  1838  vermutet,  daß  die  Xamengebung  des  Tierkreises 
zu  den  orientalischen  Völkern  (Babyloniern)  in  einer  Beziehung  stehe 
und  daß  der  Tierkreis  von  diesen  zu  den  Griechen  übergegangen  sei^. 
Die  archäologischen  Funde  in  Babylonien  förderten  etwa  seit  1874 
zahlreiches  Material  über  die  Kenntnis  des  Fixsternhimmels  bei  den 
Babyloniern  zutage,   und  um   1890   konnte  nahezu  gleichzeitig  von 


1)  „Meine  Ansicht  geht  dahin,  daß  die  Chaldäer  die  Ekliptik  frühzeitig  in 
12  Teile  teilten,  daß  sie  dieselben,  um  sie  gehörig  unterscheiden  zu  können,  durch 
einzelne  Sterne  und  Sterngruppen  bezeichneten ,  denen  sie  die  Namen  Widder. 
Stier  ....  beilegten,  und  daß  diese  Namen  mit  einer  rohen  Notiz  der  Sonnenbahn 
entweder  über  Phönizien  oder  durch  die  hellenischen  Kolonien  in  Kleinasien  um 
das  7.  Jahrh.  v.  Chr.,  vielleicht  schon  im  ZeitalttT  des  Hesiod  zu  den  Griechen 
gelangten,  die  ihrer  Weise  nach  förmliche  Sternbilder  an  sie  knüpften  .  .  .  ." 
(Ursprung  des  Tierkreises  S.  21). 

Ginzel,   Chronologie  I.  O 


82  Die  Zeitelementc  und  ihre  historische  Entwickhiiig. 

Epping  der  Gebrauch  der  zwölf  Tierkreiszeicheu  bei  den  Babyloniern 
des  3.  Jahrh.  v.  Chr.,  und  von  Jensen  die  Existenz  der  Zeichen  in 
der  alten  Zeit  nachgewiesen  werden,  und  zwar  von  Eppinü  auf 
rechnerischem  Wege  durch  Untersuchung  der  auf  mehreren  babylo- 
nischen Tafeln  angegebenen  Planetenstände  in  den  Sterngruppen,  und 
von  Jensen  mittelst  sprachlicher  Analyse  der  in  vielen  Inschriften 
und  Zylindern  gleichmäßig  wiederkehrenden  Namen  von  Sternen,  hin- 
sichtlich einiger  Zodiakalzeichen  allerdings  weniger  erfolgreich.  Die 
Namen,  unter  welchen  bei  den  Babyloniern  die  Zodiakalzeichen  auf- 
treten, lassen  keinen  Zweifel,  daß  die  ganze  Namengebung  unter  dem 
Einflüsse  der  alten  orientalischen  Weltanschauung,  ihrer  Mythen  und 
kosmogonischen  Legenden,  entstanden  ist.  So  sind  Skorpion,  Ziegenflsch, 
Fische  und  Widder  in  der  „Wasserregion"  (Ea-Region)  personifiziert, 
weil  in  der  Tiämat-ljegende  {tlämat  =  das  Meer)  ein  Skorpionmensch, 
Fischmensch,  Ziegenfisch  und  Widder  zu  den  Helfern  des  Meeres  ge- 
hören. Manche  Zeichen  wollen  Beziehungen  zu  den  Jahreszeiten  aus- 
drücken. So  der  „Löwe"  die  Hitze  des  Sommers,  die  „Amphora"  die 
wasserreiche  Zeit  des  Winters,  „Jungfrau"  die  Zeit  des  in  Ent- 
wicklung (in  Ähren)  stehenden  Korns.  Diese  Beziehungen  lassen  auch 
einen  Schluß  darüber  zu,  um  welche  Zeit  einzelne  Zodiakalzeichen 
eingeführt  worden  sein  können.  Für  „Jungfrau"  nimmt  Jensen  3000 
bis  4000  V.  Chr.  an;  Löwe,  Skorpion  und  Stier  sind  an  den  Himmel 
gesetzt  worden  zu  einer  Zeit,  wo  der  Frühlingspunkt  im  Stier  lag 
(3000  V.  Chr.).  Stier  und  Pegasus  haben  ursprünglich  ein  Sternbild 
gebildet,  und  zwischen  beide  ist  später  der  Widder  eingeschoben  worden. 
Ebenso  stellten  einst  Wage,  Skorpion,  Schütze  e  i  n  Sternbild  vor,  und 
die  Scheren  des  Skorpions  reichten  in  das  Gebiet  der  Wage  hinein  ^ 
Aus  Jensens  und  Eppings  Untersuchungen  läßt  sich  im  ganzen  schließen, 
daß  von  den  bei  den  Griechen  beschriebenen  Tierkreisbildern,  wie  die 
keilinschriftlich  vermerkten  Namen  zeigen,  in  der  älteren  Zeit  bei 
den  Babyloniern  mindestens  die  Hälfte  vorhanden  waren  und  Spuren 
der  später  eingeführten  vorkommen,  und  daß  alle  diese  Zeichen  in 
der  babylonischen  Astronomie  (oder  Astrologie)  ihren  Ursprung  haben. 
Das  hohe  Alter  des  Tierkreises  bei  den  Babyloniern  erhält  eine  ganz 
wesentliche  Stütze  durch  die  Untersuchung  von  22  babylonischen 
Grenzsteinen,  welche  Hommel  ausgeführt  hat.  Diese  Grenzsteine, 
welche  etwa  in  die  Zeit  von  700 — 1300  v.  Chr.  zurückreichen,  zeigen 
im  Prinzip  ein  und  dieselben  Bilder,  welche  den  einzelnen  Zodiakal- 
zeichen zukommen,  jedoch  mit  mancherlei  Varianten.  Nach  den  ge- 
nannten Untersuchungen  kann  man  annehmen,  daß  mehr  als  die  Hälfte 


1)    Näheres    über   Jensens  Vermutungen    s.   dessen  „Kosmologie",   S.  88 — 93, 
315—320,  498—502. 


i>  17.    Der  Zodiakus.  83 

der  Tierkreiszeicheu  für  jene  Zeit  nachgewiesen  sind,  nämlich  Widder, 
Stier,  Zwillinge,  Hund  (Löwe),  Skorpion,  Schütze,  Steinbock,  Jung- 
frau (?);  die  übrigen  sind  noch  einigermaßen  unsicher  ^  Die  Bilder, 
durch  welche  die  eben  genannten  Zeichen  ausgedrückt  werden,  sind 
ungefähr  folgende:  Widder  und  Stier  durch  dämonenhafte  Tiere  mit 
Symbolen  (Triangel  und  Keule)  über  sogenannten  Altären;  Zwillinge 
durch  einen  Zwülingsdrachen  mit  Löwen-  oder  Geierköpfen,  öfters 
mit  Streitkolben;  Löwe  als  sitzender  oder  stehender  Hund,  mit  Altar 
auf  dem  Rücken,  manchmal  eine  Göttin  begleitend;  Skorpion  als  Skorpion 
mit  Stachel;  Schütze  durch  einen  Skorpionmenschen  (Zentaur)  mit 
Doppelkopf,  oft  mit  Bogen,  bisweilen  nur  durch  einen  Pfeil  dargestellt; 
Steinbock  durch  ein  Fabeltier,  Fischziege  oder  Fischbock  mit  einer 
Schildkröte,  öfters  nur  als  Schildkröte  dargestellt;  Jungfrau  durch 
eine  liegende  Kuh  (mit  Altar),  darüber  eine  Ähre.  Selbst  wenn  man 
für  das  12.  Jahrh.  v.  Chr.  (für  die  Grenzsteine)  bei  den  Babyloniern 
noch  nicht  den  vollständigen  Zodiakus  annehmen  w^ollte,  müßte  man 
dies  mindestens  vom  6.  Jahrh.  ab  zugeben,  denn  nicht  nur  eine  von 
Eppixct  untersuchte  Tafel-  aus  dem  7.  Jahr  des  Kambyses  (521  v.  Chr.), 
sondern  auch  eine  von  Pinches  bemerkte  Tafel  von  etwa  500  v.  Chr. 
enthält  den  vollständigen  Tierkreis.  Bei  den  Griechen  =^  finden  wir 
die  Kenntnis  des  ganzen  Tierkreises  viel  später.  Da  auch  die  ander- 
weitige Kenntnis  des  Fixsternhimmels,  nach  den  reichhaltigen  Stern- 
namen, die  schon  in  den  alten  Tafeln  auftreten,  bei  den  Babyloniern 
bereits  im  6.  Jahrh.  v.  Chr.  eine  ansehnliche  w'ar,  kann  man  w^ohl 
nicht  länger  zweifeln,  daß  die  Babylonier  als  die  Begründer  des 
Zodiakus  anzusehen  sind. 

Bei  der  Wichtigkeit,  die  der  babylonische  Tierkreis  fernerliin  für 
die  Geschichte  der  Astronomie  und  für  die  vergleichende  Chronologie 
haben  wird,  führe  ich  die  in  der  Tabelle  eingangs  dieses  Paragraphen 
gegebenen  Namen   nochmals   an,   mit  der  verbesserten  Lesung  nach 


1)  Die  babylonischen  Grenzsteine  enthalten  Texte  über  Käufe,  Besitz- 
erwerbe u.  s.  w. ;  s.  zahlreiche  Beispiele  bei  F.  E.  Peiser  ,  Keilschriftliche  Akten- 
stücke mis  hahyl.  Städten,  1889,  und  Texte  Jurist,  u.  geschäftl.  Inhalts  {Keilschr. 
BiUioth.,  IV,  1896). 

2)  Zeitschr.  f.  Assyr.  V  281. 

•3)  Die  griechischen  Schriftsteller  und  Dichter  erwähnen  die  auf  die  Zodiakal- 
zeichen  Beziehung  habenden  Sternbilder  erst  ziemlich  spät.  Den  Stier  kennen 
Homer  und  Hesiod  noch  nicht.  Pindar  (um  560  v.  Chr.)  kennt  den  Wassermann. 
Um  die  Zeit  Axakreons  )540  v.  Chr.)  scheinen  Widder,  Schütze,  Ziege  (vermutlich 
von  Kleosträtos  aus  Tenedos  benannt)  bekannt  gewesen  zu  sein.  Euripides 
(480  V.  Chr.)  erwähnt  die  Zwillinge.  Die  Gestirnbeschreibung  des  Aratus  i^278 
V.  Chr.),  hauptsächlich  auf  den  Überlieferungen  des  EuDOxrs  (409—356  v.  Chr.) 
beruhend,  zählt  alle  12  Zodiakalzeieheu  auf  ^^vgl.  J.  K.  Schavbach,  Geschichte  d. 
griech.  Astronomie,  1802;  E.  Bethe,  Das  Alter  d.  (jriech.  Sternbilder,  Rhein.  Mus. 
f.  Piniol..  LV,  1900,  S.  414). 

6* 


84  Die  Zeitelemeute  und  ihre  historische  Entwicklung. 

Jensen,   ferner  die  Ausdehnung  der  Zeichen  in  der  Ekliptik  nach 
Epping,  sowie  die  Bedeutung  einiger  Namen  nach  R.  Bkown: 

1.  Im  =  Widder,  l-u  =  Abkürzung  von  I-ln  =  „der  vordere" 
oder  „Leitstern  des  Jahrs" ;  hiermit  übereinstimmend  Jensens 
Lesung  hdhu  =  „Vorderschaf"  =  „Leitschaf".  Von  358 — 18*^ 
der  Ekliptik. 

2.  te-te  =  Stier  =  OUD-an-na  („Himmelsstier"  nach  Jensen).  Der 
Hauptstern  aläeharan  heißt  bei  Epping  GiS-Da  =^  lüdnu  („Stier, 
oder  Krieger  des  Himmels").     Von  26 — 47<*. 

3.  mas-masu  =  Zwillinge;  sumerisch  mas-tah-ha  (Jensen),  assyrisch 
tuämii  (rahuti)  =  die  großen  Zwillinge.     Von  61 — 85<^. 

4.  nangaru  =  Krebs.  Richtige  Bezeichnung  (n.  Jensen)  ]i)idiililiu 
(Krebs?).  Das  Wort  für  Krebs  im  Sumerischen  resp.  Assyrischen 
ist  nicht  bekannt ;  auf  Grenzsteinen  findet  man  aber  öfters  über 
einem  Altar  eine  Schildkröte  abgebildet.  Brown  liest  Ms  = 
Teilung  (Kolurkreis  der  Solstitien?).     Von  89—1130. 

5.  a  =  Löwe;  a  =  Abkürzung  von  aru  ==  Löwe.    Von  111 — 148". 

6.  M  =  Jungfrau;  nach  Jensen  ahsinu  und  slru  (irgend  eine 
Beziehung  zu  „Korn,  Halm,  Ähre").  Ohne  Zweifel  geht  die 
(griechische)  Darstellung  der  Ähre  in  der  Hand  der  Jungfrau 
auf  diese  Namen  zurück.  Beown  setzt  Ici  =  asru^  einer  Be- 
zeichnung für  „Mondstation",  der  chinesischen  1.  lio  =  «  Virginis 
entsprechend.     Von  152 — 174^. 

7.  nüru  (?)  =  Wage  =  zibänitu,  gleichwertig  der  arabischen  Be- 
zeichnung „Schere  des  Skorpions".  Hiermit  deckt  sich  die 
Bezeichnung  ;^rMat  =  Scheren  des  Skorpions,  bei  Akatus. 
Von  177— 203». 

8.  rtkrcdni  =  Skorpion  =  sumer.  Gir-fah  (der  Angreifer,  der 
Stechende).     Von  213— 216^. 

9.  j>ft  (od.  kut)  =  Schütze;  j^a  eine  Abkürzung  für  den  Stern 
2)(f-htl-sag  =:  „der  geflügelte  Feuerbringer" ;  hut^^  „der  Bringer 
des  Tages,  des  Tagesanfangs".     Von  232 — 262^. 

10.  ÄftÄw  =  Steinbock;  eigentliche  Bedeutung  =  Ziegenfisch  (^^MrM- 
Fisch  mit  emii  =  Ziege  als  Kopf),  nämlich  eine  (auf  Siegel- 
Zylindern  bisweilen  abgebildete)  Ziegengestalt  mit  Fischschwanz. 
Von  270—2940. 

11.  ^^?t  =  Wassermann;  Bedeutung  von  git  (ßcssyr.  kd)  ist  unbekannt, 
vermutlich  =  „Gefäß  (Urne)"  des  Wassermanns  (Amphora). 
Von  298—314«. 

12.  2:ih  =  Fische  (=  „Himmelsmarke,  Ordnung,  End-Zeichen"),  oder 
nünu  =  „Fisch  (des  Ea)".  Auch  das  diir  nünu  „Fischband" 
läßt  sich  inschriftlich  nachweisen.     Von  314 — 0«. 


i>  17.    DcT  Z.Kliakus.  85 

Der  babylonische  Tierkreis  verbreitete  sich  im  ganzen  Orient 
und  in  Südeuropa,  erfuhr  aber  daselbst  verschiedene  Umgestaltungen, 
indem  er  den  landesüblichen  Vorstellungen  und  besonders  den  Mj'then 
angepaßt  wurde.  Der  Skorpion  nahm  bei  den  Babyloniern  früher 
zwei  Tierkreiszeichen  ein  und  wurde  erst  später  getrennt.  Bei 
Aeatus  finden  wir  den  Skorpion  noch  in  der  ersteren  Gestalt,  er 
erhielt  sich  also  bei  den  Griechen  bis  ins  3.  Jahrh.  v.  Chr.,  während 
zu  dieser  Zeit  bei  den  Babyloniern  das  Sternbild  in  Wage  und 
Skorpion  geschieden  war.  Engonasin  ist  bei  Eudox  und  Aratus 
noch  ein  auf  den  Knien  flehender  Mann,  bei  Eeatosthenes  aber  in 
den  mit  der  Keule  gegen  die  Schlange  streitenden  Herkules  um- 
gewandelt. In  einer  von  Teukkos  (etwa  1.  Jahrh.  n.  Chr.)  her- 
rührenden Beschreibung  des  Sternhimmels,  welche  im  5.  Jahrh.  von 
Ehetoeios  bearbeitet  und  späterhin  von  vielen  benützt  worden  ist, 
hat  Bull  verschiedene  Hinweise  darauf  gefunden,  daß,  obwohl  diese 
Autoren  die  Sternbilder  Ägyptens  beschreiben,  doch  in  den  Dar- 
stellungen Verschiedenes  vorkommt,  was  nichtägyptischen  Ursprungs 
sein  muß:  so  stimmt  die  Beschreibung  des  Schützen  als  eines  ge- 
flügelten, den  Bogen  spannenden  Zentauren  mit  Doppelkopf  und  Doppel- 
schwauz  (desgleichen  erscheint  er  so  auf  den  beiden  Dendera)  ganz 
mit  der  babylonischen  Darstellung  auf  den  Grenzsteinen  (vgl. 
oben  S.  83).  Boll  hat  noch  auf  einen  Umstand  aufmerksam  gemacht, 
der  die  Verbreitung  des  Tierkreises  in  Asien  erklären  könnte.  Bei 
den  Tibetanern,  den  Thai  und  Khmer,  sowie  bei  den  Chinesen  und 
Japanern  (s.  §  118  u.  125)  und  anderen  asiatischen  Völkern  finden 
wir  einen  sehr  alten  Duodenar-Zyklus  vor,  welcher  vorzugsweise  zur 
Bezeichnung  der  Jahre  dient,  in  China  aber  auch  ehemals  zur  Zählung 
der  Monate  und  Tage  (zur  Zählung  der  Tagesteile  bei  den  Doppel- 
stunden noch  jetzt)  verwendet  wurde.  Dieser  12  teilige  Zyklus  wird 
durch  Tiere  charakterisiert  und  in  folgender  Ordnung  gebraucht: 

1.  Maus  (Ratte)  7.  Pferd 

2.  Ochs  (Stier)  8.  Schaf  (Ziege,  Widder) 

3.  Tiger  9.  Affe 

4.  Hase  10.  Hahn  (Henne,  Vogel) 

5.  Drache  11.  Hund 

6.  Schlange  12.  Schwein  (Eber) 

Bailly*  vermutete  schon  i,  daß  dieser  Zyklus  einst  in  ganz  Asien 
verbereitet  gewesen  sei,  und  daß  die  chinesischen  Zodiakalzeichen 
durch   die   eben    angeführten    12   Tiernamen   bekannt   worden  seien. 


1)  Histoire  de  V Astron.  ancienne,  Paris  1775.    (^Eclair.  IX.  Des  Constellations, 
du  Zodiaqne  et  des  Planispheres  anciens,  S.  493.) 


86  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entu'iclvhing. 

A.  V.  Humboldt  bat  den  ostasiatisclieu  Tierzyklus  mit  den  Namen 
der  altmexikanischen  Tage  und  mit  dem  Tierkreis  des  Bianchini  ver- 
glichen^ und  glaubte  eine  gewisse  Übereinstimmung  in  den  gegen- 
seitigen Bezeichnungen  feststellen  zu  können.  Nach  Boll  kommen 
nun  in  den  oben  erwähnten  ägyptischen  Himmelsbeschreibungen  (und 
zwar  vollständig  nur  im  TEUKROs-EHETOEios-Texte)  bei  den  Dekanen 
der  einzelnen  Sternbilder  12  Tiernamen  vor,  nämlich 

bei  T  der  Kater  bei  d^  der  Bock 

„    "^  der  Hund  „     V^i  der  Stier  (die  Kuh) 

„    n  die  Schlange  „     >^    der  Sperber 

„    £d  der  Käfer  „     "}o    der  Affe 

„    61  der  Esel  ,,     :xt   der  Ibis 

,.    npder  Löwe  ,.    5     das  Ki'okodil 

In  derselben  Ordnung  und  mit  denselben  Tieren  ist  ein  von  Dakessy 
beschriebener  doppelter  Zodiakus  römischer  Arbeit  ausgestattet-.  Auf 
dem  oben  erwähnten  Tierkreis  des  Bianchini  ^  kommen  5  konzentrische 
Kreise  vor ;  der  zweite  enthält  eine  Eeihe  von  Tieren ;  noch  erkennn- 
bar  davon  sind 

bei  y  der  Hund  bei  trp  der  Löwe 

„    n  die  Schlange  „    t£h  die  Ziege 

,,    £d  der  Krebs  „    V\i  das  Rind, 
„     Sl  der  Esel 

also  dieselbe  Eeihe  wie  bei  den  beiden  vorher  angeführten  Tierkreis- 
beschreibungen.  Eine  Ähnlichkeit  mit  diesen  Tierkreisen  scheint  auch 
der  von  Pococke  beschriebene  Zodiak  von  Panopolis  (Akhmin)  gehabt 
zu  haben*.  Der  oben  angeführte  ostasiatische  Zyklus,  verglichen  mit 
den  12  Tieren  dieser  drei  Tierkreise,  ergibt  einen  gewissen  Zusammen- 
hang: Ochs  (Stier),  Schlange,  Ziege  (Bock),  Affe,  Hund  kommen 
beiderseits  vor,  verwandt  sind  wenigstens  Tiger-Löwe,  Drache-Krokodil, 
Pferd-Esel,  Hahn  (Vogel)  -  Ibis,  unvergleichbar  bleiben  nur  drei :  Maus, 
Hase  und  Schwein,  mit  Katze,  Käfer  und  Sperber.  Wenn  man  über 
die  völlig  ungleiche  Anordnung  des  Zyklus  gegen   die  Tierfolge  im 


1)  Vue  des  Cordüleres  II.  6—12,  60. 

2)  S.  Literatur  am  Schhiß  dieses  Kapitels. 

3)  1705  auf  dem  Aventin  gefunden  und  zuerst  von  Fh.  Bianchini  (1662—1729) 
beschrieben;  durch  Napoleon  I.  im  Louvre  aufgestellt.  Der  Tierkreis  ist  unter 
dem  Namen  ,die  Planisphäre  des  Bianchini"  oder  als  Marmoraltar  des  Louvre  bekannt. 

4)  Descriptions  of  thc  East  I  77.  Der  Zodiak  (jetzt  zerstört)  hatte  in  der 
Mitte  die  Sonne,  im  Kreise  herum  12  Vögel,  im  3.  Kreise  die  12  Tierkreiszeichen, 
im  4.  Kreise  12  Gestalten. 


ij  17.    Dor  Zcdiakus.  87 

Zodiak  wegsehen  darf,  würde  man  also  annehmen  müssen,  daß  der 
ostasiatische  Tierzyklus  früher  in  Westasien  (und  Äg3q)ten)  verbreitet 
war  und  zur  Bezeichnung-  des  Sonnenzodiakus  verwendet  worden  ist. 
Auf  indischen  Tierkreisen  kommen  bisweilen  ebenfalls  die  oben  be- 
merkten Tiere  vor  \  auch  scheinen  sie  hie  und  da  für  die  Bezeichnung 
der  indischen  11  Karana  (s.  über  diese  §  94)  gebraucht  zu  werden. 
Für  die  Geschichte  der  Verbreitung  des  Tierkreises  in  Asien  von 
Wichtigkeit,  aber,  wie  es  scheint,  bisher  nicht  recht  gewürdigt  (auch 
bei  BoLL  nicht  erwähnt),  sind  ferner  die  Tierkreisdarstellungen  aus 
Java,  die  sich  auf  becherförmigen  Gefäßen  aus  Kupferblech  vorfinden - 
und  außerdem  in  einigen  Handschriften  beschrieben  sind.  Nach  den 
Beschreibungen  und  Abbildungen,  die  T.  St.  Raffles,  J.  Crawfued, 
Th.  Feebdekich  und  H.  C.  Mellees  davon  geben,  muß  man  schließen, 
daß  in  diesen  javanischen  Tierkreisen  etwas  von  dem  babylonischen 
Urbild  erhalten  geblieben  ist.  Java  wurde  von  Indien  aus  kolonisiert; 
mit  gewissen  Eigentümlichkeiten  der  indischen  Zeitrechnung  mag 
gleichzeitig  der  indische  Tierkreis  nach  Java  übergegangen  sein: 
Reste  der  alten  Zeitrechnung  sind  gegenwärtig  noch  trotz  der  Über- 
wucherung des  Mohammedanismus  vorhanden.  Da  der  indische  Tier- 
kreis auf  dem  westasiatischen  beruht,  der  seinerseits  wieder  auf  den 
babylonischen  zurückgeht,  so  ist  es  nicht  befremdend,  daß  im  java- 
nischen Zodiak  Spuren  mehrerer  Quellen   sichtbar  werden*^.     Auf  die 

1)  Ebabd  Mollien,  Becher  dies  sur  le  zodiaque  Indien.  {Mein.  pres.  p.  divers 
savants  ci  l'Acad.  d.  Inscript,  I  Ser.,  T.  III,  1853,  S.  240—276).  Ein  Zodiak  auf 
einer  Kupferplatte  der  Pagode  von  Chellambaram  zeigt:  Götter  und  Figuren  der 
Planeten,  am  Rande  die  Schutzgötter  der  27  nakshatra ,  als  Zwischenstücke  die 
Zodiakalzeichen ,  darüber  und  dazwischen  folgende  Tiere:  Hahn,  Katze,  Löwe, 
Hund,  Stier,  Esel,  Elefant,  Rabe  (Vogel).  Ein  gemalter  Zodiak  auf  der  Mauer 
einer  Pagode  im  Fort  von  Trichinopoly  zeigt  in  der  Mitte  eine  Lotosblume;  um 
dieselbe  laufen  in  6  Ringen :  die  7  Wochentage,  die  7  Planeten  und  die  2  Drachen- 
stücke (Mondkuoten) ,  die  11  karana  in  Form  von  Tieren,  die  12  Zodiakalzeichen, 
die  14  tithi  und  die  27  nakshatra  samt  ihren  Gottheiten. 

2)  Diese  Gefäße  rühren  aus  der  Hinduzeit  her;  sie  dienten  wahrscheinlich 
zu  astrologischen  Zwecken.  Das  Museum  in  Leyden  soll  Originale  besitzen;  im 
Berliner  Museum  für  Völkerkunde  sind  solche  Becher  nicht  vorhanden,  wie  mir 
mitgeteilt  wurde. 

3)  Eine  ganz  kurze  Beschreibung  der  einzelnen  javanischen  Zodiakalbilder  wird 
hier  am  Platze  sein:  1.  Widder:  Obwohl  der  Widder  für  die  Javaner  fremdländisch 
ist,  wird  das  Zeichen  durch  ein  Widder-ähnliches  Tier,  auf  einem  Fußstücke  stehend, 
ausgedrückt.  2.  Stier:  Ein  Stier  mit  mehreren  (viev)  Hörnern.  3.  Zwillinge: 
Ein  krebsartiges  Schaltier,  welches  immer  paarweise  im  Meere  angetroffen  wird; 
auch  als  Zweiflügler  Schmetterling?  dargestellt.  4.  Krebs:  Ein  Seekrebs  mit 
aufwärts  gerichteten  Scheren.  5.  Löwe:  Sitzender  Löwe  oder  Hund,  auch  dämonen- 
haftes Tier  mit  Hörnern  und  Hufen.  6.  Jungfrau:  Frauengestalt,  knieend  oder 
nach  orientalischer  Weise  sitzend,  in  der  Linken  ein  Werkzeug.  7.  Wage:  Eher 
Jochform  als  Schale;  doch  letztere  auf  javanischen  und  indischen  Denkmälern 
gleich.     8.  Skorpion:   Skorpion  mit  Stachel.     9.  Schütze:   Einzelner  Pfeil,  oder 


88  Die  Zeitelcmonto  und  ihre  historische  Entwiekhiiig. 

babylonische  weist  der  Stierdämon  (Stier),  der  sitzende  Hund  (Löwe), 
das  Joch  (Wage),  der  Skorpion,  das  gehörnte  Meertier  (Steinbock), 
die  Urne  (Wassermann)  und  der  abenteuerliche  Fisch  (Fisch).  Auf 
den  genannten  javanischen  Bechern  ist  über  jedem  Zodiakalbilde  ein 
und  dieselbe  Gestalt  angebracht,  die  6.  etwas  größer,  was  12  Genien, 
ähnlich  wie  auf  den  westasiatischen  Tierkreisen,  zu  entsprechen 
scheint.  Merkwürdig  ist  noch,  daß  die  Jahreszahl  auf  vielen  Bechern 
gerade  beim  9.  Zeichen  angebracht  worden  ist.  Der  9.  Monat  ist  in 
der  alt  javanischen  Zeitrechnung  (s.  §  120)  Kasanga  =  Isidsv. ,  der 
indische  Chaitra.  Dieser  Monat  bildet  in  vielen  indischen  Ären  den 
Jahresanfang.  Betrachtet  man  dagegen  als  erstes  Zodiakalzeichen 
Widder  =  cluntra,  so  wäre  das  neunte  im  Monat  Märga-^lrslui  (Oktob. 
Nov.),  von  welchem  Monate  allerdings  nicht  sicher  ist,  ob  eine  der 
Indischen  Aren  das  Jahr  damit  begonnen  hat. 

Auf  die  weite  Verbreitung  des  westasiatischen  Tierkreises  deuten 
endlich  die  Namen,  die  die  Zodiakalzeichen  auf  Sunda,  Sumatra  und 
dem  malaiischen  Archipel  haben.  Während  die  javanischen  (s.  Tabelle 
am  Anfang  dieses  Paragraphen)  und  die  malaiischen  sich  an  die 
arabischen  Namen  anlehnen,  sind  die  altjavanischen,  sowie  die  auf 
Sumatra  (Battak)  aus  den  indischen  Sanskritnamen  entlehnt ;  die 
Namen  auf  Madagaskar  entstannnen  wieder  den  arabischen. 

§  18.    Ären.    Zyklen.    Jahres-,  Monats-  und  Tagesteilung-. 

Die  Jahre  wurden  auf  den  niedrigen  Stufen  der  Zeitrechnung 
gewöhnlich  nach  irgend  einem  darin  vorgefallenen  Ereignisse  benannt 
und  die  Zeit  gelegentlich  von  einem  solchen  Jahre  ab  gezählt,  so  vom 
Jahre  eines  Erdbebens,  von  der  Eröffnung  eines  Bewässerungskanals, 
der  Befestigung  einer  Stadt  u.  dgl.  Solche  Zählweise  bemerken  wir 
in  der  altjüdischen,  assyrisch-babylonischen  und  ägyptischen  Zeit.  Da 
größere  Jahresreihen  sich  nach  solchen  Jahren  nicht  ohne  Mißver- 
ständnisse vergleichen  lassen  und  zu  vielen  Verwechslungen  Anlaß 
geben  mußten,  so  benützte  man  später  die  ordnungsgemäß  fortgeführten 
Verzeichnisse  der  Statthalter,  der  Vorstände  von  Stadtgemeinden 
(Eponymen,  Archonten)  und  zählte  die  Jahre  von  dem  Jahre  des 
Ämtsantrittes,  bei  den  Königen  nach  deren  Lebensjahren  oder  von 
dem  Jahre  ihrer  Regentschaft sübernahme.  Hervorragend  ist  in  dieser 
Hinsicht  die  Zählung  nach  den  Konsuln,  die  sich  bis  über  das  Alter- 


Pfeil  mit  Bogen,  oder  auch  Figur  mit  Bogen.  10.  Steinbock:  Phantastisches, 
gehörntes  Schaltier,  mit  Scheren.  11.  Wassermann:  Gefäß,  Urne  oder  Topf  (der 
Sanskritname  für  Wassermann  =  Z;««»i&/(rt  heißt  Topf ).  12.  Fische:  Ein  einzelner 
Fisch,  auch  Delphin  mit  Rüssel;  das  Zodiakalzeichen  für  Fisch  =  mina  heißt  im 
Kawi  Fisch,  Seetisch).  —  Die  Zeichen  1,  2,  8.  10,  11  stimmen  mit  den  entsprechenden 
der  indischen  (besonders  der  südindischen)  Tierkreise  fast  ganz  überein. 


§  18.    Ären.    Zyklen.    Jahres-.  Monats-  und  Tagesteilung.  8J 

tum  hinaus  erhielt.  Da  sich  bei  geschichtlichen  Rechnungen  und 
chronologischen  Yergleichungen  die  Notwendigkeit  einstellte,  große 
Jahresreihen  von  einer  bekannten  Zeit  ab  zu  zählen,  so  wählte  man 
liiezu  historische  Epochen,  wie  Kriege,  Gründungen  u.  s.  w.  So  rechnet 
das  Alte  Testament  vom  Auszuge  aus  Ägypten,  von  der  J^rbauung  des 
ersten  Tempels,  von  der  Zeit  der  Wegführung  des  jüdischen  Volkes 
in  die  babylonische  Gefangenschaft.  Thukydides  zählt  die  Jahre  vom 
Anfange  des  peloponnesischen  Krieges,  von  der  Eroberung  Trojas,  vom 
Sturze  der  Pisistratiden  u.  s.  av.  Polybius  rechnet  die  Einnahme  Roms 
durch  Brennus  nach  den  Jahren  der  Schlacht  bei  Aigospotamoi  (oder 
von  Leuktra). 

Allmählich  verlangte  die  Geschichte  und  die  Chronologie  für  die 
Zählung  nach  einem  festen,  womöglich  bis  auf  den  Tag  bestimmten 
Ausgangspunkt.  So  bildeten  sich  die  Ären  aus.  Das  Wort  Ära^ 
stammt  von  der  etwa  seit  dem  5.  Jahrh.  n.  Chr.  in  Spanien  und 
Portugal  üblichen  gewesenen  sog.  spanischen  Ära  (hierüber  im 
III.  Bande);  die  Jahre  dieser  Zeitrechnung  werden  nämlich  in  den 
Dokumenten,  Inschriften  u.  s.  w.  mit  dem  Zusatz  Era  verbunden ;  aus 
diesem  Attribute  entwickelte  sich  in  der  Chronologie  der  Begriff  einer 
von  einem  festen  Zeitpunkte  ausgehenden  Jahresreihe.  Die  astro- 
nomischen Ären  wurden  von  den  Chronologen  und  Astronomen  auf- 
gestellt und  vorzugsweise  von  diesen  gebraucht.  Die  älteste  ist  die 
Ära  des  Nahonassar,  welche  w-ahrscheinlich  babylonischen  Ursprungs 
ist,  aber  von  Ägypten  (den  alexandrinischen  Astronomen)  aus  unter 
den  Chronologen  sich  verbreitet  hat;  die  Ära  vom  Tode  Alexanders 
(philippische  Ära)  und  die  Ära  des  Augustus  sind  eigentlich  Fort- 
setzungen der  Ära  Nahonassar.  Das  Kahyuga  der  Inder  ist  ebenfalls 
eine  astronomische  Ära,  von  einer  angeblichen  Planetenkonjuuktion 
ausgehend.  Religionsären  entstanden  durch  die  Anknüpfung  der 
Zeitzählung  an  Lebensumstände  hervorragender  Religionsstifter;  so 
die  christliche  Ära  von  dem  Geburtsjahr  Jesu,  die  Hidschra  vom  Jahre 
der  Flucht  Mohammeds,  die  burmesische  Ära  zum  CTedächtnis  der 
Einführung  des  Buddhismus,  die  buddhistische  Ära  vom  Todesjahre 
des  Buddha.  Die  Überzahl  der  Ären  sind  politische  Ären,  von 
den  Jahren  der  Regenten,  der  Dynastien  u.  s.  w.  gerechnet.  Sie  sind 
weniger  beständig,  da  mit  dem  Wechsel  der  politischen  Verhältnisse 
recht  oft  eine  Änderung  des  Ausgangspunktes  der  Jalirzählimg  ein- 
tritt, wie  bei  den  Ären  der  kleinasiatischen  Städte,  den  Ären  in 
Indien  u.  s.  f.    Eine  besondere  Klasse  bilden  die  Weltären,  welche 


1)  Richtig  iVa;  so  lautet  die  Schreibung  in  den  Urkunden.  Die  Ableitung 
dos  Wortes  era  hat  man  aus  einer  Reihe  von  Sprachen  versucht,  aus  dem  Arabischen, 
Hebräischen,  Gothischen,  Lateinischen,  Iberischen. 


90  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwicklung. 

auf  das  Schöpf ungs jähr  zurückgehen  wollen,  wie  die  verschiedenen 
Weltären  der  Christen  und  Juden,  die  b3'zantinische ,  welche  große 
Verbreitung  erlangte,  u.  a.  Von  anderen  Ären  seien  hier  nur  noch 
die  Rechnungen  nach  Jahren  der  Stadt  Rom  (die  verbreitetste ,  die 
sog.  varronische,  von  753  v.  Chr.)  und  die  Olj'mpiaden  (die  erste  im 
Sommer  776  v.  Chr.)  erwähnt. 

Zyklen  (Zirkel,  Zeit  kr  eise,  Perioden)  sind  wieder- 
kehrende Jahresreilien ,  nach  deren  Ablauf  sich  astronomische  oder 
anderweitige  Verhältnisse  wiederholen.  An  die  Spitze  derselben  ist 
der  jedenfalls  unter  dem  Einflüsse  des  Sexagesimalsystems  entstandene 
Sexagesimalzyklus  der  Chinesen  zu  stellen,  der  in  seiner  Anwendung 
auf  Monate  und  Tage  sehr  alt,  in  Beziehung  auf  die  Jahrzählung 
jüngeren  Datums  ist.  Hierher  gehört  ferner  der  60  jährige  und 
12jährige  Jupiterzyklus  der  Inder,  sowie  der  südindische  graha- 
parhr'dti  (90  Sonnenjahre)  und  der  0/iÄo-Zyklus  (59  Lunisolar jähre). 
Historisches  Interesse  haben  die  sexagesimalen  Saren,  Keren  und 
Sossen  der  Babjionier,  die  Ar/ ;^ -Periode,  Äef-Periode  (30  Jahre),  die 
Apisperiode  (25  Jahre),  die  Phönixperiode  und  die  Sothisperiode 
(1461  Jahre)  der  Ägypter.  In  die  Zyklen  kann  man  schließlich  die 
sog.  großen  und  kleinen  Jahre,  die  Weltalter,  die  Sabbat-  und 
Jubeljahre  u.  a.  einreihen.  Chronologisch  von  großer  Bedeutung  waren 
die  schon  früher  erwähnte  Metonsche  und  Kallippische  Periode,  welche 
in  Grriechenland  die  schwankende  Rechnung  nach  Olympiaden  be- 
seitigten. —  Von  den  astronomischen  Zyklen  kann  vorläufig  (näheres 
im  IL  u.  III.  Bande)  der  Sonnenzirkel  {cj/dm  solaris)  und  der 
Mondzirkel  {circulus  lunaris)  erwähnt  werden.  Der  erstere  stellt 
eine  Reihe  von  28  Jahren  vor,  nach  deren  Ablauf  wieder  gleiche  Wochen- 
tage mit  gleichen  Monatstagen  zusammenfallend  Als  1.  Jahr  des 
1.  Zyklus  nimmt  man  das  Jahr  9  v.  Chr.  an.  Hat  man  den  Sonnen- 
zirkel für  ein  gegebenes  Jahr  unserer  Jahrform  zu  finden,  so  Avird 
man  also  9  zu  der  Jahreszahl  addieren  und  die  Summe  durch  28  divi- 
dieren; der  Rest  bezeichnet  den  Sonnenzirkel.  (Bleibt  kein  Rest,  so 
ist  der  Sonnenzirkel  =  28.)  Der  Mondzirkel  faßt  19  Sonnenjahre 
(s.  vorher  S.  65).  Die  Zahl,  welche  die  Stelle  eines  Jahres  in  diesem 
Zyklus  angibt,  heißt  die  goldene  Zahl  (numcrKs  aureus).  Für 
die  Bestimmung  der  goldenen  Zahl  wird  das  Jahr  1  v.  Chr.  als  erstes 
Jahr   eines  Mondzyklus   angenommen.     Man  findet  also   die  goldene 


1)  Das  365tägige  Jahr  hat  52  Wochen  -f  1  Tag,  das  366tägige  52  Wochen  + 
2  Tage.  Der  Beginn  des  Jahrs  rückt  also  nach  einem  gemeinen  Jahre  um  einen 
Tag,  nach  dem  Schaltjahre  um  zwei  Wochentage  vor.  Bei  gemeinen  Jahren  würde 
in  einer  Jahresreihe  nach  je  7  Jahren  das  Datum  auf  dieselben  Wochentage  zurück- 
kehren; da  jedes  4.  Jahr  aber  ein  Schaltjahr  ist,  erfolgt  diese  Rückkehr  erst  nach 
4  •  7  =  28  Jahren. 


ij  18.     Äifii.    Zyklen.    .liihres-,  Monats-  und  Tagesteilung.  91 

Zahl  eines  Jahres,  wenn  man  zur  betreffenden  Jahreszahl  der  christ- 
lichen Ära  1  addiert  und  die  Summe  durch  19  dividiert;  der  Rest 
gibt  die  goldene  Zahl.  (Wenn  der  Rest  =  0,  ist  19  die  goldene  Zahl). 
Auf  die  Anwendung  und  Besonderheiten  dieser  Zj^klen  komme  ich  bei 
der  christlichen  Zeitrechnung  zurück. 

Der  Begriff  J  a  h  r  ist  aus  der  Vorstellung  eines  Kreislaufes  (der 
Jahreszeiten)  entstanden,  oder  steht  mit  Jahreszeiten  in  direkter  Ver- 
bindung. Das  griechische  kviavrog  deutet  auf  den  Kreislauf,  desgleichen 
die  Zusätze  neQiTtko^svog,  negiTeXlo^svog  (=^  im  Kreise,  im  Umlauf 
der  Jahre ;  oft  bei  Homee),  ebenso  das  altgriechische  Xvxaßag  ==  Licht- 
gang (der  Sonne  d.h.  des  Jahres);  ferner  das  lateinische  annu><.  Das 
zendische  jOrc,  das  deutsche  Jahr  und  das  gothische  atapui  dürften 
Bezeichnungen  an  und  für  sich  sein.  Dagegen  hängt  die  Wurzel 
des  Sanskritnamens  für  Jahr  =  samvat,  mmratsara  mit  ramnta  = 
Frühling  zusammen.  Auch  n;;a  =  schanah  bedeutet  nach  der  Ver- 
mutung einiger  eigentlich  Jahreszeit. 

Die  Jahreszeiten  wurden  anfänglich  den  klimatischen  Ab- 
stufungen entsprechend  nur  in  2  oder  3  Zeiten  zusammengefaßt,  später 
erweiterte  man  hie  und  da  diese  Teilungen.  Als  die  älteste  Unter- 
scheidung hat  man  die  Jahresteilung  in  die  warme  und  kalte,  oder 
trockene  und  nasse  Zeit  anzusehen.  So  scheinen  in  Griechenland  an- 
fänglich nur  Sommer  und  Winter  im  Sprachgebrauch  unterschieden 
worden  zu  sein;  Hesiod  kennt  ägorog,  den  beginnenden  Winter,  und 
äfi7]rog,  den  beginnenden  Sommer;  desgleichen  dürften  die  Hebräer 
der  alten  Zeit  nur  zwei  eigentliche  Jahreszeiten,  hyiz  den  Sommer, 
und  choref  den  Winter,  unterschieden  haben.  Hoüee  spricht  von  drei 
Jahreszeiten,  ^ccg  =  Frühling,  t)igog  =  Sommer,  und  xs^umv  =  Winter. 
In  der  vedischen  Periode  der  Inder  galt  ebenfalls  die  dreifache  Jahres- 
zeit: warme  Zeit,  Regenzeit  und  kühle  Zeit,  sie  hatten  aber  in  noch 
früherer  Epoche  nur  hima  den  Winter  und  samä  den  Sommer.  Die 
Ägypter  kamen  frühzeitig  zu  einer  Dreiteilung  nach  Jahreszeiten. 
Nach  ihrer  Ausbreitung  über  Indien  hatten  die  Inder  fünf,  zuletzt 
sechs  Jahreszeiten.  Bei  den  vorislamischen  Arabern  kommen  vier 
und  sechs  Jahreszeiten  vor  (ursprünglich  hatten  sie  wahrscheinlich 
drei),  desgleichen  bei  den  alten  Persern.  —  Den  Beginn  der  Jahres- 
zeiten schätzte  man  in  der  ältesten  Zeit  nach  der  Stellung  geAnsser 
Gestirne.  Die  Griechen  und  Römer  richteten  sich  nach  dem  Wieder- 
erscheinen und  Verschwinden  der  Plejaden ,  die  Chinesen  achteten  auf 
den  großen  Bären.  „Wenn  der  Schwanz  des  Bären  nach  Osten  zeigt, 
ist  es  überall  Frühling;  wenn  er  nach  Süden  weist,  ist  es  Sommer; 
wenn  er  nach  Westen  zeigt,  ist  es  Herbst,  und  wenn  er  nach  Norden 
sich  richtet,  wird  es  Winter"  [Ho-laiang-i^e).  Oder  man  merkte  auf 
den  Stand  der  Sterne,  welche  die  Mondstationen  bildeten,  und  unter- 


92  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwickhnig. 

schied  danach  (wie  die  Chinesen  und  Araber)  die  Wintermondhänser 
von  den  Sommerstationen. 

Der  Monat  ging  entweder  ans  den  Jahreszeitenbildnng-en  oder 
ans  direkter  Teilung  des  Jahrs  hervor.  Das  erstere  sieht  man  noch 
an  den  Spuren  der  Halbjahrrechnung,  die  sich  hie  und  da  vorfinden. 
Dadurch,  daß  man  anfänglich  die  Zeit  nur  als  nasse  oder  kühle  und 
als  trockene  oder  heiße  unterschied,  war  das  Halbjahr,  welches  zur 
Anordnung  der  Ackerbauarbeiten  hinreichte,  schon  gegeben.  Die 
Monate,  d.  h.  die  6  Unterabteilungen ,  in  welche  später  das  Halbjahr 
zerlegt  wurde,  verraten  durch  ihre  paarweise  Gruppierung  bisweilen 
ihre  Entstehung.  Die  alten  vedischen  Monate  z,  B.  erscheinen  deutlich 
paarweise  verbunden  (je  3  Doppelraonate  in  einem  Halbjahr)  und 
weisen,  wie  die  Namen  Madhu-Madhara  (Honig  -  honigartig),  Huh'a- 
Suci  (leuchtend -brennend),  Xaldias - JS^ahhasya  (Gewölk- wolkig),  Jsh- 
ürj  (Saft-Kraft),  Salms  -  Sahasija  (Gewalt-gewaltsam),  Tapas-Tapasya 
(Wärme -warm)  zeigen,  auf  die  6  (ehemals  2)  Jahreszeiten  zurück. 
Bei  den  Arabern  erscheinen  nur  die  Monate  des  einen  Halbjahrs  ge- 
koppelt, die  anderen  nicht:  Eeln  I,  Behl.  II,  Dschumädä  I,  Dschumddä  II, 
Dhul-Tcade,  Dhul-hiddscke,  jedoch  sollen  die  Monate  Moharrem  und 
Safar  früher  als  Safar  I  und  Safar  II  bezeichnet  worden  sein 
(s.  §  49  u.  52).  Ebensolche  Verbindungen,  jedoch  viel  weniger 
deutlich,  kommen  anderwärts  vor  (bei  den  syrischen  Monaten  Tisri  I 
und  Tisri  II,  Kanun  I,  Kanun  II;  bei  den  Angelsachsen  hieß  Juni 
der  „erste  milde  Monat",  Juli  der  „zweite  milde  Monat"',  bei  uns  der 
Januar  „der  große  Hörn",  Februar  „der  kleine  Hörn").  Die  r2-Teilung 
des  Jahrs  entwickelte  sich  aber  auch  durch  die  Wahrnehmung,  daß 
während  der  Wiederkehr  derselben  Jahreszeit,  d.  h.  innerhalb  zweier 
Halbjahre,  der  Mond  ungefähr  zwölfmal  die  gleichen  Phasen  zeigte. 
Als  man  die  größere  Länge  des  Sonnenjahrs  einigermaßen  kennen 
gelernt  hatte  und  man  den  Monat  größer  voraussetzen  mußte,  wurden 
die  Zodiakalabschnitte  egalisiert,  d.  h.  zu  30*^  angesetzt.  Man  be- 
trachtete, unter  dem  Einflüsse  des  Sexagesimalsystems,  den  Sonnenlauf 
(das  Jahr)   fernerhin   als  Kreis  von  360^  (bei  den  Chinesen  365 '/4^). 

Als  „Monat"  wurde  in  den  ältesten  Zeiten  nur  der  Lichtmonat 
genommen,  nämlich  die  Zeit  zwischen  der  Wiederkehr  derselben  Mond- 
phase. Den  Anfang  des  Monats  bildete  überall  der  Tag  des  Neu- 
lichts,  d.  h.  das  Erscheinen  der  ersten  feinen  Sichel  nach  dem 
Neumonde.  Da  diese  Sichtbarkeit  je  nach  der  Lage  der  Ekliptik 
gegen  den  Horizont  verschieden  ist,  mußte  die  jedesmalige  Beobachtung 
entscheiden,  deren  Ergebnis  man  in  primitiver  Weise  dem  Volke  be- 
kannt machte.  Mit  der  Ausbildung  astronomischer  Kenntnisse  wurde 
die  Neulichtbestimmung  auf  Grund  von  Regeln  vorgenommen;  die 
Rechnung  nach  dem  Neulichte  hatte   sich   aber  (insbesondere  durch 


i^  18.     Äri'u.    Zyklen.    Jalnes-.  .Moniits-  und  Tafrestciluiig.  9H 

die  Feier  verschiedener  Feste,  die  an  die  Xeumondszeit  gebunden 
waren)  beim  Volke  so  befestigt,  daß  man  nach  dem  Neulichte  noch 
weiter  rechnete,  als  die  Ordner  des  Kalenders  schon  längst  die  Xeu- 
und  Vollmonde  zyklisch  vorausberechnen  konnten.  Hiervon  geben  die 
astronomischen  Tafeln  der  Babylonier  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.  einen 
Beweis,  in  welchen  eine  Eeihe  Zahlenkolumnen  auftreten,  welche  zur 
Vorausbestimmung  der  Zeit  des  Neulichtes  dienen  sollen.  Auch  die 
späteren  Juden  verfügten  (\vie  aus  Malmonith'.-!  hervorgeht)  über 
solche  Regeln.  Aus  den  Angaben  der  babylonischen  Tafeln  folgt  für 
das  Intervall  des  Neulichts  nach  dem  Neumond  eine  Zeit  von  19  bis 
50  Stunden  \  der  Durchschnittsbetrag  würde  also  etwa  1  ^'2  Tage  sein. 
Nach  den  Beobachtungen  mit  freiem  Auge,  die  F.  J.  Schmidt  in 
Athen  gemacht  hat,  liegt  die  Zeit  der  Sichtbarkeit  der  ersten  Sichel 
zwischen  63—29  Stunden  nach  Neumond  -.  Man  wird  demnach,  wenn 
von  der  berechneten  Zeit  des  wahren  Neumonds  auf  die  Zeit  der  ersten 
Sichel  geschlossen  werden  soll,  etwa  den  babylonischen  Durchschnitts- 
wert von  1^/2  Tagen  nach  Neumond  anzunehmen  haben.  Ein  zu- 
verlässigeres Resultat  läßt  sich  herstellen,  wenn  man  mittelst 
Neugebauees  Mondtafeln  (s.  S.  54)  die  Mondörter  für  mehrere  Tage  und 
daraus  die  üntergaugszeiten  des  Mondes  ermittelt ;  wenn  man  auch  die 
Untero-angszeit  der  Sonne  und  die  Dauer  der  astronomischen  Dämmerung 


1)  Stbass3iaier  u.  Epping,  Astronomisches  aus  Sabylon,  S.  42.  95. 

2  Abgesehen  von  der  Durchsichtigkeit  der  Luft  u.  s.  w.  hängt  die  früheste 
Sichtbarkeit  der  Mondsichel  für  das  freie  Auge  von  der  geographischen  Breite  des 
Ortes  und  von  der  Monddeklination  ab.  Je  steiler  die  scheinbare  Mondbahn  gegen 
den  Horizont  abfällt,  desto  eher  kann  die  Sichel  gesehen  werden.  Für  unsere  Breiten 
sind  deshalb  "Winter  und  Frühjahr  am  günstigsten,  am  spätesten  wird  der  Mond  in  den 
Sommermonaten  gesehen.  Für  südlichere  Breiten  ist  die  Dämmerung  kürzei-,  daher 
auch  die  Sichel  leichter  sichtbar  auch  im  Sommer  .  Beobachtungen  der  Zeit,  wann 
nach  Neumond  die  Sichel  zum  erstenmal  am  Abendhimmel  gesehen  werden  kann, 
sind  für  südlichere  europäische  Breiten  nicht  viele  vorhanden.  F.  J.  Sckuidt  hat 
zu  Athen  (und  Korinth)  von  1859 — 67  solche  Beobachtungen  gemacht  Astro». 
Kaclu:,  vol.  71,  1868,  S.  202  .  Er  gibt  aus  23  Aufzeichnungen  folgende  Mittel- 
zahlen für  die  einzelnen  Monate:  Januar  29,5  Stunden,  Februar  40,9,  März  30,8, 
April  31,5,  Juni  46,0,  Juli  38.2.  August  54,0,  September  63,0,  Oktober  44,5, 
November  48,7,  Dezember  38,7  Stunden.  Vereinigt  man  diese  Monatsmittel  zu 
Yierteljahrsmitteln ,  so  erhält  man  für  den  Frühling  32,  Sommer  46,  Herbst  52. 
Winter  36  Stunden,  aus  welchen  Zahlen  die  bei  weitem  frühere  Sichtbarkeit  der 
Sichel  in  den  Herbst-,  Winter-  und  Frühjahrsmonaten  ohne  weiteres  hervorgeht.  Unter 
sehr  günstigen  Umständen,  und  wenn  man  den  Ort  des  Mondes  am  Himmel  durch 
Vorausberechnung  gut  kennt,  dürfte  sich  für  das  in  Rede  stehende  Intervall  aus- 
nahmsweise ein  Tag  annehmen  lassen.  Über  die  Sichtbarkeit  der  Sichel  in  nörd- 
licheren Breiten  ^England  s.  Dexxing,  VisihiUty  of  the  neic  moon  The  Astrono- 
mical  Register,  vol.  XIX  p.  119,  London  1881).  Über  neuere  Beobachtungen  mittelst 
Opernglases  s.  0.  Sciirader,  Astron.  Nachr.,  vol.  168,  1905,  S.  319.  Vgl.  auch 
C.  LiTTRow,  Zur  Kenntnis  der  kleinsten  sichtbaren  Blondphasen  {Sitzher.  d.  Wiener 
Akad.  d.    U'iss.,  Bd.  66,  math.  Kl.,  1872). 


94  Die  Zeitelemeiite  und  ihre  historische  Eiitwiekhing. 

berechnet,  wird  man   die  Bedingungen,   ob   die  Sichel   zu   einer  an- 
genommenen Zeit  schon  sichtbar  sein  konnte,   gut  beurteilen  können. 
Die  Einteilung  des  Monats  tritt  in  verschiedenen  Formen 
auf.     Sowohl    der  siderische   wie  der  sjiiodische  Mondmonat,   sowie 
später  der  SOtägige  Monat  des  znr  Ansgleichung  bestimmten  Jahres 
bilden    den   Ausgangspunkt.     Die   natürliche   Zerlegung   ist   die   des 
]\Ionats   nach   2  Hälften,   vom  unsichtbaren  Neumond  bis  zum  Voll- 
mond, und  von   diesem  bis  zum  Neumond.    Bei   den  Indern  hat  sie 
sich   noch  bis  heute  erhalten;   die  vedischen  Texte  kennen  schon  die 
die    helle    oder   lichte   Hälfte   {parva  pal-slm)    und   die   dunkle   oder 
schwarze    {aimra   paksha).     Die    Zeit    des  Vollmonds   war   bei   den 
Indern,  Harranitern,  Arabern  mit  Zeremonien  und  Festen  verknüpft, 
das  Erscheinen  des  Neulichts   wurde  mit  Geschrei  begrüßt  (wie   bei 
den    arabischen   Stämmen)    oder   öffentlich    ausgerufen    (wie   bei  den 
Juden  und  Eömern).     Im  alten  China   soll   der  Gebrauch  bestanden 
haben,   daß   man   an  jedem   2.   und   16.   des  Monats  (d.  h.  nach  der 
ersten  Sichel  und  nach  Vollmond)  der  Geisterwelt  ein  Opfer  brachte. 
Davon  haben  sich  noch  2  Festtage  des  chinesischen  Kalenders,   der 
2.  Tag  des  ersten  Monats   (genannt  „der  erste  Opfertag")  und   der 
16.   des  'letzten  Monats   („der  letzte  Opfertag")   erhalten.     Auf  die 
Auffassung  des  Monats  im  Sinne   einer  Zweiteilung  weisen  auch  die 
Ausdrücke  vovpit^via  (erster  Monatstag)  und  dixofii^via  (Vollmondstag) 
bei  den  ältesten  Griechen,  die  altgermanischen  14tägigen  Fristen  u.a.  — 
Wichtig  ist  für  die  vergleichende  Chronologie  die  f  ü  n  f  t  ä  g  i  g  e  Woche 
{hamustu)  der  Babj'lonier  (s.  §  24),  weil  sie  auf  dem  Sexagesimal- 
prinzip    beruht;    sie    diente    im    Handels-    und    Geldverkehr;    einen 
gleichen  Zweck  hatte  die  ebenfalls  fünftägige  alte  2)asar -Woche  auf 
Java  (s.  §  120).  —  Die  zehntägige  Woche   (Dekade)  ist  aus  Denk- 
mälern für  die  Ägypter  festgestellt  (s.  §  35),   Spuren  finden  sich  bei 
den  Chinesen  (s.  §  127).  —  Die  siebentägige  Woche  ist  nicht 
babylonischen  Ursprungs  (s.  §  24),   sondern  hat  überhaupt  nur  ihre 
Entstehung  in  Vorderasien  zu  suchen;   die  heilige  Siebenzahl  spielte 
dabei   die  wesentliche  Ursache.     Hierauf  weist  die  Hervorhebung  des 
7.  Tages  bei   den  Babyloniern   (des  7.,  14.,  19.,  21.,  28.  Tages),  wie 
auch   die   astrologische  Bedeutung  der  siebentägigen  Frist.    Bei  den 
Juden  ging  die  (vermutlich  ursprüngliche  astrologische)  siebentägige 
Woche  in  den  bürgerlichen  Gebrauch  über,  unabhängig  vom  Mond- 
monat.    Derselben   gemeinsamen   vorderasiatischen  Quelle  entstammt 
die  siebentägige  Woche  der  alten  Perser.    Spuren  siebentägiger  Fristen 
finden  sich  in  Indien,  bei  den  chinesischen  Buddhisten  (in  der  Heiligung 
des  8.,  15.   und  23.  Monatstages)   und  in  dem  alten  ivid-u-Zyk\us  auf 
Java  (30  Wochen  zu  7  Tagen).  —  Endlich  wäre  die  rein  sexagesimale 
60tägige  „Woche"  (richtiger  der  Zyklus)  der  Chinesen  zu  nennen. 


i?  18.     Ären.    Zyklen.    ,J;ihrcs-,  Moiuits-  und  Tiigcstciluiifr.  95 

Den  Tag-  kann  man  entweder  als  die  Zeit  zwischen  dem  Auf- 
und  Untergange  der  Sonne  (Lichttag),  resp.  zwischen  dem  Untergang 
und  Aufgang  derselben  (Nacht)  ansehen,  oder  als  die  Zeit,  welche 
zwischen  zwei  Meridiandurchgängen  der  Sonne  liegt.  Der  erstere 
ist  der  natürliche  Tag,  der  zweite  heißt  der  bürgerliche  Tag 
(dicf!  naturnJis,  dies  clriJis.  Kalendertag).  Einige  Sprachen  unter- 
scheiden diese  Begriffe  voneinander.  Im  Dänischen  und  Schwedischen 
heißt  der  natürliche  Tag  (Lichttag)  dag,  der  bürgerliche  dagegen 
dänisch  dog)i,  schwedisch  dygn:  im  Griechischen  gilt  vvx&j^/hsoov  nur 
für  den  bürgerlichen  Tag,  scliehanruz  im  Persischen.  Der  natürliche 
Tag  bildete  bei  den  Völkern,  deren  Zeitrechnung  uns  hier  im  L  Bande 
interessiert,  die  Grundlage  der  Teilung.  Es  wurde  nämlich  die  Zeit 
zwischen  dem  Auf-  und  Untergang  der  Sonne  in  12  gleiche  Teile  und 
die  Nacht  in  ebensolche  12  Teile  geteilt.  Da  der  Tag-  und  Nacht- 
bogen der  Sonne  sich  mit  den  Jahreszeiten  fortwährend  verändert, 
auch  für  jede  geographische  Breite  ein  anderer  ist,  wechselten  die 
Stunden  dieser  Teilung  von  einer  Jahreszeit  zur  anderen  an  Länge. 
Mittag  fiel  also  auf  den  Anfang  der  7.  Tagesstunde,  Mitternacht  auf 
den  Anfang  der  7.  Nachtstunde.  Diese  Stunden  heißen  bei  den 
griechischen  Astronomen  doca  xcugr/.ai  (horap  temporales  oder  horae 
inaequaJes),  d.  h.  Stunden,  die  von  Bedingungen,  von  der  jeweiligen 
Länge  des  Tages  und  der  Nacht  abhängen.  Sie  wairden  mittelst  der 
Sonnen-  und  Wasseruhren  (clepsydra)  gemessen.  Diese  Stunden 
waren  überall  im  bürgerlichen  Leben  verbreitet.  Bei  den  griechischen 
und  orientalischen  Astronomen  kommen  auch  unsere  gegenwärtigen 
Stunden,  die  Vierundzwanzigstel  des  bürgerlichen  Tages,  vor;  sie 
werden  nur  für  die  Zwecke  der  Rechnung  gebraucht;  bei  den 
klassischen  Schriftstellern  werden  sie  sehr  selten  erwähnt  (bei  Plentx^s 
hist.  nat.  II  99,  VI  39,  XVIII  59).  Diese  gleichlangen  Stunden  hießen 
woat,  ißouegival  {horae  aequinoctkdes).  PTOLEMÄrs  gebraucht  haupt- 
sächlich diese  und  unterscheidet  sie  als  „gleichteilige"  Stunden  von 
den  anderen  „zeitlichen" ;  er  rechnet  sie  von  ]\nttag  zu  Mittag.  Die 
Temporalstunden  haben  während  des  ganzen  Altertums  und  noch 
lange  im  Mittelalter  Geltung  gehabt.  j\Iit  dem  14.  Jalirh.  gewannen 
aber  die  Ä  q  u  i  n  o  k  t  i  a  1  s  t  u  n  d  e  n  (durch  die  Einführung  der  Schlag- 
uhren) allmählich  Eingang.  —  Der  Tagesanfang  wird  sehr  ver- 
schieden gerechnet.  Im  allgemeinen  betrachten  die  Völker,  welche 
ein  Sonnenjahr  haben,  den  Sonnenaufgang  als  Tagesbeginn,  jene,  die 
nach  dem  Monde  zählen,  den  Sonnenuntergang.  Die  Ägypter  fingen 
sehr  wahrscheinlich  den  Tag  mit  der  Morgendämmerung  an.  ebenso 
die  alten  Perser ;  betreffs  der  Babylonier  ist  der  Tagesanfang  noch  nicht 
hinreichend  sicher  erwiesen ;  in  Hinsicht  der  Griechen  halten  die  einen 
am  Sonnenuntergänge  fest,   während   andere  den  Sonnenaufgang  als 


96  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwickhuig. 

Tag-esanfang-  glauben  nachweisen  zu  können.  Die  Körner  nahmen 
Mitternacht  als  Tagesbeginn ,  desgleichen  die  Chinesen  schon  in  alter 
Zeit.  Die  Araber,  Türken  und  Juden  rechnen  von  Sonnenuntergang. 
Es  muß  noch  daran  erinnert  werden  (vgl.  S.  16),  daß  die  heutigen 
Astronomen  den  Tag  von  Mittag  zu  Mittag  zählen  (seit  Ptolemäjjs), 
und  zwar  von  !'•  bis  24''  hindurch,  woraus  sich  gegen  die  bürgerliche 
Zählung  ein  Unterschied  von  einem  halben  Tage  (im  ersten  Halb- 
kreise des  Tags)  ergibt.  Die  Eechnung  nach  Nächten  finden  wir 
bei  den  Arabern,  aber  nach  den  Zeugnissen  von  Caesak  (de  hello 
GaUico  VI  18)  und  Tacitus  (Germmi.  c.  11)  auch  bei  den  Galliern 
und  Germanen. 

Zuletzt  noch  einige  Bemerkungen  über  den  Ursprung  der 
24-Teilung  des  Tag-Nacht-Kreises.  Ohne  Frage  ist  die  (babylonische) 
Doppelstunde  (Kas-hu)  der  Ausgangspunkt  dazu  gewesen.  Wie  man 
auf  die  Doppelstunde  kommen  konnte,  und  welche  Rolle  dabei  der 
Zodiakus  spielte,  wurde  schon  früher  erwähnt  (vgl.  S.  80).  Durch 
die  Doppelstunde  war  die  12-Teilung  des  Tagkreises  gegeben,  welche 
nach  dem  Vorbild  der  12-Teilung  des  Jahrkreises  (der  12  Monate) 
ausgeführt  wurde.  Als  man  der  Länge  des  Mondjahrs  einigermaßen 
sicher  war  und  Versuche  machte,  auf  Grund  eines  etwas  längeren 
Jahrs  des  360tägigen  Rundjahrs  (s.  S.  69),  durch  Schaltungen  auf 
das  der  Sonnenbewegung  angepaßte  Jahr  überzugehen,  nahm  man 
jeden  Kreis,  auch  den  Tagkreis,  zu  360  Teilen  an,  also  die  Doppel- 
stunde zu  30*^,  analog  der  Sonnenbewegung  von  30^  in  einem  Zwölftel- 
jahr (Monat).  Die  Doppelstunde  wurde  dann  sexagesimal  weiter  ab- 
geteilt, wie  der  Grad  des  Kreises.  Der  natürlichen  Vierteilung  des 
Tages  durch  die  Sonne  in  Morgen,  Mittag,  Abend  und  Mitternacht 
entsprach  der  Quadrant  des  Kreises  von  90^,  oder  im  Tagesviertel- 
kreise das  Intervall  von  3  Doppelstunden.  Da  dieses  Intervall  für 
die  Zwecke  des  täglichen  Lebens  eine  weitere  Teilung  erforderte, 
gingen  die  meisten  Völker  bald  auf  die  Hälfte  der  Doppelstunden, 
auf  den  Tagesviertelkreis  von  6  einfachen  Stunden,  also  auf  die 
24-Teilung  des  Tages  über.  Reste  der  Doppelstunde,  sowie  der  sexa- 
gesimalen  Teilung  der  Tageszeit  haben  sich  im  Altertum  noch  er- 
halten. Die  halbe  muhürta  der  Inder  (der  Tag  wird  bei  ihnen  in 
30  muhürta  geteilt)  entspricht  Voo  des  Tages,  ebenso  beruhen  die 
(später  eingeführten)  direkten  60-^'eilungen  des  Tags,  wie  die  ghatt 
jmlas  u.  s.  w.  auf  dem  Sexagesimalsystem ;  selbst  die  jüdische  Teilung 
der  Stunde  in  1080  Khalakim  scheint  noch  ihre  sexagesimale  Herkunft 
zu  verraten  und  aus  einer  ursprünglichen  3-Teilung  der  Stunde  (ent- 
sprechend den  3  Teilen  des  Vierteltagkreises)  und  aus  der  360-Teilung 
dieser  (3  •  360  =  1080,  oder  =  3  •  60  •  60)  hergeleitet  zu  sein. 


i?  19.    Julian,  u.  j^ri'^'or.  .liilir.   Julian.  Periode.    Fruhliiigspunkt  im  Julian.  .Jalir.       97 


§  19.    Juliauisches  und  ^rej^oriaiiisches  Jahr.    Jiiliaiiische  Periode. 
Lage  des  Frühliugspuuktes  im  Julianiseheii  Jahre. 

Obwohl  die  Darstellung-  des  julianischeii  und  des  gregorianischen 
Jahres  in  die  beiden  folgenden  Bände  dieses  Werkes  gehört,  müssen 
doch  die  Haupteinrichtungen  dieser  Jahre  hier  kurz  angegeben  werden, 
da  insbesondere  das  julianische  Jahi*  die  Grundlage  vieler  chrono- 
logischen Rechnungen  ist. 

Da  der  Kalender  der  Römer  in  arge  Verwirrung  geraten  war. 
unternahm  C.  Julius  Caesar  in  seinem  dritten  Konsulate  (46  v.  Chr.) 
eine  Neuordnung  der  Jahresrechnung.  Es  sollte  nach  vierjährigen 
Zyklen  gerechnet  w^erden,  in  welchen  das  erste  Jahr  immer  36(5  Tage 
und  die  folgenden  drei  365  Tage  hatten.  Das  mittlere  tropische  Jahr 
wurde  somit  zu  365^4  Tagen  angenommen.  Das  erste  Jahr  dieser 
Zeitrechnung  (45  v.  Chr.)  begann  mit  dem  ersten  Neumondstage 
nach  der  hriima  (Wintersonnenwende,  1.  Januarius  45  v.  Chr.).  Der 
Schalttag  (dies  intercalaris)  lag  im  Februarius.  Diese  Jahre  er- 
hielten, als  von  Julius  Caesae  eingeführt,  im  Volke  die  Bezeichnung 
julianische   Jahre  {mini  Julian i). 

Das  julianische  Jahr  steht  bezüglich  seiner  Länge  von  365^/4 
Tagen  noch  auf  der  Stufe,  die  schon  mehrere  Jahrhunderte  vorher 
in  Griechenland ,  Ägypten  u.  s.  w.  hinsichtlich  der  Bestimmung  des 
tropischen  Jahres  erlangt  worden  ist.  In  der  Tat  mußten  sich  die 
Völker  des  Altertums  bis  ins  3.  oder  4.  Jahrh.  v.  Chr.  mit  diesem 
Jahre  begnügen,  da  mit  den  astronomischen  Hilfsmitteln  der  alten 
Zeit  sich  nicht  viel  mehr  erreichen  ließ.  Erst  mit  der  Erfindung  der 
Armillasphäre  konnte  man  versuchen,  den  überschüssigen  Jahresbruch- 
teil von  5'i  48"^  46'  des  tropischen  Jahres  genauer  zu  ermitteln,  da 
sich  mit  diesem  Instrumente  die  Jahrpunkte  besser  beobachten  ließen. 
Dies  w^ar  Hippaech  (um  150  v.  Chr.)  ziemlich  gelungen,  und  der 
Umstand,  daß  100  Jahre  später  von  dem  Astronomen  Sosigexes, 
welcher  den  Caesar  mit  Rat  untersützte,  keine  Rücksicht  auf  die 
HippAECHSche  Bestimmung  genommen  wurde,  ist  ein  Beweis,  wie 
unklar  man  sich  in  der  Länge  des  Sonnenjahres  damals  noch  w^ar. 

Der  Fehler  des  julianischen  Jahrs  von  11"^  14"  gegen  das  tropische 
(oder  in  4  Jahren  nahezu  ■^/4  Stunden)  mußte  sich  allmählich  zeigen,  da 
er  in  etwa  128  Jahren  auf  einen  Tag  anstieg.  Im  Mittelalter  wurde 
der  Fehler  merkbar,  um  so  eher,  als  man  für  die  Bestimmung  der 
Neumonde  nur  den  METoNSchen  Zyklus  verwendete,  und  diese  in  Ver- 
bindung mit  den  unrichtig  fallenden  Tag-  und  Nachtgleichen  die  Lage 
des  Osterfestes  nicht  mehr  richtig  angaben,  welches  nach  kirchlicher 
Vorschrift   an   den  Mond  und  an  das  Frühjahrsäquinoktium  geknüpft 

Ginzel,   Chronologie  I  ' 


98  Die  Zeitelemente  und  ihre  historische  Entwickhing. 

war.    Vom   13.  Jahrh.   an   datieren   daher   die  Versuche  der  Eeform 
des  Kalenders,  welche  durch  Papst  GkegokXIII.  1582  ihren  Abschluß 
fanden.    Hinsichtlich   des  tropischen  Jahres  wurde  durch  die  greg'oria- 
nische  Eeform  bestimmt,  daß  das  Frühjahrsäquinoktium ,  welches  zur 
Zeit  des  Konzils  Ton  Nicaea  (325  n.  Chr.)  auf  den  21.  März  gefallen 
war,  jetzt  aber  um  10  Tage  früher,   auf  den  11.  März  fiel,  fortan 
unveränderlich    auf   dem   21.  März    haften   sollte.     Zu   dem  Zwecke 
Avurden   im   Oktober   1582   diese   10   Tage  weggelassen,   indem  man 
vom  4.  Oktober  sogleich  zum  15.  Oktober  überging.    Zur  Verbesserung 
in  der  Annahme  der  Jahreslänge  wurde  folgende  Bestimmung  getroffen : 
Jedes    4.  Jahr   bleibt   wie   im   julianischen  Kalender  ein   Schaltjahr, 
jedoch   sind  jene   Säkularjahre   (d.  h.   das   letzte   eines  Jahrhunderts, 
mit  2  Nullen  in   den  Einheiten  und  Zehnern)  fernerhin  Gemeinjahre, 
welche    durch   400    nicht   ohne  Rest  teilbar  sind.     (Daher  sind   die 
Jahre  1600  und  2000  n.  Chr.  Schaltjahre,  die  Jahre  1700,  1800,  1900 
aber  Gemeinjahre.)    Durch   diese  Eegel   erreicht  man   in  der  Haupt- 
sache die  Ausgleichung,  wenn  auch  nicht  ganz^    Die  Eechnung  nach 
dem   eben  beschriebenen  gregorianischen  Jahre  nennt  man  auch 
Rechnung  nach  dem  neuen  Stil,  zum  Unterschiede  vom  alten  Stil, 
dem  julianischen  Kalender.  —  Es  ist  chronologisch  öfters  von  Interesse 
zu  wissen,  um  wieviel  Tage  ein  gegebenes  gregorianisches  Datum  dem 
entsprechenden  julianischen  vorausgeht.    Folgende  Eegel  liefert  diese 
Differenz :  Man  multipliziere  die  in  dem  gegebenen  Jahre  n.  Chr.  ent- 
haltene Zahl  der  Jahrhunderte  mit  3,  subtrahiere  vom  Produkt  5  und 
dividiere  dann   den  Unterschied  durch  4,   so   gibt   der  Quotient   die 
Anzahl    Tage,   um   welche    die   Datierung   nach   beiden   Stilen    ver- 
schieden ist;  z.B.:  um   wieviel  Tage  eilt  im  Jahre  2157  n.Chr.  der 
gregorianische  Stil   gegen    den   alten   voraus?     Die  Zahl   der  Jahr- 
hunderte in  2157  ist  21,  demnach  "   '  ^"'^  =  14,  d.h.  das  gregoria- 
nische Datum  ist  um  14  Tage   voraus.    Folgende  kleine  Tafel  gibt 
die   gesuchte  Differenz   für  einige  Jahrhunderte.     Um  ein  julianisches 
Datum   zwischen   den   nachstehenden  Grenzen   auf   das  entsprechende 
gregorianische  zu  reduzieren,  hat  man 


1  Bei  der  Erklärung  der  Ausgleichung  des  Überschusses  über  .865^1  (s.  S.  66) 
wurde  schon  hervorgehoben,  daß  man  diese  Ausgleichung  ziemlich  vollständig  er- 
reichen könnte,  wenn  in  128  .lahren  31  Schalfjahre  eingelegt  würden.  384  Jahre 
brauchten  98  Schaltjahre.  Nach  der  gregorianischen  Regel  würden  in  400  Jahren 
97  Schaltjahre  nötig  sein.  Die  von  .884  auf  400  fehlenden  16  Jahre  liefern  noch 
4  Schaltjahre.  Während  aber  bei  den  3  •  128  =  384  Jahren  durch  die  Schaltung 
eine  erhebliche  Genauigkeit  erzielt  wird,  legt  man  bei  den  16  Jahren  etwas  zu 
viel  hinzu,  so  daß  in  400  Jahren  ein  Plus  von  etwa  2li  50°»  entsteht,  welches  in 
3400  Jahren  wieder  1  Tag  ausmacht.  Die  gregorianische  Schaltregel  ist  also  nur 
näherungsweise  richtig. 


1800 

11 

1900 

12 

2100 

13 

2200 

14 

ij  1  9.    .luliiiii.ii.grogor.  .Fuhr.   .Iiiliiiii.  Periode.    Friililiii'.'-spuiikf  im  Jiiliiui.  .Inhre.      99 

vom  5.  Oktob.  1582  bis  29.  Febr.  1700  (alt.  Stil)  10  Tage 

,,     1.  März     1700  ,,  ., 

1800  „  „        , 

n  j)  lyuu  „  „       , 

2100  „  ,       ,, 

zu  addieren. 

In  der  Chronologie  zählt  man  die  julianischen  Jahre  von  der 
Epoche  der  Geburt  Christi  nach  vorwärts  und  rückwärts,  unter- 
scheidet also  Jahre  vor  und  nach  Christus.  Das  erste  Jahr  v.  Chr. 
und  das  erste  n.  Chr.  folgen  bei  den  Historikern  unmittelbar  auf- 
einander. Die  Zählung  nach  vorwärts  beginnt  mit  drei  Gemein- 
jahren, so  daß  das  4.  8.  12.  .  .  .  n.  Chr.  ein  Schaltjahr  ist;  dem- 
entsprechend sind  die  Jahre  1,  5,  9,  13  .  .  .  v.  Chr.  ebenfalls 
Schaltjahre;  es  gilt  also  die  Eegel:  diejenigen  Jahre  n.  Chr.  sind 
Schaltjahre,  welche  bei  der  Division  durch  4  keinen  Eest  geben; 
jene  v.  Chr.  sind  Schaltjahre,  für  welche  bei  der  Division  durch  4 
der  Rest  1  bleibt.  Von  dieser  historischen  Zählung  der  Jahre 
unterscheidet  sich  die  astronomische  dadurch,  daß  die  letztere  bei 
den  Jahren  v.  Chr.  ein  Jahr  weniger  zählt.  Die  Jahre  v.  Chr.  werden 
nämlich  als  negative  ( — ),  die  Jahre  n.  Chr.  als  positive  (-j-)  der 
ganzen  Eeihe  aufgefaßt ;  ein  solcher  Begriff  erfordert  aber  den  Durch- 
gang der  Jahre  durch  Null.  Es  wird  daher  das  dem  Jahre  1  n.  Chr. 
vorausgehende  Jahr  mit  Null  bezeichnet;  hiedurch  wird 

das  Jahr  2  v.  Chr.  (histor.)  =  —  1  (astronomisch) 
55       »      3       „  „         =  —  2  „  u.  s  w., 

oder  allgemein:  die  astronomischen  Jahre  v.Chr.  sind  um  eine  Einheit 
kleiner  als  die  der  Historiker.  Bei  den  Jahren  n.  Chr.  ist  in  beiden 
Zählungsarten  kein  Unterschied.  Wie  man  leicht  bemerkt,  gewährt 
die  astronomische  Zählung  zwei  Vorteile.  Nach  derselben  sind  die 
Jahre  +4,  +8,  +12...  Schaltjahre  (wie  bei  den  Historikern), 
aber  auch  die  Jahre  —  0,  —  4,  — 8,  —  12  .  .  .,  es  gilt  also  hier 
die  Regel  ohne  Ausnahme,  daß  alle  durch  4  ohne  Rest  teilbaren 
Jahre  Schaltjahre  sind.  Ferner  läßt  sich  irgend  ein  Intervall  zwischen 
Jahren  v.  Chr.  und  Jahren  n.  Chr.  ohne  weitere  Überlegung,  durch 
Subtraktion,  bilden.  Das  Intervall  zwischen  der  Olympiadenrechnung 
776  V.  Chr.  und  der  Epoche  der  Hidschm  622  n.  Chr.  ist  nicht 
1398  Jahre,  sondern  (1398— 1)  =^  1397  Jahre,  da  die  historische 
Zählung  bei  den  Jahren  v.  Chr.  eigentlich  1  Jahr  zuviel  rechnet. 
Nach  der  astronomischen  Zählweise  hat  man  aber  unmittelbar: 
(-h  622)  —  (—  775)  =  +  622  +  775  =  1397  Jahre. 

Unter  der  julianischen  Periode  versteht  man  einen  Zyklus 
von  7980  Jahren,  dessen  Jahre  julianische  sind.    Das  erste  Jahr  der 

7* 


100  Die  Zeitelemente  und  ihre  Instorische  Entwicklung. 

Periode  beginnt  mit  1.  Januar  47U]  v.  Chr.  (=  —  4712  astronomisch). 
Die  jnlianische  Periode  ist  eine  künstliche,  aus  dem  Produkte  der 
Zykluszahlen  28,  19,  15  (Sonnenzirkel,  Mondzirkel,  Indiktion)  gebildete, 
von  Josef  Scalkjee  eingeführte  Periode'.  Sie  wird  besonders  dann 
vorteilhaft,  wenn  man  statt  mit  Jahren  nach  den  Tagen  der  julia- 
nischen Periode  rechnet  und  die  Daten  durch  diese  ausdrückt,  wie 
es  in  den  ScHEAMSchen  Tafeln  (s.  S.  56)  geschieht.  Die  Verwandlung 
von  Datierungen  einer  Zeitrechnung  in  die  einer  anderen  wird  durch 
die  Anwendung  dieses  Prinzips  höchst  einfach,  und  die  meist  schwer- 
fälligen Pegeln,  die  man  zur  Lösung  solcher  Aufgaben  gegeben  hat. 
werden  überflüssig.  Ich  setze  noch  den  Epochetag  einiger  Aren, 
welche  uns  im  I.  Bande  interessieren,  und  von  denen  dieser  Tag  fest- 
steht, in  solchen  julianischen  Tagen  ausgedrückt  hier  an: 


Epoche  der  Ära 

Julian.  Tag 

Kalbjuga 

17. 

Febr. 

3102  V. 

Chr. 

=      588  465 

NahoncD^sar 

26. 

Febr. 

717 

y 

=  1448  638 

Fkülpin 

12. 

Nov. 

324 

y. 

=  1603  398 

Sal'ci  -  Ära 

15. 

März 

78  n. 

Chr. 

=  1749  621 

Diocleüan 

29. 

Aug. 

284 

)* 

=  1825  030 

Hldschra 

16. 

Juli 

622 

1' 

=  1948  440 

Jezdegerd 

16. 

Juni 

632 

r 

=  1952  063 

Burmesische 

21. 

März 

638 

V 

=  1954167 

Neiüär-Ärsi 

20. 

Okt. 

879 

V 

=  2  042  405 

DschelaJeddin 

15. 

März 

1079 

?• 

-=  2115  236 

Diese  Ausdrucksweise  von  Datierungen  durch  julianische  Tage  hat 
auch  den  Vorteil,  daß  man  nach  den  ScHRAMSchen  Tafeln  sofort  den 
Wochentag  des  Datums  finden  kann,  wenn  die  jnlianische  Tageszahl 
durch  7  dividiert  wird ;  der  bei  der  Division  bleibende  Rest  =  0  gibt 
Montag,  1  =  Dienstag,  2  =  Mittwoch,  3  =  Donnerstag,  4  =  Freitag, 
5  =  Sonnabend,  6  =  Sonntag.  Die  Division  der  julianischen  Tageszalil 
der  ersten  von  den  eben  angeführten  Ären  durch  7  zeigt,  daß  die 
Epoche  des  KaUyuga  ein  Donnerstag  ist  (Rest  =  3). 

Von  Wichtigkeit  für  die  Chronologie  ist  schließlich  noch  die  Be- 
antwortung der  Frage,  um  wieviel  die  Jahrpunkte  (s.  S.  14)  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  im  julianischen  Jahre  zurückliegen.  Dieses  Zurück- 
weichen beträgt,  da  das  mittlere  tropische  Jahr  um  11'"  14'  kürzer 
ist  als  das  julianische,  ungefähr  alle  128  Jahre  einen  Tag.  Das  ge- 
naue Datum,  wann  die  Sonne  nach  julianischer  Zählung  in  den  Widder, 
Krebs,  Wage,  Steinbock  in  einem  gegebenen  Jahre  tritt,  muß  aus  den 
Sonnentafeln   berechnet   werden.     Direkt   für   diese    Ermittlung  ein- 


1)  De  emendatione  temponim,  Colon.  AUobr.  1629,  p.  359  f. 


i?19.   Juliaii.u.  ^Tt'gor.  Jahr.   Julian,  l'criodc.    Frühlingspunkt  im  Julian.  Jahre.     101 

gerichtet  ist  die  ,,Zodiakaltafel-'  in  Schha.ms  Hilfstafeln  für  Chronologie 
(s.  S.  53).  In  der  folgenden  Tabelle  gebe  ich  die  Lage  des  wichtigsten 
der  vier  Jahrpnnkte,  des  Frühlingspnnktes,  berechnet  nach  der  eben 
genannten  Tafel,  von  —  4000  (4001  v.  Chr.)  bis  +  1600  (1600  n.  Chr.) 
von  100  zu  100  Jahren,  und  zwar  das  Datum  in  ganzen  Tagen  und 
deren  Bruchteilen,  gerechnet  von  Mittag  zu  Mittag  des  Meridians  von 
Greenwich.  Mit  Berücksichtigung  dieser  Zählungsart  des  Tages  und 
des  Meridianunterschiedes  gegen  Greenwich  kann  man  Tag  und  Stunde 
des  Frühlingspunktes  für  jeden  anderen  Ort  ermitteln;  für  das  4.  Datum 


Julian. 
Jahr 

Datum  des 
Frühlings- 
äquinoktiums 

Julian. 
Jahr 

Datum  des 
Frühlings- 
äquinoktiums 

Julian. 
Jahr 

Datum  des 
Frühlings- 
äquinoktiums 

—  4000 

April 

23,3568 

—  2100 

April 

8,0075 



200 

März 

23,8531 

—  3900 

» 

22,5571 

—  2000 

' 

7,2034 

— 

100 

n 

23,0740 

—  3800 

1 

21,7418 

—  1900 

n 

6,3983 

0 

n 

22,2789 

—  3700 

fl 

20,9368 

—  1800 

■n 

5,5958 

+ 

100 

1 

21,5019 

—  3600 

n 

20,1312 

—  1700 

i> 

4,8030 

+ 

200 

n 

20,7213 

—  3500 

fl 

19,3218 

—  1600 

n 

3,9939 

+ 

300 

n 

19,9293 

—  3400 

n 

18,5174 

—  1500 

1) 

3,1951 

-f- 

400 

n 

19,1625 

—  3300 

1» 

17,7106 

—  1400 

n 

2,3953 

+ 

500 

n 

18,3705 

—  3200 

1 

16,8912 

—  1300 

n 

1,5821 

+ 

600 

„ 

17,5977 

—  3100 

n 

16,0862 

—  1200 

März 

31,7995 

+ 

700 

y> 

16,8201 

—  3000 

3 

15,2739 

—  1 100 

n 

30,9884 

-t- 

800 

n 

16,0328 

—  2900 

n 

14,4591 

—  1000 

■t 

30,1985 

+ 

900 

1 

15,2614 

—  2800 

y> 

13,6683 

—    900 

n 

29,4017 

+ 

1000 

n 

14,4833 

—  2700 

1 

12,8459 

—    800 

n 

28,5977 

+ 

I  100 

n 

13,7112 

—  2600 

D 

12,0476 

—     700 

D 

27,8130 

+ 

1200 

n 

12,9466 

—  2500 

n 

11,2396 

—    600 

f> 

27,0163 

+ 

1300 

11 

12,1758 

—  2400 

y> 

10,4216 

—    500 

n 

26,2285 

+ 

1400 

» 

1  1,4028 

—  2300 

1 

9,6278 

—    400 

y> 

25,4395 

-f- 

1500 

» 

10,6392 

—  2200 

1 

8,8112 

—    300 

n 

24,6482 

4- 

1600 

1 

9,8634 

der  Tabelle  z.  B.  hat  man  —  3700  April  20,9368  =  20.  April  22»»  29'" 
Gr.  Zt.,  daher  für  Babylon  (2''  58«»  östl.  v.  Gr.)  21.  April  1^  27"^ 
Babyl.  Zt.  Im  Jahre  3701  v.  Chr.  trat  also  die  Frühjahrs-Tag-  und 
Nachtgleiche  für  Babylon  am  21.  April  Julian,  um  1*»  27°»  nachmittags 
ein.  Für  die  z"wischen  die  Intervalle  fallenden  Jahre,  d.  h.  zu  Inter- 
polationen, darf  die  Tabelle  nicht  benützt  werden,  da  die  Bewegung 
des  Frühlingspunktes  von  einem  Jahre  zum  nächsten  zu  unregelmäßig 
ist,  eine  Interpolation  also  ein  falsches  Resultat  liefern  würde  \    Trotz- 


1  Für  die  Zeit  des  Konzils  zu  Nicaea  ergibt  z.  B.  die  direkte  Rechnung  den 
Frühlingseintritt  am  20.  März  .325  n.  Chr.  1^  53'"  Nicaea-Zcit  i^Nachmittag  ,  [März 
19,9960  Gr.  Zt.]. 


102  Die  Zeitelemente   und  ihre  historische  Entwickhing. 

dem  wird  die  Tabelle  wohl  willkommen  sein,  da  sie  eine  Übersicht 
über  die  Bewegung  des  Frühlingspimktes  in  5600  Jahren  gewährt 
und  sogleich  auch  auf  die  ungefähre  Lage  der  andern  3  Hauptpunkte 
schließen  läßt. 


§  20.    Literatur  zu  C. 

L    Entwicklung  der   Zeitbegriffe,    der  Beobachtungen 

und  des  Jahres. 

John  Narrien,  An  historical  account  of  the  origin  and  progress  of  Astrotionvj, 
London  1833.  —  P.  Tannery,  Eecherches  sur  Vhist.  de  l'astron.  ancienne  (Mem. 
de  la  societ.  des  sciences  de  Bordeaux,  4.  ser.  T.  I,  1893).  —  H.  Zimmern,  Das 
Prinzi'p  unserer  Zeit-  und  Baumteilung  {Berichte  d.  König.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss., 
philol.-liist.  KL,  1901,  S.  47).  —  E.  Mahler,  Die  Entstehung  der  Zeit-  und  Kreis- 
teiliing  {Orient.  Litterat.- Zeitung,  ed.  Peiser,  YI,  1903,  S.  9).  —  L.  Ideler,  Histor. 
Unters,  üb.  die  astron.  Beob.  der  Alten,  Berlin  1806.  —  Vgl.  ferner  in  vielen  der 
nachstehenden  Arbeiten. 

2.    M  0  n  d  s  t  a  t  i  0  n  e  n. 

Colebrooke  ,  On  the  Indian  and  Arabian  divisions  of  the  Zodiac  {Miscell. 
Essays  II  821 ;  1837).  —  Sedillot,  Materiaux  i)our  servir  ä  Vhist.  comparee  des  sc. 
math.  chez  les  Grecs  et  les  Orient. ,  II  S.  548.  —  Burgess  (In  den  Anmerkungen 
zur  Übersetzung  d.  Sürya  Siddhunta,  Journ.  of  the  Americ.  Orient.  Society,  VI, 
1860).  —  J.  B.  BioT ,  Etudes  sur  l'Astr.  indienne  et  sur  l'Astr.  chinoise,  Paris 
1862.  —  A.  Weber,  Die  vedischen  Nachrichten  v.  den  naxatra  (Abhdlg.  d.  Berl. 
Akad.  d.  IC,  I  u.  II,  1860);  Indische  Studien  IX,  1865,  S.  424;  X,  1868,  S.  213.  — 
Hommel,  Üb.  d.  Urspr.  u.  d.  Alter  der  arab.  Sternnamen  ti.  insbes.  der  Mond- 
stationen {Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.  XLV,  1891 ,  S.  613).  —  G.  Thibaut, 
Astronomie,  Astrol.  u.  Mathem.  (Grundriß  d.  Indo- Arischen  Philologie,  vol.  III, 
1899,  S.  12 — 19).  —  A.  DE  MoTYLiNSKi,  Les  inansions  lunaires  des  Arabes,  Algere 
1899.  —  Vgl.  vieles  in  der  Liter,  üb.  den  Zodiakus. 

3.    Zodiakus. 

Letronne,  Ohservat.  critique  et  archeol.  sur  l'objet  des  representations  sodia- 
cales,  Paris  1824;  Sur  l'origine  grecque  des  zodiaques  pretendus  egyptiens  {s. 
Melanges  d'erudition  et  de  critique  historique).  —  Biot  ,  3Iem.  sur  le  zodiaque 
circulaire  de  Denderah  {Mem.  de  l'Inst.  roy.  d.  France,  Acad.  d.  Inscr.  XVI  2, 
1846).  —  Letronne,  Analyse  critique  des  represent.  zodiac.  de  Dendera  et  d'Esve 
(ibid.),  [Vgl.  auch  Journ.  des  savants  1839,  40,  45,  59,  60,  61.]  —  A.  W.  Schlegel, 
Üb.  d.  Sternbilder  d.  Tierkreis,  im  alt.  Indien  {Zeitschr.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.  1  354, 
111  369;  vgl.  auch  IV  302).  —  A.  Holtzmann,  Vb.  d.  griech.  Ursprung  des  indischen 
Tierkreises,  Karlsruhe  1841.  —  L.  Ideler,  Üb.  d.  Urspr.  d.  Tierkreises  {Abhdlg.  d. 
Berl.  Akad.  d.  IT.  1838).  —  Buttmann,  Üb.  d.  Entstehung  d.  Sternbilder  auf  d. 
griechisch.  Sphäre  {Abhdlg.  d.  Berl.  Akad.  d.  IT.  1826).  —  Th.  Friederich  und 
H.  C.  MiLLiEw  {Opmerkingen  over  den  oud-Javaanschen  dierenriem)  Verslagen  en 
Mededeel.  d.  Koninkl.  Akad.  v.  U'etensch.  7.  deel  1863,  Afdeel.  Letterkunde, 
S.  237  u.  298.  [Daselbst  Literatur  über  javanische,  indische  und  mohammedanische 
Tierkreise]    —    W.  Fröhner,  Notice  de  la  sciilpture  antique  du  Musee  Imperial, 


§  20.     Literatur  zu  ('.  103 

Paris  1869  [Beschreibung  des  Tierkr.  von  Bianchi.ni].  —  Epi'ino  u.  Sti<a.s.smaiek, 
Astronomisches  aus  Bab'/lon ,  Freiburg  1889.  —  1*.  Jk.nskx,  Die  Kosmologie  der 
Bahylonier,  Straßburg  1890.  —  Hommel,  Die  Astronomie  d.  alten  Chaldäer  (Auf- 
sätze u.  Abhdlgn.  II  1900,  III  1,  1901;  vgl.  „Ausland-  1891,  1892).  —  Thiklk, 
Antike  Himmclsbilder ,  Berlin  1898.  —  R.  Bkown,  liesearches  into  the  oriyin  of 
the  primitive  Constellations  of  the  Greeks,  Phoenicians  and  Babylon i ans ,  2  vol., 
London  1899,  1900;  Bemarks  on  the  Euphrat.  astron.  names  of  the  sir/ns  of  the  Zodiac 
(Proceed.  of  the  Soc.  of  Biblical  ArchaeoL,  vol.  XIII,  S.  246).  —  E.  W.  Mauxdkk, 
Snake  forms  in  the  constellations  and  on  Babylon.  Boundury  Stones  {Knoivledge, 
Neue  Serie  1904,  I  227;  London).  —  Daressy,  Recueil  de  travaux  rel.  u  la  philol. 
et  ä  Varch.  Egypt.  Assyr.,  vol.  XXIIl  1901,  S.  126  ]Be.schreibg.  d.  ägypt.  Tier- 
kreises, vgl.  S.  86].  —  Jensen-,  Göttinger  Gelehrt.  Ämeig.  1902,  S.  370  [Spät- 
babylonische Nanaen  der  Tierkreisbilderl.  —  Fr.  Boll  ,  Sphaera,  neue  griech. 
Texte  u.  Untersuchtingen  z.  Geschichte  d.  Sternbilder ,  Leipz.  1903.  —  Vgl.  auch 
F.  Stuhk,  Unters,  üb.  die  Ursprünglichkeit  u.  Altertümlichkeit  d.  Sternkunde  unter 
den  Chinesen  u.  Indern,  Berlin  1831 ;  J.  Gr.  Rhode,  Versuch  üb.  d.  Alter  d.  Tier- 
kreises u.  d.  Urspr.  d.  Sternbilder,  Breslau  1809;  J.  K.  Schaubach,  Geschichte  d. 
griech.  Astronomie,  Göttingen  1802. 

4.  Abbildungen  von  Tierkreise  n. 

Bei  Boll  (a.  a.  0  )  das  Rundbild  von  Dendera ,  der  rechteckige  Tierkr.  v. 
Dendera,  Bl\nchinis  Zodiakus,  der  ägyptische  Tierkreis  von  Daressy,  die  Plani- 
sphäre  Vatican.  gr.  1087.  —  Javanische  Tierkreise:  T.  St.  Raffles,  History  of 
Java,  London  1817,  I  478,  II  52,  56;  John  Crawfcrd,  History  of  the  Indian 
Archipelaijo ,  Edinb.  1820.  vol.  I  303,  pl.  8;  Friederich,  Verhandelingen  van  het 
Batav.  Genotschap,  d.  XXIII,  Batavia  1850.  Betr.  Abbildungen  indischer  u.  arab. 
Tierkreise  s.  die  Literaturangaben  bei  H.  C.  Millies  (s.  oben). 

5.  Tage,  Stunden,  Wochenu.  s.  w. 

G.  BiLFiNGER,  Der  bürgerliche  Tag,  Unters,  üb.  d.  Beginn  des  Kalendertages 
im  klass.  Altert,  u.  christl.  3Iittelalter ,  Stuttgart  1888;  Die  babylonische  Doppel- 
stunde, Stuttgart  1888;  Die  Zeitmesser  der  antiken  Völker,  Stuttgart  1886;  Die 
antiken  Stundenangaben,  Stuttgart  1888.  —  W.  H.  Röscher,  Die  enneadischen 
und  hebdomadischen  Fristen  u.  Woclien  der  ältesten  Griechen  (Abhdlg.  d.  Königl. 
Sachs.  Ges.  d.  HYss.,  philol.-hist.  KL,  XXI.  Bd.,  1903,  Nr.  IV). 


Zeitrechnung  der  einzelnen  Völker 


I.  Kapitel. 

Zeitrechnung  der  Babylonier. 

§  21.    Torbemerkiiug:. 

Über  das  Zeitrechnungswesen  von  Babylonien  und  des  mit  diesem 
zeitweise  verbunden  gewesenen  Assyrien  haben  uns  die  klassischen 
Schriftsteller  nur  dürftige  Nachrichten  hinterlassen.  Der  Grund  davon 
liegt  nicht  sowohl  in  der  für  die  alte  Zeit  bedeutenden  Entfernung  des 
Zweistromlandes  von  Griechenland  und  Italien,  als  vielmehr  darin,  daL) 
in  der  Periode  der  Blüte  Griechenlands  und  Roms  die  Kulturhöhe 
Babyloniens  bereits  einer  längst  vergangenen  Zeit  angehörte.  Die 
Geschichte  der  Babylonier  beginnt  für  uns  jetzt,  auf  Grund  der  dui'ch 
die  Ausgrabungen  zutage  geförderten  Dokumente,  mindestens  mit 
3000  V.  Chr.,  und  die  Anfänge  der  Kultur  jener  Länder  haben  wir, 
nach  allem  was  bis  jetzt  bekannt  geworden,  vielleicht  auf  6000  v.  Chr. 
zurückzusetzen.  Zur  Zeit,  da  die  Dorier  erst  in  den  Peloponnes  ein- 
wanderten, waren  die  Babylonier  bereits  in  Besitz  des  größten  Teils 
ihrer  eigenen  geistigen  Errungenschaften,  und  für  die  römischen  und 
griechischen  Klassiker,  welche  (mit  Ausnahme  Hekodots)  im  ersten 
Jahrh.  v.  Chr.  oder  viel  später  über  die  Babylonier  schrieben,  war 
die  hohe  Kultur  Mesopotamiens  nur  mehr  eine  Legende,  um  so  mehr, 
als  Babylonien  und  Assyrien  längst  ihre  politische  Selbständigkeit 
verloren  hatten.  Daher  die  schwankenden  Berichte  bei  Plixits 
(h.  n.  YII  56,  57),  Maxilius  (I  40,  45),  Mackobius  (Com.  Somu.  Sc'q). 
I  21),  Clem.  Alexandk.  {Strom.  I  16),  Achill  Tatius  (Isag.  1)  u.  a., 
welche  den  Ursprung  der  Astronomie  in  Ägypten  und  Babylon  suchen ; 
daher  die  fabelhaft  großen  Zahlen,  die  von  Ciceeo  (de  dirhi.  I  19), 
DiODOR  (II  31),  PoEPHYurus  (bei  Simplic.  Comment.  in  Aristot.  de 
caelo  II  12)1  ^j^^  Hippaech  (nach  Jamblichus,  bei  ProcI.  in  Tim. 
Fiat  I  31)   für   das    Alter    der    astronomischen   Beobachtungen    der 


1)  Einige  dieser  hohen  Zahlen  erklären  sich  durch  fehlerhaften  Gebrauch  der 
Zahlenzeichen;   vgl.   C.  F.  Lehsiann,   Zicei  Hauptprohleme   d.   altorient.   Chronol.. 

Leipzig  1898,  S.  110. 


108  T.  Kapitel.     Zeitrecliimng  der  Babylonier. 

Babylonier  angegeben  werden,  und  welche  Zahlen  zu  erklären  man 
sich  früher  manche  Mühe  gegeben  hat.  In  der  Tat  haben  von  den 
Berichten  jener  Autoren  nur  noch  einige  Angaben  von  Gemexus, 
DioDOE  und  Heeodot  einigen  Wert,  besonders  die  Bemerkungen  des 
letzteren,  der  wahrscheinlich  Babylon  besucht  hat  und  aus  eigener 
Anschauung  spricht  ^ 

Eine  neue  Ära  für  unsere  Kenntnis  der  Kultur  der  Babylonier 
und  damit  auch  der  Astronomie  und  des  Zeitrechnungswesens  dieses 
Volkes  datiert  erst  seit  dem  Beginne  der  Ausgrabungen,  die  durch 
den  Engländer  J.  Eich  1811—1820  in  den  Euinenhügeln  von  HiUah 
und  Moml  ihren  Anfang  nahmen.  Die  Entwicklung,  welche  aus 
diesen  Expeditionen  für  die  orientalische  Geschichtsforschung  und  für 
das  Aufblühen  neuer  AVissenszweige  hervorging,  kann  hier  nur 
flüchtig  angedeutet  werden.  E.  Botta  nahm  1842 — 46  die  Aus- 
grabungen in  Kujumlschik  (dem  einstigen  Ninive)  und  Khorsahad  in 
Angriff;  ihm  folgte  1852  V.  Place,  während  Layard  1845 — 47  Nimrud 
{Kalah.  südlich  von  Xinive)  und  1849 — 51  Babylon  und  Ninive  auf- 
deckte. Nun  folgten  fast  gleichzeitig  die  Ausgrabungen  durch 
Rassam  bei  Kileh  -  Schergat  (1852 — 54)  und  KujundscMl' ,  die  der 
französischen  Expedition  1853  in  Babylon  und  Borsippa,  ferner  die 
Forschungen  von  Lord  Loetus,  Taylok  und  Rawlinson  in  Süd- 
babylonien  und  Nimrud  (1853 — 54).  An  diese  reihen  sich  die  wichtigen 
Funde  durch  G.  Smith  (1873 — 76);  von  weiteren  Expeditionen  sind 
die  von  Rassam  in  Nimrud,  Babylon  und  Ahu-Hahha  (1877 — 81), 
die  gleichzeitige  von  E.  de  Saezec  in  Telloh,  die  Berliner  Expedition 
in  Surgkul  und  El  Hlbha  (1886 — 87),  die  amerikanische  von  Peters- 
HiLPRECHT  (1889  —  90),  und  zuletzt  jene  von  Lehmann  -  Belck 
(1898)  und  die  Ausgrabungen  der  deutschen  Orientgesellschaft  (seit 
1899)  zu  nennen'-.  Die  Entzifferung  des  gefundenen  keilinschrif fliehen 
Materials  hängt  mit  der  Lesung  der  persischen  Keilschrift  (der 
Achämenidenurkunden)  zusammen.  Hincks  identifizierte  1846/47  schon 
76  der  assyrischen  Schriftzeichen,  und  später  wies  er  die  sy Ilabarische 
Natur  der  phonetischen  Zeichen  nach.  Rawlinson  (1851)  las  bereits 
246  Zeichen.  Die  erste  assyrische  Grammatik  gab  1860  Julius 
Oppert  heraus,  und  durch  die  neueren  Arbeiten  von  Norris,  E.  Schrader, 
Friedr.  Delitzsch,  Lion  u.  a.  wurde  die  Kenntnis  der  babylonisch- 
assyrischen Keilschrift  mit  den  günstigsten  Erfolgen  weitergeführt. 


1)  Daß  Herodot  eine  Reise  nach  Babylonien  gemacht  hat,  wird  von  einigen 
bezweifelt  (Sayce,  Breddin,  Winckler),  von  anderen  (C.  F.  Lehmann,  SamaSmmukin, 
Lpzg.  1892,  S.  173,  und  Bahyloniens  Kulturmission  einst  u.  jetzt,  1903,  S.  63)  als 
sicher  angenommen. 

2)  Über  die  Ausgrabiingen ,  die  Entwicklung  der  Assyriologie  u.  s.  w.  s.  be- 
sonders Hommel,  Geschichte  Bahyl.  u.  Assyr.,  Berlin  188-5,  S.  75 — 132. 


i^  22.     Die  liiiupt.sächliclistcii  KultiiriiKuiu'ntc  (itT  l{Ml)yloiiicr.  109 

§  22.     Die    hauptsächlichsten    in    Uetracht    koinuieiideu    Kultur- 
momeute  der  Bahyloiiier. 

Eine  Schilderung  der  großartigen  Ergebnisse,  welche  das  Studium 
der  durch  die  Ausgrabungen  zutage  geforderten  Tontafelfunde  in 
Beziehung  auf  die  Kulturgeschichte  —  durch  den  Nachweis  des  hohen 
Alters  gewisser  Industrie-  und  Kunstzweige,  geordneter  Rechtspflege 
u.  s.  w.  —  ergeben  hat,  muß  notwendigerweise  ebenso  sehr  außerhalb  des 
Bereichs  dieses  Werkes  liegen,  wie  die  Würdigung  der  rein  historischen 
Ergebnisse,  durch  welche  die  früheren  Begriffe  über  altorientalische 
Geschichte  gänzlich  umgestaltet  worden  sind.  Für  uns  handelt  es 
sich  hier  nur  um  diejenigen  Faktoren,  welche  mit  der  Zeitrechnung 
der  Babylonier  im  Zusammenhang  stehen.  In  dieser  Beziehung  nimmt 
den  ersten  Platz  die  Weltanschauung  der  Babylonier  ein,  oder 
vielmehr,  dieses  System  enthält  die  Wurzeln  der  Zeitrechnung,  und 
nicht  nur  dieser  einen  Disziplin,  sondern  überhaupt  aller  Formen,  die 
uns  aus  der  babylonischen  Überlieferung  im  wissenschaftlichen  und 
religiösen  Denken  entgegentreten.  Zunächst  enthält  dieses  System 
die  Götterlelire ,  welche  vielfach  astraler  Natur  ist:  die  Götter  sind 
nicht  durch  Gestirne  personifiziert,  sondern  durch  die  Sterne  wird 
symbolisierend  die  Macht  der  Gottheiten  ausgedrückt,  es  offenbart 
sich  deren  Wesen  durch  die  Sterne.  Das  Walten  der  Götter,  ihr 
Einfluß  auf  den  Menschen  ist  für  den  Kundigen  am  Himmel  lesbar. 
So  führt  die  astrale  Mythologie  zur  Astrologie.  Das  Unabänderliche, 
Gesetzmäßige  am  Himmel  kann  nur  durch  Verfolgung  der  Gestirne 
erkannt  werden,  denn  auch  die  Macht  der  Götter  hängt  von  ihrer 
Bewegung,  ihrer  gegenseitigen  Stellung  ab:  so  ist  der  Impuls  zur 
rein  astronomischen  Forschung  gegeben.  Aber  eben  diese  Forschung 
zeigt,  daß  das  Weltall  nach  Grundsätzen  einer  ewigen  Harmonie, 
nach  zahlenmäßigen  Verhältnissen  angeordnet  ist.  Darum  leitet  sich 
aus  der  Astronomie  die  Zahlensymbolik,  die  Heiligkeit  gewisser  Zahlen 
ab;  aus  ihr  entspringt  das  Sexagesimalsystem  und  das  Prinzip  der 
Zeitmessung.  Auf  diese  W^eise  haben  sich  Mythologie,  Astrologie. 
Astronomie  und  Messungslehre  nicht  unabhängig  von  einander  ent- 
wickelt, sondern  sind  ein  und  derselben  Wurzel,  der  altorientalischeu 
Weltanschauung,  entsprossen.  Schon  in  sehr  alter  Zeit,  und  zwar 
weit  vor  der  Epoche,  aus  der  die  ersten  geschichtlichen  Dokumente 
stammen,  bildeten  sich  die  Anfänge  dieses  Systems  aus,  und  in  der 
Folge  gewannen  die  Grundsätze  desselben,  begünstigt  durch  die  weit 
reichende  Verbreitung  der  Keilschrift  —  das  Gebiet  der  letzteren 
reichte  von  Iran  bis  nach  Ägypten  und  Cypern  —  fruchtbaren  Boden 
in  ganz  Vorderasien.  Die  Ausläufer  des  Systems  erhielten  sich,  nach- 
dem Babylonien  als  Staat  längst  zu  existieren  aufgehört  hatte,  durch 


110  I.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  liabvlonier. 

das  ganze  orientalische  Altertum,  gewisse  Spuren  und  Trümmer  selbst 
im  Abendlande  und  bis  an  die  Schwelle  der  modernen  Zeit.  Wir 
werden  im  Laufe  dieses  Werkes  Gelegenheit  haben,  auf  einzelne 
Besonderheiten  in  der  Zeitrechnung  der  orientalischen  Völker  hinzu- 
weisen, welche  auf  babylonischen  Ursprung  hindeuten. 

Was  nun  die  einzelnen  Eichtungen  oder  Glieder  der  altorienta- 
lischen AVeltanschauung ,  soweit  sie  mit  dem  Zeitrechnungswesen  zu- 
sammenhängen, anbelangt,  so  können  in  dem  vorliegenden  Werke  nur 
kurze  Hinweise  gegeben  werdend  Der  Gestirn  dienst  zeigt,  da 
er  sich  vornehmlich  der  Sonne  und  dem  Monde  zuwandte,  seinen  be- 
stimmenden Einfluß  in  dem  Gebrauch  eines  Sonnenjahres  oder  Mond- 
jahres ;  die  eine  oder  die  andere  dieser  beiden  Jahrformen  fand  in  der 
Folge  auch  bei  Völkern  Eingang,  denen  der  Gestirndienst  vielleicht 
ursprünglich  fremd  war.  Die  Astrologie  tritt  namentlich  in  den 
sehr  alten  astronomischen  Tontafeln  durch  die  Deutung  der  be- 
obachteten Stellungen  der  Gestirne  auffallend  hervor,  im  Zeitrechnungs- 
wesen ordnet  sie  die  Monate  nach  günstiger  und  ungünstiger  Be- 
schaffenheit, sie  setzt  über  größere  und  kleinere  Zeitabschnitte 
dominierende  Patrone  u.  s.  w.  Die  astronomische  Tätigkeit  der 
Babylonier  müssen  wir,  da  die  Zeitrechnung  auf  den  astronomischen 
Zahlenverhältnissen  basiert,  wenigstens  in  ihren  Hauptzügen  charakteri- 
sieren. Sie  ist  durchaus  empirischer  Art,  indem  sie  hauptsächlich 
auf  die  Kenntnis  der  Perioden  abzielt,  welche  die  Erscheinungen  der 
Sonne,  des  Mondes  und  die  Bewegung  der  Planeten  darbieten.  In- 
folgedessen betreffen  die  babylonischen  Beobachtungen  die  Konjunktionen 
der  Planeten,  die  Abstände  des  Mondes  und  der  Planeten  von  Sternen, 
heliakische  Auf-  und  Untergänge,  die  Zeiten  der  Kehrpunkte,  der 
Sonnen-  und  Mondfinsternisse  u.  dgl.  Im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  kennen  die 
Babylonier  die  Perioden,  welche  sich  aus  diesen  Beobachtungen  ziehen 
lassen,  bereits  mit  vorzüglicher  Genauigkeit,  und  zwar  sind  sie  in 
dieser  Beziehung  die  Vorläufer  von  Hipparch  und  Ptolemäus.  Die 
rechnerische  Darstellung  des  Sonnen-  und  Mondlaufs  ist  in  dieser  Zeit 
bei  ihnen  völlig  ausgebildet,  sie  besitzen  bestimmte  Rechnungsvor- 
schriften, und  ihre  Astronomenschulen  lehren  nach  verschiedenen 
Systemen  die  Vorausbestimmung  der  Sonnen-  und  Mondbewegung  und 
des  Eintritts  der  Finsternisse.  Die  Zahlenverhältnisse  sind  ihnen  mit 
einer  uns  überraschenden  Genauigkeit  bekannt  und  zwingen  zu  dem 
Schlüsse,  dal.)  dieser  Kenntnis  eine  vielhundertjährige  astronomische 
Tätigkeit  vorangegangen  sein  muß.  Ilire  Beobachtungen,  bestehend 
in  Winkelmessungen  und  Zeitbestimmungen,  lassen  sich  bis  jetzt 
mindestens  bis  ins  7.  Jahrh.  v.  Chr.  zurückverfolgen;   kontinuierliche 


1)  Spezielle  Literaturangaben  enthält  der  Anhang  , Literatur"  dieses  Kapitels. 


v^  22.     Dil'  li;iiiiits;i('liliclisti'ii  Kultunnomciitr  der  Uiihyloiiicr.  111 

Beobachtungsreihen  (von  ständigen  Observatoren  angestellt),  durcli 
einige  Jahre  fortlaufend,  besitzen  wir  inschriftlich  aus  dem  3.  und 
4.  Jahrh.  v.  Chr.  Die  Aufzeichnung  roher  Beobachtungen  auf  den 
Tafelfunden  aus  der  Zeit  Sargons  geht  aber  bis  2800  v.  Chr.  zurück. 
Die  allgemeine  Kenntnis  des  Himmels  ist  offenbar  noch  bei  weitem 
älter.  Der  Zodiakus  hat  wahrscheinlich  seinen  Ursprung  vor 
3000  V.  Chr.;  Darstellungen  sämtlicher  12  Tierkreisbilder  zeigen 
schon  Grenzsteine  des  12.  Jahrh.  v.  Chr.  Auch  die  Hauptsterne  und 
die  Planeten  sind  um  jene  Zeit  bekannt,  und  in  der  Arsacidenzeit 
liegt  bereits  eine  sehr  vollständige  Kenntnis  und  Namengebung  des 
Sternhimmels  vor.  In  die  sehr  alte  Zeit  der  babylonischen  Astronomie 
gehört  auch  das  Auftauchen  gewisser  Verbindungen  der  Planeten  mit 
Sternbildern  und  dem  Monde,  vielleicht  aufzufassen  als  Planeten- 
und  Mondstationen.  Die  Zahl  dieser  Konstellationen  ist  derzeit  noch 
sehr  unsicher  (s.  Einleitung  S.  77j,  liegt  aber  vermutlich  zwischen 
24  bis  36;  in  diesen  Konstellationen  ist  möglicherweise  der  Ursprung 
der  28  (27)  Mondstationen  zu  suchen,  auf  die  wir  bei  den  Arabern, 
Indern  und  Chinesen  treffen  werden,  und  anderseits  der  36  Dekane, 
von  welchen  im  nächsten  Kapitel  bei  der  Zeitrechnung  der  Ägypter 
die  Rede  sein  wird. 

Das  Sexagesimalsystem  al  s  P  r  i  n  z  i  p  d  e  r  Z  e  i  t  m  e  s  s  u  n  g  schließt 
sich  unmittelbar  an  die  Astronomie  und  ist  in  Babylon  so  alt  wie 
diese.  Auf  die  Sechs-  und  die  Sechzig  -  Teilung  als  Grundlage  des 
360tägigen  Rundjahrs  und  der  Tagesunterabteilungen  werden  wir 
alsbald  zu  sprechen  kommen.  Es  muß  aber  noch  flüchtig  darauf  hin- 
gewiesen werden,  daß  die  sämtlichen  babylonischen  Maße  und  Gewichte 
auf  sexagesimaler  Basis  ruhen,  und  ferner,  daß  aus  den  babylonischen 
Längen-  und  Gewichtsmaßen  sich  in  vielen  Nachbarstaaten  eine  große 
Reihe  von  Maßeinheiten  entwickelt  hat,  die  in  ihrer  "Weiterbildung 
ins  Abendland  herüber  und  bis  in  die  neuere  Zeit  heraufreicht. 

Die  weite  Verbreitung  einzelner  Teile  der  babylonischen  Welt- 
anschauung, wie  des  Astralmythus,  des  Messungswesens,  gewisser 
Elemente  der  Zeitrechnung,  wie  der  Monatsnamen,  der  Tages-  und 
Monatsteilung  u.  s.  w.  in  Vorderasien  wird  verständlicher,  wenn  mr 
neben  dem  schon  genannten  Faktor  des  weitreichenden  Gebrauchs 
der  Keilschrift  noch  den  Ursprung  der  Babylonier  und  die  Völker- 
bewegungen im  Zweistromlande  in  Betracht  ziehen.  Von  den 
griechischen  Schriftstellern  werden  die  Babylonier  als  ein  Priester- 
volk, Xalöcüoi,  hingestellt,  das  als  besondere  Kaste  mit  der  Pflege 
der  Astrologie  und  Wahrsagerei  in  Babylonien  betraut  gewesen  sei 
(so  bei  DiODOR  II  29  und  Strabo  XVI);  doch  unterscheidet  Heeodot 
deutlich  zwischen  Chaldäern,  als  den  Priestern,  und  Babyloniern  als 
Volk.     Diese    Unterscheidung     ging    den    späteren    römischen    und 


112  I.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Babylonier. 

griechischen  Autoren  verloren,  besonders,  als  die  Babylonier  ihre 
politische  Unabhängig-keit  hatten  aufgeben  müssen,  und  die  Be- 
zeichnung „Chaldäer"  wurde  in  der  Folge  für  das  babylonische  Volk 
überhaupt  gebraucht.  Jedoch  ist  es  heute  keine  Frage  mehr,  daß 
die  Chaldi  oder  Chaldäer  nur  ein  Glied  in  der  langen '  Kette  der  Ein- 
wanderungen in  Mesopotamien  darstellen,  und  zwar  eine  ziemlich  späte 
Phase.  Das  Urvolk  im  Zweistromlande  waren  die  Sumerer,  ein  nicht- 
semitischer Stamm  mit  eigener  Sprache  ^  Die  Existenz  dieses  Volkes 
liegt  weit  vor  dem  Beginne  geschichtlicher  Überlieferung;  ebenfalls 
in  jene  Zeit  noch  reicht  die  erste  Einwanderung  der  Semiten,  in 
welchen  die  Sumerer  aufgingen  und  mit  jenen  eine  neue  Bevölkerung, 
die  „Babylonier",  bildeten.  In  dieser  Epoche  einer  neuen  Sprache, 
der  babylonisch-assyrischen ,  liegen  wahrscheinlich  schon  die  Anfänge 
des  philosophisch  -  religiösen  Systems,  welches  man  gegenwärtig  als 
altorientalische  Weltanschauung  bezeichnet.  Derselben  Zeit  gehören 
auch  die  ältesten  bisher  bekannten  Denkmäler  an.  Über  den  weiteren 
Verlauf  der  Völkerbewegung  gehen  die  Meinungen  noch  sehr  aus- 
einander; aber  im  allgemeinen  wird  angenommen,  daß  Babylonien- 
Assyrien  von  Aveiteren,  von  Arabien  nach  Norden  vordringenden 
Einwanderungen  (nach  Schradee,  Wincklek  von  den  Kanaanäern, 
Kassiten,  Aramäern  u.  a.)  mehr  oder  weniger  beeinflußt  worden  ist. 
Zu  den  spätesten  Völkerströmungen  würde  das  Auftreten  der  Suti 
und  der  Chaldi  (Chaldäer)  im  11.  und  9.  Jahrh.  v.  Chr.  gehören.  Die 
Chaldäer  sollen  aus  Ostarabien  oder  vom  äußersten  Süden  Mesopotamiens 
hergekommen  sein-.  Diese  Wanderungen  mußten  dazu  beitragen,  die 
Errungenschaften  der  sumerischen  und  altbabylonischen  Kultur  weit- 
hin in  Vorderasien  zu  verbreiten,  denn  jene  Stämme  brachten  eine 
niedrigere  Kultur  mit,  als  diejenige  war,  auf  die  sie  in  Babylonien 
stießen,  sie  nahmen  daher  vielerlei  von  den  babylonischen  Einrichtungen 
an  und  behielten  diese  auch  in  den  Wohnsitzen,  an  den^n  sie  seßhaft 
wurden,  bei. 


1)  Welchen  Ursprungs  die  sumerische  Sprache  ist  (ob  turanischen  oder  ural- 
altaischen) ,  bleibt  derzeit  noch  eine  Streitfrage.  Daß  sie  eine  selbständige  nicht- 
semitische sei,  vertreten  J.  Oppekt  und  C.  F.  Lehmann,  Gegner  sind  Halevv, 
Guyard,  Pognon  und  Fiuedk.  Delitzsch.  Geographisch  bezieht  man  Sumer  auf 
das  eigentliche  Mesopotamien  und  Südbabylon,  Akkad  auf  das  Hochland  gegen 
Medien  und  Elam. 

2)  Dies  würde  die  spätere  Bezeichnung  der  babylonischen  Priester  als  „Chaldäer" 
erklären.  Denn  wenn  Südbabylon  der  Sitz  der  sumerischen  Kultur  war  und  der 
Stamm  der  Chaldäer  in  diesen  Gegenden  seinen  Sitz  hatte,  so  konnten  die  Priester, 
deren  Wissen  ausschließlich  auf  dem  der  Sumerer  fußte,  ihrer  Herkunft  nach  als 
Chaldäer  bezeichnet  werden  (C.  F.  Lehmann,  Sama^sumukin,  Lpzg.  1892,  S.  173; 
üb.  die  sumerische  Sprache  daselbst  S.  57  f.). 


i>  23.     Monate.  113 

§  23.    3Ionate. 

Da  der  Zeitraum,  den  wir  für  die  Kultur  in  Babylonien  in 
Anspruch  nehmen  müssen,  mindestens  6  Jahrtausende  umfaßt,  ist  es 
naheliegend,  daß  der  Werdeprozeß  alles  philosophischen  Denkens  in 
dieser  Zeit  mannigfache  Entwicklungsphasen  durchlaufen  hat.  Es 
muß  also  auch  das  Zeitrechnungswesen  notwendigerweise,  und  zwar 
schon  im  bloßen  Hinblick  auf  die  sich  allmählich  vervollkommnenden 
Kenntnisse  in  der  Astronomie,  gewisse  Veränderungen  erfaliren  haben, 
abgesehen  von  anderen  Faktoren ,  welche  (wie  z.  B.  die  ebenfalls  der 
Veränderung  unterworfenen  mythologischen  Anschauungen)  bestimmend 
gewesen  sind.  Solche  Differenzen  können  wir  gleich  bei  den  31  o  n  a  t  s  - 
n  a  m  e  n  konstatieren.  Ich  setze  zuerst  die  Namen  der  Monate  (arku) 
hier  an,  wie  sie  sich  in  der  späteren  Entwicklungsstufe  auf  den 
Tontafeln  repräsentieren : 

■"jL— I  =  Xisc'jinu  *'^l   =   Tasrltii 

A   ■^"^■^■^   =  Sivannu  {Suiuumu)         "  *^  I   =  Kisllvu  {Kislimu) 
*^I  =  Dazu  (Dii'mu)  '      I  =  Dlialnta 

^^-]  =  Abu  ^  =  Sahadhu 


Uhilu  ^  =  Addaru 


Die  Bedeutung  der  Namen  ist  erst  in  neuerer  Zeit  aufgehellt  worden, 
doch  vermutete  1874  bereits  Sayce,  daß  Ahu  mit  dem  Feuer,  Tasritu 
mit  Heiligung  in  Verbindung  zu  bringen,  daß  Siran  „der  Monat  der 
Ziegelsteine"  sei  u.  s.  w.,  außerdem,  daß  die  Namen  irgendwie  mit 
den  12  Tierkreiszeichen  in  Verbindung  stehend  Bevor  ich  die  neuere 
Etymologie  der  Namen  gebe,  müssen  wir  aber  die  hauptsächlichsten 
von  den  früheren,  alten  Monatsnamen  kennen  lernen. 

Von  den  alten  Namen  der  Monate  sind  bis  jetzt  vollständige 
Reihen  aus  der  Zeit  Sargons  L,  Gudeas  und  der  4.  (8.)  Dynastie  Cr 
bekannt,  also  bis  zum  Ende  des  3.  Jahrtaus.  v.  Chr.  zurück-.  Die 
Namen    zeigen   mancherlei  Varianten  gegen   einander   und   sind   vor- 


1)  Transaet.  of  the  Soc.  of  Bibl.  Ärchaeol.  III,  1874,  S.  161—65. 

2)  Wenn  wir  nämlich  Sargon  I.  mit  C.  F.  Lehmann  {Zicei  HmiptprohJ.  d. 
altorient.  Clironol.,  1898)  auf  2800  v.  Chr.  (gegen  3800  nach  Radau)  und  Hammurahi 
auf  2194 — 2152  v.  Chr.  (nach  demselben  Autor,  Beitr.  z.  alten  Geschichte  III  157) 
ansetzen. 

Ginzel,   Chronologie  I.  O 


114 


I.  Kapitel.    Zeitrecbiiung  der  Babylouier. 


läufig  noch  schwierig  zu  identifizieren.  Aus  den  ziemlich  zahlreichen 
Listen  hebe  ich  einige  für  verschiedene  Zeiten  nach  Radau  und 
L.  W,  King  heraus.  (Die  Namen  treten  meist  ideographisch  geschrieben 
auf  und  folgen  auch  nachstehend  in  dieser  Form): 

I.  II. 


Zeit  des  Bur-Sin 

Zeit  Sargons  I. 

und  seiner 

Dynastie. 

1. 

SE-IL-LA 

SE-IL-LA 

2. 

GAN-MAS 

GAN-MAS 

3. 

GUD-DU-NE- 

GUD-DU-NE- 

SAE-SAB 

SAR-SAB 

4. 

NE-SU 

NE-SU 

5. 

? 

SU-KUL 

6. 

ZIB-KU 

ZIB-KU 

t . 

DUMU-ZI 

DUMU-ZI 

8. 

V 

DUN-GI 

9. 

BA-U 

BA-U 

10. 

MU-SU-GAB 

MU-SU-UL 

11. 

AMAR-A-SI 

AMAB-A-A-SI 

12. 

? 

SE-KIN-KUD 

Schaltmonat: 

DIB-SE-KIN- 
KUD 

III. 

IV. 

Zeit  von 
Hammurahi  ab. 

Zu  identifizieren  mit 

BAB-AZAG-GAB 

Ni-sa-an-nu 

[Nisan] 

GUD-SI-DI 

A-a-rii 

[Ijar] 

SEG-GA 

Si-ma-nu 

[Sivan] 

SU-KUL-NA 

Du'-u-zu 

[Tammuz] 

BIL-BIL-GAB 

A-hu 

[Ab] 

KIN{dingir)  Innanna 

U-lu-lu 

[EM] 

DUL-AZAG 

Tis-ri-tu 

[Tm-i] 

ENGAB-GAB-A 

A-ra-ah-sam-na 

[MarlieSvan 

G  AN- G  ANNA 

Ki-si-U-mu 

[Kislev] 

AB-BA-UD-DU 

Te-hi-tum 

[Tebet] 

AS-A-AN 

Sa-ha-tu 

[Sebat] 

SE-KIN-KUD 

Ad-da-rn 

[Adar] 

DIB-SE-KIN-KUD 

ar-hii  mah-ru  sa 

[IL  Adar] 

Ad-da-ru 

Die  letzte  (Identifizierungs-) Kolumne  ist,  soweit  sie  die  Namen  der 
Kolumne  I  und  II  betrifft,  nur  mit  Vorbehalt  zu  lesen.  Dagegen  ist 
die  Identität  der  Namen  .zwischen  III  und  IV  durch  keilinschriftliches 
Zeugnis  gesichert  auf  neu  -  assyrischen  Tafeln  lexikalischen  Inhalts, 
welche  altes  Material  verwertend  Die  Monatsnamen  der  Kolumne  III 
werden  in  einem  besonderen  Texte  (V  R  43)  mit  einer  größeren  Zahl 
anderer,  meist  sonst  nicht  belegter  (nichtsemitischer  oder  ideo- 
graphischer) Bezeichnungen  verglichen.  Thureau  -  Dangin  hat  auf 
folgende  Namen  aufmerksam  gemacht-,  die  in  der  Zeit  Sargons  I.  ge- 
braucht wurden: 

1.  ITU  EZEN  GAN-MAÖ 

2.  ITU  EZEN  GIW-DU-NE-SÄR-SAB 

3.  ITU  EZEN  (dingh-yNE-SU 

4.  ITU  EZEN  HU-KUL 

5.  ITU  EZEN  DIM-KU 

6.  ITU  EZEN  (dlngir)  DUMU-ZI 

7.  ITU  UR 


1)  s.  P.  HAui'T,  AJckadisehe  u.  sumerische  Keilschrifttexte,  Heft  I,  S.  44,  sul) 
No.  5,  und  Heft  II,  S   64,  Z.  1—13. 

2)  Zeitschr.  f.  Assijr.  XV,  1900,  S.  410;  vgl.  auch  Notice  sur  la  troisieme 
collect,  d.  tablettes  decouverte  p.  De  Sarscc  {Bevuc  d'Assyr.  et  d'Arch.  Orient.  V, 
1902,  No.  3). 


§  23.    Mouate.  115 

8.  ITU  EZEN  (dingir)  BA-U 

9.  ITU  MU-SU-GAB 

10.  ITU  MES-EN-DU-SE-A-NA 

11.  ITU  EZEN  AMAR-A-SI 

12.  ITU  SE-SE-KIX-A 

13.  ITU  EZEX  >SE-IL-LA 

Diese  Liste  unterscheidet  sich  von  den  Namen  der  Kol.  I  und  II  da- 
durch, daß  der  Monat  HE-IL-LA  hier  nicht  an  der  Spitze,  sondern 
als  letzter  steht;  ferner  an  Stelle  des  7.  Monats  UR  tritt  oben 
DUK-GI,  und  der  10.  MES-EX-DU-SE-A-NA  verschwindet  ganz 
aus  der  Eeihe  (die  den  Namen  vorangehenden  ITU  EZEX  stehen 
auch  bei  den  Namen  der  Kol.  I  und  II).  Der  Monat  DUN -Gl 
scheint  zu  Ehren  des  Königs  DT/iS^- 6^7 (um  Mitte  des  3.  Jahrtaus.  v.  Chr.) 
so  benannt  und  für  den  7.  substituiert  worden  zu  sein.  Mehrere 
Namen  deuten  auf  die  Jahreszeiten,  in  welche  die  betreffenden  ^lonate 
gefallen  sind.  So  soll  C/.IJN"- J/A-S' =  Feld  in  Blüte,  HU-KUL  =  SMn, 
SE-KIX-KUD  =  Kornernte ,  SE-IL-LA  =  Wachsen  des  Korns  be- 
deuten. Wenn  dies  zutrifft,  müßte  SE-KIX-KUD,  den  klimatischen 
Verhältnissen  in  Mesopotamien  entsprechend,  etwa  in  den  März  (Ernte- 
zeit) gefallen  sein.  Eadau  glaubt,  daß  das  Jahr  ursprünglich  mit 
DUMU-ZI  (dem  7.  Monate  in  Kol.  II),  entsprechend  dem  Tlsrlta 
(dem  jüdischen  Tisn)  begonnen  worden  sein  könnte,  denn  der  7.  Monat 
heißt  auf  babjionischen  Tafeln  der  3.  Dynastie  auch  a-hi-ü  =  Neu- 
jahrsfest (zur  Zeit  Gudeas  hieß  der  7.  Monat  BA-  U,  in  ihn  fiel  das 
zagmu  =^  Neujahrsfest).  Dies  ist  um  so  bemerkenswerter,  als  wir  bei 
den  Juden  nach  der  Rückkehr  aus  der  babylonischen  Gefangenschaft 
neben  dem  kirchlichen  Xi  sau -Jahre  ein  bürgerliches,  ebenfalls  mit 
dem  7.  Monate,  dem  Tisrl  beginnendes  Jahr  antreffen.  Der  jüdische 
Tisrl  bedeutet  „Anfang,  Einweihung",  der  Name  deutet  also  auf  den 
Beginn  einer  Jahresrechnung  (vom  Herbste).  Das  alte  babylonische 
Jahr  würde  also  mit  dem  Herbstäquinoktium  begonnen  haben;  zur 
Zeit  Gudeas  sei  der  Jahresanfang  auf  Frühjahr,  den  Monat  SE-IL-LA 
(entsprechend  dem  jüdischen  Xisan)  verlegt  worden.  —  Außer  den 
obigen  Namen  und  deren  Varianten  finden  sich  auf  alten  Tafeln  noch 
andere  Monatsnamen,  welche  meist  noch  nicht  identifiziert  werden 
können  ^  Die  folgenden  Namen  aus  späterer  Zeit  lehnen  sich  bereits 
nahe  an  die  oben  genannten  an: 


1)  Z.  B.  in  dem  Datum  des  Prismas  Tiglat  Pihsers  I.  der  Monat  Ku-sal-lu 
(Sivan?)  [Keüinsclir.  Bihlioth.  I  46];  in  der  Inschrift  Adadniraris  I.  der  Monat 
Mu-hu-ur  iläni  [ibid.  I  7]-,  auf  den  kappadozischen  Tafeln  Ah-m-ra-nu,  Ku-sal-hi, 
Sa-za-m-tim,  Zi-zu-im  [ibid.  IV  51,  53,  55]. 

8* 


116 


I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 


Elunu  {E-lu-nbn,  E-Ju-nu-um] 

Tiru  (Ti-ru-um,  Ti-ri-im) 

Kinnu  {Ki-nu-nu) 

Ndbru  {Na-ab-ri) 

Sibutii  (Si-hu-ti,  Z\-hu-tim) 


Sandutu  (Sa-du-tim,  Sa-ad-du-üm) 

Rcibutu  (Ra-hu-tim) 

Där-Bammänu 

Dür-ahi 

Hianfii  (Hu-um-tum) 


Die  Monate  sind  in  bestimmter  Bezieliung  zu  den  12  Tierkreis- 
zeichen, welche  die  Babylonier  schon  in  alter  Zeit  kannten  (s.  Ein- 
leitimg S.  82).  HoMMEL  hat  an  Grenzsteinen,  die  bis  ins  12.  Jahrh. 
V.  Chr.  zurückreichen,  dargetan,  daß  auf  diesen  Steinen  die  Bilder 
der  12  Tierkreiszeichen  größernteils  schon  gebraucht  werden,  und  daß 
in  den  Texten  der  Steine  verschiedene  Götter  (besonders  Sin,  Samas, 
Istar,  Ann,  Bei,  Ea,  MarduJc,  Rammän,  Ninlh,  Gida,  Nergal)  an- 
gerufen werden,  denen  die  Zeichen  und  Planeten  untergeordnet  sind\ 
Den  Monaten  standen  bestimmte  Götter  (Patrone)  vor,  wie  bei  den 
Ägyptern  und  Persern,  was  überhaupt  auf  die  Weltanschauung  im 
alten  Oriente  zurückgeht.  Ein  Beispiel  von  Gegenüberstellung  solcher 
Patrone  bei  den  Monaten  gibt  folgender  Text  (IV  R  33) : 


[Monat]  [Gottheit] 

Nisannu  Ann  und  Bei 

Airu  Ea,  Herr  der  Menschheit 

Sivanu  Sin,  der  regierende  Sohn  Bels 

Dum  Der  Held  (od.  kriegerische)  Ninih 

Alm  Nin-gis-zidda  (?) 

Ululu  Istar,  Herrin  .... 

Tasritu  Samas,  der  Held 

Arak-samna     Marduh,  der  weise  der  Götter 

Kislivu  Der  Held  Nergal 

DhaMtu  Pa])-sulml,  d.  Bote  Annfi  u.  Istars 

Sahadhu  Rammcm,  d.  Gott  d.  Himmels  u.  d.  Erde 

Addaru  Die  große  Siebengottheit-. 


[Gestirn] 


(Mond) 

(Sonne) 

(Nebo-Merkur) 

(Venus) 

(Mars) 

(Jupiter) 

(Saturn) 


Die  eingangs  dieses  Paragraphen  angeführten  Namen  der  Monate 
stammen,  wie  bemerkt,  aus  jüngerer  Epoche.  Wann  dieselben  auf- 
gekommen sind,  ist  schwer  anzugeben,  aber  wahrscheinlich  reicht  ihr 


1)  Vgl.  die  interessanten  Funde,  welche  V.  Scheil,  Notes  (V Epigraph,  et 
d'Ärchaeol.  assyr.  {Recueil  de  trav.  rel.  ä  la  Fliil.  et  ä  l'Ärch.  ecjypt.  et  assyr., 
XXIII  13;  vgl.  auch  Delegation  en  Persc.  Memoires  T.  I,  T.  III  Texte)  be- 
schrieben hat;  einzelnen  Gestirnen  und  Zodiakalbildern  sind  dort  Götteruamen  un- 
mittelbar beigeschrieben. 

2)  H.  WiNCKLEB,  Altorient.  Forschungen,  2.  Reihe,  II,  1900,  S.  367;  vgl. 
HojiMEL,  Aufsätze  u.  Abhdlgn.,  S.  447. 


§23.    Monate. 


117 


Alter  schon  über  das  1.  .Tahrtaus.  v.  Chr.  zurück.  Bei  deu  Juden 
finden  wir  vom  6.  Jahi'hundert  v.  Chr.  ab  (nach  dem  babylonischen 
Exil,  d.  i.  538  v.  Chr.)  nämlich  dieselben  Monatsnamen  vor,  und  durch 
die  Juden  mögen  die  Namen  auch  im  westlichen  Vorderasien  in  Auf- 
nahme gekommen  sein,  wie  sich  aus  der  nahen  Verwandtschaft  der 
Monatsnamen  z.  B.  mit  den  syrischen  und  heliopolitanischen  ergibt: 


Babylonische 

Jüdische 

Syrische 

Heliopolitanische 

Kisannio 

Kisan 

K'isan 

Niasan 

Äirii 

Ijar 

Ijar 

Arar  {larar) 

Slvcmnu 

Sil- an 

Haziran 

Ozir  {Ezir) 

Dazu, 

Tammuz 

Tammuz 

Tammuz  (Tamiza) 

Abu 

Ab 

Ab 

Ab 

Ululu 

Elul 

IM 

IJul 

Tasritu 

Tisri 

Tesrin  I 

Ag 

Arah-samna 

MarJjesvan 

Tesrin  II 

Torin  (Tisirin) 

KisiUvu 

Kislev 

Kanün  I 

Gelora 

Dhabitu 

Tebet 

Kanün  II 

Kanu  {Kamin) 

Sabaähu 

Sebat 

Sebat 

Sobnt 

Addaru 

Adar 

Adar 

Adad  {Adar) 

Der  babylonische  Monat  Arah-samna  heißt  wörtlich  „der  achte  Monat"; 
er  deutet  wohl  auf  die  Zeit  zurück,  wo  die  Monate  noch  keine  Namen 
hatten  und  nach  den  Ordnungszahlen  benannt  wurden  ^;  die  weit  er- 
folgenden schreibt  man  auch,  mehr  in  Übereinstimmung  mit  den 
jüdischen,  Kislimu,  Tebitu,  Sabätu  und  Adaru. 

Ich    gebe    nun    noch    die   Etymologie    der   Namen   nach   Muss- 
Aexolt : 

1.  Ni-sa-an-nu  =  Klsänii, ,  abzuleiten  von  ize.S72  =  bewegen,  fort- 
schreiten, springen.  Der  entsprechende  Name  (s.  Kol.  IIl,  S.  114) 
des  alten  Monats  ist  ITU  BAE-AZAG-GAR  =  ^oji2X  der 
Heiligung.  Zodiakalzeichen  dieses  Monats  ist  lcu{-sarihlcu)  = 
Widder.     Patron  des  Monats:  Anu  (Himmel)  und  Bei. 

2.  A-a-ru  {Airu)  von  äru  =  ]ie]l,  Licht,  oder  von  n^N  aussenden, 
sprossen;  also  der  blühende,  Sprossen  treibende  Monat.  GVD- 
/S'J-DJ=  Monat  ..der  auf  den  Hinterbeinen  wandelnden  Stiere". 
Zodiakalzeichen  te-te  =  Stier.     Patron:  Ea,  Gott  der  Gewässer. 

3.  S'i-ma-nu,  SEG-GA,  der  Monat  der  Ziegelerzeugung.  Zodiakal- 
zeichen mas-masu  =  ZvriRmge.    Patron:  Sin,  der  Mondgott. 

4.  Bu'-u-zu;  von  DU  (Sohn)  und  ZT  (Leben)  =  Sohn  des  Lebens, 
Herr  der  Macht.    SU-KUL-XA  ^=  Monat  der  aussäenden  Hand. 


1)  Dieser  Meinung  sind  mehrere  Autoritäten ;  s.  die  gegenteilige  von  Halevy, 
Eevue  des  Etudes  juives,  1881,  S.  IST. 


118  I.  Kapitel.    Zeitrechimiig  der  Babyloiiier. 

Zodiakalzeichen    nangani    (p^JuH'u)  ^=  Krebs.     Patron:    Adar 
(=  Ninih)  (der  Krieger,  Richter,  Zerstörer). 

5.  A-hu,  von  ^??>w  =  feindlich  (wegen  der  Hitze);  der  Monat  der 
Vorbereitung-  zum  Bauen.  NE-XE-GAB  {BIL-BIL-GAR)  = 
der  Monat,  welcher  mehr  Feuer  (Wärme)  macht,  die  Zeit  des 
Herabsteigens  des  Feuergottes.     Zodiakalzeichen  a  =  Löwe. 

6.  U-lu-Iu  (Etymologie?)  EIN  {dingir)  i\"ZA^- iV:4  =  Monat  der 
Botschaft  der  Istar.  Zodiakalzeichen  hi  =  Jungfrau.  Patron: 
Istar  (Aphrodite). 

7.  Tis-ri-tii  bedeutet  „Beginn,  Anfang"  (des  andern  Halbjahrs). 
DÜL-AZAG  =  der  Monat  des  „reinen,  leuchtenden  Herrn" 
(der  Sonne).  Zodiakalzeichen  närii  =  W^ge.  Patron:  Samas 
(Sonne). 

8.  A-ra-ak-sam-na  =  „der  achte  Monat".  APIN-GAB-A  (ENGAE- 
GAB-A)  =  Monat  der  Grundsteinlegung,  der  Eröffnung  der 
Felder.     Zodiakalzeichen  akraJm  =  Skorpion.    Patron :  Marduh. 

9.  ^i-si-?i-mz*  (Etymologie?  vielleicht  ^  Periode,  Eponymat).  GAN- 
GAN-NA  =  Wolkenmonat  (?).  Zodiakalzeichen  2)a-hil-sag  {pa 
oder  Imt)  =  Schütze.     Patron :  Nergal. 

10.  Te-U-tum,  der  trübe  Monat.  AB-BA-UD-DU  =M.o\\dX  „des 
Weitergehens  des  Wassers"  (der  Wetterwolken?).  Zodiakal- 
zeichen sahü  =  Steinbock.     Patron  Pap-sukal  {Nabu). 

11.  /Sa-ha-tu  =  der  Zerstörende,  der  Monat  der  Regen  und  Fluten. 
Yl6-J.-^iV=  Regenmonat.  Zodiakalzeichen  gu  =  AVassermann. 
Patron:  Rammän  „der  Führer  des  Himmels  und  der  Erde". 

12.  Ad-da-ru  =  der  „dunkle"  Monat.  >S'£'-ÄTiV-ÄT"i) -=  Erntemonat. 
Zodiakalzeichen  zllj  =  Fische.  Patron:  „die  sieben  großen  Götter". 

13.  Der  Schaltmonat  arhu  mahnt  sa  Addaru  (der  2.  Addar)  oder 
Addarii  arl-u,  in  den  nichtsemitischen  Texten  durch  DIE-  vom 
parallelen  Monat  unterschieden.    Patron:  Asur. 

§  24.    Monatseiiiteilung,  Woclien  [haniustn),  Tageseinteilung;  und 

Tagesanfang. 

Das  in  Babylonien  uralte  Prinzip  des  Sexagesimalsystems  offen- 
bart sich  schon  in  der  alten  Teilung  des  Monats.  In  sehr  alten 
Texten  wird  nämlich  öfters  der  5.  10.  15.  20.  25.  und  30.  eines 
Monats  besonders  gekennzeichnet,  mit  Opferhandlungen  verbunden 
u.  dgl.  In  der  Tafel  III  R  55 ,  No.  3  erscheinen  Benennungen  für 
je  5  Tage;  der  Mond  zeige  sich  vom  1.  bis  zum  5.  Tage  als  Sichel 
(asJcarii),  vom  5.  bis  10.  als  Niere  (kaUtu),  vom  10.  bis  zum  15.  Tage 
als  Mütze,  Königsmütze  {agä  tasrihti);  das  erste  Zeitintervall  wird 
bisweilen  (wie  in  IV  R^  82)  dem  Ann,  das  zweite  dem  Ea,  das  dritte 


§  24.     Moiuitsi'iiitciluiig,  Wochen,   Tageseiiiteilniifi'  uml  Taf^csaiifiiiif;.         119 

dem  Bei  gewidmet.    Diesen  „Tagesfünften"  liegt  oiTenbar  die  geheiligte 
Zahl  6  als  Teilungsprinzip  zugrunde. 

Ferner  vermutete  schon  A.  H.  Sayce,  daß  die  in  einer  kappa- 
dozischen  Tafel  aus  Gyül  Tepe  vorkommende  Bezeichnung  hamusthn 
eine  Fünfzahl,  walirscheinlich  eine  fünftägige  Woche,  bedeute  und  von 
der  babylonischen  Doppelstunde  KAS.BU  abgeleitet  sei.  Nach 
H.  WiNCKLER  hängt  das  Verständnis  des  Wortes  hamusti  mit  dem 
Gebrauche  von  ina  (=  von)  und  i^iu,  (=  in)  in  den  Texten  zusammen, 
und  die  Bedeutung  dieses  Ausdrucks  läßt  sich  besonders  aus  Texten 
feststellen,  die  aus  Kappadozien  herrühren.  In  diesen  altassyrischen 
Tafeln  (s.  Golenischeff ,  Vuigt-quatre  fahldtc^  Cajtpadoctrniies)  ist 
von  der  Abmachung  von  Geldgeschäften  oft  die  Rede,  und  es  tritt 
wiederkehrend  die  Phrase  „isdii  hamusü  .  .  ."  auf^  Aus  der  Ver- 
gleichung  solcher  Texte  stellt  Wixckler  fest,  daß  die  Angabe  „in  der 
hamustu'-'-  als  eine  Zeitangabe  zu  verstehen  ist,  welche  ausdrückt,  zu 
welcher  Zeit  ein  Kapital  geliehen  worden  ist  resp.  wann  es  zm^ück- 
gezahlt  werden  soll.  Da  hamustu  seiner  Bedeutung  nach  irgend  eine 
Fünfheit  ausdrücken  muß,  so  liegt  am  nächsten,  an  ein  Intervall  von 
fünf  Tagen  zu  denken.  Diese  fünftägige  Woche  würde  sich  auch 
dem  Sexagesimalprinzip  gut  anpassen,  denn  zwölf  Doppelstunden 
KAS.BU  machen  einen  Tag,  und  fünf  Tage  geben  60  Doppelstunden. 
Die  hamustu  als  bürgerliche  Zahlungstermine  aufzufassen,  kann  also 
wohl  berechtigt  sein.  Die  Texte  deuten  sogar  darauf  hin,  als  wenn 
zur  Überwachung  der  hamustu  besondere  Eponymen  bestellt  gewesen 
wären.  Ob  die  hamustu  als  Woche  in  dem  Sinne,  wie  wir  sie  gegen- 
wärtig auffassen,  gegolten  hat,  wird  die  zukünftige  Forschung  lehi-en"-. 

Die  Sechsteilung  des  Monats,  die  der  hamustu  zugrunde  liegt 
und,  me  es  scheint,  auch  im  alten  Kultus  verborgen  ist,  setzt  einen 
30tägigen  Monat,  also  ein  360tägiges  Jahr  als  Ausgangspunkt  der 
Zählung  (ein  Rundjahr  im  Sinne  von  Einleitung  S.  69)  voraus,  deutet 
mindestens  auf  ein  Sonnen  jähr.  Wir  werden  im  nächsten  Para- 
graphen sehen,  inwiefern  die  Möglichkeit  für  den  Gebrauch  eines 
solchen  Jahres  gegeben  sein  konnte.  In  der  alten  Zeit  kommt  aber 
auch   schon   die  Vierteilung   des  Monats  vor.     Der  Monat  wird 


1)  Z.  B.  „Von  zwei  Minen  Geldes,  welches  Innam-Malik  dem  Asurrahi  schuldet, 
hat  eine  halbe  Mine  Geld  in  der  hamustu  von  ASurhihnäti  — ■  Kapital  samt  Zinsen  — 
Iradail  gekauft." 

2)  Nach  zwei  Tafeln  aus  dem  7.  Jahrh.  v.  Chr.  summiert  sich  die  tägliche 
Bewegung  des  Mondes  nach  je  ö  Tagen  derart,  daß  der  Mond  am  5.,  10.,  15.,  20. 
und  25.  Tage  an  gewissen  Hauptpunkten  des  Kreises  anlangt.  Die  eine  dieser 
Mondlängen-Tafeln  (K.  90;  s.  hierüber  bes.  Zeitschr.  f.  Assyr.  II,  1887,  S.  337; 
Montlüy  Notices  Boy.  Astron.  Soc.  vol.  40,  1880,  S.  108)  teilt  den  Kreis  in  480o, 
die  andere  (80—7 — 19,  278;  s.  hierüber  Proceed.  of  the  Soc.  of  Bibh  Arch.  XXII, 
1900,  S.  67)  in  360". 


120  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 

deutlich  nach  den  Mondvierteln  abgeteilt,  der  7.  14.  21.  28.  Tag  (und 
der  19.)  sind  böse  Tage  (umit  Jemnu),  es  sollen  gewisse  Handlungen 
an  diesen  Tagen  nicht  verrichtet  werden.  Diese  Teilung  weist  also 
auf  den  Mondmonat  resp.  das  Mondjahr  hin. 

Die  siebentägige  Woche,  welche  nicht  selten,  namentlich  in 
populären  Werken,  als  babjdonischen  Ursprungs  und  von  den  Juden 
übernommen,  hingestellt  wird,  kann  nur  mit  Vorbehalt  dem  baby- 
lonischen Kulturgebiet  zugeschrieben  werden.  In  dieser  Form,  nämlich 
als  eine  siebentägige,  ohne  Beziehung  auf  den  Monat  durch  das  Jahr 
fortlaufende  Periode  (also  wie  in  der  christlichen  Zeitrechnung)  ist 
sie  bis  jetzt  keilinschriftlich  nicht  nachweisbar.  Ebensowenig  sind 
besondere  AVochentagsnamen  bekannt.  Die  heilige  Siebenzahl  hat 
zwar  bei  den  Babyloniern  allerlei  Bedeutung  (z.  B.  es  sollen  an  ge- 
wissen 7.  Tagen  die  Kleider  nicht  gewechselt,  es  soll  der  Wagen  nicht 
bestiegen  werden  u.  dgl.)  S  und  es  ist  daher  nicht  auffallend,  daß  auch 
die  Planetengottheiten  mit  der  Siebenzahl  in  Verbindung  gebracht 
werden.  (Die  Sabier  und  Mandäer  kennen  ebenfalls  diese  Sieben- 
reihe.) Die  Ableitung  unserer  Wochentagnamen  aus  der  ihnen  ent- 
sprechenden Reihe 

1.  Sonntag    =  Sonne  4.  Mittwoch    =  Merkur 

2.  Montag     =  Mond  5.  Donnerstag  =  Jupiter 

3.  Dienstag  =  Mars  6.  Freitag       =  Venus 

7.  Sonnabend  =  Saturn 
ist  aus  den  uns  bekannt  gewordenen  babylonischen  Planetenreihen  aber 
direkt  nicht  möglich,  da  diese  in  ganz  anderer  Anordnung  auftreten. 
Die  wahrscheinlich  älteste  Planetenreihe  ist  jene  aus  der  Bibliothek 
Ässurbanipals  (II  R  48,  48— 54^1^  und  III  R  57,  65—67^),  welche  die 
Planetengottheiten  wie  folgt  anführt: 

1.  Sin      =  Mond  4.  Dilhat      =  Venus 

2.  Sanias  =  Sonne  5.  Kahnänu  =  (später)  Saturn 

3.  Sul.im  .ud.du  =  ?  6.  Gud-ucl     =  Merkur 

7.  Zal-hcd-a-nu  =  ? 

1)  Der  hebräische  ^Sahbath"  steht  nicht  ganz  ohne  Beziehung  zur  babylo- 
nischen Siebenzahl.  Das  babylonische  sabattu  (oder  Sapattu)  ist  ableitbar  entweder 
von  sahutu  =  aufhören,  beruhigen,  oder  von  Sabattu  =  schlagen  (des  Kopfes  oder 
der  Brust)  bei  Bußwerkeu.  Manche  Tafeln  (so  II  R  32,  Ißab)  bezeichnen  nun 
den  Büß-  und  Bet-Tag  als  sabattu.  Wenn  die  siebenten  Tage,  wie  oben  bemerkt, 
ominöse  Tage  waren,  so  könnten  sie  als  sabattu  gegolten  haben,  wofür  sich  ein 
inschriftlicher  Nachweis  bisher  aber  nicht  erbringen  läßt;  insofern  könnte  also  der 
sabattu  (als  Bußetag)  bei  den  Juden  Aufnahme  gefunden  haben.  —  Zimmern  hat 
neuerdings  aus  einem  Texte  aus  der  Bibliothek  Ässurbanipals  nachgewiesen  (Zeitschi: 
d.  deutsch,  morg.  Ges.  LVIII,  1904,  S.  199),  daß  im  Ijaby Ionischen  Monat  nicht  bloß 
der  7.,  14.,  21.,  28.  Tag  charakteristische  Tage  (sapattti-Tago)  waren,  sondern  daß 
hauptsächlich  der  15.  Tag  (der  Vollmondstag)  sapattu  hieß. 


§  24.    Monatseinti'ilung,  Wochen,  Tageseinteilung  und  Tagesanfang.        121 

Wenn  die  Namen  der  Planeten  im  Laufe  der  Zeit  nicht  geändert 
worden  sind,  so  würde  die  dieser  Reihe  entsprechende  Planetenordnung 
folgende  sein  (nach  Jensex): 

1.  Mond,  2.  Sonne,  3.  Jupiter,  4.  Venus,  5.  Saturn,  6.  Merkur,  7.  Mars. 

Aber  die  ursprüngliche  Reihe  war,  wie  Ho^imel  und  We\cki.er  wahr- 
scheinlich gemacht  haben,  eine  andere,  indem  gegenseitige  Substitutionen 
der  Planetennamen  vorgenommen  worden  sind.  Als  die  ursprüngliche 
Anordnung  betrachtet  Hom.mel  die  folgende: 

1.  Sonne,  2.  Mond,  3.  Jupiter,  4.  Merkm-,  5.  Mars,  6.  Saturn,  7.  Venus. 

welche  auch  den  Planetenfarben  (jeder  Planet  wurde  durch  eine  Farbe 
charakterisiert)  auf  den  Mauern  von  Ekhafana  (und  dem  Tmine  von 
Xhorsahad)  entsprechen.  Bemerkenswert  ist  die  sporadisch  bei  den 
Mandäern,  Syrern  und  Juden  vorkommende  Ordnung 

1.  Sonne,  2.  Venus,  3.  ]\[erkur,  4.  Mond,  5.  Saturn,  6.  Jupiter,  7.  Mars; 

aus  der  letzteren  läßt  sich  nämlich  die  für  die  Folge  unserer  Wochen- 
tage maßgebende  Ordnung  (Sonne,  Mond,  Mars,  Merkur,  Jupiter, 
Venus,  Saturn)  ableiten,  wenn  man  der  zweiten  von  den  beiden  An- 
weisungen folgt,  welche  Dio  Cassius  (XXXVII  c.  17)  für  die  Benennung 
der  siebentägigen  Woche  angibt  i.  Allein  die  Voraussetzung  eines  solchen 
Prinzips  für  die  Entstehung  der  siebentägigen  Woche  ist  künstlich 
genug.  Wahrscheinlicher  bleibt,  daß  außerhalb  des  babylonischen 
Kulturgebietes  die  Heiligkeit  der  Siebenzahl  mit  der  Zeit  zu  einer 
Zusammenfassung  eines  siebentägigen  Intervalls  Veranlassung  gegeben 
hat,  und  insofern  geht  allerdings,  da  die  Siebenzahl  ein  -wichtiges 
Glied  der  Zahlenharmonie  in  der  altorientalischen  Weltanschauung  dar- 
stellt, die  siebentägige  Woche  auf  die  babylonische  Kultur  zurück. 
Ich  begnüge  mich  in  diesem  Werke,  in  welchem  weitgehende  Schlüsse 
vermieden  werden  müssen,  mit  diesem  Hinweise.    Auf  Verbreitung  der 


1)  ,,Oder,  wenn  man  die  Stunden  des  Tages  vxnd  der  Nacht  von  der  ersten 
Tagesstunde  zu  zählen  anfängt,  diese  dem  Saturn,  die  folgende  dem  Jupiter,  die 
dritte  dem  Mars,  die  vierte  der  Sonne,  die  fünfte  der  Venus,  die  sechste  dem  Merkur, 
die  siebente  dem  Monde  beilegt,  nach  der  Ordnung,  welche  die  Ägypter  den  Planeten 
anweisen,  und  immer  wieder  von  vorn  anfängt,  so  wird  man,  wenn  man  alle 
24  Stunden  durchgegangen  ist,  finden,  daß  die  erste  des  folgenden  Tages  auf  die 
Sonne,  die  erste  des  dritten  auf  den  Mond,  kurz  die  erste  eines  jeden  Tages  auf 
den  Planeten  trifft,  nach  welchem  der  Tag  benannt  wird."  —  Zu  den  oben  an- 
geführten Planetenordnungen  ist  zu  bemerken,  daß  dieselben  keineswegs  die  einzigen 
sind,  die  in  der  vorderasiatischen  Überlieferung  vorkommen.  Eine  namentlich  von 
den  Klassikern  aufgezählte  Reihe  ist  die  Anordnung  der  Planeten  nach  der  schein- 
baren Entfernung  von  der  Erde:  Mond,  Merkur,  Venus,  Sonne,  Mars,  Jupiter, 
Saturn.  Für  die  spätbabylonische  Zeit  (2.  Jahrh.  v.  Chr.)  gibt  Kugler  die  Planeten- 
reihe Jupiter,  Venus,  Merkur.  Saturn,  Mars,  Mond  .  .  .  an. 


122  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylouier. 

Woche,  Benennung-  der  Tage  u.  s.  w.  komme  ich  im  III.  Bande  bei 
der  christlichen  Zeitrechnung  zurück. 

In  Beziehung  auf  die  Teilung  des  Tages  ist  man  bisher 
hauptsächlich  auf  die  Angaben  in  den  astronomischen  Tafeln  der 
Babjionier  angewiesen.  In  diesen  Tafeln  wird  der  Tag  (d.  h.  der 
volle  Tag-Nacht-Kreis)  dem  sexagesimalen  Prinzip  gemäß  in  6  Ab- 
schnitte, jeder  dieser  in  60  Teile,  und  jeder  der  letzteren  wieder  in 
weitere  60  Teile  geteilt.  Eigene  Namen  für  diese  Teile  und  Unter- 
abteilungen scheinen  nicht  gebraucht  worden  zu  sein.  AVenn  wir  die 
einzelnen  Stufen  dieser  Teilung  als  „Sechsteltag",  „Zeitgrade",  „Zeit- 
minuten" und  „Zeitsekunden"  bezeichnen,  ist  also 

1  Sechsteltag  =  60  Zeitgrade,  1  Zeitgrad  =  60  Zeitminuten, 
1  Zeitminute  =  60  Zeitsekunden. 

Dieses  Zeitmaß  erscheint  fast  durchaus  auf  allen  astronomischen 
Tafeln  der  späteren  Zeit.  Der  „Zeitgrad"  entspricht  4  unserer  Zeit- 
minuten. Bisweilen,  und  zwar  nur  in  einzelnen  Planetentafeln,  wird 
der  Tageskreis  unmittelbar  in  60  Teile  geteilt,  mit  weiteren  Sechzig- 
teilungen der  einzelnen  Abstufungen.  Während  diese  beiden  Zeit- 
maße nur  in  der  Astronomie  üblich  sind,  scheint  das  eigentliche 
populäre,  bürgerliche  Zeitmaß  durch  die  Zwölfteilung  des  Tageskreises, 
KAS.BU  genannt',  dargestellt  zu  werden.  Dieses  Maß  findet  nämlich 
bei  astronomischen  Angaben  weniger  Verwendung,  am  ehesten  noch 
in  Finsternisberichten.    Ein  KAS.BU,  in  modernen  Schriften  auch 

als  „babylonische  Doppelstunde"  bezeichnet,  ist  yn  des  Tages  =  2  unserer 

Stunden.  Ein  KAS.BU  wird  in  30  t"S' zerlegt,  demnach  1  US ^= 
4  Minuten.  Da  der  Volltag  somit  360  US  faßt,  repräsentiert  diese 
Teilungsart  die  direkte  Übertragung  des  360  teiligen  Kreises  auf  den 
Tageskreis.  Die  Entstehung  dieses  Zeitmaßes  hängt  wahrscheinlich 
mit  der  Entstehung  des  Zodiakus  zusammen  (s.  Einleitung  S.  80). 
Durch  die  „Doppelstunde"  wird  auch  die  Angabe  von  Hekodot  be- 
stätigt, welcher  sagt  (II  109),  daß  „die  zwölf  Teile  des  Tages  von 
den  Babyloniern  zu  den  Griechen"  gekommen  seien'.  Erinnerungen 
an  die  babylonische  Doppelstunde  scheinen  sich  übrigens  im  Altertum 
hie  und   da   erhalten  zu  haben.     Letkonne  hat  aus  zwei  Stellen  des 


1)  Die  Lesungsart  des  Ideogramms  KAS.BU  ist  zur  Zeit  noch  nicht  sicher 
angebbar,  desgleichen  nicht  die  Lesung  der  Unterabteilung  US.  Dieses  Maß  wird 
übrigens  auch  als  Bogenmaß  gebraucht  und  zwar  ist 

1  KAS.BU  =  i/i2  der  Ekliptik  =  30" 
1  KAS.BU  =  12  ammat,    1  ammat  =  24  iibänu, 
also  1  ammat  =  2,5";    1  ubdnii  =  6^//. 

2)  nöXov  iihv  yuQ  xai  yväiiiovcc  xat  rä  Svöidnxa  ^itQia  Tf/s  /;fi^(?rjs  ncxQU  Baßv- 
Xcovicov  f^a&ov  oi  "Ellrivig. 


i^  24.     Moiiatsoiiitcilung',  Wochen,   Tageseinteilung  und  Tagesjinfang.         123 

EuDOXTjs-Papyrus  dargetan,  daß  dort  üna  im  Sinne  von  iJoppelstunde 
gebraucht  wird\  Der  Doppelstunde  werden  wir  auch  bei  den  Chinesen 
wieder  begegnen  (s.  §  128).  Eine  24-Teilung  des  Tages  ist  bis  jetzt 
inscliriftlich  auf  babylonischen  Tafeln  nicht  nachgewiesen,  man  kann 
daher  die  Babj'lonier  nicht  direkt  als  die  Urheber  unserer  Tages- 
teilung hinstellen,  wohl  aber  als  Vorläufer  derselben.  (Vgl.  die 
12  Stunden  der  Zifferblätter  unserer  IJliren.) 

Eine  sehr  alte  Teilung  der  Nacht  in  Babylonien  ist  die  der  drei 
Nachtwachen :  harantu  =  Zeit  des  Sternaufgangs,  JcahUtii  =  Mitte  der 
Nacht,  und  namaritu  =  die  Zeit  der  Dämmerung, 

Was  schließlich  die  Frage  anbelangt,  mit  welcher  Zeit  die  Baby- 
lonier  den  bürgerlichen  Tag  angefangen  haben,  so  hat  sich  bisher 
darüber  noch  keine  völlige  Sicherheit  gewinnen  lassen.  Eppixg  konnte 
die  auf  astronomischen  Tafeln  des  2.  Jahrh.  v.  Chr.  vermerkten  An- 
gaben über  die  Neu-  und  Vollmonde  am  besten  mit  der  Rechnung 
vereinigen,  wenn  die  Mitternacht  als  Ausgangspunkt  der  babylonischen 
Zeitzähhmg  vorausgesetzt  wurde.  Denselben  Tagesanfang  konnte 
KuGLER  aus  astronomischen  Tafeln  des  2.  Jahrh.  v.  Chr.  rechnerisch 
feststellen;  aus  anderen  Tafeln,  die  wahrscheinlich  aus  einer  anderen 
Astronomenschule  herrühren  (es  bestanden  in  Babylonien  mehrere  der- 
artige Schulen),  konnte  er  aber  die  Zeit  des  Sonnenuntergangs  als 
Tagesanfang  nachweisen.  Für  die  astronomische  Rechnung  bot  der 
Sonnenuntergang  als  Tagesanfang  keine  bequeme  Basis,  da  er  durch 
das  ganze  Jahr  variierte,  wohl  aber  für  das  Anstellen  von  Beobach- 
tungen, wenn  angegeben  wurde,  um  welchen  Zeitbetrag  nach  oder 
vor  Sonnenuntergang  irgend  eine  astronomische  Erscheinung  sichtbar 
sein  werde,  wann  z.  B.  das  für  den  Beginn  des  Monats  so  wichtige 
Erscheinen  der  ersten  Mondsichel  (Neiilicht)  stattfinden,  oder  wann 
eine  Finsternis  eintreten  werde  u.  s.  w.  Da  nun  viele  babylonische 
Ephemeriden  tatsächlich  in  Zeitgraden  angeben,  welche  Zeit  zwischen 
dem  jeweiligen  Sonnenuntergänge  und  einer  astronomischen  Er- 
scheinung liegt,  also  in  solchen  mehr  für  die  Öffentlichkeit  bestimmten 
Tafeln  augenscheinlich  auf  den  Gebrauch  für  das  Volk  Rücksicht 
nehmen,  so  scheint  es,  daß  wenigstens  der  Kalender  für  die  Sonnen- 
untergangszählung eingerichtet  wurde.  Wir  müssen  also  vorläufig 
annehmen,  daß  zu  Rechnungszwecken  von  den  Astronomen  die  Mitter- 
nacht als  Ausgangspunkt  genommen,  für  den  Volkskalender  aber  der 
Sonnenuntergang  als  Tagesanfang  betrachtet  wurde.  Wie  im  bürger- 
lichen Leben  der  Tag  gezählt  worden  ist,  entzieht  sich  noch  unserer 
Kenntnis.  Die  alten  Schriftsteller  geben  einstimmig  an,  es  sei  der 
Sonnenaufgang  gewesen;   Plixius  {li.  n.  II  79):    Ipsum  diem   alii 


1)  Journal  des  savants,  1839,  S.  585. 


124  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 

aliter  observavere,  Babylonii  inter  duos  solis  exortus.     (S.  a.  Oensoein 

c.  23 ;  Maceobius,  Saturn.  I  3 ;  Gellius  n.  a.  III  2 ;  Isidoe.  Etym.Y  30). 

§  25.    Sonnen-  und  Mondjahr.    Perioden. 

Welche  Jahrform  bei  den  Babyloniern  die  ursprüngliche  gewesen 
ist,  läßt  sich  gegenwärtig-  noch  nicht  entscheiden.  In  der  Überzahl 
der  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Tafeln  haben  die  Monate  eine 
Länge  von  abw^echselnd  29  und  30  Tagen,  ergeben  also  zweifellos 
die  Voraussetzung  eines  Mondjahrs.  Man  muß  also  annehmen, 
daß  das  Mondjahr  schon  ziemlich  früh  bei  den  Babyloniern  Eingang 
gefunden  hat.  Das  Prinzip,  nach  welchem  den  Monaten  die  Längen 
von  29  und  30  Tagen  (hohle  und  volle  Monate)  beigelegt  wurden, 
ist  nicht  bekannt;  in  den  astronomischen  Tafeln  wird,  wie  Epping 
und  Kuglee  gesehen  haben,  ziemlich  ausnahmslos  die  Länge  der 
Monate  dadurch  ausgedrückt,  daß  den  einzelnen  Monaten  die  Zahl  1 
oder  30  beigesetzt  wird:  1  zeigt  an,  daß  der  vorhergehende  Monat 
ein  voller  war,  30  definiert,  daß  er  als  hohl  zu  nehmen  sei.  Die 
Tafel  Sp.  1162  weist  z.  B.  folgende  Bezeichnungen  auf^:  Äirii  1, 
Simamiu  30,  Düzu  30,  Abu  1,   Ulälit  30,  TisrUu  1,  Ärah-samna  1, 

d.  h.  der  dem  Äii-u  vorhergehende  Monat  Nisannu  hatte  30  Tage, 
ebenso  der  dem  Ahit  vorhergehende  Diizu,  der  dem  TisrUii  vorher- 
gehende ülülu  und  der  dem  Arah-samna  vorhergehende  TisrUu; 
dagegen  hatten  Airu,  Simannu,  Abu  jeder  29  Tage.  Die  Monate 
wurden  von  Neumond  zu  Neumond  gerechnet,  jedoch  nicht  vom 
wahren  Neumond,  sondern  vom  ersten  Erscheinen  der  IMondsichel 
(vgl.  Einleitg.  S.  93).  Daher  ist  erklärlich,  daß  die  Berechnung  der 
Zwischenzeit  vom  Neumond  bis  zum  „Neulicht"  in  den  astronomischen 
Tafeln  der  Babylonier  eine  wichtige  Rolle  spielt,  und  daß  sich  zahl- 
reiche Angaben  über  diesen  Zeitbetrag  vorfinden  (und  z.  T.  auch 
über  das  „Altlicht",  d.  h.  die  Zeit  von  der  letzten  Sichelerscheinung 
des  abnehmenden  Mondes  bis  zum  Neumond).  Die  Regeln,  nach 
welchen  die  Zeit  des  ,, Neulichtes"  bestimmt  wurde,  sind  noch  nicht  be- 
kannt, ihre  Aufdeckung  wird  aber  sicher  vieles  in  der  babylonischen 
Zeitrechnung  für  die  Forschung  klar  legen.  In  der  alten  Zeit  waren 
die  Babjionier,  wie  andere  Völker,  darauf  angewiesen,  den  Beginn 
des  Monats  durch  faktische  Beobachtung  des  Mondneulichtes  zu  be- 
stimmen, und  die  große  Zahl  von  Sonnen-  und  Mondbeobachtungen, 
die  wir  frühe  schon  bei  ihnen  antreffen,  entsprang  offenbar  dem  Be- 
streben,  sich   von   jener   primitiven  ]\[ethode   frei    zu   machen.     Im 


1)  KuGLER,  Die  hahyl.  Mondrechnung,  S.  36;  vgl.  Eppincj-Strassmaier,  Astron. 
aus  Babylon,  S.  15. 


tj  25.     Sonnen-  iinil  Mondjahr.    Poriodfn.  125 

3.  Jahrh,  v.  Clir.  ist  die  Kenntnis  der  ^londbewegnng  bei  den  Be- 
rechnern der  babylonischen  Ephemeriden  bereits  ein  so  vorzügliche, 
daß  sich  die  AVerte,  welche  sie  für  die  Dauer  der  einzelnen  Arten 
von  Monaten  annehmen,  nahezu  mit  unseren  modernen  Annahmen 
decken ;  Kfulkk  fand  nämlich  aus  der  rechnerischen  Untersuchung 
jener  Ephemeriden  folgende  Elemente: 

Babylonische  Werte.      Moderne  Werte. 

Dauer  des  synodischen  Monats        29<i  12'^  44™  8^3'    ^^^  IS*»  44™  2,9» 
„        „     drakonitischen  „  27     5     5  35,8       27     5     5  35,8 

„        „     siderischen         „  27     7   43   14         27     7   43   11,4 

„     anomalistischen  3ronats  27   13   18   34,7       27   13   18  37,4 
:\Iittlere  sider.  tägl.  Mondbewegung  13»  10'  34,851"       13^  10'  34,893"i. 
Perioden:  251  synod.  Mon.  =     269  anom.  Mon. 
5458    \,  „      =  5923  drakon.  „ 

Bei  einer  solch  genauen  Kenntnis  der  Mondbewegung  (und  auch  einer, 
wie  wir  noch  sehen  werden,  guten  Kenntnis  der  scheinbaren  Sounen- 
bewegung)  ist  es  einigermaßen  seltsam,  daß  die  Babylonier  bei  der 
Rechnung  des  Monatsbeginnes  vom  „Xeulicht"  ab  verblieben  sind, 
denn  es  mußte  ihnen  doch  ein  leichtes  sein,  die  Zeit  der  wahren 
Neumonde  voraus  anzugeben;  aber  eben  das  Beharren  bei  dem  alten 
Gebrauche  zeigt,  daß  es  sich  dabei  um  eine  tausendjährige  Gepflogen- 
heit handelte,  die  man  dem  Volke  nicht  nehmen  wollte  oder  konnte. 
Was  den  Jahresanfang  betrifft,  so  muß  derselbe  im  Frühjahr 
liegen,  um  die  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgieiche.  Der  Monat  Ähu  wird 
schon  auf  ziemlich  alten  Tafeln  öfters  der  Monat  der  trockenen  Hitze, 
der  Monat  Sahafu  der  Monat  des  Schnees  und  der  Kälte  genannt ; 
da  der  erstere  in  der  Folge  der  Monate  der  fünfte,  und  der  andere 
der  eilfte  ist,  so  mu^  Xisannu,  der  Anfangsmonat,  etwa  März  fallen-. 
In  der  späteren  Zeit  des  Gebrauchs  der  seleukidischen  Ära  ist  der 
Jahresanfang  mit  Xisan  im  Frühjahre  außer  Zweifel,  außerdem  ist 
die  Frühjahrs-i\"/ 6« «-Rechnung  für  mehrere  Nachbarvölker  nachweis- 
bar; es  wird  daher  die  jetzt  allgemein  geltende  Annahme  zutreffen, 
daß  die  späteren  Babylonier  ihr  (gebundenes)  Mondjahr  mit  dem 
Xisannu  um  die  Zeit  des  Früli Jahrsäquinoktiums,   und  zwar  mit  dem 


1)  Gemixus  (im  1.  Jahrh.  v.  Chr.)  kannte  den  oben  angegebenen  genaueren 
Betrag  der  Mondbewegung,  den  die  Babylonier  schon  fast  200  Jahre  vor  ihm  an- 
wandten, noch  nicht  und  gibt  an,  ,die  mittlere  Bewegung  des  Mondes  wurde  von 
den  Chaldäern  gleich  13"  10'  35"  gefunden"  {Isagoge  15,  2). 

2)  In  einem  Berichte  des  Astronomen  an  den  König  (s.  III  R  51,1;  vgl. 
Delitzsch,  Assyr.  Lesestücke,  3.  Autl.,  S.  122  No.  1)  heißt  es:  ,Am  6.  Tage  des 
Monats  Xisdn  waren  Tag  und  Nacht  gleich,  es  waren  6  KAS .  BU  des  Tages  und 
6  KAS .  BU  der  Nacht.     Mögen  Nabu  und  Marduk  dem  Könige  günstig  sein." 


126  I.  Kapitel.     Zeitreclinuug  der  Babylonier. 

„Neuliclit"  begonnen  haben.  Sehr  wahrscheinlich  ebenso  verhält  es  sich 
mit  dem  Jahr  der  Assyrer.  Trotzdem  Babylonien  und  Assyrien  in 
Beziehung-  auf  Kultur  und  Schicksale  eng  mit  einander  verbunden  er- 
scheinen, wäre  immerhin  die  Möglichkeit  vorhanden,  daß  in  einzelnen 
Details  der  Zeitrechnung-  zwischen  beiden  Staaten  Unterschiede 
existieren;  aber  vorderhand  darf  man  die  Identität  der  Jahrform  im 
allgemeinen  voraussetzen. 

Für  die  alte  Existenz  eines  Mondjahres  in  Babylonien  spricht 
auch  der  in  sehr  alte  Zeit  zurückreichende  Mondkultus.  In  der 
Gestirnverehrung,  die  in  Vorderasien  (wie  früher  schon  bemerkt)  ein 
Glied  in  der  altorientalischen  Weltanschauung  bildet,  ist  neben  Änu 
(Himmel),  Bei  (Gott  des  Himmlischen  und  Irdischen)  und  Ea  (Gott 
der  Gewässer)  der  Hauptgott  Sin  d.  h.  der  Mond.  Er  genoß  nament- 
lich in  Südbabylonien  hohe  Verehrung;  Uno  (heute  EI  Muglielr)  und 
HarrCin  (am  Uclias,  einem  Zuflüsse  des  Euphrat)  waren  die  Haupt- 
stätten des  Mondkultus  ^,  außerdem  aber  finden  sich  auch  Spuren 
dieser  Religion  in  Vorderasien  und  Arabien.  Die  heilige  Zahl  des 
Sin  ist  30,  das  Ideogramm  seines  Namens  wird  oft  durch  diese  Zahl 
ausgedrückt.  Daß  der  Jahresanfang;  durch  das  Erscheinen  des  Früh- 
jahr-Neumondes signalisiert  wird,  und  daß  der  Monatsbeginn  an  das 
„Neulicht"  geknüpft  ist,  wurde  schon  hervorgehoben.  Es  mag  nur 
noch  bemerkt  werden,  daß  auch  die  zu-  und  abnehmende  Mondsichel 
durch  zwei  Götter  (Shi  und  Nergal^  die  „Zwillinge")  repräsentiert 
werden. 

Allein  auch  der  Sonuenkultus  ist  in  Babylonien  von  hohem 
Alter.  Die  hauptsächlichste  Verehrung  der  Sonne  als  oberster  Gott- 
heit (Samas)  konzentrierte  sich  in  Larsa  {Senl-erch)  und  Sippar 
{Abu  Hahha).  Da  außerdem  in  diesem  Kultus  die  Hauptphasen  der 
Sonnenbewegung,  die  täglichen  wie  die  jährlichen  (wie  es  scheint,  be- 
sonders die  Frühjahrssonne),  mit  Göttern  verknüpft  werden-,  so  könnte 
man  hierin  den  Hinweis  auf  die  Existenz  eines  S  o  n  n  e  n  j  a  h  r  e  s  sehen. 
Mehr  Grund  für  die  Voraussetzung  eines  Sonnenjahres  in  der  ältesten 


1)  Sin  heißt  in  Harnin  auch  Bcl-Harrdn ;  er  wird  von  den  Gottheiten  Nikkal, 
IStar  und  Nusku  begleitet.  Das  Mondheiligtum  zu  Harrän  war  eines  der  be- 
rühmtesten und  erregte  das  Staunen  der  Kömer.  Der  dortige  Kultus  erhielt  sich 
über  das  Auftreten  des  Mohammedanismus  hinaus,  denn  die  Harraniter  (Sabier) 
widerstanden  allen  Bekehrungsversuchen  und  errangen  sich  830  n.  Chr.  das  Zu- 
geständnis freier  Religionsübung. 

2)  Das  uralte  berühmte  Gilgame^-Epos  (s.  Transkr.  u.  Übersetzg.  v.  Jensen, 
Keilinschr.  Biblioth.,  VI)  ist  nach  Rawlinson  und  Jensen  ein  Sonnen -Mythus, 
-welcher  eigentlich  den  jährlichen  Lauf  der  Sonne  darstellt;  Kuglek  hat  auch  den 
in  dem  Epos  vorkommenden  Details  einen  durchaus  astronomischen  Hintergrund  zu 
geben  versucht. 


§  25.     Soimt'ii-  vnid  Moiidiiilir.    Perioden.  127 

Zeit  dürfte  indessen  in  gewissen  alten  Angaben  über  den  sexagesimalen 
Aufbau  des  Jahres  liegen'.  In  einigen  alten  Texten  finden  sich  nämlich 
Spuren  eines  860tägigen  Jahres.  So  heißt  es  1111x52,  37'':  ,.(Die) 
zwölf  Monate  eines  Jahres  (sind)  sechs  mal  sechzig  Tage  ....  Zahl .  .  . 
zaymuJ:-¥e's,i^''-.  Der  Titel  einer  Tafelsammlung  aus  der  Bibliothek 
Sargons  lautet:  „Eine  Sammlung  von  25  Tafeln  der  himmlischen  und 
irdischen  Zeichen  nach  ihrer  guten  und  schlechten  Bedeutung,  Die  Vor- 
zeichen, die  im  Himmel  sind,  als  auch  die  auf  der  Erde  werden  be- 
richtet. Dies  ist  der  Bericht ...  12  Monate  für  jedes  Jahr,  6  mal  60  Tage, 
nach  der  Ordnung  verzeichnet  . .  ."■■.  Ebenso  hat  das  Jahr  in  der 
Tafel  III  R  60  durchaus  360  Tage ,  denn  bei  jedem  einzelnen  Monat 
werden  30  Tage  angegeben  ,.im  Monat  Ädar  vom  1.  bis  zum  30.  Tage 
—  im  Monat  Alsan  vom  1.  bis  zum  30.  Tage  — "  u.  s.  f.  durch  alle 
Monate*.  Ferner  wird  in  den  Tempelrechnungen  des  Tafelfundes  von 
TeUoh  (aus  der  Mitte  des  3.  Jahrtausends  v.  Chr.),  welche  von  Reissxee 
bearbeitet  worden  sind,  der  Monat  durchweg  zu  30  Tagen  gerechnet. 
Es  kann  sich  nun  möglicherweise  hier  um  ein  astrologisches,  d.  h.  dem 
360  teiligen  Ki-eise  angepaßtes  Jahr,  oder  um  ein  Geschäftsjahr  handeln 
(wie  auch  bei  uns  für  gewisse  kaufmännische  Usancen  ein  360tägiges 
Jahr  üblich  ist),  aber  es  kann  in  diesen  Beispielen  auch  der  Hinweis 
auf  ein  theoretisches  Jahr,  das  360tägige  „Rundjalir",  liegen.  Die 
Annahme  eines  „Rundjahres"  in  dem  Sinne,  wie  es  früher  (s. 
Einleitg.  S.  69)  aufgefaßt  wurde,  wäre  für  die  alte  babylonische  Zeit 


1)  Die  Basis  des  Sexagesimal-Systems  bei  den  Babyloniern  wird  von  deu 
meisten  Autoritäten  in  astronomischen  Beziehungen  gesucht.  Cantor  sucht  die 
Entstehung  der  60  in  der  Wahrnehmung,  daß  die  aus  dem  ungefähr  360tägigen 
Jahre  erkannte  Kreisteilung  von  360'^  in  Verbindung  mit  dem  Verhältnis  des 
Kreisradius  zum  Umfange  (die  Sehne  ist  ^/g  des  Umfanges)  zur  Zahl  60  geführt 
habe.  Braxdis  geht  auf  das  Verhältnis  des  scheinbaren  Sonnendurchmessers  zum 
Himmelskreise  C^j.y  :  360  =  1  :  720)  zurück.  C.  F.  Lehmaxx  weist  insbesondere 
darauf  hin,  daß  die  Doppelstimde  K AS .  BU  zum  Sonnendurchmesser  zur  Zeit  der 
Äquinoktien  im  Verhältnis  1  :  60  steht.  Kugler  bemerkt,  daß  KAS  .BU  ein  Natur- 
maß insofern  sein  konnte,  als  es  in  der  von  den  Babyloniern  erkannten  ungleich 
schnellen  Bewegung  der  Sonne  den  längeren  Sonnenweg  ausdrücke,  nämlich  30"; 
dieser  Betrag  im  Verhältnis  zum  scheinbaren  Sonnendurchmesser  ' '.,"  führt  auf 
1  :  60.  ZiJiMERX  sieht  die  Ursache  des  Verhältnisses  1  :  60  in  einer  ursprünglichen 
Sechsteilung  des  anfänglichen  360tägigen  Jahres.  —  Auf  die  mannigfachen  Be- 
ziehungen des  Sexagesimalsystems  zum  Maß-  und  Gewichtswesen  der  Babylonier 
und  der  antiken  Maße  überhaupt  kann  hier  selbstverständlich  nicht  näher  ein- 
gegangen werden.  Die  wichtigsten  Literaturnachweise  hierüber  habe  ich  am 
Schlüsse  dieses  Kapitels  unter  „Literatur"  beigebracht. 

2)  .^XII  arhi  m  mtti  Igan  VI  \us]  üme  sa  minät  [zag-mug]  ina  su  .  .  ." 
Vollständige  Übersetzung  der  Stelle  ist,  wie  mir  Herr  Prof.  C.  F.  Lehmann  mitteilt, 
wegen  der  Verstümmelung  des  Textes  nicht  möglich. 

3)  Transaet.  Soc.  of  Bihlic.  Arch.,  III  155. 

4)  ibid.  272—288. 


128  I.  Kapitel.    Zeitreclinung  der  Babylonier. 

nicht  unmöglich.  Man  kann  sich  denken,  daß  in  der  ältesten  Zeit, 
wo  die  Länge  des  Sonnenjahres  noch  mangelhaft  bekannt  war,  und 
wo  man  es  doch  des  Ackerbaues  wegen  nötig  hatte,  das  „Rundjahr" 
den  Ausgangspunkt  der  Versuche  bildete,  die  Länge  desselben  mittelst 
Schaltungen  mit  den  Jahreszeiten  übereinstimmend  zu  machen.  Die 
Schaltungen  konnten  anfangs  in  größeren  Zeitintervallen  (Jahren)  vor- 
genommen werden  und  waren  jedenfalls  noch  unregelmäßig;  als  man 
endlich  wußte,  daß  das  Sonnenjahr  365  Tage  habe,  genügte  der  Über- 
gang von  der  72 fachen  (6  mal  12 fachen)  hamiisttt  (72  X  5  =  360) 
auf  die  73,  hamustu  (365  Tage) ,  um  dem  Sonnenjahre  mit  Berück- 
sichtigung seines  ursprünglich  sexagesimalen  Aufbaues  (6  X  60  = 
360  Tage)  die  richtige  Länge  zu  geben.  Auf  sexagesimale  Grund- 
lage des  Jahres  würden  aber  die  6  Doppelmonate  zu  60  Tagen  deuten, 
welche  einstens  das  babylonische  Jahr  nach  H.  Wincklek  gehabt 
haben  soll,  und  von  welchen  Doppelmonaten  nach  letzterem  Autor  die 
Anordnung  der  Monate  im  altarabischen  und  römischen  Jahre  her- 
rührte —  Die  vorstehenden  Bemerkungen  sollen  nicht  etwa  die 
Existenz  eines  Sonnenjahres  für  Babylonien  beweisen,  sondern  nur 
dessen  Möglichkeit  offen  lassen.  Es  scheint  sogar  die  Wahr- 
scheinlichkeit näher  zu  liegen,  daß  im  Volksgebrauch  nie  ein 
anderes  als  das  Mondjahr  benützt  worden  ist.  Ganz  anders  gestaltet 
sich  aber  die  Sache  für  die  babylonischen  Astronomen.  Die  Be- 
obachter und  Rechner  kennen,  wie  aus  den  Arbeiten  von  Kugler 
hervorgeht,  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  bereits  die  Länge  des  siderischen 
Jahres,  die  Beträge  der  ungleichen  Bewegung  der  Sonne  in  der  Eklip- 
tik, die  ungleiche  Länge  der  astronomischen  Jahreszeiten  u.  s.  w.  mit 
respektabler  Genauigkeit'-.     Die  Angaben,   die  in  den  babylonischen 


1)  C.  F.  Lehmann  weist  auf  das  Zagmulcu-Fest  hin  ( Verhdlg.  d.  Berl.  anthropol. 
Ges.,  1896,  S.  445),  eine  fünftägige  Feier,  die  bei  den  Babyloniern  an  der  Spitze 
des  Jahres  stand  und  den  5  Epagomenen  (durch  die  wir  anderwärts,  wie  bei  den 
Ägyptern  u.  s.  w.,  das  365tägige  Jahr  ergänzt  sehen)  entspricht.  —  In  der  Tat  fällt 
das  Zaijmulcii-  oder  AkUH-F&?,i  (Sakäen-Fest  des  Berossos)  auf  den  Jahresanfang 
{res-mtU)  in  (oder  vor?)  die  ersten  Tage  des  Nisannu  und  ist  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  3.  Jahrtaus.  v.  Chr.  iuschriftlich  nachweisbar.  Es  hatte  nach  Meissner 
{Zeitschr.  d.  deutsch,  morgenl.  Ges.,  L.  Bd.,  S.  296)  dieselbe  Bedeutung  wie  die  Feier 
der  Farivardigan-T Rgc  bei  den  Persern  (s.  diese  Kap.  IV  dieses  Werkes),  und  auch 
das  Purimfest  der  Juden  geht  zum  Teil  hierauf  zurück. 

2)  Obwohl  die  Tafeln,  welche  Kugler  untersucht  hat,  vornehmlich  sich  mit 
der  Vorausberechnung  der  Neu-  und  Vollmonde  befassen,  also  für  sie  die  genauen 
Werte  der  Sonnenbewegung  nicht  notwendig  sind ,  geht  doch  für  das  siderische 
Sonnenjahr  der  Betrag  365<i  6'»  13™  48«  aus  ihnen  hervor,  welcher  nur  4'/jj™  vom 
modernen  Werte  abweicht.  Die  Länge  des  astron.  Frühjahrs  beträgt  94,498  Tage 
(richtig  94,044),  des  Sommers  92,726  (statt  92,305),  des  Herbstes  88,592  (statt  88,619) 
und  des  Winters  89,445  (statt  90,282)  Tage.  Die  Kenntnis  der  Präzession  ist 
nicht  sicher  aus  den  Tafeln  zu  erweisen,  es  finden  sieh  aber  einige  Anzeichen  dafür. 


i^  25.     SnuiH'ii-  uiiil  Mondjülir.   Perioden.  12'^ 

Ephemeriden  über  die  Sonnenbewegung ,  die  ungleiche  Länge  des 
Tages,  das  „Neuliclit"  u.  s.  w.  gemacht  werden,  lassen  keinen  Zweifel 
darüber,  daß  jene  Astronomen  das  Sonnenjahr  als  Grundlage  bei  ihren 
Rechnungen  benützten  und  daß  sie  fähig  gewesen  wären,  falls  man 
dieses  Jahr  im  Volke  eingeführt  haben  würde,  diese  Jahresform  ge- 
hörig zu  überwachen.  Daß  die  Einführung  nicht  geschehen  ist, 
beweist,  wie  eingewurzelt  das  Mondjahr  im  Volke  war.  Das  Sonnen- 
jalir  verblieb  Eigentum  der  Priesterkaste,  aus  der  ja  auch  die  Astro- 
nomen hervorgingen. 

Einigermaßen  zweifelhaft  bleibt  auch,  ob  die  Babylonier  die 
größeren  Zeiträume  nach  Perioden  abgemessen  haben.  Der  Ge- 
brauch von  solchen  Perioden  („großen  Jahren")  ist  zwar  bei  den 
orientalischen  Chronographen,  wie  wir  bei  der  ägyptischen  Zeitrechnung 
sehen  werden,  nicht  selten,  aber  bei  den  Babyloniern  finden  sich  nur 
einige  Andeutungen  vor ;  inschriftlich  sind  solche  Perioden  bisher  über- 
haupt nicht  nachweisbar  gewesen.  Eusebius,  Synkellos,  Suldas  und 
Hestchius  erwähnen  nämlich  den  Saros,  Neros  und  Sossos  in 
mehr  oder  weniger  deutlicher  Weise  als  die  Zeitperioden,  nach  denen 
die  Babylonier  gerechnet  haben  sollen.  Bei  den  ersteren  beiden 
Schriftstellern  heißt  es:  „Beeossos  hat  in  seiner  Geschichte  nach 
Saren,  Neren  und  Sossen  gerechnet.  Der  Saros  bezeichnet  einen  Zeit- 
raum von  3600,  der  Xeros  von  600,  und  der  Sossos  von  60  Jahren"  \ 
Man  hat  früher  geglaubt,  daß  Saros,  Keros,  Sossos  n  u  r  als  Zeiträume, 
und  zwar  insbesondere  als  Mondperioden  (223  synod.  Mondmonate) 
aufzufassen  seien ;  andere  haben  hierin  aber  Tage  gesehen,  und  es  hat 
sich  eine  ziemliche  Reihe  von  Meinungen  und  mancherlei  Literatur 
hierüber  angesammelt.  Durch  das  Studium  der  Inschriften,  welche 
jene  Ausdrücke  recht  oft  darbieten,  ist  bald  klar  geworden,  daß  die 
Wörter  Saros,  Xeros ,  Sossos  nur  Zahlen  an  und  für  sich  sind,  ohne 
jede  Beziehung  auf  Zeitmessung.  Der  Sossos  (awoGog)  oder  assyrisch 
mssu  ist  die  Grundzahl  des  bei  den  Babyloniern  über  das  ganze  Maß- 
wesen  sich  erstreckenden  Sexagesimalsystems,  nämlich  sechzig.  Xpr 
(neric),  vjjgog  bedeutet  „Führer,  Leiter",  die  Führerzahl  600;  iar 
(aagog)  bedeutet  etwa  „alles  w^as  groß  ist",  ,.Schaar,  Masse",  „Massen- 
zahl oder  Vollzahl",  nämlich  3600.  Ursprünglich  bedeutete  susm  =  i'c ; 
das  Ideogramm  dafür  ist  der  Kreissextant,  im  Gegensatze  zu  sar, 
dessen  Ideogramm  durch  einen  Vollkreis  ausgedrückt  wird.  Insofern 
würde  sar  (cjäoog)  also  auch  die  Bedeutung  „Kreis,  Zyklus,  Periode" 
(z.  B.  der  Zeit,   der  Jahre)   rechtfertigen;    ursprünglich  hat  sar  ver- 


1)  Synkellos  30,  6  (s.  Schoene,  Eusehii  CJironicon,  col.  8)  kXX'  6  uhv  Br]QojGaug 
äiä  6CCQ03V  Kccl  v-^QCov  Y.al  6ÖJG6C0V  aviyQccipaTO-  iov  ö  filv  aägog  tQicyjhcov  y.id 
i:^ay.oai(ov  irüv  xQOVov  6r,uciLV£i,  ö  dh  vfiQog  irwv  i-^u-xoaiwv,  u  öh  aüaaog  f^rjxovru. 
—  Hesychius:  ccQi&uog  rig  TtaQa  BaßvXaviotg. 


Ginzel,    Chronologie  I. 


9 


130  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 

mutlich  (nach  Zimmekx)  360  bezeichnet.  Die  Herkunft  der  Worte 
suMu ,  ner,  sar  ist  noch  strittig-;  die  einen  treten  für  sumerischen, 
die  anderen  für  semitischen  Ursprung  ein^.  Da  die  Babjlonier  ihre 
Maßeinheiten  streng  sexagesimal  aufgebaut  haben,  wofür  z.  B.  die 
berühmte  Tafel  von  Senh'veh  Zeugnis  gibt  (nicht  blos  in  Beziehung 
auf  Längenmaße),  so  kann  man  zugeben,  daß  die  Verhältnisse  sustiu. 
ner,  sar  vielleicht  auch  gelegentlich  zur  Konstruktion  größerer  Zeit- 
perioden, durch  welche  eine  große  Reihe  von  Jahren  sexagesimal  zer- 
legt werden  sollte,  verwendet  worden  sind'-. 

§  26.     Schaltung. 

Wenn  also  die  Babylonier  schon  in  alter  Zeit  nach  dem  Mond- 
jahr gerechnet  haben,  so  fragt  es  sich,  wie  sie  die  Übereinstimmung 
desselben  mit  dem  Sonnenlaufe  durch  Schaltungen  bewerkstelligten. 
Zuerst  müssen  wir  konstatieren,  daß  überhaupt  schon  in  der  alten 
Zeit  ]\Ionate  eingeschaltet  worden  sind.  Bereits  bei  der  Aufführung 
der  alten  Namen  der  Monate  (S.  114)  konnte  der  Name  eines  Schalt- 
monats DIR-SE-KIK-KUD  genannt  werden.  Die  Bezeichnung  DIB 
beim  12.  Monat  SE-KIN-KUD  bezeichnet  den  Charakter  als  einge- 
schalteten Monat-\  In  der  Tafel  I  R  56,5  heißt  es:  „Im  Monate  Ehil 
macht  Gott  den  König  glücklich •' ,  dann  folgt  eine  Notiz  über  das, 
was  „im  zweiten  EJuV''  geschehen  werde.  Wir  lernen  hieraus  Elulu  II 
als  Schaltmonat  kennen.  Das  Studium  der  Tafeltexte  zeigt  also, 
welche  Monate  auch  Schaltmonate  werden  konnten.  Bis  jetzt  hat 
sich  ergeben,  daß  EUdu  II,  Ädani  II  Schaltmonate  waren,  auch 
Nisannu  II  kommt,  obwohl  seltener,  vor.  Bei  den  Assyrern  scheinen 
dieselben  Schaltmonate  gebraucht  worden  zu  sein,  aber  über  die 
assyrische  Schaltung  wissen  wir  gegenwärtig  noch  weniger,  als  über 
die  babylonische^     Einen  interessanten  Beweis  dafür,  daß  in  der  alten 


1)  Delitzsch,  Soss,  Ner,  Sar  (Zeüschr.  f.  ägypt.  Spr.,  XVI,  1878,  S.  56).  — 
Opfert,  L'etalon  des  mesures  assyriennes.  Paris  1875.  —  Lepsius,  Monatsher.  d. 
Berliner  Akad.  d.  Wiss. ,  1877  u.  1878.  —  A'gl.  auch  Lepsius,  Die  hahyl.-assyr. 
Längenmaße  nach  der  Tafel  von  Senlcereh  {Ahhdlg.  d.  Berlin.  Akad.  d.  Wiss., 
1877)  und  Beandis,  3Iünz-,  Maß-  u.  Geivichhvesen  in  Vorderasien,  Berlin  1866. 

2)  Vgl.  z.  B.  die  Anwendung  der  Tafel  von  Senkereh  auf  Zeitperioden  durch 
C.  F.  Lehmann  {Beitr.  z.  alten  Geschichte,  I,  1902,  S.  398).  —  Die  34080  Jahre, 
welche  Berossos  den  86  Königen  nach  der  Sintflut  zuschreibt,  zerlegen  sich  in 
9  sar,  2  ner,  8  iuSsu.  Berossos  rechnete  also  jedenfalls  mit  den  großen  Perioden. 
Der  liest,  der  von  jener  mythischen  Zahl  übrig  bleibt,  wenn  man  sie  von  10  sar 
=  36  000  abzieht,  nämlicli  1920  Jahre,  hat  nach  Gutschmid  historischen  Grund 
und  Boden. 

3)  DIB  bedeutet  nach  Sayce  , dunkel",  „blau",  „finster". 

4)  Beispiele  von  babylonischen  Schaltungen  in  alter  Zeit  bieten  Taf.  Bu. 
88-5—12,    12  (23.   Elid  II);    Taf.  Bu.  91—5-9,   508  (13.  Elul  II);    Taf.  Bu. 


§  26.    Schaltuiif-.  131 

Zeit  die  Schaltung-  Avillkürlich  d.  li.  nur,  wenn  sich  die  astronomische 
Notwendigkeit  dafür  zeigte,  vorgenommen  wurde,  liaben  wir  aus  der 
Periode  des  Königs  IJammurahi.  Unter  den  Briefen  und  Anordnungen, 
die  dieser  Herrscher  (2194 — 2152  v.  Chr.)  wegen  Landesangelegen- 
heiten (Kanalbauten,  Befestigungen  u.  s.  w.)  an  untergebene  richtete, 
befindet  sich  folgender  Befehl:  „Dies  sagt  IJummurahi.  Da  das  Jahr 
eine  Abweichung  hat,  so  laß  den  Monat,  der  (nun)  beginnt,  als 
zweiten  EJul  registrieren,  l^nd  anstatt  daß  der  Tribut  am  25.  Tage 
des  Monats  Thr'i  in  Babylon  fällig  werde,  laß  ihn  auf  den  25.  Tag 
des  zweiten  Elul  verlegen"^.  Das  Einschieben  eines  Schaltmonats 
erfolgte  jedenfalls  auf  Vorschlag  der  Priester  (Astronomen),  welche 
mit  der  Beobachtung  der  Gestirne  betraut  waren  und  welche  hierüber 
astrologische  Berichte  regelmäßig  dem  Könige  vorzulegen  hatten.  In 
den  Zeiten,  da  die  babylonischen  Astronomen  betreffs  der  Perioden, 
welche  die  Vergleichung  der  Mond-  und  Sonnenbewegung  darbieten 
(s.  Einleitg.  S.  69),  noch  nicht  sicher  waren,  konnte  die  Einschaltung 
eines  Älonats  nur  nach  Bedarf  stattfinden,  war  also  willkürlich.  Je 
mehr  aber  die  Astronomen  durch  ihre  Beobachtungen  Herren  über 
diese  Verhältnisse  wurden ,  je  mehr  sich  die  babylonische  Astronomie 
vervollkommnete,  desto  eher  konnte  die  frühere  Willkür  einem  ge- 
ordneten Systeme  weichen.  Wenigstens  wäre  es  widersinnig,  anzu- 
nehmen, daß  die  Priester  die  Einführung  eines  festen  Schaltsystems 
vermieden  hätten,  da  ihnen  doch  die  Errichtung  einer  Schaltungsregel 
nicht  schwer  fallen  konnte,  und  da  die  durch  eine  solche  Regel  herbei- 
geführte Übereinstimmung  des  Mondjahres  mit  den  Jahreszeiten  das 
Ansehen  der  Priester  beim  Volke  befestigen  mußte.  Die  Priester 
werden  also  eine  Schaltungsmethode  versucht  und  dieselbe,  da  sie 
wahrscheinlich  nicht  sofort  zutraf,  empirisch  durch  abgeänderte  Ver- 
suche verbessert  haben.  Das  astronomische  Wissen  der  Babylonier  ist 
auf  dem  W^ege  der  Empirie  erworben  worden,  und  die  Erfindung  des 
Schaltungssystems  wird  kaum  eine  Ausnahme  davon  machen.  Ich 
glaube  somit  mutmaßen  zu  sollen,  daß  jene  Regel  nicht  zu  allen  Zeiten 
die  gleiche  gewesen  ist,  sondern  daß  sie  z.  B.  zu  Zeiten  des  Kamhyses 
eine  andere  war  als  zu  Zeiten  der  Arsakiden-Ära ,  und  daß  solche 
Varianten  in  dem  inschriftlichen  Material  in  Zukunft  aufgedeckt 
w^erden  können.  Hierdurch  kompliziert  sich  die  ohnehin  schwierige 
Frage  nach  dem  Schaltungswesen  der  Babylonier  und  Assyrer  noch 


88—5—12,  739  {Adar  II)-  Taf.  Bu.  88—5—12,  454  (Adar  II);  Bu.  91—5—9,  320 
{Nisannu  II'?). 

1)  Das  Schreiben  ist  an  einen  Vasallen  Namens  Sin-idinnatn  (den  höchst 
wahrscheinlich  gleichnamigen  König  von  Larsa)  gerichtet;  cf.  L.  "NV.  King,  The 
letters  and  inscriptions  of  Hammiirahi ,  King  of  Babi/lon,  vol.  III,  1900  (Brief 
No.  IV,  S.  12). 

9* 


132  I.  Kapitel.     Zeitrechimiig  der  Bnbylonier. 

bedeutend,  und  es  ist  klar,  daß  die  Lösung-  der  Frage  nur  mit  der 
Zeit,  an  der  Hand  eines  umfangTeiclien,  zeitlich  sehr  verschiedenen 
Materials,  gelingen  kann. 

Von  den  älteren  Versuchen  zur  Aufklärung  der  Schaltungsart  bei 
den  Babyloniern  sei  hier  nur  vorübergehend,  da  er  noch  in  die  Zeit 
fällt,  wo  noch  kein  Inschriftenmaterial  vorlag,  der  Versuch  Jon. 
V.  GuMPACHS  erwähnt.  Danach  hätte  ein  19 jähriger  Zyklus,  in 
welchem  etwa  7  Schaltjahre  vorkommen  können,  die  Grundlage  der 
Schaltung  gebildet.  Jene  Jahre  seien  Schaltjahre  gewesen,  bei  denen 
der  letzte  Monat  so  früh  endigte,  daß  der  Schluß  des  unmittelbar 
folgenden  Monats  nicht  bis  zum  Tage  des  Frühlingsäquinoktiums 
heran  oder  darüber  hinausreichte  ^  In  neuerer  Zeit  ist  mit  Interesse 
der  Versuch  E.  Mahlees,  die  Schaltregel  der  Babylonier  zu  finden, 
verfolgt  worden.  Der  Versuch  ging  von  der  seleukidischen  Zeit  aus. 
Danach  wäre  ein  19 jähriger  Zyklus  gebraucht  worden,  in  welchem 
das  3.  6.  8.  11.  14.  16.  und  19.  Jahr  ein  Schaltjahr  war;  das  11.  Schalt- 
jahr hätte  383  Tage,  die  anderen  Schaltjahre  zählen  384  Tage,  die 
gemeinen  Jahre  1,  5,  10,  12,  17  sollen  355,  die  übrigen  354  Tage 
gehabt  haben.  Das  erste  Jahr  des  Zyklus  setzt  Mahlek  auf  den 
1.  Xlsau  747  v.  Chr.  (=  21.  April).  Die  auf  diese  Hypothese  ge- 
gründeten Tafeln  stimmen  zum  Teil  mit  der  inschriftlichen  Über- 
lieferung überein,  zum  Teil  weichen  sie  um  einen  Tag  oder  auch  um 
einen  Monat  davon  ab;  unter  den  bis  jetzt  nachweisbar  gewesenen, 
unten  folgenden  51  Schaltjahren  der  Babylonier  gaben  die  Tafeln 
33  Treffer,  während  18  Jahre  falsch  sind;  bei  den  in  meinem  „Spez. 
Kanon"  bearbeiteten  16  babylonischen  Finsternissen  mit  Datum- 
angaben trafen  sie  in  8  Fällen  das  Datum,  in  8  Fällen  nicht'-. 

Für  die  Feststellung  des  Schaltungswesens  der  Babylonier  und 
Assyrer  ist  es  von  großer  Wichtigkeit,  daß  die  aus  den  Inschriften 
nachweisbaren  Schaltjahre  gesammelt  werden.  Es  folgt  hier  deshalb 
die  Liste  der  bisher  bekannt  gewordenen  babylonischen  Schaltjahre 
nach  F.  H.  Weissbach  (Zcifschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  LV.  Bd.,  S.  201) 


1)  Auf  eine  Beziehung  des  Schaltjahrs  zum  Fi-ühjahrspunkt  hat  auch  Kugler 
(Bahyl.  Mondrechnung,  S.  69)  hingewiesen.  Aus  der  Vergleiehung  der  Längen  der 
dem  Nisannu  vorausgehenden  Neumonde  in  der  Mondfinsternistafel  81 — 7 — 6,  93, 
wek'he  von  137 — 159  Seleuk.-Ara  reichen,  scheint  sich  zu  ergeben,  daß,  wenn  die 
Positionen  der  Neumonde  vor  dem  13."  des  Widders  liegen,  ein  Schaltjahr,  wenn 
sie  jenen  Punkt  überschreiten ,  ein  gemeines  Jahr  gerechnet  wird.  Ob  dies  etwa 
ein  Kriterium  ist,  muß  erst  die  künftige  Forschung  entscheiden. 

2)  Albirimi,  der  sich  in  der  Zeitrechnung  der  Juden  sehr  gut  unterrichtet 
zeigt,  sagt  von  der  jüdischen  Schaltungsart  nach  Elicser  (Schaltjahr  des  3.  5.  8. 
11.  14.  16.  19  im  19 jähr.  Zyklus):  „dies  ist  die  verbreitetste  unter  den  Juden,  sie 
ziehen  sie  den  anderen  vor,  weil  sie  deren  Erfindung  den  Babyloniern  zu- 
schreiben."    {Tlie  chronol.  of  anc.  nations,  edit.  E.  Sachau,  1879,  S.  65). 


§  26.    Schaltiini 


133 


mit  Verbesserungen,  die  mir  der  Herr  Verfasser  ang-egeben  hat.     Die 
Liste  enthält  die  betreffenden  Jahre  v.  Chr.  samt  den  Belegstellen. 

a)  AssjTische  Schaltjahre: 

713  V.  Chr.i  [9.  Jahr  Sargons]  K  2679. 
t6"3         „         [,la.hr  d.  Eponym.  Ad-ri-ilu]  Johns,  Assyrian  Deeds,  No.  53. 

b)  Babylonische  Schaltjahre  von  603 — 495  v.  Chr.  [von  747 — 603 
sind  keine  bekannt]: 


t*603  V. 

Chr 

Strassm. 

Nbk 

409'^ 

533  V. 

Chr 

Strassm.  Cyr.  219,  242 

*59S 

V 

„ 

„ 

61 

t*530 

71 

Strassm.  Camb.  5:  Peiser, 

*596 

V 

T 

n 

78 

Bab.  Vertr.,  XXV. 

t  579 

„ 

^ 

f 

170 

*527 

71 

Strassm.Camb.177-183,226 

t  572 

„ 

,. 

r 

262 

525 

r 

7,       300. 

569 

r 

^ 

r 

314^ 

t  522 

11 

Strassm.  Dar.  8'^ 

t*564 

71 

T 

V 

382  u.  385. 

*519 

71 

,      80,81« 

t  560 

ji 

Evetts  Nerigl. 

9 

517 

r 

,      192—195 

t  557 

ji 

Evetts  Bab.  1 

?^ 

514 

Strassm.  Dar.  245,      246; 

555 

11 

Strassm. 

Nbn. 

51—53 

Barton   (Amer.  Journ.   of 

553 

, 

^ 

^ 

132—134 

Semit,  lang.  X\l  68 

550 

j, 

j, 

„ 

244.  245 

*511 

^ 

Strassm.  Dar.  306,  307 

*546 

r 

, 

n 

436—439     • 

509 

r 

,      366 

544 

j, 

, 

r 

683—689 

506 

71 

.      435,  436 

t  541 

j, 

„ 

r 

938-944 

t  500 

71 

Strassm.  Dar.  557;  Peiser, 

*537 

, 

Strassm. 

Cyr. 

54-60 

Babyl  Vertr.,  CXXXYIII. 

536 

71 

,. 

71 

148—152 

495 

T 

Bartonfa.  a.O.  p.70No.7.^ 

c)  Babjlonische  Schaltjahre  von  494—393  v.  Chr.  [von  494—434 
und  von  424 — 393  sind  keine  bekannt]: 

395  V.  Chr.  (10.  Reg.-Jahr  Artaxerxes  I).     Y  Rawl.  37.  58*. 

373        „        (.32.  ,  ,  )  Hilprecht  a.  Clav.   Bah.  Exped.,  Ser.  A. 

vol.  IX  No.  32. 
365        ,        (40.  ,  ,.  )  ibid.  No.  73. 

d)  Babylonische  Schaltjahre  von  392 — 100  v.  Chr.  nach  Angaben 
von  Eppixg,  Stkassmaiee  und  Kuglee: 

t  389  V.  Chr.  , 

t  385        , 


t  378 
t*313 


Epping-Strassm.  Sp.  II,  71   ' Zeitschr.  f.  Assyr.  VIII  170j 


1)  Die  Jahre  verstehen  sich  603,2,  598/7  u.  s.  f. 

2)  Schaltjahr  mit  Ulidu  II  nach  der  Berliner  Taf.  VATh.  9.  Einiger  Wahr- 
scheinlichkeit nach  (^Taf.  Strassm.  Nbk.  409  war  auch  das  22.  Jahr  XabJc.  ein 
Schaltjahr  mit  Addaru  II. 

3)  Auch  durch  ein  Täfelchen  der  deutsch.  Exped.  Babyl.  gesichert. 

4)  Dieses  Jahr  ist  vielleicht  einzufügen,  vorbehaltlich  Nachprüfung  des  Textes. 

5)  Jahr  523  ist  zu  streichen;  s.  Kugler,  Zeitschr.  f.  Assyr.,  XVII,  1903,  S.  214. 

6)  J.  Oppekt  {Zeitschr.  f.  Assyr.,  VIII  69)  gibt  aus  der  Zeit  Darius  I.  als 
Schaltjahre  die  Regierungsjahre  3,  5,  8,  11,  16,  19,  22,  25,  27  an.  Die  meisten 
sind  insehriftlich  belegbar.  Zum  19.  Jahre  (503  v.  Chr.)  ist  zu  bemerken,  daü 
nach  Strassm.  Dar.  495  Z.  10  ein  „vorderer  Addaru'^  augegeben  ist,  und,  obwohl 
diese  Bezeichnung  nicht  durchgehends  angewendet  wird,  auf  einen  Addaru  II  ge- 
schlossen werden  kann. 


172 

^ 

=  140 

170 

n 

=  142 

167 

^ 

=  145 

164 

j, 

=  148 

t  161 

71 

=  151 

159 

n 

=-  153 

156 

n 

=  156 

153 

j, 

=  159 

t  123 

^ 

=  189 

t*104 

•n 

=  208 

102 

=  210 

134  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 

175  V.  Chr.  =  137  Sel.-Ära 


Kugler,  Bab.  Mondrechn.,  S.  56 — 65' 


„         Epping-Strassm.,  Astr.  a.  Babyl.,  S.  19,  179. 
)  Kugler,  a.  a.  0.  S.  83. 

Die  mit  *  bezeiclineten  Jalire  haben  als  Sclialtmonat  einen  Vlulii  II, 
die  übrigen  den  Äddarii  IL  Die  mit  f  bezeichneten  sind  in  Mahleks 
Tafeln  keine  Schaltjahre,  während  sie  inschriftlich  als  solche  bezeugt 
^iYi(\_.  —  Für  die  Prüfung  der  vorkommenden  Schaltjahre  sind  die 
Daten  der  stattgefundenen  Neumonde  von  großer  Wichtigkeit.  Die 
Tafel  III  der  Neumonde  (am  Schluß  dieses  Bandes)  wird  solche 
Untersuchungen  wesentlich  unterstützen. 

Auch  die  von  den  Babj^loniern  beobachteten  Sonnen-  und 
Mondfinsternisse  würden,  wenn  sie  uns  mit  Datierung  überliefert 
wären,  von  großer  Hilfe  für  die  Erkenntnis  des  babylonisch-assjTischen 
Zeitrechnungswesens  sein.  Leider  sind  nur  wenige  Finsternisse  völlig 
genau  (nach  Jahr,  Monat,  Tag)  datiert ;  außerdem  sind  manche  Texte 
schwierig  zu  interpretieren.  Überdies  erscheinen  in  verschiedenen 
astronomischen  Aufzeichnungen  nicht  selten  berechnete  und  beobachtete 
Finsternisse  auf  einer  und  derselben  Liste,  desgleichen  meteorologische 
Verfinsterungen  (atmosphärische  Trübung),  so  daß  es  noch  der  Er- 
forschung und  Sicherung  der  von  den  Babyloniern  geübten  Terminologie 
bedarf,  bevor  alle  Fälle  zweifelfrei  hingestellt  Averden  können.  Hier 
folgen  in  gedrängter  Form  die  bisher  rechnerisch  behandelbar  ge- 
wesenen astronomischen  Finsternisse;  betreffs  der  Texte  und  Kechnungs- 
resultate  verweise  ich  auf  meinen  „Spez.  Kanon  d.  Somuni-  n,  2Io)idf." 
S.  235 — 260  und  auf  die  im  folgenden  beigefügten  Literaturangaben. 

1.  Sonnenfinsternis  im  Eponymat  des  PUR .  AN-sa-gal-e.  Datum 
feststehend  nach  Rawlinson,  Scheadee,  Hixcks,  Hind,  Lehmann- 
GiNZEL  15.  Juni  763  v.  Chr. 

2.  Inschriftlich  K.  154.  Text  schwierig,  nach  Lehmann  -  Ginzel 
Sonnenfinst.  6.  Aug.  700  v.  Chr.  oder  Mondfinst.  2.  Juli  671  v.  Chr. 
Nach  Weissbach  {Zeltschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  LV  218)  Ent- 


1)  Epping  nennt  das  Jahr  153  Sel.-Ära  (159  v.  Chr.)  als  gemeines  Jahr 
{Zeitschr.f.  Assi/r.,  V  853),  154  als  Sehaltjahr,  Strassmaiek  dagegen  (ibid.  VIII 107) 
153  Sel.-Ära  als  Schaltjahr. 


§  26.    Schaltuiif,'.  135 

Scheidung  nicht  möglich;  nach  Kugler  handelt  K.  154  nur  von 
einer  atmosphärischen  Finsternis  (Gewitter)  (ibid.  LVI  6,',). 

3.  ^^Fondfinsternis  unter  SamaUumid'hi  an  einem  15.  Sahatu  nach 
einem    Texte    von    Boissiek.      Datum    nach   Lehmann  -  Gix55i:l 

17.  Feb.  664  v.  Chr.  (neben  den  konkurierenden  Finsternissen 
27.  Jan.  662  und  18.  Jan.  658).    Oppeut  {Zeltschr.  f.  Ässijr.,  XI  310) 

18.  Jan.  653.  Der  Text  einer  im  ,,S2)ez.  Kanon  d.  Fr  an- 
geführten Tafel  K.  223 ,  nach  Boissier  Beziehung  habend  auf 
eine  im  Sahat  unter  Aiurhanalml  vorgefallene  Mondfinsternis, 
soll  nach  Weissbach  (a.  o.  a.  0.  217)  weder  Monatsnamen  noch 
Tag  enthalten. 

4.  Finsternisbericht  in  den  Annalen  Asurhcmahals ,  Zylinder  B, 
Kol.  IV  84 — Kol.  Y  9 ,  zu  beziehen  nach  Lehmann  -  Ginzel  auf 
die  :\[ondf]nsternis  3.  Aug.  663  v.  Chr.  (ebenso  Weissbach),  die 
Sonnen -Verdunkelung  erklärbar  durch  die  Sonnenfinsternis 
27.  Juni  661  (nach  Weissbach  nur  eine  atmosphärische  Ver- 
dunkelung) ;  KrcxLER  (a.  a.  0.  68)  bezieht  den  Text  überhaupt 
nur  auf  eine  atmosphärische  Erscheinung. 

5.  Mondfinsternisbericht  K.  467  (R.  F.  Harper,  Assyrian  a.  Bahijlon. 
Letters,  II  No.  137),  zu  beziehen  nach  AVeissbach  {Orient. 
Uter.    Zeitg.,    VI,    1903,    S.    483)     auf     die     Mondfinsternis 

18.  Jan.  653  v.  Chr. 

6.  Mondfinsternisse  im  7.  Jahre  des  Kambyes  nach  Steassmaier, 
Kambys.,  No.  400  Z.  45,  55.  Datum  nach  Lehmann  -  Ginzel 
und  J.  Opfert  16.  Juli  523  und  10.  Jan.  522  v.  Chr.\ 

7.  Berechnete  Sonnenfinsternis  R  IV  397  (Strassm.,  Epping, 
Zeitschr.  f.  Assyr.,  VI  236,  VII  236);  in  Babylon  unsichtbar. 
Datum  nach  Epping,  Lehmann- Ginzel  30.  Novemb.  233  v.  Chr. 
Derselbe  Text  erwähnt  eine  unsichtbare  (berechnete)  Mond- 
finsternis vom  13.  Kislimu  =  14.  Dezemb.  233. 

8.  Sonnen-  und  :\Iondfinsternisse  aus  den  Jahren  188,  189,  201 
Seleuk.  Ära  (Epping -Strassm.,  Astronomisches  aus  Babylon, 
S.  152),    und    zwar     Sonnenfinsternisse     23.  Jan.  123  v.Chr., 

19.  Juli  123,  12.  Jan.  122,  7.  Juni  111,  2.  Dezb.  111  v.  Chr.; 
Mondfinsternisse  7.  Febr.  123  v.  Chr.,  2.  Aug.  123,  28.  Dezbr.  123, 
24.  Mai  111,  16.  Novb.  111;  jedenfalls  nur  berechnete  Finster- 
nisse. 


1)  Der  Zeitfolge  nach  dürfte  hier  noch  eine  Sonnenfinsternis  einzureihen  sein, 
von  welcher  ein  sehr  verstümmelter  Text  berichtet  (s.  Zeitschr.  f.  Assi/r.,  XV, 
1900,  S.  128  Anm.  1).  Das  Jahr  und  der  Monat  sind  nicht  genannt,  nur  der  Tag  29. 
Sie  müßte  in  die  Zeit  Alexanders  d.  Gr.  und  Alexanders  II.  (lY.)  fallen.  Möglicher- 
weise ist  die  Sonnenfinsternis  vom  23.  Mai  324  v.  Chr.  gemeint-,  sie  fand  für  Babylon 
in  den  Morgenstunden  statt  und  war  dort  10,2  Zoll. 


136  L  Kapitel.    Zeitroclimmg  der  Babylonier. 

9.  Mondfinsternis  nach  Strassmaiee  (Zeitschr.  f.  Ässyr.,  III  15 
Ko.  9,  IV  76)  vom  13.  Nisan  232  Seleiik.  Ära  =  11.  April 
80  V.  Chr. 

Außerdem  finden  sich  in  dem  sonstigen  Inschriftenmaterial  noch  eine 
größere  Zahl  von  Finsternisangaben  verzeichnet,  welche  wegen  Mangel- 
haftigkeit der  Texte  oder  wegen  Fehlens  jedes  chronologischen  An- 
haltepunktes  bisher  nicht  näher  untersucht  werden  konnten. 


§  27.    Die  seleukidisclie  Ära  (xara  XaXdaiovg)  und  die 
Arsakideu-Ära. 

Die  babylonischen  astronomischen  Tontafeln  des  2.  und  3.  Jahrli. 
V.  Chr.  erscheinen  meist  mit  Datierung  nach  der  seleukidischen  Ära. 
Diese  Ära  hat  sich  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  in  dem  von  den  Seleukiden 
unterworfenen  Babylonien  verbreitet,  erscheint  aber  auch  in  Phönizien, 
Palästina,  im  2.  Jahrh.  alleinherrschend  in  Syrien  und  hatte  überhaupt 
lange  Zeit  Verbreitung  im  Orient.  Den  Anlaß  zu  ihrer  Errichtung 
gab  entweder  die  Schlacht  von  Gaza  (312  v.  Chr.),  in  welcher  Seleukos 
mit  Unterstützung  von  Ptolemaios  den  Demetrius  Poliorketes  besiegte, 
und  auf  welche  die  Einnahme  Babylons  erfolgte  —  oder  die  Ermordung 
Alexanders  IV.  Ägus  (311  v.  Chr.).  Als  Epoche  der  Ära  wird  der 
Herbst  312  v.  Chr.  angenommen  (für  das  Mittelalter  ist  nach  Rühl 
der  Epochetag  1.  Oktob.  312  sicher). 

Im  Almagest  des  Ptolemäus  (IX  7  u.  XI  7)  erscheint  nun  eine 
Ära  xard  Xalöaiovg^  nach  welcher  3  Planetenbeobachtungen  mit  den 
entsprechenden  Daten  nach  Nahonassar  (s.  nächsten  Paragraph)  ver- 
glichen werden.  Es  heißt,  daß  die  erste  dieser  Beobachtungen  im 
67.  Jahre  der  Chaldäer  am  5.  ApeUaios,  die  zweite  im  75.  am  14.  Dios, 
und  die  dritte  im  82.  am  5.  Xanthikos  gemacht  seien.  Die  beigesetzten 
Angaben  nach  der  Ära  Nahonassar ,  mit  den  christlichen  Daten  ver- 
glichen, geben 

5.  ÄpeUaios   67  cliald  =  27.  TJwth  504  Xahon.  =  18.  Novb.  245  v.  Chr. 

U.Dios  75      „     =    9.      „      512       „       =  29.  Oktob.  237  v.  Chr. 

b.  XanthiJcos  82      „     =  U.  Tf/hi    519       „      =    I.März    229  v.Chr. 

Der  Umstand,  daß  es  sich  bei  jenen  Beobachtungen  um  babylonische 
Aufzeichnungen  handelt,  läßt  erkennen,  daß  ihre  Datierung  nach  „dem 
Jahre  der  Chaldäer"  übereinkommen  muß  mit  der  als  seleukidische 
bezeichneten  in  den  babylonischen  Tontafeln  des  2.  und  3.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  Die  astronomische  Untersuchung  mehrerer  dieser 
Tafeln  durch  Epping-Steassmaiek  hat  aber  ergeben,  daß  die  Angaben 
jener  Tafeln  nur  mit   einander  vereinigt  werden  können,   wenn  man 


§  27.    Die  seleukidische  und  die  Arsakidcn-Ara.  137 

als  Epoche  das  Frühjahr  311  aimimmt,  also  am  wahrscheinlichsten 
vom  1.  Nisannu  ausgeht.  Die  seleukidische  Ära  oder,  zur  Unter- 
scheidung von  der  Rechnung  zar«  XakSaiovg,  auch  syro-makedonische 
Ära  genannt,  beginnt  also  ein  halbes  .Tahr  früher,  mit  dem  Herbst  312, 
nach  WiNCKLEK  fünf  Monate  früher,  weil  das  makedonische  Jahr  mit 
dem  Dios  =  Marhesevan  begann ,  während  das  babylonische  erst  mit 
dem  Nisannu  =  Xanthikos  anfangen  konnte. 

Eine  andere  Ära,  von  welcher  die  Babylonier  derselben  Zeit  auf 
ihren  Tafeln  Gebrauch  machen,  ist  die  a  r  s  a  k  i  d  i  s  c  h  e  Ära.  Der  An- 
fang dieser  Ära  ist  zweifelhaft.  Der  gewöhnliche  Ansatz  256  v.  Chr. 
beruht  auf  der  Aussage  des  Justinus  (Hist.  XLI,  4),  daß  die  Parther 
sich  unter  den  Konsuln  L.  Maxlius  Vuls<j  und  M.  Attilius  Regulus, 
d.  i.  256  V.  Chr.  von  der  Seleukidenherrschaft  frei  gemacht  hätten. 
Die  Chronik  des  Eusebius  (edit.  Schoene  II  120)  setzt  aber  den 
Abfall  der  Parther  auf  248  v.  Chr.\  Auf  den  babylonischen  Tafeln 
tritt  die  arsakidische  Äi'a  insofern  auf,  als  zahlreiche  Tafeln  mit 
Doppeldatierungen  vorkommen,  wo  ein  seleukidisches  Jahr  mit  einem 
anderen  Jahr  verglichen  wird,  bei  welchem  der  Zusatz  ..Arsakä  (Jean) 
sar  iarräni"  =  Arsaces ,  König  der  Könige,  gemacht  ist;  z.B.  ,.im 
Jahre  145  des  Arsaees,  des  Königs  der  Könige,  welches  gleich  ist  dem 
Jahre  209  am  13.  Simannu,  Mondfinsternis".  Die  Differenz  beider 
Jahreszahlen,  die  in  diesen  Doppeldatierungen  nebeneinander  gestellt 
werden,  beträgt  auf  allen  Tafeln  64.  J.  Oppeet  glaubte,  daß  in  diesen 
Tafeln  die  seleukidische  Ära  nur  dann  angenommen  werden  dürfe, 
wenn  der  Name  SeJeuJcos  dabei  vermerkt  stehe.  Epping-Steassmaier 
haben  aber  eine  Anzahl  Doppeldatierungen  veröffentlicht,  wo  die  Jahre 
nicht  nach  SeJeul-os  benannt  werden,  aber  doch  die  seleukidische  Ära 
gemeint  ist.  Oppeet  nahm  als  Epoche  der  Arsakidenära  das  oben 
genannte  Jahr  256  (Herbst)  an,  allein  diese  Annahme  widerspricht 
der  konstanten  Differenz  64  auf  den  Tafeln.  Später  hat  Oppeet  als 
Epoche  181  V.  Chr.  angenommen,  durch  welche  Annahme  gewisse 
historische  Schwierigkeiten,  die  man  gegen  die  Verbindung  der 
seleukidischen  Jahre  mit  den  arsakidischen  vorbringen  kann,  ge- 
mindert werden.  Die  historischen  Bedenken  von  Oppeet,  Scheadee 
hat  Steassmaiee  zu  widerlegen  gesucht ;  derselbe,  sowie  auch  Kuglee 
auf  Grund  von  Untersuchungan  an  astronomischen  Doppeldatierungen, 
sind  bei  der  konstanten  Differenz  von  64  Jahren  der  arsakidischen 
Ära  gegen  die  seleukidische  stehen  geblieben  und  haben  als  Epochen- 
jahre demgemäß  angenommen 


1)  Eine  Verwechslung  des  M.  Attilius  mit  C.  Attilius  'der  mit  L.  Manlius 
YuLSO  250  V.  Chr.  Konsul  war).  Cf.  Gutschshd,  Geschichte  Irans.  1888,  S.  30, 
G.  Rawlinsox,  Orient.  Mon.,  VI,  S.  44. 


138  I.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babjdonier. 

Jahr  1  Arsak.  Ära  =  65  fSeleuk.  Ära  =  247  v.  Chr. 
„  1  Seleuk.  Ära  =  311  v.  Chr. 
Nach  diesen  Autoren  liegt  also  das  Anfangsjahr  der  Arsakiden-Ära 
247  nahe  bei  dem  obengenannten  nach  der  Chronik  des  Eusebius,  248. 
KuGLER  ist  auch  der  Ansicht,  daß  die  babylonischen  Astronomen  nicht 
nur  die  Jahre  der  Seleukidenära  mit  dem  Nisannii  im  Frühjahre 
begonnen,  sondern  auch  jene  der  Arsakidenära  so  gerechnet  und  an 
der  Differenz  von  64  Jahren  zwischen  beiden  Jahreszählungen  fest- 
gehalten haben. 

§  28.    Der  Kanon  des  Ptolemäus  und  die  Eponymenlisten. 

In  den  Hauptstaaten  des  Altertums  bildete  sich,  um  die  Zeit 
irgend  eines  Ereignisses  angeben  zu  können,  der  Gebrauch  aus,  das 
betreffende  Jahr  vom  Jahre  des  Eegierungsantrittes  eines  Königs  ab 
zu  zählen.  Auch  die  Babylonier  befolgten  (nach  vorhergegangenen 
primitiveren  Versuchen)  diese  Art  der  chronologischen  Fixierung.  In 
Assyrien  sehen  wir  merkwürdigerweise  diese  ^lethode  erst  ziemlich 
spät  angewendet,  denn  vorher  bestand  der  Usus,  die  Jahre  nach  den 
sogenannten  Limu  zu  bezeichnen  (=  Eponymen).  Das  Eegentenver- 
zeichnis,  dessen  sich  die  alten  Chronologen  und  Schriftsteller  haupt- 
sächlich bedienen,  um  die  Zeit  von  Ereignissen  nach  Eegierungsjahren 
der  Könige  angeben  zu  können,  beginnt  bezeichnenderweise  mit  einem 
bab3^1onischen  König,  dem  Nahonmsar  {Nahä-ndslr).  Das  Verzeichnis 
führt  den  Titel  Kavwv  ßaaiXeuv  oder  ßaaikeidlJv,  Kanon  der  Eegenten 
oder  Eegierungen,  auch  der  mathematische  oder  astronomische  Kanon 
genannt,  besonders  aber  als  der  Ptolemäische  Kanon  bekannt,  da 
er  uns  hauptsächlich  durch  Claudius  Ptolemäus  (3.  Jahrh.  n.  Chr.) 
zugänglich  gemacht  worden  ist.  Der  Kanon  beginnt  mit  dem  Anfang 
des  Kalenderjahrs,  in  w^elchem  Nahonassar  König  von  Babylon  wurde, 
mit  27.  Februar  747  v.  Chr.  (astronomisch  vom  Mittag  des  26.  Febr. 
ab)  und  enthält  von  jenem  Jahre  ab  die  Eegierungsdauer  babylonischer 
Könige,  von  538  an  persischer  Könige,  von  324  an  makedonischer 
Könige,  von  30  v.  Chr.  an  die  der  römischen  Kaiser.  Die  Jahre  dieses 
Verzeichnisses  sind  als  bewegliche  Sonnenjahre  d.  h,  365  tägige  (wie 
sie  in  Ägypten  gebraucht  wurden)  zu  verstehen,  also  ohne  Schaltung. 
Jedes  Eegierungsjahr  beginnt,  wenn  vom  1.  Thofh,  dem  Jahresanfang 
der  Ägypter  (s.  Kap.  II)  ausgegangen  wird,  wieder  mit  1.  Thofh.  Wir 
müssen  den  Ptolemäischen  Kanon  hier  in  seinem  zuverlässigsten 
Teile  ansetzen,  um  so  mehr,  da  sich  an  ihn  die  Nahouassarischc  Ära 
knüpft,  von  der  noch  die  Eede  sein  wird.  (Neben  die  vielleicht 
manchem  Leser  nicht  mehr  geläufigen  griechischen  Zahlen  sind  unsere 
modernen  Beträge  gesetzt.) 


§  28.     r>('r  Kanon  des  Ptolemäus  und  die  Ei)onymenlisten. 


139 


iTTtOVr- 

Namen  der  Regenten 

itr, 

Jalire 

Jahre 

des 

Kegierungsdauer  unter  Annahme 

[Jahre] 

aycoyr) 

Philipp! 

Augiistus   : 

des  beweglichen  Sonnenjahres 

1 

[Summe]    1 

1 

1 

1 

von                          bis 

1. 

Naßovaaeäqov 

iS(H) 

i9   (14) 

27.Fbr.747  22. Fbr.733  V.Chr. 

Nadiov 

ß     (2) 

if   (16) 

23-    ,    733  21.    ,    731      „ 

Xiv^fiQog  y.ccl  IIwqov 

s   (5) 

xa    (21) 

22.    ,    731   20.    ,    726      , 

'Hov?.uiov 

f    (5) 

X,-    (26) 

21.    ,    726  19.    „    721      , 

Mccodo-'ituTtüdov 

1^(12) 

Zrj    (38) 

20.    ,    721   16.    ,    709      , 

'AQy.tuvov 

f   (5) 

^7    (43) 

17.     ,    709   H-    V    704      , 

^• 

(äßuolXtvTa) 

ß     (2) 

fi«    (45) 

15-         T.        704      14.        ,         702             , 

^ 

BiUßov 

7    (3) 

ftr]    (48) 

15.   ,  702  13.  ,   699    , 

QU 

'A':raQavudiov 

s    (6) 

vS    (54) 

14.       ,      699     12.      ,      693         , 

>. 

'Pi]ytßriÄov 

a    (I) 

»'S    (55) 

13-    .    693   11.    ,    692      , 

< 

Mtai\6iaoQ6uy.ov 

S    (4) 

r^    (59) 

12.     ,    692   10.    ,     688      , 

{äjkc6i).tvTCi) 

n  (8) 

1?   (67) 

II.    ,    688     8.    ,     680      , 

CS 

'AcccQudlvov 

17(13) 

7t      (80) 

9.     ,    680     5.    ,     667      , 

^aoadovyjvov 

X  (20) ;      p  ( 1 00) 

6.     ,    667  31.  Jan. 647      , 

K 

Knn]hcdävov 
NccßorroXuGGÜQOv 
Naßoy.o}.ccaaccQOv 
'r/.'/.oc(QOvdciuov 

X^  (22)     pxß(l22) 

xa(2i)  pfA7(i43) 

fty(43)  e«=  (186) 

ß    (2)  Q7frj{iSS) 

I.     ,    647  26.    ,     625      , 
27, Jan.  625  20.    ,    604      , 
21.    ,    604  10.    ,    561      , 
II.    ,    561     9-    ,    559      , 

NriQi.yci6ola6accQOV 

S    (4) 

QAß(l92) 

10.    ,    559     8.    ,    555      , 

Xaßovudiov 

^^(17) 

a&  (209) 

9.    .    555     4.    ,     538      , 

2. 

Ki'QOV 

«■    (9) 

Öl7j(2l8) 

5.    ,    538     2.    ,    529      , 

KuiißvGov 

n  (8) 

ex?  (226) 

3.    ,    529  31.Dez.522      , 

JcCQsioV    TTOÖITOV 

Xff(36)    ffi(3(262) 

1.    ,    521  22.    ,    486      „ 

StQgOV 

KU  (21)' any  (283) 

23.Dez.486  16.    „    465      , 

6 

'AQTU^iQ'E^OV    TtQÖnOV 

fta(4i)i  Txd(324) 

17.     „    465     8.    ,    424      , 

OQ 

JcCQiioV    dtVTtQOV 

t^  (19) 

^M7  (343) 

7.     ,    424     I.    ,    405      , 

'S 

Aorcc^tQ^ov  dkvrtQOV 

w;  (46} 

r««-  (389) 

2.    ,    405  20.N0v.359      „ 

"Slxov 

xa  (21) 

VI  (410) 

21.N0v.359   15.    ,     338      , 

AQcoyoi' 

ß    (2) 

u/(3  (412) 

16.    ,    338   14.    ,     336      , 

Jagtiov  rgirov 

*    (4) 

v/j (416) 

15-    ,    336   13-    .     332      , 

'Alt^dvÖQOv  Mci'iiiöövog 

^    (8) 

uxd  (424) 

14-     ,    332   11.    .     324      , 

3. 

'  ^ÜLTITIOV  rOV  U£t'  'Aki^- 

avÖQOv  Tov  y-zißTr^v 

.?    (7) 

rXa  (431) 

^      (7) 

12.     ,    324     9.    ,     317      „ 

-= 

'Altt^ävÖQOv  irtQOv 

iß  (12; 

vny  (443) 

iO-    (19) 

10.    ,    317     6.    „     305      , 

.2 

IltoXtuuiov  Au'/ov 

X  (20) 

i'^y  (463) 

A«-    (39) 

7.    .    305      I-    .     2S5      , 

t£ 

fI>dadtl(fov 

irj  (38; 

9«  (501; 

or   (77) 

2.    ,    285  23.Okt.247      , 

EvtQy  itov 

x£  (25) 

gjx?  (526) 

(.^(102) 

24.Okt.247   17.    ,     222      , 

(PtXoTtc'cTOQOg 

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(107) 

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fi)jr(J(884^ 

i'l  (460) 

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(166) 

25.  ^  116 ,  19.  ,  137    , 

AiXiov  AvTcovivov 

xy  (23) 

T^^:907) 

vny  (483) 

^ttO" 

(189} 

20.    ,    137  ,  13-    ,    160      , 

140  I.  Kapitel.    Zeitreclimiug  der  Babylonier. 

Die  erste  Zahlenkolumne  gibt  die  Dauer  der  einzelnen  Eegierungen, 
die  zweite  Kolumne  {^niavvaywy)^)  summiert  dieselben,  so  daß  man 
sofort  die  seit  Kahonassar  verflossenen  Jahre  erhält;  bei  der  dritten 
Eegentenreihe  ers.cheint  neben  diesen  beiden  Kolumnen  eine  weitere, 
welche  die  Jahre  nach  Alexandeks  Tode  oder  die  der  philippischen 
Ära  (s.  nächsten  Paragraphen)  zählt;  bei  den  römischen  Kaisern 
schließlich  ist  noch  auf  die  Jahre  des  Augustus  durch  eine  Kolumne 
Rücksicht  genommen.  —  Der  Kanon  zählt  die  Regierungs jähre  nach 
der  in  Ägypten  üblich  gewesenen  Art  (vgl.  §  45),  nämlich  nicht 
von  dem  Tage,  an  welchem  die  Regeuten  zur  Regierung  gekommen 
sind,  sondern  von  dem  1.  Thoth  ab,  welcher  dem  Regierungsantritte 
vorangeht.  Die  Jahre  werden  also  alle  für  voll  gerechnet,  auch 
wenn  der  König  erst  im  Verlaufe  oder  am  Ende  eines  Jahres  den 
Thron  bestieg.  So  z.  B.  werden  dem  Kaiser  Titus  3  Jahre  gegeben, 
vom  4.  Aug.  78  bis  2.  Aug.  81,  obwohl  derselbe  erst  vom  23.  Juni  79 
(Vespasian  f )  bis  13.  Septb.  81,  also  nur  2  Jahre  3  Monate  regiert 
hat.  Neko  starb  in  der  ersten  Hälfte  Juni  68  n,  Chr.  im  Verlauf 
des  391.  Jahres  der  philippischen  Ära,  das  ihm  der  Kanon  noch  zu- 
schreibt, indem  er  die  kurzen  Regierungen  von  Galba,  Otho  und 
ViTELLius  (15.  Januar,  16.  April  resp.  20.  Dezemb.  69  n.  Chr.)  nicht 
erwähnt.  Vespasian  wurde  bereits  am  1.  Juli  69  n.  Chr.  zum  Kaiser 
proklamiert,  im  Jahre  392  der  philippischen  Ära  (vom  6.  Aug.  68  bis 
5.  Aug.  69  laufend);  dieses  wird  im  Kanon  sein  erstes  Jahr  genannt, 
obgleich  sein  Vorgänger  Vitellius  über  4  Monate  in  das  393.  Jahr 
lebte.  Bei  vorkommender  gemeinsamer  Regierung  (Mitregenten)  wird 
die  Zeit  im  Kanon  dem  späteren  Regenten  angeschrieben. 

Mit  Hilfe  des  Kanons  läßt  sich  eine  mit  dem  Regentenjahre 
verbundene  Datierung  leicht  ermitteln.  Ptglemäus  sagt  z.  B.  im 
Abnagest^,  daß  unter  Daeius  I.  in  dessen  31,  Jahre  eine  Mondfinsternis 
am  3/4.  Ti/hi  beobachtet  worden  sei.  Man  hat  also  zu  den  bis  auf 
Kamhyses  Tod  verflossenen  226  Jahren  Nahonassars  die  31  Jahre  des 
Daeius  zu  addieren  und  erhält  somit  als  Datum  257  Ära  Nabon. 
3/4.  Ttßi.  Die  Umsetzung  dieses  Datums  in  das  entsprechende  der 
christlichen  Ära  (s.  nächsten  Paragraphen)  gibt  25.  April  491  v.  Chr. 
Die  Inschrift  von  Rosette  ist  vom  18.  Mechlr  des  9.  Jahres  des 
Ptglemäus  Epiphanes  datiert.  Das  9.  Jahr  des  Epiphanes  ist  nach 
dem  Kanon  das  128.  der  philippischen  Ära,  oder  das  552.  des 
Nahofiassar.  Die  Umsetzung  552  Nahon.  18.  Mechlr  ergibt  27.  März 
196  V.  Chr. 

Der  Ptolemäische  Kanon  ist  in  Ägypten  entstanden  und  genoß 
großes   Ansehen    bei    den   alten    Chronologen   und   Astronomen,     Er 


1)  IV  8  (Heiberg  329,  6). 


§  28.     DtT  Kanon  des  Ptolemäus  uml  die  Eponymenlisten.  141 

wurde  von  ihnen  bei  den  Datierungen  gebrauclit  und  seine  Regenten- 
reihe weitergeführt;  in  den  letzten  Eedaktionen  reiclit  er  bis  in  die 
Zeit  der  Eroberung  Konstantinopels.  Die  Zuverlässigkeit  des  Kanons 
hat  sich  seit  der  Aufdeckung  der  assyrisclien  Limu-Datierung 
vollständig  bewährt.  Wie  schon  angedeutet,  bestand  in  Assyrien  der 
Gebrauch,  nicht  nach  Regierungsjahren  der  Könige  zu  rechnen,  sondern 
man  benannte  die  Jahre  nach  dem  Ltmu.  Dieses  ist  der  Amts-  oder 
Ehrentitel  von  hohen  Beamten,  die  dem  Könige  als  Regierungsmit- 
glieder nahe  standen;  ihre  Stellung  entsprach  etwa  dem  Archontate 
oder  der  Eponymie.  Durch  den  Namen  eines  solchen  Beamten  wird 
ein  bestimmtes  Jahr  in  irgend  einer  Jahresreihe  bezeichnet.  Die 
Fortführung  dieser  Eponym en- Listen  stellte  also  eine  Chronologie 
des  Landes  vor,  unabhängig  von  einem  festen  Ausgangspunkte.  Die 
Listen  sind  schon  in  früher  Zeit  eingerichtet  worden,  wenigstens 
schon  im  12.  Jahrh.  v.  Chr.,  Spuren  reichen  aber  noch  weiter  zurück. 
Die  Verwertung  der  Angaben  der  Eponymen  -  Listen  ^  hat  nun  die 
Richtigkeit  des  Ptolemäischex  Kanons  erhärtet.  Rawles"sox  und 
Smith  konnten  aus  Bruchstücken  eine  Liste  von  227  Namen  zusammen- 
stellen, welche  sich  über  die  Regierung  von  14  aufeinanderfolgenden 
Königen  erstreckt.  Aus  dieser  Liste  läßt  sich  nachweisen,  daß  König 
Sargons  erstes  Jahr  als  assyrischer  König  auf  721  v.  Chr.  fällt.  Nach 
dem  Ptolemäischex  Kanon  ist  das  erste  Jahr  des  'Äoy.mvog  (Sargoii) 
als  babylonischer  König  709  v.  Chr.  Nun  heißt  es  in  einer  der  doppelt 
datierten  assyrischen  Inschriften:  „Monat  Haljatu  24.  Tag,  Eponymie 
des  Mutal-ldl-assur,  Jahr  16  des  Sargina-arhu  [=  >S«r//o>^]  König  von 
Assiir  und  Jahr  4  als  König  von  Babylon"  -.  Wenn  Sargons  erstes 
babylonisches  Jahr  709  war,  so  war  sein  4.  babylonisches  oder 
16.  assyrisches  =  706 ,  also  sein  erstes  assjTisches  721  v.Chr.  Der- 
selbe Eponym  Midal-Vd-assur  kommt  unter  dem  16.  assyrischen  Jahre 
Sargons  in  einem  Fragmente  vorl  Dort  wird  als  dritter  Vorgänger 
dieses  Eponymen  d.  h.  im  13.  assyrischen  Jahre  Mannu-M  assur-JiJc 
genannt  und  beigefügt,  daß  dieses  Jahr  dem  ersten  Sarru-khis 
(d.h.  Sargons)  in  Babylon  entspreche.  Das  13.  assyrische  Jahr,  oder 
das  erste  babylonische  Sargo)is  war  demnach  709  v.  Chr.,  wodurch 
der  Kanon  bestätigt  wird;  das  erste  assyrische  Jahr  muß  danach  721 
gewesen  sein.    Den  17  Jahren  Sargons  entsprechen  die  babylonischen. 


1)  Es  gibt  bisher  mehrere  Eponymen-Listeu :  Die  mit  6  Kolumnen  von 
911—647  V.  Chr.  {Keilinschr.  Biblioth.,  I,  III,  2H.);  die  ,, Verwaltungsliste "  von 
817 — 723  V.  Chr.  (ibid.  I),  welche  neben  den  Namen  der  Eponymen  auch  einzelne 
Ereignisse  notiert;  ein  von  708—704  reichendes  Fragment  (ibid.  I). 

2)  Lepsius,  Üb.  den  chronol.  Wert  der  assyr.  Annalen  {Abhandig.  d.  Berl.  Akad. 
d.  Wiss.,  1869,  S.  47). 

3)  S.  Smith,  Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.,  VII,  1869,  S.  96. 


142  I.  Kapitel.     Zeitrechimng  der  Babvlonier. 

welche  der  Kanon,  und  zwar  12  für  Mardolcempad  und  5  für  Arheanos, 
anführt.  —  Als  erstes  Regier ungs jähr  Nehuhadnezars  erscheint  im 
Kanon  604  v.  Chr.  In  einer  Eponymenliste  wird  vom  3.  Jahre 
Nehukadnemrs  ab  Sula  (das  Haupt  der  sogen.  Egyh'i-YBmiXiQ)  durch 
20  Jahre,  darauf  Xahu-ahi-idma ,  dessen  Sohn,  durch  38  Jahre, 
darauf  It'i-Mardu'k-Balata  durch  23  Jahre  angeführt;  dessen  letztes 
falle  mit  dem  ersten  des  Darius  I.  zusammen.  In  der  Tat  ergibt 
die  Summe  (3  +  20  +  38  +  23)  dieser  Jahre,  von  604  weiter  gezählt, 
521  V.  Chr.,  das  erste  Jahr  des  Darius  I.  (s.  Kanon). 

In  dieser  Weise  läßt  sich  aus  den  Eponynien-Verzeichnissen  auf  ver- 
schiedenem Wege  die  Bestätigung  für  die  Eichtigkeit  des  Ptolemäischen 
Kanons  erbringen.  Früher  haben  einige  (J.  Opfert,  Haigh)  Ein- 
wände gegen  die  Vollständigkeit  der  Eponymen  -  Listen  vorgebracht 
und  dementsprechend  Lücken  im  Kanon  vermutet.  Seit  den  Er- 
örterungen von  E.  ScHRADER  uud  Lepsifs  indessen  ist  jene  „Lücken- 
theorie" beseitigt.  Über  die  Hauptschwierigkeit  des  Kanons,  Porös 
(Phul  des  alten  Testamentes)  gleich  Tiglath  Pileser  zu  setzen,  hat 
man  sich  geeinigt.  Eine  vorzügliche  Bestätigung  erhält  der  Kanon 
des  Ptolemäus  durch  die  Sonnenfinsternis  vom  15.  Juni  763  v.  Chr. 
In  der  „Verwaltungsliste"  heißt  es:  „Im  Eponymat  des  PUB-ÄX- 
sa-gaJ-e  Aufstand  in  der  Stadt  Asur.  Im  Monat  Siran  erlitt  die  Sonne 
eine  Verfinsterung."  Wir  haben  schon  oben  aus  Inschriften  gesehen, 
daß  im  13.  assyrischen  Regierungsjahre  oder  dem  ersten  babylonischen 
des  Königs  Sargon  der  Eponym  Mminu-M  assur-Jlh  angeführt  wird, 
und  daß  dessen  Jahr  709  v.  Chr.  war.  Der  obgenannte  Eponym  PUR- 
AN-sa-gal-e  ist  aber  in  der  Liste  der  54.  Vorgänger  des  Mamm-M 
assur-Iik;  die  Sonnenfinsternis  muß  also  54  Jahre  vorher,  763  v.  Clir., 
und  zwar  in  den  Juni  fallen  (Sivan  ist  der  3.  Monat),  was  sich 
astronomisch  vollauf  bewahrheitete 


1)  Das  Datum  der  totalen  Sonnenfinsternis  vom  15.  Juni  763  v.  Chr.  hat,  wie 
man  aus  der  oben  gezeigten  Übereinstimmung  der  Eponymenlisten  mit  dem  Ptole- 
mäischen  Kanon  ersieht,  eine  vorzügliche  chronologische  Festigkeit.  Aus  diesem 
Grunde  hat  die  Finsternis  auch  astronomischen  Wert  für  die  Prüfung  unserer 
Mondtheorie.  Die  , Verwaltungsliste "  gibt  außer  dem  Namen  der  Eponymen  nur 
dann  und  wann  einzelne  Ereignisse  an,  vind  der  Vermerk  der  Finsternis  würde 
sicher  nicht  stattgefunden  haben,  wenn  sie  im  assyrischen  Reiche  (Ninive)  nicht 
besonders  auffällig  gewesen  wäre.  Die  astronomische  Rechnung  hat  also  auf  eine 
Darstellung  Rücksicht  zu  nehmen,  welche  als  Phase  der  Verfinsterung  für  Assyrien 
(Ninive)  eine  beträchtliche  Größe  —  wenn  auch  nicht  Totalität  —  ergibt,  eine 
Forderung,  die  vielleicht  für  manche  Mondtheorie  nicht  bequem  sein  wird.  In 
meinem  ^Speziell.  Kanon  der  Sonnen-  u.  3Iondfinst.''  (S.  244)  ist  eine  Verfinsterungs- 
phase von  11,6  Zoll  (also  nahezu  Totalität)  erreicht,  was  der  oben  zitierten  Stelle 
mehr  als  genügt.  Es  mag  hinzugefügt  werden,  daß  dabei  gleichzeitig  die  ge- 
sichertsten Finsternisse  des  Altertums  und  des  Mittelalters  gut  dargestellt  werden. 
Die  Sonnenfinsternis  vom  13.  Juni  809  v.  Chr.,  welche  J.  Oppekt,  um  seine  , Lücken- 


§  29.     Die  Ära  Niil)onassiir  und  die  i)liili])))i.scli(?  Am.  143 

Betreffs  der  Jahre  der  Eponj^men  mag  noch  liinzugefügt  werden, 
daß  J.  Oppekt  den  Anfang-  dieser  Jalire  auf  den  Herbst  (Monat 
Tasniu)  setzte;  er  nahm  aber  gleichzeitig-  an,  daß  das  bürgerliche 
Jahr  mit  dem  Nisannu  beginne.  Dies  wird  wenig  wahrscheinlich, 
wenn  wir  uns  daran  erinnern,  daß  in  historisclien  Zeiten  die  Assyrer 
und  Babylonier  ihr  Jahr  im  Frühling  mit  dem  Nisannu  angefangen 
haben,  und  daß  sie  auch  die  Jahre  der  seleukidischen  Ära  und 
wahrscheinlich  auch  die  der  Arsakiden-Ära  in  jener  Jahreszeit  be- 
ginnen ließen. 

§  29.    Die  Ära  Nabonassar  und  die  philippische  Ära. 

Die  Ära  Nabonassar  schließt  sich  unmittelbar  an  den  astro- 
nomischen Kanon  des  Ptolemäus  an,  indem  sie  auf  der  gleichen 
Epoche,  dem  26.  Februar  747  v.  Chr.,  ruht;  letzterer  Tag  ist  der 
1.  Thot/i  des  Jahres  1  der  Ära  Naboa.  und  wird  von  Pt(jlemäus  im 
ÄJmagesf  (HI  6)  von  Mittag  ab  gerechnet.  Diese  von  dem  sonstigen 
Tagesbeginn  des  Altertums  ganz  abweichende  Zählung  des  Tages  von 
Mittag  an,  vom  Durcligang  der  Sonne  durch  den  Meridian  (welche 
Zählungsart  später  allgemeiner  Gebrauch  bei  den  Astrunomen  ge- 
worden ist),  weist  speziell  auf  die  astronomische  Bestimmung  hin, 
welche  die  Ära  bei  den  alexandrinischen  Astronomen  gehabt  haben 
mag.  Daß  sie  in  Ägypten  hauptsächlich  zur  Fixierung  des  Datums 
der  astronomischen  Beobachtungen  dienen  sollte,  geht  aus  dem  Umstände 
hervor,  daß  Ptole^iäus  im  ÄJmac/est  den  ausgiebigsten  Gebrauch  von 
ihr  macht  und  das  Datum  z.  B.  der  babylonischen  Beobachtungen 
meist  durch  sie  ausdrückt.  Die  Richtigkeit  der  Epoche  26.  Febr.  747 
geht  ohne  weiteres  aus  den  im  Abnagest  aufgezeichneten  Beobachtungen 
hervor.  So  heißt  es  dort  (IV  5,  Heibeeg  302,  12),  daß  „im  ersten 
Jahre  des  J/ardoJcrmpados  [dem  27.  Nabonassars]  in  der  Nacht  vom 
29/30.  Thofh  der  Ägypter  eine  Mondfinsternis  stattgefunden  hat;  sie 
begann  ...  in  Babylon  .  .  .  reichlich  eine  Stunde  nach  Aufgang  des 
Mondes  und  war  eine  totale".  Das  Datum  27  NaJion.  29,30.  Thoth 
gibt  nur  bei  Annahme  des  vorher  genannten  Epochetages  den 
richtigen  Tag  der  Finsternis,  nämlich  19.  März  721  v.  Chr.  In 
meinem  „Sjjez.  Kanon  der  Finsfr  (S.  232)  fiinde  ich  den  Beginn  dieser 


theorie"  zva  stützen,  iu  Vorschlag  gebracht  hat,  ist  weit  weniger  wahrscheinlich, 
denn  sie  konnte  für  Ninive  höchstens  10  Zoll  betragen,  außerdem  ist  sie  nur  ring- 
förmig, war  also  schon  aus  diesem  Grunde  von  geringerer  Auffälligkeit.  Ein  Ver- 
such, sie  für  Assyrien  durch  Einführung  einer  empirischen  Korrektion  iu  die  Mond- 
bewegung auffälüger  zu  machen ,  würde  aber  nur  auf  Kosten  der  guten  gleich- 
mäßigen Darstellung  aller  übrigen  (alten  und  mittelalterlichen)  Finsternisse  mög- 
lich sein. 


144  1.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Babylonier. 

Mondfinsternis  um  19''  33™  m.  Zeit  Babylon,  den  Mondanfgang-  um 
l?''  53™,  also  den  Beginn  l''  40"'  nach  Mondaufgang-,  den  Worten  des 
Ptolemäus  ,,reiclilich  eine  Stunde  nach  Aufgang  des  Mondes"  völlig 
entsprechend.  Wäre  die  Epoche  der  Ära  auch  nur  um  einen  Tag 
ungewiß,  so  würde  eine  solche  Übereinstimmung  der  Rechnung  mit 
der  Beobachtung  unmöglich  sein. 

Bürgerte  sich  wegen  der  Sicherheit  ihres  Epochetages  die  Ära 
Nabonassar  bei  den  orientalischen  Astronomen  und  Chronographen 
leicht  ein,  so  deuten  doch  auch,  obwohl  die  Ära  sonst  bei  den  Schrift- 
stellern nicht  vorkommt,  einige  Punkte  darauf  hin,  daß  ihre  Anwendung 
vielleicht  über  den  bloß  astronomischen  Gebrauch  hinaus  gereicht  hat. 
Zunächst  geht  die  aus  der  Zeit  der  Seleukiden  und  der  Römer 
stammende  Sarostafel  auf  den  1.  Nisannu  des  Jahres  1  Nahon.  zurück. 
Ferner  ist  auffällig,  daß  die  im  22.  Jahre  des  Darhis  geschriebene 
„Babylonische  Chronik"  von  dem  3.  Jahre  Nahonassars  ausgeht  i,  also 
ebenfalls  auf  der  Ära  Nabonassar  beruht.  Weiter  ist  eine  Nachricht 
des  Berossos^  beachtenswert,  die  allerdings  nicht  völlig  klar  ist.  Es 
heißt:  „Nach  Nabonassar  untersuchten  die  Chaldäer  die  Zeiten  der 
Gestirnbewegung  und  nach  diesen  die  griechischen  Astronomen,  nach- 
dem (wie  Alexaxder  und  Berossos  sagen,  welche  die  Erzählungen 
der  altchaldäischen  Geschichte  zusammengefaßt  haben)  Nabonassar 
die  Taten  der  Könige  vor  ihm  gesammelt,  aber  den  Augen  entzogen 
hatte,  damit  von  ihm  die  Zählung  der  chaldäischen  Könige  anfange  ('?)=*". 
Diese  Stelle  würde  etwa  so  zu  verstehen  sein,  daß  Nabonassar  die 
bis  auf  seine  Zeit  gesammelten  babylonischen  Urkunden  habe  zerstören 
oder  beiseite  bringen  lassen,  damit  er  eine  neue,  mit  seiner  eigenen 
Regierung  beginnende  Ära  einführen  konnte.  Die  Erzählung  kann 
aber  auch  eine  boße  Legende  sein  und  dahin  zu  deuten,  daß  unter 
Nabonassar  eine  Reform  der  Zeitrechnung  stattgefunden  hat,  ver- 
bunden mit  einer  Neuordnung  der  Inschriften  der  Vorgänger  des 
Nahonassar  (so  Rost  und  C.  F.  Lehmann).  Jedenfalls  bilden  die  ge- 
nannten Hinweise,  sowie  die  Epoche  des  Ptolemäischen  Kanons  ein 
bemerkenswertes   Faktum   für    eine  Änderung   in   der  Zeitrechnung, 


1)  Vom  3.  Jahre  Nahon.  bis  zum  1.  des  Samasmmukin  (Keüinschr.  Biblioth., 
II  274). 

2)  Ein  Chaldäerpriester  zur  Zeit  Antiochus  I.  (281 — 261  v.  Chr.).  Von  ihm 
rührt  eine  weit  über  die  Zeit  Nabonassars  zurückreichende  Liste  von  Königs- 
dynastien her,  deren  Wert  erst  in  neuerer  Zeit  gewürdigt  worden  ist. 

3)  'A-jto  öh  NaßovaöccQOv  rovs  XQOvovg  xfjg  xGiv  äar^Qcop  iiLv^etcog  XaXöaloi 
7iy.QLß(a6av    xal   ano  XalSaiav    ol   itaQ   "EXlriGi  [laO'riiiarixol  laßovTng,   insiäi]  wg  ö 

Ali^uvdQOg  Kai  BriQcoGGog  rpuGiv ,  ol  rag  XaXd'aiKccg  ccQicaoloyiag  TttQisilricporig, 
NaßovccGaQOg  Gvvayuywv  tag  ngä^sig  xüv  -jiqo  avrov  ßaGiXtcov  r\(f>äviGtv ,  oitoag  an 
avrov  T]  ■naxaQi^iiriGig  yivuxai  xmv  Xalöaicov  ßuGilicov.  (Berossos,  Fragm.  IIa, 
SynkeUos:,  vgl.  Fragm.  hist.  graec.  edit.  Müller,  II  504). 


i^  29.     Die  Ära  Xaboiiassar  uiul  die  i)liili])j)i.sclii'  Ära.  145 

um  so  mehr  als  Xahonassar  politisch  nicht  so  sehr  hervorgetreten 
ist,  und  kein  eigentlicher  Grund  dafür  ersichtlich  scheint,  daß  man 
aus  freiem  ^\'illen  einen  neuen  Abschnitt  in  der  Zeitrechnung  gerade 
mit  diesem  König  begonnen  hätte.  AVinckler  sucht  die  Erklärung 
der  Nachricht  des  Bejiossos  darin,  daß  nur  die  Tatsache  von  den 
Babyloniern  astronomisch  festgestellt  worden  sei,  daß  zu  jener  Zeit 
der  Frühjahrs-  (resp.  Jahres-)  Anfang  nicht  mehr  im  Zeichen  des 
Stiers,  sondern  im  Zeichen  des  Widders  stattfinde.  Im  ganzen  ge- 
nommen läßt  sich  vermuten,  daß  in  früherer  Zeit  aus  irgend  einem 
Grunde  die  Jahre  von  Nabonassar  ab  gezählt  worden  sind,  und  daß 
diese  Zählung  später  in  Ägypten  die  Basis  zur  Errichtung  einer 
astronomischen  Ära  gebildet  hat.  Ein  inschriftlicher  Nachweis  für 
den  Bestand  als  besondere  Ära  in  Babylonien  und  Assyrien  läßt  sich 
noch  nicht  erbringen. 

Die  Reduktion  eines  gegebenen  Datums  der  Xabonassarischen 
Ära  in  das  entsprechende  der  christlichen  Zeitrechnung  oder  umgekehrt, 
erfolgt  am  bequemsten  mit  Hilfe  der  neuen  ScnEAMSchen  Tafeln  (s.  S.  56). 
Die  erste  Tafel  der  „Ära  Nabon."  gibt  die  dem  Jahre  Xcihouassars 
und  dem  ägyptischen  ]\Ionatstage  entsprechende  Zahl  der  julianischen 
Tage,  die  korrespondierende  Tafel  „Julian.  Kalender"  die  mittelst  jener 
Zahl  zu  entnehmenden  Jahre  und  das  Monatsdatum  der  julianischen 
Ära.  Es  seien  für  die  im  vorigen  Paragraphen  angegebenen  beiden 
Daten  257  Xahon.  3.  Tijhi  und  552  Xahon.  18.  Mech'ir  die  julianischen 
Daten  zu  suchen.     Man  hat: 

Tafel  „Ära  Nabon." :   257  Xah.  3.  Tijhl  =  1 542  200 
Korresp.  Julian.  Kai.  ( — 400  +  r)  =  1542175 

=  —490  April  0 -[- 25, 
also  das  Datum  25.  April  491  v.  Chr. 

552  Xüh.  18.  Mcchlr  =  1649  920 

Korresp.  Julian.  Kai.  (— 100  +  r)  =  1649  893 

=  —  195  März  0  H-  27, 
also  das  Datum  27.  März  196  v.  Chr. 

Damit  der  Leser  die  alte  lüELEESche  Regel  nicht  vermisse,  setze  ich 
dieselbe  ebenfalls  hierher,  obwohl  die  Rechnung  danach  viel  um- 
ständlicher wird  als  nach  Scheams  Tafeln.  Man  multipliziert  die 
gegebenen  Jahre  Xahonassars  mit  365  und  addiert  zum  Produkte  die 
Zahl  der  vom  1.  Thoth  bis  zum  gegebenen  Datum  abgelaufenen  Tage, 
wobei  jeder  Monat  zu  30  Tagen  gerechnet  wird,  und  nach  dem 
12.  Monat  noch  5  Ergänzungstage  zu  berücksichtigen  sind.  Ferner 
addiert  man  hiezu  noch  1  448  638  Tage.  Die  so  gebildete  Tagessumme 
ist  durch  1461  zu  dividieren.  Der  Quotient  der  Divison  liefert  die 
Zahl    der    in   der   julianischen   Tagessumme   enthaltenen  vierjährigen 

Giuzel,  Chrouologie  1.  10 


146  T.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  l>iil)ylonier. 

Sclialtperioden ,  der  Quotient  ist  daher  mit  4  zu  multiplizieren.  Von 
dem  bei  der  Division  gebliebenen  Reste  zieht  man  zuerst  366,  nnd 
falls  es  möglich,  365  einigemal  ab  und  rechnet  für  jeden  Abzug  1  Jahr 
mehr  dem  mit  4  multiplizierten  Quotienten  hinzu.  Man  findet  so  die 
abgelaufenen  Jahre  der  julianischen  Periode  und  hat  dieselben  von 
4714  abzuziehen,  wenn  sie  kleiner  als  diese  Zahl,  oder  von  ihnen  4713 
abzuziehen,  wenn  sie  größer  sind ;  im  ersten  Falle  ergeben  sich  Jahre 
vor  Christus,  im  anderen  Falle  Jahre  nach  Christus.  Der  bei  der 
Division  nach  den  Abzügen  gebliebene  Rest  gibt  die  noch  in  Anrechnung 
zu  bringenden  Tage;  dieselben  werden  mittelst  der  Reihe  Januar  31, 
Februar  28  (Schaltjahr  29),  März  31,  April  30  u.  s.  w.  in  Monate 
und  Tage  zerlegt.  Das  Resultat  ist  das  julianische  Datum  der  christ- 
lichen Zeitrechnung.    In  den  obigen  beiden  Beispielen  hat  man: 

257  X365  =  93  805 

3.  Tijhi  =  4  Mon.  3  Tag:e  =       123 

Grundzahl    1448  638 


18.  Mechir 


1542  560:1461  -- 

=  1055  X  4 

Rest       1211 

=  4220 

ab          366 

-f-         3  Jahre 

845 

4223  jul.  Jahre 

ab          365 

-  4714 

480 

491  V.  Chr. 

ab          365 

Rest          115 

=  25.  April 

Datum:   25.  April  491 

V.  Chi 

L\ 

552  X  365  =  201  480 

5  Mon.  18  Tage  =         168 

Grundzahl    1448  638 

1650  286: 

1461 

=  1129X4 

Rest          817 

=  4516 

ab          366 

+        2  Jahre 

451 

4518  jul.  Jahr 

ab          365 

—  4714 

Rest           86 

196  V.  Chr. 

=  27.  März 

Datum:   27.  März  190  v.  Chr. 

Für  den  umgekehrten  Fall,  die  Verwandlung  eines  julianischen 
Datums  in  jenes  der  Ära  jVahoHasf<(iy,  wird  man  die  ScHEAMSchen 
Tafeln,  aber  in  umgekehrter  Folge,  benützen. 


§  30.     I.it.Tatur.  147 

Die  Pili  lippische  Ära  wird  im  AJmagcd  ebenfalls  (z.  II  III  2) 
in  Verbindung-  mit  den  ägyptischen  Monaten  gebraucht.  Sie  findet 
sich  unter  der  Bezeichnung  „Jahre  vom  Tode  Alexanders"  (and  rr^g 
'Jkiiävöoov  T€?>.svTrjg)  oder  auch,  da  Alexanders  d.  Gr.  Nachfolger 
Philippus  Aeidaeus  war,  als  Ära  <l^iXi7inov  rov  fier  l4k{iccvÖQov  töv 
xrißTijv  (als  anni  Phil'ipin  bei  Cexsorix,  de  die  nat.  21,  9).  Sie  ist 
in  der"  Epoche  um  424  ägyptische  Jahre  von  der  Ära  Nahonasmr 
verschieden  und  beginnt  also  am  1.  Thotli  425  der  Ära  Xahonassar 
oder  12.  November  324  v.  Chr.  (s.  Ptolemäus,  Kanon,  2.  Eegenten- 
reihe).  Bei  Daten,  welche  nach  dieser  Ära  angegeben  sind,  hat  man 
also  zu  dem  betreffenden  Jahre  nur  424  zu  addieren,  um  das  ent- 
sprechende Jahr  Xaho)iassars  zu  erhalten;  die  übrige  Reduktion  er- 
folgt dann  wie  oben. 


§  30.    Literatur  ^ 

Inschriftenmaterial. 

C.  Bezold,  Catalogiie  of  the  Cunciform  tablets  in  the  Kouynnjik  coUection  of 
the  British  Museum,  London  1899,  5  Bände.  —  H.  C.  Rawlinsox,  The  Cuneiform 
Inscriptions  of  Western  Asia,  1861—1884,  5  Bände.  —  Strassmaier,  Babylonische 
Texte,  Leipz.  1887—97,  12  Teile.  —  K.  C.  Thompson,  The  reports  of  the  Ma(jicians 
and  Astrologers  of  Niniveh  and  Babylon,  2  Bde.  (I  Cuneiform  Texts,  II  English 
Translat.). 

Babylonische  Weltanschauung  (Kultur  etc.). 

H.  WiNCKLER,  Bimmels-  und  Weltenbild  der  Babylonier  (Der  alte  Orient, 
III,  1901,  Heft  2.  3).  —  C.  F.  Lehmann,  Babyloniens  Kidturmission  einst  und  jetzt, 
Lpzg.  1903. 

Mythus,  Kultus  (Gestirndienst). 

E.  Stücken,  Astralmythen  der  Hebräer,  Babi/lonier  u.  Ägypter,  Leipzig  1897 — 
1901,  4  Bände.  —  P.  Jensen,  Assyr.-babylonische  Mythen  u.  Epen,  Berlin  1901.  — 
P.  Jensen,  Das  Nationalepos  d.  Babylonier  u.  seine  Absenker  in  der  israel.,  christl. 
u.  griech.  Sage,  1904.  —  Kcgler,  Die  Sternenfahrt  des  Gilgames  (Stimmen  aus 
Maria-Laaeh ,  1904,  Heft  IV).  —  Vgl.  auch  E.  Schradek.  Die  Keilinschriften  u. 
das  alte  Testament,  3.  Aufl.  von  Zimmern  u.  Winckler,  Berlin  1903.  (Über  ver- 
schiedene Fragen  der  babyl.  Zeitrechnung  handelnd). 

A  b  s  t  a  m  m  u  n  g  s  f  r  a  g  e. 

Schrader,  Zeitschr.  d.  deutsch,  niorg.  Ges.,  XXVII,  1873,  897,  u.  Abhdlg. 
d.  Berlin.  Akad.  d.  Wiss.,  1884.  —  Lepsiüs,  Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.,  XV,  1877, 
S.  57.  —  H.  Winckler  (in  verschied.  Stellen  seiner  Schriften). 


1)  Vgl.  außerdem  die  im  Texte  und  in  den  Anmerkungen  gegebenen  Literatur- 
nachweise. 

10* 


148  I.  Kapitel.     Zoitrcchimn^-  der  Rabylouier. 

Sexagesimalsystem. 

Cantok,  Geschichte  d.  Mathem.,  1.  Aufl.,  183.  —  C.  F.  Lehmann,  Das  alt- 
hahylon.  Maß-  u.  Gewichtssystem  (Akten  d.  S.  internat.  Onental.-Ko)ifp-esses  1889) 
1893;  Verhdlcj.  d.  Berl.  anthropol.  Ges.,  1895  S.  411,  1896  S.  488 ;  Beitr.  z.  alten 
Geschichte,  I  381  u.  481  (1902).  —  Kugler,  Zeitschr.  f.  Assi/r.,  XV  391.  —  Zimmern, 
Ber.  d.  K.  Sachs.  Ges.  d.  IT.,  phil.-hist.  Kl,  1901,  S.  47.  —  E.  Mahler,  Orient. 
Litterat.- Ztg.,  Berlin,  VI  9.  —  J.  Brandis,  Das  Müns-,  Maß-  u.  Getvichtswesen  in 
Vorderasien  bis  auf  Alex.  d.  Gr.,  Berlin  1866.  —  Ältere  Erklärung  des  Saros,  Neros, 
Sossos  s.  bei  Lepsiüs,  Chronologie  d.  Ägypter,  I  229. 

Astronomie. 

Epping-Strassmaier,  Astronomisches  aus  Babylon,  Freiburg  1889.  —  F.  X.  Kugler, 
Die  babylonische  Mondrechnung,  Freiburg  1900.  —  Sayce,  The  Astronomy  and 
Astrol.  of  the  Babylonians   {Transact.  of  the  Soc.  of  Biblic.  Archaeoh,   III,    1874). 

—  BosANQUET  u.  Sayce,  TUc  Babyloniau  Astron.  {Month.  Notices  of  the  Boy. 
Astron.  Soc,  XL,  1880).  —  Hommel,  Die  Astronomie  d.  alten  Chaldäer  („Ausland" 
1891,  1892  u.  Aufsätze  u.  Abhandlungen,  II,  1900;  III,  1901).  —  Ginzel,  Die 
astron.  Kenntnisse  d.  Babylonier  (Beitr.  z.  alten  Geschichte,  1,  1902).  —  P.  Jensen, 
Kosmologie  der  Babylonier,  Straßburg  1890. 

Alte  Monatsnamen. 

H.  Radau,  Early  Babylonian  History,  New  York  1900,  S.  287.  —  L.  W.  King, 
The  letters  and  inscript.  of  Hammurabi,  (Introd.  XXXV,  Anm.  3).  —  Vgl.  Thureau- 
Dangin,  Revue  d'Assyr.,  IV,  1897,  S.  83  u.  V,  no.  3,  1902.  —  W.  Muss-Arnolt, 
The  names  of  the  assyr.  babyl.  months  a.  their  regents  {Journ.  of  Biblical  Literature, 
XI  72,  160).  —  B.  Meissner  (Wiener  Zeitschr.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.,  V  180). 

Woche. 

5  tägige  (HamuStu) :  Winckler  ,  Altorient.  Forschungen ,  2.  Reihe ,  I  94.  — 
Sayce,  Assyr.  Notes  No.  3  (Proceed.  of  the  Soc.  of  Biblic.  Archaeol.,  XIX,  1897, 
S.  288).  —  7 tägige  Woche:  Jensen,  Zeitschr.  f.  deutsche  Wortforschung,  I,  1901, 
S.  150. 

Tageseinteilung. 

G.  Bilfinger,  Die  babyl.  Doppelstunde,  Stuttgarter  Gymnasialprogramm  1888. 

—  Versch.  Bemerk,  in  den  oben  angef.  Schriften  v.  Epping  u.  Kugler. 

Schaltungsfrage. 

J.  V.  Gumpach,  Die  Zeitrechnung  d.  Babyl.  u.  Assyr.,  Heidelberg  1852.  — 
E.  Mahler,  Zur  Chronol.  d.  Babylonier.  Verglcichungstabcllen  d.  babyl.  u.  christl.  Zeitr. 
V.  Nabonassar  bis  WO  v.  Chr.  (Denkschr.  d.  Wiener  Akad.  d.  ]l'iss.,  62.  Bd.,  1895); 
Transact.  of  the  9.  Intern.  Congr.  of  Orient,  2,  London  1893;  Zeitschr.  f.  Assyr., 
IV  457,  XI  41 ;  Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  LH,  1898,  S.  227.  —  E.  Meyer,  Zeitschr. 
f.  Assyr.,  1X325.  —  J.  Oppert,  Zeitschr.  f.  Assyr.,  XI  310,  XII  97;  Zeitschr.  d. 
deutsch,  morg.  Ges.,  LI,  1897,  S.  138;  LIII,  1899,  S.  93.  —  Weissbach,  Zeitschr.  d. 
deutsch,  morg.  Ges.,  LI,  1897,  S.  665;  LV,  1901,  S.  195.  —  Epping,  Zeitschr.  f.  Assyr., 
VIII  172.  —  C.  F.  Lehmann  (in  Ginzels  Spez.  Kanon  d.  Sonnen-  u.  Mondf., 
S.  236-242). 


i>  30.     Literatur.  149 

Finsternisse. 

J.  Oppkkt,  Die  astr.  Angaben  der  assyr.  Keilschriften  (Sit^unfjsher.  d.  Wien. 
Akad.  d.  11  Vss.,  9(5.  Bd.,  1885);  Zeitschr.  f.  Assyr.,  XI  310.  —  Kuglkh,  Zeitschr.  f. 
Assyr.,  XV  181,  XVII  234;  Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  LVI,  1902,  S.  60.  — 
Weissuach,  Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  LV,  1901,  S.  195.  —  C.  F.  Lehmann-Ginzkl 
(in  GiNZKi.s  Spez.  Kanon  d.  Sonnen-  u.  Mondf.,  Berlin  1899,  S.  243 — 260). 

Ptolemäischer  Kanon. 

.7.  Oppkrt,  La  chronol.  hibliquc,  Paris  1868;  Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges., 
XXIII,  1869,  S.  134.  —  Haigh,  Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.,  VII,  1869,  S.  117.  — 
E.  ]Meyer,  Geschichte  d.  Altert.,  1,  1884,  S.  127.  —  Schrader,  Zeitschr.  d.  deutsch, 
morg.  Ges.,  XXVI,  1872,  S.  811;  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,  1887,  S.  590 
u.  947.  —  Lepsius,  Abhandlgn.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,  1869,  S.  25. 

Ä  r  e  n. 

Arsakidenära :  Schrader,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,  1890,  S.  1319, 
Nachtrag,  1891,  S.  3.  —  StrassmaieRj-Zc^Ysc/*;-.  f.  Assyr.,  VIII  106.  —  J.  Opfert, 
Compt.  rcnd.  de  l'Acad.  d.  sciences,  T.  107,  Journ.  Asiat.,  1889.  —  Üb.  Ära  Nabon. 
u.  Philippische  Ära  besonders  J.  B.  Biot,  Besume  de  Chronol.  astronomique  {Mem. 
de  l'Acad.  d.  sciences,  T.  XXII,  1849). 

Hilfstafeln. 

Zur  Verwandlung  von  Daten  der  Nabon.  Ära  s.  (außer  Schrams  Tafeln) 
E.  Mahler,  Chronologische  Vergleichungs-Tabellen,  Wien  1889,  I.  Bd.  (von  1 — 1200 
Nabon.  für  jeden  ersten  Tag  der  12  Monate) ;  H.  Brandes,  Abhdlgn.  z.  Geschichte 
d.  Orients  i.  Altertum,  Halle  1874,  S.  134  bis  884  Nabon.  von  4  zu  4  Jahren); 
vgl.  BioTs  Besume  (s.  vorher).  —  E.  v.  Haerdtl,  Astron.  Beiträge  z.  assyr.  Chronol. 
(Denkschr.  d.  Wien.  Akad.  d.  Wiss.,  49.  Bd.,  1884)  (enthält  die  Neumonde  von 
957-605  V.  Chr.). 


IL  Kapitel. 

Zeitrechiiiiug  der  Ägypter. 

§  31.     Astronomie.    Quellen  für  das  Kalenderwesen. 

Die  Kenntnis  des  Zeitrechnungwesens  der  alten  Ägypter  kann 
gegenwärtig  ebenso  wenig  mehr  auf  den  Nachrichten  der  klassischen 
Schriftsteller  aufgebaut  werden,  wie  jene  der  Babjdonier,  sondern  be- 
ruht auf  den  Dokumenten  selbst,  d.  h.  den  Felsen-  und  Steininschriften 
und  den  Papyrus;  die  Klassiker  treten  gegen  dieses  archäologisclie 
Material  in  die  zweite  Linie  der  Zeugen  zurück  und  können  nur  mehr 
kontrollierend  und  vergleichend  gebraucht  werden.  Es  bietet  sich  da 
ein  ähnliches  Verhältnis  der  Forschung  wie  bei  den  Babyloniern,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  daß  die  Ergebnisse  in  Beziehung  auf  das  Zeit- 
rechnungwesen betreffs  der  Ägypter  ein  greifbares  Resultat  zutage 
fördern  konnten,  während  wir  mit  den  Babyloniern  erst  am  Anfange 
stehen.  Dies  ist  bei  der  zeitlichen  Differenz,  die  zwischen  dem  Beginn 
der  Ausgrabungen  in  Babylonien  und  Ägypten  und  der  Entwicklung 
der  x4.ssyriologie  und  Ägyptologie  zu  selbständigen  Wissenschaften 
liegt,  erklärlich.  Gleichwohl  hat  sich  trotz  der  erstaunlichen  Menge 
von  Material,  welches  im  Nillande  aufgedeckt  worden  ist,  und  das 
uns  einen  tiefen  Einblick  in  das  Kulturleben  seiner  einstigen  Bewohner 
gewährt,  die  Erwartung  bis  jetzt  nicht  erfüllt,  daß  die  aufgefundenen 
Dokumente  auch  das  Zeitrechnungwesen  der  Ägypter  vollständig  auf- 
hellen würden.  Zwar  konnte  einzelnes  klargestellt  werden,  und 
manche  Frage  hat  ihre  Bereicherung  erfahren,  aber  das  Hauptproblem^ 
in  welcher  Weise  sich  die  Form  des  Jahres  in  Altägypten  allmählich 
entwickelt  hat,  harrt  noch  der  Lösung;  ja  dieses  Problem  hat  sich 
viel  komplizierter  gestaltet  als  in  der  zurückliegenden  Zeit  der  Zeit- 
rechnungskunde, wo  man,  wie  z.B.  Idelee,  noch  ausschließlich  auf 
der  i'berlieferung  der  Klassiker  fußen  mußte. 

Die  Geschichte  der  wissenschaftlichen  Wiederentdeckung  Ägyptens 
kann  hier  nur  ganz  flüchtig  berührt  werden.  Die  französische  Livasion 
1798  — 1801     vermittelte    die    erste    Bekanntschaft    mit    den    alten 


§  31.     Astronomie.     Quellen  fiir  das  Kalendenvesen.  151 

ägj'ptisclien  Denkmälern;  die  Expedition  CHA.-MpohLiox-KosELLixi 
1828  —  34  und  die  preußische  unter  Lepsius  1842  —  45  legten  den 
Grund  zur  systematischen  Durchforschung  der  Altertümer.  An  sie 
schlössen  sich  die  Arbeiten  von  H.  Biudscn,  Dümichex,  de  Rouge; 
1866  fand  Lepsii-s  die  für  die  ägyptische  Kalendergeschichte  so 
wichtige  Inschrift  des  Steins  von  Tanis,  1850  begann  Mariette  die 
Ausgrabungen,  welche  1859  zur  Gründung  des  Museums  von  Bulaq 
führten.  1884  wurde  von  französischer  Seite  die  J/issio?i  arf7zr'o%igi<e 
frcmraisc.  und  englischerseits  der  Egypt  e.rploration  fimd  gegründet.  — 
Die  Erforschung  der  Sprache  der  Denkmäler  begann  mit  der  Ent- 
zifferung der  Schrift  durch  Champollion  1824.  Die  hieratischen 
Texte  wurden  von  Rouge,  Chabas,  Goodwix,  die  demotischen  von 
H.  Bkugsch  erklärt,  die  wissenschaftliche  Durcharbeitung  der  Sprache 
ist  besonders  durch  Ermax  (1880)  in  die  Wege  geleitet. 

Von  den  ägyptischen  Denkmälern  können  uns  hier  nur  die  astro- 
nomischen und  kalendaripgraphischen  interessieren.  Die 
bis  jetzt  gemachten  Funde  (dieselben  umfassen  die  zeitlich  ver- 
schiedensten Epochen)  enthalten  nur  zum  allerkleinsten  Teil  rein 
astronomische  Darstellungen,  meist  treten  sie  mit  mythologischen  in 
Verbindung.  Ältere  solche  Darstellungen,  welche  die  Einteilung  des 
Himmels  und  dessen  Götter  zeigen,  befinden  sich  an  den  Decken  der 
Königsgräber  Sethos  L,  Ramses  IV.,  Bamses  VII.,  sowie  im  Tempel 
Bamses  IL  Jüngerer  Zeit  angehörig  sind  die  Bilder  im  Pronaos  von 
Edfn  {Euergetes  IL),  in  den  Tempeln  von  Philac.  Omhos,  Enncnt 
(unter  Caesarion),  und  die  beiden  Himmelsbilder  im  Tempel  zu 
Bendera  (römische  Zeit).  Hierher  gehören  auch  die  Tierkreise  und 
Dekanlisten  auf  den  Innenseiten  von  Sarkophagdeckeln  (Leyden, 
Britisch  Museum.  Kairo  und  Louvre).  Rein  astronomischer  Art,  d.  h. 
auf  Beobachtungen  des  Himmels  beruhend,  sind  nur  die  Tafeln  der 
Sterne  in  den  thebanischen  Gräbern  Bamses  VI.  und  Bamses  IX. ;  die- 
selben geben  für  bestimmte  Stunden,  von  halbem  zu  halbem  Monat 
fortschreitend,  die  Stellung  einer  gewissen  Anzahl  Sterne  an  (Aufgang 
oder  Kulmination?)  und  gehören  vielleicht  der  Zeit  um  1100  v.  Chr.  an. — 
Viel  wichtiger  als  diese  Denkmäler  sind  für  die  ägyptische  Zeit- 
rechnung eine  Reihe  von  Dokumenten,  die  sich  in  Steininschriften 
und  auf  PapjTus  vorfinden.  In  erster  Linie  alte  Festkalender  in 
Grabkapellen,  die  in  die  Zeiten  der  4.  Dynastie  zurückreichen;  der 
Festkalender  an  der  Außenseite  des  Tempels  Bamses  III.  zu  Medinet- 
Hahu,  und  jener  in  einem  der  Propylone  des  großen  Tempels  daselbst; 
die  Kalenderfragmente  aus  der  Zeit  Thutmosls  IIL  {o^er  Bamses  IL) 
zu  Elejihaut'nie.  die  Papyrusbruchstücke  aus  Kahn»  (12.  Dj'nastie),  die 
jüngeren  Kalender  von  Edfu  und  Esne,  der  Kalender  von  Dendera.  Eine 
Inschrift   von   hervorragender   kalendariographischer  Bedeutung  trägt 


152  Tl.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägvpter. 

ein  Stein  aus  Taais  (äSiS  sog.  Dekret  von  Kanopus).  Von  den  Pap3Tus 
mit  Kalendernotizen  sind  wichtig  der  Papyrus  Sallier  IV.  (aus  der 
Eamessidenzeit) ,  und  der  merkwürdige  Doppelkalender  des  Papyrus 
Ebees  (aus  der  Zeit  um  1550  v.  Chr.),  der  Leydener  Papyrus  mit 
Angabe  der  5  Epagomenen.  Für  die  spätägyptische  Zeit  haben  die 
zahlreichen  Papyrus  von  Kontrakten,  Schuldscheinen  und  ähnlichen 
Urkunden  viele  AVichtigkeit. 

Die  Schlüsse,  die  wir  aus  diesem  Quellenmaterial  in  betreff  der 
astronomischen  Kenntnisse  der  Ägypter  ziehen  können,  sind  wenig 
günstige.  Danach  kannten  die  Ägypter  den  Zodiakus,  die  Dekane, 
die  vornehmlichsten  Sternbilder,  sie  benannten  eine  Anzahl  Sterne 
mit  Namen,  unterschieden  die  Planeten  von  den  Sternen  %  sie 
beobachteten  die  heliakischen  Aufgänge  des  Sirius  und  führten  Zeit- 
bestimmungen mittelst  Sternkulminationen  aus.  Die  Resultate  aus 
letzteren  können,  nach  den  sehr  primitiven  Instrumenten,  die  aus  der 
alten  Zeit  bekannt  geworden  sind'^,  nur  sehr  rohe  gewesen  sein.  Ob 
ein  weiteres,  tieferes  Wissen,  z.  B.  über  die  Bewegungsverhältnisse 
der  Planeten   u.  s.  w.   vorhanden   war,   läßt  sich  aus  den  Denkmälern 


1)  Bilder  der  Zo diakalzeichen  findet  man  u.  a.  in  dem  runden  Tierkreise 
von  Dendera  (Abbildung  bei  Lepsius,  Wandgemälde,  Taf.  35)  und  auf  dem  bei 
Cailliaud,  Voyaye  ä  Meroe,  II  Taf.  69  veröffentlichten  Sarge  der  Kaiserzeit.  Die 
Zodiakalbilder  sind:  1.  Taschenkrebs  =  Krebs.  2.  Löwe  auf  einer  Schlange  = 
Löwe.  3.  Göttin  mit  einem  Zweige  =  Jungfrau.  4.  Wage  (mit  der  Sonnenscheibe 
auf  dem  Wagebalken).  5.  Skorpion.  6.  Tiermensch,  aus  Teilen  eines  Löwen, 
Pferdes,  Skorpions  vmd  Menschen  zusammengesetzt,  den  Bogen  abschießend  = 
Schütze.  7.  Bock  ohne  Hinterbeine,  mit  Fischleib  =  Steinbock.  8.  Nilgott,  Wasser 
aus  zwei  Krügen  gießend  =  Wassermann.  9.  Fische.  10.  Widder.  IL  Stier. 
12.  Zwei  Götter,  einander  bei  der  Hand  haltend  =  Zwillinge.  Diese  Bilder  sind 
aber  so  gut  wie  vollständig  aus  den  bekannten  griechischen  Formen  abgeleitet, 
welche  die  etwa  vorhanden  gewesenen  altägyptischen  fast  verdrängt  haben.  Über 
Spuren  des  babylonischen  Tierkreises  in  den  ägyptischen  Darstellungen  s.  F.  Boll, 
Sphaera,  Neue  griech.  Texte  u.  Unters,  z.  Gesch.  d.  Sternbilder ,  Leipzig  1903, 
S.  190.  —  Einige  Reste  der  älteren  Vorstellungen  lassen  sich  aus  den  ägyptischen 
Namen  erschließen.  Vgl.  darüber  Brügsch,  Aegt/ptologie,  S.  346,  Spiegelbekg  und 
W.  M.  Müller,  Orient  allst  ische  Liter.  Zeug.  V,  1902,  S.  6.  135  u.  228,  VI,  1908, 
S.  8.  —  Listen  der  Stellung  der  Planeten  im  Tierkreis:  Demotische  Papyri  aus 
dem  Kgl.  Museum  zu  Berlin,  S.  29,  und  auf  den  STOnAKTschen  Tafeln.  Gegen- 
überstellungen der  Monate  und  der  Tierkreiszeichen  auf  einem  Ostrakon  bei 
Spiegelherg,  Orient.  Liter.-Zeitg.,  V  6  u.  136;  ähnlich  der  Text  Orient.  Lit.-Zeitg., 
V  223.  —  Die  Namen  der  Planeten  aus  der  älteren  Zeit  und  die  etwas  davon  ab- 
weichenden aus  der  jüngeren  Zeit  s.  bei  BRUGscir,  Äegyptologie  und  Spiegelhkrg 
(a.  a.  0.,  V6). 

2)  Über  die  vermutliche  Methode,  nach  welcher  die  Zeitbestimmungen  mittelst 
des  Mierec/t-Instrumeutes  genuicht  worden  sind,  vgl.  Boucuardt,  Zeitschr.  /'.  dgypt. 
Spr.,  XXXVII,  1899,  S.  10  (mit  Abbildung  erhaltener  Geräte  im  Berliner  Museum, 
die  aus  dem  15.  und  6.  Jahrh.  v.  Chr.  stammen),  ferner  Romiku,  Calcul  de  l'henre 
chez  les  anc.  Kgypt.  {Hecueil  de  travaux  rcl.  ä  la  phil.  nrcheol..  XXIV,  1902,  S.  135). 


§  31.     AstroiMiiiiic.     <i>ii(llcii  für  «las  Kiilondcrwcscii.  ]^)?) 

nicht  beurteilen.  Den  ägyptischen  Tierkreisen  hat  mau  astronomische 
Orientierung  und  liohes  Alter  zusprechen  wollen,  aber  diese  Schlüsse 
sind  haltlos,  und  auch  bei  den  jüngeren  Darstellungen  (Ih-iKlfm- 
Kreis)  handelt  es  sich  wahrscheinlicli  nur  um  astrologische  Zwecke. 
Von  beobachteten  Finsternissen  findet  sich  in  den  Quellen  nichts 
vor,  und  die  ägyptischen  Denkmäler  weisen  in  dieser  Beziehung  eine 
ebenso  auffällige  Leere  vor  wie  die  Überlieferung  der  Inder.  Die 
einzige,  wie  es  früher  schien,  auf  einer  Wandinschrift  in  Theben  ge- 
meldete Mondfinsternis  unter  Takelotliis  IL  ist  nach  der  EisEXLOHRSchen 
Textrevision  zu  A\^asser  geworden.  Und  doch  haben  wir  gerade 
die  Aufzeichnung  beobachteter  Sonnen-  und  Mondfinsternisse  als  das 
Hauptmittel  erkannt  (s.  Babylonier),  durch  welches  sich  die  alten 
Völker  auf  dem  einfachsten  Wege  die  näherungsweise  Kenntnis  der 
Sonnen-  und  Mondbewegung  und  der  dieselbe  einschließenden  Perioden 
verschaffen  konnten,  und  haben  bemerkt,  inwiefern  diese  Perioden 
die  unmittelbare  Vorstufe  bei  der  Ordnung  der  Zeitrechnung  bilden. 
Wenn  Ptölemäis  im  Almagest  meist  nur  von  babylonischen  und 
griechischen  astronomischen  Beobachtungen  spricht,  nicht  aber  von 
ägyptischen,  so  muß  wohl  der  Grund  davon  der  Mangel  an  solchen 
gewesen  sein.  Es  fehlt  in  der  ägyptischen  astronomischen  Über- 
lieferung —  dies  muß  ganz  besonders  hier  hervorgehoben  werden  —  in 
dem  bis  jetzt  gefundeneu  Material  jede  Spur  von  systematischer 
Beobachtungstätigkeit,  welche  etwa  der  uns  in  den  astronomischen  Keil- 
inschriften der  Babylonier  entgegentretenden  vergleichbar  wäre.  Und 
ohne  solches  Beobachten  ist  das  Erreichen  einer  gewissen  Stufe  astrono- 
mischer Kenntnisse  undenkbar.  In  späterer  Zeit,  vielleicht  jener  der 
Ptolemäer,  mag  die  Astronomie  vorgeschrittener  gewesen  sein,  allein  da- 
mals hatte  sich  auch  die  griechische  Astronomie  schon  vervollkommnet, 
und  beträchtlich  vor  der  Zeit  Christi  verbreiteten  sich  solidere  asti'O- 
nomische  Kenntnisse  in  Asien  nach  dem  Osten  und  Süden  hin,  von 
einem  Zentrum  ausgehend,  als  welches  wahrscheinlich  Babylonien  an- 
zusehen sein  wird.  Einzelne  Forscher  sind  in  ihrer  Begeisterung  für 
das  Alter  der  ägyptischen  Kultur  soweit  gegangen,  den  Ägyptern  die 
Kenntnis  der  Präzession  zuzuschreiben  (wie  es  Lepsius,  gestützt  auf 
Aeistoteles,  de  coelo ,  II  12,  Sexeca,  Quaesf.  nat.,  VII  56,  Diodor 
I  69,  81  u.  a.  Klassiker,  versucht  hat);  wenn  wir  aber  die  Kenntnis 
dieses  Elements  noch  nicht  einmal  bei  den  Babyloniern  voraussetzen 
dürfen  (vgl.  S.  31),  bei  welchen  die  Entwicklung  und  Ausübung  einer 
messenden  Astronomie  außer  allem  Zweifel  steht,  um  wieviel  weniger 
darf  man  solche  Kenntnis  den  Ägyptern  zumuten,  bei  denen  (wenig- 
stens nach  den  bis  jetzt  gefundenen  Denkmälern)  keine  Spur  eines 
astronomischen  Messens  sich  vorfindet. 

Die  geringe  Entwicklung  der  Astronomie,  die  wir  also  gegenwärtig 


154  II.  Kapitel.     Zi'itrochiiuug  der  Ägypter. 

noch  für  das  alte  Agj^pten  voraussetzen  müssen,  hat  aber  auch  eine  Kon- 
sequenz für  den  Stand  des  Zeitrechnungswesens.  Die  Annahme,  die  man 
gemacht  hat,  wird  nicht  gerechtfertigt,  daß  in  Ägypten  mehrere  Jahr- 
formen gleichzeitig  nebeneinander  gehandhabt  worden  seien  (nach 
Lauth,  Kiel,  Brugsch  vier-  und  mehrerlei  Jahresarten).  Ein  solcher 
Zustand  der  Zeitrechnung  würde,  um  Verwirrungen  zu  vermeiden, 
eine  entsprechende  verläßliche  astronomische  Kontrolle  der  Jahres- 
gattungen notwendig  gemacht  haben,  und  eine  solche  konnten  die 
ägyptischen  Priester  nach  dem ,  was  hier  auseinandergesetzt  worden 
ist,  schwerlich  ausüben. 


§  32.    Der  Nil  in  seiner  Beziehung  zur  ägyptischen  Zeitrechnung. 

In  der  Jetztzeit  beginnt  das  Steigen  des  Nilwassers  an  der  Süd- 
grenze Ägyptens  in  der  letzten  Woche  des  Juni,  mehrere  Tage  (3 — 9 
Tage)  nach  dem  Sommersolstitium.  In  Kairo  bemerkt  man  das  An- 
wachsen des  Stroms  in  der  ersten  Juliwoche.  Nach  etwa  7  Tagen 
nimmt  das  Ansteigen  schneller  zu,  und  gegen  Mitte  August  hat  der 
Nil  zwei  Dritteile  der  Differenz  zwischen  Maximum  und  Minimum 
erreicht.  Dann  beginnt  auch  der  Durchstich  der  Dämme  zur  Be- 
wässerung des  Landes.  Das  Maximum  der  Niltlut  tritt  ungefähr 
zwischen  dem  20.  bis  30.  September  ein,  und  die  Fluthöhe  bleibt  bis 
Anfang  November  ziemlich  dieselbe,  dann  fällt  das  Wasser  rasch  bis 
Mitte  November  etwa  auf  die  Hälfte  seiner  Höhe  ab,  hierauf  folgt 
langsames  Zurücktreten,  so  daß  um  Ende  Mai  der  Nil  wieder  seinen 
tiefsten  Stand  erreicht  hat.  Die  Aussaat  der  Frucht  in  den  Nil- 
schlamm erfolgt  dementsprechend  im  November,  die  Erntezeit  ist 
März -April  in  Oberägypten,  für  die  nördlicheren  Gegenden  Aussaat 
und  Ernte  später,  Ende  November  resp.  Ende  Mai.  Je  nach  den 
meteorologischen  Jahresverhältnissen  in  den  abessinischen  Gebirgen 
finden  in  diesem  regelmäßigen  Abwechseln  zwischen  Überschwemmungs- 
und  trockener  Zeit  zeitweilige  Verfrühungen  oder  Verspätungen  statt, 
begleitet  oft  von  beträchtlichen  Verschiedenheiten  in  den  Maxima  der 
jährlichen  Fluthöhen. 

Diesen  angedeuteten  Verhältnissen  gemäß  lassen  die  klassischen 
Schriftsteller  das  x^inwachsen  des  Nil  meist  um  die  Zeit  der  Sonnen- 
wende beginnen:  Heroüot  II  19  und  Diojjok  I  36  and  twv  tqottwv^ 
Heliüdok  IX  9  zaTa  rag  rgoncig ,  iVMMiANrs  XXII  15  cum  sol  per 
cancri  sidus  coeperit  vehi,  LrcAxrs  X  298  in  ipsis  solstitiis,  Akis'ikidks 
im  löyog  yllyCnzioq  (Dind.  II  462)  voonalg  t^egivalg  /)  öXiyo)  ßfjaövr^Qov. 
Das  schnellste  Steigen  setzen  sie  in  das  Zeichen  des  Löwen  (Juli- 
August):  LucANus  X  233,  Plinius  XVIII  162.  Plvt.  Is.  38  u.  a.     Die 


V?  32.     ])(,'r  \il  in  seiner  Ik'ziehmi^^  zur  ägy)itischon  Zcitrccliniing.  155 

größte  Höhe  hat  der  Nil  nach  Hekodot  und  Diodor  am  100.  Tage,  zur 
Zeit  der  Herbst-Tag-  und  -Xachtgleiche. 

Bei  der  großen  Wichtigkeit,  welche  der  Nil  für  Ägypten  hat,  ist 
es  selbstverständlich,  daß  die  Hauptabschnitte  der  Überschwemmung 
von  alters  her  durch  Feste  gefeiert  worden  sind.  Im  koptisch- 
arabischen Kalender  haben  sich  solche  Feste  und  eine  Reihe  von 
Niltagen  erhalten,  die  wir  bei  der  Zeitrechnung  der  koptischen  Christen 
kennen  lernen  werden.  Hier  seien  nur  folgende  hervorgehoben:  „die 
Nacht  des  Tropfens"  {Iclet-eii-nuqtah),  welche  die  Überschwemmung 
einleitet,  wird  auf  den  11.  Paijni  (5.  Juni  jul.)  gesetzt,  das  Anwachsen 
des  Nil  3  Tage  nach  dem  Sommersolstiz  18.  Faijni  (12.  Juni),  die 
öffentliche  Verkündigung  des  Nilstandes  auf  den  26.  Pai/ni  (20.  Juni), 
das  Fest  der  ., Vermählung  des  Nil"  auf  den  18.  Mesori  (11.  August 
jul.).  In  den  Inschriften  von  Silsüis,  die  aus  der  Zeit  Bmnses  IL 
\müRamsesin.{V^.mi([  12.Jalirh.  v.  Chr.)  herrühren,  finden  sich  zwei  Nil- 
feste auf  den  Ib.  Thoth  und  Ih.  Epiphl  angesetzt,  welche  nach  m\ 
RoroE  die  Ankunft  des  Nilwassers  in  SUsilis  und  die  Zeit  des  tiefsten 
Wasserstandes  markieren.  Der  15.  Thoth  entspricht  im  alexandrinischen 
Jahre  dem  12.  September,  der  15.  Eplphl  dem  9.  Juli,  und  beide 
Daten  liegen  um  10  Monate  auseinander.  Da  wir  das  Anwachsen 
des  Nil  aber  gegen  Ende  Juni  oder  Anfang  Juli  gefunden  haben,  so 
würde  es  sich  in  den  Inschriften  um  eine  bedeutende  Abweichung 
gegen  die  gewöhnlichen  Annahmen  handeln.  Gehen  wir  jedoch  in  die 
alte  Zeit,  etwa  auf  3500  v.  Chr.  zurück,  so  finden  wir,  daß  damals 
das  Sommersolstiz  und  der  heliakische  Siriusaufgang  ziemlich  auf  ein 
und  denselben  Tag,  den  20.  Juli  (vgl.  §  40)  fielen.  Der  1.  Thoth  des 
Siriusjahres  begann  mit  letzterem  Tage,  also  lag  der  15.  Thoth  bereits 
im  August.  Im  13.  Jahrh.  v.  Chr.  war  dagegen  das  Sommersolstiz 
am  1.  Juli  und  also  gegen  den  Beginn  des  Siriusjahres  (da  der  helia- 
kische Siriusaufgang  ungefähr  auf  dem  19. — 20.  Juli  haften  blieb) 
schon  um  fast  3  Wochen  verschieden.  Da  man  den  Anfang  der 
Überschwemmung  mit  dem  heliakischen  Siriusaufgauge  zu  verbinden 
gewohnt  war,  aus  der  Zeit,  wo  noch  mit  ihm  das  Solstitium  zusammen- 
fiel, so  setzte  man  aus  alter  Gewohnheit  das  Fest  der  Verkündigung 
des  Nils  wie  ehemals  auf  den  15.  Thoth. 

Die  Notwendigkeit,  die  Bebauung  des  Landes  und  die  Ernte  der 
Zeit  nach  zu  regeln,  und  also  auch  nebenbei  die  Naturfeste  der  an- 
gedeuteten Art,  die  die  einzelnen  Überschwemmungsabschnitte  markieren, 
zur  richtigen  Zeit  zu  feiern,  führte  jedenfalls  schon  in  sehr  früher 
Zeit  aus  der  Beobachtung  des  Nil  zu  der  Erkenntnis  der  ungefähren 
Länge  des  Jahres,  und  zwar  des  Sonnenjahres,  da  nur  innerhalb  eines 
solchen  die  Nilerscheinungen  sich  regelmäßig  wiederholen.  Ein  Mond- 
jahr, wenn  es  in  Ägypten  überhaupt  gebraucht  worden  ist,  müßte  in 


156  II.  Kapitel.    Zeitreohnune:  der  Ägypter. 

die  ältesten  Zeiten,  wo  das  Land  noch  wenig  kultiviert  war  und 
man  noch  keiner  Ordnung  der  Zeit  nach  der  Sonne  bedurfte,  zurück- 
reichen und  müßte  wohl  aucli  bald  wieder  verlassen  worden  sein. 
Die  Nilüberschwemmungeu  führten  aber  nicht  bloß  zur  Erkenntnis 
des  Sonnenjahres ,  sondern  auch  zur  i^ufstellung  der  Tetramenien  des 
Jahres,  wie  wir  sogleich  sehen  werden. 


§  33.    Mouate,  Jahreszeiten,  veränderte  Bedentung  der  Zeichen 

der  letzteren. 

Die  12  Monate  hatten  möglicherweise  ursprünglich  keine  eigenen 
Namen,  sondern  wurden  bloß  nach  der  Ordnungszahl  benannt.  Mit 
der  Ausbildung  der  ägj^ptischen  Mythologie  erhielt  jeder  Monat  seinen 
Namen  nach  einer  Gottheit,  deren  Fest  in  ihn  fiel.  Darstellungen 
der  ägyptischen  Monatsgottheiten  finden  sich  hie  und  da  auf  den 
Denkmälern.  Aus  den  Namen  dieser  Götter  und  den  Namen  ihrer 
Feste  lassen  sich  so  ziemlich  alle  Monatsnamen  ableiten.  Champollion 
und  Mure  waren  die  ersten,  die  die  Monatsgötter  mit  den  Monaten 
in  Verbindung  gebracht  haben;  der  erstere  fand  die  Darstellungen 
in  den  Tempeln  zu  T/tehen  und  Edfu  auf,  der  andere  versuchte 
die  Erklärung  der  Namen  der  Monate  \  In  der  älteren  Zeit  scheinen 
die  Monatsnamen  mehrfach  gewechselt  zu  haben ;  vielleicht  ist  die  Zu- 
teilung der  Götter  in  den  einzelnen  Teilen  Ägyptens  eine  ver- 
schiedene und  in  der  älteren  Zeit  schwankende  gewesen.  Es  traten  an 
die  Stelle  der  alten  Monatsgötter  im  Laufe  der  Zeit  eben  andere, 
bekanntere.  Im  folgenden  gebe  ich  die  hieroglyphischen  Zeichen,  die 
koptischen  Namen  der  Monate,  nämlich  die  boheirischen  (unter- 
ägyptischen) und  sahidischen  (oberägyptischen),  daneben  die  Monats- 
Schutzgötter  und  die  Ableitung  der  Monatsnamen. 

Zeichen  Name  boheirisch  Patrone 

und  sahidisch 

1.  "T  m  §  =  Thoth  •-•    I  ^' """''"     (^''''',  "/t '""  '"■  ^"'""' 

ii^i  ^  I  g  oooyv  ^t.y^  l     und  Techi. 

(Ptah.   Der  Name  bedeutet 
^     /^-x^^^Q    _    p,         j.       (1).  ncvoni  J      ^der  von  (^e  (Karnak)^ 

-      W    ^m,^   -   inaop/ll       I  g_  „^^„,   „oo„J     AndereBezeichnungMeu- 


A     Andere 
[     chet. 


1)  Salvolini,  Des  princip.  expressions  qui  servent  ä  la  notation  des  dates  sur 
les  monuments  de  l'anc.  Efiypte,  Paris  1833.  —  Murk,  A  dissertation  on  tlie  aalender 
and  zodiac  of  anc.  Egypt.,  Edinburg  1832. 

2)  Über  die  Etymologie  mehrerer  Monatsnamen  s.  Erman,  Monatsnamen  aus 
dem  neuen  lieich  {Zeitsclir.  f.  ü(jypt.  Spr.,  XXXIX,  1901,  129).  —  Über  die  Ver- 
änderungen in  der  Zuteilung  der  Monatsgötter  s.  Wiedkmann,  Zu  den  ägypt. 
Monatsnamen  {Orient.  Lüer.-Zeüg.,  VI,  1903,  S.  1). 


§  33.    Moiiiite,  Jahreszeiten,  veränderte  IJeileutung  der  Zeielien  der  letzteren.      lo  t 


Zeichen 


Name 


boheirisch 
und  sahidisch 


Patrone 


3.      III 


llll 


§  =  Ath 


in' 


o  _ 


III 


II 


0.      I 

10.  'TT 

11.  11? 

12.  lTiT 


AA/'-^'^A 

AA./\A/\A 


AAAAAA 


CllOKth' 

=  Mi'chir 
=  PhamcnotJi 

=  Pliannuthl 

=■  Pachoit 
=  Payn'i 
■-=  Epiplii 
=  Mesorl 


iHatlior,    nach  welcher  der 
\     Name. 


s.  oö.-iiuy> 

b.  x*^'*-*^  f Sechemet.     Der  Name    von 

S.  K!e.2^KXOie-e«''^     ^^^  '^^SyP^-  Ke-hi-ke. 

b.  ruifii 


s.  xiujip 
b.  f^üvjuienui^ 

pejuio6.-rn 

b.  (^».pAioy-ei 
S.  nei.pju.uyxe 

b.  n*.^uin 
S.  n&.u3onc 

b.  iiikUini 
S.  nÄ.iuuenA.*.nH 

b.  eiiHTi 
s.  enen 

b.  AAecaipH 
S.  JuecmpH 


(Andere  Bezeichnung  ScJief- 
\     fcoie  und, Fahrt  der  Mut". 

{Dargestellt  durch  einen 
Schakal  od.  ein  Nilpferd. 
Ägypt.  Name  Pen-pe- 
mechir  („der  deB  Mechir"). 

[Dargestellt  wie  Mechir.  Der 
,  Name  bedeutet  ,Der  des 
l     Königs  Amenophis'^ . 

(Göttin  Benenntet,  nach  der 
i     der  Name. 

fChonsu,  nach  dem  der 
i     Name. 

fHar-chent-echtai.  Der  Name 
bedeutet  wohl    „der   des 
Tales"    (nach  dem  „Fest 
[    des  Tales"). 
/  Göttin  i^jeiC?).  Alter  ägypt. 
I,    Name  epep. 
Be-har- achte.      Der    Name 
bedeutet      .Geburt     des 
J^e".     Andere  Bez.    „das 
Leben  des  Horus". 


Die  griechischen  Namen  der  Monate,  die  bei  den  Klassikern  vor- 
kommen, decken  sich  fast  mit  den  eben  angeführten  boheirischen 
Xamen.    Es  sind  fokende: 


1.  Qa>& 

2.  fpatoffji  [<^lia(jü(ft) 

3.  'Ad-vo 

4.  Xoiax 

5.  Tvßi  [Tvßi) 

6.  Me/io 


7.  (Pa^svuid 

8.  ^liccQfjLOV&i  {(Pagfioi&i) 

9.  flaycöv 

10.  riavvi  [riaivi) 

11.  Emcpi  ['Eni(f) 

12.  MwMgi  [MsGoor] 


Die   boheirische  Aussprache   der  Monatsnamen   ist,   da   sich   auch  die 
Eegiernng  derselben  bediente,  die  im  Lande  hauptsächlich  herrschende 


158  II.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 

geworden.  Viele  Dialektformen  der  gTiechischen  Namen  sind  auf  den 
ägyptischen  Ostraka  ersichtlich  (den  Topf scherben ,  auf  denen  all- 
gemein die  Quittungen  über  Geldbeträge,  Steuerzahlungen,  Natural- 
lieferungen  u.  dgl.  geschrieben  wurden).  Die  bemerkenswertesten 
dieser  Varianten  sind  nach  U.  Wilcken  {Griechische  Ostraka  aus 
Ägypten  ii.  Nuhien,  1899,  I  807  ff.)  folgende: 

1.  Thoth.    6mv&  oder  Gcüvr  in  der  Ptolemäerzeit ;  in  der  Kaiser- 
zeit 0üi&  oder  GwT ;  selten  ist  &iÖvt. 

2.  Phaophi.      ^iabJcfi    allgemein    üblich;    ausnahmsweise    Ilawm, 

3.  Äthyr.    'Ad-ig  übliche  Form. 

4.  Choiak.    Xoiax  oder  Xoiay\  beide  Formen  kommen  vor. 

5.  Tyhi.     Tvßt  übliche  Form;  selten  Tvßs,  Tvßu. 

6.  Mechir.     Ms^ig  oder  Mix^ig. 

7.  Phamenoth,     (lia^evcuß   übliche  Form;  vereinzelt  'PajusvboT. 

8.  Fharmuthi.     <Pagfiov&i  übliche  Form;  vereinzelt  (liagjnovri. 

9.  Fachon.     na^ojv  übliche  Form;  ältere  Uaxt^vg. 

10.  Payni.     IJavi/c  übliche  Form;  auch  Ilaolvi,  Ilavvr]  und  ITaovi. 

11.  Epiphi.    'Eni(f  o^Q,Y'Emicf>]  a^ndere:  'EcfsiTi,  Ecfsicp^^EndTi/ETtin. 

12.  Mesori.     Meaogi]  übliche  Form;  Msüog)]i,  Ähaugr/,  Msoovg)]. 

Auf  den  Ostraka  der  Kaiserzeit  und  in  manchen  Papyri  kommen 
Monatsnamen  vor,  die  zum  Gedächtnis  der  römischen  Kaiser  oder  der 
Mitglieder  dieser  Herrscherfamilien  gebildet  worden  sind;  sie  werden 
teils  allein  genant,  teils  neben  den  entsprechenden  makedonischen  oder 
ägyptischen  Namen.  Auf  den  Ostraka  aus  der  Ptolemäerzeit  kommen 
die  makedonischen  Monate  nicht  vor.  Die  Monatsnamen,  die  bisher 
gefunden  wurden  und  von  denen  nur  ein  Teil  mit  den  ägyptischen 
Namen  identifiziert  werden  konnte,  sind  folgende: 

:^aßuor6q  =  Thoth. 

Niog  ^sßaoTog  =  Äthyr. 

'^öoiavoq  =   ChoinJx. 

Eegfiaviy.eiog  '    =  Pachon. 

Kaiödgsiog  =  Mesori. 

^MTiigtog  = 

Negwreiog  = 

NegaivHog  ^sßaßTog  — 
Otoyivaiog  — 

/JgovGievg  = 

/JouiTiavog  = 

^eßaöTog  Eiosßsiog    - 


§  33.    Monate,  Jaliroszeiten,  veränderte  Bedeutung  der  Zeichen  der  letzteren.      159 

Aus  den  vorher  angegebenen  hieroglyphischen  Zeichen  der  .^^onate 
ist  ersichtlich,  daß  je  4  ]\Ionaten  ein  und  dasselbe  Zeichen  zukommt, 
und    zwar    ,TH}I    den   Monaten    Thoth,   Fhaopid,   Ät/njr  und  Choiak, 


dem  Tijhl ,  Mcchir,  Phamenoth  und  Phannuthi,  und  ^^  dem 
Fachon,  Pai/ni,  Ep'iphl  und  Mi'soyi-^  die  Ordnung  der  AEonate  wird 
durch  den  Zusatz  des  Zeichens  für  erster,  zweiter,  dritter,  vierter 
ausgedrückt.  Diese  Zusammenfassung  von  je  vier  Monaten  (Tetramenie) 
unter  einem  Zeichen  führt  auf  die  ursprüngliche  Dreiteilung  des  Jahres 
nach  Jahreszeiten.     Und  zwar  sind  dieselben  folgende: 

§  echet,    die   Überschwemmungszeit,    mit    den   Monaten    Thoth, 
Phaophi,  Athijr,  Cho'iah: 

2')'öjef,  der  Winter,  die  Saatzeit,  mit  den  Monaten  Tijhl,  Me- 
ch'ir,  Phamenoth,  Pharmuthi; 


c^ 


C3C3  schömii,  der  Sommer,  die  Erntezeit,  mit  den  Monaten  Pachon, 
^^^^^^^       Payn'i,  Epiphl,  Mesori. 

DiüDüß  Sic.  (I,  11.  12.  16)  kennt  schon  diese  Dreiteilung  bei  den 
Ägyptern,  er  führt  sie  in  der  Ordnung  Frühling,  Sommer,  Winter 
an  und  legt  jedem  Jahresabschnitt  vier  Monate  bei.  In  der  Tat 
mußte,  wie  wir  in  §  32  gesehen  haben,  aus  dem  Verhalten  des 
Nilfiusses  in  Ägypten  schon  frühe  die  Annahme  einer  Überschwemmungs- 
zeit, einer  Zeit  der  Aussaat  und  einer  Zeit  der  Ernte  gemacht,  also 
eine  Dreiteilung  des  Jahres  aufgestellt  werden.  Die  vorher  ange- 
führten hieroglyphischen  Bezeichnungen  der  Monate  finden  sich  daher 
schon  in  alter  Zeit  vor;  in  der  noch  älteren  weisen  Spuren  (z.  B.  auf 
dem  Annalenbruchstück  von  Palermo)  darauf  hin,  daß  man  die 
12  Monate  fortlaufend  gezählt  hat. 

Da  wir  für  die  Ägypter  der  alten  Zeit  annehmen  müssen,  daß 
sie  mit  einem  Wandeljahre  von  365  Tagen  gerechnet  haben ,  so  ver- 
schob sich  ein  solches  Jahr  allmählich  gegen  die  Jahreszeiten;  denn 
bei  Nichtberücksichtigung  des  überschüssigen  Vierteltages  (des  festen 
Jahres  von  365^/^  Tagen)  waren  die  Ägypter  in  500  Jahren  um  etwa 
4  Monate  gegen  die  Wiederkehr  der  Jahreszeiten  zurück.  Wenn  man 
also  in  der  alten  Zeit  das  Jahr  gleich  nach  dem  Sommersolstiz ,  mit 
der  Überschwemmungszeit  anfing,  reichte  die  Wasserjahreszeit  vom 
1.  Thoth  bis  1.  Tijhi,  verschob  sich  aber  ein  halbes  Jahrtausend  später 
so  weit,  daß  dann  der  1.  Tijhl  den  Beginn  der  Wasserzeit  machte, 
und  endlich  auch  der  1.  Pachon,  wie  es  aus  nachstehendem  Schema 
hervorgeht: 


160  II.  Kapitel.     Zcitrecliiiung  der  Ä;^y))ter. 

Wiisserzeit:  Früliling:  Erutezeit: 

18.  Jh.  V.Chr.  [Zeit  der  15.  Dynaslie]   Pachon-Mesori,    Thoth-Choiak,       Tyhi-Pharmuthi, 
18.    ^       ,        [  ^  liamses IL, 19. Dju.\  T/iotJi-Choiak^       Tybi-PiKtrmuthi,  I'achon-Mesori, 
8.    ,       ,        [„     der  25.  Dynastie]    T//bi-F/iarimithi,  Pachon-Mesori,    Tlioth-CItoiak, 
3.    ,       „        [  ,     der  Ptolemäer]        Pachoit-Mcsori,    Thoth-Clioiak,       Tijhi-Pharmuthi. 

Daß  an  der  Dreiteilung-  des  Jahres  auch  in  der  Praxis  festgehalten 
wurde,  beweisen  einzelne  Feste,  die  man  beim  Beginn  der  drei  Jahres- 
zeiten feierte.  Diese  Feste  sind  in  den  Inschriften  deutlich  g^etrennt 
von  jenen,  die  sich  auf  astronomische  Verhältnisse  beziehen.  Der 
Beginn  der  Jahreszeiten  wird  in  den  Inschriften  öfters  als  „Kopf" 
oder  „Anfang-"  der  Jahreszeit  markiert'. 


§  34.    Tageseinteiluug  und  Tagesanfang. 

Soweit  aus  einzelnen  Denkmälern  ersichtlich,  wurde  der  Tag 
{Jiorw)  in  24  Teile,  nämlich  12  Tag-  und  12  Nachtstunden  ge- 
teilt. Es  sind  also  augenscheinlich  horae  temporales,  ungleich  lange 
Stunden,  gemeint.  Die  Tagesstunden  erscheinen  durch  Göttinnen 
repräsentiert,  welche  die  Sonnenscheibe  O  über  dem  Kopfe  tragen, 
die  Nachtstunden  als  Göttinnen  mit  dem  i< .  Die  Stunden  werden 
gewöhnlich  nach  der  Ordnungszahl,  als  erste,  zweite  u.  s.  w.  des  Tags 
oder  der  Nacht  angegeben.  Außerdem  haben  aber  die  Stunden  besondere 
Namen,  mit  Abweichungen  in  den  älteren  und  jüngeren  Texten.  Die 
Kenntnis  dieser  Namen  ist  von  Wichtigkeit,  da  ohne  die  Namen  der 
Stundengöttinnen  manche  Texte  unverständlich  bleiben.  (Vgl.  das 
Namenverzeichnis  bei  BKr(i8CH,  Thesaur.  Inscript.  Aegijpt..  1883,  II, 
S.  843,  und  in  Beziehung  auf  jüngere  Namen  die  Angaben  von 
DüMicHEN,  Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.,  III,  1865,  S.  1—4.)  Über  die  Art 
der  Unterabteilung   der  Stunden   und   die  Benennung  dieser  Teile  ist 


1)  Dem  kundif^en  Leser,  welcher  mit  dem  ägyptischen  kalendariographischen 
Material  vertraut  ist,  wird  nicht  entgeheu,  daß  ich  von  den  Umschreibungen  der 
ägyptischen  Namen,  sowie  von  den  Übersetzungen  der  Inschriften,  welche  Biuigscii 
in  seinen  Arbeiten  und  namentlich  in  seinem  Thesaurus  Inscript.  Aegypt.  uns  in 
reichster  Fülle  dargeboten  hat,  verhältnismäßig  nur  wenig  anführe.  Ich  hatte 
zwar  dieses  Material  gesammelt  und  auch  schon  in  den  §§  38 — 38  der  obigen  Dar- 
.stcUungeu  verarbeitet.  Allein  die  BKUGSCuschen  Deutungen  unterliegen  vom  Stand- 
punkte der  heutigen  Ägyptologie  aus  mancherlei  Bedenken  und  schließen  häufig 
Unsicherheiten  in  sich,  so  daß'  ich  es  schließlich  für  richtiger  erachtete,  nur  davon 
das  Haltbarste  zu  zitieren,  um  der  Gefahr  zu  begegnen  (die  für  alle  naheliegt,  die 
sich  mit  der  Sache  weniger  beschäftigt  haben),  daß  jene  Resultate  als  etwas  Fest- 
stehendes betrachtet  und  Schlüsse  darauf  gegründet  werden  könnten.  In  Hinblick 
nuf  die  Wichtigkeit  jenes  Materials  wäre  es  sehr  an  der  Zeit,  wenn  durch  einen 
mit  dem  Gegen-stande  vertrauten  Ägyptologen  der  Versuch  einer  neuen  sprach- 
lichen und  textlichen  Bearbeitung  des  kalendarischen  Inschriftenstoff'es  gemacht 
^Verden  würde. 


§  34.     Taffeseiiiteilunf,'  und  Taf.'-esjinfan'r.  161 

nicht  viel  Sicheres  bekannt.  Auf  einem  Pylone  von  Kamak  lieilJen 
in  einer  Inschrift  die  Stunden  totnt,  die  kleineren  an  sie  gereihten 
Zeitabschnitte  werden  nf.  hat,  K/it,  genannt.  Es  wäre  voreilig,  in 
diesen  Bezeichnungen  dünnten,  Sekunden,  und  gar  Tertien  sehen  zu 
wollen,  da  vielleicht  nur  das  Bestreben  ausgedrückt  werden  soll,  die 
Aufzählung  von  Zeiten  durch  das  Anhängen  üblicher  Ausdrücke  über- 
haupt zu  verlängern,  ohne  daß  der  ^'erfasser  damit  genau  abgegrenzte 
Zeitbegriffe  meint.  Etwas  ganz  Ähnliches  finden  wir  bei  der  in  §  38  b) 
angeführten  Periode  für  die  Verlängerung  dieser  Eeihe  nach  oben. 

Was  die  Frage  anbelangt,  in  welche  Tageszeit  die  Ägypter  den 
Anfang  des  Tages  setzten,  so  vereinen  sich  die  Mehrzahl  der 
Zeugnisse  auf  den  Morgen.  Die  nachstehende  Stelle  aus  einer  Inschrift 
auf  der  Decke  im  Tempel  Bamses  IL  zu  Theben,  welche  Bkugsch^ 
zitiert,  ist  allerdings  weniger  entscheidend:  „Er  läßt  dich  (den  König) 
strahlen  wie  Isis-Sothis  am  Himmel  am  Morgen  des  Neujahres". 
Beügsch  glaubte  hier  „Morgen"-  durch  „die  elfte  Nachtstunde"  defi- 
nieren zu  sollen,  in  Hinblick  auf  Theon  {Schol.  ad  Arati  Phaen.  v.  152): 
„Der  Aufgang  des  Hundesterns  findet  um  die  elfte  (Nacht-)Stunde 
statt,  und  sie  (die  Ägypter)  fangen  damit  das  Jahr  an  und  meinen,  daß 
der  Hundestern  und  sein  Aufgang  der  Göttin  Isis  geweiht  sei"  -.  Wir 
wollen  von  einer  genaueren  Zeitangabe  in  den  beiden  zitierten  Stellen 
absehen  und  nur  annehmen,  daß  der  Neujahrstag  am  Morgen,  mit  dem 
Sichtbarwerden  des  Sirius  in  der  Dämmerung,  begonnen  worden  ist. 
Setzen  wir  die  Zeit  Bamses  II,  der  die  obige  Inschrift  angehört,  auf  un- 
gefähr 1300  V.  Chr.-'  und  den  Anfang  des  Sothisjahres  auf  den  20.  Juli 
(obwohl  für  Theben  der  heliakische  Aufgang  des  Sirius  um  4  Tage 
früher  fällt,  s.  §  39),  und  ermitteln  wir  für  1300  v.  Chr.,  20.  Juli  den 
Auf-  und  Untergang  der  Sonne  und  den  Aufgang  des  Sirius*,  so  resultiert 
für  den  Aufgang  der  Sonne  ungefähr  die  Zeit  5''  S'"  mittlere  Zeit 
morgens  für  Theben,  für  den  Sirius  3^48™;  die  Sonne  ging  den  Tag 
vorher  etwa  um  Q^  47™  abends  unter,  demnach  lief  die  11.  Nachtstunde, 
von  Sonnenuntergang  aus  gerechnet,  von  3"^  25™  bis  4'^  l?'"  morgens, 
und  der  Aufgang  des  Sirius  fällt  in  der  Tat  also  in  diese  elfte  Nacht- 
stunde.   Zugleich  erhellt  daraus,  daß  der  Neujahrstag  nicht  genau  mit 


1)  Brlgsch,  Thesaur.  Inscr.,  1,  S.  89. 

2)  'H  rov  Kvvbg  iTtiroli]  xatu  ivStv-ätriv  mgav  cpccivtrai.  kuI  tccvti]v  Ctp;f^v 
iTovg  riQ'ivtai  Kcd  t/}s  "Iciöog  itgov  eivat.  top  v.vva  XiyovGi,  v.al  ri]v  i-xirolr^v  ainoi). 

3)  Ramses  IL  wird  gegenwärtig  etwa  in  die  Zeit  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jahrh.  bis  zum  ersten  A^iertel  des  14.  Jahrh.  gesetzt. 

4)  Position  des  Sirius  1300  v.  Chr.  AR  =  4h  20™,  D  =  —  17^^  45'  (s.  Taf.  I 
am  Schluß  d.  Bandes),  der  Sonne  (mit  Hilfe  von  Necgebauers  Sonnentafeln, 
s.  Einleitg.  S.  54)  a  =  7h  3,4m,  s  =  +  23">  3,2'.  Halber  Tagbogen  des  Sirius 
5h  24m  für  die  Breite  von  Theben  (25"  45'  n,  Br.),  halber  Tagbogen  der  Sonne 
6I1  öO^i   Zeitgleichung  — 1,9". 

Ginzel,  Chronologie  I.  11 


162  11.  Ka]>itel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

dem  Momente  des  Sonnenaufgangs,  sondern  mit  der  Morgendämmerung 
überhaupt  begonnen  wurde  (hier  wohl  etwa  eine  Stunde  vor  Sonnen- 
aufgang), und  in  derselben  Weise  werden  auch  die  übrigen  Jahrestage 
von  der  Morgendämmerung  an  gerechnet  worden  sein.  Lepsius  hat 
aus  dem  wenigen,  was  über  den  Tagesanfang  aus  den  Denkmälern  bis 
zu  seiner  Zeit  (Chronol.  d.Ägypt.,  1849,  I  130)  bekannt  war,  mit  Recht 
auf  den  Tagesbeginn  mit  Morgen  geschlossen,  und  Idelee  (I  100)  war 
viel  früher  durch  die  Angaben  von  Ptolemäus  im  AJmngest  schon  zu 
demselben  Schlüsse  gekommen. 

Die  letzteren  Stellen  bei  Ptolemäus,  die  hier  sehr  ins  Gewicht 
fallen ,  haben  besonders  von  A.  Böckh  ihre  kritische  Würdigung  er- 
fahren i.  Ptolemäus  gibt  bei  den  Beobachtungen,  die  in  der  Nacht 
gemacht  sind,  und  insbesondere  bei  den  nach  Mitternacht  ausgeführten, 
ein  doppeltägiges  Datum,  dagegen  niemals  bei  den  Tagbeobachtungen. 
Dieser  Zusatz  war  notwendig,  wenn  bei  den  in  der  Morgendämmerung 
angestellten  Beobachtungen  kein  Zweifel  darüber  bleiben  sollte,  welchem 
Tagesdatum  sie  angehörten,  denn  die  Zeit  der  Morgendämmerung 
konnte  sowohl  zum  Ende  des  abgelaufenen  Tages,  als  auch  als  Anfang 
des  beginnenden  gerechnet  werden,  wodurch  bei  einer  nicht  deutlichen 
Bezeichnung  ein  Zweifel  entstehen  konnte,  an  welchem  Tage  die 
Beobachtungen  gemacht  wurden.  Eine  Merkurbeobachtung ,  die  z.  B. 
in  der  Morgendämmerung  des  1.  Januar  angestellt  ward,  konnte  im 
entsprechenden  alexandrinischen  Datum  dem  5.  oder  6.  T/jhi  angehören, 
je  nachdem  die  Dämmerung  an  das  Ende  des  5.  oder  den  Anfang  des 
G.  Tyhi  gelegt  wurde,  und  konnte  zu  dem  Mißverständnis  führen,  ob 
der  5.  oder  der  6.  Tyhi  der  Beobachtungstag  sei,  wenn  die  einen  die 
Dämmerung  zum  Ende  des  Tages,  die  anderen  zum  Anfang  des  Tages 
hinzurechneten ;  durch  die  Doppeldatierung  5/6.  Tyhi  d.  h.  vom  5.  zum 
G.  Tyhi,  aber  wurde  der  Zweifel  vermieden.  Solcher  entscheidender 
Doppeldatierungen  finden  sich  im  Almagcst  drei:  a)  Bei  der  Bestimmung 
der  Sommerwende  im  Jahre  463  vor  Alexanders  Tod  heißt  es-,  sie 
falle  „auf  den  11.  Mesori  nahe  2  Stunden  nach  der  Mitternacht  auf 
den  12.  Mesori'-^  11/12.  Mesori,  d.  h.  die  Bestimmung  gehört  noch 
zum  11.  Mesori;  b)  Hipparchs  Bestimmung  der  Frühlingsgieiche  im 
43.  Jahre  der  3.  Kailippischen  Periode-'  fällt  „auf  den  29.  Mechir, 
nach  der  Mitternacht  auf  den  30.;"  c)  ähnlich  die  Herbstgleiche  des 
32.  Jahres  der  3.  Kailippischen  Periode*  „auf  den  3.  Epagomenentag, 
in  der  Mitternacht,  die  zum  4.  führt".     Auch  zwei  andere  Stellen,  in 


1)  Üb.  die  vierjähr.  Sonnenkreise  der  Alten,  Berlin  1863,  S.  303  f. 

2)  Almag.  III  2  (1):    rfj  lcc  (11)  rov  MtaoQi  yitru  ß  (2)  wQccg  iyyvg  rov  sig  t)]v 

iß    (12)    fifffOWXT/oi'. 

3)  Almay.  III  2  (1):  rov  Mij(^\Q  rfj  ytO"  (29)  iitrcc  t6  utcorvartov  t6  tig  ti)v  X  (30). 

4)  Almag.  III  2  (1) :  rov  ri/g  tQlri]g  rcJav  inuyo^itvcov  tig  rljv  rtTccQzrjV  fif öovvxti'oi'. 


^  3L     Tageseinteilung'-  und  'J'iig('.s;inf;ing.  103 

welchen  zwar  nur  ein  Tag-  genannt  ist,  lassen  erkennen,  daß  das 
Datum  nicht  mit  der  Mitternacht  wechselte;  es  wird  jener  Tag  ge- 
nannt, welcher  der  erste  einer  Doppeldatiei-ung  sein  müßte,  wenn  eine 
solche  gebraucht  würde:  a)  Hitpakchs  beobachtete  Mondfinsternis  im 
55.  Jahre  der  2.  Kailippischen  Periode  ^  wird  auf  den  9.  Mcchir 
gesetzt,  obwohl  der  Beginn  der  Finsternis  erst  eine  halbe  Stunde  vor 
Mitternacht  eintrat,  und  der  Verlauf  sich  bis  in  den  Morgen  des 
10.  Mechlr  erstreckte;  b)  auch  die  andere  in  demselben  Jahre  von 
HipPAECH  beobachtete  ^Mondfinsternis  vom  5.  Mesori-  wird  noch  zum 
5.  Mesori  gerechnet,  obwohl  ihre  Mitte  bereits  2^3  Stunden  nach 
Mitternacht,  also  der  Verlauf  in  die  Morgendämmerung  zum  6.  Mesori 
fiel.  Ebenso  drückt  Ptolemäfs  die  Zeit  zweier  von  Timochaeis  in 
den  Morgenstunden  gemachter  Sternbedeckungs- Beobachtungen  durch 
Doppeldatierungen  aus  (Almag.  VII  3). 

HippAECH  und  nach  diesem  Ptolemäus  beginnen  also,  wo  es  sich 
um  Datierung  von  Beobachtungen'  handelt,  den  Tag  mit  dem  Morgen. 
Die  Eechnung  des  Tages  von  Mittag  ab,  die  sich  bei  Ptolemäus 
(Ahnag.  III  6)  auch  vorfindet,  hat  nur  rein  astronomische,  nicht 
chronologische  Gründe  für  sich,  und  ist  gerade  deshalb  in  den  Gebrauch 
der  Astronomen  übergegangen.  Die  nähere  Definition,  was  bei 
Ptolemäus  unter  „Morgen"  zu  verstehen  ist,  leitet  Böckh  aus  drei 
Stellen  des  Ahnagest  (IX  7,  8,  10)  ab,  wo  von  2  Merkurbeobachtungen 
und  der  zweiten  der  DioNTsischen  Beobachtungen  die  Rede  ist.  Die 
ersteren  sind  am  18.  EjjipM  resp.  18.  Phamenoth  E]g  triv  i&  (19.) 
oQifgov  (Morgendämmerung)  gemacht  und  werden  nachher  unter 
19.  Epiphi  resp.  19.  Phamenoth  angeführt.  Durch  diese  Doppel- 
datierung ist  ersichtlich,  daß  ögd-gog ,  die  Dämmerung,  die  Zeit  des 
Tagesanbruchs,  schon  zum  zweiten  Tage  der  Doppeldatierung,  zu  dem 
mit  dem  nächsten  Sonnenaufgang  beginnenden  Tage  hinübergezogen 
wird.  Man  kann  also  im  allgemeinen  annehmen,  daß  die  Ägypter 
den  Tag  mit  Tagesanbruch,  etwa  der  9.  Nachtstunde  (2^>  Morg.), 
spätestens  mit  der  11.  (4 — 5*^  Morg.)  begonnen  haben,  was  mit  dem 
früher  Gesagten  übereinstimmt.  Sie  rechneten  also  von  Dämmerung 
zu  Dämmerung.  Wenn  somit  vom  Morgen  des  1.  Thofh  die  Rede  ist, 
wird  die  den  Tag  1.  Thoth  einleitende  Morgendämmerung  gemeint, 
nicht  die  am  Schlüsse  dieses  Tages  wieder  eintretende,  den  Übergang 
zum   2.  Thoth   bildende  Dämmerung.  —  Übrigens  scheint   auch   aus 


1)  Almag.  IV  10.  Beginn  nach  5M3  Stunden  der  Nacht  =  23^  28m  mittlere 
Zeit  Alexandr. 

2)  Ahnag.  IV  10.  ,Und  zwar  war,  wie  er  [Hipparch]  sagt,  die  Mitte  der 
Finsternis  ungefähr  um  S'/,  Uhr",  d.  h.  2*1  lim  mittlere  Zeit  Alexandr.  (nach 
Mitternacht). 

11* 


164  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

Stellen  bei  Censoein  und  Hephaestion  liervorzug'elien  \  daß  die  Zeit 
um  Sonnenaufgang  die  Grenzscheide  der  Tage  bildete. 

Die  Bemerkung  von  Plixius  (bist.  nat.  II  79),  daß  die  Agj^pter 
und  HiPi'AKCH  den  Tag  mit  Mitternacht  begonnen  hätten,  bestätigt 
sich  also  schon  aus  dem  Almagest  in  keiner  Weise.  Es  gibt  aber 
noch  einige  Schriftsteller,  die  den  Tagesanfang  der  Ägypter  auf  den 
Abend  setzen,  so  Isidoe  (de  natura  rer.  1,  etym.  V  30):  dies  secundum 
Aegyptios  inchoat  ab  occasu  solis,  ähnlich  Seevius  (ad  Aeneis  V  738) 
und  Lydus  (de  mensibus  II  1,  vgl.  a.  Beda,  de  die,  und  de  temp. 
ratione);  allein  diese  Autoren  gehören  bereits  zu  den  späten  der 
Literatur  und  sind  von  keinem  Gewichte.  Eine  Stütze  für  sie  hat 
man  in  den  thebanischen  Stundentafeln  finden  wollen.  Diese  Tafeln 
geben  für  den  Anfang  und  die  Mitte  jeden  Monats  die  Nachtstunden 
(von  1  bis  12)  an,  um  welche  eine  bestimmte  Stellung  (Kulmination?-) 
gewisser  Sterne  zu  einander  eintritt.  Bei  jedem  ersten  Monatstage 
schreiben  sie:  „Thoth,  Anfang  der  Nacht,  Anfang  des  Jahres*', 
„FJu(02)hi,  Anfang  der  Nacht"  u.  s.  f. ;  sie  scheinen  also  den  Tag  mit 
Sonnenuntergang  zu  beginnen  und  rechnen  die  erste  Nachtstunde  von 
letzterem  an.  Allein  dies  ist  kein  Argument  dafür,  daß  der  Tag 
selbst  mit  dem  Abend  begonnen  worden  sei,  da  die  Nachtstunden 
ebenso  wie  die  Tagstunden  als  etwas  von  einander  Unabhängiges 
laufen,  jene  von  Sonnenuntergang,  diese  von  Sonnenaufgang.  Über- 
dies findet  sich  bei  den  Tagen  in  der  Mitte  jedes  Monats  die  be- 
merkenswerte Schreibung  ,,Thoth  16 — 15",  „Phaophi  16 — 15"  u.  s.  w. 

Zwischen    den    Zahlen    16,    15    steht    das    Zeichen   ^ ..     Beugsch 

{Materiaux,  S.  106)  hat  in  diesem  Zeichen  den  Ausdruck  „entsprechend" 
oder  „gleich"  gesehen  und  eine  Gleichung  zwischen  zwei  verschiedenen 
Datierungs weisen  (einem  „heiligen"  Jahre  und  einem  bürgerlichen) 
angenommen.  Die  Bedeutung  des  Zeichens  ist  aber  gegenwärtig  keines- 
wegs klar  gestellt.  Diese  Datierungsform  spricht  für  den  Morgen  als 
Tagesbeginn  und  scheint  in  demselben  Sinne  wie  die  PTOLEMÄischen 
Doppeldatierungen  aufgefaßt  werden  zu  müssen.  Die  Tafeln  wollen 
nämlich  angeben,  daß  in  der  ersten  Monatshälfte,  vom  1.  bis  15.,  und  zwar 
einschließlich  der  ganzen  Nacht  des  15.,  also  bis  zum  Morgen  am  Ende 
dieses  Tages,  diese  und  diese  Stellungen  von  Sternen  in  den  einzelnen 
Nachtstunden  stattfinden,  daß  aber  von  da  ab,  d.  h.  vom  beginnenden 
16.  (Ende  des  15.),  vom  Tagesanbruch  ab  bis  zu  Ende  des  Monats  eine 
veränderte  Stellung   der  Sterne  Platz  greift,   daß  also  (wenn  Kulmi- 


1)  BüCKH,  a.  a.  0.,  S.  308—310. 

2)  8.  ScHACK-ScHACKENJsuRG  {Ägyptol.  Studien,  I,  No.  2,  Leipzig  1902),  welcher 
in  den  Stundentafeln  bestimmte  Sternkidminatiouen  sieht,  die  mittelst  eines  Appa- 
rates zur  Zeitbestimmung  benützt  worden  seien. 


§  35.    Dekiidcn  (Woelifii;  iin.l  Doksine.  165 

nationen  gemeint  sind)  neue  Sterne  an  Stelle  der  früheren  (infolge 
der  merklich  gewordenen  Verschiebung  des  Sterntages  gegen  den 
Sonnentag)  eintreten. 


§  35.    Dekaden  (Wochen)  und  Dekane. 

Für  das  Bestehen  einer  siebentägigen  Woche  bei  den  Ägyptern 
konnte  man  schon  früher  nur  die  Worte  eines  einzigen  der  klassischen 
Autoren,  Dio  Cassius,  anführen:  (Hist.  Rom.  XXXVII  c.  17  u.  18) 
„Wenn  man  die  Stunden  des  Tages  und  der  Nacht  von  der  ersten 
(Tagesstunde)  zählt,  diese  dem  Saturn,  die  folgende  dem  Jupiter,  die 
dritte  dem  Mars,  die  vierte  der  Sonne,  die  fünfte  der  Venus,  die 
sechste  dem  Merkur,  die  siebente  dem  Monde  beilegt,  nach  der 
Ordnung ,  welche  die  Ägypter  den  Planeten  anweisen,  und  dies  immer 
von  neuem  wiederholt,  so  wird  man  finden,  wenn  man  alle  24  Stunden 
durchgegangen  hat,  daß  die  erste'  des  folgenden  Tages  auf  die  Sonne, 
die  erste  des  dritten  auf  den  Mond,  kurz  die  erste  eines  jeden  Tages 
auf  den  Planeten  trifft,  nach  welchem  der  Tag  benannt  wird";  und 
ferner:  „Der  Gebrauch,  die  Tage  nach  den  7  Planeten  zu  benennen, 
ist  bei  den  Ägyptern  aufgekommen  und  hat  sich  seit  noch  nicht  gar 
zu  langer  Zeit  von  ihnen  zu  allen  übrigen  Völkern  verbreitet.  ..." 
Wir  haben  aber  gesehen  (S.  121),  daß  der  Ursprung  der  sieben- 
tägigen Woche  noch  fraglich  ist  und  nur  im  allgemeinen  nach 
Vorderasien,  und  vermutlich  in  die  ältere  Zeit,  gelegt  werden  kann. 
Die  Bemerkung  des  überdies  spät  (im  3.  Jahrh.  n.  Chr.)  lebenden 
Dio  ÜAssirs,  die  sich  wahrscheinlich  auf  die  astrologische  Woche 
bezieht,  hat  keinerlei  Gewicht  mehr,  seit  durch  Lepsius  das  Vor- 
kommen einer  zehntägigen  Woche  (Dekade)  auf  den  Denkmälern 
festgestellt  worden  ist.  Dieses  zehntägige  Zeitintervall  findet  sich 
bereits  in  den  ältesten  Inschriften  unter  der  Bezeichnung  O  f)  „die 
zehn   Tage"    vor.     Der    erste   Dekadentag   jeder  Periode   wird   durch 

O  n  „Kopf,  Anfang  (oder  erste)  der  Dekade"  angezeigt  und  wurde 
als  Opfertag  gefeiert ;  ein  solches  Dekadenfest  kommt  z.  B.  schon  in 
dem  Grabe  des  Methen  (3.  Dynastie)  vor.  Die  Dekaden  laufen  auf 
den  Denkmälern  von  10  zu  10  Tagen  fort,  und  zwar  ohne  Unter- 
brechung auch  über  das  Jahresende  hinweg.  Da  das  Jahr  aus 
36  Dekaden  und  5  Epagomenentagen  besteht,  so  fallen  die  Anfänge 
der  Dekaden  abwechselnd  in  einem  Jahre  auf  den  1.  Thoth,  im  darauf 
folgenden  Jahre  auf  den  6.  Thoth,  wie  nachstehend:  1.  11.  21.  Thoth, 
1.  11.  21.  Phaophi  ....  21.  Mesori ,  1.  Epagom.,  6.  16.  26.  Thoth, 
6.  16.  26.  Phaophi  ....  26.  Mesori,  1.  11.  21.  Thoth  u.  s.  f.  Auf 
einem   Denkmalfragmente   im  Louvre  z.  B.   heißt   es:    Choiak  11.   bis 


1B6  II.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 

20.  Tag-,  Chotak  21.  bis  30.  Tag,  Ti/hi  1.  bis  10.  Tag  u.  s.  w.;  in 
dem  Grabe  Bamses  IV.  beginnen  die  Dekaden  mit  dem  6.  Thoth  und 
schreiten  von  da  um  je  10  Tage  fort.  Das  eine  Jahr  hatte  also  36, 
das  andere  37  Dekaden.  Auf  den  Himmelsbildern  der  Tempel  werden 
die  Dekaden  zu  je  drei  zusammengefaßt,  und  über  diesen  Zeitraum 
wird  eine  Schutzgottheit,  der  führende  Dekan,  g-esetzt.  Auf  dem 
Dekanbilde  von  Edfn  z.  B.  treten  je  3  Figuren  in  12  Gruppen  in 
ziemlich  gleicher  Anordnung  auf:  die  erste  Figur  bringt  das  Opfer 
dar;  die  zweite,  mittlere  hat  die  Gestalt  einer  Schlange;  die  dritte, 
zug-leich  die  Hauptfigur  jeder  Gruppe,  sitzt  als  Mensch  mit  Löwen- 
kopf auf  dem  Thron  und  hat  das  Lotosszepter  in  der  Hand.  Ähnlich 
ist  die  Darstellung  der  Dekane  im  Derulera- Tierkreis;  dort  hat  die 
Hauptfigur  noch  eine  besondere  Gottheit  als  Geleite,  die  hinter  dem 
Throne  steht.  Die  Dekane  galten  als  die  Schützer  und  Sammler  der 
Seelen  der  Verstorbenen,  welche  zum  Himmel  emporsteigen  und  dort  mit 
den  Dekanen  am  Anfange  der  Dekaden  aufgehen.  Demgemäß  war  der 
Himmel  (wie  Ägypten  nach  den  Klassikern)  in  36  Gaue,  nomos,  ein- 
geteilt; jeder  Dekan-Stern  hatte  ein  „Haus",  aus  welchem  er  beim  Beginn 
der  Dekade  hervortritt  (aufgeht).  An  ihrer  Spitze  steht  Isis-Sothis, 
„der  Regent  der  Dekane".  Die  Dekane  führen  eigene  Namen,  und  zwar 
mit  wesentlichen  Unterschieden  in  der  jüngeren  gegen  die  alte  Zeit; 
ferner  erscheinen  in  der  griechisch-römischen  Epoche  8  neue  Dekane, 
wogegen  frühere  mit  einander  zusammengezogen  werden  u.  s.  w.  Da 
die  Dekane  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  kalendarisch  gebraucht 
werden,  gehe  ich  auf  diese  Verschiedenheiten  nicht  näher  ein,  sondern 
verweise  betreffs  der  Namen  aus  der  älteren  und  jüngeren  Zeit,  ihrer 
Bedeutung  und  der  ihnen  zukommenden  Gottheiten  auf  die  Reihe  der 
Dekanlisten,  welche  Brugsch  {Thesaur.  Inscr.  Aegijpt.  I  131,  155)  aus 
den  Gräbern  Seüfi  L,  Bamses  IV.,  den  Königsgräbern  der  20.  Dynastie, 
dem  Pronaos  von  Eclfu  und  Dendera  und  aus  anderen  Fundstätten 
mitgeteilt  hat.  Anzufügen  an  dieselben  wären  die  Namen  aus  der 
ältesten  bis  jetzt  bekannten  Liste  aus  dem  mittleren  Reiche,  welche 
Daeessy  {Annales  du  Service  des  antiquites,  I,  S.  79  f.)  nachgewiesen 
hat.  Zu  bemerken  ist,  daß  uns  die  ägyptischen  Namen  der  Dekane 
auch  aus  griechischen  Quellen  erhalten  sind,  was  schon  Champollion 
erkannt  hat.  Diese  Liste  findet  man  ebenfalls  bei  Beugsch  (Thes. 
Inscr.,  I  166,  und  Äf/i/pfoJoi/ic,  S.  340). 

§  36.     Mondtage.     Das   hypothetisclie   Mondjahr   und   Rimdjahr. 

Die  Epagomeneu. 

Die  Tage  eines  Monats  werden  gewöhnlich  als  erster,  zweiter  u.  s.  w. 
gezählt,  indem   sesu  (Tag)  vor   die  Ordnungszahl  gesetzt  wird;   der 


i?  36.    Mondtilge.    Das  liypotlictisflic  iMoiid-  u.  Kundjalir.    Dio  Kjiagomeiien.      167 

letzte  wird  nicht  durch  die  Zahl,  sondern  durch  den  Zusatz  alko  „der 
letzte"  markiert.  Bkuosch  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  in 
der  jüngeren  Zeit,  in  der  Ptolemäerzeit  und  der  römischen,  sich  noch 
eine  andere  Bezeichnung  der  Monatstage  vorfindet,  bei  welcher  die 
Monatstage  durch  den  Namen  eines  Festes  oder  Erinnerungstages  einer 
Gottheit  oder  mj^thologischen  Personifikation  ausgedrückt  werden.  Eine 
Liste  dieser  Namen  der  Monatstage  findet  man  bei  Brugsch,  Ägyjjto- 
log'ie,  S.  332.  Die  Bedeutung  dieser  Tagesbezeichnungen  ist  größernteils 
noch  dunkel ;  dem  Sinne  nach  erinnert  sie  an  den  altpersischen  Kalender, 
wo  die  Monatstage  ebenfalls  nach  Genien  benannt  werden.  Daß  be- 
stimmte Stellungen  der  Sonne  und  die  Phasen  des  Mondes  in  den  Be- 
zeichnungen der  Monatstage  ihre  Berücksichtigung  finden,  sieht  man  aus 
den  Namen  der  Tage  11,  13,  25  und  1,  2,  6,  15,  18.  Aber  Brugsch 
legt  den  letzteren  Tagen  eine  tiefere  Bedeutung  bei.  Nach  ihm 
weisen  die  Tage  auf  die  Existenz  eines  Mondjahres  hin.  Die  Monate 
dieses  Mondjahres  seien  mit  den  gleichen  Namen  der  Monate  des 
Wandeljahres  bezeichnet,  und  das  Zusammentreffen  bestimmter  Mond- 
tage (bes.  des  1.,  6.  und  15.  Tages)  mit  der  gleichen  Tageszahl  in 
einem  Monat  des  Wandeljahres  sei  als  „festliche  Koinzidenz"  gefeiert 
worden.  Dies  führt  uns  vor  die  Frage,  ob  man  annehmen  darf,  daß 
die  Ägypter  in  der  alten  Zeit  eine  Rechnung  nach  dem  Mondjahre 
gehabt  haben. 

Brugsch  hat  das  Mondjahr  für  die  Ägypter  in  verschiedenen  Ver- 
öffentlichungen (s.  bes.  Thesaiir.  Inscr.  Äegi/pf.  1  45 — 53,  II  267 — 277, 
280,  311,  476,  Aegijpiologic  350,  335  u.a.)  nachzuweisen  versucht. 
Nach  seinen  Ausführungen  fänden  sich  die  Spuren  der  oben  genannten 
30  Mondtage  schon  in  den  Inschriften  aus  dem  Grabe  Setis  I.  und 
dem  Eamesseum  (Ramses  IL),  also  in  den  Zeiten  der  19.  Dynastie,  d.  h. 
im  15.  und  16.  Jahrh.  v.  Chr.  In  einer  Inschrift  Thutmosis  IIL  (18.  Dyn.) 
heißt  es:  „Im  Jahre  23,  Monat  Paclion,  Tag  21,  Tag  der  Feier  des 
Neumondfestes",  und  in  einer  Bauurkunde  im  24.  Jahre  desselben 
Herrschers:  „Ich  befahl  zuzurüsten  die  Ausspannung  des  Meßstrickes 
für  mich  (d.  h.  die  Grundsteinlegung),  wenn  eintreten  wird  der  Tag 
des  Neumondfestes".  Im  Tempel  Bamses  IIL  zu  Mediuet-Habu:  „Monat- 
liche Himmelsfeste,  Gaben  allmonatlich,  bei  jedem  eintretenden  29.  Mond- 
tage, beim  eintretenden  30.,  am  Neumondtage,  am  2.  4.  6.  10.  und 
15.  Mondtage".  Aus  dieser  Verknüpfung  bestimmter  Mondtage  (des 
Neumondes ,  Vollmondes  u.  s.  w.)  mit  Festen  und  Zeremonien ,  ihrer 
Erwähnung  bei  den  Totenfesten,  welche  den  Verstorlienen  im  Lauf 
des  Jahres  geweiht  waren  u.  dgl.,  sowie  aus  dem  Auftreten  zahlreicher, 
gleichzeitig  nach  dem  Wandeljahr  und  dem  Mondjahr  datierter  Doppel- 
daten in  der  Ptolemäerzeit  schließt  Brugsch,  daß  die  Anwendung 
eines  Mondjahres  (bei  gewissen  feierlichen  Gelegenheiten)  außer  allem 


168  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Äg-ypter. 

Zweifel  sei  und  in  seinem  Ursprünge  bis  in  die  ältesten  Zeiten  der 
ägyptischen  Geschichte  zurückgehe.  Allein  bis  zur  Begründung  der 
förmlichen  Anwendung  eines  Mondjahres  reichen  die  bisherigen 
Inschriften  nicht  zu;  die  Vorausl)estimmung  der  wenigen  Neu-  und 
Vollmonde,  an  denen  Feste  gefeiert  werden  sollten,  konnte  mit  Hilfe 
der  ungefähren  Kenntnis  des  19  jährigen  Zyklus  hinreichend  genau  ge- 
macht werden.  Mehr  ins  Gewicht  für  eine  Eechnung  nach  JMondmonaten 
würde  die  Stelle  fallen,  welche  in  einem  Papyrus  über  die  Berechnung 
der  Monatseinkünfte  des  Tempels  von  Kahun^  enthalten  ist:  „Vom 
26.  des  zweiten  Erntemonats  bis  zum  25.  des  dritten  .  .  .  .,  vom  20. 
des  zweiten  Überschwemmungsmonats  bis  zum  19.  des  dritten  .  .  .  ., 
vom  19.  des  vierten  Überschwemmungsmonats  bis  zum  18.  des  ersten 
Wintermonats  .  .  .  .,  vom  18.  des  zweiten  Wintermonats  bis  zum  17. 
des  dritten  .  .  .  ."  Die  Zwischenzeit  der  einzelnen  Posten  dieser 
Tempelrechnung  ist,  wie  man  sieht,  immer  29  Tage  und  geht  viel- 
leicht von  Neumond  zu  Neumond.  Diese  Tabelle  und  andere  ähnliche 
könnten  dafür  sprechen,  daß  wenigstens  innerhalb  mancher  Tempel 
für  gewisse  Zwecke  eine  Rechnung  nach  dem  Monde  (wie  genau,  ist 
ganz  fraglich)  gebraucht  wurde. 

Die  Entwicklung  des  Jahres  und  einer  geordneten  Zeitrechnung 
überhaupt  hat  zwar  bei  den  meisten  Völkern  ihren  Ausgang  vom 
Mondjahre  genommen,  und  hervorragende  Forscher  wie  Lepsius, 
Leteonne,  H.  Martin  haben  sich  deshalb  auch  betreifs  der  Ägypter 
für  ein  Mondjahr,  das  in  der  ältesten  Zeit  vorhanden  gewesen,  aus- 
gesprochen'-. Der  erstere  hat  in  der  bei  den  Ägyptern  vorkommenden 
Periode,  welche  das  „kleine  Jahr"  genannt  wird  (vgl.  §  38)  ein  Mond- 
jahr sehen  wollen;  er  sagt:  „Das  natürliche  oder  künstliche  Sonnen- 
jahr ist  seiner  Natur  nach  erst  ein  wesentlicher  Fortschritt  einer 
geregelten  Zeitrechnung,  es  setzt  bereits  einen  Kalender  voraus. 
Daher  glaube  ich,  daß  auch  die  Ägypter  ursprünglich  von  einem 
Mondjahre  ausgingen  und  ihr  Sonnenkalender  schon  einer  höheren 
Stufe  ihrer  Bildungsgeschichte  angehört."  Lepsius  glaubte  sogar  an- 
nehmen zu  können,  daß  das  ägyptische  Mondjahr  mit  dem  ersten 
Neumonde  nach  der  Sonnenwende  begonnen  habe.  Allein  ein  Mond- 
jahr müßte  man  in  die  zurückliegendsten,  beinahe  vorgeschichtlichen 
Zeiten   der  Äg}T)ter   setzen,    in    die  Zeiten    der  Einwanderung   aus 


1)  BoRCHAKDT,  Der  zioeite  Papynisfund  von  Kahun  (Zeitschr.  /'.  ö(jvx>t.  Spr.^ 
XXXVII,  1899,  S.  93;  vgl.  auch  XLII,  1904,  S.  34,  36,  38). 

2)  Lepsius,  Chronol.  d.  Ägypt.,  I  155 — 159;  Letbonne,  Nouv.  rech,  sur  le 
calendr.  des  anc.  Egypt,  III.  Mem.,  S.  143;  H.  Martin,  Mem.  sur  le  rapport  des 
Innuisons  avec  le  calendr.  d.  Egypt,  S.  441;  vgl.  auch  Ventre-Bey,  Essai  sur  les 
cal.  egypt.  {BulUt.  de  l'Inst.  egypt.,  3  sdr.,  1892). 


§  36.    ^Mondtage.    Das  hypothctischo  Mond-  ii.  Kuiiiljahr.    Die  Epagornciieii.      169 

Asien,  von  wo  sie  es  mit  hergebracht  haben  könnten.  Bekanntlich 
gilt  Hocharabien  als  älteste  Stätte  des  Mondkultus.  Die  altsemitische 
Mondreligion  feierte  Feste,  die  an  bestimmte  Neumonde  geknüpft 
waren.  Da ,  wie  wir  gesehen  haben ,  in  den  ägyptischen  Kalendern 
ebenfalls  Feste  auftauchen,  die  mit  ^londphasen  in  Verbindung  stehen, 
wäre  immerhin  eine  tliertragung  denkbar,  also  ein  einstiges  Mond- 
jahr durchaus  nicht  unmöglich.  Aber  ein  solches  müßte  wohl  bald 
gegen  das  Sonnenjahr  zurückgetreten  sein,  im  Gegensatz  zu  den 
Babyloniern,  welche  das  Mondjahr  ebenfalls  vom  Süden  her  er- 
halten haben,  aber  bei  diesem  verblieben  sind.  Dafür  sorgte  bei 
den  Ägyptern  der  Nil.  Seine  regelmäßig  wiederkehrenden  Über- 
schwemmungen mußten  den  Ägyptern,  sobald  sie  nur  die  Kultur- 
stufe des  Ackerbaues  erreicht  hatten,  zeigen,  daß  mit  einem  Mond- 
jahre nicht  auszukommen  war.  Der  Übergang  zum  Sonnenjahre 
müßte,  und  zwar  wahrscheinlich  mittelst  einer  weiteren  Jahrform, 
verhältnismäßig  bald  erfolgt  sein.-  Da  die  zehntägige  Woche  (Dekade), 
die  sich  nicht  mit  einem  Mondjahre  verträgt,  bereits  in  den 
Zeiten  der  Pyramiden  (4.  und  5.  Dynastie,  3.  Jahrtaus.  v.  Chr.) 
nachweisbar  ist,  muß  der  Übergang  schon  damals  vollzogen  gewesen 
sein.  Die  Folgerungen,  die  wir  aus  der  ägyptischen  Mythologie  be- 
treffs eines  etwaigen  Mondkultus  ziehen  können,  geben  für  ein  Mond- 
jahr keinerlei  Entscheidung,  da  der  Entwickelungsgang  der  ägyp- 
tischen Mythologie  zur  Zeit  noch  kaum  übersehen  werden  kann. 
Die  Doppeldaten  in  der  Ptolemäerzeit  können  nicht  als  Beweis  gelten, 
denn  bei  diesen  handelt  es  sich  um  das  Eindringen  eines  fremden 
Kalenders,  des  makedonischen  Mondjahres;  letzteres  hat  aber  nichts 
mit  der  Entwicklung  des  ägyptischen  Jahres  zu  tun.  Aus  allen 
diesen  Gründen  müssen  wir  derzeit  noch  von  dem  Mondjahre  und  s'on 
der  Wichtigkeit  der  Mondtage,  welche  Brugsch  ^  diesen  beigelegt  hat, 
für  die  historische  Zeit  wenigstens.  Abstand  nehmen,  bis  aus  den  In- 
schriften kräftigere  Stützen  dafür  nachgewiesen  werden  können.  Die 
Möglichkeit  dagegen,  daß  die  Ägypter  in  der  allerältesten  Zeit  noch 
das  Mondjahr  gehabt  haben,  bleibt  offen. 

Mehr  Aussicht,  die  ursprüngliche  Jahrform  der  Ägypter  dar- 
zustellen ,  scheint  das  E  u  n  d  j  a  h  r  zu  haben.  Diese  Hypothese 
eines  Jahres   von   360  Tagen   ist  von  Des  Vigxoles  aufgestellt,   von 


1)  Die  Hott'nung,  aus  den  in  den  Texten  erscheinenden  Mondtagen  und  Mond- 
festen einen  historischen  Gewinn  ziehen  zu  können  (Brugsch,  Ägyptologie,  S.  335), 
hat  sich  bisher  nicht  erfüllen  lassen.  (S.  die  Untersuchung  von  E.  Mahler  über 
die  Kegierungszeit  Thutmosis  III.  und  Bamses  II,  ZeitscJir.  f.  ägi/pt.  Spi:,  XXVIT 
u.  XXVIII,  1889,  1890,  und  die  Widerlegung  der  Resultate  durch  Eisexlohr, 
Akten  des  X.  Intern.  Orient.-Kongresses ,  1896,  S.  86  und  C.  F.  Lehmaxx,  Zwei 
Hauptprohl.  d.  altorient.  Chronol,  1898,  S.  147.) 


170  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

Idelee  (I  187)  aber  bekanntlich  als  unmöglich  abgelehnt  worden. 
Anderseits  hat  es  an  Leteonne,  Biot  und  in  der  neueren  Zeit 
an  den  Ägyptologen  Lauth,  Ohabas,  Vextee-Bey  und  J.  Keall 
seine  Vertreter  gefunden.  Was  man  dafür  vorbringt,  ist  etwa  das 
folgende.  Die  Inschrift  von  Tanis  (s.  §  41)  sagt,  daß  es  „später  üblich 
geworden  ist,  die  fünf  Epagomenen  hinzuzufügen".  Aus  diesem  Aus- 
sprüche folgerte  man,  daß  das  ursprüngliche  Jahr  nur  360  Tage, 
nämlicli  12  Monate  zu  je  30  Tagen  gehabt  habe.  Allein  die  Inschrift 
definiert  durch  diese  Worte  nicht  ein  360  tägiges  Jahr,  sondern  deutet 
nur  darauf  hin,  daß  man  früher  ein  seiner  Länge  nach  noch  nicht 
bestimmt  abgegrenztes  Jahr  hatte  und  zur  Notwendigkeit  gefülirt 
wurde,  dasselbe,  um  es  mit  dem  Sonnenjahre  übereinstimmend  zu 
machen,  um  mehrere  Tage  zu  verlängern,  und  daß  man  schließlich 
bei  5  Ergänzungstagen  stehen  geblieben  ist.  Von  mehr  Gewicht  ist 
der  Hinweis  auf  die  36  Dekaden,  die  inschriftlich,  wie  wir  gesehen, 
schon  in  sehr  alter  Zeit  bezeugt  sind.  Die  sonstigen  Beweise  für  ein 
360 tägiges  Jahr,  wie  die  Inschrift  von  Siut  {Zoitschr.  f.  (if/jjjd.  Spr., 
XX,  1882,  S.  171),  wo  „ein  Tempeltag  der  360.  Teil  eines  Jahres" 
genannt  wird,  oder  die  Bemerkung  im  Kalender  von  Medinet-Habu, 
wo  bei  den  täglich  zu  bringenden  Opfergegenständen  vermerkt  ist: 
„Gänse  zwei  täglich,  macht  im  Jahre  mit  den  5  Epagomenen  730", 
sind  nicht  entscheidend,  da  es  sich  in  diesen  Bemerkungen  wahrschein- 
lich nur  um  bloße  Rechnungsjahre  der  Tempelverwaltungen  handelte 
Daß  man  nach  einem  360tägigen  Jahre  im  bürgerlichen  Leben 
gerechnet  hätte,  ist  also  abzuweisen.  Dagegen  muß  in  den  Zeiten, 
wo  die  Ägypter  entweder  von  einem  ursprünglichen  Mondjahre  zum 
Sonnenjahre  überzugehen  suchten,  oder  mit  den  großen  Schwierigkeiten, 
die  Länge  des  Sonnenjahres  direkt  festzustellen  (die  Niljahre  konnten 
nur  ganz  rohe  Anfänge  dazu  geben),  zu  kämpfen  hatten,  das  bab}'- 
lonische  Sexagesimalsystem  auch  in  Ägypten  seinen  Einfluß  ausgeübt 
und  den  Aufbau  der  Jahreslänge  auf  sexagesimaler  Grundlage,  12  Monate 
zu  360  Tagen  plus  5  Epagomenen,  bewirkt  haben.  Wir  kommen  also 
zum  Begriff  eines  ursprünglichen  „Eundjahres",  wie  es  in  der  Ein- 
leitung dieses  Buches  (s.  S.  69)  definiert  wurde,  d.  h.  die  360  Tage 
desselben  dienten  zwar  als  Basis  für  die  Jahreslänge,  man  suchte 
aber  das  Jahr  durch  verschiedene  Veränderungen  allmählich  mit  dem 
faktischen  Sonnenjahre  in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Bei  den 
Ägyptern  mag  die  Periode  solcher  Schwankungen  schnell  überwunden 
worden  sein.    Sie  werden   schließlich  (vielleicht  nach   einigen  Jahr- 


1)  S.  auch  die  Stellen  I  22,  I  97  bei  Diodok,  die,  wenn  vielleicht  nicht  auf 
das  360tägige  Jahr,  so  doch  mindestens  auf  Reste  des  Sexagesimalsystems  in 
Ägypten  deuten. 


§  36.    MondtajLfe.    Diis  liyjxttbctische  Moiul-  u.  Uundjalir.     Die  E])iif,'omfincii.      171 

hunderten)  die  Zahl  der  Tage,  die  an  das  sexagesimale  Rimdjahr  an- 
zuhängen waren,  um  mit  den  Jahreszeiten  notdürftig  in  Überein- 
stimmung zu  l)leiben,  auf  fünf  festgesetzt  haben.  Dies  sind  die 
E 1»  a  g  ü  m  e  n  e  n.  Bei  der  A\'ichtigkeit ,  welche  diese  Zusatztage  für 
den  ägyptischen  Kalender  halben,  müssen  wir  denselben  noch  einige 
Ausführungen  widmen. 

Die  E])agomenen  verraten  schon  durch  die  Bezeichnung  ihre  er- 

r  ^  1 1 1  §>  Uv 

gänzende  Stellung  zum  Eundjalire.  Sie  heiben  ]  i  i  <i^.  ]f  ^  die 
fünf,  die  auf  dem  Jahre  l)efindlichen,  u.  a.  Sie  hatten  bei  den  Ägyptern 
dieselbe  ominöse,  Unheil  bringende  Bedeutung,  die  wir  auch  in  der 
Auffassung  anderer  Völker,  wie  bei  den  Persern  und  selbst  bei  den  mit 
Vorderasien  m  gar  keinem  Zusammenhange  stehenden  zentralamerika- 
nischen Völkern  antreffen.  Die  Epagomenen  waren  eine  Art  Bußtage, 
dem  Gedächtnis  der  Verstorbenen  gewidmet ;  an  ihnen  waren  besondere 
Gebete  vorgeschrieben,  die  gegen  den  bösen  Einfluß  der  fünf  Tage 
schützen  sollten'-.  Die  Epagomenen  werden  auf  den  ägyptischen  Denk- 
mälern nach  der  Geburt  von  fünf  Göttern  benannt,  welche  die  Mytho- 
logie auf  jene  Tage  legte.  Darum  heißt  der  erste  dieser  Tage  „Geburt 
des  Osiris^%  der  zweite  „Geburt  des  Horus^\  der  dritte  „Geburt  des 
^S'e^'',  der  vierte  „Geburt  der  Isis'-',  der  fünfte  „Geburt  der  Xephthys''. 
Den  betreffenden  Mythus  erzählt  Plutaech-':  Kronos  (Seh)  und  Rhea 
(Xiit)  hatten  heimlich  miteinander  verkehrt.  Die  Sonne  aber  ver- 
fluchte die  Ehea,  daß  deren  Kinder  weder  in  einem  Monate  noch  in 
einem  Jahre  geboren  werden  sollten.  Diese  wendete  sich  an  den 
klugen  Hermes  (ThotJi)  um  Rat.  Derselbe  spielte  mit  Selene  Würfel 
und  gewann  ihr  von  jedem  Tage  des  360tägigen  Jahres  den  72.  Teil 
ab"»,  aus  dem  er  5  Tage  bildete,  die  hinter  den  12  Monaten  angehängt 
wurden.  Dadurch  gewann  das  Sonnenjahr  5  Tage  mehr  als  das  alte 
Jahr,  und  das  Mondjahr  hatte  355  statt  360;  was  jenem  gegeben 
wurde,  mußte  dieses  verloren  haben;  und  so  konnten  also  die 
fünf  nachgeborenen  Götter  in  die  Welt  treten.  Die  besondere 
Stellung  der  Epagomenen  und  die  Bedeutung,  die  man  ihnen  beilegte, 
ging  eben  aus  dem  sexagesimalen  Aufbau  des  Jahres  hervor.  —  Die 
Epagomenen  sind  nicht  überall  in  den  Inschriften  vollständig  ver- 
zeichnet: in  Omhos  (dem  Entdeckungsorte  der  Epagomenen)  sind  nur 


1)  Varianten  in  der  Ejjagomenenbezeiehnung  s.  bei  Brugsch,  Thcsaur.  Inscr. 
Aeg.,  II  480. 

2)  F.  Chabas,   Le  calendrier  des  jours  fastes  et  nefastes  de  Vannee  egi/j)t., 
Chalon-Paris  1870,  S.  102  ff. 

3)  De  Isis  et  Osir.  e.  12. 

4)  Wir  folgen  hier    der    Lesung    Scaligers    {Emend.  Temp.,  III),    der    sich 
auch  Lepsius  {Chronol.  d.  Ägypt.,  I  92)  anschließt. 


172  Tl.  Ka))itel.     Zeitrecliiuiiig-  der  Ägypter. 

zwei,  der  erste  und  zweite  Tag,  erhalten ;  in  den  Kalendern  von  Esne 
und  Edfu  ist  der  1.,  2.,  4.  und  5.  Tag  angegeben  (der  3.,  der  Tag 
des  bösen  Set,  wird  oft  weggelassen).  Was  die  Zeit  betrifft,  in  der 
die  fünf  Tage  zuerst  auf  Denkmälern  genannt  werden,  so  haben  sich 
dieselben  lange  nicht  über  die  Zeit  Amenemhets  I.  (12.  Dynastie,  Anfang: 
des  2.  Jahrtaus.  v.  Chr.)  zurück  verfolgen  lassen;  jedoch  hat  man  in 
neuester  Zeit  die  Epagomenen  schon  unter  König  Weserl-af  (mit  dem 
die  5.  Dynastie  beginnt)  in  einer  von  Feaser  entdeckten  Inschrift  aus 
Tehne  gefunden  ^  Sie  spielen  aber  auch  schon  in  den  uralten  religiösen 
Texten,  die  uns  zufällig  erst  in  den  Pyramiden  der  6.  Dynastie  er- 
halten sind,  eine  Rolle,  und  zwar  schon  in  derselben  mythologischen 
Verbindung  mit  der  Geburt  der  Götter.  Demnach  dürfte  die  Ein- 
führung der  5  Tage  in  eine  noch  ältere  Zeit  fallen.  Die  von  früheren 
Autoren  öfter  benützte  Stelle  aus  Synl-ellos,  wonach  die  Einführung 
der  Epagomenen  dem  Hyksoskönig  Ascth  zugeschrieben  wird-,  hat 
ffeffenüber  den  Denkmälern  allen  Wert  verloren. 


§  37.    Bezeiclinuug  des  Jahres  iiud  der  Mond-  und  Sonnenstände. 

Zum  Verständnisse  der  ägyptischen  Zeitrechnung,  besonders  der 
Kalenderlisten  sind  einige  Erörterungen  über  die  Hieroglyphe  des 
Jahres  und  über  die  Auffassung  der  Sonne  und  des  Mondes  notwendig. 
Das  Wort  für  Jahr  im  gewöhnlichen  Gebrauch-'  lautet  im  Ägyptischen 

roniK't,  geschrieben  1       oder  1  |    oder 


1)  s.  Sethe,   Urkunden  des  alten  Reichs,  I  24. 

2)  Olrog  ['Aai]&]  TtQoat&riyis  tüv  iviccvrwv  rag  i  iitayo^ivag,  xat  iiil  aitov^ 
log  (paaiv  i')[Qr]^i,drt6£v  x'E,i  i]\iiQ&v  6  Alyvitriaxog  iviavtbg  t^'  ilovov  ij^tQiov  TtQO 
xovxov  \L£XQOv^Ltvog.     Vgl.  über  die  Stelle  auch  Lepsius,  Chronol.  d.  Agypt.,  I  177. 

3)  Während  die  Bezeichnungen  für  Tag  und  Stunde  gewöhnlich  liorio  und 
unut,  bei  der  Zählung  der  Monatstage  und  Tagesstunden  aber  sii  und  zeh'  sind, 
gebraucht  man  für  die  Zählung  der  Regierungsjahre  das  Wort  ha  .  Es  soUeu  hier 
einige  Bemerkungen  über  die  Elntwickelung  der  Jahresdatierung  gemacht  werden, 
im  Anschlüsse  an  die  Untersuchungen  von  Sethe,  der  zuerst  die  (Irundzüge  klar- 
gelegt hat  {Untersuch,  z.  Geschichte  u.  Altert.  Agypt.  III,  S.  99).  Während  der 
ersten  beiden  Dynastien  datierten  die  Ägypter  nach  gewissen  Ereignissen,  etwa  in 
der  Form  wie  ,Jahr  des  Schiagens  der  Nubier"  u.  dgl.  Seit  der  zweiten  Dynastie 
wurden  besonders  die  alle  zwei  Jahre  stattfindenden  Vermögenszählungen  für  die 
Benennung  der  Jahre  verwendet;  man  datierte  also  „Jahr  des  1.  2.  3.  .  .  .  Males 
der  Zählung".  Die  dazwischen  liegenden  Jahre  erhielten  andere  Namen.  Seit  dem 
Beginn  der  vierten  Dynastie  bezeichnete  man  diese  zählungslosen  Jahre  als  das 
„Jahr  nach  dem  1.  2.  3.  .  .  .  Male  der  Zählung".  Späterhin  wird  das  Wort 
„Zählung"  immer  häufiger  weggelassen,  .so  daß  die  Ausdrucksweise  „Jahr  des  1. 
2.  3.  .  .  .  Males",  oder  „Jahr  nach  dem  1.  2.  3.  .  .  .  Male"  entsteht.  Am  Ende 
des  alten  lieiches  beginnen  die  Zählungen  alle  Jahre  stattzufinden,   und  so  wurde 


I 


§  37.     Hozeichiimi;^-  des  Jalircs  und  (Irr  Mond-  und  Sonnenstände.  173 

Die  Stellungen  der  Sonne  während  des  Jahres  erhielten  bei  den 
Ägyptern  bildliche  Auffassung,  die  entsprechend  hieroglyphisch  aus- 
gedrückt wurde ;  selbst  der  tägliche  Lauf  der  Sonne  erscheint  bildlich 
eingekleidet.  Die  Sonne  fährt  täglich  in  göttlicher  Barke  durch  den 
Himmel  und  kämpft  gegen  die  Finsternis.  Beim  Aufgange  sind  ihre 
Strahlen  schwach,  darum  wird  sie  ein  Kind  genannt ;  mitzunehmender 
Höhe  werden  ihre  Strahlen  heißer,  dann  ist  sie  zum  Mann  geworden, 
und  Abends,  wenn  ihre  Strahlen  ersterben,  ist  sie  ein  Greis;  z.  B.  in 
den  Texten:  „ein  Kind  in  der  Frühe,  ein  Jüngling  zur  Mittagszeit, 
ist  er  Gott  Ahim  (Abendsonne)  am  Abend".  In  ähnlicher  Weise 
erscheinen  auch  die  astronomischen  Hauptjahrpunkte  der  Sonnen- 
bewegung symbolisiert.  An  den  Äquinoktial-  resp.  Solstitialpunkten 
wird  die  Sonne  immer  in  einer  neuen  Form  geboren.  Mackobius^ 
berichtet,  daß  bei  den  Ägyptern  die  Sonne  der  AVinterwende  als 
Kind,  die  Sonne  bei  der  Frühjahrsgleiche  als  Jüngling,  jene  der 
Sommerwende  als  bärtiger  Mann,  und  die  Sonne  der  Herbstgleiche 
als  ein  hinfälliger  Greis  dargestellt  werde.  Dieser  Bericht  erhält 
durch  die  folgenden  Worte  einer  Inschrift  auf  der  Ostwand  des 
Tempels  von  Edfu  seine  Bestätigung:  „Helios  geht  auf  als  Jüngling, 
hinauffliegend  zum  Himmel;  als  Käfer  hervortritt  eine  Scheibe  aus 
den  Lenden  der  Himmelsgöttin,  als  große  geflügelte  Sonnenscheibe 
aus  lauterm  Golde;  ein  Greis  in  der  Abendzeit,  ein  schönes  Kind  in 
der  Morgenzeit;  (das  ist)  Honis  von  Bahudet,  bei  dessen  Anschauen 
man  lebt".  Aus  den  Inschriften  ergeben  sich  in  der  Tat  gewisse 
Symbolisierungen  für  die  vier  Jahreszeiten  der  Winterwende,  der 
Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche  u. s.w.;  die  bestimmten  Formulierungen 
indessen,  welche  Beugsch  aus  dem  Inschriftenmateriale  gezogen  hat 
bedürfen  noch  einer  w^eiteren  Festigung.  In  den  Inschriften  werden 
öfters  auch  der  Sonne  bestimmte  Farben,  nach  den  Jahreszeiten  ver- 
schieden, zugeschrieben,  was  uns  durch  Macrobius  (a.  a.  0.  I  19)  be- 
stätigt wird,  welcher  sagt,  die  Flügel  der  Sonnenscheibe  seien  glänzend 
oder  dunkel  genannt  worden,  je  nach  dem  Laufe  der  Sonne  im  Zodiakus. 

Im  Zusammenhange  mit  den  Symbolisierungen  der  Jahrpunkte  steht 
die  Auffassung  der  beiden  Hälften  des  Jahres  als  die  Augen  des  Bv. 
Die  eine  Jahreshälfte  heißt  das  linke  Auge  des  Be.  die  andere  bildet 
das  rechte.  Das  i?e-Auge  heißt  uzat  Übrigens  wird  das  uzat-Kvi^t  auch 
auf  den  Mond  angewendet,  indem  Sonne  und  ]\Iond  als  die  beiden  Augen 
des  Lichtgottes,  die  Sonne  als  das  rechte  Auge,  der  Mond  als  das  linke, 


die  Grruppe  ^tTahr  des  Males"  {ha'-sp''  zu  einer  Bezeichnung  für  .Regierungsjahr". 
Da  dieses  Wort  an  das  Wort  für  .Viertel''  anklingt,  so  suchte  man  in  späterer 
Zeit  (HoRAPOLLOx  I  5'  dieses  Zusammenstimmen  durch  eine  haltlose  Etymologie 
zu  erklären. 

1)  Saturnal.  I  18. 


174  Tl.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 

angesehen  werden.  Die  Phasen  des  Mondes,  sein  Zu-  und  Abnehmen, 
werden  (wie  in  Edfu  und  Dendera)  durch  eine  Treppe  von  14  Stufen 
dargestellt  und  durch  14  Gottheiten  (Gott  des  Mondes,  der  Wolken, 
des  Himmelsgewölbes,  die  vier  Bestattungsgenien  u.  s.  w.),  die  über 
die  Treppe  schreitend  Ähnlich  wie  bei  der  Auffassung-  der  Jahr- 
punkte wird  bisweilen  der  Vollmond  als  Jüngling,  der  abnehmende 
Mond  als  Greis  und  der  Neumond  als  das  Kind  (oder  die  Verjüngung) 
symbolisiert.  Der  Mond  führt  mancherlei  Beinamen,  wie  der  „Wieder- 
gestaltete", das  „Glanzauge",  das  „große"  oder  „leitende"  (Auge)  u.  a. 
Schließlich  kann  hier  nur  noch  kurz  daran  erinnert  werden,  daß 
der  ganze  Jahreslauf  gewiß  auch  auf  den  Mythus  eingewirkt  hat. 
Darum  hat  man  im  Osirismythus  eine  Symbolisierung  der  Jahreszeiten, 
der  Überschwemmung,  Ernte  u.  s.  w.  finden  wollen. 


§  38.    Große  Jaliresperioden  der  Ägypter. 

In  den  Schriften  der  klassischen  Autoren  und  zum  Teil  auch  auf 
den  ägyptischen  Denkmälern  kommen  verschiedene  Perioden  vor,  in 
welche  größere  Zeiträume  unter  bestimmten  Benennungen  zusammen- 
gefaßt werden.  Einige  dieser  Perioden  ermangeln  noch  einer  zu- 
verlässigen Erklärung. 

a)  Eine  Periode  von  365  Jahren  hat  man  in  einem  Texte 
aus  Eäfu  (Naville,  Textes  rdatifs  au  mythe  d'Horus)  vermuten 
wollen.  Dort  wird  ein  mytholog-isches  Ereignis,  die  Besiegung  des 
Typhon  durch  Horus  in  das  363.  Regier ungs jähr  des  Gottes  Horus 
gesetzt.  Möglich  wäre  wohl,  daß  der  Verfasser  des  Textes  auf  diese 
Jahreszahl  durch  die  Vorstellung  eines  „großen"  Jahres  von  365  Jahren 
gekommen  ist,  aber  auf  das  Bestehen  oder  den  wirklichen  Gebrauch 
von  Perioden  zu  365  Jahren  kann  man  hieraus  noch  nicht  schließen. 
—  Ähnlich  scheint  es  sich  mit  der  bei  Synkellos  {Chronogr.)  ge- 
nannten Periode  von  36  525  Jahren  zu  verhalten.  Über  diese  Periode 
ist  mancherlei  geschrieben  worden.  Bailly  und  Lepsius-  wollten 
dieselbe  als  das  25  fache  der  Sothisperiode  (25  X  1461  Jahre)  er- 
klären, andere  durch  das  „große  Jahr",  nach  dessen  Ablauf  sich  alle 
Dinge  wiederholen.  Da  diese  Periode  inschriftlich  nicht  nachgewiesen 
ist,  so  übergehe  ich  weiteres. 

b)  Die  Han-  oder  Henti-Periode.  Die  ägyptischen 
Inschriften   sind  reich  an  Ausdrücken  für  die  Begriffe  Unendlichkeit, 


1)  S.  solche  Darstellungen  bei  Brugsch,  Thesaur.  Inscr.,  I,  S.  35,  62. 

2)  Bailly,  Hist.  de  l'Astr.  ancienne,  I,  VI,  §9;  Lepsius,  Chronol.  d.  Ägyi>t., 
I  210,  11.  Vgl.  auch  H.  Martin,  Mem.  sitr  le  rapp.  des  lunais.  avec  le  calendr. 
des  Egy^Jt.  [Mem.  de  V  Acad.  d.  Inscr.,  I.  s^r.,  T,  VI,  1864|. 


i;  38.     (iroßf  .l;ilirosj)erio{l('ii  der  .\f,'y|ittT.  175 

Ewigkeit  u.  dol.  In  den  Kreis  dieser  Begriffe  für  große  Zeitdauer 
g-ehört  auch  der  Ausdruck  hentJ.  In  diesem  Worte  hat  man  die 
Bezeichnung-  für  eine  Jahrperiode  von  bestimmter  Läng-e  vermutet. 
Man  glaubte  dies  aus  der  Form  der  Aufzählungen  schließen  zu  dürfen, 
in  welcher  die  Äg-ypter  große  Zeiträume  angaben.  AVie  solche  Auf- 
zählungen lauten,  sieht  man  aus  dem  folg-enden  Beispiel,  das  nach 
BructSch  {Tlies.  Inscr.,  S.  200)  im  südlichen  Sokaris  -  Tempel  von 
Dendera  steht:  ..Vollende  eine  Ewig-keit  von  henfi,  zahllose  Gruppen 
von  zahllosen  Jahren.  Deine  Jahre  seien  unendlich  viele,  Deine  Monate 
zählen  nach  hunderttausenden,  Deine  Tag-e  nach  zehntausenden.  Deine 
Stunden  nach  tausenden.  Deine  Augenblicke  nach  hunderten,  Deine 
Momente  (nach  Zehnern).  Deine  Regierung-  seien  die  Jahre  der  Sothis 
am  Himmel."  Oder  in  einer  Inschrift  von  Eclfu  (Beitgsch,  ibid. 
S.  207):  ..Thoth  der  Große  stellt  sein  Leben  fest  nach  Millionen  von 
Heh-sed,  hunderttausenden  von  Jahren,  zehntausenden  und  tausenden 
von  Monaten,  hunderten  und  Zehnern  von  Tag-en.  Seine  Stunde  ist 
henti,  und  seine  Jahre  Ewigkeit  und  Unendlichkeit."  Es  handelt  sich 
also  bei  diesen  Ausdrucksweisen  nur  um  die  allgemeine  Bezeichnung 
für  lange  Zeiträume,  und  nicht  um  abgegrenzte  Perioden.  Etwas 
Ähnliches  konnte  in  §  34  für  die  Bezeichnung  der  kleinen  Zeitab- 
schnitte des  Tages  angeführt  werden.  Vermutungen  über  die  Länge 
der  angeblichen  Henti -Ferioäe  haben  Hinks^  und  Lauth  angegeben, 
indem  beide  dafür  120  Jahre  annehmen,  ferner  Lepsius,  welcher  an 
eine  Verdoppelung  der  500  jährigen  Phönixperiode  gedacht  hat  (Chronol. 
cl  Ägypt,  I  184). 

c)  Die  Sed-  (od.  Set-)  Periode,  TgiaxavTaerrjolösg.  Diese 
30  jährige  Periode,  hib-sed  genannt,  kommt,  wie  aus  der  vorher  mit- 
geteilten Inschrift  ersichtlich,  bei  der  Erwähnung  der  größeren 
Perioden  vor.  Die  Aufmerksamkeit  auf  sie  wurde  durch  die  Inschrift 
von  Rosette  erregt,  eines  zu  Ehren  des  Ptolemäus  Epiphanes  erlassenen 
Dekretes,  in  welchem  der  König  den  Titel  xvgiog  TgiaxovraeTj^giScov 
xa&dnsg  6  "Hcpaiatog  6  fiiyag  =  „Herr  der  dreißigjährigen  Zyklen, 
wie  Hephästos  der  Große",  erhält.  Die  Periode  geht  aber  bis  in  die 
sehr  alte  Zeit  —  bis  in  jene  der  ersten  Dynastien  —  zurück,  da  nach 
Inschriften  aus  diesen  Zeiten  die  Wiederkehr  der  30  jährigen  Periode 
durch  besondere  Feste  gefeiert  worden  ist.  Das  Fest  und  die  Periode 
stehen  stets  in  enger  Beziehung  zur  Regierung  der  Könige  und  kommen 
nur  in  Verbindung  mit  dieser  vor.  So  wird  in  der  vorher  zitierten 
Stelle  der  Inschrift  von  Rosette  König  Ptolemäus  mit  Ptah  als  dem  König 
der  Urzeit  verglichen.  Die  erste  Feier  des  Festes  findet  nie  später 
als  im  30.  oder  31.  Jahre  eines  Königs  statt.    Bald  wurden  aber  auch 


1)  Bei  WiLKrssox,  The  hierat.  papyr.  of  Turiii,  S.  55. 


176  Tl.  Kapitel.    ZcitrecbnuDg  der  Ägypter. 

in  unregelmäßigen,  sehr  kleinen  Abständen  „Wiederholungen"  gefeiert. 
So  fanden  unter  Thutmosis  III.  solche  Feiern  im  30.,  33.,  86.,  40.  und 
42.  Jahre  1,  unter  Ramses  II  im  30.,  34.,  36.,  40.,  42.  und  44.  Jahre 
(nach  Beugsch)  statt.  Andererseits  aber  können  die  Könige  auch 
schon  vor  dem  30.  Jahre  das  erste  Mal  dieses  Fest  feiern. 

So  dunkel  der  Ursprung  und  die  Bedeutung  der  >SVf?-Periode  ist  ^, 
so  kann  doch  am  wahrscheinlichsten  die  Erklärung  von  Sethe^  an- 
genommen werden,  welche  das  Fest  als  das  Jubiläum  der  30.  Wieder- 
kehr des  Tages  definiert,  an  dem  der  König  zum  Thronerben  feierlich 
proklamiert  worden  war.  Mit  astronomischen  Erscheinungen  hat  die 
Periode  auf  keinen  Fall  etwas  zu  tun,  ebensowenig  mit  den  regel- 
mäßig wiederkehrenden  Vermögens-  oder  Volkszählungen,  wie  Keall 
vermutet  hat.  Daß  solche  Aufnahmen  in  Ägypten  oft  stattgefunden 
haben,  wissen  wir  aus  vielen  Erwähnungen  derselben.  Aus  dem  alten 
Reiche  sind  uns  zahlreiche  Angaben  über  die  Zählungen  erhalten*. 
In  der  römischen  Kaiserzeit  wurden,  wie  sehr  zahlreiche  Daten  er- 
geben"', die  Steuerdeklarationen  alle  14  Jahre  von  neuem  eingefordert. 
Nachweisbar  aus  den  Papyri  sind  folgende  Jahre:  8.  Jahr  Neros  61 
n.  Chr.,  8.  Jahr  Vespasians  75,  9.  Jahr  Domitians  89,  7.  Jahr  Trajans 
103,  2.  Jahr  Hadrians  117,  16.  Jahr  Hadrians  131,  9.  und  23.  Jahr 
des  Anton.  Pius  145  und  159,  14.  Jahr  des  Marcus  173,  28.  Jahr  des 
Commodus  187,  10.  Jahr  des  Severus  201 ;  nachWEssELx  waren  auch 
215,  229  und  242  Volkszählungen*^.  Aus  der  Ptolemäerzeit  sind  bis 
jetzt  solche  Steuererhebungs-Zyklen  nicht  erwiesen. 

d)  Das  große  und  kleine  Jahr.  In  einer  Inschrift  aus  dem 
Grabe  des  Chnemhotep  in  Benihassan  (12.  Dyn.)  wird  dem  Toten  ge- 
wünscht, daß  ihm  Totenopfer  gebracht  werden  „an  allen  Festen  der 
Nekropole'".  In  der  dann  folgenden  Aufzählung  dieser  Feste  werden 
nebeneinander  genannt  „das  Fest  des  großen  Jahres"  und  ,.das  Fest  des 
kleinen  Jahres".  Dies  ist  übrigens  die  einzige  erhaltene  Erwähnung  eines 


1)  H.  Breasted,  The  ObelisJcs  of  Tlndmose  III  and  his  Building  Season  in 
Egypt  {Zeitschr.  f.  ägypt.  Sjir.,  XXXIX,  1901,  S.  60) 

2)  Über  die  Erklärungsversuche  s.  Lepsius  {Chronol.  d.  Agi/j^f.,  I  168),  der 
auf  die  Zahl  30,  den  30jährigen  Schaltzyklus  der  Araber,  Gewicht  legt;  Biot  (Sur 
l'annee  vague,  S.  128);  Letronne  {De  Vorig,  du  zod.  gr.,  S.  23),  welcher  an  den 
Saturn-Umlauf  denkt;  ferner  vgl.  die  Vermutungen  bei  Drumann,  Histor.  antiqu. 
Unters,  üb.  Ägypt..,  Königsberg,  1823. 

3)  Zeitschr.  f.  ägypt.  Sj^r.,  XXXVI,  1898,  S.  64,  Anm.  3.  Dazu  Untersuch, 
z.  Gesch.,  III  1,  S.  84. 

4)  H.  Schäfer,  Ein  Bruchstück  altügypt.  Annalen  {ÄbJidIg.  d.  Berl.  Alcad.  d. 
Wiss.,  1902);  Sethe,  Beiträge  z.  ältesten  Gesch.  Ägypt.  {Unters,  z.  Gesch.  u. 
Altertumskunde  Ägypt.,  III  1). 

5)  U.  WiLCKEN,  Griechische  Ostraka  aus  Ägypt.  u.  Nubien,  I  438. 

6)  Berichte  d.  kgl.  süchs.  Ges.  d.   ]yiss.,  1885,  S.  270. 


§  38.     (Ti-oßc  .liiliresjjprioilt'n  der  Ä;ryi)t('r.  177 

„großen"  und  eines  „kleinen  Jahres".  Lki'sm-s  will  unter  dem  „großen" 
Jahre  ein  festes  Jahr  mit  vierjähriger  Einschaltung  und  unter  dem 
„kleinen"  das  Mondjahr  sehen.  Allein  das  erstere  fließt  nur  aus  der  be- 
kannten Voraussetzung  der  LEPsirsschen  Theorie  des  ägyptischen  Jahres 
(gleichzeitiger  Bestand  eines  festen  Jahres  neben  einem  Wandeljahre), 
das  andere  aus  dessen  Hypothese  vom  Mondjahre.  Die  Beweisstelle  im 
Totenbuche  c.  27,  2  „in  diesem  Mondjahre"  oder  „in  diesem  Jahre 
[des]  ]\[ondes"  gilt  nicht,  da  sie  unkorrekt  übersetzt  ist  und  vielmehr 
nur  „in  diesem  Jahre,  in  diesem  Monate"  lautet.  Früher  (S.  109) 
haben  wir  schon  gesehen,  wie  wenig  wahrscheinlich  die  Existenz  eines 
Mondjahres  in  der  älteren  Zeit  ist.  Brugsch  macht  dieselbe  Annahme 
wie  Lepsit  s  und  findet  eine  Stütze  dafür  in  dem  Vorkommen  zweier 
Neujahrstage  in  einigen  Kalendern,  allein  wir  werden  später  (§  43) 
finden,  daß  die  zwei-  und  dreifachen  Neujahrsfeste  anders  zu  deuten 
sind.  Hier  ist  die  IvEALLSche  Meinung  wahrscheinlich  die  zu- 
treffende, welche  in  dem  „großen"  Jahr  das  gewöhnliche  365tägige 
Wandeljahr,  in  dem  „kleinen"  das  360tägige  Rundjahr,  an  welches 
sich  noch  Erinnerungen  erhalten  haben  können,  sieht. 

e)  D  i  e  P  h  ö  n  i  X  p  e  r  i  0  d  e.  Abgesehen  von  den  Verschiedenheiten, 
in  welchen  uns  die  im  Altertum  weithin  verbreitete  Sage  vom  Phönix 
entgegentritt,  sind  die  alten  Schriftsteller  in  dem  Berichte  einig,  daß 
der  Phönix  nach  langen  Zeitintervallen  von  Osten  her  (Indien  oder 
Arabien)  nach  Ägypten  komme  in  die  dem  Re  geweihte  Sonnenstadt 
HehopoVis.  Dorthin  bringt  er  nach  Heeodot  seinen  sterbenden  Vater; 
nach  anderen  verbrennt  sich  der  Phönix  in  dem  dortigen  Sonnentempel 
selbst  in  Weihrauch,  ersteht  dann  aus  seiner  Asche,  und  zwar  zuerst 
als  weißer  Wurm,  dann  als  Vogel,  der  am  dritten  Tage  wieder  in 
voller  Kraft  ist  und  der  dann  nach  dem  Osten  zurückfliegt.  Was  den 
Zeitraum  anbelangt,  nach  welchem  der  Phönix  immer  wieder  zurück- 
kehren soll,  so  hat  man  denselben  nach  Heeodot  zumeist  auf  500  Jahre 
angesetzt;  letzterer  sagt  (II  73):  „Auch  ist  noch  ein  anderer  Vogel 
heilig  mit  Namen  Phönix,  den  ich  indessen  nicht  sah,  nur  im  Bildnis, 
wie  er  denn  auch  gar  selten  und,  wie  die  Einwohner  von  Heliopolis 
sagen,  in  500  Jahren  einmal  zu  ihnen  kommt" ^  Die  meisten  der 
späteren  Schriftsteller  gehen  auf  die  Angabe  Heeodots  zurück,  so 
OviD  {Mptam.  XV  402),  Mela  {de  situ  orb.  III  9),  Seneca  {Epist  43), 
Aelian  {naf.  auim.  VI  58),  Philostratus  {vita  Apollon.  III  49), 
HuRAPOLLON  {Hierogl.  I  35),  Aueelius  Victor  {de  Caesar.  IV  14), 
Epiphaxius   {Änct/r.   c.  85)   u.  a.     Dagegen    findet   man   1000   Jahre 


1)  "Eon  de  y.ui  äXXqg  ögvig  igog.  rw  orj'Ofia  qjoTvt^.  'Eyco  ^ti'  lUv  ovk  tiöov 
£1  ^ij  oaov  yQcccpfj-  xai  yao  dij  y.al  ancivios  imcpoiTä  acpi,  Sl  irscov,  (ag  HkionoXi^rai 
XtyovGi,  Tttwaxodlcov. 

Ginzel,   Chronologie  I.  i-'i 


178  H.  Ki)])itel.     Zeitrcohimng  der  Äirypter. 

als  Länge  der  Phönixperiode  angegeben  bei  Maetial  {Ep'tgr.  Y  7), 
Lactantius  {de  Phocn.  y.  59),  Claudias  {Phoen.  v.  27).  Noch 
andere  Ansätze  erscheinen  bei  Solinus  {Pohjh.  c.  33)  540  Jahre, 
bei  dem  Byzantiner  Tzetzes  {Chiliad.  V  6  v.  395)  7006  Jahre, 
bei  Hesiod  {Fragm.  50)  neun  Eabenalter  ii.  m.  a.  Bei  Tacitus 
{ann.  VI  28)  findet  sich  die  bemerkenswerte  Notiz:  Sacrum  sali 
id  animal,  et  ore  ac  distinctii  pinnarum  a  ceteris  avibus  diversum, 
consentiunt,  qiii  formam  eins  definiere.  De  numero  annorum  varia 
traduntur,  maxime  vulgatum  quingentormn  spatium;  sunt  qui  adse- 
verent,  mille  quadringentos  sexaginta  unum  interiici.  Weder  der 
500  jährige,  noch  der  1000  jährige  Zeitraum  der  Periode  hat  ein 
ägyptisches  Gepräge,  da  den  Ägyptern  der  Begriff  des  Jahrhunderts 
und  Jahrtausends  nicht  geläufig'  war.  Vielmehr  spielen  in  Bitten  und 
Anrufungen  andere  Zeitintervalle,  110-  und  120  jährige,  bei  ihnen  eine 
Eolle,  Schon  aus  diesem  Grunde  haben  die  vielfältigen  Versuche, 
eine  500-  oder  1000  jährige,  womöglich  astronomisch  begründbare  Periode 
aufzufinden  und  sie  als  die  Phönixperiode  hinzustellen,  keinen  rechten 
Halt.  Ein  500  jähriger  oder  das  Doppelte  fassender  astronomischer 
Zyklus,  der  auf  einer  Ausgleichung-  der  Sonnen-  und  Mondbewegung 
oder  der  Planeten  beruhen  würde,  ist  nicht  leicht  auffindbar  und  aus 
dem  Mondjahre  (wie  es  Gatteeer  getan)  nur  sehr  künstlich  herzu- 
stellen. Einige  haben  die  sagenhaften  Berichte,  die  sich  hie  und  da 
über  das  Wiedererscheinen  des  Phönix  bei  den  alten  Schriftstellern 
vorfinden',  durch  einen  Zyklus  zu  verbinden  gesucht  und  als  Unter- 
lage desselben  ganz  merkwürdige  Hypothesen  aufgestellt.  Das  astro- 
nomisch Undenkbarste  haben  wohl  Seyfeakth  und  Lauth  geleistet, 
indem  der  erstere  die  Merkurdurchgänge  vor  der  Sonne,  der  andei^e 
die  Venusvorübergänge  zur  Erklärung  heranzog-. 

A\'ie  auch  die  verschiedenen  Annahmen  über  die  Länge  der  Pliönix- 
periode  aufgekommen  sein  mögen,  jedenfalls  ist  nach  den  alten  Schrift- 
stellern ein  großer  Zeitkreis  darunter  zu  verstehen.  Darauf  deutet 
schon  der  Name  Phönix  hin,  der  nicht  von  Pi-Euech  (s.  Ideler  I  184), 
sondern  von  (foivii.  =  die  Palme,   abzuleiten  ist.    Der  Palme  wurde 

1)  Man  wollte  ein  uiigefuhr  achtmaliges  Erscheinen  des  Phönix  während  des 
Aherturns  annehmen:  d?is  erste  im  16.  Jahrh.  v.  Chr.  {Tacitus),  das  zweite  608 
{Suiclas),  das  dritte  Mitte  des  6.  .lahrh.  (Tacitus),  das  vierte  um  311  {Maniliiis), 
das  fünfte  in  der  2.  Hälfte  des  3.  Jalirh.  (Tacitus),  das  sechste  34  n.  Chr.  (Tacitus), 
das  siebente  36  n.  Chr.  (Cornel.  Valerian.  Plinius,  Dio  Cass.),  das  achte  47  n.  Chr. 
(Aurel.   Victor,  Plinius). 

2)  Skyffakth,  BerichtiijHvgcn  der  Geschichte  u.  Zeitrec/ni.,  Leipzig  1855; 
Zeitschr.  d.  deutsch,  morgenl.  Ges.,  1849,  S.  63;  Lauth,  Ahhdlg.  d.  k(ß.  hair.  Akad.  d. 
W'iss.,    1.  Kl.  X^',   2.  Abt.,    S.  311.  —  Die  älteren  Hj-pothesen  hat  Martin  (Mein. 

sur  la  Periode  egypt.  da  Phenix.  Mcm.  de  VAcad.  d.  Inscr.,  1.  serie,  VI,  1864) 
gesammelt  und  kritisch  beleuchtet. 


§  38.     (troße  Jiibresperiodeii  der  Ä;cyj)ter.  179 

nämlich  die  längste  Lebensdauer  unter  den  Bäumen  zugeschrieben, 
und  der  Palmenzweig  tritt  in  den  Inschriften  als  das  Symbol  des 
Jahres  und  der  Zeiträume  auf.  Plixus^  berichtet  daher,  der  Phönix- 
vogel habe  den  Namen  von  einer  Palme,  und  Oviu  läßt  den  Phönix 
sein  Nest  auf  dem  Gipfel  einer  Palme  bauen.  Was  den  Vogel  betrifft, 
so  läßt  sich  aus  den  Beschreibungen  der  x\lten  kein  rechtes  Bild  ge- 
winnen. Man  hat  geglaubt,  ihn  in  dem  eigentümlichen  Vogel  wieder- 
zufinden, der  auf  den  Denkmälern  leicht  kenntlich  ist  durch  das 
P>derbüschel,  das  er  auf  dem  Kopfe  trägt,  oder  durch  die  Menschen- 
arme, die  er  in  kiiieender  Stellung  erhebt.  Bisweilen  erscheint  er 
auf  dem  Zeichen  ^^^zsc^,  das  sich  auf  den  König  bezieht,  gewöhnlich 
mit  einem  Stern  davor-.  Doch  ist  dieser  Vogel  nichts  als  eine  Ver- 
körperung der  unterworfenen  Menschen,  die  den  König  verehren. 
Brugsch  hat  schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  der  in  den 
religiösen  Texten  Bpuuu  genannte  Vogel  identisch  mit  dem  Phönix 
sein  müsse,  und  Wiedemaxn,  der  die  Entwicklung  der  Sage  vom 
Phönix  eingehend  verfolgte,  hat  die  Eichtigkeit  dieser  Annahme  außer 
Zweifel  gestellt -l  Er  versucht  auch  zu  zeigen,  wie  sich  an  diesen 
Vogel  (ardae  cinerea,  eine  im  Sommer  in  Nordägj'pten,  im  Winter  in 
Südägypten  lebende  Keiherart)  die  Phönixsage  knüpft.  Der  Vogel  i?e>/;m 
bedeutet  als  Phönix  ein  Symbol  für  die  Verw^andlung,  Reinigung  der 
materiellen  und  geistigen  Welt  überhaupt,  im  speziellen  ein  Symbol  der 
belebenden  Tätigkeit  der  Sonne.  In  der  Phönix-Sage  also  liegt,  wie  man 
sieht,  kein  Grund  für  die  Annahme  einer  großen  Jahresperiode;  eine 
solche  müßte  erst  in  der  späten  Zeit,  wo  man  auch  die  anderen  Perioden 
zu  bilden  anfing ,  aufgekommen  sein.  Dies  erklärt  wohl  auch ,  daß 
man  die  500jährige  Phönixperiode  auf  Denkmälern  bis  jetzt  nicht 
hat  nachweisen  können. 

Der  Hinweis,  den  Tacitus  gibt  (s.  die  oben  mitgeteilte  Stelle), 
betrifft  die  Sothisperiode  von  1461  Jahren.  In  diesen  1461  Jahren 
(=  1460  julianischen)  kehrt,  wie  wir  im  nächsten  Paragraphen  sehen 
werden,  der  Anfang  des  305tägigen  Wandeljahres  auf  den  Beginn 
des  Sothisjahres  zurück,  oder  Wandeljahr  und  Siiiusjahr  gleichen  sich 
nach  diesem  Zeitraum  aus.  Manche  meinen  ohne  hinreichenden  Grund, 
daß  der  Phönix  ein  Symbol  der  Sothisperiode  sei.  Der  Beginn  einer 
neuen  solchen  Periode,  die  Wiederholung  der  heliakischen  Siriusauf- 
gänge, sei  ein  so  wichtiges  Ereignis  für  die  Ägypter  gewesen,  daß  sie 


1)  {Eist.  nat.  XIII  9):  mirumque  de  ea  (palmae  specie  syagro)  accepimus. 
cum  Phoenice  ave,  quae  putatur  ex  huius  palmae  argnmento  nomen  accepisse, 
iterum  mori  ac  renasci  ex  seipsa. 

2)  loMARD,  Descript.  de  l'Eyi/pt.  Antiq.  d'Edfou,  §  VI;  andere  DarstellungeH 
s.  bei  LEPSirs,  Chronol.  d.  Ägi/pt.,  I  183. 

3)  Zeitschr.  f.  äyijpt.  Spr.,  XVI,  1878,  S.  89. 

12^ 


180  Tl.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

diese  Periode  durch  ein  Symbol  ausgedrückt  hätten.  Lepsius  hat  das 
Zustandekommen  einer  500  jährigen  Phönixperiode  folgendermaßen  zu 
erklären  versucht:  Der  Überschuß  des  tropischen  Jahres  über  365  Tage 
(0,24225  Tage)  macht  in  etwa  1505  Jahren  ein  volles  Jahr  (365  Tage) 
aus ;  das  tropische  Jahr  gleicht  sich  also  in  diesem  Zeiträume  mit  dem 
Wandeljahre  aus,  ebenso  wie  das  Sothisjahr  mit  diesem  in  1461  Jahren. 
Man  könne  annehmen,  daß  das  tropische  Jahr  das  Phönixjahr  der 
Ägypter  gewesen  sei.  Wenn  man  es  (bei  ihrer  jedenfalls  nicht  voll- 
kommenen Kenntnis  desselben)  auf  1500  Jahre  ansetze  und  bedenke, 
daß  beim  gewöhnlichen  Jahre  eine  uralte  Dreiteilung  üblich  war,  so 
könne  man  leicht  zu  dem  Gedanken  einer  Übertragung  der  Dreiteilung 
auf  das  große  tropische  Phönixjahr  kommen,  und  damit  wäre  dann 
die  HEEODOTSche  Angabe  von  500  Jahren  (als  ein  Drittel  des  großen 
tropischen  Jahres)  erklärt.  Allein  wir  haben  (Einleitung  S.  67)  ge- 
sehen, wie  schwierig  selbst  für  Astronomie  treibende  Völker  die  Fest- 
stellung der  Länge  des  Überschusses  des  Jahres  über  365  Tage 
gewesen  sein  muß.  Die  Erkenntnis  der  wahren  Länge  des  tropischen 
Jahres  setzt  schon  einen  beträchtlich  hohen  Stand  der  Astronomie 
voraus,  den  wir  nach  dem  früher  Gesagten  den  Ägyptern  nicht  bei- 
legen können. 

Wir  werden  also  wohl  im  ganzen  die  Phönixperiode  durch  keine 
astronomischen  Grundlagen  erklären  dürfen,  sondern  müssen  annehmen, 
daß  sie  nur  allgemein  einen  großen  Zeitkreis  ausdrücken  soll,  inner- 
halb dessen  alle  Naturerscheinungen,  die  an  den  Erhalter  des  ge- 
samten Erdenlebens,  die  Sonne,  geknüpft  sind,  sich  immer  wieder 
erneuern. 

f)  Die  Apisperiode.  Die  Verehrung  der  heiligen  Stiere  in 
Ägypten  scheint  sich  bis  in  die  älteste  Zeit,  bis  zur  2.  Dynastie  zurück- 
zuerstrecken.  Plutakch  erzählt  {Isis  et  (hir.  c.  56),  die  Lebenszeit 
des  Apis  sei  das  Quadrat  von  fünf,  erreiche  er  diese  Grenze,  so  werde 
er  in  den  heiligen  Brunnen  versenkt  und  getötet.  Diese  Nachricht 
ist  durch  die  Lischriften  längst  überholt.  Auf  den  Apis-Stelen  er- 
scheinen alle  möglichen  Lebensalter  der  Stiere,  z.  B.  18  Jahre  7  Monate 
17  Tage,  17  Jahre  6  Monate  5  Tage  u.  s.  w.  Nachweisbar  sind  die 
meisten  22  bis  23  Jahre,  manche  aber  26  bis  28  Jahre  alt  geworden. 
Nirgends  scheint  ihnen  eine  bestimmte  Lebensdauer  festgesetzt  und 
eine  Periode  von  25  Jahren  geht  aus  den  Denkmälern  nicht  hervor. 
Der  Apis  wird  auf  den  Denkmälern  der  „lebende  hapc'',  der  „wieder 
lebende  PtoA"  oder  OsiriH-Hape  genannt;  er  ist  ein  Sohn  des  Ptah 
oder  des  Osir'is.  Übereinstimmend  damit  setzen  die  klassischen  Schrift- 
steller den  heiligen  Apis  dem  Osirts  gleich  (Diod.  I,  85,  4;  Pliitaech, 
Js.  et  Os.  20,  29;  Steabo  XVII  c.  1,  31);  er  stand  in  gewisser  Beziehung 
zum  Monde   und   war   dem  Mondgotte   geweiht.     Die  Beziehung   zum 


i?  39.     I>ie  lifliakisclien  Siriusaufgänfje.  181 

]\ronde  geht  aucli  aus  einzelnen  Stellen  der  Klassiker  hervor  (Hkikjuo'I' 
III  28,  LrciAX  VIII  479,  Ammiax.  Makc.  XXII  14  u.a.).  Man  hat 
deshalb  o-eglaubt,  die  von  Plttaech  benannte  25 jährfö-e  Periode  in 
iro-end  eine  astronomische  Verbindung-  mit  der  Mondbewegung  bringen 
zu  müssen.  Bailly,  Ideler  und  Lepsius^  haben  darauf  hingewiesen, 
daL^  309  mittlere  synodische  Mondmonate  ungefähr  2.5  ägyptischen 
Jahren  (9125  Tagen)  gleichkommen;  Iuelee  meinte  überdies,  in  ge- 
wissen 25  jährigen  Intervallen,  nach  denen  Ptolemäus  astronomische 
Zahlen  anordnet,  eine  Bestätigung  für  das  Vorhandensein  einer  25  jährigen 
Periode  bei  den  Ägyptern  zu  sehen.  J.  v.  Gumpach-  glaubte  dartun 
zu  können,  daß  die  Epoche  der  Apisperiode  immer  auf  den  1.  Tlioth 
gefallen  und  zugleich  an  die  erste  Sichel  des  Mondes  (Neulicht,  nach 
Neumond)  gebunden  gewesen  sei.  In  neuerer  Zeit  hat  E.  Mahler 
die  Hypotliese  eines  25  jährigen  Mondzyklus  wieder  aufgenommen  und 
besonders  durch  den  Nachweis  zu  stützen  gesucht,  daß  der  Einführungs- 
tag der  Stiere  in  das  Apieum  auf  Vollmondstage  fällt.  Die  wenigen 
Fälle  sind  aber  nicht  beweisend  genug.  Ferner  schwebt  die  25  jährige 
Dauer  der  Periode  inschriftlich  völlig  in  der  Luft,  und  außerdem  sind 
die  Bew^eise  für  das  Vorhandensein  eines  Mondjahres,  welches  aus  der 
Voraussetzung  hinreichender  Kenntnis  obiger  Gleichung  folgen  würde, 
wie  schon  früher  bemerkt,  für  die  Ägypter  recht  schwach.  Die  Bildung 
einer  25jährigen  Apisperiode  gehört  also,  wie  mehreie  der  anderen 
in  diesem  Paragraphen  aufgeführten  Perioden,  einer  späteren  Zeit 
an.  —  Zu  den  Perioden  der  Ägj'pter  gehört  schließlich  die  Sothis- 
periode.  Den  Erörterungen  über  diesen  wichtigen  Zeitkreis  muß 
ich  einige  astronomische  Auseinandersetzungen  vorangehen  lassen. 

§  39     Die  lieliakischen  Siriusaufgänge. 

Sirius  ist  nächst  dem  /S«A-Gestirn  (Orion)  der  bedeutungsvollste 
unter  den  Sternen;  war  haben  ihn  schon  als  „Gebieterin  der  Schutz- 
sterne" (Vorsteherin  der  Dekane)  kennen  gelernt.  Sein  ägyptischer  Name 
ist  Sopdet,  was  die  Griechen  durch  Sothis  wiedergeben;  er  war  der  Isis 
geweiht  und  erscheint  deshalb  als  „Isis-Sothis^''  vielfach  auf  den  Denk- 
mälern. An  seinen  Frühaufgang  Avar  der  Beginn  des  Jahres  geknüpft. 
Wir  w^ollen  zuerst  die  Haupterscheinungen  dieses  hellsten  Sterns  unseres 
Nordhimmels  kennen  lernen,  und  wählen  hierzu  das  Jahr  139  n.  Chr.,. 
in  welchem,  wie  aus  einer  Stelle  bei  Censoeix  folgen  würde  (auf  die- 
selbe und  auf  die  Angaben  anderer  Schriftsteller  kommen  wir  im 
nächsten  Paragraphen   zurück),   der  Frühaufgang   am   21.  Juli  statt- 


1)  Bailly,  Hist.  de  l'Astr.  404;  Ideler  I  182;  Lepsius,  Chronol.  d.  Ägypt.,  I  160^ 

2)  Zeitrechn.  d.  Bahyh  n.  Ässi/rer,  1852,  S.  165. 


1 82  Tl.  Ka])itel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

gefunden  hat;  als  Ort  der  Beobachtung-  nelimen  wir  Mempliis  an. 
Mit  Hilfe  der  Position  des  Sirius  für  139  n.  Chr.  (s.  Tafel  I  am 
Schluß  dieses  Bandes)  ergibt  sich,  daß  der  Stern  um  Mitte  Dezember 
um  die  Mitternachtszeit  kulminierte.  Um  diese  Zeit  bot  er  also  den 
schönsten  Anblick  und  war  die  ganze  Nacht  sichtbar.  Allmählich 
aber  rückte  die  Zeit  seines  Aufgangs  in  die  Zeit  der  Abenddämmerung 
hinein,  und  bald  nach  Januarbeginn  konnte  sein  letzter  Aufgang  in 
der  Abenddämmerung  (der  scheinbare  akronychische  Aufgang)  wahr- 
genommen werden.  l)ie  Aufgangszeit  verschob  sich  bis  zum  Frühjahrs- 
äquinoktium in  den  Mittag,  der  Untergang  in  die  ersten  Abendstunden. 
Im  Mai  blieb  die  Sichtbarkeit  des  Sterns  auf  die  Zeit  um  Sonnen- 
untergang beschränkt  und  in  der  zweiten  Hälfte  dieses  Monats  konnte 
sein  Verschwinden  in  den  Sonnenstrahlen  (der  heliakische  Untergang) 
beobachtet  werden.  Im  Juni  entzog  sich  der  Stern  ganz  der  Wahr- 
nehmung, da  er  am  Tage  auf-  und  unterging.  Aber  bald,  wenn  sich 
das  Ansteigen  des  Nil  anmeldete,  tauchte  auch  der  Sirius  wieder  am 
Morgenhimmel  auf  (heliakisclier  Aufgang)  und  seine  Untergangszeit 
fiel  auf  den  Nachmittag.  Im  September  ging  er  schon  um  Mitternacht 
auf  und  um  Mittag  unter,  und  zur  Zeit  der  Aussaat  der  Frucht,  im 
November,  erfolgte  der  erste  Untergang  in  der  Morgendämmerung 
(scheinbarer  kosmischer  Untergang). 

Die  wichtigste  dieser  Erscheinungsphasen  für  die  Ägypter  ist  der 
heliakische  Aufgang  (Frühaufgang).  Derselbe  ist,  wie  schon  in 
§  6  (S.  25)  erklärt  w^urde,  von  mehreren  Bedingungen  abhängig;  nicht 
nur  von  der  Position  des  Sterns  zu  einer  gegebenen  Zeit,  sondern 
von  dem  Sehungsbogen  (arcus  visionis)  und  vor  allem  von  der  geo- 
graphischen Breite  des  Beobachtungsortes.  Der  Sehungsbogen,  in 
Winkelmaß  ausgedrückt,  um  welchen  die  Sonne  senkrecht  unter  dem 
Horizonte  steht,  wird  für  die  heliakischen  Auf-  und  Untergänge  der 
Sterne  erster  Größe  von  PTtn.EMÄis  zu  IP  angenommen;  der  Betrag 
des  Sehungsbogens  hängt  aber  auch  von  der  Stellung  des  Sirius  gegen 
die  Sonne  ab,  und  Th.  v.  Oppolzer,  dem  wir  die  genaueste  Unter- 
suchung über  die  astronomischen  Verhältnisse  der  Siriusperiode  ver- 
danken', hat  deshalb  in  seinen  Rechnungen  diesen  Umstand  durch 
Variation  des  Betrages  des  Sehungsbogens  berücksichtigt.  Die  geo- 
graphische Breite  des  Beobachtungsortes  hat  den  größten  Einfluß  auf 
die  Eechnungsresultate.  Innerhalb  derjenigen  Breiten,  die  für  Ägypten 
in  Betracht  kommen,  kann  sich  ein  heliakischer  Siriusaufgang  um 
sieben  Tage  und  mehr  verschieben,  wie  aus  den  später  mitzuteilenden 
Zahlen  hervorgehen  wird.    Südlichere  Orte  sehen  im  allgemeinen  die 


1)   Ub.  die  Länqe  des  Striusjahres  ii.  der  Sothisperiode  {Sitzgsher.  d.   Wiener 
Akad.  d.   Wiss.,  1884,  90.  Bd.,  nuitli.  Kl.). 


i;  39.     Di«'  licliakischc'ii  Siiiiisaufgänge.  183 

Aufg-änge  wesentlich  früher  als  nördliche ;  für  die  Zeit  um  200  n.  Chr. 
beträgt  die  Änderung  für  einen  Breitegrad  etwa  0,9  Tage.  Die 
geographische  Länge  des  Beobachtungsortes  dagegen  beeinflußt  die 
Eechnung  sehr  wenig.  Wegen  dieser  Änderungen  des  Eintrittes  der 
heliakischen  Aufgänge  unter  verschiedenen  Breiten  wird  in  die  Be- 
urteilung der  alten  Nachrichten  über  den  Tag  des  Siriusaufgangs  in 
Ägypten  ein  schwieriges  Element  eingeführt,  und  man  ist  vor  die 
A\'ahl  gestellt,  entweder  einen  einzelnen  Ort,  etwa  ein  Hauptheiligtum 
Ägyptens,  als  autoritativ  für  die  Festsetzung  des  Aufgangstages  an- 
zusehen, oder  die  einzelnen  Tempelbezirke  als  unabhängig  voneinander 
hinzustellen,  also  mehrererlei  Siriustage  gelten  zu  lassen.  Die  Schwierig- 
keit wird  weiter  noch  erhöht  durch  die  mißliche  Wahrnehmbarkeit  dieser 
Erscheinungen  (s.  S.  26)  und  durch  die  Differenzen  der  meteorologischen 
Verhältnisse  in  den  verschiedenen  Jahren^.  Hierzu  kommt  zuletzt  noch, 
daß  die  heliakischen  Siriusaufgänge  nicht,  wie  man  früher  angenommen 
hat,  durch  Jahrtausende  für  einen  bestimmten  Ort  auf  demselben  Tage 
haften,  sondern  es  findet  in.  dieser  Hinsicht  eine,  wenn  auch  langsame 
Verschiebung  der  Aufgangszeit  statt.  Alle  diese  Umstände  fordern 
eine  vorsichtige  Behandlung  der  alten  Nachrichten  von  heliakischen 
Siriusaufgängen;  die  beträchtliche  Unsicherheit,  die  der  Gegenstand 
mit  sich  bringt,  gebietet  wenigstens  ein  Zurückhalten  in  den  Schlüssen, 
die  man  an  die  Tradition  zu  knüpfen  sich  leicht  versucht  fühlen  kann. 
Wir  wollen  nun  näher  auf  den  Verlauf  der  heliakischen  Aufgänge 
während  einer  Jahresreihe  und  auf  die  Verschiebung  gegen  das 
ägyptische  Wandeljahr  eingehen  und  dabei  der  Darstellung  Oppolzees 
folgen  (Fig.  5).  Es  bezeichne  HH'  den  Horizont,  der  Abstand  HJ  bis  H'K 
den  Sehungsbogen ,  die  Zeichen  O  die  Stelle  der  Sonne  unter  dem 
Horizonte  HH',  wenn  der  Sirius  bei  seinem  Aufgange  sich  gerade  in 
dem  letzteren  befindet.  Steht  die  Sonne  näher  dem  Horizonte,  also 
über  der  Grenzlinie  JK  des  Sehungsbogens ,  so  sind  ihre  Strahlen 
noch  zu  intensiv,  um  den  Sirius  über  dem  Horizonte  hervortreten 
lassen  zu  können,  also  sind  die  heliakischen  Aufgänge  unsichtbar,  zu 
deren  Zeiten  sich  die  Zeichen  O  oberhalb  der  Grenzlinie  JK  befinden; 
dagegen  sind  jene  Aufgänge  sichtbar,  wo  die  Sonne  sich  unter  der 
Grenze  JK  befindet.  Die  Zeichen  in  je  einer  der  schief  aufsteigenden 
Eeihen  gehören  immer  zu  ein  und  demselben  Monatstage,  z.  B.  die 
in  der  obersten  schiefen  Linie  zum  3.  Epagomenentag,  die  darunter 
folgenden  zum  4.  und  5.  Epagom.,  1.  und  2.  TItof/i.  Die  Vertikallinien 
A,  B,  C,  D  .  .  .  .  bezeichnen  die  Stellung  der  Sonne  in  den  einzelnen 

1}  NoL'ET  (s.  A^OLNEY,  Bech.  SH7-  Vhistoire  anc,  III  322)  gibt  z.  B.  an.  daß 
der  Horizont  in  Ägypten  fast  stets  von  einer  dichten  Dunstsehiclit  umlagert  sei, 
daß  Sterne  2.  und  3.  Größe  überhaupt  kaum  durchdringen  können. 


184 


n.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 


Jahren  A,  B,  C,  D  .  .  .  .  an  den  entsprechenden  Jahrestagen.  Durch 
Verfolgung-  der  vertikalen  und  schiefen  Linien  bis  zu  ihren  Schnitt- 
punkten kann  man  sofort  beurteilen,  ob  in  einem  Jahre  ein  heliakischer 
Aufgang  an  einem  bestimmten  Tage,  z.  B.  am  21.  Juli  des  Wandeljahrs 
wahrnehmbar  sein  kann  oder  nicht.  Man  sieht  z.  B.,  daß  im  Jahre  A 
am  4.  Epagomenentage  die  Sonne  noch  über  der  Grenze  JK  steht, 
daß  also  der  heliakische  Aufgang  unsichtbar  bleiben  muß ;  am  5.  Epag. 
im  selben  Jahre  A  steht  die  Sonne  gerade  in  der  Grenze  JK,  der 
heliakische  Siriusaufgang  wird  immer  noch  nicht,  wohl  aber  am 
nächsten  Tage,  dem  1.  Thoth,  beobachtbar  sein,  wo  das  Zeichen  O 
schon  unter  der  hackenförmigen  Linie  „21.  Juli"  steht.  Mit  den 
laufenden  Jahren  nähert  sich  die  Sonne  der  Grenzlinie  JK  etwas  (für 
die  Breite   von  Memphis   jährlich   etwa   13   Bogenminuten),   deshalb 


/r- 


A     B     C     D    A     R    C    D'    A"  B"    C  D" 


ysi 


Fig.  5. 

steigen  die  Zeichen  O  in  schiefer  Linie  an.  Man  bemerkt,  daß  die 
Wahrnehmbarkeit  des  heliakischen  Aufgangs  desto  leichter  wird,  je 
weiter  der  Jahrestag  fortschreitet,  und  anderseits,  daß  mit  den  fort- 
schreitenden Jahren  der  Aufgang  auf  einen  anderen  Tag  rückt,  z.  B. 
im  Jahre  A  am  1.  Thoth  war  der  heliakische  Aufgang  gut  sichtbar, 
im  nächstfolgenden  Jahre  B  am  1.  Thofh  ebenfalls  noch,  dagegen  am 
1.  Thoth  der  Jahre  C  und  1)  kaum  mehr,  da  die  Sonne  zu  nahe  der 
Grenze  JK  stand;  vom  Jahre  A'  ab  aber  rückt  die  Sichtbarkeit  auf 
den  2.  Thoth.  Sie  verbleibt  auf  dem  2.  Thoth  wieder  4  Jahre  und 
rückt  dann  (bei  A")  auf  den  3.  ThotJi  u.  s.  w.  Wenn  nun  der  Beginn 
einer  Siriusperiode  (des  Sothisjahres)  an  einen  festen  Tag  geknüpft 
wird,  so  folgt  aus  diesen  Verhältnissen,  daß,  mit  Rücksicht  auf  die 
Verschiedenheit  der  Sehschärfe  der  Beobachter  und  der  meteorologischen 
Bedingungen,  an  einem  und  demselben  Orte  (demselben  Parallelkreis) 
der  entscheidende  Tag,  also  der  Beginn  der  Siriusperiode  um  2  Jahre 


i;  39.     Die  lii'liakisclirii  Sirinsaufgängt'.  185 

differierend  festgesetzt  werden  kann.  Im  allgemeinen  konnten  aber 
die  Priester,  wenn  sie  sich  zahlreich  an  den  Beobachtungen  beteiligten, 
feststellen,  daß,  wenn  ihnen  die  Konstatierung  des  Aufgangs  in  einem 
Jahre  leicht,  im  nächsten  aber  nur  schwierig  möglich  gewesen  war, 
sie  im  folgenden  .lahre  den  nächsten  Tag  als  Aufgangstag  zu  nehmen 
und  durch  4  Jahre  beizubehalten  hätten.  Der  julianische  Kalender 
(3651/4  Tage)  geht  nur  durch  3  Jahre  parallel  mit  dem  ägyptischen 
Wandeljahre  (365  Tage)  und  springt  alle  4  Jahre  wegen  des  Schaltungs- 
tages  um  einen  Tag  vor.  Hieraus  erklärt  sich  die  hackenfürmige 
Linie  „21.  Juli".  Der  21.  Juli  fällt  z.  B.  im  Jahre  A  mit  dem  1.  Thoth, 
in  den  Jahren  B,  C,  1)  mit  dem  2.  Tliotli  zusammen.  Die  Zeichnung 
lehrt  also,  daß  der  julianische  Jahrestag  (21.  oder  20.  Juli)  konform 
läuft  mit  den  heliakischen  Siriusaufgängen  der  fortschreitenden  Wandel- 
jahre. Daraus  ist  die  Annahme  erklärlich,  die  man  gemacht  hat,  daß 
der  heliakische  Aufgang  des  Sirius  während  des  ganzen  Altertums 
auf  demselben  julianischen  Tage  haften  bleibe.  Oppolzer  hat  aber 
die  Länge  des  Siriusjahres  genau  bestimmt  und  gefunden,  daß  sich 
dieselbe  langsam  ändert.  Für  die  Anfänge  der  hauptsächlich  in 
Betracht  kommenden  Sothisperioden  beträgt  die  Länge  des  Siriusjahres 

um    139  n.  Chr.  365  Tage  6  Stunden  1  Minute  29  Sekunden 

„   1318  V.  Chr.  365  „  6  „         0       „       43          „ 

,,  2776       ,,       365  „  6  ..         0        ..         8          „ 

„  4236        „        365  „  5  „       59        „       46 

Die  Länge  vergrößert  sich  also  mit  der  Zeit;  nur  im  sehr  zurück- 
liegenden Altertum,  um  etwa  3231  v.  Chr.,  war  das  Siriusjahr  völlig 
gleich  dem  julianischen  (365  Tage  6  Stunden).  Diese  Variation  mußte 
notwendigerweise  den  Ägyptern  völlig  entgehen,  und  sie  waren  auf 
Grund  ihrer  Beobachtungen,  wie  man  sieht,  berechtigt,  das  Siriusjahr 
zu  365  \/4  Tagen  anzunehmen.  Nach  je  4  ihrer  Wandeljahre  war  das 
Siriusjahr  um  1  Tag  voraus,  also  waren  1461  Wandel  jähre  gleich 
1460  Siriusjahren;  diese  letztere  Periode  nannte  man  eine  Sothis- 
periode.  Man  hielt  diese  Periode  für  konstant,  in  der  Tat  aber 
verkürzte  sie  sich,  denn  ihr  Anfang  fiel  rechnungsmäßig  auf  folgende 
Jahre,  zwischen  denen  sich  die  beigeschriebenen  Intervalle  ergeben: 

Zwischenzeit  iu 
Siriusjahren  Wandeljahren 


4236  V.  Chr. 

1460 

1461 

2776 

!? 

1458 

1459 

1318 

1457 

1458 

139  n.  Chr. 

186 


II.  Kiipitel.     Zeitrt'chnuiig  der  Ägypter. 


Die  Annahme  einer  Sotliisperiode  von  14(31  Wandel  jähren  ist  also 
eigentlich  illusorisch,  da  sich  die  Länge  derselben  mit  der  Zeit  um 
mehrere  Jahre  verkürzt,  während  der  Geschichte  Ägyptens  um 
3  Jahre;  nur  für  die  Zeit  des  4.  und  5.  Jahrtausends  v.  Chr.  dürfen 
1461  Jahre  gerechnet  werden.  Die  hier  angesetzten  Epochen  der 
Sothisperioden  ändern  sich  ferner  um  1  bis  2  Jahre,  wenn  man  die  Rech- 
nungsbedingungen (Sehungsbogen ,  geogr.  Breite  u.  s.  w.)  verändert  ^, 
allein  das  Resultat,  daß  die  Siriusperiode  nicht  konstant  ist, 
bleibt  der  Hauptsache  nach  davon  unberührt. 

Was  nun  den  Tag  betrifft,  an  welchem  unter  verschiedenen 
Breiten  die  heliakischen  Siriusaufgänge  stattfinden,  so  hat  OrroLZER 
Formeln  gegeben,  aus  denen  sich  für  eine  gegebene  Zeit  und  unter 
den  Bedingungen,  die  sich  beim  Ausgangspunkte  21.  Juli  sowohl  wie 
20.  Juli  ergeben,  die  Zeiten  der  Aufgänge  berechnen  lassen.  Meine 
hier  folgenden  Zahlen  sind  aber  hiervon  unabhängig,  und  zwar  mit 
der  alten  PTOLEMÄischen  Annahme  von  IP  für  den  Sehungsbogen, 
ferner  mit  Zugrundelegung  der  Sternpositionen  für  Sirius-  (Tafel  I) 
und  der  WiSLicENusschen  und  ScHRAMSchen  Tafeln  der  jährlichen 
Auf-  und  Untergänge  der  Sterne  resp.  des  letzteren  Zodiakaltafeln 
(s.  Einleitung  S.  53)  berechnet,  haben  also  mit  Oppolzees  Formel 
oder  Voraussetzungen  gar  keinen  Zusammenhang.  Ich  habe  für  die 
geographischen  Breiten  26^,  30*^,  34*^  und  38^  gerechnet,  so  daß  man 
für  einen  anderen  gegebenen  Ort  von  bekannter  nördl.  Br.  interpolieren 
kann;  zugleich  lassen  diese  Angaben  die  Abweichung  in  der  Zeit  der 
heliakischen  Aufgänge  mit  den  verschiedenen  Breiten  deutlich  über- 
sehen. Die  Resultate  sind  in  Dezimalteilen  des  Tages  (den  Tag  von 
12''  Mittags,  also  astronomisch,  gerechnet),  und  zwar  in  mittlerer 
Greenwicher  Zeit  angesetzt. 

Heliakische  Aufgänge  des  Sirius. 


Astro- 

nomisch 

Historisch 

26^' 

D.  Br. 

30»  n.  Br. 

34«  n.  Br. 

38»  n.  Br. 

—  4000 

=  4001  V.  Chr. 

,Iuli 

13,271 

Juli    19,039 

Juli    25,354 

Aug.    1,145 

—  3200 

=  3201        „ 

^ 

13,597 

r          18,842 

«        24,467 

Juli   30,574 

—  2400 

==  2401        , 

p 

14,016 

.          18,729 

„        23,840 

,      29,388 

—  1600 

=    1601        , 

„ 

14,487 

.          18,835 

.        23,522 

„      28.602 

—     800 

=     801 

, 

15,109 

.          19,152 

„        23,484 

T             28,159 

0 

=          I        ^ 

^ 

15,955 

.          19,740 

.        23,783 

„             28,076 

-\-     800 

=     800  n.  ("hr. 

•r 

17,023 

.         20,577 

V         24,334 

.            28,346 

Diese  Tafel   ist   nur   für  Schätzungen   bestimmt.     Man  wird  aus  der- 
selben z.  B.  für  das  Jahr  400  y.  Chr.  entnehmen,  daß  in  diesem  Jahre 


1)  s.  Oppolzek,  a.  a.  0. 

2)  Diese  Sternpositiouen    stimmen   mit   den  Oi'PoT.zKusehen     a.  a.  0.,    S.  566) 
genau  überein,  sind  aber  bei  mir  weiter  von  1600  bis  4000  v.  Chr.  zurüekgerechnet. 


ij  40.     Die  S(itliis])cri()(lr.     Ai)okjit;i.stiis('ii.     Siriiisdiitcii. 


187 


der  heliakische  Aufo-ang  für  Theben  (26^»  nördl.  Br.)  luisetälir  am 
15.  Juli,  für  Memphis  (30*^  nördl.  Br.)  am  19.  Juli,  für  Alexandrien 
(31,1"  nördl.  Br.)  am  20.  Juli  stattfand.  Für  eine  jienauere  Ermittlung- 
des  TajR-es  sind  die  Sonnenlängen  nötig-,  bei  Avelclien  die  lieliakischen 
Anfg-äng-e  vorfallen.     Es  sind  folgende: 

,     Sonnenläng-en  der  heliakisclien  Aufgänge  des  Sirius. 


Astro- 
nomisch 

Historisch 

26»  n.  Br. 

30»  n.  Br. 

34**  n.  Br. 

38°  n.  Br. 

—  4000 

=  400 1  V.  Chr. 

77,66iO 

83,2880 

89,4480 

96,191" 

—  3200 

=  3201   „ 

Ö3.934 

89,012 

94,540 

100,561 

—  2400 

=  2401   „ 

90,368 

94.976 

99,974 

105,399 

—  1600 

=  1601   „ 

96,972 

101,191 

105,739 

1 10,668 

—  800 

■^     801   , 

103,777 

107,673 

111,848 

116,354 

0 

=    I   „ 

110,815 

114,443 

1 18,320 

122,470 

+   800 

=  800  n.  Chr. 

I 18,1 12. 

121,524     ; 

125,152 

129,027 

Um  den  Tag  des  Aufgangs  mittelst  dieser  Tafel  zu  finden,  interpoliert 
man  für  das  gegebene  Jahr  und  die  geographische  Breite  die  Sonnen- 
länge und  ermittelt  mit  Hilfe  der  ScHKAMSchen  Zodiakaltafel  den  Tag, 
der  dieser  Sonnenlänge  entspricht.  Z.  B.  für  das  Jahr  139  n.  Chr. 
findet  man  für  Memphis  (30^  nördl.  Br.)  mit  Rücksicht  auf  die  höheren 
Differenzen  der  angesetzten  Werte  die  Sonnenlänge  115,650o.  Aus  den 
ScHKA^rschen  Tafeln  resultiert  für  90"  Sonnenlänge  der  julianische  Tag 
1772001,8498,  für  120"  der  Tag  1772033,1653,  hieraus  für  115,650" das 
Komplement  26,7747  Tage,  demnach  der  julianische  Tag  1  772  028,6245. 
Diesem  Datum  entspricht  139  n.  Chr.  Juli  20,6245  =  Juli  20,  15"^  mittl. 
Zeit  Greenwich  =  17''  mittl.  Zeit  Memphis,  d.  h.  der  Morgen  des  21.  Juli 
139  n.  Chr.  Für  Alexandrien  würde  die  Sonnenlänge  116,698"  sein, 
entsprechend  dem  Datum  Juli  21,  19^  mittl.  Zeit  Alexandrien,  d.  h. 
der  22.  Juli. 


§  40.    Die  Sothisperiode.    Apokatastasen.     Siriusdateu. 

unter  den  alten  Schriftstellern  herrscht  über  den  Tag  des  lielia- 
kischen Siriusaufgangs  wenig  Übereinstimmung.  Censoeix  sagt  darüber 
folgendes:  „Der  Anfang  desjenigen  (großen)  Jahres  der  Ägypter, 
welchen  die  Griechen  y.wiy.öv,  die  Lateiner  annus  canicularis  nennen, 
wird  gesetzt,  wenn  am  ersten  Tage  des  Monats,  den  die  Ägypter 
Tlioth  nennen,  der  Hundstern  aufgeht;  denn  ihr  bürgerliches  Jahr 
hat  nur  365  Tage  ohne  eine  Schaltung.  Daher  ist  das  Quadriennium 
ungefähr  um  einen  Tag  kürzer  als  das  natürliclie  Quadriennium,  und 
daher  kommt  es,  daß  es  (erst)  mit  dem  1461.  Jahre  zu  jenem  zurück- 
kehrt.    Dieses  Jahr   wird  von  einigen  ißiaxog  genannt ,   von  anderen 


188  11.  Kapitel.     Zeitreclinung  der  Ägypter. 

6  ^sov  iviavTog.^'-  Ferner  heißt  es  bei  demselben  Schriftsteller,  daß 
das  gegenwärtige  Jahr  (in  welchem  Censorin  schreibt)  das  986.  der 
Nabonnassarischen  Ära  sei  (d.  i.  238  n.  Chr.),  oder  nach  der  Ära 
Philippi  das  562.  „Aber  hierbei  wird  immer  von  dem  ersten  Monats- 
tage, den  die  Ägypter  1.  TJioth  nennen,  gerechnet,  welcher  in  diesem 
Jahre  auf  VII.  Cal.  Jul.  (=  25.  Juni)  fiel,  während  er  vor  100  Jahren, 
unter  dem  (2.)  Konsulate  von  Antoninus  Pius  und  Bruttius  Praesens, 
mit  dem  XII.  Cal.  Aug.  (=  21.  Juli)^  identisch  war,  zu  welcher 
Zeit  der  H u n d s t e r n  in  Ägypten  aufzugehen  pflegt  [solet]. 
Daher  kann  man  auch  wissen,  daß  von  jenem  großen  Jahre  (welches 
das  Sonnen-  oder  Hundejahr  oder  Götterjahr  genannt  wird)  gegen- 
wärtig das  hundertste  begangen  wird-."  Mit  liücksicht  auf  die  unten 
in  der  Anmerkung  erklärte  Korrektur  des  Datums  fällt  also  nach 
Censorin  der  heliakische  Siriusaufgang  in  Ägypten  auf  den  20.  Juli. 
Dagegen  geben  eine  größere  Zahl  der  alten  Autoren  den  19.  Juli: 
DosiTHEos  (unter  Ptolemäus  IIL,  oder  dessen  Nachfolger)  '\  Palladius 
[VII  9]  (gegen  Ende  des  4.  Jahrh.)  „in  ortu  caniculae,  qui  apud 
Romanos  XIV,  Cal.  Aug.  die  tenetur"  [=  19.  Juli],  ebenso  Aetios 
(Tetrahihl.  III  164)  und  der  jüngere  Zoroaster  {Excerpta  Georgica 
(rraecorum  suh  nomine  Zoroitstrls)]  Hephaestion  (aus  Theben,  nach 
Salmasius  unter  Konstantin  d.  Gr.)  schreibt  nagiatrioav  ol  naXatyevetg 
oocfot  yllyvTiTioi  xccl  tag  trjg  aoo&scog  knixoXag  kv  ralg  xe  (25)  tov 
urjvcg  ''ETiKfi*.    Solinus  (c.  32  Salm.)  deutet  ein  dreitägiges  Intervall^ 


1)  Das  Konsulat  fällt  892  u.  c.  =  139  n.  Chr.  Censorin  schrieb  238  n.  Chr., 
wo  der  1.  Thotli  =  25.  Juni  war.  Da  hundert  Jahre  vergangen  sein  sollen,  müssen 
100  :  4  =  25  Tage  hinzugerechnet  werden,  und  man  gelangt  auf  den  20.  Juli  = 
XIII.  Cal.  Aug.,  weshalb  die  meisten  Editoren  (Scaliger,  Petavius  u.  a.)  letzteres 
Datum  angenommen  haben. 

2)  De  die  natali,  c.  18:  Ad  Aegyptiorum  vero  aunum  magnum  luna  non 
pertinet,  quem  Graece  xvvixöv,  latine  canicularem  vocamus,  propterea  quod  initium 
illius  sumitur,  cum  primo  die  eius  mensis,  quem  vocant  Aegyptii  Thoth,  caniculae 
sidus  exoritur.  Nam  eorum  annus  civilis  solos  habet  dies  CCCLXV,  sine  uUo 
intercalari.  Itaque  quadrienuium  apud  eos  uno  circiter  die  minus  est,  quam  naturale 
quadriennium:  eoque  fit,  ut  anno  MCCCCLXI  ad  idem  revolvatur  principium. 
Hie  annus  etiam  i]XiaK6s  a  quibusdam  dicitur,  et  ab  aliis  ö  &tov  iviavrog.  — 
c.  21:  Sed  horum  (annor.  Nabonn.  et  Phil.)  initia  semper  a  primo  die  mensis  eius 
sumuntur,  cui  apud  Aegyptios  nomen  est  Thoth,  quique  hoc  anno  fuit  ante  diem 
VII.  Cal.  Jul.,  cum  abhinc  annos  centum,  Imp.  Antonino  Pio  II.  et  Bruttio  Praes. 
Coss. ,  idem  dies  fucrit  ante  diem  XII.  Cal.  Aug.,  quo  tempore  solet  canicula  in 
Aegypto  facere  exortum.  Quare  scire  etiam  licet,  anni  illius  magni,  qui.  ut  supra 
dictum  est,  et  solaris  et  canicularis  et  Dei  annus  vocatur,  nunc  agi  verteutein 
annum  centesimum. 

8)  A.  ßüCKH,   üb.  d.  4jähr.  Sonnenkreise  der  Alten,  1863,  S.  59. 

4)  Diese  Beziehung  der  Angabe  des  Hephaestion  vom  25.  Epiphi  ^=  19.  Juli 
hält  Unger  für  statthaft  {Ahfassungszeit  d.  äfiypt.  Festkalender.  AhhdUj.  d.  kgl.  bnir. 
Akad.  d.  Wiss.,  XIX.  Bd.,  210  und  ^Chronul.  des  Manetlio\  Berlin  1867,  S.  46) 
gegen  Böckii,  a.  a.  0.,  S.  310. 


i?  40.     J)if  Sothisix'riodc.     AimkiitastiisiMi.     Siriiisdjiten.  1 H9 

^•om  20.  bi.s  22.  Juli,  an:  „qiiod  tempus  (Zeit  des  Siriusaufgan^s) 
sacerdotes  natalem  mundi  indicanmt,  id  est  inter  tertium  decimum 
Cal.  Aug.  et  undecimum".  Für  Eudoxis,  der  während  seiner  Eeise 
in  Ägypten  bei  Heliopolis  astronomische  Beobachtungen  gemacht  haben 
soll  (Stkabo  XVII,  c.  1,30),  würde  aus  dem  Parapegma  zur  Isagogc. 
des  Gemixus  gar  der  23.  Juli  folgend  Diese  Nachrichten  gehören 
noch  nicht  zu  den  alten;  man  würde  erwarten  können,  daß  sich  in 
dem  Kalender  von  Esnc  da  dieser  sicher  der  jüngeren  Zeit  angeliört, 
der  heliakische  Aufgangstag  festlich  verzeichnet  fände,  und  zwar  an 
dem  Tage,  der  den  obigen  Ansätzen  entspricht.  In  der  Tat  führt 
dieser  alexandrinisch  datierte  Kalender  unter  dem  29.  Epiph'i 
(=  23.  Juli  alex.)  ein  „Fest  der  Götter  an  dem  Feste  ihrer  Majestät 
Is'is-Sothis'-'-  auf,  welches  bei  der  Erscheinung  des  Sirius  gefeiert  wurde, 
aber  das  Datum  stimmt  nicht  mit  dem  CExsoEixschen  26.  Epiplil  ^ 
20.  Juli,  sondern  vielmehr  mit  dem  des  Eudoxus. 

Diese  ^Abweichungen  sprechen  nicht  sehr  dafür,  daß  "man  sich  in 
Anbetracht  der  Differenzen  des  heliakischen  Siriusaufgangs  unter  ver- 
schiedenen Breiten  zur  Wahl  eines  bestimmten  Ortes  geeinigt  hätte. 
Die  großen  Tempelgemeinden  hatten,  soviel  sich  aus  den  Kalender- 
listen ersehen  läßt,  manche  Lokalfeste,  und  auch  die  Nilfeste  wurden 
in  den  einzelnen  Gauen  nicht  an  denselben  Tagen  gefeiert.  Jedenfalls 
könnte  nicht  Theben,  wie  Uxgee  zeigen  will,  der  bestimmende  Ort 
für  den  heliakischen  Aufgang  gewesen  sein,  denn  wie  ein  Blick  auf 
die  vorher  (S.  186)  gegebene  Tafel  lehrt,  fand  dort  während  des 
ganzen  Altertums  der  Aufgang  um  den  13. — 17.  Juli  und  nicht  am 
19.  statt.  Dagegen  blieb  für  die  Breite  von  Memphis  der  heliakische 
Aufgang  ziemlich  konstant  auf  dem  1 9.  Juli  haften.  Gewöhnlich  wird 
daher  dieser  Ort  von  den  Chronologen  als  der  bestimmende  voraus- 
gesetzt, so  in  neuester  Zeit  von  Eduakd  Meyee  - ;  Letei  )xxe  verweist 
auf  Memphis  als  die  Königstadt,  den  Sitz  der  Dynastie  und  der  an- 
gesehensten Tempel.     Ob  die  Stelle  bei  Olympiodoe"',  auf  die  er  sich 


1)  Die  Parapegma-Stellen  über  die  heliakischen  Aufgänge  bei  Dositheos, 
Metox,  Eudoxus  u.  s.  w.  sind  folgende: 

Krebs  23,    19.  Juli,     z/oct^fco  iv  AiyvTtrcp  v.voiv  iy.cfavi]g  yivttai, 
fl       25,    21.      „        MircovL  kvwv  i-xixi'ü.si  iäog. 
„        27,    23.      „         Evy.Ti'iuovL  xvcov  i-xirtlXsi. 

Evd6^(p  'Kvcov  icoos  iTtixii.Xti. 
Metox   und  Euktemox   beobachteten   in  Athen,    Makedonien,   Thrake.     S.  Bückh, 
a.  a.  0.,  S.  58,  62  f. 

2)  Ägyptische  Chronologie  {Abhdlg.  d.  Berlin.  AJcad.  d.  ]l'iss.,  phil.-hist.  KL, 
I,  1904,  S.  23). 

3)  Olymp,  in  Aristot.  3Ieteor.  2b  1 :  y.al  an  avrr\  (Mt'fiqpis)  ißuaiXtvGSP,  öfiXov 
ix  xov  Tovg  'AXs^avÖQtig  tjjv  rov  "iivvbg  fjrtro/.rjf  iitirtlXtiv ,  ov^  örav  ccvroig  6 
xv(üv,  aXX'   örar  rotg  Mtiicpircag  iTtixiXXti. 


190  n.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

Stützt  —  „dies  beweist,  daß  sie  (Memphis)  geherrsclit  hat.  da  die 
Alexandriner  den  Aufgang  des  Hundes  niclit  von  dem  Augenblicke, 
wo  er  sich  tür  sie  erhebt,  zählen,  sondern  wenn  er  für  die  Bewohner 
von  Mempliis  aufgeht"  —  allein  entscheiden  kann,  mag  dahingestellt 
bleiben.  Gegenwärtig  wissen  wir  noch  zu  wenig  von  den  hierarchischen 
Verhältnissen  der  Tempelbezirke  zu  einander,  um  die  Frage  sicher 
beantworten  zu  können. 

Die  Zeit  also,  wenn  der  Sirius  nach  der  Sommersonnenwende 
wieder  zum  ersten  mal  am  Morgen  aus  den  Sonnenstrahlen  empor- 
tauchte, bildete  den  Anfang  des  neuen  Jahres.  Die  Konstatierung 
dieses  heliakischen  Aufgangs  wurde  durch  religiöse  Feste  gefeiert.  Die 
gütige  Isis,  die  Personifikation  der  fruchtbaren  Natur,  führt  um  diese 
Zeit  auch  die  Nilschwelle  herbei:  „Du  Herrin  des  Jahresanfangs,  welche 
schwellen  macht  den  Nil  zu  seiner  Zeit",  „um  Göttern  und  Menschen 
Nahrung  zu  gewähren".  Wegen  der  Nilüberschwemmung,  dieser 
wichtigen  Jahreserscheinung,  von  der  das  Wohl  von  ganz  Agj^pten 
abhing,  und  die  durch  den  Sothisstern  herbeigeführt  wurde,  müssen 
die  heliakischen  Aufgänge  in  der  alten  Zeit  eine  noch  höhere  Bedeutung 
gehabt  haben  als  in  der  späteren.  AVir  haben  im  vorigen  Paragraphen 
gesehen,  daß  gerade  im  4.  Jährt,  v.  Chr.  die  Länge  des  Siriusjahres 
vollkommen  mit  dem  Naturjahre  (dem  juliauischen)  überein  kam.  Aber 
auch  die  Nilschwelle  fiel  nahezu  mit  dem  heliakischen  Aufgange  und 
dem  Sommersolstitium  zusammen,  denn  für  die  vier  früher  angeführten 
Anfänge  der  Sothisperioden  fanden  folgende  Daten  statt  (in  denen  wir 
nach  dem  Vorbilde  des  koptischen  Kalenders  den  Beginn  der  Nil- 
schwelle 3  Tage  nach  der  Sommersonnenwende  setzen): 


Siriusaufgang 

Sommer- 
Solstitium 

Beginn  der 
Nilschwelle 

4236  V.  Chr. 

25.  Juli 

28.  Juli 

2776       „ 
1318       ., 

■  20.  Juli 

13.      „ 
1-       „ 

16.     „ 
4.     „ 

139  n.  Chr., 

21.  Juni 

24.  Juni 

Also  ging  im  4.  Jährt,  v.  Chr.  der  Sirius  gleichzeitig  mit  der  Sommer- 
sonnenwende und  der  Nilschwelle  auf.  Zu  Zeiten  der  Thutmosiden 
(16.  bis  15.  Jahrh.  v.  Chr.)  erfolgten  die  heliakischen  Aufgänge  aber 
schon  17  Tage  nach  der  Sommerwende,  und  zur  Zeit  des  Dekrets  von 
Kanopus  (238  v.  Chr.)  schon  einen  Monat  nach  Eintritt  der  Nilschwelle. 
In  den  früheren  Epochen  der  ägyptischen  Geschichte  konnte  man  so- 
nach das  steigende  Nilwasser  um  die  Zeit  erwarten,  wenn  der  strahlende 
Siriusstern  sich  mit  Sommersonnenwende  im  Morgengrauen  zeigte;  das 
war  auch  die  Zeit  des  1.  Thot/i,  des  neuen  Jahres.  Darum  ist  Sirius 
auf  den  Denkmälern  „die  große  Göttin  Sothis,  die  Eegentin  des  Jahres- 


i;  •!().     l^ic  Sotliisprriddr.     AimkatiistMscii.     Sirivisdiitcii.  191 

aiifang-s,  welche  steigen  macht  den  Nil  zu  seinerzeit",  oder  es  heißt: 
„Er  {Horus)  hat  den  Sothisstern  eingesetzt  am  Himmel,  welcher  die 
Fülle  des  A\'assers  herbeiführt,  um  das  Land  zu  überschwennnen". 

Die  Beobachtungen  der  heliakischen  Siriusautgänge  ergaben  den 
mit  der  Festsetzung-  der  Zeitrechnung-  betrauten  Priestern  das  Kesultat, 
daß  der  Sirius  alle  vier  Jahre  um  einen  Tag  später  in  der  Morgen- 
dämmerung- erschien,  daß  also  das  Siriusjahr  länger  sein  mußte  als 
das  365tägige  Wandeljahr.  Je  weiter  sie  den  .Jahresanfang  1.  TItoth 
von  dem  Beginn  der  Nilschwelle  wegrücken  sahen,  wurde  diese  Ver- 
mutung zur  Gewißheit.  Es  trat  deshalb  bald  die  Notwendigkeit  ein, 
die  Anfänge  des  Naturjahres  von  denen  des  bürgerlichen  durch  eine 
besondere  Bezeichnung-  zu  unterscheiden ;  so  entstand  die  Bezeichnung 

AV  für  das  erstere,  )]  1  für  das  andere  Jahr.  Allmählich  kamen  die 
Ägypter  zu  der  Erkenntnis,  daß  ihr  Wandeljahr  um  einen  Tierteltag 
zu  kurz  sein  müsse;  allerdings  .wird  auch  die  Bestimmung  dieses 
Betrages  —  in  Betracht  der  Schwierigkeiten  in  der  Beobachtung  der 
Aufgänge,  und  da  man  wahrscheinlich  keine  Autorität  in  der  Fest- 
setzung des  mittleren  äg-3^ptischen  Aufgangstages  anerkannt  hat  — 
eine  nicht  kurze  Zeit  gebraucht  haben.  Sobald  der  Vierteltag  er- 
kannt war,  und  man  sich  entschloß,  ihn  durch  Bildung  einer  mit  den 
Jahreszeiten  gleichen  Schritt  haltenden  Rechnung  zu  berücksichtigen, 
war  auch  die  Länge  der  Sothisperiode  gegeben;  die  Anfänge  der 
einzelnen  Sothisperioden  ergaben  sich,  wenn  man  von  einem  Datum 
ausging,  an  welchem  das  Zusammenfallen  des  1.  Thoth  mit  dem  helia- 
kischen Aufgang  durch  Beobachtung  konstatiert  worden  war,  und 
man  von  da  ab  um  1460  Jahre  zurückrechnete. 

Was  nun  die  Erwähnung  der  Sothisperiode  bei  den  alten  Autoren 
betrifft,  so  finden  sich  verschiedene  Benennungen  der  Periode  vor. 
Bei  Clemens  Alexandrenus  heißt  sie  ^co&iayS]  negiod'og,  bei  Censorin 
xvvDcog,  annus  magnus,  canicularis,  bei  PLixirs  und  Solixus  annus 
magnus,  bei  Julius  Fiemicus  annus  major,  bei  Theox  die  Ära  cctio 
M€v6(f()£Vüg.  Die  Länge  der  Periode,  1460  Jahre,  geben  mehrere  an; 
Tacitus,  wo  er  über  die  Phönixperiode  spricht  (s.  S.  178)  sagt,  es 
legten  einige  dem  Phönix  ein  Alter  von  1461  Jahren  bei  (Aunal. 
VI  28);  Gemixus  (Isagoge,  c.  6)  bemerkt  „das  Fest  der  Isis  durch- 
wandert in  1460  Jahren  den  ganzen  Kreislauf  der  Jahreszeiten"; 
mißverstandene  Nachrichten  geben  Dio  Cassius  {Hisf.  Rom.  I,  XLIII 
c.  26)  und  Fimiicus  (Fraef.  hi  Ästro)i.).  Bei  Herojdot  (II  142)  wird 
die  Zahl  1460  nicht  genannte 


1)   Die  Erklärungen    dieser   Stelle   s.   bei  Idelek   I  138   und   bei  Riel  ,   Das 
Sonnenjahr  u.  Sirinsja/tr  der  liamessiden,  Leipzig  1875,  S.  184. 


192  II.  Kai)itt'I.     Zeitrechnung  der  Ägy])ter. 

Die  Zeit,  bei  welcher  das  SßStäg-ige  Wandeljalir  mit  dem  festen 
{365^/4 tägigen)  Sotliisjahre  zusammenfällt,  nannten  die  griechischen 
Astronomen  eine  Apokatastasis  d.  i.  Wiederkehr  des  Ausgangs- 
punktes. Wir  haben  gesehen,  daß  nach  Censoein  ein  solcher  Aus- 
gangspunkt am  20.  Juli  139  n.  Chr.  vorhanden  war,  denn  an  diesem 
Tage  fiel  der  1.  Thoth  mit  dem  heliakischen  Siriusaufgange  zusammen 
(s.  S.  188).  Rechnen  wir  von  diesem  Zeitpunkte  um  1460  Jahre 
zurück,  so  erhalten  wir  die  Apokatastasen  20.  Juli  1322  v.  Chr.  und  2782 
V.  Chr.;  unser  Täfelchen  (y.  186)  zeigt,  daß  auch  für  diese  Zeiten 
unter  der  Breite  von  Memphis  der  19.  oder  20.  Juli  als  Tag  des  helia- 
kischen Aufgangs  angesehen  werden  kann.  Nun  verbleibt  aber  der 
1.  Thoth  durch  4  Wandel  jähre  auf  demselben  Datum  (s.  S.  184)  und 
springt  dann  im  nächsten  Jahre  um  einen  Tag  vor.  Handelt  es  sich 
also  darum,  den  Anfang  einer  Sothisperiode  oder  einer  Reihe  derselben 
zu  bestimmen,  so  wird  dieser  Anfang  davon  abhängen,  ob  das  Jahr 
■des  Ausgangspunktes  das  letzte  Jahr  einer  Tetraeteris  (innerhalb 
welcher  der  1,  Thoth  an  dem  gleichen  Datum  haftet)  oder  das  erste 
derselben  gewesen  ist.  War  das  CENsoRiNSche  Jahr  139  n.  Chr.  z.  B. 
das  letzte  der  Tetraeteris,  so  war  schon  136  n.  Chr.  der  1.  Thoth  auf 
den  20.  Juli  gerückt,  und  dieses  Jahr  136  könnte  deshalb  schon  als 
der  Anfangspunkt  einer  Sothisperiode  angenommen  werden;  dann 
wären  Apokatastasen  die  Jahre  1325  und  2785  v.  Chr.  War  dagegen 
139  n.  Chr.  das  erste  Jahr  der  Tetraeteris,  so  verbliebe  es  bei  den 
Apokatastasen  1322  und  2782  v.  Chr.  Um  den  Anfangspunkt  außer 
Zweifel  zu  stellen,  hat  man  in  mehreren  Stellen  der  alten  Autoren 
nach  Stützen  gesucht.  So  führt  Lepsiu«  Bemerkungen  von  Theon, 
Plinius,  Clemens  Alex,  und  die  schon  genannte  Stelle  des  Censoein 
an.  H.  Beandes  hat  diese  Stellen  einer  Kritik  unterworfen.  Die 
Stelle  bei  Plinius%  wo  derselbe  vom  Phönix  spricht,  ist  nur  durch 
eine  recht  künstliche  Änderung,  die  Lepsius  in  Vorschlag  gebracht 
hat,  mit  dem  Jahre  1322  in  Verbindung  zu  bringen.  Die  Aussage 
des  Clemens  von  Alexandeien,  der  Auszug  des  Volkes  Israel  habe 
sich  zur  Zeit  des  Inachns,  345  Jahre  vor  der  Sothisperiode,  ereignet-, 
bedingt  für  den  Auszug  Moses  das  Jahr  1667  v.  Chr.  und  für  das  Ende 
der  jüdischen  Gefangenschaft   592  v.  Chr.   (statt  521).     Eine  Stelle 


1)  Hisi.  nat.  X  2:  Hoc  autem  circa  meridiem  incipere,  quo  die  signiim 
arietis  sol  iutraverit.  Et  fuisse  eins  conversionis  annum  prodente  se  P.  Licinio, 
Cn.  Cornelio  coss.  CCXV  (die  Konsulate  waren  97  v.  Chr.).  Lepsius  korrigiert 
CCXV  in  MCCXXV;  von  1225  um  97  zurück,  würde  man  freilich  auf  1322  v.  Chr. 
kommen. 

2)  Strom.  I  401 :  yivtrti  i]  t^oSog  xaru  "Ivuj^ov  ttqo  tT/s  Ua&ianfjg  nsQiöSov, 
i^tX&ovTog  ccTt'  Aiyvnrov  Mäatag  hsai  ngörsgov  rgianooioig  TtaaccQäy.ovxa  nivts 
.(=  345). 


§  40.     Die  Sotliisijcriodc.     Ajidkatastiiscn.     Siriiisdatcn.  193 

bei  TiiKox'  hat  Lkpshs  dahin  interpretiert,  daß  das  Jahr  1322  v.Chr. 
mit  dem  Regierungsanfang  des  Menophre^  zusammenfalle;  indessen 
würde  man  nach  den  Ausführungen  von  Brandks  auf  1  '{21  v.  C\n\  kommen, 
abgesehen  von  Ungenauigkeiten,(lie  die  Stelle  darbietet.  Brandes 
hat  deshalb  diese  drei  Zitate  als  nicht  beweisführend  angesehen  (gegen 
die  Piiixirs-Stelle  spricht  sich  auch  Krall  aus)  und  läßt  nur  Censorixus 
gelten.  Um  zu  entscheiden,  welchem  Jahre  einer  Tetraeteris  das 
CExsoRiNSche  Jahr  139  n.  Chr.  angehört,  zieht  Brandes  die  ]\Iond- 
finsternisse  aus  dem  17.  und  20.  Jahre  Hadrians  (Almag.  IV  5)  6.  Mai 
133  und  ß.  März  136  n.  Chr.  heran  und  stellt  fest,  daß 

1.  Thofh  883  Nabon.  =  21.  Juli  135  n.  Chr. 
1.       „       880        „        =  21.     ..      132        „ 

war;  somit  war  132 — 135  eine  Tetraeteris,  die  nächste  fing  136  an, 
und  139  n.  Chr.  war  das  letzte  Jahr  derselben.  Demnach  fiel  auf 
139  der  20.  Juli  =  1.  Tlwfh.  Das  erste  Jahr  der  Tetraeteris,  der 
Beginn  einer  Sothisperiode,  war  also  136  n.  Chr.,  und  die  Apokatastasen 
wären  dementsprechend  in  die  Jahre  1325  und  2785  v.  Chr.  zu  setzen. 
Eduard  Meyer  geht  dagegen  in  seiner  „Ägypt.  Chronol."  von  der 
Annahme  aus,  daß  man  für  die  Sothisaufgänge  den  Normalparallel 
von  Memphis  gehabt  und  als  Anfang  des  Sothisjahres  den  festen  Tag 
19.  Juli  angenommen  habe,  was  auch  aus  der  Rechnung  hervorgeht 
(s.  S.  186  u.  189).  Der  Beginn  der  Sothisperioden  würde  sich  somit 
an  den  19.  Juli  (25.  Epiphi  alex.)  knüpfen;  E.  Meyer  findet  dann 
folgende  Jalire  als  erste  der  Sothisperioden: 

19.  Juli  4241  V.  Chr. 

19.  „      2781     „ 

19.  „      1321     „ 

19.  „       140  n.  Chr.  2 

Die  Sothisperiode  ist  sehr  wahrscheinlich  erst  in  später  Zeit  ge- 
bildet worden.  Die  Ägypter  verbesserten  keineswegs  nach  der  Konsta- 
tierung des  fehlenden  Vierteltages  ihr  Wandeljahr,  sondern  behielten 
noch  durch  Jahrhunderte  das  letztere  bei,  wie  aus  der  Lage  der  Feste 
im  Jahre  hervorgeht,  welche  alle  Jahreszeiten  durchwandert  haben 
(s.   §  43).     Sie   wurden    also   an   die   Notwendigkeit   der   Aufstellung 


1)  Theon.  Alex,  in  libros  diios  Magu.  Construcl.  Comment.  libii  duo  [voll- 
ständig bei  BiOT,  üecli.  sur  plua.  points  de  VAstr.  egijjtt.,  Paris  1823,  S.  181,  803]: 
■ntQl  tfjg  Tov  Kvvbg  ijTiTol))g  vnödtiyua.  'Eni  tov  q  (100)  tTovg  Jioy.X)]Tiuvov  TitQt 
rfig  Toü  Kvvbg  iniTolijg  v-nodtiyuuTog  tvty.nv  Xaiißclvouiv  tu  ccito  MtrocfQtcog  i'cog 
TJ)?  Xi]^tiüg  Avyovarov.     Ofiov  rä  iitiawayoutru  trr]  uxir  (1605). 

2)  Vgl.  auch  Zeitschr.  /'.  Assyr.,  IX  326;  Euiard  Meykk,  Geschichte  d.  Alter- 
tums, 138;  Abhdlrj.  d.  Berlin.  Akad.  d.    U'iss.,  phil.-hist.  Kl..  T,  1904,  S.  28. 

Giuzel,   Chronologie  I.  13 


194  II.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 

einer  Periode  nicht  erinnert,  so  lange  als  der  Gedanke  an  eine  Ver- 
besserung der  Jalireslänge  durch  Berücksichtigung'  des  Vierteltages 
sich  ihnen  nicht  aufdrängte.  Erst  als  es  zu  Verbesserungsversuchen 
kam  —  und  solche  mögen  mit  der  fortschreitenden  Zeit  häufiger 
aufgetaucht  sein  — ■  erinnerte  man  sich  daran,  daß  der  heliakische 
Siriusaufgang  nach  einer  großen  Zahl  von  Jahren  auf  denselben  Tag 
zurückkehren  müsse,  und  bildete  aus  dem  erkannten  Vierteltage  die 
Sothisperiode  von  14G0  Jahren.  Die  Sothisperiode  ist  also,  wie  die 
anderen  großen  Jahresperioden  der  Ägypter  (vielleicht  nur  mit  Aus- 
nahme der  >SV^Periode,  welche  ein  hohes  Alter  besitzt)  ein  Bildungs- 
produkt der  späteren  Zeit.  Dies  hat  schon  Idelek  anerkannt,  indem 
er  (I  132)  sagte:  „Die  Hundssternperiode  gründete  sich  auf  die  Ver- 
gleichung  des  festen  Jahres  mit  dem  beweglichen,  konnte  also  nur 
das  Resultat  fortgesetzter  Beobachtungen  des  Frühaufganges  des  Sirius 
sein.  Da  nun  überdies  das  Bedürfnis  einer  festen  bürgerlichen  Ära 
gerade  nicht  auf  sie  geleitet  zu  haben  scheint,  so  ist  sie  wohl  erst 
späterhin  von  irgend  einem  sinnenden  Kopfe  gebildet  worden,  als  man 
die  Urgeschichte  des  Volkes  zu  bearbeiten  anfing,  wobei  man  einer 
weitzurückgehenden  Are  oder  eines  großen  Zeitkreises  nicht  entbehren 
konnte".  Diejenigen,  welche  den  Ägyptern  die  Kenntnis  eines  festen 
Jahres  schon  für  die  alte  Zeit  zuschreiben,  sind  allerdings  eben  dieser 
Annahme  wegen  genötigt  gewesen,  auch  bei  der  Sothisperiode  ein 
hohes  Alter  vorauszusetzen.  An  der  Spitze  derselben  stand  Lepsius, 
welcher  als  Zeit  der  Einführung  der  Periode  1322  v.  Chr.,  die  Epoche 
des  Königs  Menophres^  annahm ;  noch  weiter  zurück  ging  Biot,  welcher 
1780  V.  Chr.  als  die  Zeit  der  Existenz  der  Periode  und  zugleich  als 
die  Zeit  der  Einführung  des  Wandeljahres  ansah.  Mit  dem  späten 
Aufkommen  der  Sothisperiode  stimmt  auch  der  Umstand,  daß  man  auf 
den  Denkmälern  eine  Angabe  über  die  Länge  der  Periode  (ebensowenig 
wie  betreffs  der  Phönixperiode)  bisher  nicht  hat  entdecken  können. 
Es  erübrigt  noch,  der  Siriusdaten  zu  gedenken,  welche  man 
bis  jetzt  auf  den  Denkmälern  verzeichnet  gefunden  hat: 

a)  Das  Sothisdatum  auf  der  Eückseite  des  medizinischen  Papyrus 
Ebers;  auf  diesen  Doppelkalender  kommen  wir  in  §  42  bei  den  Fest- 
kalendern zurück. 

b)  Auf  einem  Steine,  welcher  zu  den  Bauresten  eines  den  Nil- 
g()ttern  Chnum,  SaÜs  und  AniiJcc  geweihten  Temi)els  (um  1822  n.  Chr. 
zerstört)  auf  der  Insel  Elephantmc  (bei  Syene)  gehört,  heißt  es  in 
einer  Inschrift:  „Am  28.  Epi'plil  das  Fest  des  Siriusaufganges".  ICs 
ist  einigermaßen  zweifelhaft,  ob  der  Stein  zu  einer  Festliste  mit  An- 
gaben aus  der  Zeit  Thi(tmos\i<  ITI.  gehört.  Vom  28.  Ejnji/ii  bis 
1.  TItoth  sind  im  ägyi)tischen  AV^andeJ jähre  38  Tage,  demnacli  muß 
man,  um  das  Jahr  zu  finden,  in  welchem  der  1.  T/iol/i  auf  jenen  Tag 


§  40.     Die  iSotliispcriodr.     Apokatastascn.     Siriusilatcii.  195 

fallen  soll,  von  der  letzten  Apokatastase  um  4  •  88  =  152  .Jahre 
zurückgehen,  d.  h.  von  1322  v.  Chr.  auf  1474  v.  Chr.  Dieses  Jahr 
stimmt  aber  nicht  mit  der  Regierungszeit  des  Thufmosis  IIL,  welche 
LKi'sirs  (1(503—1565  v.  Chr.),  Bkugsch  (1625—1577  v.  Chr.)  u.  a. 
gefunden  haben.  Dagegen  hat  C.  F.  Leji.mann  (Zird  Haupt prohlcmc  d. 
altoricnt.  ChronoL,  1898,  S.  152 — 160)  die  Regierungszeit  T/iutmosis  III. 
dem  Jahre  1474  v.  Chr.  anzupassen  vermocht  (1515 — 1461  v.  Chr.), 
Zum  gleichen  Resultat  (1515—1462),  aber  auf  Grund  anderer  Voraus- 
setzungen, kommt  J.  KiiALL  (Grundrlfi  d.  altorient  Gesch.,  I  191). 
Ed.  Meyer  findet  {Ägypt.  Chronologie,  S.  50  u.  68)  diese  Regierungs- 
zeit 1501—1447  V.  Chr. 

c)  Nach  dem  Dekret  von  Kanopus  aus  dem  9.  Jahre  des  Eaer- 
getes  III.  (238  v.  Chr.)  soll  im  10.  Monat  am  1.  Payui  ein  Fest  des 
Aufgangs  der  göttlichen  Sothis  gefeiert  werden.  Dieser  heliakische 
Aufgang  entspricht  dem  Datum  19.  Juli  238  v.  Chr.  (s.  §  41)^. 

d)  Ein  Tempeltagebuch  -  Fragment  aus  dem  7.  Jahre  des  User- 
tesenlll.  [Sesostris]  (12.  Dynastie),  gefunden  1899  bei  IlJahum  (Kahun) 
berichtet:  „Der  Fürst  und  Tempelvorstand  ...  an  den  ersten  Yorlese- 
priester  .  .  —  Du  sollst  wissen,  daß  der  Aufgang  des  Sirius  am 
16.  des  vierten  Wintermonats  (=  Fharmuthi,  s.  S.  159)  stattfindet. 
Mögest  Du  (benachrichtigen)  die  Laienpriester  des  Tempels  der  Stadt 
„mäclitig  ist  der  selige  Userteseu"  und  des  Anubis  auf  seinem  Berge 
und  des  Suchos.  Und  lasse  diesen  Brief  in  (das  Tagebuch)  des 
Tempels  machen."  Ein  mit  derselben  Handschrift  geschriebener  Papyrus 
berichtet  von  dem  auf  den  Siriusaufgangstag  folgenden  Tage:  ..Jahr  7, 
vierter  Wintermonat,  am  17.  .  .  .  Einkünfte:  Festgaben  des  Sothis- 
aufgangs  .  .  .  200  verschiedene  Brote,  60  Krüge  Bier  .  .  .  ."  Illahun 
liegt  ungefähr  unter  der  Breite  von  Memphis.  Wenn  wir  vom  19.  Juli 
als  traditionelles  Aufgangsdatum  für  das  mittlere  Ägypten  ausgehen, 
so  entspricht  im  19.  Jahrh.  v.  Chr.  nach  der  2.  Tafel  (S.  187)  diesem 
Tage  das  Jahr  1876  v.  Chr.  am  besten  (Juli  19,031).  Oppolzeks 
Formel  gibt  für  dieses  Jahr  Juli  19,533.  Der  überlieferte  Sirius- 
aufgang wird  also  für  die  ungefälire  Zeit  Sesostris  III.  rechnerisch 
hinreichend  bestätigt.  — 

Zu  den  angeführten  Sothisdaten  käme  noch  das  Datum  20.  Juli 
139  n.  Chr.,  welches  uns  von  Cexsuiun  als  ein  Sothisdatum  überliefert 
ist  (s.  S.  188).  Auf  Sothisfeste,  die  in  Kalendern  verzeichnet  stehen, 
kommen  wir  noch  zurück. 


1)  Nach  Biu'GscH  hat  man  früher  ehie  luschrift  auf  dem  Felsen  von  Hamamat 
aus  der  Zeit  des  Königs  Fypc  für  ein  Siriusdatum  genommen  (Lepsils,  Denkmäler, 
II  115  gl. 

13* 


196  IT.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 


§  41.    Das  tanitische  Jahr  (Dekret  von  Kanopus). 

Die  notwendige  Folge  des  Bestehens  des  365tägigen  Wandel- 
jalires  war,  daß  allmählicli  die  Jahreszeiten,  zu  denen  man  die 
Monate  als  Tetramenien  zusammenfaßte,  gegen  die  tatsächlich  statt- 
findenden sich  verschoben  (s.  S.  V)9,  1(30).  Die  Erkenntnis  des  Viertel- 
tages aus  dem  Sothisjahre  änderte  zunächst  noch  nichts  im  Kalender- 
W'esen  der  alten  Zeit.  In  dieser  Epoche  war  schon  die  Begründung 
des  Wandeljahres,  die  Anfügung  von  fünf  besonderen  Tagen  an  (his 
sexagesimale  360tägige  Jahr,  ein  Fortschritt  gewesen.  Zu  der  Zeit, 
wo  man  des  fehlenden  Vierteltages  durch  die  Verfolgung  der  heliakischen 
Siriusaufgänge  wirklich  sicher  wurde,  hatte  das  Wandeljahr  schon 
festen  Fuß  im  Volke  gefaßt  und  neue  Verbesserungen  der  Jahreslänge 
mußten  auf  Schwierigkeiten  stoßen.  Die  Priesterschaft  zog  es  deshalb 
vor,  die  Feste  des  Wandeljahres  sich  ungeändert  gegen  die  Jahres- 
zeiten verschieben  zu  lassen;  ein  großer  Teil  dieser  Feste  wurde 
ohnehin  weniger  vom  Volke  gefeiert  und  ein  Teil  beschränkte  sich 
überhaupt  auf  die  Tempel.  Viel  wichtiger  war,  daß  die  Naturfeste, 
insbesondere  die  mit  den  Nilphasen  zusammenhängenden  (Nilschwelle, 
Durchstich  der  Dämme,  Erntefest  u.  s.  w.)  dem  Volke  richtig  bekannt 
gegeben  wurden.  Die  Priester  sahen  sich  deshalb  genötigt,  die  Lage 
des  Wandeljahres  gegen  das  feste  (resp.  gegen  die  Siriusaufgänge)  zu 
bestimmen  und  die  Nilfeste  u.  s.  w.  jedesmal  vorher  anzuzeigen.  Die 
anderen  Feste,  die  nicht  an  der  Natur,  sondern  nur  auf  bestimmten 
Monatstagen  hafteten,  ließ  man  sich  verschieben.  Dieser  unsichere 
Zustand  des  Kalenders  konnte  nicht  ohne  Anfechtung  bleiben,  und 
offenbar  haben  die  Könige  (jedenfalls  auf  Betreiben  einsichtsvoller 
Persönlichkeiten)  zu  wiederholten  Malen  auf  Reformen  gedrungen  und 
schließlich  sogar  zur  Selbsthilfe  gegriffen,  indem  sie  Schaltungen  will- 
kürlich einführten.  Darauf  deutet  die  alte  Eidesformel,  welche  die 
Priester  vor  der  Umlegung  des  Diadems  von  den  Königen  forderten, 
sich  der  Tag-  und  Monatseinteilung  enthalten  zu  wollen^  und  an 
dem    von    den    Antiqui    eingerichteten    365tägigen    Jahre    nichts    zu 


1)  Nigidius  Figulus  (Ptolemäerzeit)  berichtet  (Bueysiu,  de  P.  Nigidii  Fi{fiili 
fragmeittis,  Berol.  1854,  S.  33;  Haudsehr.  bei  Mkhkkl  zu  Ovids  Fasten,  p.  LXXXVIll): 
„In  templo  Apis  Memphi — mos  fuit  solio  regio  decorari  reges  qui  regna  ineunt.  Ibi 
euim  sacris  initiantur  —  Deducuntur  a  sacerdote  Isidis  in  locum  qui  vocatur 
üdvTog  et  iure  iurando  adiguutur  neque  mensein  nequc  diem  intercalaturos  sc  neque 
festum  diem  immutaturos,  sed  CCCLXV  peracturos,  sicut  institutum  sit  ab  antiquis. 
(Antiqui  =  den  (^iQ^^toi  der  griechischen  Inschriften.)  Deinde  alterum  illis  ius 
iurandum  inponitur  senientim  per  terram  aquamque  custodiendam  comparandamque. 
Tum  demum  diademate  inposito  potiuntur  Aegyptiorum  regno. 


ij  41.     ])iis  t:niitisc-lir  .Tiihr    Dfkrct  v(.ii  K;m<)i>us;.  107 

ändern.  SchlieLUicli  salien  sich  aber  die  Priester  genötigt,  wenigstens 
den  Versuch  einer  Reform  zu  wagen.  Dieser  Versuch  geschalt  durch 
das  Dekret  von  Kanopus. 

Diese  Insclirift  wurde  von  Lepsius  im  Frühjahr  1866  (gleichzeitig 
auch  von  Reimsch  und  R()si;Ek)  in  den  Tempelruinen  von  San,  dem 
alten  Tunis  am  tanitischen  Nilai-me  (im  Nildelta),  aufgefunden.  Die 
Inschrift  ist  in  Kalkstein  gehauen,  liierogl3i)hisch ,  demotisch  und  in 
griechischer  Sprache  abgefaßt ;  die  drei  Texte  sind  vollständig  und 
gut  erhalten.  Der  Tempel,  dem  die  Inschrift  angehört,  „der  Tempel 
der  (TÖtter  Eiicrgetcu  zu  Kanopus",  war  von  den  Eucrgpten  (Ptole- 
mäerzeit)  erbaut  und  dem  Osiris  geweiht.  Die  wesentlichen  Stellen 
des  Dekretes,  soweit  sie  auf  die  Reform  Beziehung  haben,  sind 
folgende : 

,.Unter  der  Regierung  des  Ftolrmäus,  Sohnes  des  Ptolemäiia  und 
„der  Arsinoe,  der  Götter  Adelphen^,  im  neunten  Jahre,  als  Apollomdes, 
„Sohn  des  Mosch ion,  Priester  des  Alexander  und  der  Götter  Addphen 
„und  der  Götter  Euergetm  W'ar,  (und)  Menelrateia,  Tochter  des 
„FhUammon,  Kanephore  der  Arslnoe  Fhiladelphus]  am  7.  des  Monats 
„A2JcUäus-,  d.  i.  am  17.  Tijbi  der  Äg3q)ter.  —  Die  Erzpriester  und 
„Propheten  und  die  in  das  Sanktuarium  zur  Bekleidung  der  Götter 
„Eintretenden  und  Pterophoren  und  Hierogrammaten  und  die  anderen 
„Priester,  die  zusammenkamen  aus  den  Tempeln  des  Landes  auf  den 
„5.  des  Bios,  an  welchem  das  Geburtsfest  des  Königs  gefeiert  wird, 
„und  auf  den  25.  desselben  Monats,  an  welchem  er  die  königliche 
„Würde  von  seinem  Vater  übernahm,  als  sie  versammelt  waren  an 
„diesem  Tage  in  dem  Tempel  der  Götter  Euergeten  zu  Kanopus  — 
„sprechen  aus:  —  daß,  da  jeden  Monat  in  den  Tempeln  als  Feste  der 
„Götter  Euergeten  nach  dem  früher  abgefaßten  Dekrete  der  5.  und 
„der  9.  und  25.  (Tag)  gefeiert  werden*,  den  höchsten  Göttern  aber 
„jährlich  (auch)  öffentliche  Feste  und  Panegyrien  abgehalten  werden, 
„jährlich  eine  (■)ffentliche  Panegyrie  sowohl  in  den  Tempeln  als  im 
„ganzen  Lande  dem  Könige  PtoJemäus  und  der  Königin  Berenike,  den 
„Göttern  Euergeten.  gefeiert  werden  an  dem  Tage,  an  welchem 
„der  Stern  der  Isis  aufgeht,  welcher  in  den  heiligen  Schriften 
„als  Neujahr  angesehen,  jetzt  aber  im  9.  Jahre  am  ersten  des 
„Monats  Fagni  gefeiert  wird,  in  welchem  auch  die  kleinen  Bubastia 


1;  D.  i.  Ptolemäus  III.,  Euergetes  (247—222  v.  Chr.). 

2)  Makedonische  Datierung. 

3)  Der  Beiname  Euergetes  war  dem  Könige  wahrscheinlich  wegen  seiner  Ver- 
dienste \\m  das  Land  und  wegen  Zurückführung  der  von  den  Persern  geraubten 
heiligen  Bilder  von  den  Priestern  verliehen  worden ;  ihm  zu  Ehren  sind  auch  die 
drei  obgenannten  Feste  errichtet. 


198  Tl.  IvMpiti'l.     Zcitrcclimuij,'  der  Ä^-yptcr. 

„und  die  großen  Bnbastia  gefeiert  werden  und  die  Einbringung  der 
„Früchte  und  das  Steigen  des  Flusses  geschieht  ■ — ,  daß  aber,  auch 
„wenn  der  Aufgang  des  Sterns  auf  einen  anderen  (Kalender-)Tag  im 
„Verlauf  von  vier  Jahren  übergehen  würde,  (dennoch)  die  Panegyrie 
„nicht  verlegt,  sondern  am  1.  Paijul  gefeiert  werde,  an  welchem  sie 
„von  Anfang  an  im  9.  Jahre  gefeiert  wurde  —  und  daß  sie  5  Tage 
„lang  abgehalten  werde  mit  einer  Stephanephorie  und  Opfern  und 
„Spenden  und  was  sonst  dazu  gehört  —  daß  aber,  damit  auch  die 
„Jahreszeiten  fortwährend  nach  der  jetzigen  Ordnung  der  Welt  ihre 
„Schuldigkeit  tun  und  es  nicht  vorkomme,  daß  einige  der  öffentlichen 
„Feste,  welche  im  Winter  gefeiert  werden,  einstmals  im  Sommer  ge- 
„feiert  werden,  indem  der  Stern  um  einen  Tag  alle  vier 
„Jahre  weiterschreitet,  andere  aber,  die  im  Sommer  gefeiert 
„werden,  in  späteren  Zeiten  im  Winter  gefeiert  werden,  wie  dies 
„sowohl  früher  geschah,  als  aucli  jetzt  wieder  geschehen  würde,  wenn 
„die  Zusammensetzung  des  Jahres  aus  den  8()0  Tagen  und  den  fünf 
„Tagen,  welche  später  noch  hinzuzufügen  gebräuchlich 
„wurde,  so  fortdauert:  von  jetzt  an  ein  Tag  als  Fest  der  Götter 
,,Euergpfen  alle  vier  Jahre  gefeiert  werde  hinter  den  fünf 
„Epagomenen  (und)  vor  dem  neuen  Jahre,  damit  jedermann  wisse, 
„daß  das,  was  früher  in  bezug  auf  die  Einrichtung  der  Jahreszeiten 
„und  des  Jahres  und  des  hinsichtlich  der  ganzen  Hinimelsordnung 
„Angenommenen  fehlte,  durch  die  Götter  Euergeten  glücklich  berichtigt 
„und  ergänzt  worden  ist." 

Durch  diesen  Erlaß  erscheint  ein  festes  Jalir  eingeführt,  und  zwar 
in  der  Weise,  daß  am  Jahresschlüsse,  nach  den  5  Epagomenen,  nocli 
ein  sechster  Epagomenentag  als  Schalttag  alle  4  Jahre  angehängt 
wird.  Die  gut  gemeinte  Eeform  hatte  aber  keinen  Bestand,  denn 
schon  unter  dem  Nachfolger  des  Ffolenu'i/ts  III,  wurde  das  tanitische 
Jahr  wieder  aufgehoben,  der  beste  Beweis,  wie  fest  das  W^andeljahr 
in  Ägypten  AVurzel  gefaßt  hatte.  Das  AVandeljahr  erhielt  sich  noch 
lange  Zeit  im  Volke ;  offiziell  wurde  es  erst  durch  das  alexandrinische 
Jahr  unter  Augustus  beseitigt,  aber  auch  dieses  verbreitete  sich  nicht 
etwa  allgemein. 

Das  Dekret  von  Kano})US  fordert  noch  einige  Bemerkungen.  Der 
Erlaß  ist  vom  17.  7)/l)i  des  9.  Jahres  des  Königs  Ptolcmäus  III. 
datiert.  Nacli  dem  Königskanon  (s.  S.  139)  ist  das  1.  Jahr  dieses 
Königs  502  Nabon.  =  247/6  v.  Chr.,  also  das  9.  Jahr  =  510 
Nabon.  Aus  Schrams  Tafeln  erhält  man  als  Datum  des  Dekrets 
510  Nabon.  17.  Tißn  =  238  v.  Ohr.  7.  März'.     Von  Wichtigkeit   ist 

1)  GuTscHMiD  {Lüter.  Zentralbl.,  1867,  S.  540;  vgl.  Lki-shs,  Zcüschr.  f.  ägypt. 
Sj)r.,  1868,  S.  36)  hat  ein  anderes  Datum  abgeleitet,  2.  Dezember  238  v.  Chr.,  und 


i^  41.     Diis  tnnitisclic  .J;ilir    Dekret  von   Kiinojiiis).  li)'.) 

die  Aufgabe  des  hei iaki sc lieii  Siriusauf gangs,  den  das  JJekret 
in  dem  Passus  enthält:  ..dal.5  ein  Fest  gefeiert  werde  an  dem  Tage, 
an  welchem  der  Stern  der  Isis  aufgeht  .  .  .  .,  welches  im  0.  Jahre 
am  1.  Payni  gefeiert  wird-'.  Der  1.  Thoih  510  Nabon.  fiel 
22.  Oktob.  239  v.  Chr.,  also  war  der  1.  Paijui  270  Tage  später  = 
238  V.  Chr.  19.  Juli.  Nun  haben  wir  aber  aus  der  bekannten 
Censoeinus  -  Stelle  (s.  S.  188)  gesehen,  daß  in  Ägypten  ein  helia- 
kischer  Aufgang  auf  (h^n  20.  Juli  139  n.  Chr.  gesetzt  wird,  demnach 
müßte  376  feste  Jahre  früher,  d.  h.  am  20.  Juli  238  v.  Chr.  der  Auf- 
gang ebenfalls  stattgefunden  haben.  Letzteres  Datum  gäbe  510  Nabon. 
2.  Faipü .  das  Dekret  gibt  aber  510  Nabon.  1.  Fai/ni :  es  existiert 
also  eine  Differenz,  die  zu  Erklärungsversuchen  herausfordert.  Lepsius 
sucht  den  fehlenden  Tag  zu  deuten,  indem  er  annimmt,  die  Eeform 
habe  schon  vor  dem  Erlaß  des  Dekretes,  eine  Tetraeteris  früher,  statt- 
gefunden; 242  V.  Chr.  würde  der  1.  Thoth  auf  den  23.  Oktober  ge- 
fallen sein;  man  habe  nun  den  Siriusaufgang ,  der  konventionell  auf 
den  2.  Paijm  fiel,  um  einen  Tag  zurückverlegt,  um  für  die  Feier 
des  Sothisjahranfanges  einen  Monatsanfang  herzustellen.  Laüth  setzt 
ebenfalls  die  Reform  vor  das  Jahr  239;  schon  in  den  früheren 
Regieruugsjahren  Ftolemiius  III.  sei  ein  sechster  Tag  mehreremal 
eingeschaltet  worden,  was  aus  den  Inschriften  einiger  Grabstelen 
nachweisbar  sein  soll.  Riel  nimmt  an,  die  Priester  hätten  den  Anfang 
des  1.  Payni  vom  Morgen  auf  den  Abend  verlegt,  ein  w^enig  glaub- 
licher Vorgang,  wenn  man  sich  daran  erinnert,  daß  allgemein  die 
Tageszählung  vom  ]\rorgen  ab  gebräuchlich  war.  Diese  recht  künst- 
lichen Hj'pothesen  werden  durch  den  Hinweis  Kralls  beseitigt,  daß 
sich  die  Priester  eben  nicht  an  den  20.  Juli  als  Aufgangstag,  sondern 
an  den  19.  Juli  gehalten  haben;  wir  haben  ohnehin  gesehen,  daß  der 
bei  weitem  größere  Teil  der  alten  Autoren  den  19.  Juli  als  helia- 
kischen  Tag  annimmt. 

Es  wird  nunmehr  auch  wünschenswert  erscheinen,  die  gegenseitige 
Korrespondenz  der  bisher  konstatierten  Jahrformen,  des  tanitischen 
(auch  kanopisches  Jahr  genannt)  mit  dem  Sothisjahre  und  dem  später 
noch  zu  erwähnenden  alexandrinischen  festzustellen.  Das  tanitische 
Jahr  nimmt  seinen  Anfang  (1.  Thoth)  nach  dem  Dekrete  am  22.  Oktober 
Julianisch,  das  theoretische  Sothisjahr  nach  dem  konventionellen  20.  Juli 
der  Chronologen,  und  das  alexandrinische  am  29.  August.  Es  er- 
gibt sich  somit  folgende  Korrespondenz  der  Monatsanfänge: 


zwar  durch  verschiedene  Erwägungen ,  haupt.säcbh'ch  wegen  des  makedonischen 
Datums  7.  Apelläus.  Näheres  hierüber  scheint  indessen  von  ihm  nicht  angegeben 
worden  zu  sein. 


200 


II.  K;ii»iti'].     Zi'itrL'cbmiiij;-  der  ÄgypttT. 


'iitspriclit 


Dem  Monats- 

im 

1  taiii 

itiscbcn 

im  Sothis- 

im  alexandr. 

tagc 

Jahr 

Jahr 

Jahr 

1.  Thoth 

der 

22 

Oktoh. 

(ler 

20.  Juli 

der  29,  Aug. 

1.  Phaophi 

J7 

21. 

Novb. 

19.  Aug. 

,.    28.  Septb. 

1.  Äthyi- 

)? 

21. 

Dezb. 

18.  Septb. 

,.    28.  Oktob. 

1.  Choiak 

?? 

20. 

Jan. 

18.  Oktob. 

,.    27.  Novb. 

1.  Tyhi 

55 

10. 

Febr. 

17.  Novb. 

,.    27.  Dezb. 

1.  Mechir 

5? 

21. 

März 

17.  Dezb. 

,.    26.  Jan. 

1.  Phamcnoth 

51 

20. 

April 

16.  Jan. 

„    25.  Febr. 

1.  Fhurrnuthi 

5* 

20. 

Mai 

15.  Febr. 

,,    27.  März 

1.  Pachon 

55 

19. 

Juni 

17.  März 

,,    26.  April 

1.  Payni 

55 

19. 

Juli 

16.  April 

„    26.  Mai 

1.  Epqjhi 

55 

18. 

Aug. 

16.  Mai 

„    25.  Juni 

1.  Mesori 

55 

17. 

Septb. 

15.  Juni 

„    25.  Juli 

§  42     Dt^r  Doppelkalender  des  Papyrus  Ebers. 

Bevor  wir  auf  die  Wichtigkeit  der  Kalender-  und  Festlisten  der 
Ägj^pter  eingehen,  müssen  wir  eine  Kalendernotiz  erwähnen,  Aveldie 
vielerlei  Erklärungen  und  Deutungen  hervorgerufen  hat.  Dieselbe 
reiht  sich  insofern  gleich  dem  vorigen  Paragraphen  über  das  Dekret 
von  Kanopus  an,  als  auch  sie  das  Datum  eines  Sothisaufganges  er- 
wähnt. 

Die  Notiz  befindet  sich  auf  der  Rückseite  eines  Papyrus,  welcher 
über  medizinische  Dinge  handelt.  Der  Papyrus  wurde  durch  Eisenlohk 
und  Brugsch  1869  in  Europa  bekannt,  durch  Ebers  für  die  Leipziger 
Fniversitätsbibliothek  erworben  und.  von  ihm  herausgegeben.  (Den 
Text  haben  Goodwin  und  DI^michen  schon  1864,  Naville  1868  ge- 
sehen.) Der  Kalender  enthält  2  Namen,  in  einer  Reihe  die  Namen  der 
Monatsgötter,  welche  den  einzelnen  Monaten  vorstehen  (s.  §  38,  S.  157), 
in  der  zweiten  die  der  Monate  des  Jahres,  in  einer  weiteren  Reihe 
die  durchgehende  Bezeichnung  „Tag  9  Aufgang  der  Sotliis"  mit 
Wiederholungszeichen,  und  als  Überschrift  das  Jahr  9  eines  (dem 
Namen  nach  schwierig  zu  lesenden)  Königs,  und  zwar  in  folgender 
Weise : 

Jahr  9  seiner  Majostät  des  Königs  (?),  er  lebe  ewig. 

E2n2^hi 
Mesori 
Thnfh 


aI- 


[Mesori] 
[Thoth] 
[Phaophi 
Hathor[Afh!/r] 
KohA-  [dwiak] 


Tag  9  Erscheinung  der  Sothis 


Techi 
Ptah 


l'htiDphi 
Afhi/r 


u.  s.  w.  durch  alle  12  Monate. 


i>  42.     D.T  I)<.i.|.rlk:.I.Mi(lcr  des  J'iii.yrus  Khors.  201 

Die  Anordminp:    des  Textes    soll    augenscheinlich    bedeuten,    daß   am 
9.  Lp'l'/"    i'"    •'•  -'^'^'i"    eines   Königs    ein    heliakischer   8iriusaufgang 

stattfand;  das  Zeichen  ^t^-^  bezeichnet  das  Sothisfest,  den  Neujahrs- 
tag  des  Siriusjahres.  Wenn  es  sich  um  einen  Sothisaufgang  in 
der  alten  Zeit  Ägyptens  handelt,  müßte  man  von  der  Sothisepoche 
1.  Thofh  1822  V.  Chr.  (s.  oben  S.  192)  zurückrechnen,  und  zwar  um 
57  mal  4  Jahre  ^  =  228  Jahre,  und  käme  auf  1550  v.  Chr.,  in  welchem 
Jahre  ein  Sothisaufgang  auf  den  9.  EjnpM  gefallen  wäre.  Dazu 
stimmt  der  fragliche  Name  des  Königs,  betreffs  dessen  anfänglich 
ziemliche  Meinungsverschiedenheiten  vorhanden  waren,  für  den  man 
aber  seit  einigen  Jahren  (vor  allem  durch  Erman)  enägilüg  Amenophis I. 
angenommen  hat.  Die  früheren  Versuche,  aaf  Grund  von  falschen 
Lesungen  um  eine  Sothisperiode  hinauf  oder  gar  weiter  hinunter  zu- 
gehen, sind  als  abgetan  zu  betrachten.  Längere  Zeit  hat  sich  die 
Beziehung  auf  einen  König  der  vierten  Dynastie,  B'u-heres,  gehalten 
(EisEXLOHß,  GooDwiN,  DüMiciiEx).  Das  für  A)ut')iophh  I.  ermittelte 
Jahr  1550  paßt  zu  dem  Ansatz,  welchen  man  auch  sonst  für  diesen 
König  gewinnt.  Unsicher  bleibt  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  die 
Kalendernotiz  schon  auf  dem  Papyrus  ursprünglich  augebracht  war,  oder 
ob  sie  erst  in  später  Zeit  hinzugefügt  worden  ist.  Das  erstere  behauptete 
Lepsius.  Es  handle  sich  um  die  Vergleichung  des  Wandeljahres  mit 
dem  festen  Jahre  durch  alle  Monate  hindurch;  der  Kalender  bezwecke, 
das  Ursprungsjahr  des  medizinischen  Paijyrus  anzugeben  und  das  Ver- 
hältnis der  einzelnen  Monate  desselben  gegen  jene  des  festen  Jahres 
festzulegen,  damit  man  in  die  Lage  versetzt  werden  möge,  die  Heil- 
mittel, die  für  Monate  des  Wandeljahres  angegeben  seien,  in  den  ent- 
sprechenden Monaten  des  festen  Jahres  gebrauchen  zu  können.  Diese 
Meinung  beruht  aber  nur  auf  der  äußerst  zweifelhaften  Hypothese 
Lepsius  betreffs  des  Parallellaufens  eines  festen  Jahres  mit  einem 
gleichzeitigen  Wandeljahre.  Bkuüsch  schrieb  dagegen  der  Kalender- 
notiz ein  jüngeres  Alter  zu.  Der  Kalender  vergleiche  die  Stellung  des 
alten  Neujahres,  an  welchem  in  früheren  Zeiten  die  Nilüberschwemmung 
begann,  mit  dem  späteren  Zeitpunkte  des  Anfangs  der  t^berscliwemmung. 
A^'ill  man  wirklich  die  Kalendeniotiz  als  später  angebracht  annehmen, 
so  kann  es  sich  nicht  um  viele  Jahre  handeln,  denn  dem  Schrift- 
charakter nach  gehört  der  Kalender  in  dieselbe  Zeit  wie  der  Rest 
des  Papyrus,  wenn  er  nicht  von  derselben  Person  geschrieben 
worden  ist.  Schon  dadurch  erledigen  sich  Deutungsversuche,  die  den 
Kalender   bis   in  die  Ptolemäer-  oder  Römerzeit  herabrücken  würden. 


1)   Vom   9.  Epiphi  ])is   1.   Thoth     mit   Berücksichtigung    der   5  Epagomenen^ 
sind  57  Tage.     Alle  4  Jahre  fällt  der  Aufgang  1  Tag  später  im  Waudeljahre. 


^^'^  II.  K;ii)it('l.     ZcitrtH'liiiuiij,'-  der  Aji'yptcr. 

Kiel  ging-  von  dem  sogenannten  JJciulcra- Jahre  aus,  einem  festen 
Jalire,  das  er  bei  den  Äg3i)tern  entdeckt  haben  wollte,  und  meinte, 
dieses,  welches  mit  1.  Mrsorl  beginnt,  werde  mit  dem  Wandel  jähre  in 
der  Notiz  verglichen;  die  Kalendernotiz  stamme  ans  römischer  Zeit. 
Aber  das  Dendem- Jahr  Riki.s  ist  eine  nnerwiesene  Hypothese  ge- 
blieben. Krall  weist  darauf  hin,  daß  die  Errichtung  des  festen 
Jahres  nicht  früher  dokumentarisch  nachweisbar  ist,  als  erst  in  der 
Ptolemäerzeit  durch  das  ])ekret  von  Kanopus.  Der  Kalender  kann, 
falls  es  sich  wirklich  um  die  Vergleichung  eines  festen  Jahres  mit 
einem  beAveglichen  handelt,  also  erst  in  der  Zeit  des  Dekretes, 
frühestens  unter  Ptolcmäus  Eucrg.  I.  gemacht  sein.  Da  der  Siriustag 
mit  dem  1.  Mrsori  in  Verbindung  gebracht  wird,  kann  es  sich  nicht 
um  das  feste  tanitische  Jahr  handeln,  da  dort  der  Siriusaufgang  auf 
dem  1.  Pdjim  ruht.  Aber  im  alexandrinischen  Jahre  fällt  der 
Siriustag  nach  Theon  auf  den  29.  Epiphi  (das  CENsoRiNSche  Sirius- 
datum ist  26.  Fplphi  =  20.  Juli  alex.);  der  1.  Mcsorl  des  festen 
alexandrinischen    Jahres    (=    25.  Juli,    s.  S.  200)   kommt   also    dem 

9.  Epiphi  eines  Wandeljahres  gleich,  der  Kalender  stammt  daher 
wahrscheinlich  erst  aus  der  Kaiserzeit.  Denn  rechnen  wir  von  der 
Epoche  des  alexandrinischen  Kalenders,  dem  Jahre  30  v.  Chr.  ab,  das 
Wandeljahr,  so  war  letzteres  in  00  Jahren  um  15  Tage  voraus,  also 
entsprach  um  etwa  90  v.  Chr.  der  1.  Epiphi  (=  25.  Juni  alex.j  dem 

10.  Juli,  und  der  9.  Ej^q-ihi  dem  19.  Juli  d.h.  dem  Siriustage.  Die 
Kalendei-notiz  sei  erst  zu  Zeiten  des  Kaisers  Augustus  abgefaßt. 

EisENLOHR  und  C.  F.  Lehmann  erachten  es  für  einen  wichtigen 
Umstand,  daß  sich  unter  dem  Zeichen  für  „Aufgang  der  Sothis" 
bei  den  anderen  um  je  einen  Monat  verschiedenen  Daten  Wieder- 
holungszeichen befinden,  womit  gesagt  werden  soll,  daß  sich  die 
Sothisaufgänge  um  je  einen  Monat  verschieben.  Für  eine  solche  Ver- 
schiebung um  einen  Monat  würden  aber,  da  in  je  4  Jahren  der  helia- 
kische  Aufgang  sich  um  1  Tag  verschiebt,  120  Jahre  erforderlich 
sein.  Der  Verfasser  der  Kalendernotiz  will  also  vielleicht  den  Sothis- 
aufgang  von  der  Zeit  der  Abfassung  des  Papyrus  bis  in  die  Zeit  des 
fraglichen  lirmigs  zurückrechnen.  —  Auffällig  kann  scheinen,  daß  in 
der  Kalendernotiz  die  5  Epagomenen  keine  Berücksichtigung  finden. 
Dies  ist  auch  von  verschiedener  Seite  als  Einwand  erhoben  worden. 
Das  unvollständige  Anführen  der  Epagomenen  in  sonst  vollständigen 
Kalendern,  sowie  ihr  manchmaliges  Fehlen  deutet  aber  wohl  darauf 
hin,  daß  man  entweder  absichtlich  die  Epagomenen  vermied,  oder  sie 
bei  gewissen  Jahresrechnungen  überhaupt  nicht  berücksichtigte.  Im 
ganzen  bleibt,  wie  man  sieht,  (h^r  Zweck  der  Kalendernotiz  immer 
noch  problematisch. 


i:;   -l.'i.      Die    Feste   illiil    ilire    lledeiitmi^  für  die  ii^'-yiilisclie  Zeit reclllilirif,'.        20H 

§  43.     Die  Ftiste  uihI  ihre  Kedeutiins  fiir  die  äiryptische 
/eilrechmiiij;. 

Die  weitaus  gi-ölUe  AN'ichtig'keit  für  die  Erkenntnis  der  äfryittisclien 
.lahrformen  und  ihre  alhnählige  Entwickehing' haben  unter  dem  (hircli 
die  Forscliung'  zug-änpflieh  gemachten  archäolop^ischen  ]\Iaterial  die 
Kalender  und  Festlistcn.  Das  Zeitrechnungswesen  der  Ägypter  steht 
in  engster  Verbindung  mit  der  Mythologie;  davon  geben  die  Feste 
beredtes  Zeugnis.  Es  erscheinen  in  den  Festlisten  nicht  nur  Festtage, 
die  der  Verehrung  bestimmter  Götter  gewidmet  sind,  sondern  auch 
eine  große  Zahl  solcher,  welche  auf  die  den  Ägyptern  eigen- 
tümliche mythologische  Verkleidung  von  Naturvorgängen  Beziehung 
haben.  Wenn  wir  die  Lage  dieser  Feste  im  -Talire,  die  sie  in 
Kalendern  von  verschiedenen  Entstellungszeiten  einnehmen,  gegen- 
seitig vergleichen  könnten ,  so  würden  sich  aus  der  Vergleichung 
der  Feste  wichtige  llückschlüsse '  betreffs  der  Jahrform  der  einzelnen 
verglichenen  Kalender  ergeben,  ja  man  würde  aus  umfangreichem 
derartigen  Materiale  die  Hauptphasen  in  der  Entwicklung  des 
ägyptischen  Jahres  nachweisen  können.  Aber  dieser  Versuch  be- 
gegnet derzeit  noch  großen  Schwierigkeiten.  Abgesehen  davon, 
daß  nur  wenige  Festlisten  vollständig  auf  uns  gekommen  und  von 
vielen  nur  Bruchstücke  vorhanden  sind,  bieten  schon  die  Texte  dieser 
Listen  mancherlei  Hindernisse.  Die  konzise  Art  und  Weise,  wie  die 
Feste  bezeichnet  werden,  erschwert  oft  genug  die  Identifizierung 
eines  und  desselben  Festes  in  den  Kalendern;  nicht  selten  steht  man 
der  Terminologie  der  Feste  ratlos  gegenüber,  da  unsere  Kenntnis  der 
ägyptischen  Mythologie,  trotz  der  Fortschritte  seit  der  Aufdeckung 
der  Denkmäler,  nicht  soweit  entwickelt  ist,  um  entscheidend  ein- 
greifen zu  können;  verbale  Übersetzungen  geben  oft  gar  keinen 
Sinn  und  führen  zu  ^Mißgriffen '.  Dazu  kommt,  daß  in  der  ägyp- 
tischen Mythologie  im  Laufe  der  Jahrtausende  umfassenden  Kultur- 
entAvicklung  des  Nillandes  sich  große  Veränderungen  vollzogen  haben, 
die  wir  bisher  nur  in  den  Hauptzügen  übersehen  können,  die  aber 
notwendig  auch  die  Bedeutung  mancher  Feste,  die  Auffassung  der 
Symbolisierungen  u.  s.  w.  verändert  haben  müssen.  Auch  das  Zeitalter, 
in  welches  die  einzelnen  Festkalender  einzureihen  sind,  unterliegt 
hier     und     da     mancher    Unsicherheit.      Wenn     auch    die    Zeit    der 


1)  Solche  Schwierigkeiten  der  Terminologie  bietet  7..  B.  der  sehr  alte  Kalender 
au.s  KaJinn.  Dort  gibt  es  im  FhaopJii  ein  „Fest  der  Aufräumung  des  Sandes", 
das  „Kleid  Scnwosrct  IL".,  im  Athyr  die  „Dinge  der  Nacht  beim  Fassen  des 
Flusses",  im  Phamenoth  ein  „Rudern  im  Lande"  und  andere  schwer  übersetz- 
bare Rätsel. 


204  II.  Kiipitel.     Zcitrcclinuiii;-  der  Äiiyjiter. 

Texte  der  Festkalender  hier  und  da  festgestellt  werden  kann, 
so  ist  es  nicht  immer  sicher,  ob  der  Text  nicht  eine  bloße  Kopie 
eines  älteren  ist.  Eine  rationelle  Verwertung  der  Festlisten  müßte 
auf  die  Neuübersetzung-  und  Revision  der  Texte  zurückgehen 
und  von  sorgfältig  vergleichenden  Studien  begleitet  sein,  und  es 
fragt  sich  dabei  noch,  ob  das  uns  jetzt  zugängliclie  Material  schon 
definitive  Schlüsse  gestattet.  Bei  dieser  Lage  der  Dinge  muß 
ich  —  da  eine  kritische  Untersuchung  eines  größern  Teils  von 
Kalendern  in  diesem  Werke  wegen  des  eng  bemessenen  Raumes 
untunlich  ist  —  mich  damit  begnügen,  einige  der  vollständiger  er- 
haltenen Kalender,  bei  denen  zugleich  weniger  Zweifel  obwaltet, 
welclien  Zeiten  dieselben  angehören,  hervorzuheben.  Unter  diesen 
sind  an  die  Spitze  zu  stellen  die  Kalender  von  Denüera  {Tentyra), 
Edfii  (Apollinopolis  Magna)  und  Eme,  welche  zu  den  jüngeren  ge- 
hören. Der  £'^//'^<-Kalender  bezieht  sich  nach  Kkall  auf  das  tanitische 
Jahr,  der  Kalender  von  Es)ie  nach  Lauth  auf  das  alexandrinische '. 
Diese  3  Kalender  sind  im  folgenden  durch  7A.  Edf..  Es.,  Es.  II  be- 
zeichnet. Ein  ebenfalls  der  späteren  Zeit  angehörender  Kalender  ist 
der  der  thebanischen  Feiertage  (Hierat.  Papyr.,  I  32,  Leiden),  welcher 
die  Feste  aufzählt,  die  zur  Zeit  des  Kaisers  Augustus  gefeiert  wurden. 
(In  der  folgenden  Zusammenstellung  mit  Thcb.  bezeichnet.)  Ferner 
führe  ich  an:  Feste  nach  den  Inschriften  von  SilsiUs  (S.),  nach  alten 
Gräbern  aus  der  5.,  12.,  18.,  20.  und  26.  Dynastie  {alfe  K.),  den 
Kalender  des  Papyrus  SaMcr  IV.  (Sali),  welcher  dem  14.  Jahrh.  v.  Chr., 
und  das  Kalenderbruchstück  von  Kahun  (K.),  welches  dem  18.  oder 
19.  Jahi'h.  V.  Chr.  angehört.  Die  folgende  Festliste  ist  selbstverständlich 
bei  weitem  nicht  vollständig,  sondern  enthält  nur  die  markanteren 
Feste,  da  sie  nur  eine  Übersicht  über  die  Feste  der  einzelnen  Kalender 
ohne  Rücksicht  auf  die  Altersverschiedenheit  der  Kalender  geben  soll. 
Die  rechts  beigeschriebenen  Daten  beziehen  sich  auf  die  Umsetzung 
des  betreffenden  Monatstages  in  den  entsprechenden  Tag  des  alexan- 
drinischen,  tanitischen  und  Sothisjahres.  Ferner  sind  in  die  folgende 
Zusammenstellung  die  Feste  des  alexandrinischen  Kalenders  nach  den 
alten  Autoren,  und  das  Datum  der  Jahrpunkte  nach  Ptolemäis  ein- 
getragen. Diese  Angaben  sind  hirsir  gedruckt.  Von  den  Benennungen 
in  diesen  Festlisten  gilt  das  oben  Gesagte.  Die  Unsicherheit  der 
darin  vorkommenden  Deutung  der  Übersetzungen,  welche  überdies 
aus  verschiedenen  Quellen  zusammengetragen  werden  mußten ,  könnte 


1)  Die  Abfassungszeit(?n  dieser  Kalender,  welche  ünoer  (Ab/idlf/.  d.  hjl.  hair. 
Äkad.  d.  li'iss.,  19.  Bd. )  auf  Grund  von  Kalenderangaben  über  die  Zeit,  der  Ernte,  der 
Nilschwelle,  der  Ankunft  der  Schwalbe,  der  Kreignunj;^  bestiniiiiter  „Mondtage" 
abgeleitet  hat,  sind  in  ihrem  Ziele  verfehlt.  Die  drei  Kalender  gehören  vielmehr 
der  I'tolemäer-  und  ersten  Kaiserzeit  an. 


S('i)t. 

f).  Nov. 

?,.  Au,£c. 

S.'pt. 

8.  Nov. 

ß.  Aug. 

i^  43.     Die  Feste  und  ilin-  HcilcMitiui^  für  die  ägyptisclie  Zritreeliriung.       20.') 

nur  durch  die  unbedingt  nötige  gründliclie  Durcharbeitung  des  ganzen 
Kaleudermaterials  von  ägyptologischer  Seite  behol)en  werden.  Einer 
solchen  künftigen  Eevision  dürfte  aber  die  folgende  Zusammenstellung 
zu  Hilfe  kommen: 

1.  Tliotit.     Neujahr.    Fest  aller  (xötter  u.  Göttinnen 

D.,  Edf.,  Es.,  K.,  alte  K.).  2i).  Aug.    22.  (»kt.      20.  .Juli 

2.  „         Niltag  7,    Prozession   der  Lotosblume 

(/).,  Edf.). 
9.        „         Niltag  14,  Prozession  der  Hathor  (D.). 
9.        „         Fest  des  Neujahrs  der  Vorfahren  (Es.). 
9.        „         Fest  der  gerösteten  Fische   [Plut.,  Is. 

et  Os.,  7b]i.  6.  Sept.         —  — 

10.        „         Niltag  15.    Fest  des  Ilorsamfaui  ■  (/).). 

15.  ,         Beginn  der  Nilschwelle  (6'.).  12. 
17/18.  „         Uaff-Fest  [alte  K.,  Tlieb.). 

18.  „         Herhstanfaraj  [Ptolemäuw|.  15. 

19.  ,         Fest  des  Thoth  {Es.,  Theb.,  alte  K.). 

19.  ,        Hermesfest  [Plut.  c.  68  a]. 

20.  ,         7ec//«-Fest  (Kanop.). 

22.  ,         Fest  des  Anubis  (Edf.). 

28.        „         Herbstäquinoktium  [Ptolemäu.s].  25.  Sept.    18.  Nov.     1(1  Aug. 

28.         „         Geburt    der    Niit'^    (i>.).      Geburt    der 
Sonnenscheibe  (Edf.). 

4.  Tiidophi.     Schluß  des  Tec/iH-Festes  (Kanop. V 

5.  ,         Der  volle  Nil  (D.,  Edf.).  2.  Okt.     25.  Nov.     23.  Aug. 

6.  ^         Fest  der  Isis  (Es.,  Edf.). 

6.        „         Isislcgt  den  Talisman  um[VLVT.c.&iMi\K       3.  Okt  —  — 

16.  „         Osiris-Fest  in  Abydos  (S.,  Sali). 
19.         „         Hervortreten  der  Flut  (6'.). 

19.        „         Amonsfest      (Es.,     Theb.).      Hathor 
(Edf.) 

23.  r,         Geburt    der    Stütze    (des    Stabes)    der 

Sonne  [Plut.  c.  52  aj.  20.  Okt.  —  — 

26.         „         Grundsteinlegungstag  (S.). 
30.        ,         Flutfest  (S.). 
1.  Athyr.     Wasserfahrt  der  ilf<;sc/<;^ef-Barke(r/<e^.). 
1.        ^         Fest  der  Sechmcl^  (Es.).     Himinelsfest 

(Sali). 
6.        „         Allgemeines  Freudenfest  i^S.). 


1)  ,Wenn  am  9.  Tage  des  1.  Monats  jeder  andere  Ägypter  vor  der  Hoftür 
einen  gebratenen  Fisch  verzehrt,  so  genießen  die  Priester  nichts  davon,  sondern 
verbrennen  die  Fische  vor  den  Türen"   (Pakthey,  S.  10). 

2)  Später  gebildete  Gottheit,  Sohn  von  Hör  und  Hathor. 

3)  Göttin  der  Himmelswölbung  (des  Sternhimmels). 

4)  ,Sie  sagen  aus  demselben  Grunde,  sobald  Isis  inne  werde,  daß  sie  schwanger 
sei ,  so  hänge  sie  am  6.  Tage  des  Monats  Pliaophi  ein  Schutzliildehen  um ,  aber 
Harpokrutes  komme  unvollkommen  und  sehwäeblich  zur  Welt  um  die  Zeit  der 
Wintersonnenwende  unter  den  früh  aufgesproßten  Blumen  und  Blüten"  (Pakthey, 
S.  114). 

5)  Göttin  der  Hitze,  strafende  Gottheit. 


206  II.  Kapitel.     Zeitrcfhnung  der  Ägypter. 

15.  Athijr.  Winteranfang  [PTuhEMÄüsJ.  11.  Nov.  — 

17.        „  Todestag  des  Osiris  [Vhv^.  (i.\oc,A2ii\.       18.  Nov.         —  — 

16/17.  „  Klage  der  Isis  {S.,  Sali). 

18/20.  ,  Trailerlage  der  Isis.     Der  Fluß  hört 

auf  zu  steigen  [Pi.ut.  c.  39b].  14/lß.  Nov.     —  — 

24.  „  Erscheinung  der  Isis  (S.). 
29/30.  ,  Prozession  der  Hathor  (Edf). 

\.  Choialc.    Fest  Kahl ka  [Es.).   Kühe  der  Flut  (5'.}.      27.  Nov.    20.  Jan.      IS.  Okt. 

1.  ,  Nilfest  ,Theb^. 

5.  „  Großes  Fest  {S.). 

7.  ,  Anfang  des  Pflügens  (S.).  3.  Dez.     26.  Jan.     24.  Okt. 

12.  y,  Verwandlung  des  Osiris  (S.). 

25.  ^  Begräbnis  des  Osiris  (D.). 

26.  ,  So^ar-Fest    (Auferstehung    des    Osiris) 

(D.,  Es.,  Edf.  II,  K.,  alte  IL).  22.  Dez.     14.  Febr.    12.   Nov. 

26.        „         Wintersolstitium  [Ptolemäus]. 

26.  T,         Um   die   Zeit   der   W'interwende    wird 

Osiris  gesucht,   Prozession  der  Isis- 
Kuh  [Plut.  c.  52  a,  b]. 
30.        ,         [1.  Tghir\  Fest  Neheb-ka  (Edf,  K.). 
1.  Tt/bi.      Krönungsfest  des  Horus  von  Edfu  {Edf., 

Edf  II)- 
1.        ^         Fest    der    Sonneutochter    Tafnut    (Es., 

Edf.). 
7.        ^         FestderGöttin2icnenM<c<(Erntefest)(i,V//'.).       2.  Jan.     25.  Febr.       — 
7.        „         Ankunft  der  Isis  aus  Fhoinike   [Plut. 

c.  .50  b]. 
11.        „         Zeremonie  der  vÖQtvai  g  ( Wasserschöpfen) 

[Epiphan.  comp.  JablonsJci]. 
14.        „         Isisklage  (S.) 

25.        „         (20.— 30.  Wasserfahrten   D.,  Es.,  Edf.). 
Opferfeste  [Edf.  II). 

25.  „         Großes  Fest  [unch  3Ioscs  von  CJioracnc].     20.  Jan.     15.  März     11.  Dez. 

27.  ,        Fest  der  Neter  (Sali.). 

1.  Mechir.     Fest  des  Ftah  {Edf.  II). 

1.         ,         Aufhängung  des  Himmels  {Sali.).  26.  Jan.      21.  März     17.  Dez. 

4.        ,         Großes  Fest  {alte  K.)  [6.  Mechir  Edf.]. 

9.        „         Großes   Glutfest   {Edf,  alte  K.)   [Fest 

des  großen  Brandes].  3.  Febr.  29.  März    25.  Dez. 

13/14.  „         Frühjahrshegitin  [Ptolemäus].  8.  Febr. 

19.         „         Auffindung  des  Gottes  (S.). 
21.        ,         Fest  des  Starken  (D.,  Es.',  Edf.).  15.  Febr.        —  — 

27.  „         Fest  des  Sokar  (Sali.). 

1.  l'hamenoth.     Aufhängung    des    Himmels    (Es., 

Edf.,  Thcb.).  25.  Febr.    20.  April    16.  Jan. 

1.  j,  Osiris  tritt  in  den  Mond.  Frühjahrs- 
beginn [PhUT.  c.  43  b]. 

26.  „         Tag-  und  Nachtgleiche.  Darauf  Nieder- 

kunft der  Isis  [Pjjjt.  c.  65  b]'.  22.  März         —  — 

28.  „         Osirisfest  in  Abydos  {Sali.). 


1)    ,Sie    feiern    die    Tage    des    Kindbeils    iiaeh    der    Frühlingsnachtgleiche" 
(Pakthkv,  S.  115). 


§  43.     Die  Feste  iiiid  ilirc  IJedcutiinp:  für  die  iij^'yittisehc  Zi'itrrcliiiiinf,'.       207 

28.  Phamenoth.     Fest  des  Hiegciiden  Käfers  (Udf.). 

1.  l'liarmuthi.     Erntefest  der  lienciiutet  {Tlieh.). 

2.  ,        fJöttliehe  Geburt  der  Sonne  {Es.,  Edf., 

^'^df-  11).  28.  iVIärz    21.  Mai      IH.  Febr. 

2.  „         Frühlingsgleiehe  (Theb.). 

19.        ,         Fest  des  Auges  der  Majestät  lie  (SalL). 

25.  „        Erntesett{üa.chTt{K()y,AratiFhaenom.).      20.  Ajjril        —  __ 
28.        ,        Fest  des  Horus  {Es.,  Eclf.). 

1.  Pachon.    Horus-Fesi  (!>.,  Sali).    Ernte  (Es.). 

1.        „         Fest  der   Uzat-Augeu  (Edf.  II).  2f).  April    19.  Jur.i     17.  März 

3.  ,         Sommersonne    Großer  Horus)    (Theb.). 
5.        „         Mendes-Fest    .S'.,  Sali.). 

11.  „         Geburt  der  Uzat- Aagea  (Edf.). 
15.        ,         Großes  Fest    Z>.). 

19.        „         Prozession  des  Chonsu^  (Edf.  II). 
30.        „         Erscheinung  des  Miti'  \aUe  K.j. 
1.  Fayni.     Fest    des    Sonuenauges.      Lanipenfest 

{Edf).  20.  Mai      19.  Juli      in.  April 

IG.        „         Fest  der  Bubastia  (Es.). 

26.  ,         Neujahr.     Fest  der  Offenbarung  (Es.).      20.  Juni          —              _ 
1.  Epiphi.     Zweite    göttliche    Geburt    der    Sonne       25.  Juni  

(Es.). 
1.        ,         Verwundung  des  Set  (Edf). 
1.        ,         Somniersolstüiiü»  [Ptolemäus]. 

4.  „         Empfängnis  des  Horus  (von  Isis)  (Edf). 

12.  ,         Geburt  des  J./«"  (Edf). 

15.        ,         Tiefster  Nilstand  (S.).  9.  Juli        2.  Sept.    .30.  Mai 

27/28.  „         Prozession  der  Hathor  (Edf)  [12  Tage]. 

29/30.  „         Fest  Isis-Sothis  (Es^.  23.  Juli  —  _ 

30.        „        Geburt   der  Augen  des  Horus  [Plut. 
c.  52  a]-''. 
\.  Mcsori.   Fest  Ihrer  Majestät  (D.,  Edf,  Edf.  II).      25.  Juli      17.  Sept.        — 

1.  „        Der  Mesori  bringt  das  belebende  Wasser 

des  Nil  (Antholog.  Bücnk  II  510\ 

2.  „         Prozession  der  Isis  i^Edf,  Edf.  II). 

Aus  dieser  Festliste  müssen  sich  einige  Folgernng-en  für  das 
ägyptische  Jahr  ergeben.  Zwei  wichtige  Quellen  behaupten,  daß  die 
Feste  sich  mit  der  Zeit  verschoben  hätten.  Der  erstere  Zeuge  ist 
Geminus  (im  ersten  Jalirh.  v.  Chr.),  welcher  sagt:  ,.Die  Ägypter  sind 
ganz  anderer  Meinung  und  Absicht  gewesen  als  die  Griechen,  denn 
sie  rechnen  weder  ihre  Jahre  nach  der  Sonne,  noch  ihre  Tage  und 
Monate  nach  dem  Monde,  sondern  verfahren  nach  gewissen,  ihnen 
eigentümlichen  Grundsätzen.     Sie  wollen  nämlich,   daß  die  Opfer  den 


1)  Mondgott. 

2)  Gott  des  Garten-  und  Feldbaues. 

3)  „Am  letzten  Tage  des  Monats  Epiplii  feiern  sie  die  Geburt  der  Iloru.s- 
Augen,  wenn  Mond  und  Sonne  in  gerader  Linie  erscheinen,  denn  sie  halten 
nicht  allein  den  Mond,  sondern  auch  die  Sonne  für  des  Horus  Au'-e  und  Lieht" 
(Pakthey,  S.  92). 


208  II.  Kapitel.     Zoitroelaming  der  Äi;-v))ter. 

Göttern  nicht  immer  zu  derselben  Zeit  des  Jahres  dargebracht  werden, 
sondern  alle  Jahreszeiten  durchwandern  sollen,  so  daß  das  Fest  des 
Sommers  ein  Fest  des  Herbstes,  Winters  und  Frühlings  werde.  Zu 
diesem  Ende  haben  sie  ein  Jahr  von  365  Tagen,  oder  von  zwölf 
SOtägigen  Monaten  und  fünf  überzähligen  Tagen;  den  Vierteltag 
schalten  sie  aus  dem  gedachten  Grunde  nicht  ein,  nämlich  damit  die 
Feste  ihre  Stelle  ändern  mögen  ^."  Das  andere  Zeugnis  geben  uns 
die  Ägypter  selbst,  und  zwar  durch  das  Dekret  von  Kanopus,  wo  es 
heißt  (vgl.  S.  198),  daß  eine  Reform  des  Jahres  nötig  werde,  „damit 
die  Jahreszeiten  fortwährend  nach  der  jetzigen  Ordnung  der  Welt 
ihre  Schuldigkeit  tun,  und  es  nicht  vorkomme,  daß  einige  der  öffent- 
lichen Feste,  welche  im  Winter  gefeiert  werden,  einstmals  im  Sommer 
gefeiert  werden  .  .  .  .,  andere,  die  im  Sommer  gefeiert  werden,  in 
si)ätern  Zeiten  im  Winter  gefeiert  werden,  wie  dies  früher  geschah, 
als  auch  jetzt  wieder  geschehen  würde.  ..."  Wenn  also  die  Mehr- 
zahl der  Feste  alle  Jahreszeiten  durchwandert  haben,  dann  müssen 
sie  in  den  verschiedenen  Kalendern,  gleichgiltig ,  aus  welcher  Zeit 
diese  herrühren,  auf  ein  und  denselben  Tag  fallen;  in  den  Kalendern, 
die  auf  festen  Jahren  beruhen,  müssen  die  Feste  ebenfalls  auf  den- 
selben ägyptischen  Tagen  liegen,  aber  um  die  konstante  Differenz  der 
Epochen  der  Kalender  verschieden  sein.  Dies  ist  in  der  Tat  der  Fall. 
Wir  wollen  einige  der  hauptsächlichsten  Feste  auf  Grund  der  vorher 
mitgeteilten  Festliste  durchsiebten: 

a)  1.  Tlioth,  Neujahr,  erscheint  als  Festtag  schon  in  der  Zeit 
('/{('oj)s.  aber  auch  in  Esne  (29.  Aug.)  und  Edfu  (22.  Oktob.) 
|tanitisches  Jahr],  obwohl  diese  letzteren  beiden  Kalender  den  ersten 
Jahrhunderten  v.  Chr.,  die  alten  Kalender  aber  der  Zeit  der  5.  und 
früherer  Dynastien  angehören. 

b)  17/18.  Thoth.  Das  Ua(ja-FQ,^i  erscheint  ebenfalls  schon  in 
den  alten  Festlisten,  im  Kalender  von  Medmet-Haha  (Ramessiden- 
zeit,  13.  Jalirh.  v.  Chr.),  in  dem  um  ein  Jahhundert  älteren  theba- 
nisclien  des  Ncfcrhotcp  am  gleichen  Tage,  ebenso  in  dei'  sehr  alten 
Inschrift  von  Hiiit  am  17.  Thoth.     (Nach  Bkicscii  am   18.  Tholh.) 

c)  19.  Thoth.     Die    thothische   Feier   findet   sich    sowolil    in   den 


1)  Isayog.  in  Arat.  IVuien.  c.  8  :  Ol  ^tv  yaQ  Alyvitrioi  t>iv  ivavriav  diuh^xpiv  v.cd 
■jtQuQtoiv  ia^rjxaai.  roTg  "EXXriaiv.  Ovn-  yccQ  tovis  iviavTovg  ayovai  xad-'  ijXtov,  üvt8 
rovg  (ifjVug  xal  tug  ij^UQug  y.uru.  tijv  ßtXi'jvriv,  cdX'  idla  rivl  vTtoata.6ti  v.t'ji^Qmitvui 
tlai.  BovXovTCii  yuQ  rag  &vaiag  to/'s  &toTg  (ii)  y.uru  tuv  avTov  naiQov  tov  trtavTüv 
yivtadui,  äXXu  ötä  Ttaaüv  riäv  tüv  iviuvtov  wqwv  dttXdi-rv-  yia)  yivta&ca  ri^v  ^irQtviiP 
tOQTtjV  y.ul  itnuQivi]v,  v.cd  (p%'ivo7t(0(}ivi]v ,  y.a)  taQtvrjV.  "Ayovai  yug  tov  iviavTÖv 
ilutQcov  TQiuxoaiMv  h^i)xovTa  ntvTt:.  Awdtiia  yaQ  in'ivag  ayovai  TQiaKov&r](itQOve, 
xul  TitvTt  inccyofitvceg.  Ti)  dh  ä'  ovx  ^näyovai  diu  r/yr  n()oi-iQi](itv}]v  airiuv,  i'vu 
tiVTOig   &l'U7todts(i>VTUl    ui    ioQTuL 


§  43.    Die  Feste  und  ihre  Bedeutmig  für  die  ägyptische  Zeitrechnung.       209 

alten  Listen,  wie  im  thebanischen,  im  Medinet-Hahu-Kalenäer,  in  Esnf^, 
und  als  Hermesfest  bei  Plutarch. 

d)  19.  Phaophi.  Das  Amons-Fest  wird  schon  im  Mnlinct- 
jy«&M  -  Kalender  auf  diesen  Tag  gesetzt,  unter  dem  gleichen  Datum 
findet  es  sich  1100  Jahre  später  in  Esnc-^  auch  aus  einer  Stele  aus 
der  Zeit  des  Fimichi  (ums  7.  Jahrh.  v.  Chr.)  geht  hervor,  daß  das 
Fest  noch  seinen  alten  Ort  zwischen  den  Monaten  Thoth  und  Athi/r 
hatte. 

e)  20.  Choiak.  Das  Fest  des  Sokar  gehört  zu  den  ältesten 
Festen;  es  war  ein  Totenfest  und  fiel  in  den  Zeiten  beispielsweise 
der  12.  Dj-nastie,  in  der  es  schon  angeführt  wird,  in  den  Sommer. 
In  den  Kalendern  von  Esup,  Dcndera  und  Edfu  hat  es  dasselbe 
Datum,  entspricht  aber  dem  22.  Dezember  alex.,  der  Winterwende. 
Bei  der  Einführung  des  alexandrinischen  Jahres  kam  so  das  Fest  mit 
der  Winterwende  in  Verbindung;  Ende  Choiak  war  Schluß  der  Nil- 
schwelle, Osiris  war  begraben  und  sollte  wieder  zum  Leben  erweckt 
werden,  das  /SbZY/r-Fest  wurde  zu  einem  Auferstehungsfeste  des  Osiris 
(s.  Plutaech  a.  a.  0.)^ 

f)  9.  Mech'ir.  Die  beiden  Feste  der  ..großen  Glut"  (des  großen 
Brandes)  und  der  ,.kleinen  Glut"'  sind  schon  in  den  alten  Kalendern 
vermerkt,  im  Mechir  und  Phamenoth.  Sie  hatten  wahrscheinlich 
Beziehung  auf  Frühjahr  und  Sommer,  wie  der  Name  der  Feste  andeutet, 
auf  die  Zeit  der  Hitze.  Im  14.  oder  15.  Jahrh.  v.  Chr.  fiel  in  der 
Tat  die  Tetramenie  Tyhi  - Pharmuthi ,  welche  die  Monate  Mechir- 
Phamenoth  einschließt,  in  den  Sommer  (vgl.  S.  160).  Im  tanitischen 
Jahre  des  £'^//w-Kalenders  hat  aber  das  Fest  des  großen  Brandes  immer 
noch  seine  Stelle  auf  dem  9.  Mechir  =  29.  März. 

g)  21.  Mechir.  Das  ..Fest  des  Starken"  erscheint  in  den  jüngeren 
Kalendern  {D.,  Es.,  Edf.)  unter  demselben  Datum  trotz  der,  wenn 
auch  nicht  sehr  großen  zeitlichen  Verschiedenheit  der  Kalender,  was 
immerhin  bemerkenswert  ist,  da  das  Fest  wahrscheinlich  irgend  eine 
astronomische  Beziehung  hat. 

h)  1.  Phamenoth.  Das  Fest  ,.der  Aufhängung  des  Himmels" 
hat  wie  das  vorhergehende  einen  astronomischen  Sinn  (Beginn  der 
Welterschaffung?).  In  den  jüngeren  Kalendern  steht  es  unter  dem 
1.  Phamenoth .  im  Kalender  Papyrus  Sallier  IV.  aber  einen  Monat 
früher. 

i)  2.  Pharmuthi.  Die  ..göttliche  Geburt  der  Sonne"  (der  Früh- 
jahrssonne)  wird   übereinstimmend   von   den  Kalendern  Es.,  Edf.  und 


1)  Mit  dem  Sokar-Feste  stehen  die  Feste  Neheb-ka  und  das  Krönungsfest  des 
Horus  (, Eröffnung  des  Jahres  des  Horiis,  des  Solines  des  Osiris  und  der  Isis")  am 
1.  Tyhi  in  Beziehung. 

Ginzel,   Chronologie  I.  14 


210  II.  Kapitel.    Zeitreehmuig  der  Ägvjjter. 

Theh.  auf  den  2.  Fharmufhi  gesetzt,  obwohl  für  Edf.  der  21.  Mai 
und  für  Es.  und  Theh.  der  28.  ]\[ärz  folgt. 

k)  Fachon.  Dieser  gilt  in  der  Ptolemäerzeit  als  der  erste 
Wassermonat,  demgemäß  wird  das  „Fest  der  t/^af- Augen"  {Edfit) 
[die  den  Beginn  der  Überschwemmung  ankündigende  Sommersonne] 
in  diesen  Monat  (1.  Fachon  =  19.  Juni  tanit.)  gesetzt.  Der  alexan- 
drinisch  datierende  Esiie -K-dlender  setzt  das  Sommersolstitium 
1.  EplpM  =  25.  Juni.  —  Im  3.  Jahrtaus.  v.  Chr.  war  Fachon  der 
erste  Frühlingsmonat;  demgemäß  erscheint  unter  dem  Datum  des 
30.  Fachon  zu  Zeiten  Cheops  das  Fest  des  Gottes  der  Frühlings- 
blumen und  Erstlinge  des  Feldes,  die  „Erscheinung  des  il/r«"  (des 
äg^-ptischen  Pan);  das  Fest  behielt  aber,  trotzdem  sich  das  Jahr 
gegen  die  Jahreszeiten  verschob  und  bis  zu  den  Zeiten  der  25.  Dynastie 
einen  ganzen  Umlauf  ausführte,  auf  demselben  Datum  haften,  denn 
unter  der  20,  Dynastie  und  früher  erscheint  es  immer  noch  im 
Facho7i. 

1)  27.  Epiphl  —  8.  Meson.  Die  Hathor-Feste  im  £'f//"2t-Kalender 
entsprechen  ungefähr  der  Herbsttag-  und  Nachtgleiche  im  tanitischen 
Jahre.  Auch  das  „Fest  Ihrer  Majestät"  am  1.  Mesori  war  ein  Hathor- 
Fest,  hat  aber  eine  andere  Bedeutung  erlangt,  worauf  wir  noch 
zurückkommen. 

Diese  Vergleichungen  stellen  also  wohl  außer  Zweifel,  daß  die 
Mehrzahl  der  Feste  in  den  verschiedenen  Kalendern  an  denselben 
Monatstag  gebunden  war,  und  daß  man  den  älteren  Kalendern  des- 
halb kein  festes  Jahr  zuschreiben  kann.  Auch  für  den  Medhiet-HahK- 
Kalender  aus  dem  13.  Jahrh.  v.  Chr.  wird  man  ein  Wandeljahr  voraus- 
setzen müssen.  Riel  hat  für  diesen  Kalender  das  feste  Jahr  durch 
die  gewagte  Annahme  zu  retten  versucht,  daß  die  Ägypter  später 
(um  1000  V.  Chr.)  wieder  auf  das  Wandeljahr  zurückgegangen  wären. 

Während  die  Ägypter  somit  am  Wandeljahre  festhielten  und  die 
gewöhnlichen  Feste  (mit  jedenfalls  nicht  vielen  Ausnahmen)  durch 
die  Jahreszeiten  hindurchlaufen  ließen,  mußten  sie  anderseits  bemüht 
sein,  die  für  die  Feldarbeit  wichtigen,  also  von  den  Nilphasen  ab- 
hängenden Festtage  mit  der  Natur  übereinstinnnend  zu  erhalten  und 
]'ichtig  voraus  zu  bestimmen.  Durch  die  Fortsetzung  der  Beobachtung 
der  heliakischen  Siriusaufgänge  und  Berücksichtigung  der  eintägigen 
Verschiebung  derselben  in  4  Jahren  wurde  letzteres  möglich;  die 
Jahrpunkte  der  Sonne  wurden  durch  rohe  Beobachtungen,  die  wenigen 
jMondwechsel,  die  mit  der  Feier  einiger  Feste  in  Verbindung  standen, 
durch  zyklische  Rechnung  oder  Beobachtung  des  Neulich tes  nach  dem 
Neumonde  ermittelt.  Wenn  wir  uns  auf  das  Datum  der  Nilschwelle, 
der  Hauptjahrpunkte  und  des  Siriustages  beschränken,  so  folgt  in  der 
Tat   aus   der  Vergleichung   der   Kalender   von   Esne   und  Eclfu,   daß 


§  43.     Die  Feste  und  ilirc  licdcutiiii«^-  für  (lic  iif;yi)tiscli('  Zi'itrechiiuii}^.       211 

diese  Daten  nicht  an  denselben  Tagen  beider  Kalender  hafteten,  sondern 
besonders  festgesetzt  worden  sind: 

Fruhlmgsgleiche  {    -^^  '  c,^     t>i  ,i 

\  Esne   =  21.  Phamcnoth 

Fest  der  Uzat- Augen  (Sommer-  (  Edfu  =  1/3.  Fac/ion 

solstiz)  und  Nilschwelle-Beginn  l  Esne   =^  26.  Paynijl.  Eprphi 

heliakischer  Siriusaufgang  {  ]^^  Z  29.  EjÜ^m 

Wie  sicli  die  Bedeutung  der  Feste  im  Laufe  der  Zeit  alhnählich 
änderte,  möge  noch  an  einem  Beispiele  illustriert  werden.  Der 
1.  Thofh  fiel  in  der  alten  Zeit  mit  dem  Siriusaufgange,  der  Sommer- 
sonnenwende und  dem  Beginn  der  Nilschwelle  zusammen.  Je  weiter 
sich  der  Nilschwellebeginn  vom  Tage  des  Siriusaufgangs  entfernte 
(vgl.  S.  190),  desto  mehr  verlor,  der  1.  T/wt/i  seine  Bedeutung  als 
Jahresanfang;  die  Erinnerung  an  ihn  wurde  aber  als  ein  Festtag 
„aller  Götter  und  Göttinnen"  gefeiert.  In  der  Ptolemäer-  und  Kaiser- 
zeit, wo  unter  dem  1.  Mesori  in  Edfii  und  IJotdera  und  unter  dem 
29.  Ep'ij^ihl  ein  ,.Fest  der  Götter  an  dem  Feste  Ihrer  Majestät"  an- 
geführt wird,  sehen  wir  die  Erinnerung  erhalten,  nur  ist  das  „Fest 
Ihrer  Majestät"  im  alexandrinischen  Jahre  zu  einem  Siriusaufgangs- 
feste geworden'.  Durch  diese  Übertragung  des  Sothisfestes  auf  den 
1.  Mesori  wurde  der  Mesorl  zu  einem  Neujahr  -  Monat ,  und  darum 
taucht  in  der  Ptolemäerzeit  dieser  Monat  unter  den  Bezeichnungen 
„Anfangsfest"  oder  .,Fest  des  Neujahrs"  auf.  —  Über  die  Verschiebung 
der  Niltage  vom  15.  Thofh  und  15.  Epiphi,  die  in  Inschriften  von 
Silsilis  angezeigt  sind,  wurde  schon  S.  155  gehandelt. 

Es  können  zum  Schluß  hier  nur  noch  einige  Eigentümlichkeiten  der 
Kalender  flüchtig  berührt  werden,  so  interessant  es  wäre,  den 
Erörterungen  über  die  Lage  mancher  Feste  nachzugehen.  Die  erste 
betrifft  die  drei  Neujalirstage  des  ^'sne  -  Kalenders.  Dieser  Kalender 
(vgl.  S.  205)  führt  außer  dem  Neujahre  des  alexandrinischen  Jahres 
1.  Thoth  noch  ein  „Neujahr  der  Vorfahren"  am  9.  Thofh  auf;  dieses 
kann  sich  nur  auf  das  frühere  Wandeljahr  beziehen  (der  Kalender 
gehört  dem  alexandrinischen,  festen  Jahre  an).  Ein  drittes  Neujahi* 
wird  auf  den  26.  Fatjni  (=  20.  Juni  alex.)  gesetzt  und  von  Lauth 
auf  das  tropische  Jahr,  von  Eomieu  auf  den  Gebrauch  eines  religiösen 


1)  Fast  eine  Sothisperiode  vor  der  Ptolemäerzeit  fällt  das  Siriusaufgangsfest 
des  Steins  von  Elephantine  (vgl.  S.  194),  welches  vom  28.  Epiphi  datiert  ist.  In 
der  Zeit  TJndmosis  III. ,  welcher  das  Datum  angehört,  konnte  in  der  Tat  der 
heliakische  Siriusaufgang  auf  den  28.  Epiphi  fallen,  da  er  nicht  an  einem  festen 
Tage  des  Wandeljahres  haftete. 

14* 


212  IT.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Ägypter. 

Jahres   bezogen,   nach   Kkall   bedeutet   aber  dieses   dritte  Neujahr, 

r 

welches  mit  -^  bezeichnet  ist,  den  Beginn  des  Natur  Jahres  mit  der 
Nilschwelle.  —  Als  weitere  Besonderheit  verschiedener,  besonders  der 
jüngeren  Kalender,  sei  hervorgehoben,  daß  in  jedem  Monate  sich  ein 
oder  selbst  mehrere  Feste  vorfinden,  die  auf  die  Schutzgottheiten 
Beziehung  haben,  welche  den  einzelnen  Monaten  vorstehen  (vgl.  S.  156). 
So  im  Monat  Thoth  das  Teclm-Fest  (20.  TJioth),  im  Äthyr  das  Hathor- 
Fest  (1.  Athijr,  Dendera) ,  im  CJioiah  das  Kah'tl--Fest  (1.  Choial\ 
Esne),  im  TyU  das  Fest  Schef-hote  (20.  Tyhi ,  Dcndera),  im  Mechlr 
das  Machiar-Ye'&i  (21.  Mecliir,  Edfu),  im  Pachoti  die  Prozession  des 
Chonsu  (19.  Pachon,  Edfu).  —  Zuletzt  mag  noch  erwähnt  werden, 
daß  das  /SW-Fest,  auf  dessen  Feier  bei  den  Erklärungen  über  die 
30  jährige  /S'^'f/ -  Periode  hingewiesen  wurde  (S.  175),  sich  im  Kalender 
Edfu  II,  und,  wie  es  scheint,  nur  dort,  zweimal  aufgeführt  findet 
unter  dem  9.  Thoih  und  dem  10.  Pachon.  In  die  voraufgeführte 
Liste  wurde  es  nicht  eingetragen. 


§  44.    Theorie  des  ägyptischen  Jahres. 

Eine  Theorie  des  Jahres,  d.  h.  eine  Beantwortung  der  Frage,  in 
welcher  Weise  sich  die  Jahresformen  bei  den  Ägyptern  im  Laufe  der 
Zeit  entwickelt  haben,  läßt  sich  derzeit  trotz  der  mannigfachen  und, 
wie  wir  gesehen  haben,  wichtigen  Ergebnisse  immer  noch  nicht  in 
abschließender  Weise  geben.  Aber  wir  vermögen  jetzt,  wie  es  scheint, 
die  Hauptphasen  der  Entwicklung  des  ägyptischen  Jahres  mit  größerer 
Sicherheit  als  früher  zu  fassen,  wenngleich  noch  vieles  davon  abhängt, 
ob  uns  die  Zukunft  noch  eine  ansehnliche  Bereicherung  des  archäo- 
logischen Materials,  besonders  in  Beziehung  auf  möglichst  zeitlich  von- 
einander verschiedene  Kalender,  bringen  wird. 

Von  Theorien  des  ägyptischen  Jahres  kann  im  wissenschaftlichen 
Sinne  erst  seit  der  Zeit  der  Verwertung  der  Denkmäler  die  Eede 
sein.  Die  Klassiker  allein  bilden  auf  diesem  Gebiete,  wo  selbst  das 
positive  Material  der  Inschriften  Schwierigkeiten  genug  macht,  einen 
ganz  unzureichenden  und  unsicheren  Untergrund.  Die  Theorien,  welclie 
BAiTJiY,  FiiERET,  Delanauze,  Balnbridge  u.  a.  auf  Grund  der  Über- 
lieferungen der  klassischen  Autoren  gegeben  haben,  müssen  deshalb 
hier  wegbleiben;  eine  gehörige  Berücksichtigung  der  arcliäologischen 
Ergebnisse  und  deren  Verbindung  mit  den  klassischen  Nachrichten 
beginnt  erst  mit  Lepsius.  Im  Folgenden  sind  die  Klassikerstellen, 
wo  sie  noch  für  die  einzelnen  Fragen  Wert  besitzen  oder  soweit  sich 
die  Vertreter  einzelner  Theorien  auf  sie  berufen,  mit  angeführt. 

Über   die   Beschaffenheit   des    ältesten    Jahres    der   Ägypter 


§  44.    Tlieorie  des  ägyjttisclK'ii  Jahres.  213 

existieren  nur  unsichere  Hypothesen,  da  es  an  inschriftlichen  Zeug- 
nissen noch  ganz  fehlt  und  die  Meinungen  sich  nur  auf  einigen  dürftigen 
Nachrichten  der  Klassiker  aufbauen.  Plutarch  {int.  Numac.  c.  18)^ 
und  DioDoR  (I  c.  26)  berichten,  daß  das  ägyptische  Jahr  aus  einem 
Monate,  später  aus  vier  Monaten  bestanden  habe.  Der  erstei-e  sagt : 
„Das  ägyptische  Jahr  war  zuerst  aus  einem  Monat  gebildet,  und 
nachher  aus  vier  Monaten" ;  der  zweite  meldet:  „Über  diese  alten 
Zeiten  sagt  man,  daß  sich  das  Jahr  aus  vier  Monaten  zusammen- 
setzte*'. In  ähnlicher  Weise  drücken  sich  Pkoklus  {Timacu^  Fiat. 
I  31),  Lactantius  (Instit.  d'iv.  II  12)  und  Plinius  {H.  N.  VII  49)  aus. 
SoLiNus  (Poh/h.  c.  1)  und  AugustdsUs  {de  cirit.  Del  XV  12)  sprechen 
allein  von  einem  viermonatlichen;  der  letztere  sagt:  Ut  autem  aliter  annum 
tunc  fuisse  computatum  non  sit  incredibile,  adjiciunt  quod  apud  plerosque 
scriptores  historiae  reperitur,  Aegyptios  habuisse  annum  quatuor  mensium. 
Diese  dunklen  Nachrichten  sind  wahrscheinlich  so  zu  deuten,  daß  man  sich 
vorstellte,  die  Ägypter  hätten  ursprünglich  die  klimatischen  Phasen 
ihres  Landes  als  selbständige  Zeiträume  behandelt  und  jeder  Phase  vier 
Monderscheinungen  zugeschrieben.  Die  Nilüberschwemmung  dauerte  etwa 
vier  Mondmonate  (der  koptische  Kalender  rechnet  noch  jetzt  die  Über- 
schwemmungszeit vom  Sommersolstiz  15.  Pcujui  bis  zum  7.  Phaophi 
=  117  Tage),  und  es  könnte  also  immerhin  möglich  sein,  daß  in 
den  allerältesten  Zeiten  die  Dauer  der  drei  Jahreszeiten,  die  Über- 
schwemmung, die  Entfaltung  der  Flora  und  die  Zeit  der  Hitze  und 
Dürre  nach  der  Zahl  der  Vollmonde  abgeschätzt  worden  ist.  Dieses 
viermonatliche  Jahr  muß  aber  verschwunden  sein,  sobald  Ackerbau 
und  Kultur  sich  entwickelten,  denn  die  ziemlich  scharf  begrenzten 
Jahreszeiten  forderten  in  ihrer  regelmäßigen  Wiederkehr  bald  etwas 
längere  Zeiträume,  als  die  Vollmonde  ergaben.  Jene  rohen  Anfänge 
in  der  Zeitzählung  reichen  in  die  vorhistorische  Zeit  zurück  und  haben 
in  der  geschichtlichen  Entwicklung  Ägyptens  kaum  mehr  einen  Platz. 
Man  sah  sich  genötigt,  wenn  man  in  der  ungefähren  Vorausberechnung 
der  Zeit  des  Beginns  und  Endes  der  Flut,  der  Zeit  der  Aussaat  und 
Ernte  mit  der  Wirklichkeit  in  Übereinstimmung  bleiben  wollte,  eine 
bestimmtere  Jahresform  aufzustellen,  die  sich  der  scheinbaren  AVieder- 
kehr  der  Sonne  zu  ihren  Orten  am  Himmel  einigermaßen  anschloß.  Vielleicht 
unter  dem  Einflüsse  des  von  den  Babyloniern  ihren  Ursprung  nehmenden 
Sexagesimalsystems ,  das  sich  in  Vorderasien  schon  in  weit  zui'ück- 
liegenden  Zeiten  ausgebreitet  hatte,  kam  es  auch  in  Ägypten  —  wie 
in  ganz  West-  und  Südasien  —  zur  Bildung  eines  360tägigen  Eund- 
jahres  mit  mehreren  Epagomenen.  Über  die  Gründe,  welche  für  dieses 
Jahr  beigebracht  werden  können,  habe  ich  mich  schon  im  §  36  (S.  170), 


1)  AlyvTtTiois  dh  ^ii]viciiog  i]v  ö  iviuvrög. 


214  II.  Kii])iti'l.     Zcitrccluiuiig-  der  Ägyptt.'!'. 

und  über  den  Sinn,  in  welcliem  es  gebraucht  worden  sein  wird,  in 
der  Einleitung"  (S.  00)  geäußert.  Zu  einer  Rechnung  nach  dem  Monde, 
d.  h.  einem  durch  irgend  ein  Sclialtungssystem  geregelten  Moniljahre, 
ist  es  in  Ägypten  anscheinend  nicht  gekommen.  Die  Gründe,  die 
gegen  ein  solches  regelrechtes  Mondjahr  sprechen,  Avurden  im  §  36 
gleichfalls  dargelegt.  Nur  die  Erinnerung  an  die  Schätzung  der  Zeit 
nach  Voll-  und  Neumonden  erhielt  sich  bei  den  Astrologen  und  Hiero- 
grammaten,  vielleicht  auch  in  manchen  Tempeljahren  und  in  den  alten 
Beziehungen,  in  die  man  gewisse  Feste  mit  den  Neumonden  gebracht 
hatte.  Das  ursprüngliche  Sonnen-Eundjahr  hat  wahrscheinlich  vielerlei 
Wandlungen  durchgemacht ,  ehe  man  bei  der  Zahl  von  fünf  Tagen, 
um  die  es  wegen  der  Übereinstimmung  mit  der  Sonne  zu  vermehren 
war,  stehen  blieb.  Diese  fünf  Tage,  Epagomenen  genannt,  wurden 
am  Schlüsse  des  Jahres  angehängt,  und  zwar  ^A'ahrscheinlich  schon 
im  4.  oder  5.  Jahrtausend  v.  Chr.  (s.  ij  36,  S.  172).  Auf  diese  Weise 
war  nun  ein  365  tägiges  Jahr  gebildet,  das  wahrscheinlich  lange  Zeit 
für  die  Dienste  in  der  Zeitrechnung  als  richtig  erachtet  wurde,  bis 
die  astronomische  Beobachtung  des  Himmels  (obgleich  sie  wohl  nie 
über  ein  mäßiges  Niveau  sich  entwickelte),  besonders  der  Siriusauf- 
gänge, Zweifel  an  der  Eichtigkeit  des  Jahres  brachte,  die  zur  Ge- 
wißheit wurden,  als  man  wahrnahm,  daß  die  Monate  trotz  der  Ver- 
besserung des  Jahres  um  die  Epagomenen  bald  alle  Jahreszeiten 
durchliefen. 

Ein  Teil  der  Theorien  des  ägyptischen  Jahres  setzt  nun  hier  bei 
diesem  Entwicklungsstadium  ein,  indem  er  die  gleichzeitige  Existenz 
eines  festen  Jahies  neben  dem  Wandeljahre  annimmt.  Schon  die 
älteren  Vertreter  dieser  Ansicht  (Delanauze,  Feeeet,  Foueebe  u.  a.) 
bedienen  sich  gewisser  Stellen  aus  den  alten  Autoren,  um  ihrer 
Hypothese  entsprechenden  Halt  zu  geben.  Da  auch  spätere  Chronologen, 
wie  Leteonne,  Lepsius,  von  denselben  Stellen  Gebrauch  machen, 
werde  ich  diese  Stellen  hier  anführen.  Vetths  Valens  (2.  Jahrh. 
n.  Chr.)  sagt:  „Die  Ägypter  fangen  ihr  bürgerliches  Jahr  mit  dem 
1.  Tlwth,  ihr  natürliches  mit  dem  Frühaufgange  des  Hundssterns  an". 
PoEPHYEirs  (3.  Jahrh.  n.  Chr.):  ,.Die  Ägypter  beginnen  ihr  Jahr  nicht, 
wie  die  Römer,  mit  dem  Wassermann,  sondern  mit  dem  Krebs,  denn 
neben  dem  Krebs  befindet  sich  der  Stern  Sothis,  den  die  Griechen 
Hundsstern  nennen.  Der  Aufgang  des  Sothis  ist  ihnen  das  Neujahr". 
Beim  tScliülkiKtoi  des  Aeatis  heißt  es:  „Das  Gestirn  des  Löwen  hat 
man  der  Sonne  geweiht,  denn  wenn  die  Sonne  in  dasselbe  eintritt, 
steigt  der  Nil,  und  der  Hundsstern  geht  um  die  elfte  (Nacht-)Stunde 
auf.  Mit  diesem  Zeitpunkt  fängt  man  das  Jahr  an,  und  man  be- 
trachtet den  Hundsstern  und  seinen  Aufgang  als  der  Isis  geweiht" 
S.  161).     HoEAi'üJiLoN  (4.  ,lalirh.  n.  Chr.):    ..Wenn   die  Hierophanten 


§  44.     Theorie  des  ägyptiselicu  Jahres.  215 

das  Jahr  nennen  wollen,  so  gebrauchen  sie  das  Wort  r^raoTov  = 
Viertel,  denn  sie  sagen,  es  komme  von  dem  einen  Aufgange  des 
Sothis-Sterns  bis  zum  andern  ein  Yierteltag  hinzu,  so  daß  das  Jahr 
Gottes  aus  365  und  einem  Vierteltag  bestehe,  weshalb  auch  die  Ägypter 
alle  vier  Jahre  den  überschüssigen  Tag  in  Rechnung  bringen,  denn 
vier  Viertel  machen  einen  vollen  Tag  aus*'  (Hierogl.  I  5).  Diodok 
(1.  Jahrh.  v.  Chr.)  erzählt  (I  50):  „Die  Thebäer,  die  bei  der  Be- 
obachtung der  Auf-  und  Untergänge  der  Gestirne  durch  ihr  Klima 
besonders  begünstigt  sind,  ordnen  ihre  Monate  und  Jahre  in  einer 
eigentümlichen  Weise  an.  Sie  zählen  die  Tage  nicht  nach  dem  Monde, 
sondern  nach  der  Sonne,  indem  sie  jedem  Monate  80  Tage  beilegen 
und  zu  den  12  Monaten  5\/t  Tage  hinzufügen,  um  die  Jahreszeiten 
zu  ihrer  Stelle  zurückzuführen".  Das  Vorhandensein  eines  vierjährigen 
Schaltungszyklus  soll  bewiesen  werden  durch  Stkabox  (um  Christi  Geburt  j: 
..Die  Priester  zu  Theben  ....  zählen  nach  der  Sonne,  indem  sie  zu 
den  12  Monaten  von  30  Tagen  jährlich  5  Tage  rechnen,  und  da  zur 
Ergänzung  des  Jahres  ein  gewisser  Teil  des  Tages  überschüssig  ist, 
so  bilden  sie  eine  Periode  aus  ganzen  Tagen  und  aus  so  vielen  ganzen 
Jahren,  als  von  den  überschüssigen  Teilen  zu  einem  ganzen  Tage  er- 
forderlich sind"  (XVII  816).  Ferner  durch  Dio  Cassius  (2.  Jahrh. 
n.  Chr.,  hist  XLIII  26)  und  Maceobius  (5.  Jahrh.  n.  Chr.,  Saturn. 
I  14):  ..Sie  (die  Kalenderreform  Julius  Cäsars)  war  eine  Frucht  seines 
Aufenthaltes  in  Alexandrien,  nur  daß  man  dort  jedem  Monate  30  Tage 
beilegt  und  dann  zum  ganzen  Jahre  5  Tage  hinzurechnet,  dahingegen 
Cäsar  sowohl  diese  Tage  als  auch  die  beiden,  die  er  dem  einen  Monat 
(Februar)  abnahm,  auf  die  Monate  verteilte.  Den  Tag  aber,  der 
durch  die  4  Viertel  gebildet  wird,  schaltete  er  alle  4  Jahre  gleich- 
falls ein".  — -  ..Imitatus  Aegyptios,  solos  divinarum  rerum  omnium 
conscios,  ad  numerum  solis,  qui  diebus  singulis  trecentis  sexaginta 
quinque  et  quadrante  cursum  conflcit,  annum  dirigere  contendit." 
Schon  Idelek  hat,  obwohl  ihm  die  Denkmäler  als  Beweismaterial  noch 
nicht  zur  Seite  standen,  sich  ablehnend  gegen  die  erwähnten  Stellen 
ausgesprochen  (l  167 — 174):  „Alle  diese  Zeugnisse  sind  schon  deshalb 
von  keinem  Gewicht,  da  sie  von  ziemlich  spät  lebenden  Schriftstellern 
entlehnt  sind,  zu  deren  Zeit  das  bewegliche  Jahr  der  Ägypter  größten- 
teils bereits  durch  das  feste  verdrängt  worden  war".  In  der  Tat 
gehören  die  zitierten  Autoren  meist  dem  3.  und  4.  Jahrh.  n.  Chr.  an, 
die  frühesten  unter  ihnen,  Diodor  und  Steabon,  reichen  ins  1.  Jahrh. 
V.  Chr.  zurück.  Gegen  diese  Stellen  kann  man  die  Worte  des  um 
70  V.  Chr.  lebenden  Gemixus  {Isag.  c.  8)  anführen,  die  schon  früher 
(§  43,  S.  208)  zitiert  wurden,  und  die  des  Censorin  (s.  §  40,  S.  187), 
welche  ausdrücklich  betonen,  daß  das  ägyptische  Jahr  ein  gewöhn- 
liches Jahr  von  365  Tagen,  ohne  Einschaltungen,  also  kein  festes 


216  IT.  Kapitel.    Zeitreclinung  der  Ägypter. 

gewesen  ist'.  Idelek  hat  daher  mit  Recht  angenommen,  daß  jene 
Stellen  nicht  das  sagen,  was  sie  beweisen  sollen;  daß  man  aus  ihnen 
höchstens  herauslesen  könne,  daß  das  bürgerliche  Jahr  oder  vielmehr 
die  Angelegenheiten  des  Volkes  durch  die  Frühaufgänge  des  Sothis- 
sterns  geregelt  wurden;  ein  festes  Jahr  mit  regelmäßiger  Schaltung, 
das  schon  in  den  Zeiten  vor  August us  bei  den  Ägyptern  existiert 
hätte,  folge  daraus  nicht.  Dies  schließe  aber  keineswegs  aus,  daß  den 
alten  Ägyptern  schon  aus  den  Siriusaufgängen  der  Vierteltag  bekannt 
geworden  sei. 

BiOT  nahm  an,  daß  dem  365  tägigen  Wandeljahre  ein  360  tägiges 
vorausgegangen  sei.  Einen  festen  Ausgangspunkt  habe  die  ägyptische 
Zeitrechnung  erst  gewonnen,  als  Überschwemmungsbeginn,  Sommer- 
solstiz  und  heliakischer  Siriusaufgang  nahe  zusammenfielen.  Dies 
würde  nach  ihm  3285  v.  Chr.  zugetroffen  sein^.  Damals  koinzidierte 
der  Anfang  der  Erntejahreszeit  (1.  Fachon)  mit  Sommersonnenwende 
(vgl.  §  33,  S.  160).  Der  Unterschied  zwischen  dem  Wandel  jähre  und 
dem  tropischen  Jahre  (0,24225  Tage)  macht  in  1505  Jahren  ein 
Wandeljahr  aus,  demnach  kehrte  nach  dieser  Zeit  die  Wasserjahres- 
zeit bei  der  Rechnung  des  Wandel  Jahres  wieder  auf  den  1.  Pachon 
zurück,  d.  h.  1780  und  275  v.  Chr.  Biot  zögerte,  die  Einführung  des 
Wandeljahres  in  eine  sehr  alte  Zeit  zu  setzen  und  ließ  es  unentschieden, 
ob  das  Wandel  jähr  erst  um  1780  v.  Chr.  eingeführt  worden  sein  könne. 
Die  genauere  Kenntnis  der  Länge  des  Sonnenjahres  setzte  er  in  viel 
spätere  Zeit,  in  die  Zeiten  des  Hippakch  und  Ptolemäüs;  auch  die 
Sothisperiode  hielt  er  für  keine  alte  Entdeckung,  sondern  für  einen  in 
sehr  später  Zeit  durch  Rückrechnung  gewonnenen  Zyklus.  Lepsius 
ging  viel  zuversichtlicher  und  kühner  vor.  Schon  um  3282  v.  Chr.* 
sei  das  bewegliche  Jahr  eingeführt  worden.  Aus  den  Siriusaufgängen 
hätten  aber  die  Ägypter  auch  bereits  auf  eine  größere  Länge  des 
Jahres  geschlossen.  Die  Beobachtung  der  Solstitien  bot  den  Anhalts- 
punkt zur  Regulierung  des  Mondjahres,   und  in  jenen  Zeiten   schon 


1)  Hierzu  kann  noch  die  Aussage  von  Herodot  gefügt  werden,  II  4:  Die 
Ägypter  dagegen  fügen  zu  ihren  zwölf  30  tägigen  Monaten  jährlich  noch  fünf 
überzählige  Tage  hinzu,  und  so  kehren  ihnen  die  Jahreszeiten  im  Kreislauf  zurück. 
(AlyvTtriot  öh  rQiTjv.ovd'riiiBQOvg  äyovxtg  rovg  dvojdty.a  iiyrag,  tTtdyovGi  ava  nüv  f'rog 
rrtvth  TjiitQag  TtÜQt^  rov  aQi&nov ,  ^ai  acpi  6  KvtiXog  rü)v  wQtcov  ig  rcovro  TttQiicüv 
■jTUQuyivkrca.)  Die  Stelle  enthält,  wie  man  sieht,  einen  gewissen  Widerspruch 
in  sich. 

2)  Im  Jahre  3285  v.  Chr.  fiel  das  Sommersolstiz  auf  den  21.  Juli,  die  Nil- 
schwelie  (wenn  wir  die  Überschwemmung  drei  Tage  nach  dem  Solstiz  setzen) 
auf  den  24.  Juli,  der  Siriusaufgang  20.  Juli. 

3)  Lepsids  rechnet,  weil  das  Sommersolstiz  mehrere  Jahre  hindurch  auf  den- 
selben Tag  bleibt,  3282  v.  Chr.  statt  des  Biorschen  Ansatzes  3285  v.  Chr.  Vor 
dieser  Zeit  soll  das  Mondjahr  gebraucht  worden  sein. 


i^  44.     Tlicorie  dos  ägyi)tisclien  Jiihrcs.      •  217 

wurde  die  Länge  des  troi)isclien  Jahres  erkannt.  Damals  hatten  die 
Ägj'pter  also  bereits  eine  dreifache  Jahrform ,  das  JMondjahr ,  das  be- 
wegliche und  ein  festes  Jahr.  Aus  der  Verschiedenheit  beider  Sonnen- 
jahre gelangte  man  zur  Kenntnis  der  vierjährigen  Schaltungsperiode, 
aus  dieser  folgte  die  Kenntnis  der  Sothisperiode  von  1461  Jahren  und 
der  Phönixperiode  von  1505  Jahren  (s.  S.  180).  Die  Sothisperiode 
wäre  also  nicht  ein  Produkt  späterer  Spekulation,  sondern  schon 
damals  bekannt  gewesen.  Anfangs  sind  vielleicht  Phönix-  und  Sothis- 
periode für  ein  und  dieselbe  gehalten  worden;  erst  als  das  Vorrücken 
der  heliakischen  Aufgänge  um  je  einen  Tag  in  vier  Jahren  festgestellt 
war,  wurden  beide  Perioden  von  einander  geschieden.  Um  2782  v.  Chr., 
500  Jahre  d.  h.  um  eine  Phönixperiode  später,  als  das  Sommersolstitium 
um  vier  Tage  gegen  den  Sothisaufgang  abwich^,  wurde  der  Tag  des 
Sothisaufgangs  um  vier  Tage  zurück  auf  die  Sommerwende  verlegt. 
Zugleich  wurde  der  Anfang  des  Jahres  (bis  dahin  Pachon)  auf  den 
1.  Thoth,  welcher  damals  auf  die  Sommersonnenwende  fiel,  gesetzt, 
und  die  Epagomenen  wurden  am  Ende  des  Monats  Majori  eingeschoben. 
Hierdurch  wurde  l)ewirkt,  daß  soAvohl  der  Jahresanfang  auf  den 
1.  Thoth  als  auch  der  Beginn  der  Sothisperioden  auf  den  nach  1461 
Jahren  wiederkehrenden  heliakischen  1.  Thoth  fiel.  In  derselben  Zeit 
etwa  wurden  auch  die  alten,  von  den  Jahreszeiten  entlehnten  Be- 
zeichnungen der  Monate  gegen  die  von  den  Monatsgöttern  abgeleiteten 
Namen  vertauscht.  Die  dreifache  resp.  doppelte  Art  von  Jahren, 
welche  diese  Theorie  bei  den  Ägyptern  voraussetzt,  soll  durch 
Inschriften  bekräftigt  werden,  welche  von  den  Anfängen  zweier  (ver- 
schiedenen) Jahre  sprechen.  Wir  haben  aber  gesehen,  daß  mehrfache 
Jahresanfänge  mit  ersichtlicher  Datierung  in  Kalendern  sich  vorfinden, 
die  der  sehr  späten  Zeit  angehören  und  schon  nach  festen  Jahren 
eingerichtet  sind;  die  wenigen  Angaben  der  alten  Zeit  berechtigen 
jedenfalls  noch  nicht  zur  Aufstellung  jener  Theorie.  Die  Annahme 
des  festen  Jahres  stützt  sich  auf  die  schon  angeführten  Stellen  bei 
Vettius  Valens,  Pokphyeius,  Hoeapollon,  den  SchoJiasteu  des  Aeatus, 
die  nicht  als  beweisend  angesehen  werden  können;  das  Vorhandensein 
einer  vierjährigen  Schaltung  beruht  ebenfalls  auf  denselben  Stellen. 
Lepsius  ist  in  seinen  Bestrebungen,  das  feste  Jahr  schon  in  die  sehr 
frühe  Zeit  zurückzuversetzen,  jedenfalls  viel  durch  seine  übertriebenen 
Voraussetzungen  von  der  bedeutenden  Entwicklung  der  ägyptischen 
Astronomie  mißleitet  worden. 

Auch  Bexfey  und  Steex  glauben '-,  daß  den  alten  Ägyptern  schon 

1)  Es  waren  aber  nur  einundeinhalb  Tage.  Das  Sommersolstiz  2782  v.  Chr. 
fällt  Juli  17,38,  der  heliakische  Siriusaufgang  (für  Memphis)  Juli  18,78  (s.  S.  186), 
demnach  Differenz  1,4  Tage. 

2)  Üb.  die  Monatsnamen  einiger  alten   Völker,  1836,  Exkurs  IV. 


218  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Afrypter. 

ein  festes  Jahr,  das  mit  dem  Sommersolstitium  begann,  zuzuschreiben 
sei,  daß  diese  aber,  ähnlich  wie  die  Perser  (s.  §  (37),  die  Schaltung- 
durch  einen  SOtägigen  Monat  nach  je  120  Jahren^  bewerkstelligt 
hätten.  Diese  Schaltmethode  sei  allmählich  mit  dem  Untergange  der 
Selbständigkeit  Ägyptens  verfallen  (im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  wären  die 
letzten  Schaltungen  vorgenommen  worden),  so  daß  man  schließlich  auf 
das  Wandeljahr  von  365  Tagen  zurückgekommen  sei  (ähnlich  wie  in 
der  Geschichte  des  persischen  Jahres);  erst  mit  Beginn  der  Eömer- 
herrschaft  erhielten  die  Ägypter  wieder  das  feste  Jahr  mit  vierjähriger 
Schaltung.  Solche  Eückgänge  der  chronologischen  Entwicklung  an- 
zunehmen, ist  aber,  wo  sie  nicht  durch  Zeugnisse  wie  bei  den  Persern 
belegt  werden  können,  ein  mißliches  Auskunftsmittel. 

C.  EiEL  stimmt  insofern  mit  Lepsius  überein,  daß  er  ein  festes 
Jahr  ebenfalls  in  die  alte  ägyptische  Zeit  zurückverlegt.  Jedoch 
beginnt  dasselbe  nicht  mit  dem  heliakischen  Aufgange  des  Sirius, 
sondern  des  Orion.  Zur  Vollendung  der  Flut  für  ganz  Ägypten  be- 
darf es  14  Tage.  Um  1780  v.  Chr.  (s.  Biot)  waren  Nilschwellebeginn 
und  Siriusaufgang  um  15  Tage  von  einander  entfernt-.  Wenn  das 
Jahr  also  um  die  Zeit  der  Sommersonnenwende  und  der  Nilschwelle 
am  1.  Thoth  begonnen  wurde,  so  fiel  der  Siriusaufgang  auf  den 
15.  Thoth.  Am  1.  Thoth  ging  aber  der  Orion  auf,  und  wenn  also 
der  Jahresbeginn  auf  1.  Thoth  gesetzt  werden  muß,  so  signalisierte 
nicht  Sirius,  sondern  das  Orion->SVfÄ^f-Gestirn  den  Beginn  des  Jahres. 
EiEL  glaubt  diese  Voraussetzungen  an  den  astronomischen  Darstellungen 
(Kalendersphären)  aus  dem  Grabe  Sdis  I.  und  des  Eamesseums  nach- 
weisen zu  können,  auch,  daß  der  Tierkreis  von  Deridcra  streng  nach 
dem  zu  Zeiten  der  Eamessiden  (13.  Jahrh.)  gebräuchlichen  festen 
Jahre  von  365  Vi  Tagen  (mit  Jahresanfang  am  15.  T/zofA)  konstruiert 
sei.  Im  bürgerlichen  Leben  sei  das  Wandeljahr  gebraucht  worden, 
auch  nach  Einführung  des  festen  (welche  Eiel  auf  1766  v.  Chr. 
setzt).    Den  Festkalendern  liege  dagegen  das  „Sonnen-  und  Siriusjahr 


1)  Andeutungen  über  die  120  Jahre  finden  sieh  bei  Geminus  (Isagofje,  c.  8), 
sowie  möglicherweise  (nach  Krall)  unter  den  Schreibungen  des  Namens  der  Königin 
Skemiophris  (Bikch,  Zeüsclir.  f.  üiiypt-  Sjir.,  1872,  96).  (Das  Krokodil  wird  oft 
mit  der  Zahl  60  in  Verbindung  gebracht;  vgl.  Plutarch,  In.  et  ()sir.\  Iamulichus, 
de  myst.,  V  8.) 

2)  Schon  diese  Annahme  ist  bedenklich.  Das  Sommersolstiz  trat  1780  v.  Chr. 
am  9.  Juli  ein  (nach  der  Rechnung  mit  Schrams  Tafeln  S.  Juli  28i>  46"»  mittl. 
Greenw.  Zeit).  Der  Beginn  der  Nilschwelle  (nach  dem  koptischen  Kalender  drei 
Tage  nach  dem  Sommersolstiz)  kann  also  auf  den  12.  Juli  gesetzt  werden,  der 
heliakische  Siriusaufgang  für  Memphis  (s.  Tafel  S.  186)  fällt  19.  Juli,  also  ist  die 
Differenz  nur  7  Tage,  und  nicht  15.  Um  auf  15  Tage  zu  kommen,  müßte  man 
den  heliakischen  Aufgang  für  eine  außerhalb  Ägyptens  liegende,  viel  nördlichere 
Breite  (Rhodus,  Ninive)  annehmen. 


i?  44.     'J'licfirie  des  ägyittisclicu  .lalircs.  219 

der  Ramessiden"  zu  Grunde,  beginnend  mit  V.).  Juli  =  15.  Thoth, 
365  Tage  zählend,  mit  Doppelzälilung  des  15.  Thoth  alle  vier  Jahre. 
Um  238  V.  Chr.  trat  das  kanopische  (tanitische)  Jahr  auf ;  dadurch  kam 
der  erste  Wassermonat  1.  Pachon  (19.  Juni,  durch  Verlegung  des  Tages- 
anfangs auf  den  Abend  der  20.  Juni)  Avieder  auf  den  Beginn  der  Xil- 
schwelle,  der  1.  'Thoth  (der  früher  den  Nilschwellebeginn  angezeigt  hatte) 
auf  den  23.  Oktober.  An  die  Stelle  des  tanitischen  Jahres  trat  das  feste 
Jahr  von  Doidpm]  bei  diesem  fällt  der  1.  Epiphl  (Beginn  der  Mi- 
sch welle)  auf  den  19.  Juni.  Schließlich  wurde  unter  Augustus  das 
alexandrinische  Jahr  gebildet,  um  6  Tage  von  dem  vorigen  abweichend, 
bei  welchem  der  1.  Ep'q/hl  =  25.  Juni  (Sommersonnenwende).  Die 
Aufstellungen  Riels,  so  scharfsinnig  sie  durchgeführt  sein  mögen,  sind 
vom  Standpunkte  der  ägyptischen  Archäologie  aus  nicht  haltbar. 
'\\'eder  die  ägyptischen  Denkmäler  wissen  etwas  von  einem  mit  dem 
Frühaufgang  des  Orion  beginnenden  Jahre,  noch  das  griechisch-römische 
Altertum.  Auf  der  Darstellung  .im  Ramesseum  reicht  das  Schiff  des 
Osiris-S((hi<  (Orion)  wegen  Platzmangels  über  die  den  Jahresanfang 
markierende  Mitte  des  Bildes;  auf  dem  Deckenbilde  im  Grabe  Sdis  I. 
mac|^t  Oi\Y\?,-Sahu  richtig  den  Abschluß,  Isis-Sothis  den  Anfang;  Osiris- 
Sahu  ist  dort  nicht  der  Beginner  des  Jahres,  sondern  des  Endes,  der 
Epagomenen.  Die  Methode,  aus  derartigen  Denkmälern  grundlegende 
Bedingungen  für  eine  Theorie  abzuleiten,  ist  überhaupt  bedenklich, 
da  diese  Darstellungen  entweder  zu  ungenau  sind,  oder  ihnen  leicht 
eine  Absicht  unterlegt  werden  kann,  welche  die  Urheber  meistenteils 
gar  nicht  gehabt  haben. 

Die  Ansichten  von  H.  BErascH,  wohl  einem  der  besten  Kenner 
des  kalendarischen  Materials,  über  die  Theorie  des  ägyptischen  Jahres 
haben  im  Laufe  seiner  Forschungstätigkeit  gewisse  Veränderungen 
durchgemacht,  der  beste  Beweis,  wie  schwierig  dieser  große  Ägyptologe 
die  Formulierung  eines  abschließenden  Urteils  in  jener  Frage  gefunden 
hat.  Die  Wichtigkeit,  welche  Beugsch  dem  Mondjahre  beilegt,  habe 
ich  schon  (S.  1*37)  erwähnt;  es  soll  zur  Fixierung  mancher  Feste  in 
Gebrauch  gewesen  sein.  Neben  dem  Mondjahre  will  er  aber  noch 
mehrere  andere  Jahrformen  in  den  Inschriften  erkennen,  was  z.  B. 
aus  der  folgenden  hervorgehen  soll,  die  der  18.  bis  20.  Dynastie  an- 
gehört (und  gewiß  nicht  sehr  beweisend  lautet):  „Mein  Tun  ist  wie 
das  der  Sonne  und  wie  das  des  Mondes  am  Anfang  des  Jahres  und 
am  Ende  des  Jahres,  im  Sommer  und  Winter,  an  den  365  Tagen  des 
Jahres".  Mit  Lepsifs,  Riel  u.  a.  stimmt  Bkugsch  insofern,  als  er 
neben  dem  Wandeljahre  eine  gleichzeitig  gebrauchte  feste  Jahrform 
annimmt.  Die  Veränderung  der  letzteren  soll  in  der  Bildung  von 
•4  Jahresarten  zum  Ausdruck  kommen:  1)  Die  Inschrift  von  Elephiuit'me 
(s.  §  40,  S.  194)   mit   dem  Datum   des  28.  Ejj'qjhi   als  Sothisaufgang 


220  II.  Kapitel.    Zeitrechimiig  der  Ägypter. 

würde,  wenn  man  vom  Wandel  jähre  absieht,  auf  1.  Fpiphl  =  23.  Juni 
alex.  und  auf  den  1.  Thoth  =  27.  August  alex.  führen;  BßUGiscH  sieht 
darin  ein  festes  Jahr,  das  „Jahr  Thutmosis  IID\  der  Anfang  dieses 
Jahres  fällt  auf  den  27.  August,  seinem  Ursprünge  nach  gehört  es 
in  die  vierjährige  Schaltperiode  1477 — 74  v.  Chr.  2)  Das  von  Eiel 
entdeckte  Ramessidenjahr,  mit  dem  Jahresanfänge  vom  6.  Juli.  Die 
Verschiebung  der  Nilschwelle  vom  20.  Juli  (Sothisaufgang)  der  alten 
Zeit  auf  den  6.  Juli  zur  Ramessidenzeit  (13.  Jahrh.  v.  Chr.)  habe  auf 
dieses  Jahr  geführt,  welches  etwa  1269  v.  Chr.  aufgekommen  sei. 
3)  Das  tanitische  Jahr  (238  v.  Chr.)  mit  dem  x^nfang  22.  Oktober, 
welches  wir  schon  kennen  gelernt  haben.  Endlich  4)  nach  Ver- 
drängung des  letzteren  das  alexandrinische,  beginnend  mit  29.  August 
25  v.  Chr.  Dieses  ist  nur  eine  Apokatastasis  des  alten  Jahres 
Thutmosis  III.  mit  einer  Abweichung  von  2  Tagen.  —  Aber  wie  wir 
sahen,  ist  das  Mondjahr  bedenklich,  und  das  Thutmosis -J'dhr  sowie 
RiELS  Ramessidenjahr  sind  völlig  problematisch. 

Des  weiteren  muß  hier  die  Ansicht  von  J.  Keall,  die  im  vor- 
liegenden Kapitel  schon  hier  und  da  berührt  worden  ist,  und  die 
meines  Erachtens  den  Vorteil  einer  unbefangenen,  ruhigen  Prüfung 
der  Tatsachen  vor  den  anderen  Theorien  voraus  hat,  kurz  erwähnt 
werden.  Das  360tägige  Rundjahr,  das  wahrscheinlich  in  die  Zeiten 
vor  der  Einwanderung  in  das  Nilland  zurückreicht,  bildete  den  Aus- 
gangspunkt des  ägj^ptischen  Jahres.  Die  Epagomenen  werden  von  Keall 
noch  nicht  in  die  allerältesten  Zeiten  gesetzt.  Das  Wandeljahr  mag 
anfänglich  für  ausreichend  für  die  Wiederkehr  der  Daten  zur  selben 
Jahreszeit  gehalten  worden  sein.  Als  man  aus  der  Verschiebung  der 
Nilüberschwemmungen  ersah,  daß  dies  nicht  der  Fall  war,  konnte  eine 
weitere  Verbesserung  der  Jahreslänge  nicht  alsbald  vorgenommen 
werden,  einesteils,  weil  die  Priester  der  richtigen  Jahreslänge  noch  nicht 
völlig  sicher  waren  und  diese  erst  allmählich  feststellen  konnten  (die 
Konstatierung  des  Vierteltages  aus  den  heliakischen  Siriusaufgängen 
ging  nicht  so  schnell  vor  sich,  wie  Leps^iub  u.  a.  gemeint  haben), 
andernteils,  weil  inzwischen  das  Wandeljahr  festen  Fuß  im  Volks- 
gebrauch gefaßt  hatte  und  mm  Änderungen  auf  Schwierigkeiten  stoßen 
mußten.  Zwar  werden  bald  Schaltungsversuche  verschiedener  Art 
aufgetaucht  sein,  wie  es  der  Eid,  den  die  Könige  bei  ihrer  Inaugurierung 
den  Priestern  leisten  mußten  (s.  §  41,  S.  19(3)  beweist,  aber  bei  der 
bestehenden  Unsicherheit  der  Jahreslänge  zogen  es  die  Priester  vor, 
am  Wandeljahre  festzuhalten;  die  Daten  und  Feste  desselben  ver- 
schoben sich  wie  früher  durch  alle  Jahreszeiten,  nur  nicht  so  schnell 
wie  im  alten  Rund  jähr.  Daß  aber  die  Feste  größtenteils  mit  dem 
Wandeljahre  alle  Jahreszeiten  durchlaufen  haben,  und  daß  nur  einige 
auf   astronomische   Erscheinungen   und   auf   die   Nilphasen   Beziehung 


§  44.     Theorie  des  ägyptischen  .Jiihres.  221 

habenden  Feste  oder  Merktage  auf  den  Jahresabschnitten  zu  halten 
gesucht  wurden,  in  welche  alljährlich  der  Gang  der  Natur  sie  zurück- 
brachte, ging  aus  der  Vergleichung  ältester  und  jüngerer  Festlisten 
und  Kalender  (im  vorigen  Paragraphen)  hervor.  Die  Feste  der  letzteren 
Art^,  die  Xiltage,  die  für  das  ganze  Land  hervorragende  Bedeutung 
hatten,  bestimmten  die  Priester  vorher,  indem  sie  dieselben  alle  vier 
Jahre  um  einen  Tag  vorrücken  ließen;  die  anderen  Feste,  die  meist 
lokaler  Art  waren,  ließen  sie  durch  das  Wandeljahr  weiterlaufen. 
Erst  das  tanitische  Jahr,  bis  zu  dessen  Einführung  man  sich  also  des 
AVandeljahres  bediente,  ordnete  die  Aufnahme  einer  regulären  Schaltung 
an  und  sollte  damit  jene  Vorherbestimmungen  überflüssig  machen. 
Die  Jahrpunkte  bestimmte  man  mittelst  roher  Sonnenbeobachtungen, 
die  Mondwechsel  mit  Hilfe  irgend  einer  zyklischen  Eechnung.  Das 
Deki'et  von  Kanopus,  das  von  den  Ägyptern  die  Einlegung  eines 
sechsten  Epagomenentages  alle  4  Jahre  verlangte,  griff  zu  sehr  in 
das  alteingewurzelte  Wandeljahr  ein,  als  daß  das  tanitische  Jahr  hätte 
allgemeine  Anerkennung  finden  ■  können.  Diese  Jahrform  vegetierte 
noch  anderthalb  Jahrhunderte;  Anwendungen  derselben  lassen  sich, 
wie  ein  von  Dümichex  gefundenes  Datum  aus  dem  25.  Jahre 
Ftolemäu^  XIIL  zeigt,  bis  57  v.Chr.  hinauf  verfolgen.  Aber  der 
fehlgeschlagene  Versuch,  in  Ägypten  ein  festes  Jahr  einzuführen-, 
trug  doch  seine  Früchte:  in  Eom  gab  er  Anlaß  zur  Errichtung  des 
julianischen  Jahres,  und  unter  Äugustus  folgten  die  Ägj'pter  selbst 
nach  mit  der  Aufstellung  der  alexandrinischen  Ära. 

Mit  diesen  Anschauungen  decken  sich  im  allgemeinen  auch  die 
treffenden  Darlegungen,  welche  Ed.  Meyee  im  einleitenden  Teile  seiner 
„Ägypt.  Chrouol."  über  das  altägyptische  Jahr  gibt.  Danach  gab  es  (ab- 
gesehen von  dem  Versuch  des  Dekretes  von  Kanopus)  vor  Äugustus  in 
Ägypten  kein  festes  Jahr.  Man  begnügte  sich  mit  dem  365tägigen 
Wandeljahre,  dessen  Einführung  Ed.  Metee  in  die  3.  Sothisperiode 
(s.  S.  193)  und  zwar,  wo  der  1.  Thoth  auf  den  19.  Juli  fiel,  also  auf 
den  Anfang  einer  solchen  setzt,  d.  h.  4241  v.  Chr.  Die  Ordnung  des 
ägyptischen  Kalenders  würde  somit  schon  im  5.  Jahrtausend  v.  Chr. 


1)  Das  Dekret  von  Kauopus  unterscheidet  deutlich  Feste,  die  im  ganzen 
Lande  gefeiert  wurden  (ioQTui  Sr^^oxtltls)  von  den  lokalen  Festen. 

2)  Leteoxxe  glaubte  in  einem  Eudoxischen  Papyrus  (von  Bruset  de  Pbesle 
herausgegeben),  den  BOckh  (Vierj.  Sonnenkreise  d.  Alten,  S.  200)  zwischen  193 — 
190  V.  Chr.  setzt,  zwei  Stellen  gefunden  zu  haben,  die  auf  ein  festes  Jahr  zu 
deuten  schienen;  als  Anfangspunkt  dieses  Jahres  gab  Letroxxe  den  9.  10.  Oktober 
au  Nouv.  rech,  siir  le  cal.  des  anc.  Egypt.,  II  Mem.  —  Mein,  de  l'Acad.  d.  Inscript. 
et  b.  l.,  XXIY,  1864).  Böckh  hat  sich  ablehnend  ausgesprochen.  Nach  Krall 
{Stiid.  z.  Gesch.  d.  alt.  Äyypt.,  I,  S.  893'  wäre  es  nicht  ganz  unmöglich,  daß  zu 
Ehren  des  Epiphanes  durch  Festlegung  des  Wandeljahres  191/190  ein  festes  Jahr 
mit  dem  10.  Oktober  ^  1.  Thoth  errichtet  worden  sein  könnte. 


222  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägypter. 

erfolgt  sein.  Für  die  Siriusauf g-änge  sei  ein  Normaltag  (19.  Juli)  und 
die  Breite  von  Memphis  angenommen  worden.  Der  Jahresanfang  sei  auf 
Grund  der  alle  vier  Jahre  eintretenden  Verschiebung  (des  Wandeljahres 
gegen  das  365^4  tägige  Siriusjahr)  berechnet  worden;  danach  habe  man 
das  Sothisfest  bestimmt,  und  alle  Sothisdaten  (s.  diese  S.  194)  seien  als 
zyklisch  gerechnete,  nicht  als  astronomisch  beobachtete  zu  verstehen. 
Diese  letztere  Folgerung  scheint  mir  indessen  noch  nicht  sicher.  Die 
Priester  werden  zwar  das  Sothis-  oder  Neujahrsfest  auf  Grund  der 
Erfahrung,  daß  die  Siriuserscheinungen  sich  alle  vier  Jahre  um  einen 
Tag  verschoben,  vorausbestimmt  haben ;  allein  die  heliakischen  Sirius- 
aufgänge sind,  wie  schon  an  zwei  Stellen  dieses  Buches  (S.  20  u.  183) 
erklärt  wurde,  recht  schwierig  konstatierbare  Erscheinungen;  aus 
diesem  Grunde  und  weil  man  doch  jedenfalls  sich  bestreben  mußte, 
das  Fest  mit  der  Zeit  des  faktischen  Erscheinens  des  Sirius  am  Morgen- 
himmel zusammenfallen  zu  lassen,  wird  man  der  Sicherheit  halber  die 
vorausberechnete  Zeit  durch  das  Anstellen  von  Beol)achtungen  von 
Zeit  zu  Zeit  kontroliert  haben.  Es  scheint  demnach  nicht  leicht  zu 
entscheiden,  welche  der  überlieferten  Sothisdaten  zyklisch  berechnete 
und  welche  direkt  beobachtete  sind.  Ferner  ist  die  Voraussetzung 
eines  Normalparallels  für  Ägypten,  obwohl  recht  Avahrscheinlich,  doch 
nicht  einwandfrei.  Vielleicht  war  der  Umstand,  daß  man  bei  der 
Beobachtung  der  heliakischen  Aufgänge  gewöhnlich  um  mehrere  Tage 
im  Zweifel  war,  sowie  die  Wahrnehmung,  daß  die  Aufgänge  in  Süd- 
und  Nordägypten  um  mehr  als  eine  Woche  differieren  konnten,  der  Grund, 
weshalb  es  nicht  zur  Errichtung  eines  festen  Sothisjahres  gekommen 
ist,  sondern  dieses  Jahr  immer  nur  ein  theoretisches  blieb.  Die 
Erfindung  der  Sothisperiode  von  1461  Jahren  und  das  Eechnen  damit 
entstammt  jedenfalls  erst  der  späteren  Zeit,  als  man  aus  vielhundert- 
jährigen Beobachtungen  allmählich  Sicherheit  über  das  Verhältnis  der 
Länge  des  Siriusjahres  zu  der  des  Wandeljahres  erlangt  hatte. 


§  45.    Die  Ären.    Die  angebliche  Ära  Niibti.    Die  alexandrinische 
Ära  (anni  Aiii?ustoruui).     Die  diokletianisehe  und  Märtyrerära. 

In  der  alten  Zeit  fehlte  den  Ägyptern  ein  fester  Ausgangspunkt 
zur  Zählung  der  Jahre,  eine  Ära  in  dem  Sinne,  wie  wir  sie  z.  B.  in 
der  -lahresrechnung  von  der  Geburt  Christi  besitzen.  Die  Datierung 
der  Inschriften  u.  s.  w.  wird  vielmehr  durch  Ansetzung  des  Kegierungs- 
jahres  des  herrschenden  Königs  vorgenommen.  In  der  Weise,  wie  es 
schon  aus  dem  Kegentenkanon  des  Ptolemäus  hervorging  (s.  S.  140), 
wird  das  Jahr  des  liegierungsantrittes  (welches  mit  1.  Thotli  beginnt) 
immer   für   voll   gerechnet,   auch   wenn  die  Proklamation  des  Königs 


§  45.     Die  Ären.  223 

erst  nach  dem  1.  Tholh,  im  Verlauf  des  Jahres,  erfolgt  sein  sollte. 
Das  letzte  Jahr  des  einen  Königs  ist  danach  kongruent  mit  dem  ersten 
seines  Nachfolgers.  Bei  Eintritt  von  ]\litregenten  während  der 
Regierung  eines  Königs  datiert  der  Mitregent  vom  Jahre  seiner  Ein- 
setzung, während  die  Regierungsjahre  des  Königs  ungehindert  weiter- 
laufen; jedoch  wurde  dieser  Usus  nicht  angewendet,  wenn  der  Mit- 
regent den  Königstitel  nur  als  Auszeichnung  führte,  also  an  der 
Regierung  nicht  teil  nahm.  Das  eben  genannte  Prinzip  wurde  auch 
beibehalten,  wenn  die  Regierungszeit  eines  Königs  nicht  die  Dauer 
eines  Jahres  erreichte,  wie  z.  B.  in  dem  Falle,  wenn  der  König  gegen 
Ende  eines  Jahres  eingesetzt  wurde,  aber  schon  Anfang  des  nächsten 
starb;  es  wird  dann  dieses  letztere  Jahr  als  sein  Regierungsjahr  ge- 
nannt. Nach  solchen  Königsjahren  datieren  die  offiziellen  Königslisten 
in  Ägypten  besonders  seit  der  Epoche  des  mittleren  Reichs.  Die 
noch  ältere  Datierung  dagegen  ist  die  nach  bürgerlichen  Jahren,' 
welche  an  die  Jahre  eingetretener  Ereignisse,  besonders  aber  an  vor- 
aus bestimmbare  Feste  anknüpfen,  wie  an  das  Horusfest,  ^SecZ-Fest, 
Apis-Fest  u.  s.  w.,  oder  an  Besitz  aufnahmen  des  Volkes,  die  zu  ge- 
wissen Zeiten  angeordnet  wurden.  Die  Zählung  nach  solchen  bürger- 
lichen Jahren  findet  sich  schon  in  sehr  alter  Zeit.  Auf  dem  für  die 
ägyptischen  Jahreszählungen  lehrreichen  Steine  von  Palermo  \  welcher 
aus  der  Zeit  der  5.  Djniastie  herrührt,  ist  sowohl  die  Zählung  nach 
bürgerlichen,  wie  nach  Königsjahren  gebraucht  (vgl.  Anm.  3  S.  172). 
Trotz  der  rnbehilflichkeit  dieser  Datierungsweise,  w^elche  namentlich 
dann  hervortritt,  wenn  voneinander  sehr  entfernte  Fakta  zeit- 
rechnerisch zu  verbinden  sind,  scheinen  die  Ägypter  die  Notwendig- 
keit von  Zeitären  nicht  gefühlt  zu  haben,  ein  Umstand,  welcher  der 
Chronologie  nicht  selten  große  Schwierigkeiten  bereitet.  Auch  die 
astronomischen  und  sonstigen  Perioden,  wie  die  Phönix-,  Apis-,  und 
Sothisperiode,  wurden  nicht  chronologisch  gebraucht  und  finden  sich 
nicht  auf  den  alten  Denkmälern.  Nur  einzelne  angegebene  Sothis- 
aufgänge  haben  zur  Fixierung  einiger  Könige  dienen  können.  Von 
Finsternisangaben,  einem  sonst  wichtigen  astronomischen  Hilfsmittel 
zur  Herstellung  von  Daten,  findet  sich  Brauchbares  bei  den  Ägj^ptern 
nichts  vor"-.  Das  einzige  Anzeichen  für  die  (vermutliche)  Existenz 
einer  Ära  in  der  altägyptischen  Zeit  hat  man  in  der  Ära  N  u  b  t  i  zu 


1)  s.  H.  Schäfer,  Ein  Bnichstück  altägypt.  Annalen  {AhltdUj.  d.  Berlin.  Akad. 
d.   Miss.,  1902). 

2)  Die  Inschrift,  welche  früher  auf  eiue  unter  Takelothis  IL  stattgefundene 
Mondfinsternis  bezogen  worden  ist,  kann  nach  der  Rektifizierung  des  Textes  durch 
EiSEXLOHR  nicht  mehr  auf  eine  Finsternis  gedeutet  werden.  Über  Text  und  Literatur 
der  Finsternis  s.  Gixzel,  Spez.  Kanon  d.  Sonnen-  u.  Mondfinst.,  1899,  S.  260. 


224  II.  Kapitel.     Zeitreclinung  der  Ägypter. 

finden  geglaubt.  Auf  einer  Stele  aus  Tauis^  ist  das  Datum  i.  3Iesori 
des  400.  Jahres  eines  Königs  Sct-Xuhfl  (in  die  Zeit  der  Hyksos  ge- 
hörig ?)  angegeben.  Diese  Inschrift  fällt  in  die  Zeit  Iiamf<('f<  IL  Aus 
einer  Stelle  in  der  Chronologie  des  Manetho  (nach  Julius  Äfricanus) 
hat  WiEDEMANN  geschlosseu ',  daß  der  Anfang  der  Xuhfi-\Y3i  990  Jahre 
vor  den  Tod  des  Bocchoris  (732  v.  Chr.)  falle,  also  1722  v.  Chr.  Es 
ist  aber  fraglich,  wenn  auch  das  Wahrscheinlichste,  ob  hier  unter 
Kuhti  ein  wirklicher  Herrscher  gemeint  ist,  ober  ob  nur  eine  Beziehung 
des  Königs  auf  den  Gott  Set  vorliegt.  Im  letzteren  Falle  liegt  der 
Gedanke  an  eine  zu  Tanis  gebrauchte  Tempelära  nahe  (Ed.  Meyee 
und  J.  Kkall). 

Die  Ära  Nabonassar  und  die  p h i  1  i p p i s c h e ,  beide  auf  das 
Wandel  jähr  gegründet,  stehen  in  unmittelbarer  Beziehung  zu  dem 
Regentenkanon  des  Ptolemäus  und  wurden  deshalb  schon  im  I.  Kapitel 
(S.  143)  auseinandergesetzt -l 

Die  verbreitetste  feste  Ära,  im  Orient  lange  in  Gebrauch,  ist 
die  alexandrinische.  Die  Epoche  derselben  oder  der  1.  Thofh  ist  der 
29.  August  julianisch.  Sonst  unterscheidet  sich  die  Ära  insofern  vom 
Wandeljahre,  daß  zu  den  5  Epagomenen  alle  4  Jahre  ein  sechster 
hinzukommt.  Daß  der  29.  August  den  Ausgangspunkt  bildet,  erhellt 
aus  der  Vergleichung  verschiedener  Datierungen  der  Alten.  So  heißt 
es  bei  Theon*,  daß  die  Zeit  einer  von  ihm  zu  Alexandrien  beobachteten 
Sonnenfinsternis  „im  1112.  Jahre  seit  Nahonassar  nach  dem  Mittag 
am  24.  Thoth,  nach  alexandrinischem  Datum  aber  ....  gleichfalls 
im  1112.  Jahre  nach  dem  Mittag  des  22.  Fayu'r^  war.  Das  erstere 
Datum  gibt  den  jul.  Tag  1854176  (Scheams  Tafeln)  =  364  n.  Chr. 
16.  Juni,  der  22.  Payni  alexandrinisch  entspricht  (s.  die  Tafel  S.  200) 
nur  dann  dem  16.  Juni,  wenn  1.  Thoth  =  29.  August  voraus- 
gesetzt wird.  Bei  der  Berechnung  des  Osterfestes  wird  von  den 
griechischen  Kirchenschriftstellern  der  Tag  des  Äquinoktiums  21.  März  = 
25.  Phamenoth  gesetzt,  was  gleichfalls  auf  1.  Thoth  =  29.  August  zu- 
rückAveist,   u.  s.  f.     Die   alexandrinischen  Monate   werden  oft  mit  den 

1)  Mariette,  Revtie  archeoL,  nouv.  ser.  XT,  1865  (Mars) ;  Catalogue  du  Musee 
de  Boulaq,  ed.  III  279. 

2)  Bei  Manetho  heißt  es:  ^Bocchoris  aus  Sais  herrschte  6  Jahre,  nuter  ihm 
sprach  ein  Lamm.  Jahre  1)90".  Wiedemann  versteht  diese  letztere  Zahl  als  die 
Additioiissumme  einer  bis  zum  Tode  des  Bocchoris  abgelaufenen  Anzahl  von  , Jahren. 
Der  Anfang  der  Zählung  (ev.  Ära)  würde  also  990  Jahre  vor  diesem  Könige 
liegen.  —  Diese  Konjektur  wird  jedoch  von  neueren  Forschern  nicht  angenommen. 

3)  Auf  eine  vielleicht  mit  der  philippischen  Ära  identische  oder  später  be- 
gonnene Ära  in  der  Lagide n zeit  weisen  Münzen  mit  TTro^tfica'oi'  HiotfjQog  und 
Ilxoltnuiov  ßaaiXtcog  (s.  Poole,  Catalogue  of  greelc  coins  in  the  Br.  Mus.,  1883, 
S.  LXXIVf.). 

4)  Theon.  Comment,  p.  332  (Basel  1538).  (Vgl.  Ginzel,  Spe^.  Kanon  d. 
Sonnen-  u.  Mondfinst.,  S.  218.) 


§  45.     Die  Ären.  225 

römischen  parallel  gestellt,  der  Thotli  gleich  dem  .September,  der  Phao])hl 
gleich  dem  Oktober  u.  s.  w.  (beim  SchoViastm  des  Akatv-s,  von  Ptolemäus 
in  der  Schrift  von  den  Erscheinungen  der  Sterne).  Dieselbe  Gleichung 
1.  Thoth  =  29.  August,  sowie  die  Lage  des  Schaltjahres  geht  aus  einem 
Fragmente  der  Schriftstücke  des  Kaisers  Heradim  hervor:  ,.Wenn 
wir  den  29.  August  haben,  zählen  die  Alexandriner  den  1.  Thoth  oder 
September,  und  wenn  wir  den  1.  September  haben,  zählen  die  Alexan- 
driner schon  den  vierten.  —  Die  Alexandriner  schalten  jedesmal  in 
dem  Jahre  ein,  das  vor  dem  römischen  Schaltjahre  hergeht,  wo  sie 
ihr  Jahr  nicht  3,  sondern  2  Tage  vor  dem  September  anfangen" 
(d.  h.  nicht  am  29.  August,  sondern  am  30.  August).  Danach  fangen 
diejenigen  Jahre  nach  Christus  mit  dem  30.  August  an,  welche  durch 
4  dividiert,  den  Eest  3  geben,  bei  den  Jahren  vor  Christus  jene,  welche 
bei  der  Division  durch  4  den  Rest  2  übrig  lassen,  z.  B.  das  Jahr  15 
n.  Chr.,  sowie  das  Jahr  22  v.  Chr.  fängt  mit  dem  30.  August  an.  Es 
folgen  also  je  3  alexandrinische  Jahre  mit  dem  29.  August  als  Anfangs- 
tag aufeinander,  woran  sich  das  vierte  Jahr  mit  dem  30.  August  als 
Anfangstag  schließt. 

Eine  Vergleichungstafel  für  den  ersten  Tag  jedes  alexandrinischen 
Monats  im  julianischen  Kalender  wurde  schon  früher,  bei  Vergleichung 
mit  dem  tanitischen  und  dem  Sothisjahre  gegeben ;  ich  setze  die  Tafel 
nochmals  hier  an,  indem  ich  hierzu  noch  eine  zweite,  für  den  um- 
gekehrten Fall,  für  die  ägj'ptischen  Monatstage,  welche  den  Anfängen 
der  julianischen  Monate  entsprechen,  beifüge. 

I.  I  IL 

Alexandr.  Monat  Julian.  Tag        '    Julian.  Monat  Alexandr.  Tag 

L  Thoth  29.  August  L  September  4.  Thoth 

L  Phaophi  28.  September  L  Oktober  4.  Fhaojjhi 

l.  Athyr  28.  Oktober  L  November  5.  Athjr 

L  Choktl-  27.  November  1.  Dezember  5.  Choiak 

1.  Tijhi  27.  Dezember   ;  1.  Januar  6.  Ti/hi 

1.  Mrch'ir  26.  Januar  L  Februar  7.  Mech'ir 


L  Phamenoth  25.  Februar         L  März  5.  Phmnenoth 

L  Pharmuthl  27.  März 

1.  Pachon  26.  April 

L  Pauni  26.  Mai 


1.  April  6.  Pharmuthl 

L  Mai  6.  Pachon 


L  Epipki  25.  Juni 

1.  Mcsor'i  25.  Juli 

(1.  Epagomenai)  24.  August 


1.  Juni  7.  Payni 

L  Juli  7.  Eplph'i 

1.  August  8.  Mesor'i 


"Wenn   der   L  Thoth   auf  den  30.  August  fällt,   sind  die  Julian.  Tage 
der  Tafel  I  um  eine  Einheit  zu  vermehren,  die  der  Tafel  II,  und  zwar 

Ginzel,   Cbronologie  I.  15 


226  II.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Ägy])ter. 

bis  eiuscliließlicli  4.  Phamtnwth  (=  29.  Februar),  um  eins  zu  ver- 
mindern, vom  1.  März  resp.  5.  riiamcnoth  gelten  beide  Tafeln. 

Als  Epochejalir  wird  das  Jalir  30  v.  Chr.  angenommen,  doch  ist, 
wenn  man  darunter  die  Zeit  der  Errichtung  der  alexandrinischen  Jahr- 
form versteht,  dieses  Epochejahr  nur  konventionell;  man  setzt  dabei 
voraus,  daß  die  Einrichtung-  des  festen  Jahres  gleichzeitig  mit  dem 
Beginne  der  Ära  des  Augudus  {Odavianus)  erfolgte.  Es  besteht 
nämlich  hierbei  eine  eigentümliche  Schwierigkeit,  die  sogleich  aus- 
einandergesetzt werden  muß. 

Kaiser  Äugustus  lieferte  bei  Actium  am  2.  September  31  v.  Chr. 
dem  mit  Cleopatra  verbündeten  Antonius  eine  Schlacht  und  landete 
darauf  in  Ägypten.  Am  1.  ScrtUts  (August)  30  v.  Chr.  versuchte 
Antonius  bei  Alexandrien  dem  Sieger  Widerstand  zu  leisten,  allein 
die  Flotte  verließ  ihn,  und  er  entleibte  sich ;  wahrscheinlich  am  selben 
Tage  ergab  sich  die  Stadt.  Auf  die  im  September  oder  Oktober  nach 
Eom  gelangte  Nachricht  von  dem  Tode  des  Antonius  faßte  der  römische 
Senat  einen  uns  von  Dio  Cassius  ^  überlieferten  Beschluß,  daß  der  Tag 
der  Einnahme  Alexandriens  ein  heiliger  sein  und  den  Einwohnern 
künftig  als  Ausgang  ihrer  Jahresrechnung  dienen  solle.  Die  Alexandriner 
feierten  demzufolge  diesen  Tag,  legten  aber  den  Anfang  der  Zählung 
der  Jahre  nicht  auf  den  1.  August,  den  Tag  der  Einnahme  ihrer 
Stadt,  sondern  an  das  Ende  August.  Die  offizielle  Bezeichnung  dieser 
Jahre,  anni  August  omni-,  ist  jedenfalls  erst  später,  nach  der 
Erteilung  des  Titels  Äugustus  an  Octavian  eingeführt  worden.  Böckh 
{Epigr.-chronol.  Studien,  S.  94)  hat  nachgewiesen,  daß  der  Beginn 
des  ersten  Jahres  der  festen  Zeitrechnung  (und  des  ersten  Jahres  des 
Äugustus)  der  30.  August  30  v.  Chr.  ist.  Man  sollte  erwarten,  daß 
das  erste  Jahr  mit  dem  1.  Thoth  des  Wandel  Jahres  31.  August  be- 
gonnen hätte,  statt  dessen  fällt  der  feste  1.  Thoth  um  einen  Tag 
früher  als  der  erste  bewegliche  Thoth.  Zur  Erklärung  dieses  Umstands 
sind  verschiedene  Meinungen  aufgestellt  worden,  seit  Ideler  von  Böckh, 
Th.  Mommsen,  Lepsius,  Soltau.  Es  kann  hier  nicht  im  einzelnen 
auf  diese  Auffassungsarten  eingegangen  werden  (s.  Literatur  am  Schluß 
dieses  Kapitels);  nur  das  Wichtigste  sei  hervorgehoben.  Die  H^ypothese 
Idelers  (I  160),  die  sich  auf  Solinus  (FoJgh..  c.  1)  und  Macrobius 
{Saturn.,  I  14)  stützt,  sucht  zu  beweisen,  wie  der  31.  August  auf  den 
29.  (1.  Thoth)  vorgerückt  sei;  allein  die  Hypothese  wird  durch  den 
Umstand  hinfällig,  daß  der  Epochentag  der  festen  Zeitrechnung  nicht 
der   29.  August   gewesen   ist,    sondern   der   30.  August.     Böckh   und 


1)  LI,   19 :    Tjyj'   r][itQav  tv  ij  i]  'AXt^ccvÖQtia  idho,  äya&i'jv  rt  tlvcci  Kccl  tlg  rcc 

2)  Augusti  bei  Censorin,  trr\  ccjth  Avyovorov  bei  Tjikon. 


§  45.    Di.-  Äiv.i.  227 

Lepsius  haben  deshalb  diese  Ansicht,  welche  auf  das  Schaltungsver- 
fahren der  Pontifices  (denen  nach  Caesars  Tode  die  Schaltung  über- 
lassen blieb)  zurückgeht,  umgestaltet;  der  letztere  hat  außerdem  noch 
eine  andere  Ansicht  der  Sache  gegeben.  Th.  Mommsen  war  dagegen 
geneigt,  auf  die  schon  ältere  Hypothese  (Des  Vkinoles  u.  a.)  zurück- 
zugreifen, daß  im  5.  Jahre  Augusts  der  bewegliche  und  der  feste 
1,  Thoth  zusammengefallen  seien,  und  daß  die  Einführung  der  anni 
Augustl  nicht  am  :^>0.  August  30  v.  Chr.,  sondern  einige  Jahre  später 
stattgefunden  habe.  Im  Kommentar  des  Theox  zu  den  Handtafeln 
des  Ptolemäus^,  wo  derselbe  von  dem  Voreilen  des  AVandeljahres 
gegen  das  feste  alexandrinische  Jahr  spricht,  heißt  es  nämlich:  „Diese 
Rückkehr  (äjToy.aTceGTa(ng)  des  beweglichen  Thoth  zum  festen  Thoth 
fand  aber  im  fünften  Regierungsjahre  Augusts  statt,  so  daß  von  dieser 
Zeit  an  die  Ägypter  wieder  jährlich  einen  Vierteltag  antizipiert  haben". 
Die  ersten  Jahre  des  Augustus  wären  danach  ohne  Schaltung  geblieben 
und  erst  im  Verlaufe  seiner  Regierung  wäre  zum  ersten  Male  ein- 
geschaltet worden,  und  zwar  stellt  sich  der  Verlauf  auf  folgende 
Weise:  die  Ära  begann  mit  dem  beweglichen  1.  Thoth,  31.  August 
30  V.  Chr.,  dann  sind  4  Jahre  zu  365  Tagen  gezählt  worden,  im 
5,  Jahre,  26  v.  Chr.,  welches  noch  mit  30.  August  begann,  wurde 
dieser  bewegliche  1.  Thoth  ein  fester.  Von  da  ab  lief  der  Schaltzyklus, 
so  daß  jedes  erste  Jahr  desselben  mit  dem  30.  August,  das  2.,  3.,  4. 
mit  dem  29.  August  begann.  Das  Mo:\orsExsche  Schema  ist  dann 
folgendes : 

Jahr  des  Augustus  1  =  30  v.  Chr.     1.  Thoth  =  31.  Aug.  jul.     365  Tage 

2  =  29       „ 

3  =  28       „ 
^  =  27       „ 

•  5  =  26  „ 

6  =  25  „ 

7  =  24  „ 

8  =  23  ,,*) 

Die  Schaltung  müßte  also  erst  vom  5.  Jahre  des  Augustus  =  26.  v.  Chr. 
an  laufen,  die  früheren  Jahre  wären  noch  Wandeljahre,  das  erste 
Schaltjahr*)  war  23.  v.  Chr.  Bei  antizipierender  Schaltung  hätte  man 
den  Anfang  der  Ära  auf  den  29.  August  23  v.  Chr.,  bei  Annahme 
postnumerierender  Schaltung  auf  den  30.  August  26  v.  Chr.  zu  setzen-'. 


=  30. 

n 

365 

=  30. 

J5 

365 

=  30. 

55 

365 

=  30. 

55 

365 

=  29. 

55 

365 

=  29. 

55 

365 

=  29. 

55 

366 

1)  Commentaire  de  Theoti.,  edit.  Halma,  Paris  1822,  T.  I  30. 

2)  Für  die  Ansicht,  das  feste  Jahr  habe  erst  im  5.  Augustischen  angefangen, 
spricht  auch  eine  Stelle  bei  Panodor  (Stnkell.  313  Par.):  hsi  nt^nrio  Avyovßrov 
TtQ'fivaL   Tjjf    TiTQcc{:Ti]Qiy.iiv    i]uSQCCv ,   xcd    iifXQ'^    ^oiJ   vvv   ovtco  -KaO"'  "EXXtivag,   i']Toi 

15* 


228  II.  Kapitel.    ZL'itreehiiuiig  der  Ägypter. 

BöcKH  hat  sich  bestimmt  gegen  die  Vorausnahme  des  Schalttages  in 
dem  4  jährigen  Schaltzyklus  ausgesprochen  und  hat  die  Apokatastase, 
das  Zusammenfallen  des  beweglichen  und  festen  Thoth,  als  das  Ent- 
scheidende betrachtet:  damit  gilt  ihm  der  30.  August  26  v.  Chr.  als 
der  Anfang  der  Zeitrechnung.  ^  Eine  Entscheidung  in  diesen  Fragen 
ist  noch  nicht  erreicht,  nur  ist  es  als  wahrscheinlich  anzunehmen,  daß 
die  Einrichtung  resp.  Schaltbestimmung  des  alexandrinischen  Kalenders 
erst  26  v.  Chr.  vorgenommen,  die  Epoche  aber  auf  den  30.  August 
30  V.  Chr.  zurückverlegt  wurde. 

Durch  eine  Bemerkung  von  J.  Keall  wird  die  Errichtung  des 
alexandrinischen  Jahres  in  die  richtige  Parallele  zum  tanitischen 
Jahre  gerückt.  AVie  das  Dekret  von  Kanopus  angibt,  ist  die  Reform 
im  9.  Jahre  Ptolemüus  III.,  510  Nabon.  =  239  v.  Chr.  eingeführt 
worden  fs.  §  41  S.  199).  In  diesem  Jahre  wurde  zu  Ehren  des  Königs 
das  tanitische  feste  Jahr  gebildet  durch  Festlegung  des  Wandeljahres, 
und  zwar  wurde  die  Schaltung  gleich  im  ersten  Jahre  der  Tetraeteris 
eingelegt  (antizipierende  Interkalation).  Eechnen  wir  vom  Beginne 
jenes  9.  Regierungsjahres  1.  Thoth  510  Nabon.  =  22.  Oktober  239 
V.  Chr.  bis  zu  dem  vorhin  nach  Mommsen  gegebenen  Anfange  der 
alexandrinischen  Jahresrechnung  29.  August  23  v.  Chr.,  so  ergibt  die 
Zwischenzeit  zwischen  beiden  Daten  78840  jul.  Tage  oder  216  Wandel- 
jahre oder  54  Tetraeteriden.  Der  Vorgang,  der  239  v.  Chr.  mit  dem 
Wandel  jähre  vorgenommen  wurde,  wiederholt  sich  23  v.  Chr.,  indem 
in  beiden  Fällen  diesen  Jahren  366  Tage  gegeben  werden.  Wie  die 
Errichtung  des  tanitischen  Jahres  eine  von  den  Priestern  veranstaltete 
Ehrung  FfoJcmän/^  III.  war,  so  bedeutete  auch  die  Einführung  des 
alexandrinischen  Jahres  eine  Ehrung  für  Augustus,  und  man  wird 
also  kaum  fehl  gehen  mit  der  Annahme,  daß  das  Jahr  23  v.  Chr.  als 
erstes  geschaltetes  eigens  von  den  Priestern  hierzu  ausersehen 
worden  ist'. 

Die  alexandrinische  Ära  war  keineswegs  imstande ,  das  Wandel- 
jahr sofort  zu  verdrängen;  sie  bürgerte  sich  mehr  bei  den  griechi- 
schen und  römischen  Bewohnern  Ägyptens  ein,  während  die  ein- 
heimische Bevölkerung  noch  durch  mehrere  Jahrhunderte  am  alten 
Wandeljahre   festhielt.     In   der   demotischen  Schriftsprache   wird  das 


'Alth,avdQtig  '^njcpi^tad'ca  rovg  aarQoroiuKovg  yiccvörag  titL  —  Lauth  [Die  Schalttage 
des  Ptolem.  Euerg.  I.,  und  Sothis-  oder  Siriusperiode.  —  Sitzbcr.  d.  legi.  bayr.  Alcad. 
d.    Wiss.,  1874]  sucht  das  Jahr  25  v.  Chr.  als  Epochejahr  liinzustellen. 

1)  Die  Tatsache,  daß  Augustus  den  Bau  des  />c»r/era-Tempel8  sehr  gefördert 
hat  (s.  DiiMicmoN,  Bangeschichte  des  Dendera- Tempels ,  1877)  muß  wohl  als  sein 
Dank  für  die  Ehrung  durch  die  Priester  betrachtet  werden.  Nach  Lepsius  bezieht 
sich  auch  die  berühmte  Ilimmelssphäre  in  diesem  Tempel  bemerkenswerterweise 
auf  das  Jahr  2-3  v.  Chr. 


§  45.    Die  ÄriMi.  229 

alexandrinisclie  Jalir  als  das  ..Jahr  des  Joniers"  bezeichnet,  zur  Unter- 
scheidung vom  „Jahre  der  Äg-ypter" ,  dem  AVandeljahre'.  Doppel- 
datierungen mit  dem  alexandrinischen  und  \^'andeljallre  sind  bis  jetzt 
nur  einige  in  äg3'ptischen  Papyrus  gefunden:  in  dem  doppelsprachigen 
Papyrus  Jxhhul  I  .")  findet  sich  aus  dem  21.  Jahre  des  Augustus 
(9  V.  Chr.)  das  Doppeldatum  10.  Ej>ij)hi  =  1(3.  Mciori,  beide  dem 
30.  Juni  jul.  entsprechend;  im  demotischen  Teile  einer  von  BRuascH 
{ZeiUchr.  /'.  %.  Spr.,  X,  1872.  S.  27)  herausgegebenen  Inschrift  aus  dem 
17.  Jahre  des  Tiberius  das  Datum  1.  Mcchlr  ..des  Ägypters"  (Wandel- 
jahr) =  18.  Tiiln  ..des  Joniers",  beide  entsprechend  dem  13.  Januar 
31  n.  Chr.  Von  gi-oßer  Wichtigkeit  ist,  daß  der  ganze  Festkalender 
von  Eme,  Avie  schon  bemerkt,  sich  auf  das  alexandrinische  Jahr  be- 
zieht. Bei  den  Kirchenschriftstellern  wird  das  alexandrinische  Jahr 
etwa  vom  3.  Jahrh.  an  erwähnt :  so  von  Clemens  Alexaxdkixus, 
Epiphanius  (4.  Jahrb.).  Macrobus,  im  Anfange  des  5.  Jahrb.,  kennt 
das  Wandeljahr  nicht  mehr.  Bei  Plinius  hat  man,  ohne  Grund,  ale- 
xandrinische Daten  vermuten  wollen. 

Die  diokletianische  Ära  hat  sich  in  Ägypten  im  Volks- 
gebrauch viel  schneller  eingebürgert  als  die  alexandrinische,  die  mehr 
eine  chronologische  Ära  geblieben  ist,  wogegen  die  am  Ende  des 
Altertums  in  den  Papyrus  sehr  zahlreich  auftretenden  diokletianischen 
Datierungen  Zeugnis  von  der  Verbreitung  dieser  Jahreszählung  geben. 
Die  Epoche  der  Ära  knüpft  sich  nach  dem  Grundsatz  der  Ägypter 
bei  der  Zählung  der  Regierungsjahre  (S.  223)  an  das  Datum  des 
Regierungsantrittes  des  Kaisers  BiocJptian.  Das  Chronicon  paschaJe 
gibt  beim  Konsulat  des  Carinus  II.  und  Xumerianus  (284  n.  Chr.)  an: 
.^Diodoüan,  am  17.  September  zu  Chalcedon  proklamiert,  zog  am 
27.  desselben  Monats  mit  dem  Purpur  in  Nicomedia  ein  und  wurde 
am  1.  Januar  Consul-."  Danach  ist  die  Epoche  entweder  der  13.  Juni 
oder  29.  August  284  n.  Chr.,  je  nachdem  sie  mit  dem  Wandeljahre 
oder  dem  festen  verbunden  wird,  ^ian  muß  sich  für  letzteres  ent- 
scheiden, da  Verbindungen  mit  Wandeljaliren  sehr  selten  vorkommen. 
Damit  wird  die  Epoche  der  diokletianischen  Äi-a  der  29.  August 
284  n.  Chr. 

Die  Gründe  für  die  Entstehung  der  Ära  sind  nicht  völlig  klar. 
Hauptsächlich  liegen   dieselben  wolü  in   der  Entwicklungsweise  des 


r  Ähnlich  viuterscheidet  Theox  zwischen  Jahren  y.ax'  AiyvTtTiovg  und  -/.ar' 
'A}.t^avdQiccg.  Ptolejlvus  setzt  im  Almagest  vor  die  Monatsnamen  xat'  AiyvTtriovg, 
womit  das  Wandeljahr  angedeutet  wird. 

2  Jioy.Xrftiavbg  ävccyoQtv&tig  rtQO  tt  KciXccvdäv  'OxrcoßQicov  iv  XalKr^dovi, 
tiafj'/L&tv  iv  Niy.ouridtia  Ttgb  t  KccXavöütv  'O-^raßgiav  ftita  Tfjg  TtOQCpvgidog,  v.al 
Kcdürdcag'IcirovciQuag  7tQ0)]ld-iv  i'rraTog.      Corpus  hist.  Byzant.,  18S2,  Dind.  S.  510.) 


230  II.  Kapitel.    Zeitrecliimii<i-  der  Ägypter. 

Zeitrechnimgswesens  der  spätägyptischen  Periode  überhaupt.  Bis  ins 
vierte  Jahrhundert  wurden  auf  den  Urkunden  (außer  dem  äg-j'ptischen 
oder  makedonischen  Datum)  die  Regierungsjahre  der  Kaiser  angesetzt. 
Später  kamen  noch  das  Konsuhitsjahr  und  die  Indiktion  in  Gebrauch. 
Diese  Datierungsweise  änderte  sich  aber  im  Laufe  der  Zeit,  die 
Konsulatsjahre  vei-tielen,  und  als  die  Araber  Ägypten  erobert  hatten, 
verfielen  aucli  die  Eegierungsjahre  der  Kaiser.  Hierdurch  kam  in 
die  Datierung  eine  gewisse  Unsicherheit,  und  man  sah  sich  genötigt, 
einen  neuen  festen  Anknüpfungspunkt  zu  suchen.  Im  3.  Jahrhundert 
hatten  schon  einige  Kaiser  ihre  Regierungsjahre  an  jene  ihrer  Vor- 
gänger angeschlossen.  (So  zählte  Commodus  von  den  Jahren  seines 
Vaters  weiter  bis  zum  33.  Regierungsjahre,  CaracaJJa  von  den  Jahren 
des  Septimius  Severus,  Gallien us  von  denen  des  Valeriemus.)  Diohletian 
war  der  letzte  Herrscher,  dessen  Jahre  nach  der  alten  A^^eise  gezählt 
worden  waren.  Die  Erinnerung  an  jene  Weiterrechnung  der  Regierungs- 
jahre kann  also,  wie  Wessely  bemerkt  hat,  das  Volk  bestimmt  haben, 
an  DioJxletian  anzuschließen,  um  so  mehr,  als  gerade  dieser  Monarch  dem 
Volke  denkwürdig  bleiben  mußte.  Anderseits  findet  man  bei  den 
alexandrinischen  Astronomen  den  Gebrauch,  bei  der  Datierung  ihrer 
Beobachtungen  neben  dem  festen  Jahre  auch  das  Jahr  DioJcletiaiif' 
anzugeben.  Dieser  Vorgang  kann  auf  die  christlichen  Ohronologen 
nicht  ohne  Einfluß  geblieben  sein,  und  die  letzteren  gebrauchten  daher 
allmählich  ebenfalls  die  Ära  für  den  Ausgangspunkt  der  Osterrechnungen. 
Die  Verdienste  DioUeüans  um  Ägypten  erhellen  z.  B.  aus  Eutkopius, 
welcher  {Bveriar.  hisf.  Born.,  IX  23)  sagt:  Diocletianus  obsessum 
Alexandriae  Achilleum  octavo  fere  mense  superavit,  eumque  interfecit: 
Victoria  acerbe  usus  est,  totam  Aegyptum  gravibus  proscriptionibus 
caedibusque  foedavit.  Ea  tamen  occasione  ordinavit  provide  multa 
et  disposuit,  quae  ad  nostram  aetatem  manent.  Die  eingeborenen 
Ägypter  hatten  also  manche  Ursache,  sich  der  Regierung  dieses  Kaisers 
zu  erinnern,  und  da  ihre  Chronologen  beinahe  ausschließlich,  bis  zum 
Niedergange  der  altägyptischen  Religion  und  der  Verbreitung  des 
Christentums ,  nach  dem  Kaiser  datierten ,  so  wurde  die  Ära  bald 
auch  im  Volke  heimisch.  Für  die  Christen  haftete  an  der  Regierung 
DioTiJetians  eine  traurige  Erinnerung,  die  im  19.  Jahr  derselben  (nach 
EusEBius,  Hist.  ecvl.,y\ll  2  und  Okosius,  Hist,Nll  25)  über  sie  ver- 
hängte Verfolgung.  Die  Christen  nannten  daher,  als  viel  später  die 
Jahresrechnung  nach  DloMetians  l^egierungs jähren  bei  ihnen  ebenfalls 
gebräuchlich  wurde,  die  Ära,  sei  es  um  ihren  heidnischen  Ursprung 
zu  verkleiden,  oder  um  eine  Erinnerung  an  schlimme  Zeiten  zu  stiften, 
die  Märtyrerära.  Die  letztere  würde  also  eigentlich  erst  mit  dem 
19.  Jahre  B\oldeiuins ,  302  n.  Chr.,  zu  beginnen  haben;  da  sie  unter 
den    Christen,    den   Kopten    und    im    ganzen   Oriente,    ebenfalls   von 


§  45.     \)k'  Ären.  231 

284  n.  Clir.  ab  gerechnet  wurde,  beweist  dies,  daß  die  Bezeicliiuing- 
,.Ära  der  Märtyrer"  erst  im  Laufe  der  Zeit  aufgekommen  ist.  Die 
Dlokh't'tan'ixche  Ära  erhielt  sich  lange  in  Gebrauch;  ihre  Anwendung 
in  Inschriften  und  dgl.  findet  sich  selbst  in  der  Zeit  nach  der  P^roberung 
Ägyptens  durch  die  Araber,  im  8.  Jahrh.  n.  Chr.  (Es  existieren  Daten 
von  694,  708,  754  n.  Chr.)  Zur  Verwandlung  von  Daten  der  IJiokk^- 
tianischen  Ära  in  julianische  Daten  der  christlichen  bedient  man  sich 
der  Tafel  I  (resp.  II),  S.  225.  Man  addiert  283  zur  gegebenen  Dio- 
l-loi'ia)i'isch('}i  Jahreszahl  und  dividiert  die  Summe  durch  4;  bleibt  0, 
so  ist  der  1.  Thoth  =  30.  August  (s.  Tafel  I),  bleibt  nicht  0,  so  ist 
der  1.  Thoih  =  29.  August.  Das  christliche  Monatsdatum  ermittelt 
man  dann  mittelst  Tafel  I;  wenn  das  diokh't'uoiischc  Datum  später 
liegt  als  der  5.  TyM,  hat  man  ein  Jahr  unserer  Ära  mehr  anzunehmen.  — 
ScHEA^is  Tafeln  geben  die  geforderten  Daten  fast  ohne  Rechnung.  — 
Für  gewisse  Zeiträume  liefern  Maklers  Chrono}.  VergJ.  TahelJen  (s.S.  149) 
das  Datum  von  Jahr  zu  Jahr,  und  zwar  für  die  Jahre  DioJcleüans 
von  1  — 1000  (284  bis  1283  n.  Chr.)  und  für  die  Jahre  des  Äugustus 
von  1  —  500  (30  v.  Chr.  bis  470  n.  Chr.). 

Beispiele  für  die  Ermittlung  des  Julian.  Datums  aus  Angaben 
nach  der  Ära  DloMeüan  (Scheams  Tafel): 

1.  In  einem  Briefe  des  Ämhroslus  an  die  Bischöfe  der  Provinz 
Ämilia  (Opp.,  Tom.  II  880  nach  der  Ausgabe  der  Benediktiner)  heißt 
es :  Septuagesimo  sexto  anno  ex  die  imperii  Diocletiani  vigesimo  octava 
die  Pharmuthi  mensis,  qui  est  nono  Kalendas  Maii  [=  23.  April], 
dominicam  paschae  celebravimus  sine  uUa  dubitatione  maiorum. 

Jahr  76  DioMeüan  28.  Pharmuthi  =  1852  661 

Korresp.  Julian.  Kai.  (300  +  t)        =  1852  638 

=  360  n.  Chr.  April  0  +  23 

Demnach  ist  richtig,  wie  der  Brief  angibt,  76.  Jahr  DioUeüan 
28.  Pharmuthi  =  360  n.  Chr.  23.  April;  die  Kalenderzahl  des  letzteren 
Datums,  2227,  lehrt  (s.  den  christlichen  Festkalender  der  ScHRAMSchen 
Tafeln),  daß  Ostersonntag  richtig  auf  den  23.  April  traf. 

2.  Paulus  Alexamhinus,  in  seiner  Einleitung  in  die  Astrologie, 
erklärt,  welcher  ^^'ochentag  den  Monatstagen  entspricht ;  der  Tag,  an 
welchem  er  schreibe,  der  20.  Mechir  des  94.  Jahres  der  (lloUetlanlschen 
Ära,  sei  ein  Mittwoch. 

Jahr  94  DloUetian  20.  Mechir  =  1  859  167 

Korresp.  Julian.  Kai.  (300  +  t)  =  1  859  153 

=  378  n.  Chr.  Febr.  0  -}-  14 

Demnach  entspricht  94  Diokletian  20.  Mechir  =  378  n.  Chr.  14.  Februar, 
und  die  Division  der  entsprechenden  Julian.  Tage  1859167  durch  7 
gibt  den  Rest  2  =  Mittwoch. 


232  II.  Kapitel.    Zeitrecliiiung  der  Ägypter. 

Es  erübrigt  noch,  einige  Worte  über  das  Vorkommen  des  make- 
donisclien  Kalenders  in  Äg-ypten  zu  sagen  (auf  das  Jahr  der 
Makedonier  kommen  wir  im  Tl.  Bande  dieses  Werkes  zurück).  Das 
makedonische  Mondjahr  ist  in  Ägypten  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.,  nach  dem 
Eroberungszuge  Alexanders  des  Großen,  eingedrungen.  AV'ährend  bis 
dahin  auf  den  Denkmälern  die  altägyptische  Datierung  herrscht,  finden 
sich  etwa  von  Ph'iladelphus  (285  —  247  v.Chr.)  ab  immer  häufiger 
Doppeldatierungen  nach  makedonischem  und  ägyptischem  Datum.  Auf 
2  Denkmälern,  von  denen  in  diesem  Kapitel  schon  die  Rede  war,  der 
Inschrift  von  Rosette  und  im  Dekret  von  Kanopus,  finden  sich  schon 
solche  makedonische  Datierungen:  in  der  ersteren  neben  dem  18.  Mt'chir 
der  4.  Xantliicm  der  Makedonier,  im  Dekret  von  Kanopus  das  Doppel- 
datura  7.  ÄpeUäus  =  17.  Tyhl  (s.  S.  197).  Die  späteren  ägyptischen 
Könige,  im  2.  Jahrh,  v.  Chr.  {Pinlometor  /.,  Euergetes  IL  u.  s.  w.), 
datieren  in  ihren  Erlassen,  Königsbriefen  überwiegend  doppelt;  das- 
selbe ist  in  den  Priesterdekreten,  den  Kontrakten  und  Berichten  des 
Geschäfts-  und  Privatlebens  der  Fall.  Allmählich  hat  das  Aufkommen 
der  festen  Ären  den  makedonischen  Kalender  wieder  verdrängt,  jedoch 
bis  ins  erste  Jahrh.  v.  Chr.,  bis  in  die  Zeit  der  letzten  selbständigen 
ägyptischen  Könige  reichen  diese  Doppeldatierungen;  auch  unter  der 
römischen  Herrschaft  scheinen  sie  nicht  gänzlich  erloschen  zu  sein. 
(152  n.  Chr.  kommt  z.  B.  ein  Kontrakt  mit  der  Gleichung  vor  „uv^og 
"iavöixov  'A&  ff^^/JtQ  /<^".) 


§  46.    Indiktioneii  in  Ägypten. 

Im  III.  Bande  dieses  Werkes,  bei  der  Zeitrechnung  der  christlichen 
Völker,  w^erden  wir  auf  den  im  Mittelalter  stark  verbreiteten  Zyklus 
der  Indiktionen  (Römerzinszahl)  zu  sprechen  kommen.  Unter  dem- 
selben versteht  man  die  Jahre  eines  15jährigen  Zyklus,  welche  von 
keiner  bestimmten  Epoche  aus,  sondern  nach  Ablauf  eines  Zyklus,  an 
diesen  sich  anschließend,  von  Anfang  weitergezählt  werden.  Es  wird 
gewöhnlich  angenommen,  daß  der  Anfang  der  Indiktionen  in  die  Zeit 
fällt,  in  der  Konstant m  der  Große  durch  die  Besiegung  seines  Gegners 
Maxentius  Herr  von  Italien  wurde,  312  n.  Chr.;  der  Monat  des  Beginns 
steht  nicht  fest,  es  werden  vielmehr  je  nach  dem  Beginne  mehrere 
Arten  Indiktionen  unterschieden;  die  hauptsächliche  ist  die  ludidio 
Constantinopolitana ,  welche  auf  den  1.  September  Julian,  festgesetzt 
wird.  Den  Ursprung  dieses  Zeitkreises,  für  den  man  die  römischen 
Steuerperioden  angenommen  hat,  meinte  zuerst  Rossi  (Inscr.  Chr.  I, 
prol.,  p.  XCVII)  in  Ägypten  zu  finden.  Da  in  neuerer  Zeit  mehrere 
Forscher  sich  ebenfalls  für  Ägypten  ausgesprochen  haben,  so  sollen 


I 


i^  46.      Iiidiktioiirii   in   Ägypten.  238 

liier   am   Schlüsse   des  Kapitels   über   die  Zeitrechnung'  der  Ägypter 
noch   einige  Bemerkungen   über  diesen  Gegenstand  gemacht  werden. 
Die  Datierungen   nach   Indiktionen  treten  in   Ägypten   (wie  im 
vorigen  Paragraphen  liüchtig  angedeutet  wurde)  auf,  als  die  Konsulats- 
jahre allmählich  verfielen;  in  den  koptischen  Papyrus  und  den  Inschriften 
sind  sie  vom  4.  bis  zum  8.  Jalirh.  n.  Chr.  nachweisbar.    Die  ägyptischen 
Indiktionen   weisen   auf   den  Monat  Payni  hin  (26.  ]\[ai  bis  24.  Juni 
des   alexandrinischen   Jahres,   s.  S.  200)   und   sind   mit  den  Zusätzen 
ügyrj  (Anfang)   oder  rk\oq  (Ende)  verbunden.     Anfänglich  vermuteten 
einige  in  dem  Paynl  eine  regelmäßige  Epoche,  jedoch  fanden  sich  bald 
auch  Daten   aus  dem  darauffolgenden  Monat  Einphi  vor.     Dies  weist 
darauf  hin,  daß  die  Datierungen  innerhalb  der  3.  Tetramenie,  Pachou 
bis  Mesori,  sich  bewegen.     Wilcken  und.  L.  Stern  glaubten  deshalb, 
daß  der  Indiktionsanfang  ein  schwankender  sei,   und  daß  die  Zusätze 
ccQxu  und  rilog  zur  näheren  Definition  der  Stelle  des  Monats  (Anfang 
oder  am  Ende  der  Indiktion)  dienen  sollten.    Nach  J.  Krall  hat  man 
es   aber   sicher  mit   einer  festen  Indiktionsepoche,  und  zwar  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Paijni  zu  tun;  allerdings  ist  der  Anfangstag  der- 
selben noch  nicht  sichergestellt.    Gewiß  ist  aber,  daß  die  Indiktionen 
der  Papyrus  mit   der  Erntezeit   in  Verbindung  stehen.     In  den  Kon- 
trakten  ist   sehr   häufig   als   ausbedungene  Zahlungszeit  einer  Schuld 
der    Monat    Fai/ni ,    in    der    Kaiserzeit    der    Monat    der    Ernte,    an- 
gegeben,   z.  B.    „Ich    werde    Dir    zahlen   im   Monate   der   ICrnte   der 
glücklichen  13.  Indiktion",  oder  „Ich  werde  zahlen  zur  Zeit  der  Ernte". 
Ein   Fragment   aus   dem   4.   oder   5.  Jahrh.   setzt   nach  Wessely  die 
Indiktion   direkt  mit  der  Nilschwelle  in  Verbindung,   und  von  dem 
Eintreffen   der   letzteren   hing  ja   die  Ernte   ab.     Die  Zeit   der  Voll- 
endung der  Ernte,   der  Paynl,  war  in  der  Kaiserzeit  Ägyptens  auch 
der  Beginn  eines  neuen  Steuerjahres,  um  diese  Zeit  zahlte  man  Steuern 
und  Schulden,   und  hierdurch  wäre  das  sehr  häufige  Vorkommen  des 
Payni    in    den    Kontrakten    erklärt.      Krall    knüpft    hieran    einige 
weitere,   für   den   eigentlichen  Ursprung   der  Indiktionen   bemerkens- 
werte Schlüsse.    Unter  dem  Beisatze  ccQyj]  wäre  der  Anfang,  der  Teil 
des  Steuerjahres  zu  verstehen,  in  welchem  Steuern  und  Schulden  be- 
zahlt  wurden,   unter   räAog   die   letzten  Monate   des  Steuerjahres,   in 
denen  die  Ausschreibung  der  Steuern,  die  Vereinbarung  der  Kontrakte 
fürs   nächste   Jahr   erfolgte.     Wenn   spätere   Termine   als   der  Paym 
(ausnahmsweise)  in  den  l'rkunden  vorkommen,  so  erklären  sich  diese 
aus    Steuererleichterungen    oder    Terminverschiebungen,    die    infolge 
schlechter    Ernte    notwendig    wurden;    das    Indiktionsjahr    wurde    in 
solchen   unabweisbaren  Fällen   über   den  Endetag   hinaus  prolongiert, 
Tilog  fiel   dann   in   die  Zeit,   wo   man   sonst   schon  äoxü  zählte.     Es 
chirf  aber  außerdem  nicht  übersehen  werden,   daß  die  Terminangaben 


234  II.  Kapitel.     Zeitreclniung  der  Ägv})tor. 

der  Ptolemäerzeit  nacli  dem  Wandel  jähre  zu  verstehen  sind.  Die 
]\[onate  desselben  aber  verschoben  sich  gegen  die  Jahreszeiten  (s.  S.  159). 
Wir  haben  gesehen,  daß  im  3.  Jahrh.  v.  Chr.  die  Erntezeit  etwa  Mechlr, 
Phamenoth  und  Pharmuthi  in  sich  begriff,  im  1.  Jahrh.  n.  Chr.  aber 
war  die  Erntezeit  auf  den  Fachon,  Paym  und  Ejnplü  gerückt.  Dar- 
aus erklärt  sich  das  scheinbare  Schwanken  des  Indiktionsjahres  in 
den  Datierungen.  Daß  inzwischen  das  feste  Jahr  in  Ägypten  aufkam, 
fällt  nicht  dagegen  ins  Gewicht,  da  wir  wissen,  mit  welch  zähen 
Wurzeln  das  Wandeljahr  noch  lange  im  Volke  haftete.  Krall  hatte 
auch  die  Hypothese  in  Betracht  gezogen,  ob  die  ägyptischen  Indiktionen 
nicht  bis  auf  die  30  jährige  /iS'ef^-Periode  (s.  S.  176)  zurückgehen  könnten, 
also  der  15  jährige  Indiktionszyklus  durch  Halbierung  jener  entstanden 
wäre;  er  hat  aber  diese  Vermutung  selbst  unhaltbar  gefunden  und 
dieselbe  (wie  er  mir  angab)  zurückgezogen.  Auch  0.  Seeck  betrachtet 
Ägypten  als  den  Ursprungsort  der  Indiktionen  {Deutsche  Zeitsehr.  f. 
Geschichtsivissensdiaft ,  XII  279).  Nach  diesem  Autor  bestand  der 
Zyklus  nicht  in  15  jährigen,  sondern  in  5  jährigen  Terminen,  die  unter 
DioMcüan  eingeführt  wurden;  der  15jährige  Zyklus  ist  hieraus  an- 
läßlich der  in  den  ersten  Jahrhunderten  in  Ägypten  aufgekommenen 
Volkszählungen  hervorgegangen.  Auf  die  weiteren  Details  dieser 
Theorie,  sowie  auf  Einzelheiten  der  Geschichte  der  Indiktionen  kommen 
wir  im  III.  Bande  dieses  Werkes  zurück.  —  Schließlich  wäre  noch 
zu  bemerken,  daß  neben  den  Datierungen,  die  meist  auf  den  Monat 
Pnyn'i  führen,  einzelne  Fälle  in  den  Papyrus  vorkommen,  wo  der 
Thoth  angegeben  ist.  Diese  Indiktionen  würden  also  dem  September 
(1.  Thoth  =  29.  August  alexandrinisch)  entsprechen,  d.  h.  der  mdictlo 
ConstantinopolUana,  welche  mit  1.  September  beginnt. 


§  47.    Literatur  1. 

Kaiende rmaterial   und   kalendarische   Inschriften. 

H.  Brügsch,  Thesaur.  Inscript.  Aegyptiacarum,  Leipzig  1883.  I.  Abteilung, 
Astron.  u.  astrol.  Inschriften  d.  äg.  Denkmäler.  —  H.  Bruosch,  Drei  Festkalender 
des  Temp.  von  ÄpoUin.  Mac/na,  veröffentl.  u.  samt  dem  Kai.  v.  Dendera  übersetzt, 
Leipzig  1877.  —  H.  Brugsch,  Matcriaux  pour  servir  ä  la  reconstruct.  du  calendr. 
des  anc.  Kgypt.,  Berlin-Leipzig  1864.  —  H.  Brugsch,  Henri/  lihind's  zwei  bilingue 
l'apyri,  hierat.  u.  demot.,  Berlin  1865.  —  .1.  Dümichen,  Die  monatl.  Opferfestlisten 
des  großen  theban.  Festkalenders  im  Tempel  v.  Medinet-Habu,  Leipzig  1881.  — 
J.  DüMiCHEN,  Altägypt.  Kalenderinschriften,  1863—1865  ges.  u.  mit  erläut.  Te.xt 
berausg. ,  Leipzig  1866.  —  Ciiabas,  Le  calendrier  des  jours  fastes  et  nefastes  de 


1)  Vgl.  auch  die  Literaturangaben  in  den  Anmerkungen, 


§  47.     Literatur.  235 

l'annee  egypt.,  Paris  1870.  —  The  Petrie  Papyri.  Hieratic  Papyri  from  Kahun  and  Gurob, 
edit.  by  F.  L.  Gkiffith,  London  1898.  —  Gen.slkr,  Die  theban.  Tafeln  stündlicher 
Sternaufgänge ,  Leipzig  1872  (s.  a.  Transact.  of  the  Soc.  of  Bibl.  Archäol.,  IIT, 
1874,  p.  400).  —  Über  dieselben:  Brugsch,  Thesaur.,  I  185.  —  Brug-sch,  Thesaur. 
(älteste  Feste:  II  234;  der  hierat.  Papyr.  132  zu  Leiden:  11518;.  —  Wichtige 
Bemerk,  über  einzelne  Feste:  Ztschr.  f.  äg.  Spr.,  1866.  IV  5  u.  92  (Rorot),  1866, 
IV  97  (L.A.UTH),  1867,  V  8  (Dümichen:)  105  (Komiev). 

Monatsnamen    und   J  a  li  r  e  s  z  e  i  t  e  n. 

Lepsus,  Chronol.  d.  Ägypter,  I,  Berlin  1849,  S.  135 — 144.  —  Brigsch,  Thesaur., 
II  471—477.  —  Brugsch,  Materiaux,  p.  34,  Thesaur.  II  388—433. 

Tageseinteilung   und   T  a  g  e  s  a  n  f  a  n  g. 

LEPsirs,  Cliron.  d.  Äg.,  129.  —  Brugsch,  Materiaux,  100—103,  Thesaur.,  II  843. 
Böckh,  Vierj.  Sonnenkreise  der  Alten.  298.  308 — 310.  —  Dümichex,  Ztschr.  f.  äg. 
Spr.,  1865,  III  1—4. 

Dekaden  und   Dekane. 

Lepsius,  Chron.  d.  Äg.,  132.  —  Brugsch,  Thesaur.,  I  131.  1-35,  11488—491; 
Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.,  IX  506.  —  Rojiieu,  Sur  un  decan  du  ciel  egypt.,  1870. 

Große   J  a  h  r  e  s  p  e  r  i  0  d  e  n. 

Brugsch,  Thesaur.,  II  195 — 215.  —  Phönixperiode:  Lepsius,  Chron.  d. 
Äg.,  174 — 194.  —  H.  Martin,  Mein,  sur  la  periode  eg.  du  Phenix  (Mem.  pres.  ä 
Vacad.d.  Inscr.,  l.ser.,VI,  1864).  —  Läuth,  Abhd.  d.  Kgl.  bayr.  Acad.  d.  IJ'.,  I.  Kl., 
XV.  Bd.,  311—396.  —  Setperiode:  Lepsius,  Chron.  d.  Äg.,  163.  —  Apis- 
periode: Lepsius,  Cliron.  d.  Äg.,  160.  —  Martin,  Mem.  sur  le  rapport  des  lunai- 
sons  avec  le  calend.  des  Eg.,  sur  la  per.  d'Apis  {Mem.  pres.  ä  l'acad.  d.  Inscr., 
1.  ser.,  VI,  1864).  —  Lauth,  Sitzber.  d.  Kgl.  bayr.  Akad.  d.  W.,  phil.  KI.,  1879. 
Bd.  II  193.  —  E.  Mahler  ,  Die  Apisperiode  d.  alten  Ägypter  {Sitzber.  d.  Wiener 
Akad.  d.  \V.,  math.  Kl.,  103.  Bd.,  1894,  S.  832). 

Sothisperiode. 

Lepsius,  Chronol.  d.  Äg.,  167 — 179.  —  Letronne  ,  Nouv.  recherches  sur  le 
calendr.  des  anc.  Egypt.,  Mem.  I  {Mem.  de  l'acad.  d.  Inscr.,  1864,  T.  XXIV,  2.  part. 
9—44^.  —  H.Martin,  Sur  le  date  hist.  d'un  renouvellem.  de  la  per.  sothiaque  {Mem. 
pres  ä  l'acad.  d.  Inscr.,  VIII  242).  —  Böckh,  Vierj.  Sonnenkreise  d.  A.,  58 — 64.  — 
H.  Brandes,  Die  ägypt.  Apokatastascnjahre  {Abhandl.  z.  Gesch.  d.  Orients  im  Altertum, 
Halle  1874,  S.  12-3).  —  Unger,  Abfassungszeit  d.  äg.  Festkalender  {Abhdlg.  d.  Kgl. 
bayr.  Akad.  d.  W.,  I.  Kl.,  XIX.  Bd.,  210),  :vgl.  a.  Ungfr  ,  Clironol.  des  Manetho, 
Berlin  1867].  —  Lauth,  Sothis  u.  Sirinsperiode  {Sitzgb.  d.  Kgl.  bayr.  Akad.  d.  JT.,  1874, 
II).  —  P.  3.  JxrsKT.n,  Untersuchungen  üb.d.  äg.  Sothisperioden,  1859.  —  Th.  v.  Oppolzer, 
Üb.  d.  Länge  d.  Siriusjahres  u.  der  Sothisper.  {Sitzber.  d.  ]f'iener  Akad.  d.  U'.. 
math.  Kl ,  90.  Bd.,  II,  1884\ 

Dekret   von   Kanopus. 

Lepsius,  Das  bilingue  Dekret  von  Kanopus,  1,  Berlin  1866.  —  L.  Reixisch 
u.  R.  RösLER,  Die  zweisprachige  Inschrift  von  Tanis,  1866.  —  Texte  außerdem: 
BiRCH,  Transact.  of  the  Moy.  Soc.  of  Literat.,  IX,  1869;  Eecord  of  thc  past,  VIII  81; 


236  II.  Kapitel.     Zeitrechming  der  Agyi)t('r. 

PiEKKET,  Le  (leeret  triling.  de  Canope,  1881 ;  Rkvillout,  Chrestom.  demotique,  p.  125. 
Journ.  des  savants,  1883,  p.  214.  —  Lauth,  Die  Schalttage  des  Ptolem.  Euerg.  T. 
u.  des  Augustus  (Sitzher.  d.  Kgl.  bayr.  Akad.  d.  If'.,  1874).  —  Kiel,  Sonnen-  u. 
Siriusjahr  d.  Eamess.,  57. 

Doppelkalender   des  Papyr.  Ebers. 

EisENLOHK,  Die  Bestimm,  histor.  Daten  durch  d.  Hilfe  d.  Astron.  (Akten  d. 
X.  Intern.  Orientalisten-Kongresses  1894,  S.  76.  —  C.  F.  Lehmann,  Zwei  Haupt- 
inohl.  d.  altorient.  Chronol,  1893,  S.  54  u.  194.  —  Ztschr.  f.  äg.  Spr.,  1869,  VIT 
108  (Brugsch),  1870,  VIII  165.  167  (Lepsius)  ,  1873,  XI  107  (Goodwin),  1875, 
XIII  145  (Lepsius).  —  J.  Kkall,  Der  Kalender  des  Pap.  Ebers  (Eecueil  de  tra- 
vatix  rel.  ä  la  Philol.  et  ä  l'Arch.  eg.  et  assyr.,  VI,  1885,  p.  57).  —  C.  Riel,  Der 
Doppelkalender  des  Papyr.  Ebers,  Leipzig  1876.  —  [Vgl.  a.  Brugsch,  Einleitung 
zu  ..Drei  Festkai.  v.  Apoll.  Magn.-,  p.  VIII;  Lauth,  Sothis-  u.  Siriiisper.  {Sitzber. 
d.  kgl.  bayr.  Ak.  d.  IF.,  1874,  p.  108)]. 

Ä  r  e  11. 

Ära  Nubti:  Wiedemann,  Ztschr.  f.  äg.  Spr.,  1879,  XVII  139.  —  Ale- 
xandrinische:  Ideler,  I  153;  Lepsius,  Monatsber.  d.  Berl.  Ak.,  1858,  452.  545; 
Theod.  Mommsen,  Böm.  Chronol..  2.  Aufl.,  262;  Böckh,  Vierj.  Sonnenkreise  d. 
Alten,  1863,  254—285  (dort  auch  die  Kritik  der  vorbeuannten  Autoren);  W.  Soltau, 
Chronologie,  170.  —  Lauth,  Die  Schalttage  des  Ptol.  Euerg.  I.  {Sitzgher.  d.  Kgl. 
layr.Ak.d.  W.,  1874).  —  Diokletianisehe:  Letronne,  Observations sur  Vcpoque  oii 
le  Paganisme  a  ete  definit.  aboli  .  .  .,  sur  le  rede,  qiie  cette  ile  ajoue  entre  les  regnes 
de  Dioclet.  et  de  Justin.,  et  sur  Vorigine  de  Vemploie  de  l'ere  de  Diocletian  ou  des 
Marti/rs  {Mcm.  de  Vacad.  d.  Inscr.,  1833,  X  208).  —  Wessely,  Mitteil,  aus  d.  Samm- 
lung d.  Papyr.  Erzherz.  Rainer,  V  83.  —  Gardthausen,  Griech.  Paläographie,  384. 

Iiidiktioiieii. 

Hartel  [Wiener  Studien  f.  klass.  Philol,  V).  —  L.  Stern  (Ztsch.  f.  äg.  Spr., 
1884,  XXII  161).  —  WiLCKEN  (Hermes,  XIX  293,  XXI  277).  —  Krall  (Mitteil.  a. 
d.  Sammig.  Papyr.  Erzherz.  Bainer,  I  14;  Becueil  de  traveaux  rel.  ä  la  Phil,  et 
Arch.  eg.  et  assyr.,  VI,  1885,  74). 

Zusammenfassende   Arbeiten 
(Gesamtdarstellungen,  Tlieorie  des  Jahres  etc.). 

Lepsius,  Chronol.  d.  Ägypt.,  Berlin  1849,  I  149—159.  220—221.  —  Brugsch, 
Nouvelles  rech,  sur  la  division  de  l'annee  des  anc.  Egypt.,  Berlin  1856.  —  Brugsch, 
Thesaur.,  II  245.  249.  291— .308.  329.  476.  —  Letronne,  Nouv.  rech,  sur  le  calend. 
des  anc.  Eg.,  IL  Mem.  (Man.  d.  Vacad.  d.  Inscr.,  XXIV,  1864).  —  Biot,  Bech.  sur 
Vannee  vague  des  Egypt.  (Man.  d.  Vacad.  d.  sciences,  XIII,  1835,  547).  —  Biot, 
Bech.  sur  plusieurs  points  d'Astr.  anc.  et  en  partic.  sur  la  per.  sothiaque  (ibid.  XX). 
—  H.  Vincent,  Bech.  siir  Vannee  egypt.,  Paris  1865.  —  Romieu,  Mem.  sur  le 
calend.  vague  des  Egypt,  Paris  1866.  —  Ventre-Bky,  Essai  sur  les  calend.  eg. 
(Bullet,  d.  VInstit.  egypt.,  3.  ser.,  1892).  —  C.  Riel,  Das  Sonnenjahr  u.  Siriusjahr 
der  Bamessiden,  Leipzig  1875.  —  Riel,  Der  Tierkreis  u.  d.  feste  Jahr  v.  Dendera, 
Leipzig  1878.  —  Krall,  Studien  z.  Geschichte  d.  alt.  Ägypten,  I  (Sitzber.  d.  Wiener 
Ak.  d.  W.,  phil.  bist.  Kl.,  98.  Bd.,  1881,  835—912)  [Wichtig!  Vergleichg.  v.  Ka- 
lendern, Verschiebg.  d.  Feste].  —  Ed.  Meyer,  Ägg f tische    Chronologie   (Ablidlg.  d. 


§  47.     Literatur.  237 

Berlin.  Akad.  d.  Wiss. ,  1904).  [Für  den  Leser  unseres  Buches  sind  besonders 
die  beiden  ersten  Abschnitte  dieser  Abhandlung  , Kalender  u.  Sothisperiode" 
und  „Das  neue  u.  mittlere  Reich"  wichtig.]  —  Brlt.sch,  Die  Äyyptolocjie , 
Leipzig  189L 

Mythologie   (soweit  für  einzelne  Fragen  in  Betracht  kommend). 

Brugsch,  Die  Sage  v.  d.  geflügelten  Sonnenscheibe,  Göttingen  1870.  —  Krall, 
Etudes  chronol.  {Rec.  de  traveaux  rel.  ä  la  Phil,  et  Arch.  eg.  et  assyr.,  II  66  .  — 
V.  V.  Strauss,  Die  altäg.  Götter  u.  Göttersagen,  1889.  —  Wiedemann,  Ztschr.  f. 
äg.  Spr.,  1878,  XVI  89  (Bennu- Vogel).  —  A.  Erman,  Die  ägypt.  Religion  (Hand- 
bücher der  Kgl.  Museen  z.  Berlin,  1905.) 


III.  Kapitel. 

Zeitrechnung  der  Mohammedaner  (Araber  und  Türken). 

§  48.    Yorl)emerliUiig. 

Die  Zeitrecbnimg-  der  iVraber,  wie  sie  jetzt  noch  von  den  Moham- 
medanern gebraucht  wird,  nimmt  mit  der  Epoche  der  Hidschra,  dem 
15.  Juli  622  n.  Chr.,  ihren  Anfang.  Die  Einrichtungen  dieses  Kalenders 
sind  uns  völlig  bekannt.  Dagegen  befinden  wir  uns  noch  sehr  im 
Zweifel,  von  welcher  Beschaffenheit  die  Zeitrechnung  der  Araber  in 
der  vorislamischen  Zeit  gewesen  ist,  nämlich  in  der  Epoche,  die  dem 
Auftreten  Mohammeds  als  Eeligionsstifter  voranging.  In  Beziehung 
auf  dieses  altarabische  Jahr  sind  wir  nämlich  auf  die  Nachrichten 
arabischer  Schriftsteller  angewiesen,  die  ziemlich  spät,  in  den  vor- 
gerückteren Jahrhunderten  der  Hidschra,  gelebt  haben  und  die  in  der 
alten  Tradition  nicht  mehr  sicher  sind,  welche  daher  entweder  die  Nach- 
richten voneinander  entlehnen  oder,  wenn  sie  eigenen  Interpretationen 
folgen,  vielfach  einander  widersprechen.  Es  finden  sich  zwar  auch 
in  Resten  altarabischer  Dichtungen  und  Volkspoesien,  die  uns  er- 
halten geblieben  sind,  mancherlei  Hindeutungen  auf  die  Monate,  das 
Jahr  u.  s.  w.,  allein  diese  Hinweise  reichen  zur  Bildung  einer  Ansicht  über 
das  vorislamische  Jahr  bei  weitem  nicht  aus.  Leider  haben  auch  die 
archäologischen  Funde  der  neueren  Zeit  in  Arabien  in  dieser  Beziehung 
nichts  Positives  an  Material  beigebracht.  Vermöge  dieser  Verhältnisse 
ist  es  erklärlich,  daß  sich  die  modernen  Ansichten  über  die  Frage  der 
altarabischen  Zeitrechnung  noch  im  scharfen  Gegensatze  zu  einander 
befinden,  und  es  hat  auch  nicht  den  Anschein,  daß  —  bei  dem  Mangel 
an  zuverlässigem  Material  —  jene  Frage  bald  einer  befriedigenden 
Lösung  nähergerückt  werden  könnte.  Unter  diesen  Umständen  kann 
dem  Leser  über  das  Zeitrechnungswesen  vor  dem  Islam  nicht  viel 
dargeboten  werden,  und  insbesondere  mag  er  die  Ansichten  über  die 
Form  des  altarabischen  Jahres,  die  er  im  Folgenden  (§  52)  dargelegt 
findet,  mit  mancher  Reserve  entgegennehmen. 


>^  4  9.     Neuere  und  alte  Xameii  der  .Monate.  239 

A)  Die  vorislamische  Zeitreclnumg. 

§  49.    Neuere  und  alte  Namen  der  3Ionate. 

Die  Namen,  welche  die  Araber  gegenwärtig  für  die  Bezeichnung 
ihrer  Monate  gebrauchen,  sind  ziemlich  alt  und  kommen  auch  schon 
einige  Jahrhunderte  vor  Einführung  des  Mohammedanismus  in  der 
Volkspoesie  vor.    Es  sind  folgende: 

1.  Moharrem  (oder  Safari)  7.  Redscheb 

2.  Safar  (oder  Safar  II)  8.  Schahän 

3.  Rehi  I  9.  Ramadan 

4.  Rehi  II  10.  Schawwdl 

5.  Dschumäda  I  11.  Dhid-Jcade 

6.  Dschumddä  II  12.  Dhid-hiddsche. 

Es  ist  von  Wichtigkeit,  den  Sprachgebrauch  kennen  zu  lernen,  nach 
welchem  in  der  alten  Poesie  diese  Namen  den  einzelnen  Monaten 
beigelegt  werden.  J.  Wellhausen  hat  hierüber  zahlreiche  Beispiele 
gesammelt. 

Moharrem  bedeutet  „heilig*'.  Der  Name  dieses  Monats  soll  ur- 
sprünglich Safar  gewesen  sein,  so  daß  er  mit  dem  darauffolgenden 
Monate  den  Doppelmonat  Safar  I  und  Safar  II  bildete;  erst  unter 
dem  Islam  sei  (nach  Buchaki)  der  Name  Moharrem  aufgekommen. 
In  der  Tat  ist  in  den  Poesien  hier  und  da  von  zwei  Monaten  Safar 
tlie  Eede;  Moharrem-  und  Safar  werden  oft  nebeneinander  genannt 
und  an  die  Spitze  des  Jahres  gestellt. 

Safar  ist  die  Zeit  der  wechselnden  Temperatur,  der  Winde,  die 
Zeit  vor  dem  Herankommen  der  Kälte,  der  Herbst. 

ReM  bedeutet  Kegenzeit,  Wachstumzeit  überhaupt.  Der  Name 
wird  nicht  nur  auf  den  Herbst,  sondern  auch  auf  das  Frühjahi'  be- 
zogen. Oft  ist  Rehi  die  Zeit  der  Frühlingsregen.  ..wo  die  Steppe  grün 
wird  und  die  Stämme  sich  auf  der  Weide  zerstreuen,  wo  die  Kamele 
werfen  und  die  fette  Milchzeit  anfängt''.  Anderseits  bezeichnete  Rein 
bei  den  alten  Arabern  aber  auch  den  Herbst. 

Dschumäda  ist  die  Zeit  der  kalten  Morgen,  der  Fröste,  die  dürre, 
unfruchtbare  Zeit.  In  den  alten  Poesien  ist  häufig  die  Rede  von  ..der 
bösen  Nacht  im  Dschumäda,  wenn  die  Hunde  nicht  bellen,  die  Schlangen 
in  ihren  Löchern  bleiben  und  der  Wanderer  sich  nach  einem  gast- 
freundlichen Feuer  umsieht*'. 

Redscheb  führt  den  Beinamen  cd  asamm  „der  taubstumme"  von 
alters  her,  d.  h.  der  Monat,  der  nicht  Waffenlärm  hört;  oder  die  Be- 
zeichnung  cd  schahr  cd   haräm    „der   heilige   Monat"'.     Er    war   der 


240 


III.  Kapitel.     Zeitrechuiinji-  der  MoliMminedancr. 


Friedensmonat,  in  welchem  feindliche  Absichten  unterdrückt  wurden; 
im  Eedschch  wurde  an  den  heiligen  Orten  ein  Fest  gefeiert. 

Den  Schahän  nennt  der  Chronograph  Albikuni  (973 — 1048)  die 
Zeit,  wo  die  Stämme  sich  in  ihre  Lager  zerstreuten  und  wieder  Eaub- 
züge  unternahmen. 

Ramadan  bezeichnet  ..die  Zeit,  wo  die  Hitze  anfängt  und  der 
Boden  brennend  heiß  wird". 

Schawirdl  leitet  ALBiRUNi  ab  von  schaivirtlu  =  abbrechen  (nach 
Ansicht  anderer  ist  es  die  Zeit,  wo  die  Kamele  ihren  Schwanz  ab- 
werfen). 

DhuJ-hiäe  und  Dliul-hiddsche  sind  beide  ,.heilige"  Monate;  im 
ersteren  heißt  es  im  Volke  „Sitz  ab  und  vermeide  den  Kampf" 
(ALBiEUNi);  der  andere  Monat  bestimmt  die  Zeit  des  Itadsch  =  des 
Pilgerfestes. 

Die  Monatsnamen,  welche  vor  der  Einführung  der  eben  genannten 
in  Arabien  im  Gebrauch  waren,  müssen  in  den  einzelnen  Landesteilen 
recht  verschieden  voneinander  gewesen  sein,  denn  es  werden  uns  von 
den  Schriftstellern  ganz  abweichende  Namen  überliefert,  was  schon 
darauf  hinweist,  daß  die  Zeitrechnung  bei  den  alten  Arabern  eine 
wenig  einheitliche  gewesen  sein  mag.  Ich  setze  hier  die  Monatsnamen 
an,  welche  ALBißUNi',  Masiidi  (im  MurCuhch-el-dhaliah)  angeben,  und 
jene,  welche  bisher  aus  sabäischen  Inschriften  -  bekannt  geworden  sind : 


Albiröni  : 

Masudi  : 

Sabüische 

Nameu  : 

al  mutamir 

natih 

TVnhH 

Dü-Ahalü  '^ 

näjir 

tahil 

^hHH 

Dü-Danim 

lihawivän 

talik 

hXHH 

Dü-Data 

suwän 

nddjlr 

hXlTH 

Dü-Hujgatän 

hantam,  hanm,  henmn, 

asJahah,  af>mkh 

I>BTH 

Dü-Hadar 

rohha 

zahhä,  ha'idah,  romui 

amnah 

♦>»ilH 

Dü-Harif 

al  asamm 

älak 

^HI'il^H 

DCi-Mahiadim 

Mil,  adel,  wüJ,  woghl 

kasa 

XolHI^no 

'Ahar-Xa'qivaf 

näfiJc,  natiJc 

zäher 

HAi^H 

Dü-Falasim 

wdghil,  wa'il,  ivaglwl 

hart,  mart 

ll?h^|o>^H 

Dü-fara'hanj .  m 

huwä,  ranna,  hewnh 

harf,  ndis 

^h1AH 

Da-SaVam 

huraJc,  haraJc 

iiaas,  meris 

>oXH 

Dü-Taiir 

1)  Chronol.  of  anc.  nations,  ed.  Sachau,  ö.  71. 

2)  MoHDTMANN  u.  D.  H.  MÜLLER,  Sabütscke  Denkmäler  (Denkschr.  d.   Wiener 
ATcad.  d.   U'iss.,  phil.-hist.  Kl.,  38.  Bd.,  1883),  S.  51. 

3)  Umschroibuiif--  der  sabäiselien  Namen  nach  eiuer  Mitteiluug  von  Prof.  Dr. 
I).  H.  Möller. 


i^  50.     .lalireszc'itt'ii.     W'oclicn.    Zäliliinf,'  iiacli  Nät-htcii.  241 

Von  diesen  Namen  läßt  sicli  nur  bei  wenigen  angeben,  inwiefern  sie 
mit  den  neueren  ^Monatsnamen  identisch  sind.  Am  wenigsten  ist  dies 
der  Fall  bei  den  sabäischen.  bei  welchen  kaum  sicher  ist,  ob  sie  hier 
in  der  richtigen  Auteinanderfolge  stehen.  Der  dritte  der  sabäischen 
Monate  ist  der  Friihlingsmonat.  der  vierte  der  Pilgermonat,  der  sechste 
der  Herbstmonat,  der  siebente  der  Erntemonat.  Auch  die  Schriftsteller 
weichen  voneinander  ab.  sowohl  in  den  Namen  wie  in  der  Reihenfolge, 
wie  man  beim  Monate  naj'ir  sieht,  welchen  ALBiKUNi  als  zweiten 
Monat.  MasIdI  dagegen  als  vierten  aufzählt.  Einigermaßen  sicher 
ist.  daß  kliawwän  =  Rehi  I,  hantam  {hennhi)  =  Dschumädä  I, 
iragli'd  =  Hchahän,  und  hiucä  =  Dhul-kade  ist;  von  den  übrigen  ist 
vermutlich  middmir  =  Moharrem,  nfijir  =  Safar  oder  Eedscheh, 
suwdn  ==  jRf'hl  II,  ronna  (bdidah)  ^=  Dschumddä  II,  asamm  = 
Bedscheh,  natik  =  Bamadnn ,  wid  (adiJ)  =  Schawwfd ,  hiirah  = 
Dhid-hiddscheK 

§  50.    Jahreszeiten.    Wochen.     Zählung  nach  Nächten. 

Für  die  Zahl  der  Jahreszeiten  (/W.s7),  welche  die  alten  Araber 
unterschieden,  kommen  bei  den  Schriftstellern  vier  und  sechs  vor: 
sa'if  =  Frühling,  htis  =  Sommer,  chcmf  oder  rebi  =  Herbst,  schitä  ^= 
AVinter;  oder  reht  el  aivwel  =  Frühernte,  saif  ^=  Vorsommer,  Jcais  = 
Sommer,  relu  el  f/?r?m  =  Späterute  (der  Früchte),  c/^r^ri'/' =  Herbst, 
schitä  =  AVinter.  Die  ältere  Teilung  des  Jahres  aber  war  nach 
Wellhausex  wahrscheinlich  eine  Dreiteilung,  in  eine  Eegenzeit,  dürre 
Zeit  und  heiße  Zeit,  worauf  die  Monatsnamen  Eeh7  (Frühjahrsregen), 
Dschumädä  (dürre,  unfruchtbare  Zeit)  und  Ramadan  (Hitzezeit)  hin- 
deuten, welche  von  jenen  Jahreszeitnamen  abgeleitet  sein  könnten. 
Der  Bedeutung  der  Monatsnamen  nach  müßten  bei  einer  Vierteilung 
des  Jahres  etwa  Moharrem,  Safar  und  Rehi  I  den  Herbst,  RelA  II, 
D>ichumädä  I  und  II  den  Winter,  Redscheh  und  Schahän  das  Früh- 
jahr, Bamadän,  Schawwäl  und  die  beiden  Schlußraonate  den  Sommer 
vorstellen.  Da  Moharrem  (oder  Safar  I)  in  den  alten  Dichtungen 
den  Beginn  des  Jahres  bezeichnet  —  auch  der  ihm  entsprechende 
alte  Monat  al  miitamir  heißt  „der  das  Glück  bestimmende,  welches 
das  Jahr  bringt"  —  so  müßte  das  Jahr  mit  dem  Herbst  begonnen 
haben,  also  gleich  dem  der  Hebräer  u.  s.  w.  ein  sogenanntes  „Tischri- 
jahr''  gewesen  sein.  Dies  ist  auch  die  Meiiiung  von  Wellhausen, 
Caussix  de  Peeceval  u.  a.  Ferner  scheinen  die  ]\[onatsnamen .  wie 
man  aus  den  vorhin  angegebenen  Bedeutungen  ersieht,  mit  einem  nach 


1)  Über  die  Bedeutung  der  alten  Monatsnamen  vgl.  die  Erklärungen,  welche 
AlbiklnI  (a.  a.  0.,  S.  71)  gibt. 

Ginzel,   Chronologie  I.  lo 


242  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

dem  Sonnenlaufe  regulierten  Jahre  (Ackerbaujahr)  zusammenzuhängen, 
da  sie  auf  Hitze.  Kälte,  Trockenheit  einige  Beziehung  haben.  Es 
wird  deshalb  von  einigen  Autoren  das  altarabische  Jahr  als  ein  not- 
dürftig eingerichtetes  Sonnenjahr  aufgefaßt.  Jene  Beziehungen,  die 
übrigens  bei  den  altarabischen  Monatsnamen  viel  weniger  vorhanden 
sind  als  bei  den  neueren  Namen,  können  aber  auch  nur  die  klima- 
tischen Differenzen  innerhalb,  des  Jahres  im  allgemeinen  ausdrücken, 
ohne  gerade  für  bestimmte  Jahresteile  zu  gelten.  Es  scheint  deshalb 
bedenklich,  wenn  man^  bloß  aus  Beziehungen  einiger  Monatsnamen 
auf  Jahreszeiten  die  Annahme  eines  Sonnenjahres  ableitet.  Überdies 
sprechen  manche  Erwägungen  dafür,  daß  das  Jahr  der  alten  Araber 
kein  Sonnenjahr,  sondern  ein  Mondjahr  war.  Die  Gründe,  die  hierfür 
beigebracht  worden  sind,  werde  ich  in  §  52  anführen. 

Bei  den  alten  Arabern  kommt  auch  schon  die  siebentägige 
Woche  vor.    Die  Namen  der  Wochentage  waren: 

1.  atvwel      =  Sonntag  4.  dubär  ^=  Mittwoch 

2.  aliwan  (hähün)  =  Montag        5.  munis  =  Donnerstag 

3.  dschuhär  =  Dienstag  6.  aruba  =  Freitag 

7.  schiyär  =  Sonnabend. 

Die  siebentägige  Woche  ist  schwerlich  eine  eigene  Erfindung  der 
heidnischen  Araber.  Den  Babyloniern  kann  sie,  wie  schon  (S.  121) 
bemerkt  worden  ist,  nicht  mit  voller  Sicherheit  zugeschrieben  werden, 
dagegen  ist  wahrscheinlich,  daß  sie  doch  in  jenem  vorderasiatischen 
Kulturkreise,  dessen  Zentrum  Babylonien  war,  ihren  Ursprung  gehabt 
hat.  Von  dort  werden  die  Araber  sie  übernommen  haben.  Die  Sieben- 
zahl der  Wochentage  erklärt  sich,  wie  ebenfalls  schon  bemerkt  wurde, 
aus  der  Heiligkeit  und  Bedeutung  der  Sieben  in  der  alten  vorder- 
asiatischen Weltanschauung.  In  ein  Mondjahr  —  vorausgesetzt,  daß 
die  alten  Araber  ein  solches  gehabt  haben  —  scheint  die  siebentägige 
Woche  nicht  gut  zu  passen.  Doch  hat  D.  Nielsen  eine  Erklärung 
darüber  gegeben  i,  welche  die  Einreihung  der  Woche  in  den  Mondlauf 
recht  plausibel  erscheinen  läßt.  Die  Monate  wurden  jedenfalls  vom 
Neulichte  ab  gerechnet,  und  die  drei  Tage  um  die  Zeit  des  Neu- 
mondes, wo  der  Mond  unsichtbar  bleibt,  haben  schon  in  der  alt- 
babjJonischen  Überlieferung  ihre  besondere  Bedeutung,  da  sie  als  die 
Zeit  des  Ruhens  des  Mondes  {sahatfum  oder  iuhtu)  hezeidmet  werden-. 

1)  Die  aUarahische  Blonclrellgion  u.  die  mosaische  i'berlieferung,  1904,  S.  72. 

2  Daß  der  hebräische  „Sabbath"  von  dem  babylonischen  sabattu  ableitbar 
ist,  und  daß  mbattii  in  babylonischen  Tafeln  als  Büß-  oder  Bettag  erwähnt  wird, 
ist  schon  S.  120  Anm.  1  angegeben  worden.  Einige  Spuren  deuten  daraufhin,  daß 
die  oben  erwähnte  dreitägige  „Ruhe"  des  Mondes  durch  ein  Trauertest,  Fasten 
oder  dgl.  gefeiert  wurde.  So  sollen  die  Harranier  (Ilaupt-Mondverehrer)  an  den 
ersten  3  Tagen  des  Monats  (Neumond)  gefastet  haben   [Chwulsoiin,   Sabier  II  74]. 


i?  51.     Die  hrilijioii  .Monat.'.     Die  Xasaa.  243 

Wenn  man  die  Länge  zweier  jMondmonate  (59  Tage)  zusammenfaßte, 
hiervon  die  ungünstigen  3  Ruhetage  in  Abzug  l)rachte  und  die  Zeit 
der  faktischen  Sichtbarkeit  des  ]\rondes  (50  Tage)  in  8  Teile  teilte, 
so  konnte  man  auf  die  siebentägige  Woche  gelangen.  Einen  ursprüng- 
lichen Zusammenhang  je  zweier  Monate  bei  den  Arabern  ersehen  wir 
aber  aus  den  Bezeichnungen  S((f((r  I — Safar  II,  Rein  I—R<In  II, 
Dschumädä  I—Dschumädä II,  welche  darauf  hindeuten,  daß  wenigstens 
das  eine  Halbjahr,  das  AVinterhalbjahr,  ehemals  aus  ;i  Doppelmonaten 
bestanden  hat. 

Von  altem  Gebrauche  scheint  bei  den  Arabern  auch  die  Gewohn- 
heit zu  sein,  nach  Nächten  zu  zählen,  die  sich  bis  in  die  mohammeda- 
nische Zeit  erhalten  hat.  Es  werden  je  drei  Nächte  unter  einem 
besonderen  Namen  zusammengefaßt.  Die  zehn  Nächtebezeichnungen, 
die  sich  so  ergeben,  sind  mit  Beziehungen  auf  den  Stand  und  die 
Liclitphase  des  Mondes  ausgewählt  und  heißen,  vom  ersten  Monats- 
tage an  gerechnet:  ghurar ,  uufal,  tiisa,  ushar ,  hid,  dura,  zidam, 
hanndls  (od.  diihm),  da-ädi,  mlMJc'^.  Für  einige  Nächte  hat  man  noch 
andere  Namen;  die  14.  Nacht  (Vollmond)  heißt  hadr,  die  letzte  im 
Monat  sirdr  (fahaina.  hard).  Die  Bezeichnungen  weisen  sehr  auf  den 
Gebrauch  eines  Mondjahres  hin. 

Die  24-Stunden-Teilung  des  Tages,  die  wir  bei  den  mohammeda- 
nischen Arabern  antreffen,  ist  den  heidnischen  Arabern  nocli  unbekannt 
gewesen. 

§  51.    Die  heiligen  Monate.    Die  Nasaa. 

In  §  49  haben  wir  schon  den  ^[ollarrem,  den  Eedscheh,  den  Dhul- 
Jcade  und  den  Dhid-hiddschc  als  „heilige"  Monate  kennen  gelernt. 
Der  Moharrem  war  als  Eröffnungsmonat  des  Jahres  geheiligt,  der 
Redscheh  wahrscheinlich  wegen  des  Frühlingfestes,  Dhid-l-ade  und 
DhuJ-hiddsche  waren  die  Monate  zur  Vorbereitung  und  zur  Ausführung 
des  uralten  Festes  der  Pilgerfahrt.  Während  dieser  Monate  war  es 
üblich,  Blutrache  zu  vermeiden  und  die  kriegerischen  Unternehmungen 
einzustellen.  Zwei  der  heiligen  Festzeiten  werden  bereits  im  6.  Jahrh. 
n.  Chr.  genannt.  Pkokop  {de  hello  ;persico,  II  c.  16)  erzählt,  bei  der 
Beratung  eines  Feldzugplanes  (541  n.  Chr.)  hätten  zwei  Führer  er- 
klärt, daß  sie  wegen  der  in  ihrer  Abwesenheit  von  Syi'ien  zu  be- 
fürchtenden räuberischen  Einfälle  des  Araberkönigs  Älmundhir  ihren 
Posten  nicht  verlassen  könnten.  Darauf  habe  ihnen  BeVisar  erklärt, 
daß  ein  solcher  Eaubzug  jetzt  nicht  zu  befürchten  sei,  da  man  sich 
vor    dem   Sommersolstiz    befinde,    der    Zeit,   wo    die   Araber   durch 


1)  S.  die  Erklärungen  der  Namen  bei  ALBiRUNi  (a.  a.  0.,  S.  74). 

16* 


244  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohanimeduner. 

2  Monate  vermöge  ihrer  Religion  zu  einer  Waffenruhe  gezwungen 
seien.  Eine  andere  Stelle  aus  Nonnosx's  (Photios,  Blhlioth.  Cod.  3) 
gibt  Kunde  von  Arabern,  die  an  einer  heiligen  Stätte  jährlich  zwei- 
mal ein  Fest  feiern,  das  eine  um  Frühlingsmitte,  beim  Eintritt  der 
Sonne , in  den  Stier,  durch  einen  Monat,  ein  zweites  durch  2  Monate 
um  die  Zeit  der  Sommersonnenwende. 

In  unmittelbarer  Verbindung  mit  den  heiligen  Monaten  stehen 
die  Kasaa.  die  Verschiebungen  {Nasaa  ist  der  Plural  von  Ä^dsi).  Da 
nämlich  drei  heilige  Monate,  Dhid-l-adc,  Dhid-hiddsche  und  Moharrem 
aufeinanderfolgen,  so  fanden  sich  manche  arabische  Stämme,  die  ihren 
Erwerb  hauptsächlich  im  Raube  suchten,  durch  das  Verbot  der  drei- 
monatlichen Waffenruhe  sehr  geschädigt.  Man  griff  deshalb  über- 
einkommend zum  Näsi,  d.  h.  man  verschob  die  Heilighaltung  eines 
Monats  auf  einen  späteren.  Die  Bestimmung  des  Monats,  welcher  an 
die  Stelle  eines  der  heiligen  Monate  treten  sollte,  war  den  KaJammas 
(  =  Meer  des  Wissens)  vorbehalten,  nämlich  dem  Oberhaupte  eines  für 
diese  Würde  privilegierten  Kinäna-Stammes.  So  erklärt  z.  B.  Baghawy 
(Tafsyr  9,  37):  „Die  Bedeutung  des  Wortes  Näsi  ist,  daß  die  Heilig- 
haltung eines  Monats  auf  einen  anderen  verschoben  wird.  Die  Araber 
hielten  sorgfältig  auf  die  Beobachtung  der  heiligen  Monate.  Sie  lebten 
aber  meistens  von  der  Jagd  und  vom  Raube,  und  es  fiel  ihnen  oft 
schwer,  drei  Monate  nacheinander  darauf  zu  verzichten.  Es  ereignete 
sich  bisweilen,  daß  ein  Krieg  in  einem  heiligen  Monate  veranlaßt 
wurde,  und  sie  wünschten  ihn  nicht  zu  verzögern.  Sie  halfen  sich 
also  durch  das  Ä^id,  d.  h.  sie  erklärten  den  Monat  für  frei  und  einen 
späteren  für  heilig.  Auf  diese  Art  pflegten  sie  die  Beobachtung  des 
Moharrem  auf  den  Safar  zu  verschieben,  sie  feierten  den  Safar  und 
erklärten  den  Moharrem  für  frei."  Bei  diesen  Verschiebungen  handelte 
es  sich  um  die  Festsetzung  des  nächsten  hadsch  d.  i.  des  Pilgerfestes. 
Das  Näsi  wurde  deshalb,  dem  in  dieser  Beziehung  übereinstimmenden 
Berichte  von  Mogahid,  Kelbi,  ALBiRUNi  u.  a.  gemäß,  nach  Beendigung 
jenes  Festes  vorgenommen.  Die  Verschiebungen  müssen  wir  wohl  als 
willkürliche  annehmen,  denn  wenn  sie  nach  einer  festen  Regel,  in 
den  gleichen  Intervallen,  erfolgt  wären,  so  hätte  man  eigentlich  der 
Kalammas  nicht  bedurft.  Hiermit  deckt  sich  der  Begriff  des  Wortes 
Näsi  =  vergessen,  übergehen,  welcher  darauf  hindeutet,  daß  man  das 
Pilgerfest  nur  einige  Jahre  hindurch  in  dem  gleichen  Monate  feierte, 
nach  dieser  Zeit  aber  auf  den  folgenden  Monat  verlegte.  Die  alten 
arabischen  Schriftsteller  sind  sich  aber  betreffs  des  Gebrauches  des 
Näsi  wenig  klar  und  widersprechen  sich  in  ihren  Angaben.  Während 
man  aus  der  Ausdrucksweise  bei  Ibn  Lsjiak,  Kki^bi,  Bachiawv  darauf 
schließen  kann,  daß  das  Näsi  in  einer  willkürlichen  Verschiebung  be- 
stand, geht  aus  den  AVorten  anderer  hervor,  dal,}  es  sich  um  die  regel- 


i;  51.     Dil'  licili^fi'ii  Afoiiatc.     Die  Xasuii.  245 

mäßige  Einschaltung'  von  Monaten  nacli  einem  gewissen  Turnus  ge- 
handelt hätte,  um  die  Übereinstimmung  des  Pilgerfestes  mit  derselben 
Jahreszeit  herbeizuführen.  Abt'  Machar  gibt  an,  die  Araber  hätten 
in  24  Mondjahren  12  Mondmonate  eingeschaltet,  nach  Ar.BiHrxi 
9  Monate  in  24  Jahren,  desgleichen  nach  Makeisi,  einen  Monat  in 
3  Jahren  nach  Masudi.  Da  die  Schriftsteller  hier  nicht  einzeln  an- 
geführt werden  können  ^,  so  will  ich  wenigstens  die  Worte  Albikuxis 
ansetzen,  eines  Autors,  dessen  Berichte  für  die  Kenntnis  der  orienta- 
lischen Chronologie  so  wertvoll  sind,  obgleich  er  in  dem  uns  hier 
interessierenden  Gegenstande  ebensowenig  selbständig  spricht,  wie  die 
anderen:  „In  den  Zeiten  des  Heidentums  gebrauchten  die  Araber  ihre 
Monate  ähnlich  wie  die  ^Muselmänner,  ihr  Pilgerfest  durchlief  alle 
vier  Jahreszeiten.  Aber  dann  wollten  sie  das  Pilgerfest  in  eine  Zeit 
verlegen ,  wo  ihre  Waren ,  die  Häute,  Felle,  P'rüchte,  für  den  ^Markt 
vorbereitet  wären,  und  suchten  es  darum  unbeweglich  zu  machen, 
damit  es  in  die  beste  und  ergiebigste  Zeit  des  Jahres  falle-'.  Daher 
lernten  sie  das  Einschaltungssystem  von  den  Juden  ihrer  Nachbar- 
schaft, über  200  Jahre  vor  der  Hidschrn.  Und  sie  gebrauchten  die 
Einschaltung  gleich  den  Juden,  indem  sie  die  Differenz  zwischen 
ihrem  Jahre  und  dem  Sonnenjahre ,  wenn  sich  dieselbe  zum  vollen 
Monate  angehäuft  hatte,  zu  den  Monaten  ihres  Jahres  legten.  Dann 
erhoben  sich  nach  Beendigung  des  Pilgerfestes  die  Kalanimas,  hielten 
eine  Ansprache  an  das  Volk  und  schalteten  den  ]\ronat  ein,  indem  sie 
dem  nächsten  ]\Ionat  den  Namen  dessen  gaben,  in  welchem  sie  sich 
befanden.  Die  Leute  stimmten  bei  und  nahmen  die  Entscheidung  der 
Kaljunmas  an.  Dieses  Vorgehen  nannten  sie  Käst,  d.  i.  Verschiebung, 
weil  sie  in  jedem  2.  oder  3.  Jahre  den  Jahresbeginn  um  einen  Monat 
verschoben,  wie  es  das  Fortschreiten  des  Jahres  verlangt.  Die  erste 
Einschaltung  wurde  auf  den  Moharrem  gelegt,  folglich  wurde  Safar 
nun  Moharrem  genannt,  Rehi  I  wmrde  Safar  geheißen  u.  s.  w..  und 
in  dieser  AVeise  wechselten  die  Monatsnamen.  Bei  der  zweiten 
Schaltung  wurde  Safar  genommen,  folglich  wurde  Reht  I  nun  Safar, 
und  so  fort.  Die  Araber  zählten  die  Schaltzyklen  des  Nasi  und 
fixierten  danach  ihre  Daten.  Sie  sagten  z.  B. ,  von  der  Zeit  A  bis 
zur   Zeit   B   hätten   die   Jahre   einen   Zyklus   durchlaufen.     "Wenn   es 


1)  Die  Hauptstellen  über  das  Näsi  finden  sich  gesammelt  bei  Sprenger, 
Zeitschr.  cl.  deutsch,  morgenl.  Ges.,  XIII,  1859,  S.  143—150;  vgl.  Journ.  asiatique, 
1843,  April;  Mem.  de  l'Acad.  d.  Inscript,  T.  XL VIII. 

2}  Die  Märkte  hatten  große  Bedeutung  für  die  nomadisierenden  Stämme, 
sie  standen  mit  den  Festen  und  Festorten  in  Verbindung  und  waren  von  diesen 
abhängig.  Vgl.  Masudi:  .Safar  hatte  seinen  Namen  wegen  der  Märkte  in 
Yemen  ....  die  Araber  holten  sich  dort  ihr  Korn ,  und  wer  dahinter  blieb, 
kam  vor  Hunger  um".  Albirüni  (a.  a.  0.,  S.  324)  nennt  eine  Reihe  von  großen 
Messen,  die  meist  5  bis  10  Tage  lang  abgehalten  wurden. 


246  III.  Kai)itel.    Zeitrecbming  der  Mohainmedauer. 

aber  trotz  der  Einschaltung'  vorkam,  daß  ein  Monat  seinen  Platz  in 
den  Jahreszeiten  überschritt  —  infolge  des  Überschusses  über  das 
Sonnen  jähr  und  der  Überbleibsel  vom  Sonnen-  und  Mondjahr,  welche 
sie  zu  dem  Mehr  hinzugefügt  hatten  —  machten  sie  eine  zweite  Ein- 
schaltung. Solch  eine  Progression  waren  sie  fähig  aus  dem  Auf-  und 
Untergange  der  Mondstationen,  ob  notwendig,  zu  beurteilen.  So  blieb 
es  bis  zur  Zeit,  als  der  Prophet  von  Mekka  nach  Medina  flüchtete 
und  der  Einschaltungsturnus  an  den  Schahdn  gekommen  war.  Da 
wurde  dieser  Monat  Moharrein  genannt,  und  JRamadan  wurde  Safar. 
Dann  beobachtete  der  Prophet  noch  das  Abschieds  -  Pilgerfest ,  bei 
welcher  Gelegenheit  er  sich  zum  Volke  wandte  und  sagte:  „„Die 
Zeit  ist  herum,  so  wie  sie  war  am  Tage  der  Schöpfung  des  Himmels 
und  der  Erde  durch  Gott"  "  ^  womit  er  meinte,  daß  die  Monate  nun  an 
ihre  ursprüngliche  Stelle  zurückgekehrt  seien,  und  daß  sie  von  den 
Veränderungen  befreit  seien,  welche  die  Araber  mit  ihnen  früher  vor- 
genommen hätten Darauf  wurde   das  Näsi  verboten  und  für 

immer  vernachlässigt-."  In  ähnlicher  Weise  drückt  sich  der  noch  frühere 
Schriftsteller  Abu  Machar  (gest.  Hld.  272)  aus.  Man  darf  aber  weder  auf 
diese  Autoren  noch  auf  die  später  schreibenden  besonderes  Gewicht 
legen,  da  sie,  wie  eingangs  dieses  Kapitels  bemerkt,  von  einander 
entlehnen.  Die  verschiedenen  Hypothesen  von  den  Schaltzyklen 
scheinen  vielmehr  erst  aufgekommen  zu  sein,  als  die  einstige  Bedeutung 
des  Ndsi  vergessen  war  und  mit  dem  Schaltungsprinzip  der  Juden 
zusammengeworfen  wurde.  Auch  die  modernen  Chronologen  befinden 
sich  über  die  Bedeutung  des  Ndsi  im  Zweifel  und  setzen  darin,  je 
nach  der  Hypothese  vom  altarabischen  Jahr,  die  sie  vertreten,  die 
bloße  Verschiebung  der  heiligen  Monate  oder  aber  ein  Lunisolarjahr 
mit  zeitweiser  Einschiebung  eines  dreizehnten  Monats  voraus.  Ich 
zitiere  noch  2  Koränstellen,  welche  öfters  als  Beweis  für  die  Bedeutung 
des  Ndsi  als  „Einschaltung"  angeführt  Averden: 

Sure  IX,  36 :  „Die  Zahl  der  Monate  besteht  nach  g(»ttlicher  Vorschrift 
aus  12  Monaten.  So  ist's  aufgezeichnet  im  Buche  Gottes, 
seit  dem  Tage,  an  welchem  er  Himmel  und  Erde  ge- 
schaffen. Vier  von  diesen  Monaten  sind  heilig.  So 
lehrt's  die  wahre  Religion." 

Sure  IX,  37:  „Die  Verlegung  des  heiligen  Monats  auf  einen  andern 
ist  eine  Zutat  des  Unglaubens.  Die  Ungläubigen  ■'•  sind 
hierin   im  Irrtum.     In   dem   einen  Jahre   erlauben   und 


1)  Koran,  Sure  IX,  38. 

2)  Chronol.  of  anc.  nations,  S.  73. 

3)  D.  h.  die  Christen  und  die  Juden  5  vielleicht  bauptsächlieh  gegen  die  Eiu- 
schaltungsmethode  der  letzteren  gerichtet. 


i?  52.     IIypoth(3seii  über  das  altarabischc  Jahr.  247 

in  dem  andern  Jahre  verbieten  sie  einen  Monat,  damit 
sie  mit  der  Zalil  der  Monate,  welche  Gott  ^elieiligt, 
übereinstimmen,  und  so  erlauben  sie  gerade  das,  was 
Gott  verboten." 

Das  Amt  der  Kalammas  bestand  bis  zum  Jahre  Hichehra  9;  der 
letzte  Kalammax  war  (nach  Mastdi)  Abv  Temamah.  Im  darauf 
folgenden  Jahre  verbot  Mohammed  den  ferneren  Gebrauch  des  Xa.4 
durch  die  Koränverse  IX,  36.  37.  Deshalb  hätten  von  da  ab, 
wie  mehrere  Schriftsteller  bemerken,  die  arabischen  Monate  alle  Jahres- 
zeiten durchlaufen,  und  ihre  Namen  hätten  nicht  mehr  mit  der  ursprüng- 
lichen Bedeutung  übereingestimmt. 

§  52.    Hypothesen  über  das  altarabische  Jahr. 

Bei  der  Frage  nach  der  Form  des  altarabischen  Jahres  handelt 
es  sich  hauptsächlich  um  das  von  Mekka,  denn  diese  Stadt  hatte 
durch  ihren  Handel  und  als  Kultusstätte  schon  lange  vor  Einführung 
des  Islam  eine  führende  Stelle  im  mittleren  Westarabien  erlangt. 
Über  das  anderweitige  Arabien  können  nur  schwache  Vermutungen 
geäußert  werden,  aber  wahrscheinlich  war  dort  das  Zeitrechnungswesen 
nur  sehr  wenig  entwickelt  und  örtlich  verschieden,  wie  die  Kultusformen. 

CArssiN  DE  Peeceval  ging  von  der  Bedeutung  der  Monatsnamen 
aus;  er  nahm  an,  daß  die  Araber  nach  Mondmonaten  (von  Neumond 
zu  Neumond)  rechneten,  aber  nach  etwa  2  oder  3  Jahren  einen  Monat 
einschalteten  (gemäß  den  Berichten  der  alten  Schriftsteller),  daß  jedoch 
infolge  des  mangelhaften  Schaltungsverfahrens  allmählich  die  Monate 
sich  gegen  die  Jahreszeiten  verschoben  haben.  Speexgek  suchte  da- 
gegen aus  Daten  aus  dem  Leben  des  Propheten  und  aus  den  Schrift- 
stellern darzutun,  daß  das  altarabische  Jahr  nur  ein  reines  Mondjahr, 
ohne  jede  Einschaltung,  gewesen  sein  muß ;  er  faßt  also  das  Näsi  nur 
als  Verschiebung  auf.  Dagegen  sei  die  Zeit  des  hadsch  insofern  nach 
dem  Sonnenjahre  bestimmt  worden,  daß  die  Opfertiere  für  das  Fest 
vor  dem  Vollmonde,  welcher  vor  dem  Frühlingsäquinoktium  oder  nahe 
demselben  war,  geschlachtet  wurden,  und  daß  dem  Volke  bekannt 
gegeben  ward,  auf  welchen  Mondmonat  im  nächsten  Jahr  der  hadsch 
fallen  werde.  Er  glaubte  auch  vermuten  zu  sollen,  daß  der  Monat 
des  hadsch  durch  die  Änwä,  d.  h.  durch  das  Sichtbarwerden  und  Ver- 
schwinden  der  Mondstationen  ^  in  der  Abend-  und  ^Morgendämmerung 


1)  Der  kosmische  Untergang  der  Mondstationeu  heißt  Naic,  im  Plural  Anwä; 
das  Naw  spielt  in  der  Witterungslehre  und  Astrologie  der  alten  Araber  eine 
wichtige  Rolle.  Vgl.  die  Stellen  aus  den  Autoren,  die  Sprenger  (a.  a.  0.,  S.  161) 
gesammelt  hat. 


248  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

vorherbestimmt  worden  sein  könnte.  J.  Wellhausen  griff  Aviederum 
auf  ein  mang-elhaft  eingerichtetes  Sonnenjahr  zurück,  in  welcliem  die 
Monate  alle  Jahreszeiten  durchlaufen  hätten;  er  brachte  zahlreiche 
Beispiele  aus  der  alten  Poesie  bei,  welche  dafür  beweiskräftig"  wirken 
sollten.  Nach  sicheren  Berichten  aus  dem  Leben  des  Propheten  fiel 
im    Jahre    Hkhchra   10    der    1.   Moharrem    auf    den    9.  April,    der 

1.  Eedseheh  auf  den  S.Oktober;  aus  der  Bedeutung-  der  Monatsnamen 
haben  wir  aber  g-esehen  (s.  S.  239),  daß  der  Moharrem  den  Herbst  und 
der  RedscUeh  das  Frühjahr  eröffnet.  Von  den  Festzeiten,  über  welche 
die  Stellen  bei  Peokop  und  Nonnosus  (s.  vorher  S.  243)  Kunde  geben, 
müßte  die  zweimonatliche,  mit  Sommer  bezeichnete  mit  den  Monaten 
Dhnl-Iiade,  Dhid-lüddsehe  koinzidieren.  die  einmonatliche  im  Frühjahr 
mit  dem  Redscheh,  während  im  6.  Jahrb.,  wie  eben  g-ezeigt  wurde, 
der  Eedseheh  in  den  Oktober  und  der  Doppelmonat  Dh/d-Jcade-Dhid- 
hiddsche  auf  Februar-März  fiel. 

Mahmud  Effendi  ist  in  einem ,  wie  es  scheint,  bisher  weniger 
beachteten  Memoire  über  das  altarabische  Jahr  wieder  auf  die  An- 
nahme eines  reinen  Mondjahres  zurückgekommen.  Die  Grundlage 
seiner  Untersuchung  bilden  3  Daten:  1.  Nach  einer  Tradition  wurde 
dem  Propheten  im  8.  Jahre  Hldsehra,  als  er  nach  Medina  gekommen 
war,  von  einer  Sklavin  ein  Sohn  Ibrahim  geboren;  letzterer  starb, 
als  er  1  Jahr  10  Monate  10  Tage  alt  geworden  war.  Bei  seinem 
Tode  ereignete  sich  eine  Sonnenfinsternis,  die  vom  Volke  als  Ursache 
jenes  Todes  angesehen  wurde,  und  über  welche  irrtümliche  Meinung 
der  Prophet  das  Volk  aufklärte.  Da  der  Monat  der  Geburt  nach  der 
Tradition  der  JJhul-hiddsche  war,  kommt  man  für  den  Todestag  etwa 
auf  den  Sehaivwtd  Hld.  10.  Am  27.  Januar  632  n.  Chr.  fand  aber 
eine  ringförmige  Sonnenfinsternis  statt,  welche  in  Medina  sehr  auf- 
fällig, nämlich  10  Zoll  war.  Diesem  Datum  entspricht  der  29.  Sehawwäl 
Hld.  10.     Der  Todestag  Ibrahims   ist   hierdurch   zweifellos   bestimmt. 

2.  Als  zweiten  Ausgangspunkt  der  Untersuchung  nimmt  Mahmud  den 
Tag  der  Flucht,  welchen  er,  nach  sorgfältiger  Prüfung  der  Quellen, 
auf  den  20.  September  622  n.  Chr.  festsetzt;  der  Tag  entspricht 
Montag,  dem  8.  Bein  I.  3.  Für  die  Zeit  der  Geburt  des  Propheten 
läßt  sich  nach  den  besten  Quellen  das  Frühjahr  571  n.  Chr.  voraus- 
setzen. Eine  Anzahl  arabischer  Schriftsteller  berichtet,  daß  seine 
Geburt  durch  eine  Konjunktion  der  Planeten  Jupiter  und  Saturn  ver- 
herrlicht worden  sei,  die  kurz  vor  seiner  Geburt  im  Skoi-pion  statt- 
fand und  die  sie  deshalb  die  „Konjunktion  der  Religion^'  nennen.  Es 
kann  nur  diejenige  sein,  die  im  jVfärz  571  stattfand  ^     Als  Geburtstag 


1)  Mahmud  Effenih   setzt   die.  Konjunktion   auf  den   29.   oder  80.  März  571, 
da  er  aus   den   BouvAituschen  Tafehi    für   den    1.  April   die  geozeutr.  Längen  des 


V?  52.     IlypDtlicscii  iilxT  (bis  altariiltisclit'  .lahr.  249 

wild  der  8.  oder  10.  oder  12.  Bchl  I,  ein  Montag,  angegeben.  Der 
Neumond  nach  der  Konjunktion  trat  am  10.  April  9*^  morgens  (für 
Mekka)  ein,  die  Sicliel  konnte  also  erst  am  11.  April  abends  sichtbar 
werden;  der  iiV7>?  J  fing  also  mit  dem  12.  April  an.  Nehmen  wir  den 
9.  Mehl  I  als  Geburtstag  an,  so  kommen  wir  auf  den  20.  April  571 
=  Montag  K  —  Von  den  3  so  erhaltenen  Daten  liegen  zwei  nach  dem 
Beginn  der  Hidschra,  ein  Datum  vor  derselben.  Man  kann  also  daraus 
den  Schluß  ziehen,  nach  welcher  Jahresform  wenigstens  seit  571  n.  Chr. 
gerechnet  worden  ist.  Die  Differenz  20.  April  571  bis  27.  Januar  632 
ist  22  197  Tage,  die  andere  zwischen  20.  April  571  bis  20.  September 
622  ist  18  781  Tage.  Da  die  Länge  des  reinen  Mondjahres  354,367  (s.  8. 64) 
Tage  beträgt,  ergibt  die  erste  Differenz  62  ]\[ondjahre  226  Tage,  die 
zweite  53  Mondjahre  weniger  1  Tag.  Es  dürfte  hieraus  hervorgehen, 
daß  in  jener  Zeit  die  Araber  nach  dem  reinen  Mondjahre  rechneten, 
oder  wenigstens,  daß  dieses  Mondjahr  in  den  62  Jahren,  welche  der 
Kalenderreform  vorangehen,  nicht  verändert  worden  ist,  denn  vom 
9.  Behf  I  (571  n.  Chr.)  bis  8.  Rein  I  (622  n.  Chr.)  sind  53  reine 
Mondjahre,  vom  9.  Rein  I  (571)  bis  29.  Schawival  (632)  sind  62  Mond- 
jahre und  (9.  ReM  I  bis  29.  Schawtväl  =  226)  226  Tage  verflossen. 
Im  Gegensatze  zu  Mahmud  und  Speexgee.  welche  das  Xdsi  nur 
in  der  Bedeutung  „Verschiebung  des  heiligen  Monats-'  auffassen  und 
bei  den  alten  Arabern  ein  fortwährend  gegen  die  Jahreszeiten  sich 
verschiebendes  Mondjahr  voraussetzen,  hat  in  neuerer  Zeit  H.  Wcscklee 
die  Hypothese  zu  beweisen  versucht,   daß  das  altarabische  Jahr  ein 


Jupiter  215,04"  und  die  des  Saturn  215,28"  erhält.  Die  Saturnbewegung  in  den 
BouvARDschen  Tafeln  ist  aber  veraltet  s.  Einleitung  S.  50).  Die  Konjunktion 
fand  vielmehr  schon  Anfang  März  statt.  Aus  den  NEUGEBAUEEschen  Tafeln  erhalte 
ich  nämlich  die  geozentr.  Orte  des  Jupiter  und  Saturn  wie  folgt: 

15.  Februar  571  geozentr.  Länge  des  Jupiter  217, IP,  geozentr.  Breite  -|-  1,30" 

des  Saturn    217,63  ,  ,        +  2,47 

1.  März  ,  ,        des  Jupiter  216,94  ,  ,        +  1,33 

des  Saturn    217,38  „  ,        +  2,51 

1.  April  „  ,       des  Jupiter  214,84  ,  ,        +1,39 

des  Saturn   216,04  ,  ,       +  2,-59 

Beide  Planeten  hatten  also  eine  langsame  retrograde  Bewegung  und  liefen  längere 
Zeit  nebeneinander  her.  Durch  mehrere  Wochen  standen  sie  dicht  übereinander. 
1)  Den  20.  April  571  als  Geburtstag  Mohammeds  nimmt  auch  Sprenger  nach 
Diskussion  der  Überlieferung  verschiedener  Autoren  an.  Der  Tod  des  Propheten 
wird  auf  den  12.  Kebi  I  Hid.  11,  einen  Montag,  gesetzt  (Juni  632).  Die  entsprechenden 
Neumonde  fanden  am  24.  Mai  und  23.  Juni  statt,  so  daß  der  Anfang  des  Monat  Eebi  I 
etwa  auf  den  26.  od.  27.  Mai  fallen  konnte.  Der  Todestag  wäre  dann  12.  Rebil  Hid.  11  = 
7.  Juni  632  Sonntag,  oder  8.  Juni  Montag.  Die  Zwischenzeit  zwischen  20.  April  571  bis 
7.  Juni  632  ist  22  329  Tage  oder  63  Mondjahre  3  Tage.  Dieses  Alter  Mohammeds, 
nämlich  63  Mondjahre,  stimmt  ebenfalls  mit  der  Angabe  zahlreicher  Quellen, 
wonach  der  Prophet  63  Jahre  (Mondjahre,  denn  solche  werden  immer  gemeint, 
wenn  die  Quellen  nicht  andere  bezeichnen  wollen)  alt  geworden  ist. 


250  III.  Kapitel.    Zeitrecliiuing  der  Moliammedauer. 

Völlig  geordnetes,  mit  den  Jahreszeiten  konform  gehendes  gewesen 
sei.  Wie  wir  gesehen  (S.  243),  finden  sich  Andeutungen,  daß  das 
arabische  Winterhalbjahr  aus  3  Doppelmonaten  bestanden  hat.  Wixckler 
glaubt,  daß  der  2.  Monat  des  Doppelmonats  Moharrem-Safar,  der  Safar, 
ein  eingeschalteter  war;  aus  der  Vergleichung  der  babylonischen 
Monate  mit  mehreren  alten  vorderasiatischen  Kalendern  leitet  er  die 
Folgerung  ab,  daß  einige  der  alten  Jahre  (das  babylonische,  das 
römische)  aus  6  Doppelmonaten  bestanden  haben  und  erst  durch  Ver- 
schiebung der  Rechnung  des  Jahresanfangs  (Herbst  oder  Frühjahr) 
verschiedene  Selbständigkeit  erlangten.  Auch  das  arabische  Jahr  be- 
stand ursprünglich  aus  solchen  6  Doppelmonaten:  Eehl  (November- 
Dezember),  Dschumädä  (Januar  -  Februar) ,  Redscheh  (März  -  April), 
Bamadän  (Mai- Juni),  Hiddscha  (Juli- August)  und  Safar  (September- 
Oktober).  Diese  Anordnung  soll  hinreichen,  die  Widersprüche,  die 
nach  Wellhausen  in  der  Beziehung  der  Bedeutung  der  Monatsnamen 
zwischen  der  alten  Zeit  und  der  späteren  liegen,  zu  beseitigen.  Behufs 
Voraussetzung  eines  durch  Schaltungen  geregelten  Jahres  ist  Winckler 
genötigt,  eine  w^eit  höhere  Kulturstufe  für  das  alte  Arabien  anzunehmen, 
als  man  vorauszusetzen  sich  bisher  für  berechtigt  hielt,  xiber  diese  Be- 
dingung, sowie  andere  weitgehende  Folgerungen,  welche  AVinckler  an 
die  Hypothese  knüpft  und  welche  hier  nicht  weiter  ausgeführt  werden 
können,  lassen  die  Theorie  eines  geordneten  Jahres  der  Alt-Araber 
sehr  zweifelhaft  erscheinen. 

In  der  Gegenwart  macht  sich  auch  eine  gewisse  Strömung  in 
der  vergleichenden  Mythologie  bemerkbar,  welche  die  Religion  der 
alten  Araber  auf  die  Mondverehrung  und  im  letzten  Grunde  auf  die 
südbabylonische  (harranitische)  Mond  Verehrung  zurückzuführen  sucht. 
Man  wird  zugeben  müssen,  daß,  wenn  der  Nachweis  eines  verbreiteten 
Mondkultus  für  Altarabien  gelingt,  auch  das  SpRENGER-MAHMUDSche 
reine  Mondjahr  an  Aussicht  auf  Annahme  gewinnt,  denn  Kultus  und 
Zeitrechnung  stehen  in  engster  Beziehung  zueinander.  Die  Vertreter 
jener  Forschung  (Winckler,  Hommel,  Nielsen)  stützen  sich  auf  Spuren 
der  Gestirnverehrung,  die  aus  den  Inschriften  südarabischer  Denk- 
mäler zutage  treten  \  und  auf  die  weite  Verbreitung  gewisser  Personen- 
namen, die  als  Beinamen  des  Mondgottes  {wadd  =  Freund,  ah  — 
Vater,  'amm  =  Oheim,  Beschützer;  'ahl  =  mein  Vater,  'ammi  = 
mein  Oheim  u.dgl.)  oft  wiederkehren-;  ferner  auf  Reste  alter  Kultus- 


1)  In  den  hadramautischen  Inschriften  soll  Sin  (der  Mond)  der  Hauptgott 
sein-,  in  den  katabanischen  erscheinen  Amm  (Mond),  Sams  (Sonne),  AtJitar  (Venus), 
Amhai  (Merkur),  in  den  minäischen  Athiar,    Wadd  (Mond),  Sams. 

2)  In  der  arabischen  Mondreligion  erscheint  (nach  Niklsen)  die  Gottesauf- 
fassung als  eine  dreifache,  entsprechend  Mond,  Sonne,  Venus,  und  zwar  ist  Gott 
vorwiegend  Mondgott,  speziell  Neumond-Gott.     Damit  laufen  die  Auffassungen  der 


i?  53.     E])Ocli('ii  der  jiltcii  Araber.  251 

Stätten,  die  sich  namentlich  auf  Bergen  vorfinden  und  der  .Aloiid- 
verehrung  g-eweiht  gewesen  sein  sollend  Einstweilen  befinden  sich 
jene  Forscher  noch  im  scharfen  Gegensatze  zu  den  Tatsachen,  die 
aus  der  altarabischen  Literatur  u.  dgl.  bekannt  sind.  "Wellhatskn' 
gibt  zwar  eine  sporadische  Gestirnverehrung  zu,  der  Sonne  (welche 
oft  „die  Göttin"  heißt)-,  der  Venus  (bei  den  Uzza),  des  Merkur  (bei 
den  Tamim  in  Ostarabien),  aber  die  Objekte  der  Verehrung  seien 
hauptsächlich  Steine  und  Bäume  gewesen.  Der  Mondgott  Hohäl,  auf 
den  WiNCKLER  viel  Gewicht  legt,  nimmt  bei  Weijjiai'skx  eine  keines- 
wegs besondere  Wichtigkeit  ein-'. 

Man  sieht  wolil  aus  meiner  bisherigen  Darstellung,  daß  die  Frage 
nach  der  Beschaft'euheit  des  altarabischen  Jahres  zurzeit  noch  eine 
offene  ist. 

§  53.    Epochen  der  alten  Aral)er. 

Die  vorislamischen  Araber  müssen  verschiedenerlei  Epochen  bei 
den  Jahrrechnungen  gehabt  haben;  dieselben  scheinen  so  zahlreich 
gewesen  zu  sein  wie  ihre  verschiedenen  Monatsnamen.  Albieuxi  zählt 
Schlachttage.  Gedächtnistage,  das  Jahr  der  Erneuerung  der  Kaaba  u.  a. 
als  Epochetage  einzelner  Stämme  auf^  Allgemeiner  ist  vermutlich 
nur  das  Jahr  des  Verrates  (oder  des  Frevels  =  jaum  el  fedschär) 
und  das  Jahr  des  Elefanten  {am  el  fil)  gebraucht  worden.  Das  erstere 
bezeichnet  das  Jahr,  in  welchem  die  Banü-Yarbü  gewisse  Gewänder 
stahlen,  die  der  himjarische  König  zur  Kaaba  gesendet  hatte,  und 
weswegen   es  zur  Zeit  des  heiligen  Pilgerfestes  zu  einem  Zusammen- 

Harraniter  und  Babylonier  parallel;  bei  den  ersteren  bilden  Sin  (Mond  ,  Sarratu 
(Sonne)  und  Istar  Venus^  die  Dreiheit,  bei  den  Babyloniern  Sin.  Samas  und  I^tar. 
Die  besondere  Stellung,  die  der  Mondgott  einnimmt,  soll  auch  dadurch  angezeigt 
sein,  daß  der  Name  des  Gottes  in  den  Inschriften  nicht  direkt  genannt,  sondern 
umschrieben  wird  mit  „Sein  Name". 

1  Offene  Plätze,  mit  Steinen  eingefaßt,  bisweilen  mit  Fundamenten  von 
Opferaltären  finden  sich  bei  Marib ,  Südarabien  [s.  Beschreibung  von  Glaser  ,  bei 
Nielsen-  S.  100,  und  Aknaud,  Journ.  Asiat.,  4.  ser.,  V,  1845],  bei  Petra  's.  G.  L. 
R(jBissox,  Die  Opferstätte  hei  Petra,  Mitteil.  u.  Nachr.  d.  deutsch.  Palästina- 
Vereins,  1901,  Nr.  2\  Ob  für  Sonnen-  und  Mondbeobachtungen  nach  den  Himmels- 
gegenden orientiert? 

2]  Sonnenkultus  in  Arabien  erwähnt  schon  Strabon  XVI.  Aus  süd- 
arabischen Denkmälern  ist  ansehnliches  Material  über-  den  Sonnendienst  bekannt 
geworden.  S.  Mordtmaxn-Mülleb,  a.  a.  0.,  S.  56;  Osiander,  Zeitschr.  d.  deutsch, 
morg.  Ges.,  VII  468,   XX  285;   Keehl,  Die  Heligion  d.  vorislam.  Araber,  S.  41. 

3)  Wellhavsen  hält  sich  nur  an  die  arabische  Überlieferung  und  macht 
deshalb  der  oben  definierten  Richtung  wenige  Zugeständnisse.  Er  geht  sogar  so 
weit,  die  Existenz  der  28  Mondhäuser  und  die  Reste  astronomischer  und  astro- 
logischer Kenntnisse  bei  den  alten  Arabern  in  Frage  zu  stellen. 

4)  a.  a.  0.  39,  40. 


252  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammi'diUier. 

stoße,  kam.  Das  Jalir  ist  oanz  unbestimmt;  es  heißt  nur.  daß  der 
Prophet  selbst  an  diesem  Kampfe  in  seiner  Jugendzeit  teiloenommen 
liabe.  Die  Epoche  könnte  danach  zwischen  585 — 591  n.  Chr.  fallen.  — 
Das  Jahr  des  Elefanten  ist  das  Jahr,  „als  der  Herr  die  Äthiopier  ver- 
nichtete, welche  die  Kaaba  zerstören  wollten".  Der  Statthalter  von 
Yemen  war  nämlich  mit  einem  Heere,  welches  Elefanten  mit  sich 
führte,  gegen  Mekka  gezogen,  um  den  dortigen  Tempel  zu  zerstören. 
Nach  einigen  Schriftstellern  soll  das  Geburtsjahr  Mohammeds  mit 
dieser  äthiopischen  Invasion  zusammenfallen;  das  Jahr  würde  dann 
571  n.  Chr.  sein. 


B)  Die  moliammedanische  Zeitreclinung. 

§  54.    Moiidmonate. 

Nach  allem,  was  ich  im  vorherg'ehenden  Abschnitt  über  das  Zeit- 
rechnungswesen der  Periode  des  Vor-Islam  mitteilen  konnte,  ersieht 
man,  daß  die  Zeitrechnung  in  Altarabien  wahrscheinlich  wenig-  ein- 
heitlich gewesen  ist  und  vermutlich  nur  eine  primitive  war.  In  West- 
und  Südarabien  hatte  vielleicht  ein  gebundenes  Mondjahr,  das  aber 
nicht  gehörig  reguliert  wurde,  im  Laufe  der  Zeit  am  meisten  Einfluß 
gewonnen.  Dieses  Mondjahr  fand  Mohammed  vor,  als  er  als  Religion- 
Stifter,  gesetzgeberischer  und  sozialer  Reformator  auftrat,  und  er  hoffte 
durch  Einführung  dieser  Jahrform  möglicherweise  auch  die  Einigung 
der  Stämme  zu  fördern,  die  er  anstrebte.  Er  erhob  also  die  Rechnung 
nach  dem  Monde,  nachdem  er  den  bisherigen  Modus  von  den  seiner 
Meinung  nach  verunstaltenden  Veränderungen  durch  das  Xasi  (sei  dies 
Einschaltung  oder  Verschiebung  von  Monaten)  befreit  hatte,  zur 
alleinigen  Zeitrechnungsform  des  Volkes.  Die  neue  Jahrform  ist  also 
keine  selbständige  Erfindung  Mohammeds ,  sondern  entsprang  aus 
der  alten  Form.  Vom  Jahre  Hidschra  10  ab  griff  das  reine 
Mondjahr,  durch  Weglassen  jedweder  Schaltung,  Platzt  Da  der 
jMohammedanismus  im  Laufe  der  Jahrhunderte  große  Verbreitung 
außerhalb  Arabiens  gewann,  verpflanzte  sich  auch  sein  Zeitrechnungs- 
system, und  letzteres  wurde  in  fernen  Ländern,  oft  nicht  viel  modifiziert, 


1)  Mohammed  bestimmt  den  Mond  ausdrücklich  zum  Zeitmesser  durch  die 
Koranverse  Sure  II  214:  ,Über  den  Mondwechsel  werden  sie  Dich  fragen;  so  sage 
ihnen,  er  dient,  den  Menschen  die  Zeit  und  die  Wallfahrt  nach  Mekka  zu  be- 
stimmen", und  durch  Sure  X5:  „Er  (Gott)  ist  es,  der  die  Sonne  eingesetzt,  um  zu 
scheinen  bei  Tage,  und  den  Mond,  zu  leuchten  bei  Nacht,  und  seine  Stellungen 
so  bestimmt  bat,  daß  Ihr  dadurch  die  Zahl  der  Jahre  und  die  Berechnung  der  Zeit 
wissen  könnt."  —  Die  Vermeidung  jeder  Veränderung  an  der  Länge  des  reinen 
Mondjahres  wird  anbefohlen  durch  die  schon  früher  i_S.  246)  zitierten  beiden  Koran- 
verse Sure  IX  36,  37. 


§  54.     Mondinoiiiite. 


25:j 


bisweilen  auch  mit  alten  einheimischen  Institutionen  verschmolzen, 
angenommen.  Wir  werden  im  vorliegenden  I.  Bande  Gelegenheit 
haben,  der  mohammedanischen  Zeitrechnung  in  Vorder-  und  Hinter- 
indien, auf  Java,  Sumatra,  zu  begegnen.  Im  laufenden  Abschnitt 
beschäftigt  uns  hauptsächlich  die  Zeitrechnung  in  Vorderasien,  die 
der  Araber.  Türken,  Syrer. 

Ich  beginne  mit  den  Mondmonaten  der  Mohammedaner.  Die 
arabischen  Namen  der  Monate  {schuh ür,  cschhur)  sind  jene,  welche 
sich  schon  vor  Einführung  der  Hidschra  eingebürgert  haben  (s.  S.  239). 
Sie  folgen  in  der  nachstehenden  Zusammenstellung  neben  den  marokka- 
nischen Namen.  Die  Namen  der  türkischen  Monate  des  Mondjahres 
unterscheiden  sich  wenig  von  den  arabischen.  Einige  Korrumpierungen 
der  arabischen  Monatsnamen  werden  wir  beim  Zeitreclmungswesen 
von  Java  und  Sumatra  (s.  §  120  und  121)  kennen  lernen. 


Arabische 

Moharrem 

Safar 

Rehi  el  awwel  {ReVi  I) 

ReM  el  äJchir  (Reh7  II) 

Dschumädä  el  ülä 

(Dschumädä  I) 
Dschumädä    el   älhira 
{Dschumädä  II) 
Redscheh 
Schcibän 
Ramadan 
Schawiväl 
Dhul-lride 
Dhul-hiddsche 


Marokkanische 
(Maghreb,  nordafrikanische) 

Äschurä  oder  el  äschür 
Schal  'el  äschür 
El  Mulüd 
Schal  'el  mülüd 
Dschemädl  el  awwel 

Dschemädi  el  äJcher 

Redscheh 

Schabän 

Ramadan 

Aid  es  srhlr  od.  el  ftar 

Bdin  el  ajäd 

Aul  el  l-ehlr 


Türkische 

Muharrem 

Safer 

Rein  ül  eiüwel 

ReM  ül  ähhir 

Dschemäsl  ül  eivtvel 

Dschemäsi  ül  äJchlr 

Redscheh 

Schahän 

Ramasän 

Schewwäl 

SllJcade 

Sllhidsche 


Die  Länge  dieser  Monate  hängt  in  der  vom  Volke  gebrauchten  Zeit- 
rechnung gemäß  der  Satzung  des  Korans  ganz  von  den  Lichtphasen 
des  Mondes  ab,  d.  h.  also,  wie  bei  den  Bab3^1oniern ,  Alt -Arabern, 
Harraniern,  Juden  u.  s.  w.,  von  dem  „Neulichte"',  dem  Tage  des  ersten 
Erscheinens  der  Sichel  nach  Neumond.  Der  Monat  dauert  vom 
Abende  dieses  Tages  bis  zum  Eintreffen  der  nächsten  Mondsichel  d.  h. 
29  oder  30  Tage ;  der  30.  Tag  wird  durch  die  Sunna  (das  Gesetzbuch 
der  Mohammedaner)  für  den  Fall  reserviert,  wenn  etwa  die  Mond- 
phase wegen  Bewölkung  des  Himmels  nicht  konstatiert  werden  kann: 
„Wenn  Euch  die  erste  Phase  bedeckt  wird,  so  gebt  dem  Monate  das 
bestimmte  Maß  von  30  Tagen".  In  dieser  Weise  werden  die  Monate 
von  Neulicht  zu  Neulicht  fortgezählt,   bis  12  derselben  vorüber  sind: 


254  Iir.  Kapitel.    Zeitreclinung  der  Mohammedaner. 

dann  beginnt  ein  neues  Mondjahr.  Der  arabisch  -  türkische  Volks- 
kalender zeigt  infolge  dieser  primitiven  Einrichtung  ein  ziemliches 
Schwanken  (von  1  bis  2  Tagen).  Alfergani  bemerkt  schon:  „Die 
Beobachtung  der  Mondphase  gibt  den  Monat  bald  länger,  bald  kürzer, 
so  daß  zwei  aufeinanderfolgende  Monate  30  oder  29  Tage  halten 
können,  und  der  Anfang  des  ]\Ionats,  wie  ihn  die  Rechnung  und  die 
Beobachtung  geben,  nicht  allemal  auf  denselben  Tag  trifft,  sondern 
sich  beide  erst  im  Verlaufe  der  Zeit  ausgleichen."  Bei  der  Ver- 
gleichung  arabisch-türkischer  historischer  Daten  mit  irgend  einer  festen 
Zeitrechnung  hat  man  deshalb,  um  die  Reduktion  richtig  ausführen 
zu  können,  besonders  auf  den  Wochentag  des  vorgelegten  Datums  zu 
achten.  Zumeist  wird  der  Wochentag  von  den  mohammedanischen 
Historikern  angegeben,  so  daß  Zweifel,  wenigstens  bei  historischen 
Daten,  nicht  allzuviele  vorkommen. 


§  55.    Der  30jährige  uud  der  8jährige  Zyklus. 

Die  arabischen  Astronomen  habe  schon  frühe,  um  die  Unsicherheit 
des  Volkskalenders  beim  Datieren  ihrer  astronomischen  Beobachtungen 
zu  vermeiden,  eine  zyklische  Rechnung  in  das  Mondjahr  eingeführt. 
Zunächst  gaben  sie,  von  der  Beobachtung  ausgehend,  daß  zwei  synodische 
Mondmonate  etwa  59  Tage  fassen,  den  Monaten  eine  abwechselnde 
Länge  von  30  und  29  Tagen,  so  daß  der  1.,  3.,  5.  .  .  .  je  30  Tage, 
der  2.,  4.,  6.  .  .  .  Monat  je  29  Tage  hält.  Die  Tageslänge  der  einzelnen 
Monate  ist  also: 


Summe 

Summe 

Moharrem 

30 

Tage 

30 

Redscheh 

30  Tage     207 

Safar 

29 

>? 

59 

Schahän 

29      „        236 

Bebt  I 

30 

;; 

89 

Ramadan 

30      „        266 

ReU  II 

29 

118 

Schawwäl 

29      „        295 

Dscliumädä  I 

30 

11 

148 

Dhiü-Tcade 

30      „        325 

Dschumädä  II  29      „        177  Dhul-hiddschc  29      „        354 

Das  gewöhnliche  (bürgerliche)  Mondjahr  zählt  somit  354  Tage.  Nimmt 
man  das  astronomische  Mondjahr  zu  354<^  8''  48'"  an,  so  kann  der 
Überschuß  des  letzteren  von  8*^  48'"  derart  eingebracht  werden, 
daß  man  denselben  auf  30  Jahre,  d.  h.  auf  264''  =  11  Tage  an- 
wachsen läßt.  Ein  30  jähriger  Zyklus  der  astronomischen  IVlond jähre 
beträgt  also  10  620  Tage  -\-  11  Tage  =  10  631  Tage,  oder  30  bürger- 
liche Jahre  und  11  Schalttage;  nach  je  30  Jahren  läßt  sich  demnach 
das  bürgerliche  jMondjahr  mit  dem  astronomischen  zur  Übereinstimmung 
bringen,  indem  man  innerhalb  des  Zyklus  elfnial  je  ein  Schaltjahr  zu 


i^  55.    Der  SOjiilirige  und  der  8  jährige  Zyklus. 


255 


355  Tagen  einschaltet.  Über  die  zweckmäßigste  Art  der  Verteilung 
der  Schaltjahre  in  dem  Schaltkreise  wurde  schon  in  der  p]inleitung 
dieses  Buches  (s.  S.  64)  darauf  hingewiesen,  daß  man  am  einfachsten 
verfährt,  indem  man  den  oben  erwähnten  Überschuß  von  8^  48*"  immer 
dann  einrechnet,  wenn  er  —  nach  Abzug  der  ganzen  Tage  —  gerade 
auf  einen  halben  Tag  angewachsen  ist.  Man  erhält  dann  das  Jahr  2, 
5,  7,  10,  13,  15,  18,  21,  24,  26,  29  des  Zyklus  als  Schaltjahre.  Statt 
des  15.  Jahres  kann  auch  das  16.  Jahr  zum  Schaltjalire  gewählt  werden, 
da  am  Schlüsse  des  15.  Jahres  der  Überschuß  über  den  vollen  Tag 
gerade  12''  beträgt.  In  der  Tat  ist  dies  die  Anordnung,  welche  von 
den  arabischen  Astronomen  angegeben  wird .  nämlich  Schaltjahre  zu 
355  Tagen  sind  das  2.,  5.,  7.,  10.,  13.,  16..  18.,  21.,  24.,  26.  und  29.  Jalir 
des  Zyklus.  Doch  muß  bemerkt  werden,  daß  diese  Anordnung  nicht 
überall  in  den  mohammedanischen  Ländern  feststehend  ist.  Der  Schalt- 
tag in  jedem  dieser  Schaltjahre  wird  immer  dem  letzten  Monate  des 
Jahres  zugeteilt;  der  Dhid-hiddsche  hat  also  in  Schaltjahren  30  Tage. 
Das  Anwachsen  der  Tage  im  30  jährigen  Zyklus  nach  dieser  Schalt- 
ordnung zeigt  folgende  Zusammenstellung;  die  mit  *  bezeichneten  Jahre 
markieren  die  l-eMse  (Schaltjahre): 


Jahr 


Summe 

Summe 

Summe 

der  Tage 

der  Tage 

der  Tage 

1 

354 

Jahr  11 

3898 

Jahr  21* 

7442 

9* 

709 

12 

4252 

22 

7796 

8 

1063 

13* 

4607 

23 

8150 

4 

1417 

14 

4961 

24* 

8505 

5* 

1772 

15 

5315 

25 

8859 

6 

2126 

16* 

5670 

26* 

9214 

7* 

2481 

17 

6024 

27 

9568 

8 

2835 

18* 

6379 

28 

9922 

9 

3189 

19 

6733 

29* 

10  277 

10* 

3544 

20 

7087 

30 

10631 

Die  Türken  bedienen  sich  in  ihren  Iius-name  (immerwährenden 
Kalendern)  eines  achtjährigen  Schaltungszyklus.  Derselbe  ist  aus 
5  Jahren  zu  354  Tagen  =  1770  Tagen,  und  3  Schaltjahren  zu  355 
Tagen  =  1065  Tagen  zusammengesetzt,  enthält  also  2835  Tage  oder 
405  Wochen.  Der  Zyklus  ist  weniger  genau  als  der  30  jährige  (s.  S.  64),  da 
8  astronomische  Mondjahre  nur  2834  Tage  22''  28,8™  ausmachen  (die 
Differenz  kompensiert  sich  in  nahezu  126  Jahren  zu  einem  Tage),  aber 
er  hat  den  Vorteil,  daß  er  volle  405  Wochen  faßt  und  dadurch  als 
Grundlage  der  immerwährenden  Kalender  gebraucht  werden  kann. 
Schaltjahre   sind   das   2.,  5.  und  7.  Jahr  des  Zyklus.     Der  Begründer 


256  III.  Ka})itel.    Zcitrccliming  der  Mohammedaner. 

der  Rechnung'  nach  achtjälirig-en  Zyklen  ist  vermutlich  Daeendeli 
]\[ehmed  Effexdi,  der  auch  sonst  in  der  Geschichte  der  türkischen 
Kalender  als  Reformator  genannt  wird. 

Mit  Hilfe  der  beiden  eben  beschriebenen  Zyklen  geben  die  Tahirim 
(die  Jahreskalender)  und  die  Rus-name  (die  immerwährenden  Kalender) 
die  Monatstage  der  ersten  sichtbaren  Sichel,  d.  h.  den  Monatsanfang 
an.  Im  Volke  wird  aber  nicht  viel  Rücksicht  auf  die  zyklischen 
Rechnungen  genommen,  namentlich  nicht,  wenn  es  sich  um  die  Fest- 
setzung des  Beginns  der  Hauptfeste  handelt.  Dann  greift  man  in 
der  althergebrachten  Weise  auf  die  unmittelbare  Beobachtung  des 
Himmels  zurück. 

Betreffs  der  Mondkalender  in  den  mohammedanischen  Teilen 
Indiens  müssen  hier  noch  einige  Bemerkungen  Platz  finden.  Bei 
der  großen  Verschiedenheit  der  geographischen  Breiten  kann  es  dort 
vorkommen,  daß  die  in  einem  der  indischen  panchang  (Kalender)  an- 
gegebenen Monatsanfänge  nicht  immer  mit  den  faktischen  Tagen  des 
Neulichts  stimmen,  denn  letztere  sind  für  die  dem  Kalender  maßgebende 
Breite  berechnet;  es  kann  die  Notwendigkeit  eintreten,  daß  man  die 
sonst  beobachtete  Abwechslung  von  29  und  30  tägigen  Monaten  unter- 
brechen und  zwei  volle  Monate  aufeinander  folgen  lassen  muß.  Ferner 
ist  darauf  zu  achten,  daß  die  Hindu  den  Tag  von  Sonnenaufgang  zu 
Sonnenaufgang  rechnen,  nicht  wie  die  Araber  von  Abend  zu  Abend. 
Infolgedessen  bezieht  sich  der  mohammedanische  erste  Monatstag  auf 
den  nächstfolgenden  bürgerlichen  im  Hindukalender.  Nach  indischer 
Zeitzählung  kommt  das  Sichtbarwerden  der  Sichel  nach  dem  Neumonde 
(amcU-äsyä-T&g)  mit  der  1.  oder  2.  tlthi  der  hellen  Monatshälfte 
(suMa  praüpadü)  überein  (s.  §  90).  Wenn  die  1.  tlthi  etwa  5  ghatiM 
(=  2  Stunden)  vor  Sonnenuntergang  endet,  ist  die  Mondsichel  meist 
an  diesem  Tage  schon  sichtbar;  fällt  das  Ende  der  1.  titlii  5  ghatllm 
nach  Sonnenuntergang,  so  trifft  das  Sichtbarwerden  der  Sichel  (chandra- 
darsana)  auf  den  nächsten  Abend. 

§  56.    Tag:esanfaiig.    Tagesteiluiig.    Wochen. 

Den  Anfang  des  Tages  rechnen  die  Mohammedaner,  wie  es  die 
Zählung  des  Monatsbeginns  nach  dem  Neulichte  mit  sich  bringt,  von 
Sonnenuntergang.  Bei  den  Arabern  ist  diese  Gepflogenheit  uralt  und 
aus  den  Zeiten  des  Gähüija  (=  Zeit  der  Unwissenheit,  d.  i.  des 
Heidentums)  mit  in  die  mohammedanische  Zeit  übernommen  worden. 
Alfeegani  berichtet:  „Sie  rechnen  den  bürgerlichen  Tag  —  jaiim 
hilaUathi  (=  Tag  mit  seiner  Nacht)  —  darum  vom  Untergange  der 
Sonne,  Aveil  sie  die  Älonatstage  von  dem  hilal,  d.  i.  der  Wahrnehmung 


i?  56.    Tagesjiiit'ang.    Tagesteilung.     Wochen.  257 

der  ersten  Mondpliase  zählen,  und  diese  Phase  beim  Sonnenuntergänge 
gesehen  wird"  ^ 

Die  Teilung  des  Tages  in  24  Stunden,  welche  den  alten 
Arabern  noch  fehlt,  tritt  bei  den  mohammedanischen  auf,  und  zwar 
in  der  Form  der  horae  temjjorales  (Einleitung  S.  95),  der  mit  der 
Ta^feslänge  veränderlichen  Stunden,  wovon  12  auf  den  Tag  und  12 
auf  die  Nacht  gerechnet  werden.  Diese  Stunden,  die  also  bei  zu- 
nehmender Ta^eslänge  länger,  bei  abnehmender  kürzer  werden,  heißen 
el  s(tät  cl  zcmanljL',  Zeitstunden.  Bei  den  Türken  unterscheidet  man 
öfters  noch  die  beiden  Tageshälften  durch  die  Bezeichnungen  rus  = 
Tag,  schch  ^  Nacht,  verwendet  aber  dort  gleichlange  Stunden-.  In 
späterer  Zeit  sind  den  Mohammedanern  durch  ihre  Astronomen  auch 
unsere  24  europäischen  Stunden  bekannt  geworden;  dieselben  werden 
cl  sadt  cl  uwsfeirye  (oder  d  uwtedih),  gleichförmige  Stunden,  genannt. 
—  Von  Wichtigkeit  für  die  Mohammedaner  sind  die  5  täglichen  Gebet- 
stunden.    Bei  den  Türken  heißen  dieselben: 

sahah  nemasi  (bei  Tagesbeginn) 

o'üe  nemasi  (um  Mittag) 

iJcindi  nemasi  (zwischen  Mittag  und  Sonnenuntergang) 

al'schani  nemasi  (nach  Sonnenuntergang) 

yatsl  nemasi  (vor  der  Schlafstunde). 

Bei  der  siebentägigen  Woche  sind  an  Stelle  der  altarabischen 
Namen  (s.  S.  242)  bei  den  Arabern  die  bloßen  Ordnungszahlen,  von 
Sonntag  ab  zählend,  getreten.  Diese  und  die  übrigen  türkischen  und 
mohammedanisch-indischen  Wochentage  heißen : 

bei  den  Arabern 

Sonntag:         jaum  el  aliad       =  der  erste 
Montag:  jaiim  el  itlinain  =  der  zweite 

Dienstag:  jmim  elthuläthä=  der  dritte 
Mittwoch :  jaum  el  arbiä  =  der  vierte 
Donnerstag:  jaum  el  khamis  =  der  fünfte 
Freitag:  jaum  el  dschuma  =  Tag  der  Zu- 

sammenkunft 
Sonnabend:    jaum  el  saht        =  der  Sabbat       seht  mni-vär  sanichar. 


Türken 

Hindu 

Hindnstani 

ahad 

ravl-vär 

itwär 

esnein 

som-vär 

somicär  (pir) 

salasa 

mangal-vär 

mangal 

erbua 

budh-vär 

budh 

khamis 

brihaspati-vär 

jxima-rät 

dschuma 

sukra-vdr 

juma 

1)  Einige  Anhaltspunkte  deuten  darauf  hin,  daß  in  ältester  Zeit  in  Arabien. 
Südbabylonien  u.  s.  w.  das  Erscheinen  des  Neumondes  (fiiläl)  durch  Feste  begangen 
worden  ist.  Hiermit  hängt  zusammen,  daß  hiläl  auch  Festjubel  bedeutet,  die  Rufe, 
mit  denen  das  Erscheinen  des  Neulichts^-Gottes)  begrüßt  wurde.  Im  Ostjordanland 
soll  hiläl  die  seltenere  Bezeichnung  für  Neumond,  die  gewöhnliche  schuhür  i^oder 
schahär  sein;  schuhtir  bedeutet  nicht  nur  Monat,  sondern  auch  Mond  (so  in  süd- 
arabischen Dialekten ,  in  aramäischen  und  südarabischen  Inschriften).  Unter  den 
arabischen  Personennamen  sind  manche ,  wo  hiläl  das  Gottesäquivalent  vorstellt 
(D.  Nielsen,  a.  a    O.,  51,  52). 

2)  Da  aber  die  24  gleichlangen  Stunden  doch  von  Sonnenuntergang  zu 
Sonnenuntergang  genommen  werden,  muß  man  die  Uhren  sehr  häufig  umstellen. 

Ginzel,   Chronologie  I.  i' 


258  III.  Kapitel.     Zeitreclinung  der  Mohammedaner. 

Der  Freitag  ist  der  „Tag-  der  Versammlung'"',  d.  li.  der  offizielle  Gebets- 
tag in  den  Moscheen.  Alfekgani  erzählt:  „Die  Tage,  nach  denen 
die  Monate  gezählt  werden,  sind  sieben,  von  denen  der  erste  j an m 
el  ahad,  erster  Wochentag,  genannt  wird.  Dieser  nimmt  mit  dem 
Untergange  der  Sonne  am  Sabbat,  ja  um  el  saht,  seinen  Anfang,  und 
währt  bis  zu  ihrem  Untergange  am  folgenden  Tage,  und  ebenso  die 
übrigen  AVochentage".  Da  also,  wie  schon  oben  bemerkt,  die  moham- 
medanischen Wochentage  früher  anfangen  als  unsere  europäischen, 
nämlich  mit  dem  vorhergehenden  Sonnenuntergang,  muß  man  bei  ge- 
naueren Keduktionen  mohammedanischer  Datierungen  auf  diesen  Um- 
stand Rücksicht  nehmen. 

§  57.    Epoche  der  Hidsclira.    Reduktion  von  Daten. 

Als  Beginn  der  Zählung  der  Jahre  gilt  bei  den  Mohammedanern 
der  1.  Moharrem  desjenigen  Jahres,  in  welchem  Mohammed,  um  den 
Bedrohungen  durch  die  Koreischiten  zu  entgehen,  seine  Flucht  von 
Mekka  nach  Medina  bewerkstelligt  hat.  Diese  Epoche  heißt  tcmeh 
el  hidschra,  das  Jahr  der  Flucht.  Die  Einführung  derselben  erfolgte 
erst  unter  dem  Kalifen  Omar.  Dieser  stellte  wegen  der  Unsicherheit, 
die  in  die  Zeitrechnung  gekommen  war,  mit  den  Führern  der  An- 
hänger Mohammeds  Beratungen  an  über  die  Einführung  einer  Epoche. 
Von  den  vorgeschlagenen  Epochen,  dem  Geburtstage  des  Propheten 
und  dem  Tage  seiner  religiösen  Erleuchtung,  sowie  dem  Tage  der 
Flucht  erschien  der  letztere  am  wenigsten  zweifelhaft,  da  man  ziemlich 
allgemein  für  den  Tag  der  Ankunft  Mohammeds  in  Medina  Montag 
den  8.  JReM  I  voraussetztet 

Die  Epoche  der  Hidschra  fällt  nach  den  orientalischen  Chrono- 
logen auf  den  15.  Juli  622  n.Chr.,  den  Tag  1  948  439  der  julianischen 
Epoche.  Als  Autoritäten  können  hier  nur  einige  angeführt  werden. 
Abulhassan  Kuschjae  sagt  (Sldsch  el  dschämi ,  1.  Buch,  IL  Kap.): 
„Die  Epoche  der  arabischen  Ära  ist  ein  Donnerstag,  und  zwar  der 
Anfang  des  Jahres,  auf  welches  die  Flucht  des  Propheten  trifft.  Dieser 
Tag  ist  der  15.  Thamuz  des  Jahres  933  Dsil  Mmniu'^  (d.  h.  der 
seleukidischen  Ära).  Die  Reduktion  dieses  Datums  gibt  den  15.  Juli 
622  n.  Chr.  Masudi  (im  Murädsch  el  dhahah)  notiert:  „Zwischen  der 
Ära  Jezdegerd  und  jener  der  Flucht  sind  3624  Tage".  Da  der 
Epochetag  der  Ära  Jezdegerd  (s.  §  69)  der  16.  Juni  632  n.  Chr. 
(=  1 952  063  Julian.  Tag)  ist ,  so  erhält  man  nach  Abzug  der 
3624  Tage  die  Julian.  Tageszahl  1948  439  =  15.  Juli  622.  Ui.ra 
Beg  berichtet  {Epochae  celebriores,  S.  7):  „Die  Epoche  der  arabischen 


1)  s.  ALBiRUNf,  a.  a.  0.,  S.  34. 


§  57.     Kpoflio  der  Jüdselira.    Reduktion  von  Daten.  259 

Ära  ist  der  Anfang  des  Mo/iarrmi  jenes  Jahres,  wo  der  Prophet  aus 
Mekka  nach  Medina  geflohen  ist.  Zufolge  der  mittleren  Bewegung 
des  Mondes  war  dies  ein  Donnerstag,  zufolge  der  ^Fondbeobachtung 
hingegen  ein  Freitag.     Wir  wählen  den  Donnerstag." 

Nach  den  Autoritäten  ist  es  zweifellos,  daß  Donnerstag  der 
15.  Juli  622  n.  Chr.  als  Ei)0che  zu  nehmen  ist.  Der  Tag  ist  dabei, 
wie  schon  oben  wegen  des  Tagesbeginnes  der  Mohammedaner  bemerkt 
wurde,  vom  Sonnenuntergänge  des  vorhergehenden  Tages  gerechnet. 
Der  Tag  15.  Juli  =  1.  Moharrem  bezieht  sich  auf  die  wahre  Kon- 
junktion des  ]\rondes.  Der  wahre  Neumond  fand  nämlich  (nach  Schrams 
Tafeln)  statt  am  1-1.  Juli  vormittags  nahe  7'"  mittlere  Zeit  Mekka. 
Als  Konjunktionstag  konnte  deshalb  von  den  mohammedanischen 
Astronomen  der  15.  Juli  angenommen  werden.  Diesen  Epochetag  wird 
man  wählen  müssen,  wenn  Daten,  die  sich  an  die  Neumonde  knüpfen, 
also  astronomische,  zu  reduzieren  sind.  Sollen  aber  die  Monate  der 
Hidschra-Jahre  so  anfangen ,  wie-  es  der  Volksgebrauch  \\i\\,  nämlich 
mit  dem  Sichtbarwerden  der  ersten  ]\Iondsichel ,  so  muß  man  mit 
dem  Epochetage  einen  Tag  später  anfangen,  d.h.  vom  16.  Juli  aus- 
gehen. Freitag  der  16.  Juli  622  wird  also  als  Epoche  für  die  Fälle 
gelten,  wenn  die  zj^klische  Eechnung  mit  dem  Volkskalender  über- 
einstimmen soll. 

Die  Epoche  der  Hidschra  fällt  keineswegs  mit  dem  Tage  der 
Flucht  Mohammeds  zusammen.  Wie  schon  aus  dei-  kurz  vorher  ver- 
merkten Äußerung  Albirunis  ersichtlich,  wird  die  Ankunft  des 
Propheten  in  Medina  in  den  Bebt  I,  auf  einen  Montag  gesetzt.  Als 
Tag  wird,  je  nach  den  Traditionen  schwankend,  der  2.,  8.  oder 
12.  Rein  angegeben.  Einigen,  obwohl  nicht  einwandfreien  Anhalt  zur 
näheren  Bestimmung  des  Tages  der  Flucht  kann  die  von  mehreren 
Autoren  überlieferte  Nachricht  bieten,  die  Juden  hätten  bei  der 
Ankunft  des  Propheten  in  3Iekka  ihren  Äschürä-Hdig  (Fasttag)  ge- 
halten %  und  der  Prophet  habe  auf  die  erhaltene  Auskunft  über  die 
Bedeutung  dieses  Tages  ebenfalls  den  Äschära-l2i^  als  Fasttag  zu 
halten  befohlen.  Nach  Albiruni  feierten  die  Juden  Aschürä  (gleich- 
bedeutend mit  Kipur  =  Versöhnungstag)  am  10.  Tisri.  Im  Jahre 
622  n.  Chr.  fiel  danach  der  10.  Tisri  (4383  der  jüd.  Ära)  auf  Montag 
den  20,  September,    Wie  Mahjmud  Effendi  zeigt,  fand  im  September 


1)  Die  Tradition  ist  keineswegs  einstimmig  darin,  ob  der  Ankunftstag  mit 
dem  Aschürä  zusammenfiel.  Ibn  KelbI  seheint  der  erste  gewesen  zu  sein,  der 
beide  Tage  koinzidieren  ließ.  Nach  der  Ausdrucksweise  anderer  Autoren  (wie 
Ibn  Gobayr,  Bochary^  kann  aber  auch  angenommen  werden,  daß  dem  Mohammed 
das  Fasten  der  Juden  erst  einige  Zeit  nach  seiner  Ankunft  bekannt  geworden  ist 
(s.  Sprenger,  Lehen  Mohammeds,  III,  S.  53). 

17* 


260  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

der  Neumond  am  10.  September  um  ]\[itternaclit  statte  es  konnte  also 
die  erste  Sichel  kaum  vor  dem  12.  September  gesehen  werden.  War 
somit  der  1.  Rein  I  am  12.  September,  so  war  der  8.  Rein  I,  der 
wahrscheinlichste  der  traditionellen  Angaben,  der  19.  September,  oder 
wenn  die  Sichel  einen  Tag  später  gesehen  wurde,  der  20.  September. 
Danach  fiele  der  Ankunftstag  8.  Rehi  I  =  20.  September  mit  dem 
Äschüi'ä -Festen  zusammen  und  wäre  um  67  Tage  von  der  Epoche 
der  Hidschra  15.  Juli  entfernt.  Hiermit  stimmen  die  Ansichten  der 
orientalischen  Autoren  überein.  Bei  Abulpeda  (Änncd.  Musehn.,  1  62) 
heißt  es:  „Die  Flucht  von  Mekka  nach  Medina  erfolgte,  als  von  dem 
ersten  Jahre  bereits  der  Moharrem,  der  Safar  und  8  Tage  des  Rein 
el  atvwel  verflossen  waren"  (d.  h.  67  Tage);  sowie:  „Als  man  be- 
schlossen hatte,  die  Flucht  zur  Epoche  der  neuen  Zeitrechnung  zu 
machen,  zählte  man  von  derselben  68  Tage  zurück  bis  zum  1.  Moharrem, 
den  man  für  den  Anfang  der  Ära  nahm."' 

Die  Reduktion  mohammedanischer  Datierungen  auf  entsprechende 
der  christlichen  Zeitrechnung  kann  nun,  da  die  Epoche  der  Hidschra 
feststeht,  ausgeführt  werden.  Man  hat  zu  beachten,  ob  man  den 
Volkskalender  oder  die  zyklische  Rechnung  der  Astronomen  zugrunde 
legen  will.  Im  ersten  Falle  hat  man,  wie  früher  bemerkt,  vom 
16.  Juli  622  n.  Chr.,  im  anderen  vom  15.  Juli  auszugehen.  Die 
Ungenauigkeit,  die  aus  der  eventuellen  Unsicherheit,  welcher  Kalender 
der  maßgebende  sei,  folgt,  läßt  sich  beseitigen,  falls  der  Wochentag 
angegeben  ist.  Außerdem  hat  man  noch  auf  die  Rechnung  des  Tages 
von  Sonnenuntergang  entsprechend  Rücksicht  zu  nehmen. 

Die  ScHEAMSchen  Tafeln  kann  man  für  beide  Fälle  gebrauchen,  ob 
man  nach  dem  Volkskalender  oder  dem  astronomischen  rechnen  will. 
Ob  der  richtige  Tag  getroffen  wurde,  entscheidet  die  Division  der 
von  den  Tafeln  gelieferten  Zahl  durch  7;  der  Rest  der  Division,  von 
0  =  Montag  an  gezählt,  liefert  den  Wochentag. 

Die  umständlichere  Regel  Idelees  zur  Reduktion  der  mohamme- 
danischen Daten  auf  christliche  soll  der  Leser  hier  nicht  vermissen: 
Man  dividiert  die  Zahl  der  abgelaufenen  Hidschra- Jahre  durch  30 
und  multipliziert  den  Quotienten  mit  10631;  hierzu  addiert  man  die 
dem  Reste  entsprechende  Tageszahl  aus  der  Tabelle  S.  255  und  die 
dem  ]\[onatsdatum  entsprechende  Tageszahl  nach  der  Tabelle  S.  254. 
Zur  so  gebildeten  Summe  kommt  noch  die  Grundzahl  227  015,  nämlich  die 
vom  1.  Januar  1  n.  Chr.  bis  zum  15.  Juli  622  abgelaufenen  Tage. 
Die   Division    der   Summe    durch    1461    (die   Tage    der   vierjährigen 

1)  Nach  ScHKAMs  Neuraoudtafehi  um  2^  40™  Mekka-Zeit  nach  Mitternacht.  — 
Über  das  Zusammenfallen  der  Aschürä-Fsisten  mit  der  Ankunft  Mohammeds  in 
Medina  vgl.  auch  AlbikünI,  a.  a.  0.,  S.  ;327. 


§  57.     Ki)()cli('  der  llidselir;i.     IJcduktiidi  von  Daten.  261 

Schaltperiode)  ergibt  als  Quotienten  die  Zahl  der  Schaltperioden ;  die- 
selbe ist  mit  4  zu  multiplizieren.  Vom  Reste  der  Division  sind  365 
so  oft  abzuziehen,  als  es  mötrlich  ist,  und  für  jeden  Abzu«-  ist  das 
Plus  von  einem  Jahre  zum  Produkte  hinzuzurechnen.  Der  letzte  Rest 
gibt  die  Anzahl  julianische  Tage,  die  in  Monate  und  Tage  zu  ver- 
wandeln sind.  Den  entsprechenden  Wochentag  erhält  man  durch  Di- 
vision der  abgelaufenen  Tageszahl  (d.  h.  ohne  die  Grundzahl;  durch  7. 
Der  Rest  1  entspricht  dem  Donnerstag,  2  dem  Freitag  u.  s.  w.,  wenn 
man  vom  Donnerstag  als  Epochetag  ausgeht;  der  Rest  1,  2,  ...  . 
entspricht  dagegen  Freitag,  Sonnabend  .....  wenn  Freitag  als  Epoche- 
tag der  Hldschra  angenommen  wird. 

Als  Beispiel  gebe  ich  die  Ermittlung  des  Datums  einer  Sonnen- 
finsternis. In  der  Geschiclite  des  ottomanischen  Kaisertums  des 
Baschid  Effendl'-  heißt  es:  „Am  29.  Eedschch  1071  gegen  :\rittag 
wurde  die  Sonne,  deren  Durchmesser  nach  astronomisclier  Weise  zu 
12  Zollen  gezählt  wird,  ganz  verfinstert.  Der  ganz  klare  Tag  schien 
in  Nacht  verwandelt.  Die  schnell  und  total  eintretende  Finsternis 
verursachte  im  größern  Teile  des  Volkes  solchen  Schreck,  daß  viele 
in  die  Moscheen  eilten,  um  sich  dort  niederzuwerfen  und  heiße  Gebete 
zu  verrichten-.-'  Die  Reduktion  des  Datums  ist  nach  Schkams  Tafeln 
und  nach  Idelee  folgende: 

Schräm 

Tafel  Arab.  türk.  Jahr  1071  JRpdschph  29  =  2  327  817 

Korresp.  greg.  Kai.  Tafel  =  2  327  787 

=  1661  März  0  +  30 

Daher  das  Datum  =  1661  n.  Chr.  30.  März  gregor. 

Der  Wochentag  ist  Mittwoch  (Rest  =  2). 

Ideler 

1070  :  30  =  35  +  20 

10  631  •  35  ==  372  085 

Tageszahl  der  20  Jahre  =       7087 

Tageszahl  des  29.  Redscheh  =         206 

379  378 
hierzu  Grundzahl  227  015 
606  393 
606  393  :  1461  =  415  Zyklen 
Rest     78  Tage 
Datum  =  415  •  4  =  1660  Jahre  +  78  Tage 

Datum  daher  =  1661  n.  Chr.  19.  März  jul.  =  29.  März  gregor. 

1)  Fundgruben  des  Orients,  Wien,  Bd.  IV,  1814,  S.  263. 

2i  Die  Sonnenfinsternis  war  für  Konstantinopel ,  wie  die  Rechnung  ergibt^ 
total    12  Zoll);  die  größte  Phase  trat  einige  Minuten  nach  dem  Mittag  ein. 


262  III.  Kapitel.     Zeitreclmuiii;'  der  Mohammodiiiier. 

Da  die  Mondsichel,  welche  den  Anfang-  des  Bedf^cheh  bestimmte,  erst 
am  2.  März  abends  sichtbar  werden  konnte,  begann  der  29.  Eedscheh 
nach  dem  Volkskalender  am  30.  März  abends;  die  obige  Datie- 
rung ist  also  im  astronomischen  Sinne  zu  verstehen.  —  Für  den 
entgegengesetzten  Fall,  die  Verwandlung  eines  Datums  der  christ- 
lichen Zeitrechnung  in  das  entsprechende  mohammedanische,  ist 
die  Anwendung  der  iDELEiischen  Regel  die  umgekehrte.  Ein  Beispiel 
wird  zur  Illustration  derselben  genügen.  Welchem  Tage  der  Hldschra 
entspricht  der  7.  Januar  1905  n.  Chr.?  Das  julianische  Datum  dieser 
Datierung  ist  1904,  25.  Dezember.    Man  hat: 

1903  :  4  =  475  Schaltperioden.  475  •  1461  =  693  975  Tage 

Rest  3  Jahre  3  Jahre  =       1095 

Tage  vom  1.  Jan.  — 25.  Dezb.  =        359 
Vom  Anfang  1  n.  Chr.  bis  25.  Dezb.  1904  =  695  429  Tage 
ab  die  Grundzahl  =  227  015 

468"4U  Tage 

468  414  :  10  631  =  44  mohammedanische  Schaltzyklen. 
Rest  650  Tage  =  1  Jahr  296  Tage  nach  Tabelle  S.  255. 
44  •  30  =  1320  Jahre  der  Hidschra. 

Somit  das  Datum  (1320  +  1)  Jahre  296  Tage  =  1322  Hidschra 
1.  Dhid-l-ade. 

Oder  mit  Hilfe  der  ScHEAMSchen  Tafeln: 

Gregor.  Kai.  Tafel  1905  n.  Chr.  7.  Jan.  =  2  416  853 
Korresp.  arab.  Kai.  Tafel  =2  416  852 

=  1322  Hidschra  BhuJ-l-ade  0  +  1 

Datum  somit  1322  Huhchra  1.  Dhul-lcade. 

Gegenwärtig  existieren  bereits  eine  Anzahl  Werke,  welche  die 
Umwandlung  der  mohammedanischen  Datierungen  in  christliche 
möglichst  vereinfachen,  indem  sie  für  eine  größere  Zahl  Hidschra- 
Jahre  entsprechende  Daten  (z.  B.  von  Monat  zu  Monat)  direkt  an- 
geben. S.  hierüber  die  Notizen  sub  „Literatur"  am  Schluß  dieses 
Kapitels.  Die  ScHKAMSchen  Tafeln  reichen  für  viel  weitere  Zeiten 
aus  und  lassen  an  Einfachheit  nichts  zu  wünschen  übrig. 

Schließlich  mag  noch  bemerkt  werden,  daß  nach  Albiruni  das 
Volk  die  zehn  Jahre,  welche  zwischen  der  Epoche  der  Hidschra  und 
dem  Tode  Mohammeds  liegen,  mit  besonderen  Namen  benannt  hat, 
nach  darin  stattgehabten  Ereignissen:  das  erste  Jahr  das  „Jahr  der 
Erlaubnis",   das  zweite  „das  Jahr  der  Ordnung  des  Kriegs"  u.  s.  w. 


v^  58.     Fremdi'  von  deu  Muhummedauern  gcbrauclite  Aren.    Sümicnjahrc.   263 

55  58.    Freiiule  von  den  Mohaininedancrn  j^ebriiuclite  Ären. 

Sonnenjahre. 

Die  früheste  von  den  fremden  Zeitreclinun^sformen ,  welche  die 
Araber  aus  Nachbarländern  übernahmen,  war  wohl  die  alexandrinische. 
Sie  adoptierten  die  altägyptischen  Monatsnamen,  welche  wir  schon  bei 
der  Zeitrechnung  der  Ägypter  (s.  S.  156)  kennen  gelernt  haben;  sie 
nennen  die  ägyptischen  Monate  schuhür  el  Jceht,  Monate  der  Kopten. 
Die   korrumpierten   Namen   dieser   Monate,   vom   ersten,   dem   Thoth, 


angefangen,  sind  bei  den  Arabern 

folgende : 

oy 

Tut 

o'w.i/a  J 

Barmahat 

».j'wJ 

BfWeh 

»Vy 

Bammele 

jy^^ 

Hätär 

1JW.Ä-CC0 

Beschnes 

^^^/ 

Kijäh 

^ij^ 

BaCnie 

».iJS 

Tobe 

i^^-iwjl 

Eluh 

,j^Äm.a\ 

AmscMr 

L5y^ 

Mlsra  (Mesri) 

Jeder  der  Monate  hat  30  Tage,  am  Schluß  des  letzten  Monats  folgen 
5  Ergänzungstage  (ejäm  e'  nest)  und  alle  vier  Jahre  ein  sechster 
Epagomenentag.  Damit  hatten  die  Araber  das  Sonnenjahr  bei  sich 
eingeführt.  Bei  den  Kopten  heißen  die  5  Epagomenen  mskor  iiKo-yKi  = 
der  kleine  Monat,  wovon  das  arabische  el  schehr  el  mgJür.  Mit  den 
Monaten  übernahmen  die  Araber  zugleich  die  Diokletianische  Ära  (bei 
den  Kopten  „Märtyrerära",  s.  S,  230),  welche  sie  tdrk-h  el  Jceht  oder 
tänch  dil-letjfoius,  oder  auch  tärk-h  el  schohada  nennen.  Sie  wird 
in  den  Kalendern  häufig  neben  dem  Hidschra  -  Jahre  angegeben;  so 
ist  in  einem  Rus-name  von  1224  Hid.  das  Anfangsdatum  des 
Sonnenjahres  5.  Safar  1224  richtig  auf  den  13.  Barmahat  1525 
Diokletianische  Ära  reduzierte  Die  arabischen  Astronomen  scheinen 
die  Ära  wenig  zu  Datierungen  zu  verwenden. 

Stark  verbreitet  ist  bei  den  Mohammedanern  die  seleukidische 
Ära.  Sie  muß  in  Vorderasien  sehr  bekannt  gewesen  sein,  da  sie  zu 
Zeiten  AlbIeuxis  noch  viel  bei  den  Datierungen  gebraucht  wurde. 
Die  Ära  heißt  bei  den  Arabern  tarlch  el  räm,  Ära  der  Römer,  oder 
tänch  Ishender,  Ära  Alexanders,  und  tänch  dhu-l-Jcarnaini ,  die  Ära 
des  Zweigehörnten  (Alexander  heißt  bei  den  Arabern  „der  Zwei- 
gehörnte"). Sie  wird  in  den  Bus-name  astronomisch  d.  h.  von 
311  V.  Chr.   ab   gezählt   und   mit   den   sjTischen  Monaten  {schuhür  el 

1)  Fundgruben  des  Orients,  a.  a.  0.,  57. 


264 


III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 


rum  =  Monaten    der   Römer,    weil    sie    mit    den   nimisdien   parallel 
laufen)  verbunden.     Die  Namen   der  syrisch -arabischen  Monate  sind: 

Länge        Entsprech.  römische 


Tlschrhi  eJ  awireJ 

31 

Tage 

Oktober 

Tischrhi  el  acher  (cl 

t/nnii) 

30 

November 

Kanün  el  awivel 

31 

>5 

Dezember 

Kanün  el  acher 

31 

»? 

Januar 

Schebät 

28 

od. 

29 

« 

Februar 

Ädär  oder  Adsär 

31 

)! 

März 

Nisän 

30 

r 

April 

Ijär  oder  Ajar 

31 

» 

Mai 

Hazträn 

30 

» 

Juni 

Tamaz 

31 

J? 

Juli 

Ahh 

31 

)? 

August 

Eilül 

30 

» 

September 

In  diesem  Sonnenjahre  läuft  also  das  syrisch- arabische  Datum,  g-emäß 
dem  ursprünglichen  Oktober-Beginn  des  syrischen  Jahres,  vom  Oktober 
an  der  julianischen  Datierung  parallel;  der  5.  Tischrm  el  atvivel  = 
5.  Oktober  Julian,  u.  s.  w. 

Die  Einführung  der  beiden  vorg'enannten  julianischen  Jahrformen 
beweist,  daß  die  Mohammedaner  im  Laufe  der  Zeit  das  Mondjahr  (el 
Sana  el  hmiarijc)  zur  alleinigen  Richtschnur  nicht  genügend  fanden, 
und  daß  sie  sich  genötigt  gesehen  haben,  zum  Sonnenjahre  (el  sana 
el  schemsyje)  zu  greifen.  Besonders  eindringlich  stellte  sich  die  Not- 
wendigkeit eines  Sonnenjahres  dort  ein,  wo  der  Ackerbau  gepflegt 
wurde,  und  man  verschiedene  mit  der  Bestellung  der  Felder  verknüpfte 
Tätigkeiten  beim  Eintritt  bestimmter  Jahreszeiten  und  Monate  vor- 
nehmen mußte.  Auf  die  Erträgnisse  des  Ackerbaues  gründete  sich, 
wie  seit  alter  Zeit  in  Ägypten,  die  Besteuerung;  die  Erhebung  der 
Steuern,  der  noch  vielfach  üblichen  Naturallieferungen,  verlangte  von 
selbst  nach  einem  mit  den  Jahreszeiten  verbundenen  Regulativ.  Nach 
der  Invasion  Ägyptens  durch  die  Araber  entstanden  deshalb  bald 
Bauernjahre  und  Steuerjahre  (charädschije ,  von  charadsch  =  Grund- 
steuer), die  auch  von  den  mohammedanischen  Kalifen  angenommen 
wurden,  da  sie  für  gewisse  Zwecke  das  Mondjahr  unbequem  finden 
mußten \     Ein   solches   charadsch- Jahr  führte   in  Ägypten   der  Kalif 


1)  Wassaf,  der  Wesier  GJiasans,  verbreitet  sicli  in  seiner  Geschichte  Persiens 
eingehend  über  die  Mißstände,  die  aus  der  Verschiedenheit  des  Mondjahres  gegen 
das  Sonnenjahr  hervorgingen :  ^Die  arabischen  Stämme  gründen  die  Berechnung 
ihrer  Fasten,  die  Feste,  die  Pilgerschaft,  die  Zeit  des  Almosens  und  der  Erlegung 
der  Kopfsteuer   und   des  Grundzinses   auf  das  Mondjahr.     Ihre  Zeitberechnung  ist 


ij  58.     Frcindc  von  cU'ii  .Mnhiiiniiifdiiiicni  j,'<'l)riUR'lit('  Aren.    Soniicnjalirc    265 

el  AzU  mit  1.  Moharrem  366  Hidschra  {=  29.  Aug.  976  u.  Chr.) 
ein;  Anfang  und  Ende  dieses  Steuerjalires  fällt  mit  dem  ägyptischen 
Sonnenjahre  zusammen,  die  Jahre  werden  aber  nach  der  Hidsc/na  ge- 
zählt; z.  B.  ist  das  Jahr  1091  n.  Chr.  =  484  Hid.,  aber  =  481 
c/iaradsc/i.  Unter  Mustahir  wurden  diese  Steuerjahre  wieder  ab- 
geschafft (501  Hid.  =  1107  n.  Chr.).  In  Ägypten  ist  diese  Jahrform 
auch  als  bürgerliches  Jahr  im  Gebrauche  gewesen  ^  Zu  diesen  Ver- 
suchen gehört  auch  noch  der  des  arabischen  Kalifen  Mothedhad  (des  16. 
der  Beni  Ahbas),  welcher  im  'S.  Jahre  seiner  Regierung  (281  H'id.  = 
894  n.  Chr.).  als  der  Unterschied  zwischen  dem  Steuerjahr  und  bürger- 
lichen Jahre  (Sonnen-  und  ]\roncljahre)  sehr  störend  empfunden  ward, 
eine  neue  Ära  aufstellte,  welche  mit  dem  11.  Juni  1207  der  Ära 
Alexanders  [seleuk.  Ära]  =  11.  Juni  896  n.  Chr.  beginnen  und  jenen 
Unterschied  regulieren  sollte.  Die  Ausgleichung  war  aber  nur  eine 
unvollkommene.  Einige  Notizen  hierüber  besitzen  wir  durch  IscddpwJft, 
welche   Wassaf  in  seiner  Geschichte  Persiens  aufgenommen  hat-. 

Das  türkische  Sonnenjahr  (mällJe-Jaihr).  welches  neben  dem 
Mondjahr  (dieses  gilt  mehr  für  religiöse  Zwecke)  läuft  und  das  offizielle 
Jahr  darstellt,  nimmt  seine  Monate  teils  aus  dem  sjTischen,  teils  aus 
dem  europäischen  Kalender,  wie  aus  den  folgenden  Monatsnamen 
erhellt : 

Länge     Entsprech.  Julian.  Monate 


Azer  oder 

Mart 

31 

Tage 

März 

I^'issän 

30 

H 

April 

Mais 

31 

» 

.^lai 

Hazvrän 

30 

5? 

Juni 

TemmCiz 

31 

»1 

Juli 

ein  wirkliches  Mondjahr  ....  Deshalb  kommt  bei  ihnen  die  Zeit  der  Einbringung 
der  Einkünfte  .  .  .  immer  herunter  .  .  .  Die  Rechnung  des  Ertrages  an  Körnern, 
an  bestimmten  Erhebungen  ....  der  Clruudsteuer  geschieht  nach  Sonnenjahren; 
iu  den  gesetzlichen  Handlungen  hingegen,  in  der  Einsendung  des  Almosens,  in  den 
Zeiten  der  Andachtübungen,  in  den  Terminen  der  Pachtungen  und  Kornlieferungen 
und  anderen  öftentlicheu  Verhandlungen  halten  sie  sich  an  das  Mondjahr.  Wenn 
dieses  Ineinandergreifen  des  Sonnen-  und  Mondjahres  übersehen  und  vernachlässigt 
würde,  so  vpürden  daraus  Ausfälle  entstehen,  denn,  wenn  das  Steuerjahr  zu  Ende, 
so  benannten  sie  den  ^_ins  neue  Mondjahr  hineinlaufenden^  Überschuß  desselben 
nach  dem  vorhergehenden  Jahre,  während  es  eiforderlich  gewesen  wäre,  daß  sie 
denselben  vom  vorigen  abgezogen  und  zu  dem  folgenden  geschlagen  hätten  .  .  .  ." 
,s.  Hammer-Puegstall  ,  Geschichte  der  Ilchane .  Darmstadt  1842  43,  vol.  II,  Bei- 
lage VII). 

1)  Einen  Bauernkalender,  der  auf  die  Jahreszeiten  Rücksicht  nimmt  und 
z.  B.  noch  den  Siriusaufgang  auf  den  20.  Juli  setzt  (s.  Ägypter; ,  findet  man  in 
den  Auszügen  der  ägyptischen  Geschichte  des  Schemseddin  Mohammed  {Notices  et 
extraits  des  manuscr.  de  la  biblioth.  imper.,  I  263,  Paris). 

2/  s.  Hamjier-Purgstall,  a.  a.  0.,  vol.  II  175. 


266  III.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

Länge     Entsprech.  Julian.  Monate 


Äh  oder  Agosfo 

31 

Tage 

August 

EU  Cd 

30 

?? 

September 

Teschrhi-i-einvcl 

31 

>: 

Oktober 

Teschrm-i-särü 

30 

November 

Kuinän-i-ewwel 

31 

« 

Dezember 

Kiänün-i-säm 

31 

») 

Januar 

SchuMt       28  od. 

29 

» 

Februar 

Das  Jahr  hat,  wie  die  Monatslängen  zeigen,  ganz  die  Form  des  julia- 
nischen Jahres,  der  Schalttag  fällt  auf  den  letzten  Jahrestag  im 
Februar.  Aus  dem  letzteren  Umstände  folgt,  daß  diejenigen  Jahre 
Schaltjalire  sind,  welche  ein  Jahr  vor  den  Schaltjahren  der  christlichen 
Ära  liegen,  z.  B.  1903.  Die  Datierungen  laufen  (vom  1.  März  Julian.) 
mit  den  julianischen  parallel.  Das  J/r?%e-Jalir  war  ursprünglich  eine 
arabische  Jahrform  (im  4.  Jahrh.  der  HhlM-hra  von  dem  Abbasiden 
TaiMäh  begründet)  und  wurde  1087  Hld  (1677  n.  Chr.)  von 
den  Türken  angenommen.  Letztere  zählen  die  Jahre  nach  Hidschra- 
Jahren.  Da  diese  Jahre  infolge  ihrer  Kürze  in  33  Jahren  gegen  das 
Sonnenjahr  um  ein  volles  Jahr  voraus  sind,  mußte,  wenn  die  Hidschra- 
Jahre  zur  Numerierung  angewendet  werden  sollten,  alle  33  Jahre 
ein  Jahr  ausfallen.  Diese  herausfallenden  Jahre  hießen  Siwhch.  Im 
Jahre  1288  Hid.  (1871  n.  Chr.)  ist  die  Zählung  nach  Huhchra- 
Jahren  infolge  eines  Übersehens  des  letzterwähnten  Umstandes  etwas 
in  Unordnung  geraten  i. 

Die  Datierung  nach  fremden  Ären,  wie  der  griechischen  AVeltära 
und  der  christlichen  Ära,  kommt  bisweilen  auch  offiziell,  in  Schrift- 
stücken von  Sultanen  und  Würdenträgern,  vor.  Hldschra- Jahre, 
welche  die  Türken  im  Verkehre  mit  den  fremden  Mächten  angeben, 
werden  ausdrücklich  als  solche  bezeichnet. 


§  59.    Beschreibuiii;'  eines  Riis-iiame. 

Zur  Illustration   der  Einrichtung   der   immerwährenden  Kalender 
folgt   hier   eine  kurze  Beschreibung  der  hauptsächlichsten  Teile  eines 


1)  Das  letzte  Shüisch-Jahr  war  1255  Hidschrn.  Das  nächste  Snvisch  hätte 
1288  sein  sollen.  Aus  Versehen  wurden  aber  die  Coupons  der  ottomanischen  Schuld- 
verschreibungen mit  1288  HidscJira  bezeichnet.  Trotz  eines  Vorschlages  einer 
Kommission  beließ  man  das  fehlerhafte  Finanzjahr  in  der  Zählungsordnung.  Daher 
weicht  jetzt  die  Nummer  der  Ma^ye-Jahre  von  den  Hidschra- Jahren  in  einem  Teile 
des  Jahres  um  1,  im  anderen  um  2  ab  (s.  Ghazi  Ahmku  Mukhtar  Pascha,  La 
refnrme  du  calendrier,  traduit  par  0.  N.  E.,  Leyde  1893;  dort  auch  Vergleiehungs- 
tafeln  der  Jahre). 


ij  59.     Ik'schrt'ibung  eines  Iviis-uame. 


267 


türkisclien  Bux-namc   welclien  Navoni  veröffentlicht  hat'.     Folgende 

5  Tafeln  stehen  an  der  Spitze  des  Rus-namc ;  die  ersten  3  beziehen 

sich  auf  das  moliaiiimedanische  Mondjahr,   die  beiden  letzten  auf  das 
türkische  Sonnenjahr. 


Miüiarrem 
7 


B  (J  H  V  A 

Safer        Bebl  ül  etvivel  Bebi  ül  äkhir  Dschemasi  1  j  Dsckemäsi  II 

2  '  3  5  '  6  I 


B 

Eedscheb 

2 


D 

Schabän 
4 


H 

Bamasän 
5 


Z 

Scheivtcäl 
7 


A 

Silkade 
I 


G 

Silhidsche 
3 


IL 


III. 


IV 


Sjähriger  Zyklus  Dschedwedi-Gurre-nima  (Neumond-Anzeiger) 

1  5374264 

1224 


Türkische  Wochentage 


i  2  '  3  I  4  5  '  6  7 

ahad  esneiti      ■     salasa     i      erbua  khmnis         dschuma  sebt 

Sonntag    |    Montag    i  Dienstag      Mittwoch  i  Donnerstag      Freitag    1  Sonnabend 


lO 


1 1 


12 


13 


14 


4561       2346 


Konkurrentes 
7124       5672       3457       1235       613 


Namen  der  türkischen  Sonnenmonate. 


5 
Mart 

[März] 


Nissan 
[April] 


7 

Eilül 

[September] 


Teschrin  I 
[Oktober] 


Mais 

[Mai] 


6 

Hazirän 

[Juni] 


5  !      _7 

Teschrin  II      Kiänun  I 
[November]      [Dezember] 


Temnna 
[JuU] 


Ab,  Agosto 

[AugustJ 


Kiänun  II 
[Januar] 


6 

Schubät 
[Februar] 


Die  Tafel  I  zeigt  an,  mit  welchem  Wochentage  die  arabisch-türkischen 
Monate  Muharrem ,  Safer  u.  s.  w.  beginnen,  den  Anfang  des  ersten 
Monats  auf  Sonnabend  (7.  Wochentag)  vorausgesetzt.  Die  Buchstaben 
über  den  Monatsnamen  dienen  den  Türken  zum  Merken  der  darunter 
gesetzten  Zahlenwerte.  Die  8  Zahlen  der  Tafel  II  zeigen  an.  mit 
welchen  Wochentagen  die  8  Jahre  des  achtjährigen  Schaltzj'klus 
(s.  vorher  S.  25.5)  beginnen.  Man  wird  also  die  Zahlen  der  Tafel  I 
mit  einer  bestimmten  Zahl  der  Tafel  II  zu  verbinden  haben,  um  für 
ein  vorgelegtes  Jahr  der  Hldschra  den  Anfangswochentag  der  einzelnen 
Monate  des  Jahres  zu  erhalten.  Zu  diesem  Ende  muß  bekannt  sein, 
das  mevielte  Jahr  des   achtjährigen  Zyklus  das  vorgelegte  Jahr  ist. 


1)  Fundgruben  des  Orients,  IV  52,  467. 


268  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

In  den  Bus-name  findet  sich  deshalb  unter  oder  über  einer  der 
Zyklus-Zahlen  Tafel  II  die  Jahreszahl  angesetzt,  welche  zur  bestimmten 
Zykluszahl  gehört;  in  dem  vorliegenden  Rus-name  von  1224  Hidschra 
steht  diese  Jahreszahl  unter  5,  der  zweiten  Zykluszahl,  d.  h.  das 
Hidschra -Jahr  1224  ist  das  zweite  des  achtjährigen  Zyklus.  Die 
Ordnungszahl  des  Hidschra- Jahres  im  Zyklus  bestimmt  sich  leicht 
durch  die  Bemerkung,  daß  den  bei  der  Division  der  Jahreszahl  durch 
8  übrig  bleibenden 

Resten     12     3     4     5     6     7     0 
die  Jahre     3     4     5     6     7     8     12 

entsprechen.  1224  :  8  =  153,  Eest  =  0,  somit  Ordnungszahl  im 
Zyklus  =  2.  Die  Addition  der  Zykluszahl,  welche  zum  gegebenen 
Jahre  gehört,  zu  den  Zahlen  aus  Tafel  I  liefert  nun  die  Wochentage 
der  einzelnen  Monate,  indem  man  diese  aus  Tafel  III  entnimmt;  ist 
die  Summe  aus  Tafel  II  und  I  größer  als  7,  so  hat  man  7  abzuziehen. 
Um  letzteres  zu  ersparen,  sind  in  Tafel  III  noch  die  Zahlen  8 — 14 
angesetzt.  Man  erhält  also  den  Wochentag  des  1.  Safer  =  5  +  2  = 
7  =  seht  =  Sonnabend;  den  Wochentag  des  1.  Bebt  1  =  5  +  3  =  8:= 
ahad  =  Sonntag  u.  s.  f. 

Die  weiterfolgende  Tafel  IV  enthält  die  28  Jahre  des  Sonnen- 
zirkels ^  Die  erste  dort  stehende  Zahl  4  bezieht  sich  auf  das  Jahr, 
für  welches  der  Bus-name  den  Anfang  macht,  nämlich  1224  Hidschra  = 
1809  n.  Chr.;  die  zweite  Zahl  5  gehört  1810  n.  Chr.  an,  u.  s.  w.  Um 
die  Wochentage,  mit  welchen  die  einzelnen  Monate  des  türkischen 
Sonnenjahres  anfangen,  zu  ermitteln,  hat  man  die  Ausgangszahl  4 
mit  den  Zahlen  der  Tafel  V  zu  verbinden.  So  wird  man  für  den 
1.  Hazlrdn  die  Summe  4  +  6  =  10  und  mittelst  letzterer  Zahl  aus 
Tafel  III  den  Wochentag  salasa  =  Dienstag  erhalten.  Diese  Wochen- 
tage gelten  natürlich  nur  bei  Zugrundelegung  der  julianischen  Rechnung. 
Ich  setze  hier  die  aus  den  Tafeln  IV,  V  und  III  sich  so  für  das 
Jahr  1224  Hid.  ergebenden  Wochentage  der  Monatsanfänge  her,  und 
daneben,  um  den  Beweis  zu  liefern,  daß  die  Tage  mit  der  julianischen 
Rechnung  stimmen,  auch  die  nach  Scheams  Tafeln  aus  der  Division 
der  julianischen  Tage  durch  7  folgenden  Reste,  welche  den  einzelnen 
Wochentagen  entsprechen  (0  =  Montag,  1  =  Dienstag,  2  =  Mittwoch, 
3  =  Donnerstag,  4  =  Freitag,  5  =  Sonnabend,  6  =  Sonntag). 


1)  Der  Wochentag  der  einzelnen  Jahresanfänge  verschiebt  sich,  wie  späterhin 
bei  der  julianischen  Zeitrechnung  zu  erwähnen  sein  wird,  weil  das  Jahr  52  Wochen 
-\-  1  Tag  und  jedes  vierte  Jahr  52  Wochen  -\-  2  Tage  enthält,  in  der  Weise,  daß 
erst  nach  je  28  Jahren  wieder  die  Wochentage  auf  dieselben  Monatstage  fallen. 
Dieser  Zyklus  ist  der  Sonnenzirkel. 


§  59.     Bt'solir('il)iiug  eines  IJus-iiame 


269 


224  H.  =  I 

809  n.  dir 

Monat- 
Anfangstag 

Julian. 
Tageszahl 

Reste 

Entspr.  Tag 

I.  Mart 

I.  März 

2 

=  Montag 

2381855 

0 

=  Montag 

Xissän 

I.  April 

5 

=  Donnerstag 

2381886 

3 

=  Donnerstag 

Mais 

I.  Mai 

7 

=  Sonnabend 

2381916 

5 

=  Sonnabend 

Hazirän 

I.  Juni 

3 

=  Dienstag 

2381947 

1 

=  Dienstag 

Temniuz 

I.  Juli 

5 

=  Donnerstag 

2381977 

3 

=  Donnerstag 

Agosto 

I.  Aug. 

I 

=  Sonntag 

2382008 

6 

=  Sonntag 

Eiläl 

I.  Sept. 

4 

=  Mittwoch 

2382039 

2 

=  Mittwoch 

TeschrinI 

I.  Okt. 

6 

=  Freitag 

2382069 

4 

=  Freitag 

V           II 

I.  Nov. 

2 

=  Montag 

2382100 

0 

=  Montag 

Kid  nun  I 

I.  Dezb. 

4 

=  Mittwoch 

2382130 

2 

=  Mittwoch 

V        II 

I.  Jan. 

7 

=  Sonnabend 

2382161 

5 

=  Sonnabend 

Schubät 

I.  Febr. 

3 

=  Dienstag 

2382192 

I 

=  Dienstag 

Die  Tafel  VI  des  Rus-name  „Tafel  der  Jahre"  enthält  eine  Keihe  von 
Kolumnen  für  die  Jahre  Hid.  1224 — 1309;  die  uns  hier  interessierenden 
Kolumnen  sind  die  ersten  fünf: 


1 

2 

3 

4 

5 

Buchstabe  u. 

Mond- 

Mondmonat, 

Hidschra- 

Wochentag 

tvonkurrent  des 

Zyklus 

in  welchen  der 

Jahr 

des  1.  Mart 

türk.  Kai. 

1.  3Iart  fällt 

alten  Stils 

4      D 

2 

26.  Miiharr. 

1224 

]\[ontag 

5      E 

3 

7.  Safer 

1225 

Dienstag- 

6      F 

4 

17.  Safer 

1226 

Mittwoch 

1     A 

5 

29.  Safer 

1227 

Freitag- 

2     B 

6 

11.  Eeln  I 
u.  s.  w. 

1228 

Sonnabend 

Kolumne  1  führt  die  Konkurrentes  aus  Tafel  IV  nochmals  au.  Das 
Anfangsdatum  des  Hidschra- Jahres  iu  Kolumne  3  und  4  prüft  sich 
mit  den  ScHEAMSchen  Tafeln;  man  erhält  aus  letztereren  (mit  Eück- 
sicht  auf  die  Unsicherheit  in  der  zyklischen  Rechnung  der  Türken) 
für  jene  Daten  immer  den  julianischen  1.  März  (1.  Mart).  Die 
Kolumne  5,  Anfangs -Wochentage  des  Hidschra- Jahres,  ergibt  sich, 
wie  vorhin  bemerkt,  aus  der  Verbindung  des  Mart  Tafel  V  mit  den 
entsprechenden  Konkurrentes  der  Tafel  IV  (oder  der  Kolumne  1): 
1224  Hid.  =  5  +  4  =  9  =  Montag,  1225  Hid.  =  5  -H  5  =  10  = 
Dienstag,  1226  Hid.  =  5  +  6  =  11  =  Mittwoch,  1227  Hid.  =  5  -{- 
1  =  6  =  Freitag,  1228  Hid.  =  54-2  =  7  =  Sonnabend,  u.  s.  w. 

Die  Kolumne  2,  Mondz5^klus.  will  die  türkische  „güldene  Zahl" 
liefern  (analog  der  goldenen  Zahl  im  julianischen  Kalender,  welche 
die  Tage  der  Neumonde  während  des  19  jährigen  Mondzyklus  durch 
Ordnungszahlen  bezeichnet).    Mittelst  der  Zyklenzahlen  des  betreffenden 


270 


III.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 


Hiclschra- Jahres  der  Kolumne  2  geht  man  in  eine  weitere  Tafel  YII 
ein  imd  erhält  aus  derselben  das  Monatsdatum  der  Neumonde,  und 
zAvar  der  sichtbar  werdenden  Sichel,  mit  welcher  die  arabisch-türkischen 
Monate  anfangen.  Die  Tafel  enthält  für  die  19  Werte  der  „Zyklen- 
zahl" die  entsprechenden  Monatstage  durch  die  12  Monate  vom  März 
ab:  ich  setze  nur  die  ersten  3  Zeilen  der  Tafel  hier  an: 


Zvklenzahl 


Zykleuzahl 


Tafel  VII. 

1 

2 

3 

März 

17 

6 

25 

April 

15 

4 

23 

Mai 

14 

3 

22 

Juni 

13 

2 

21 

Juli 

12 

1.31 

20 

1 

2 

3 

September 

10 

29 

18 

Oktober 

9 

28 

17 

November 

8 

27 

16 

Dezember 

7 

26 

15 

Januar 

(3 

25 

14 

Februar 

4 

23 

12 

August       11       30       19 

Da  nach  Tafel  VI  für  1224  Hidschra  die  Zyklenzahl  2  war,  so  finden 
die  betreffenden  Neulichtmonde  am  6.  März ,  4.  April,  3.  Mai  u.  s.  w. 
statt.  Es  wird  von  Interesse  sein,  diese  Angaben  des  Bus-name 
mittelst  unserer  astronomischen  Tafeln  zu  prüfen.  Ich  gebe  deshalb 
die  mittelst  der  ScHEAMSchen  Tafel  zur  Berechnung  der  Mondphasen 
(s.  S.  53)  ermittelten  astronomischen  Zeiten  der  Neumonde  für  den 
Meridian  von  Konstantinopel  (1^'  56™  westlich  Greenwich)  und  die 
daraus  mit  Zuschlag  von  etwa  l^/a  Tagen  folgende  Erscheinung  der 
Mondsichel : 


1224  Hidschra  =  1809  n.  Chr. 

Zeit  Konstantinopel 

Neulichl 

;  am 

1809     3.  März 

l8,'o^ 

5. 

März 

Freitag 

2.  April 

9,8 

4. 

April 

Sonntag 

2.  Mai 

1,4 

4. 

Mai 

Dienstag 

31.  Mai 

17,0 

2. 

Juni 

Mittwoch 

30.  Juni 

8,2 

2. 

Juli 

Freitag 

29.  Juli 

21,6 

31. 

Juli 

Sonnabend 

28.  August 

9,8 

30. 

August 

Montag 

26.  September 

21,4 

28. 

September 

Dienstag 

26.  Oktober 

7,9 

28. 

Oktober 

Donnerstag 

24.  November 

18,7 

26. 

November 

Freitag 

24,  Dezember 

5,5 

26. 

Dezember 

Sonntag 

1810  22.  Januar 

16,6 

24. 

Januar 

Montag 

21.  Februar 

3,6 

23. 

Februar 

Mittwoch 

Aus  dem  Bus-name  folgen  die  Tage:  6.  März,  4.  April,  3.  Mai,  2.  Juni. 
1.  Juli,  31.  Juli,  30.  August,  29.  September,  28.  Oktober,  27.  November, 


i?  60.     Die  Feste  der  Moliamincdaner.  271 

26.  Dezember,  25.  Januar,  23.  Februar,  somit  in  ^uter  Übereinstimmung 
mit  der  Rechnung.  Mit  den  genannten  Neulichttagen  sollten  die 
Mondmonate  eigentlich  anfangen,  der  1.  Safer  mit  Freitag  den 
5,  März,  der  1.  ReJn  üJ-cwwd  mit  Sonntag  den  4.  April,  der  1.  Bchi 
ül-cWür  mit  Dienstag  den  4.  Mai  u.  s.  f.  Berechnet  man  aber  die 
Wochentage  des  1.  Tages  der  Monate  nach  Tafel  I,  II,  III,  so  findet 
man  hier  und  da  Abweichungen  von  einem  bis  zwei  Tagen.  Die 
Angaben  des  Bus-nnmc  über  die  zyklisch  ermittelten  Neumonde  können 
also  nur  den  Zweck  haben,  als  ungefähre  Orientierung  zu  dienen. 
Von  weiteren  Tafeln  und  Angaben  enthalten  die  Riis-name  die  den 
Hi(hchra-^-A\\v^'ü  parallelen  Jahre  der  Seleukiden-  und  christlichen  Ära, 
den  Wochentag  des  Jahranfanges  der  christlichen  Jahre,  eine  die 
Stunden  der  Neumonde  liefernde  Tafel,  die  Auf-  und  Untergänge  der 
Sonne,  die  Zeit  für  die  Gebetstunden,  die  glücklichen  und  unglückliehen 
Tage  der  Monate,  welche  an  den  sehr  alten  orientalischen  Gebrauch 
erinnern,  u.  dgl.  mehr.  Ich  gehe  auf  diese  für  uns  hier  unwesentlichen 
Tafeln  nicht  weiter  ein,  sondern  verweise  Interessenten  auf  die  oben 
a.  a.  0.  zitierte  Beschreibung. 

§  60.    Die  Feste  der  Mohaminedaiier. 

Die  Mohammedaner  haben  zwei  Hauptfeste.  Das  erste  ist  das 
Fest  der  Beendigung  des  Fastens  {kl  el  fitr),  welches  am  Schlüsse  des 
Fastenmonats  Bamadän,  den  1.  bis  3.  Schawwal  gefeiert  wird.  Bei 
den  persischen  Mohammedanern  und  Türken  heißt  dieses  Fest  J^i 
Bäiräm  (gi'oßer  Bairam).  Das  zweite  Fest  bildet  den  Schluß  der 
Pilgerfahrt,  das  Opferfest  (id  el  nähr  oder  ul  el  l-urhän),  bei  den 
Türken  der  kleine  Bairam,  vom  10.  bis  13.  Dlml-hidäsche. 

Die  Pilgerfahrt  [hadsth)  ist  sehr  alten,  vorislamischen  Ursprimgs. 
In  der  heidnischen  Zeit  der  Araber  war  es  eine  Art  Versammlung, 
bei  welcher  die  einzelnen  Stämme  ihren  Göttern  (die  meisten  hatten 
ihre  besonderen  Gottheiten)  unter  freiem  Himmel  Tieropfer  brachten. 
Im  gegenseitigen  Verhalten  der  Stämme  bedeutete  diese  Zeit  das 
Enthalten  vom  Eaube,  den  Frieden.  Hierdurch  bekam  späterhin  der 
Monat  des  hadsch,  der  Dlml-hiddsche ,  die  Bedeutung  eines  heiligen 
und  Pilgerversammlungs-Monats.  Der  hadsch  wurde  gemeinsam  gefeiert; 
das  Schlachten  von  Opfertieren  bildete  eine  notwendige  Bedingung 
zui'  Heiligung  des  Festes.  Man  unterschied  deshalb  den  hadsch  von 
den  omra,  welche  nur  gelegentliche  Pilgerfahrten  einzelner  vorstellen, 
und  zwar  ohne  Opferschlachtungen. 

Die  großen  Fasten  im  Bamadän  hat  Mohammed  eingeführt,  als 
er  die  Fasten  der  arabischen  Juden  und  Christen  kennen  lernte. 
Vorbilder  waren   ihm  der  läpiir  (Versöhnungstag)  der  Juden  und  die 


272  III.  Kapitel.     Zeitrechnniig  der  Mohammedaner. 

ic^uadragesima  der  Christen.  Nach  einig-en  Abänderungen  in  der  Wahl 
der  Fastenzeit  machte  er  (vermutlicli  im  4.  Jahre  der  Flucht)  den 
Monat  RamaiUm  zum  Fastenmonate  \ 

Bei  den  beiden  vorg-enannten  religiösen  Festen  befolgen  die 
Mohammedaner  allgemein  den  Gebrauch,  sich  nur  nach  der  sichtbar- 
werdenden Mondsichel  zu  richten:  wie  der  erste  Tag  des  Dhul-h'uldsehc 
durch  die  Mondsichel  angezeigt  wird,  so  gibt  der  Tag,  wo  der  Ramada)i- 
Neumond  bei  Sonnenuntergang  als  Sichel  wahrnehmbar  erscheint,  das 
Zeichen  zum  Beginn  des  Fastenmonats.  Weder  die  Takwim  noch  die 
Bus-name  sind  mit  ihren  Angaben  bestimmend,  sondern  nur  die  faktische 
Beobachtung.  In  der  Türkei  beispielsweise  wird  die  Beobachtung  des 
Himmels  schon  zwei  Monate  vor  dem  Ramadan  angefangen,  um  für 
den  Fall  trüber  Witterung  den  Tag  voraus  angeben  zu  können.  Die 
Leute  begeben  sich  bereits  am  27.  Dschnnds^  ül  dWir  auf  Anhöhen 
vor  den  Städten,  um  zu  sehen,  ob  der  Neumond  des  Redscheh  sicht- 
bar wird.  Sobald  man  die  Sichel  konstatiert  hat,  eilt  man  zum 
MehUeme  d.  h.  zum  Ortsrichter  (Kadi),  welcher  die  Pflicht  hat,  die 
Aussagen  der  Beobachter  aufzunehmen  und  das  Protokoll,  Ilam  ge- 
nannt, dem  Stamhol  Efendisi  (Polizeipräfekten  der  Hauptstadt)  zu 
übermitteln.  Ebenso  geht  man  mit  der  Konstatierung  der  Mondsichel 
vor  Eintritt  des  Schahdn  vor.  Der  Stamhol  Efendisi  zählt,  ohne  auf 
irgendwelche  zyklische  oder  astronomische  Eechnung  der  Kalender 
Eücksicht  zu  nehmen,  30  Tage  vom  Tage  der  Sichel  des  Schahdn 
vorwärts  und  setzt  den  sich  so  ergebenden  Tag  als  Beginn  des 
Ramadan  fest.  Sobald  am  Ramaddn-Tage  der  Sonnenuntergang  ein- 
getreten ist,  wird  der  Anfang  der  großen  Fasten  dem  Volke  durch 
Kanonenschüsse  und  Beleuchtung  der  Minarets  kundgegeben.  Die- 
selben Beobachtungen  regeln  auch  am  Ende  des  Ramadan  das  große 
^rt)>Y?w-Fest.  Die  Notwendigkeit,  bei  der  Reduktion  türkischer  (und 
überhaupt  mohammedanischer)  Daten  auf  andere  Zeitrechnungen  auch 
auf  den  Wochentag  des  Datums  Rücksicht  zu  nehmen  (s.  S.  260), 
tritt  also  deutlich  infolge  der  Schwankungen  des  Volkskalenders  schon 
bei  Datierungen  aus  den  Festzeiten  hervor. 

Die  sonstigen  Feste,  welche  die  Mohammedaner  beobachten,  sind 
zum  Teil  nur  zeremonielle  Tage  oder  Erinnerungstage,  doch  werden 
hier   und    da    mehrere    derselben    mit   Pomp    begangen.     Die   liaupt- 


1)    Koran,  Sure  II  181,  193:    „Ihr  Gläubigen,  auch  eine  Fastenzeit  ist  Euch 
wie  Euren  Vorfahren  vorgeschrieben,  damit  Ihr  gottesfürchtig  seid.    Eine  bestimmte 

Zahl    von   Tagen   sollt  Ihr  fasten Jetzt   ist   es   der  Monat  Bamadän,    in 

•welchem  Gott  den  Koran  geoft'enbart  hat  als  Leitung  für  die  Menschen  und  als 
Lehre  zum  Guten,  der  von  jenen,  so  da  gegenwärtig  sind,  gefastet  werde;  wer  aber 
krank  oder  auf  Reisen  ist,  der  faste  zu  einer  anderen  Zeit  eine  Anzahl  Tage,  denn 
Gott  will  es  Euch  leicht  und  nicht  schwer  machen." 


§  61.     Litenitiir.  273 

säclilichsten   Tage   sind   fulgende;    einige   sind   naoli  ALuiüiNi    hinzu- 
gesetzt : 

1.  Moluirrcm,     Neujahr. 

10.  Molmrrem.    AHchura.     Todestag  des  Märtyrers  Hussein. 

12.  Bi'ln  el  awwel.     Mcuhid  d.  i.  Geburt  Mohammeds. 

13.  Rein  el  awwel.     Gedächtnis  des  Todes  Mohammeds. 

3.  Rein  el  äJchir.     Brand  der  Kaaba. 

8.  Dsc/inwadä  el  üld.     Alis  Geburtstag. 

15.  Dsfluimädü  el  üld.    Alis  Todestag. 

20.  Dschumddä  el  üld.     Eroberung  Konstantinopels   (1453  n.  Chr.), 

2.  Dschumddd  el  dl-lilra.     Tod  Abu-Bekrs. 
1.  Rcdscheh.     Ütsch  Ailar. 

4.  Redscheh.     Nacht  der  Herrlichkeiten,  Lailet  el  regha'ib. 

26.  (29.)  Redscheh.     Nacht    der   Himmelfahrt,   Lailet  el  mirddsch'^. 

3.  Schahdu.     Geburtstag  Husseins. 

15.  Schahdn.     Lailet  d  herdt  (Berät-Nsicht;  Prüfung  der  guten  und 
schlechten  Taten). 

16.  Schahdn.     Mekka  wird  zur  Kaaba  gemacht. 
1.  Ramaddn.     Beginn  des  Fastenmonats. 

10.  Ramaddn.     Tod  der  Khadldscha. 

19.  Ramaddn.    Eroberung  von  Mekka. 

27.  (23.)  Ramaddn.     Lailet  el  l-adar.  Nacht  der  Allmacht^ 
1.  2.  3.  Schawwdl.     Fastenende.     Großer  Ba'irdm. 

5.  Dhul-l-ade.     Herabsendung  der  Kaaba. 

10.  Dhul-h'iddsche.     Opfertag.  i       Ydi  azha  oder 

11.  Tag  des  Aufenthalts  in  Mind.  kleiner  Bdirdm 

12.  Tag  der  Entfernung  aus  dem  heiligen  Bezirke.  J   {Kurhdn  Bdirdm) 

13.  —    Die  3  Tage  vom  IL— 13.  heißen  auch   T^y^•f■^^;Ä•-Tage. 


§  61.    Literatur-, 

Caussin  de  Perceval,  Essay  sur  l'histoire  des  Arabes  acant  l'islamismc  (Jour- 
nal asiatique  1843).  —  Sprenger,  Üb.  den  Kalender  der  Araber  vor  Mohammed 
(Zeitschr.  d.  deutsch,  morg.  Ges.  XIII,  1859,  S.  134);  vgl.  dessen  Leben  und  Lehre  des 
Mohammed  111,1865,  S.  531  ff.  —  J.  Wellhausen,  Beste  arabischen  Heidentums, 
"2.  Ausg.,  Berlin  1897;  vgl.  dessen  Muhammed  in  Medina  d.  i.  Vakidi's  Kitab  al 
Maghazi,    Berlin  1882,    S.  17.  —  H.  Winckler,    Zur   altarabischen  Zeitrechnung. 


1)  Über  den  Tag   dieser  beiden  Feste  bestehen  bei  den  mohammedanischen 
ülemas  Meinungsverschiedenheiten. 

2)  Vgl.  außerdem  die  Literaturangaben  in  den  Anmerkungen. 

Ginzel,    Chronologie  I.  18 


274  III.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Mohammedaner. 

Himmel,  Kalender  und  Mythus  (Altorientalische  Forschungen,  2.  Reihe,  Bd.  II, 
Heft  3,  S.  324  u.  354);  Arahisch-Semitisch-Orientalisch  {Mitteilungen  der  Vorder- 
asiat. Gesellsch.  VI,  1901).  —  F.  Hommel,  Der  Gestirndienst  d.  alten  Araber  u.  die 
israel.  Überlieferung,  München  1901  [Moudkultus];  vgl.  dessen  Aufsätze  u.  Abhand- 
lungen II,  München  1900,  S.  1-54 — 160.  —  Mahmoud  Effendi,  Memoire  sur  le  ca- 
lendrier  arabe  avant  l'Islamisme  (Mem.  des  savants  etrangers  de  l'Acad.  roy.  de 
Belgique,  T.  XXX,  1861).  —  The  chronologi/  of  ancient  nations  of  Albtritm,  edit. 
by  E.  Sachau,  London  1879,  S.  35,  39,  73,  74,  321,  327.  —  Gutschmid,  Kleinere 
Schriften  II,  1890,  S.  415,  513,  757. 

Tafeln. 

CuNNiNGHAM,  Book  of  indiau  eras,  Calcutta  1883  (Taf.  XV  u.  XVI,  Ver- 
gleichung  der  Hidschra-Jahre  1  bis  1440  mit  der  cbristl.  Aera).  —  F.  Wüsten- 
feld, Vergleichungstabellen  der  muh.  u.  christl.  Zeitrechnung,  Leipzig  1854  (bis 
1300  Hidschra;  fortgesetzt  von  E.  Mahler  bis  1500  Hidschra;  desgleichen  E.  Mahler 
in  seinen  Chronol.  Ver gl. -Tab eilen,  S.  144  —  173  von  1  bis  1500  Hid.).  —  A.  M.  Loredo, 
Bajiports  entre  les  dates  du  calendrier  miisulman  et  Celles  des  calendriers  Julien  et 
gregorien,  Tanger  1887  (bis  1500  Hidschra).  In  letzteren  beiden  Werken  für  jeden 
Anfangstag  der  moham.  Monate  das  christliche  Datum  (von  1582  n.  Chr.  ab  nach 
dem  gregor.  Kalender).  —  Mas-Latrie,  Tresor  de  Chronologie,  Paris  1889  (darin 
die  WüsTENFELDschen  Tabellen  bis  1260  Hidschra). 


IV.  Kapitel. 

Zeitrechnung  der  Perser. 

§  62,    A^orbeni erkling. 

Die  mohammedanische  Zeitrechnung-,  von  Avelcher  wir  im  vorlier- 
g-ehenden  Kapitel  handelten,  ist  geg-enwärtig-  auch  über  Persien  ver- 
breitet. Die  Perser  besaßen  aber  vor  dem  Untergange  der  Sassa- 
niden  (7.  Jahrh.  n.  Chr.)  eine  selbständige  Zeitrechnung,  welche  in 
ihren  Anfängen  weit  ins  Altertum  zurückreicht  und  mehrfache  Wand- 
lungen erfahren  hat.  Diese  Zeitrechnung  erhielt  nach  dem  letzten 
Sassanidenkönige  632  n.  Chr.  eine  Ära  und  wurde  durch  Dscheläleddhi 
Melil'  Schah  1079  n.  Chr.  weiter  umgestaltet.  AVir  werden  also  im 
folgenden  von  einer  altpersischen  Zeitrechnung  und  einer  neupersischen 
zu  reden  haben.  Da  aber  die  Entwickelung  der  neupersischeu  ganz 
mit  der  Beschaffenheit  der  altpersischen  verknüpft  ist,  so  werden  beide 
Zeitrechnungen  hier  nicht  getrennt,  wie  etwa  die  altindische  oder  die 
altarabische  von  den  späteren  Formen,  sondern  mit  Rücksichtnahme 
auf  jene  Entwickelung  behandelt  werden. 

§  63.     Die  ältesten  Namen  der  Monate  (Inschrift  von  Behistan). 

Die  ältesten  bisher  bekannt  gewordenen  Monatsnamen  des  alt- 
persischen Jahres  finden  sich  in  der  gToßen  dreisprachigen  Inschrift 
auf  dem  Felsen  von  Behistan  (Baghastän^,  Bisutünj,  etwa  5  Meilen 
östlich  von  Kii-manschah  an  der  medischen  Grenze.  Der  untere  Teil 
des  etwa  500  m  hohen,  steilen  Felsen  zeigt  in  100  m  Höhe  in  einer 
Vertiefung  eingemeißelte  Reliefs:  der  König  Darius  H3^staspes  tritt 
auf  einen  niedergeAvorfenen  Empörer,  hinter  dem  letzteren  kommen 
neun  weitere  Empörer,  die  Hände  auf  dem  Rücken  gebunden  und  mit 


1)  Bagistanon  (Götterplatz)  bei  Ktesias. 

18* 


276 


IV.  Kapitel.    Zeitrechnung-  der  Perser. 


einem  langen  Seil  um  ihre  Hälse  ^  Den  Darstellungen  sind  eine  große 
Inschrift  und  mehrere  kleinere  beigegeben.  Darius  erzählt  darin,  wie 
er  die  10  aufständischen  Usurpatoren,  deren  Namen  genannt  werden, 
und  welche  in  den  Provinzen  des  Reichs  die  Herrschaft  an  sich  zu 
reißen  versucht  hätten,  mit  Hilfe  Auramazdas  besiegt  habe.  Dann 
werden  die  Gegenden  und  die  Monate  angegeben,  wo  die  »Schlachten 
gegen  die  Empörer  stattfanden.  Die  Besiegung  der  Empörer  vollzog 
sich,  mit  mehreren  Unterbrechungen,  etwa  522  bis  514  v.  Chr.  (Es 
sind  in  der  Inschrift  nur  Monate  und  Tage,  nicht  aber  die  Regierungs- 
jahre angegeben.)  In  der  dreisprachigen  Inschrift  (persisch-skythisch- 
babylonisch)  sind  noch  neun  Monatsnamen  erkennbar,  die  jedoch  nicht 
alle  in  jedem  der  drei  Texte  konstatiert  werden  können,  da  einzelne 
Stellen  zerstört  sind:  Viyachna.  Garmapada,  Bdgayddi,  Ätriyddija, 
Änämala,  Tharavähara,  T/migraci,  ÄdiiJcani,  Margazana.  Die  Identi- 
fizierung dieser  Monate  mit  den  entsprechenden  babylonischen  haben 
Rawlinson,  J.  Oppert,  Unger,  Justi,  Prasek  versucht.  Nach  diesen 
Autoren  wäre  die  Aufeinanderfolge  der  altpersischen  Monate  die 
nachstehende : 


Babylonische 

Monate 
Nisannu 
Airu 
Siviannu 
Düzu 
Abu 
Ulidu 
Tisrltu 
Arahsamna 
Kislimii 
Tebitu 
Sabätu 
Adäru 


Rawlinson 

Bägayädi 

Thuraväliara 

Thaigraci 

Adukani 

Garmapada 


Opfert  '^ 


Ungeb 


Justi 


Garmapada     Thuraväliara  Thuravähara 

Thuraväliara  Thaigraci  Thaigraci 

Thaigraci        Adukani  Adukani 

Margazana  

Garmapada  Garmapada 


Prasek 

Thuravähara 

Thaigraci 

Garmapada 


Margazana 

Atriyädija 

Anämaka 


Bägayädi        Bägayädi        Bägayädi        Bägayädi 


Viyachna 


Adukani 

Atriyädija 

Anämaka 

Margazana 

Viyachna 


Atriyädija 
Anämaka 

Viyachna 


Atriyädija 
Anämaka 
Margazana 
Viyachna 


Adukani 

Atriyädija 

Anämaka 

Margazana 

Viyachna 


Übereinstimmung  in  der  Identifizierung  besteht  danach  bei  den  Monaten 
Atriyädija  =  Kislimu,  Viyachna  =  Adäru  und  Anämaka  =  Tebitu; 
einiger  Zweifel  ist,  ob  Thurarähara  =  Airii  und  Thaigraci  =  Simannu; 
die  übrigen  4  Monate  der  Inschrift  bleiben  zweifelhaft.  Man  bemerkt 
auch  aus  der  vorstehenden  Zusammenstellung,  daß  der  Monat  Thura- 
vähara an  die  Spitze  des  Jahres,  d.  h.  dem  Nisannu  gleichgestellt 
oder  wenigstens  als  der  zweite  Monat  betrachtet  wird.  Dieser  Monat 
würde   also    dem  Frühjahrsmonat   entsprechen.     Ich    setze   noch   die 


1)  Weissbach  u.  W.  Ban«,  Die  altpersischen  Keilschriften  I,  S.  13.  — 
Abbildungen  des  Felsen  s.  bei  Porter,  Travels  II  150;  Flandin  et  Coste,  voyage 
I,  pl.  16;  Kossüwicz,  Inscript.  Archetypa. 

2)  Oppekts  zweites  System  {Verhandl.  d.  8.  Orient. -Kongresses,  1893). 


ij  64.    Die  alt-  und  neupersischen  Monatsnamen.  277 

Erklärung-  der  Monatsnamen  liierher,  welche  Jlsti  gibt,  obwohl  diese 
vielleicht  nicht  allgemein  angenommen  wird: 

1.  Thuravähara,  „den  hehren  Frühling  habend"  ist  der  Frühlings- 
monat. 

2.  Thaigraci,   nach  Floigl  {Ci/rus  u.  HerocJot,  Lpz.  1881,  S.  79) 
der  „Monat  des  Knoblauchsammeins"  (April-Mai). 

3.  Adukan'i,    der   „Monat    der   Kanalgrabenden",    der   Monat    der 
Bewässerung  (Mai-Juni). 

4.  (fehlt). 

5.  Garmapadu ,    „der  Wärmestand",   entspr.  Abu,   dem  Monat  des 
Feuergottes  (s.  Zeitrechn.  d.  Babyl..  S.  118)  (Juli). 

6.  (fehlt)^ 

7.  Buqayääl,  der  Monat  der  Verehrung  der  Baghas^. 

8.  (feiilt). 

9.  Atnyadija,   Monat   der   Feuerverehrung  (November -Dezember). 

10.  Andmaka,    der    ..Monat    des    Namenlosen"    d.  h.    des    höchsten 
Wesens. 

11.  Margazana,  „das  Wiesengras  hervorbringend",  für  Susiana  der 
Monat  der  Wiesenpflanzen  (Januar). 

12.  Yigachna,  der  eisfreie  Taumonat  (Februar). 


§  64.    Die  alt-  und  nenpersischeii  Monatsnamen. 

Die  neupersischen  Namen  haben  sich  aus  den  altbaktrischen.  den 
Zendformen,  entwickelt.  Die  altpersischen  Monatsnamen  w^erden  durch 
Namen  von  höheren  Wesen  (größtenteils  der  Yazatas=Ized)  dargestellt. 
Die  Zend-Namen  erscheinen  in  den  heiligen  Schriften  der  Perser.  Da 
die  Abfassungszeit  des  Avesta  (sie  ist  nur  hypothetisch  bestimmbar) 
ziemlich  weit  ins  Altertum  zurückreicht,  so  sind  die  Namen  von  be- 
trächtlichem Alter.  Im  Buudehesch ,  welcher  erheblich  jüngeren 
Ursprungs  und  im  Pehlewi  geschrieben  ist,  werden  die  Monatsnamen 
folgendermaßen  angeführt:  „Der  günstige  Fravardm,  der  Ardwvaliist 
und  Honadad  sind  Frühling,  T'ir,  Amerodad  und  Shatvarrö  sind 
Sommer ;  der  Monat  Mltro,  der  Avän  und  der  Atard  sind  Herbst,  der 
Monat  Dm,  Vohäman  und  Spendarmad  sind  Winter"  {Bundehesch 
XXY,  20).  Die  folgende  Vergleichung  gibt  die  Zend-,  die  Pehlewi- 
und  die  neupersischen  Namen  der  Monate: 


1)  Baghas  sind  göttliche  geistige  Wesen  im  allgemeinen.     Auramazda  ist  der 
höchste,  weiseste  Beherrscher  der  Geister. 


278 


TV.  Kapitel.    Zeitrecliniing  der  Perser. 


Zend 

1.  Fravashinum 

2.  ÄshaM  vahistahe 

3.  Haurvatäfo 

4.  Tistijehe 

5.  A^nerotäto 

6.  Ksludhrahe  vairjeM 

7.  Mitrahe 

8.  Apäm 

9.  Äthro 

10.  Dathushö 

11.  Vanheus  mananho 

12.  Spentajäo  ärmatois 


Pehlewi 

Frarardino 

Ärdarahist 

Horvadad 

Tir 

Amerudad 

Shatvatro 

Mltro 

Avän 

Ataro 

Dm  6 

Vohäman 

Spendarmad 


Neupersisch 

Fcrvcrdhi 

ArdehcliCf<Jit 

Khordäd 

Trr 

Mordäd 

Sharir  {Shahnvar) 

Mihr  (Mehr) 

Ähän 

Ader  (Adser) 

Del  {Dae) 

Balimen  (Behmen) 

Asfendärmed 


Die  Zendnameii  (und  die,  wie  man  sieht,  von  ilmen  abgeleiteten 
Pelilewi-  und  neupersisclien  Namen)  erklären  sich  durch  die  Patrone 
und  Schutzgottheiten,  die  den  Monaten  vorgestanden  haben;  wie  wir 
gesehen  haben,  hatten  die  Ägypter  ebenfalls  Patrone  für  ihre  Monate, 
und  die  Namen  der  letzteren  lassen  sich  größernteils  aus  den  Namen 
der  Gottheiten  ableiten. 

Die  Bedeutung  der  Monatsnamen  gebe  ich  nach  den  Erklärungen 
des  Parsengelehrten  Mehekjlbhai  Noshekwanji  Kuka  ' ,  mit  welchen 
übrigens  die  schon  von  Benfey  und  Steen-  gegebenen  Definitionen 
im  wesentlichen  übereinstimmen: 

Ferverdm  hat  seinen  Namen  von  den  Frarnshl ,  den  Seelen 
(Geistern)  der  Verstorbenen,  welche  während  der  5  Epagomenen,  die 
dem  Monat  Ferverdm  vorangehen,  und  an  den  ersten  5  Tagen  dieses 
Monats  wieder  zur  Erde  niedersteigen.  (Darum  werden  die  Fravashi 
auch  als  Sterne  aufgefaßt.)  Der  Monat  war  sonach  den  Vorfahren, 
dem  Andenken  an  die  Toten  gewidmet. 

Ardehehesht  ist  der  Name  des  zweiten  Ameshaspenta^,  nämlich 
Asha-vahista ,  welcher  als  der  Herr  der  Feuer,  der  Hitze  galt.  In 
den  ^rt/i- Gebeten  wird  er  öfters  bei  dem  Tagesabschnitt  rapithwina, 
welcher  den  Tagesteil  der  größten  Hitze  bezeichnete  (s.  S.  288),  an- 
gerufen.    Demnach   muß  Ardehehesht  wohl   den   heißesten  Monat   des 


1)  An  enquiry  into  the  Order  of  the  Farsee  Months  and  the  hasis  of  their 
novienclahire.  (The  K.  K.  Cama  Mevior.  Vol.,  p.  54.  Titel  dieses  Werkes  s.  sub 
Literatur  am  Schluß  dieses  Kapitels.) 

2)  Üb.  die  Monatsnamen  einiger  alten  Völker,  inshes.  der  Ferser,  Kappadolcier, 
Juden  u.  Syrer,  Berlin  1836,  S.  76—115. 

3)  Die  Ameshaspenta  (=  unsterbliche  Heiligen)  sind  die  oberste  Klasse  der 
Genien,  sie  stehen  Auramazda  am  nächsten ;  es  sind  sechs  (mit  Auramazda  sieben) : 
Vohnvianv,  Asha-vahista,  Kshathra  vairya,  Spenta-imnaiti, ,  Haurvatät,  Ameretät. 
Anrufungen  derselben  kommen  sehr  oft  vor  (z.B.  Yasht  XY 111  das  Khorda-Avesta). 


i?  G4.     Dil'  iilt-  und  iifupcrsisclicn  .Monatsnuineii.  279 

Jahres  vorgestellt  haben.  Der  ihm  vorangehende  Ferverdin  müßte 
dann  um  oder  vor  die  Zeit  des  Sommersolstiz  gefallen  sein.  Der 
Ärdt'hehesht  scheint  dem  5.  IMonat  der  Behistfiu-ln^dirHi,  Garmapada, 
zu  entspreclien. 

Khordäd,  Dieser  Monat  ist  nach  Haurvatät,  Herr  der  Gewässer 
und  A\^olken.  dem  5.  Ämes/taspenta,  benannt.  Er  soll  also  den  Über- 
gangsmonat vor  der  Regenzeit  vorstellen. 

Tir  (Ti<!hf)-'uj(()  knüpft  seinen  Namen  an  den  Sirius  (Tlstrija). 
Im  Herbst,  wenn  der  Sirius  anfängt  die  ganze  Nacht  sichtbar  zu 
bleiben,  trat  in  Baktrien  die  Regenzeit  ein;  deshalb  sah  man  in 
dem  Sirius  den  Regenbringer.  Ttr  bezieht  sich  danach  auf  den 
Herbstbeginn. 

Mordäd  {Amerdäd)  führt  den  Namen  des  letzten  der  Ameshaspenta, 
Ämeretät,  des  Herrn  der  Bäume  und  Früchte,  des  Schützers  des 
Wachstums  überhaupt.  Er  folgt  auf  den  regenreichen  Tir,  ist  also 
der  Monat  der  auflebenden  Vegetation. 

Sharir  (Shahrwar)  ist  nach  dem  Kshathra  vairya,  Genius  der 
Metalle,  dem  3.  Ä^neshaspmfa ,  benannt.  Da  dieser  letztere  Genius 
nicht  bloß  als  Herr  der  Metalle,  sondern  im  weitern  Sinne  auch  als  der 
Beförderer  des  Wohlstandes,  der  Schätze,  als  Befriediger  aller  Wünsche 
galt,  so  deutet  die  Benennung  des  Monats  nach  ihm  auf  den  Monat 
des  Einsammelns  der  Ernte,  welche  den  Besitzern  Geld  und  Gut 
brachte.  Hierzu  würde  der  vorhergehende  fruchtbare  Monat  Amerdäd 
stimmen. 

Jl'üir  {M'ttrö).  Der  Lichtgott  MUlira  (=  Tageslicht,  Sonne),  einer 
der  göttlichen  Ized,  war  Gegenstand  des  auch  außerhalb  Persiens  weit- 
verbreiteten Mithrakultus.  Bei  den  Anrufungen  der  Tagesabschnitte 
{gäh)  wird  Mithra  nur  für  die  Zeit  lu?irani,  d.  i.  die  Zeit  des  frühen 
Morgens  (s.  S.  288)  angerufen.  Die  Stellung  des  Monats  als  erster 
Wintermonat,  welche  er  in  der  Reihenfolge  der  Monate  einnehmen 
müßte,  würde  jener  Bedeutung  nicht  widersprechen,  da  nach  dem 
Wintersolstiz  das  Tageslicht  anfängt  wieder  zu  wachsen, 

Ahän  hat  Zusammenhang  mit  dem  Ized  der  Flüsse  und  Gewässer. 
Der  Beiname  der  Göttin,  Ardavisüra,  wurde  auch  für  den  Oxusfluß 
gebraucht. 

Ader  {Ataro)  steht  mit  dem  Ized  des  Feuers,  Atar ,  in  Ver- 
bindung. Der  Name  soll  wohl  andeuten,  daß  man  in  diesem  Monate, 
dem  3.  Wintermonate,  sich  genötigt  sah,  die  Wohnungen  durch  das 
Feuer  zu  erwärmen. 

Dae  (I)mö)  resp.  Dathuf^hö  hat  den  Namen  von  dem  Beinamen 
Auramazds,  Dathusho  =  Geber,  Gesetzgeber,  Schöpfer.  Der  Monat 
bezeichnet   die  Frühlingszeit,   in   welcher  der  Natur  ihre  Verjüngung 


280  IV.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Perser. 

zurückgegeben  wird;  er  entspricht  vielleicht  dem  Bfigayndi  der 
Beh  i.9f  rt  w-Inschrif  t. 

Bahnen  (Behmen)  ist  nach  dem  1.  Ämeshnsjxmfa ,  dem  guten 
Ized,  dem  Beschützer  der  Lebenden,  des  Viehs  und  der  Herden, 
Vohummid,  benannt.  Er  ist  der  „milchreiche''  Monat  (mit  Beziehung 
auf  die  Herden)  und  stellt  den  zweiten  Frühlingsmonat  vor.  Viel- 
leicht korrespondent  mit  dem  Monat  Thuravähara  der  Bekistfm- 
Inschrift. 

Asfendärmcd  leitet  sich  ab  von  Spenta-a rmalt] ,  dem  4.  Amesha- 
spenta,  Gebieterin  der  Mutter  Erde,  der  Ackerfluren.  Der  Monat  be- 
zeichnet die  Zeit  des  Wachstums  der  Feldfrüchte. 

Würde  man  sich  nur  auf  die  Bedeutung  der  eben  aufgeführten 
Monatsnamen  stützen,  so  würde  Dae  den  Beginn  des  Frühlings, 
Ferverdtn  den  des  Sommers  und  Tw  den  Anfang  des  Herbstes  1)e- 
zeichnen,  und  da  Ferverdm  immer  an  der  Spitze  des  Jahres  erscheint, 
müßte  man  annehmen,  daß  das  Jahr  mit  dem  Sommer  begonnen  worden 
sei.  Allein  die  Monatsnamen  sind  erst  im  Laufe  der  Zeit  allmählich 
entstanden,  mit  den  Wanderungen  der  iranischen  Stämme  nach  dem 
Süden,  entsprechend  den  klimatischen  Abstufungen  der  Länder; 
Ferverdm,  Tir  und  Mitro  sind  vielleicht  die  ältesten  dieser  Namen; 
die  übrigen  wurden  später  eingeschoben.  Ferner  scheint  der  Jahres- 
anfang schon  in  der  alten  Zeit  kein  einheitlicher  gewesen  zu  sein, 
sondern  dürfte  mit  jenen  Wanderungen  gewechselt  haben,  wozu  das 
ausgebreitete  Sektenwesen  der  Zoroaster-Bekenner  das  seinige  beitrug; 
während  die  einen  das  Jahr  mit  dem  Sommersolstiz  anfingen,  begannen 
andere  ihr  Jahr  mit  dem  Frühlingsäquinoktium.  Spuren  dieser 
Wandlungen  sind  in  der  alten  Parsenliteratur  noch  sichtbar.  Die 
vorher  (S.  277)  zitierte  Stelle  aus  dem  der  jüngeren  Zeit  angehörenden 
Bundehesdi  zeigt  z.  B.,  daß  dort  der  Frühling  mit  dem  Ferverdm  an- 
fängt, also  der  Jahresanfang  nicht  zu  der  obigen  Bedeutung  dieses 
Monats  als  Sommer  stimmt. 


§  65.    Die  Monatstage,  Jahreszeiten  und  die  Oalianbsir. 

Bei  der  Zeitrechnung  der  Ägypter  hatte  ich  Gelegenheit  zu  l)e- 
merken,  daß  bei  denselben  eine  besondere  Benennung  der  HO  Tage 
des  Monats  mit  Zugrundelegung  irgend  einer  mythologischen  Basis 
auftritt  (s.  S.  167).  Eine  ähnliche  Bezeichnung  der  einzelnen  Monats- 
tage und  zwar  ebenfalls  nach  Genien  findet  sich  bei  den  Persern.  Im 
Bundehesch  (XXVII  24)  heißt  es:  „Jede  Blume  ist  zugeeignet  einem 
der  Engel,   wie   der  weiße  Jasmin   dem   Yohaman,   die  Myrtlie   dem 


§  65.     Die  Moiiatstjigc.  Jalircszeitcn  und  die  (jl!iliaiil)i'ir. 


281 


Auramazxi\  das  Mauseolir  dem  Ärdara/iis/if.  .  .-  Die  30  Namen, 
die  angeg:eben  werden,  sind  die  Namen  der  :30  Monatstage.  Ich 
setze  diese  (Pehlewi-)  Namen  liier  an  und  daneben  die  entsprechenden 
Zendnamen : 


Zend 

Pehlewi 

Zend 

Pehlewi 

1.  AlmraM  mazdäo 

A uharmazd 

16. 

Mithrahe 

Mitro 

2.   Vanhcus  mananho 

Vohtiman 

17. 

Sraoshahe 

Srösh 

3.  Ashahe  vahistahc 

Ardavahisht 

18. 

Rashnaos 

Hashnd 

4.  Kshathrahc  vairjeh 

(}  Shatvairö 

19. 

Fravashinäm 

Fravardin 

5.  Spcntajäo  urmatois 

Spendarmad 

20. 

Verethraghnahe 

Vähräm 

6.  Uaurvatätö 

Uorvadad 

21. 

Rämanö 

Räm 

7.  Ameretätö 

Atnerudad 

22. 

Vätahe 

Väd 

8.  Dathusho 

Din-ipavanAtarö 

23. 

Dathusho 

Din-i  pavan 

Dino 

9.  Äthrö 

Atarö 

24. 

Dacnajäo 

Dino 

10.  Apam 

Avän 

25. 

Ashöis 

Ard 

11.  Hvarekshactahe 

Khürshcd 

26. 

Arstätö 

Äshtäd 

12.  Mdonhö 

Mäh 

27. 

Asmano 

Äsmdn 

13.  Tistrjchc 

Tu 

28. 

Zemo 

Zamjäd 

14.  Gens 

Gösh 

29. 

Mathrahe  spentah 

e  Märspend 

15.  Dathusho 

Din-ipavan  Mitrö 

30. 

Anughrandm 

Anirän 

Aus  der  Vergieicliung'  dieser  Namen  mit  den  früher  angeführten  Monats- 
namen erhellt,  daß  die  letzteren  auch  unter  den  30  Monatstagen  vor- 
kommen; um  Verwechslungen  vorzubeugen,  wird  bei  der  Datierung 
entweder  neben  dem  Monatstage  zugleich  der  betreffende  Monat  ge- 
nannt, z.  B.  der  Tag  Khür  des  Monats  Tu-  d.  h.  der  11.  des  4.  Monats, 
oder  man  unterscheidet  den  Monat  durch  den  Zusatz  »U  mäh  (Monat) 
von  dem  gleichnamigen  Tage  durch  3».  rüz  (Tag).  Spendarmad-mäh 
heißt  der  12.  Monat  des  Jahres,  Spendarmad -rüz  der  5.  Monatstag. 
Der  dreimal  sich  wiederholende  Tag  Dathusho  {==  Dino)  wird  durch 
die  Zusammensetzungen  Dvn-'i  paran  Atarö  {Dhi,  auf  welchen  Atarö 
folgt),  Dhi-\  paran  Mitrö  {Dm  mit  folgendem  Mitrö)  und  Dhi-i  paran 
Dmö  {Dhi  mit  folgendem  Dhiö)  unterschieden. 

Man  erkennt  aus  der  Reihe  der  Monatstage  eine  Vier -Teilung 
des  Monats:  das  dreimalige  Auftreten  des  Dathusho  (der  gleichnamige 
Monat  Avar  dem  Ormuzd  geweiht)  bewirkt  eine  solche.  Die  beiden 
ersten  Teile  des  Monats  vom  1. — 7.  Monatstag  und  vom  8. — 14.  Tag 
haben  jeder  7  Tage,  die  beiden  andern  Teile  vom  15.— 22.  und  vom 
23. — 30.  haben  jeder  8  Tage.  Hierdurch  zerfällt  jeder  ]\Ionat  in  vier 
ungleich  lange  Teile,  die  man  entfernt  mit  unseren  AVochen  vergleichen 
Jvann.  Bemerkenswert  ist  die  Anordnung  der  Tage  in  diesen  Abteilungen. 
Der  erste  Tag  jeder  Abteilung  (der'l.,  8.,  15.,  23.  Tag)  gehört  dem 
höchsten  Genius  Aüharmazd  =  Ormuzd  =  Dathusho.    Die  erste  Woche 


1)  Atiramazd  steht  hier  als  zweiter  Tag,  ist  aber  sonst  immer  der  erste. 


282  IV.  Kapitel.    Zeitrechnung  der  Perser. 

wird  von  den  6  Ameshaspentas  (s.  S.  278,  Anmerkung  3),  Yohumano, 
Ardavahishta ,  Kshathra  ra'irya ^  Spenta  armniti,  Haurvatät  und 
Ameretdt  eingenommen.  In  der  2.  Woche  sind  die  Genien  Ataro,  Armi. 
Kliür,  Müh,  Th-  (Sirius^)  und  Gosh  untergebracht,  von  welchen  3 
ebenfalls,  wie  die  Ameshaxpentas ,  Monaten  vorstehen-.  Von  den  12 
Monatsgenien  regieren  also  10  die  ersten  beiden  Wochen,  so  daß  für 
die  anderen  beiden  Wochen  nur  2  Monatsgenien,  Fravardino  und 
2Iifrd,  übrig  sind,  und  diese  werden  in  der  3.  Woche  eingeschoben. 
Die  übrigen  Tage  sind  mit  Genien  niederen  Ranges  besetzt,  so  daß 
die  ganze  Anordnung  eine  Art  Abstufung  nach  dem  Eange  der  Genien 
darstellt.  Eine  tiefere  Bedeutung  gewinnt  dieses  System  durch  die 
Bemerkung  von  E.  J.  Ü.  Nadeeshah,  daß  die  Genien  der  zweiten 
Woche  als  die  7  Planeten  aufgefaßt  werden  müssen'^,  und  daß  die 
ganze  Eeihe  eigentlich  nur  aus  21  Izeäs  besteht,  da  Dathuso  dreimal 
eingeschoben  wird,  lediglich  um  die  Zahl  von  30  Namen  zu  erreichen. 
Nach  dem  genannten  Autor  hätten  wir  in  der  27  gliedrigen  Eeihe  die 
27  altbaktrischen  Mondstationen  vor  uns. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Jahreszeiten  der  Perser  über.  Späteren 
Erklärungen  vorgreifend  ist  aber  zu  erwähnen,  daß  das  Parsijahr 
(altpersische  Jahr)  aus  3G5  Tagen,  und  zwar  12  Monaten  zu  je 
30  Tagen  und  5  Epagomenen  bestand;  die  letzteren  hatten  früher 
ihre  Stelle  hinter  dem  achten  Monat,  dem  Ähän  {Ävän\  wurden  aber 

1)  Die  Anführer  der  Sternbilder  sind  nach  dem  Bimdehesch  II  5:  Tistar  (im 
Zend  Tistrja)  der  Führer  des  Ostens  =  Sirius,  Sataves  (resp.  Satavaesa)  der  Führer 
des  Westens  =  Antares (V),  Vanand  (Vanant)  der  Führer  des  Südens  =  Fomal- 
haut(?),  und  Haptoknng  (Haptoiringa)  der  Führer  des  Nordens  =  großer  Bär. 
Vom  Sirius  erwartete  der  Parse  den  Regen,  da  der  Stern  auf  seinem  himmlischen 
Wege  aus  den  Wolken  das  Wasser  in  sich  aufnehme.  —  Anpreisungen  des  Sterns 
Tistrja  kommen  in  den  heiligen  Schriften  oft  vor,  z.  B.  in  den  Yashts  (Lobgebeten 
für  bestimmte  Tage  und  Zeiten)  des  Khorda-Avesta  (s.  XXIV  Tistar-yasld). 

2)  Die  ersten  16  Namen  der  30  Monatstage  finden  sich  oben  durch  einige 
Beischreibungen  erklärt.  Für  die  übrigen  folgen  hier  die  ungefähren  Bedeutungen 
nach  F.  Spiegel,  soweit  sie  durch  bloße  Schlagworte  definiert  werden  können.  Die 
Namen  gehören  durchweg  den  Yasatas  (späteren  Ized)  an,  den  Genien  zweiten 
Ranges :  Sraosha  (der  Wachsame,  Schützende) ;  Bashnaos  (der  Überallseiende)  [diese 
beiden  bilden  mit  dem  Lichtgotte  Mithra  bei  den  späteren  Parsen  die  Richter 
über  die  Menschenseelen];  Fravcishi  (die  abgeschiedenen  Seelen,  die  Sterne);  Vere- 
tliraglinahc  [Behräm]  (der  Sieghafte);  Bäman  (die  Luft);  Väta  (der  Wind);  Daena 
oder  Din  (das  gute  mazdayasnische  Gesetz);  Ashöis  (die  Segnende,  Beschützerin 
der  Ehe);  Arstät  (die  Richtigkeit)  meist  in  Verbindung  mit  Bashnaos-^  Asmano 
(der  Himmel);  Zemö  (?) :  Mathraspenta  (die  heilige  Schrift);  Anaghra  raosäo 
(das  anfanglose  unendliche  Licht).  Ausführliches  üb.  die  Yasatas,  s.  Fr.  Spiegel, 
Avesta,  Die  heilig.  Schriften  der  Färsen,  Leipz.,  III,  Einleitg.  XIII— XXXVIII. 

3)  In  der  zweiten  Woche  bedeuten  nämlich:  Dathushö  (Auharmazd)  =  Ju- 
piter, Ätara  =  Mars,  Avun  =  Venus,  Khürshed  =  Sonne,  Mäh  =  Mond,  Tir  == 
Merkur,  Gösh  (Geus)  =  Saturn.  The  Zoroastrian  months  and  years  with  their  di- 
visions  in  the  Avestaic  age.     {The  K.  B.  Cama  Mernor.   Vol.  p.  250). 


i^  65.    Die  Monatstagc.  Jaliroszeitcii  und  die  Gahanbar.  283 

nach  der  Reform  der  Zeitreclmimg  dem  12.  Monat  Asfcmlärmcd 
{Spi-ndarmad)  ang-ehängt.  —  In  der  ältesten  zoroastrischen  Zeit  scheint 
man  noch  nicht  mehrerlei  Jahreszeiten  unterschieden  zu  haben,  da  in 
den  Schriften  öfters  nur  von  Sommer-  und  Wintermonaten  die  Hede 
ist,  also  nur  zwischen  kalter  und  warmer  Jahreszeit  unterschieden 
wurde.  In  der  früher  zitierten  Stelle  des  Bimde/irsch  werden  vier 
Jahreszeiten  genannt.  Es  unterliegt  aber  keinem  Zweifel,  daß  es 
schon  in  alter  Zeit  (wie  z.  B.  in  den  Lobgebeten.  den  Afrhirjdn 
deutlich  sichtbar  ist)  sechs  Jahresabschnitte  gab.  Es  wurden  nämlich 
von  alters  her  in  Persien  am  Schlüsse  gewisser  Jahresteile  mehrtägige 
Feste  gefeiert,  die  unter  dem  Namen  der  Gahnnlx'ir  (Festzeiten)  be- 
kannt sind.  (Anrufungen  dieser  Gahanliar  kommen  häuflg  vor,  z.  B. 
im  Yispered  I,  II.)  ^  R  Eoth  hat  schon  darauf  aufmerksam  gemacht, 
daß  die  Bedeutung  der  6  Gahanhdr  nicht  Festzeiten,  sondern  Jahres- 
zeiten resp.  eine  Feier  beim  Wechsel  der  Jahreszeiten  gewesen  ist. 
Die  Namen  der  Gahanhdr  sind  folgende:  1.  Maklhyozaremya  =  „]\Iitte 
des  Grünens",  bezeichnet  das  Frühjahr  (Mitte  des  Frühlings);  heißt 
auch  die  saftige,  milchreiche  Zeit.  2.  Maidhi/cjshema  ==  ..Mitte  der 
Hitze",  die  Zeit,  welche  in  die  Mitte  der  heißen  Periode  (Sommer) 
fällt;  das  Fest  definiert  den  Mitte-Sommer-Tag.  3.  Paiüslialiya  (von 
XJü'iü,  scheinen,  erscheinen,  hahya,  Korn,  Frucht)  =  die  das  Getreide 
herbeiführende   Zeit    der   Ernte,    der  Fruchtreife,   des  Kornschnittes, 

4.  Ayäthrema  (von  aya,  gehend,  dtar  Hitze,  Wärme)  =  die  Zeit  des 
Zurückgehens  der  Hitze;  auch  die  „Zeit  der  Heimkehr*'  d.  h.  des 
Viehs   von   den  Weideplätzen,    die   windige.    Stürme   bringende  Zeit. 

5.  Maidhyälrja  (von  maidhya,  ]\Iitte,  yahja,  Jahr,  Jahrteil)  =  ,.die 
Mitte  des  Jahres*';  auch  die  kalte  frostige  Zeit.  6.  Hamaspatkmaedya, 
vermutlich-  die  ..Zeit  der  Sammlung.  Stärkung,  der  Kraft",  d.h.  die 
Zeit  der  Zurüstung  für  die  Feldarbeiten  des  Frühjahrs ;  oder  die  Zeit, 
wenn  die  Opferfeste  beendigt  waren  {hamaspat,  endigen,  vollständig 
sein,  niaedya,  die  Opferfeste).  AVahrscheinlich  war  dieses  Gahanhdr 
mit  Tieropfern  verbunden. 

Die  6  Jahresabschnitte  sind,  wie  schon  bemerkt,  anfänglich  nicht 
alle  unterschieden  Avorden.  Es  scheint,  daß  die  Parsen  ursprünglich 
nur  Maidhydirja  (Mitte -Winter)  und  Maidhyöshema  (Mitte -Sommer) 
gehabt  haben,  und  daß  die  übrigen  Naturfeste  resp.  Jahresabschnitte 
erst  mit  den  Wanderungen  der  Stämme  (wie  z.  T.  bei  den  Indern) 
entstanden  sind.     Hierauf  deutet  auch  der  Umstand,   daß  das  Avesta 


1)  Die  Feier  dieser  Feste  gehörte  zu  den  gebotenen  religiösen  Handlungen, 
sie  werden  samt  den  , Herren  der  Tage,  Tageszeiten,  Monatsfeste,  Jahre"  oft  an- 
gerufen.    (S.  z.  B.  Yasna  IV  31—37.) 

2)  Dieser  Name  ist  schwieriger  erklärbar.  Verschiedene  Deutungen  desselben 
sind  angegeben  von  Burxouf,  Lagarde,  Bezzexbergee,  Justi,  Nadershah. 


284  IV.  Kapitel.     Zeitrechnung  der  Perser. 

bei  den  Anruf ungeu  zweierlei  Ausdrücke,  yfire  und  saredha,  g-ebrauclit, 
die  vielleicht  im  Sinne  von  Halbjahren,  oder  als  ganze  Jahre,  aber 
mit  verschiedener  Jahreszeit  beginnend,  zu  verstehen  sind.  Die  oben 
genannten  6  Jahreszeiten  werden  im  Avesta  als  yäirya  (Jahresteile; 
davon  ydre  =  Jahr,  engl.  3'ear)  bezeichnet. 

Die  sechs  Gahanbär  beziehen  sich,  wie  man  sieht,  auf  ein  x4.cker- 
baujahr,  indem  sie  für  die  Zeiten  der  Aussaat  im  Frühjahre,  der  Ernte 
der  Feldfrüchte,  für  die  Zeit  der  Einsammlung-  der  Herden  und  für 
die  Ruhezeit  des  Winters  die  Hauptzeitpunkte  markieren  wollen.  Am 
Schluß  jedes  dieser  Jahresabschnitte  wurde,  wie  vorhin  bemerkt,  ein 
Fest  durch  mehrere  Tage  (wie  es  scheint,  ein  meist  fünftägiges  Fest) 
gefeiert.  Die  Länge  der  6  Jahresabschnitte  konnte,  da  die  Tätigkeit 
der  Landbebauer  und  Viehzüchter  gemäß  den  klimatischen  Verhältnissen 
in  Persien  und  Baktrien  während  der  Jahresabschnitte  verschieden 
lang  war,  nicht  als  gleichmäßig  für  alle  Jahreszeiten  angenommen 
werden.  Die  Dauer  der  6  Jahreszeiten  und  ihre  Lage  im  Jahr  sind 
hier  und  da  aus  den  heiligen  Schriften  ersichtlich.  Ich  zitiere  zuerst 
den  Bundehef<ch  XXV,  1—7:  ,.Zur  Ausübung  der  Religion  gehören 
die  sechs  Zeiträume  der  Gahanhär,  welche  ein  Jahr  ausfüllen.  .  . 
Von  der  Jahreszeit  MedoJcshcm  (=  Maidhjoshema) ,  vom  günstigen 
Tage  Khar  des  Monats  Trr  (d.  h.  dem  11.  Tage  des  T7r,  s.  S.  278/81) 
bis  zur  Zeit  Mediyarem  (=  Maidhynirja),  dem  günstigen  Tage  Ydhrdm 
des  Monats  Dm  (d.  h.  dem  20.  des  De'i),  dem  kürzesten  Tage,  wachsen 
die  Nächte,  und  von  der  Jahreszeit  Mediyarem  bis  zur  Jahreszeit 
Medol-^hem  nehmen  die  Nächte  ab  und  wachsen  die  Tage.  Der 
Sommertag  ist  so  viel  wie  zwei  kürzeste  Wintertage,  und  der  Winter- 
tag   so    viel   wie   zwei   kürzeste   Sommernächte In    der   Zeit 

Hamespamadnye}n{==Hamasp<ith))}aedh!i(i),  der  Zeit  der  fünf  Ergänzungs- 
tage am  Ende  des  Monats  Spendminad ,  sind  Tag  und  Nacht  wieder 
gleich.  Und  wie  vom  günstigen  Tage  Adharmazd  des  Monats  Fracdr- 
din  zum  günstigen  Tag  Aiürdn  des  Monats  MHrd  (d.  h.  vom  1,  Fer- 
verdin  bis  30.  Mlhr)  der  Sommer  von  7  Monaten  währt,  so  ist  vom 
günstigen  Tag  Adharmazd  des  Avdn  bis  zum  Monat  Spendarmad,  des 
Endes  der  5  Ergänzungstage  (d.  h.  vom  1.  Alan  bis  zum  letzten 
Epagomeneutage,  365.  Tage)  der  Winter  von  5  Monaten." 

Die  Länge  der  Jahreszeiten  wird  klar  durch  das  Äferhi-Oahanhdr 
des  Khorda- Avesta  (d.  h.  in  den  kleineren,  für  den  Hausgebrauch  be- 
stimmten Gebetsammlungen,  s.  F.  Spie(^el,  Avesta,  IIIj  bestimmt.  Es 
heißt  dort:  „In  45  Tagen  \iü\)^  ioh  Aioramazd  ^d^mt  ditn  Amesliaspentas 
gewirkt,  ich  habe  den  Himmel  geschaffen  und  den  Gahaiihdr  gefeiert 
und  ihm  den  Namen  Maidhyomrcuiya  gegeben,  im  Monate  Ardehelüxht 
am  Tage  Dae  ])a  niihr  {I)in-i  pavan  Mitro).  Nehmet  die  Zeit  vom 
Tage  Khor  (Khfnyhed),   am  Tage  Dae  pa  mihr  soll  das  Ende  sein." 


ij  65.     I)io  Monatstagc.  Jahrpszcitcn  und  die  (Jalianbär.  285 

Das  Fest  Maidhi/özarcmi/a  fällt  danach  11. — \h.  Ardchclüsht.  Mit  der- 
selben stereotypen  Formel  wird  die  Dauer  der  übrig'en  Jahreszeiten 
und  deren  Festfeier  ang'eg:eben :  „In  60  Tagen  habe  ich  .  .  .  das 
^^'asser  geschaffen  ...  im  Monat  Th- ,  Tag  Khor-Dac  pa  m'ihr 
(11. — IT).  Th-)  .  .  .;  in  75  Tagen  ...  die  Erde  ...  im  Monat  Shah- 
rh-ar ,  Tag  Äxhffd -Aiüran  (26.  —  30.  Shanr);  in  30  Tagen  ...  die 
Bäume  .  .  .  im  Monat  MitraM,  Tag  Äshtät-Anlrdn  (26. — 20.  Mihr): 
in  80  Tagen  ...  das  Vieh  ...  im  Monat  Dci ,  Tag  Mitro -Väkräm 
(16. — 20.  D('})\  in  75  Tagen  ...  die  Menschen  .  .  .  nehmt  die  Zeit 
Tag  Ahiinavat-gäh,  der  Tag  Yahisidist  (d.  h.  die  fünf  letzten  Jahres- 
tage, die  Epagomenen)  soll  der  letzte  sein." 

Die  näher  bestimmenden  Angaben  dieses  Zitates  über  die  Grenz- 
tage der  Jahreszeiten  hält  Nadershah  für  spätere  (im  3.  Jahrh.  n.  Ohr.) 
eingeschobene  Interpolationen;  jedoch  bleibt  bestehen,  daß  schon  in 
der  älteren  Zeit  für  die  Jahreszeiten  folgende  Längen  angenommen 
Avorden  sind:  i\\v  MaldhijöiüremyaAo  Tage,  für  Maidhijoshema  60  Tage, 
für  PaitishaJuja  75,  für  Ai/äthrema  30,  für  MaidJujdirja  80,  und  für 
Hamaspaikmaklhya  75  Tage.  Da  in  dem  obigen  Zitate  des  Bundehesch 
der  Sommer  210  Tage  vom  1.  Frarardhi  bis  30.  Mihr  dauert,  so  fällt 
Mitte  Sommer  (Maldhßshema)  auf  den  105.  Tag,  den  15.  Tir,  und 
Mitte- Winter  {Maidhyäirja)  auf  den  80.  Tag  des  Winters,  den  20.  De'L 
Um  die  Lage  dieser  Jahreszeiten  mit  dem  julianischen  Kalender  un- 
gefähr vergleichen  zu  können,  nehmen  wir  für  das  Avesta  das  5.  oder 
6.  Jahrh.  v.  Chr.  an  (obwohl  das  Alter  des  Avesta  derzeit  noch  streitig 
ist).  Damals  lag  das  Sommersolstiz  etwa  beim  28.  Juni;  demnach  war 
Maidhyöshema  am  28.  Juni,  der  Frühling  [Maidhydzaremya)  fing  aber 
105  Tage  früher,  am  15.  März  an.  Mit  Eücksicht  auf  die  anderweitigen 
Angaben  der  Parsen-Literatur  über  die  Dauer  der  einzelnen  Jahres- 
abschnitte ergibt  sich  dann  folgende  Übersicht  über  die  6  Jahreszeiten : 

Dauer 

1.  Maidhydmremya  (Frühling  v.  l.Ferverdhi — Ih.  Ardehehesht 

=  15.  März  bis  29.  April      ....     45  Tage 

2.  Maidhydshema  (Sommer)  vom  15.  Ardehehesht — 15.  Th- 

=  29.  Aprü  bis  28.  Juni 60     ,, 

3.  Paitishahya  (Erntezeit)  vom  15.  Ttr — 30.  Shanr 

=  28.  Juni  bis  11.  September    ...     75     „ 

4.  Ayäthrema  (Herbstzeit)  vom  30.  Sharh- — 30.  Mihr 

=  11.  September  bis  11.  Oktober       .     30     ,, 

5.  Maidhyäirja  (Winter)  vom  30.  Mihr — 20.  De'i 

=  11.  Oktober  bis  30.  Dezember   .     .     80     ,, 

6.  Hamaspathmaedhya  (Vorfrühling)  v.  20.  De'i — 5.  Epagom.-Tag 

=  30.  Dezember  bis  15.  März    ...     75     ,, 

Zusammen  365  Tage 


286  IV.  Kapitel.     Zcitrct'linuiig  der  Perser. 

Danach  hatten  die  Monate  im  G.  Jahrh.  v.  Chr.  etwa  die  folgende 
Lage  im  Jahre: 

Ferrcrdhi  vom  15.  März          — 14.  April 

ArdehelieM  ..  U.  April          —14.  Mai 

Khordäd  ..  14.  Mai            — 13.  Juni 

Ttr  ,.  13.  Juni           —13.  Juli 

Mordäd  „  13.  Juli            — 12.  August 

Sharh  „  12.  August       — 11.  September 

2Ilhr  ,.  11.  September  — 11.  Oktober 

Ähän  „  11.  Oktober     — 10.  November 

Ader  „  10.  November  — 10.  Dezember 

De'i  „  10.  Dezember  —  9.  Januar 

Balimen  .,       9.  Januar       —    8.  Februar, 

Äsfendärmed  „       8.  Februar     — 10.  März 

(und  5  Epagomenen-Tage). 

Die  Bedeutung  der  oben  angegebenen  Namen  der  6  Jahresabschnitte 
mußte  mit  der  Zeit  verloren  gehen,  da  das  altpersische  Jahr  nur 
zu  365  Tagen  gerechnet  wurde,  also  ein  Wandeljahr  war  wie  das 
alte  ägyptische  und  sich  daher  wie  das  letztere  allmählich  gegen 
die  Jahreszeiten  verschieben  mußte.  Aber  auch  in  dem  Falle,  wenn 
die  alten  Perser  durch  Schaltungen  ein  festes  Jahr  zu  erreichen 
suchten,  diese  Schaltungen  aber  nicht  regelmäßig  ausübten,  sondern 
durch  Jahrhunderte  vernachlässigten  (s.  §  68),  mußte  ihr  Jahr  mit 
den  faktischen  Jahreszeiten  in  Konflikt  kommen.  Mit  den  Monaten 
wanderten  auch  Maid}iyd.car("mya ,  Maidhyöshema  u.  s.  w.  durch  alle 
Jahreszeiten  und  verloren  so  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  als  Natur- 
feste, Die  alten  Schriftsteller,  welche  mehrere  Jahrhunderte  nach 
dem  Untergange  der  Sassaniden  -  Dynastie  über  die  Feste  des  alten 
persischen  Kalenders  berichten,  geben  daher  Datierungen  der  6  Gahan- 
liär  an,  welche  um  ein  Vierteljahr  von  den  obigen  (natürlich 
nur  unter  der  ungefähren  Voraussetzung  des  Frühjahrsbeginns  auf 
den  15.  März  erhaltenen)  Daten  abweichen;  so  ALBiRUUNi  (973  bis 
1048  n.  Chr.): 

Muldhydzaremya  11.  Del 

Maidhyöshema  11.  Isfendarmad 

Paitishahya  26.  Ardehehesht 

Ajäthrema  26.  Khordäd 

Maidhyäirja  14.  Shartr^ 

Hamaspathmaedhya  26.  Ahän 

I)  Bei    Aj-ijfKUNi    (Chrono!,    of  ancient   nations ,    edit.  E.  Sachau,  1879)  wird 
Maidhyäirja  irrtümlich  auf  den  16.  Mihr  gesetzt. 


i^  6G.     Epiigomciicn,   Tagcsaiifang,  Tagestciluiig,  Feste.  287 

§  66.    Epaijomeiieii,  Tai^esaiifaiig,  Tagesteilunj?,  Feste. 

Die  fünf  Ergänzungstag-e  (Epagomenen),  welche  den  zwölf  30  tägigen 
Monaten  ang-ehängt  wurden,  heißen  persisch  (jhä  Fcrvardlan ,  was 
darauf  hindeutet  —  und  diese  Bemerkung  ist  wichtig  — ,  daß  diese 
Tage  mit  dem  Monat  Ferverdtn  verbunden  waren.  Wir  haben  ge- 
sehen, daß  nach  dem  Bundehesch  das  Jahreszeitfest  Hamaspathmaedhija 
auf  die  Ergänzungstage  am  Ende  des  Monats  Spondärmad  gesetzt 
wird  (s.  S.  284).  Dieses  Fest,  persisch  das  Ferverdigän-Fest  genannt, 
verband  die  5  letzten  Tage  des  Jahres  mit  den  5  ersten  des  neuen 
Jahres  (2IuMf(t -Fest).  Von  den  persischen  Autoren  werden  die 
Epagomenen  auch  Endergähä,  von  den  arabischen  cd  musterake  {cd 
mcisruka)  :=  ))uh)C(i  xloniuaiai  d.  i.  versteckte  Tage,  geheißen.  Die 
5  Ergänzungstage  haben  besondere  Namen;  die  gewöhnlichen  der  in 
mancherlei  Varianten*  auftretenden  Kamen  sind: 

1.  Ahnacl  '      \_Aliunavaitl] 

2.  Äshnad  [Ustavaiti] 

3.  Isfendärmed       [Spentämcdnyn] 

4.  Achschcitar         [VohuMishcdhrci] 

5.  Wahisht  ivasht  [Vahistdisti] 

Die  Stellung  der  Epagomenen  zu  den  Monaten  war  nicht  immer  ein 
und  dieselbe.  In  der  ältesten  Zeit  erhielten  sie  ihren  Platz  am  Schlüsse 
des  Monats  Asfendäfmed  und  bildeten  den  Übergang  zum  Ferverdin, 
in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Islam  aber  wurden  sie  hinter  dem 
8.  Monat,  dem  ÄhCoi^  eingelegt,  und  erst  mit  der  Reform  des  Kalenders 
durch  Dscheläleddin  (1079  n.  Chr.)  gelangten  sie  wieder  ans  Ende  des 
Monats  Asfendärmed  (s.  hierüber  später). 

Über  den  Anfang  der  Zählung  des  bürgerlichen  Tages  {schebän- 
rüz)  scheinen  nicht  viele  zuverlässige  Angaben  vorhanden  zu  sein. 
ÜLUG  Beg  sagt  (Epochae  ceJehr.,  S.  3)  daß  die  „Nichtaraber"  den  Tag 
mit  dem  Morgen   anfingen,  womit  vielleicht  die  Perser  gemeint  sein 


1)  Albikuni    (a.  a.  0.  S.  53)   gibt   folgende  6  Varianten   nach  verschiedenen 
Quellen : 

1.  Tag               2.  Tag  3.  Tag                 4.  Tag                     5.  Tag 

sb'jcAPt           s'J'AÄ.iit  »lyAÄä^l     8Lyjs./cA;.ä>v.!              BlXix;:^ij 

»'J^ö^äPI            s'j'öjJCiil  sL5'i>.^Ä>.*^!      5L5\ÄAi>»^» 


288  IV.  Kapitel.     Zcitrecliimiiji-  der  l'erser. 

können.  Die  Zählung-  des  Tages  vom  Sonnenaufgang  kann  man  aus 
den  Worten  des  Bwidehesch  XXV  2  folgern:  „Zuerst  ist  es  notwendig 
den  Tag  und  die  Nacht  zu  zählen,  für  den  ersteren  geht  der  Tag 
voran  und  dann  bricht  die  Nacht  ein."  Bei  der  Aufzälilung  der  Teile 
des  Tages  scheinen  die  heiligen  Schriften  meist  vom  gdh  harani,  d.  i. 
von  Sonnenaufgang,  auszugehen.  Es  gab  5  solcher  für  den  Kultus 
wichtigen  Tagesabschnitte  oder  ydhs  (im  Winter  4):  ushahina  =  die 
Zeit  von  Mitternacht  bis  zum  Morgengraun,  zum  Verschwinden  der 
Sterne;  hävani  =  die  Zeit  von  Sonnenauf