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„^tlmmien aiiü Maxm-Kaaä^'
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pie feciale gtrage
itUuäjtet hnxä) bie
^ie
fociafe ^rage
belcui^tet Und) bie
^.Stimmen au§ 9Äaria=?aat^".
3toetter iSattb. (^^eft 8 bt§ 11.)
^reifiurg im |Srci6gau.
:^erber'|d)e 53erlag§i:)anblun3.
Svoeigniebetlafinngen in 2Bien, Strasburg, 3Dtün(j^en uub ©t. ßouiö, 30to.
Mt atec^te DDrbe^Qlten.
asu^brucferei bcr ^erber'fd^en Sßerlagy^anblung in ^reifimg.
3 n Ij a l t.
8.-11. §cft:
i3iberali5niu§, (5ociaIi§mu§ unb d^rifllic!^e ®e[enfd^aft§DibniiJU3.
Jßon §etnrtcf) ^efd) S. J.
©rfter %i)t\l.
I. S)er äiriftUd^e ©taat§begnff.
II. S)a§ ^riöateigcntl^um alö jociale ^nftttution.
in. iJreitüirtfd^aft ober SOßirtfc^aftöorbnung?
Pie foctafe ^rage
beleuchtet burd^ bic
„stimmen aus ?!}laria=Saac^".
8. fleft:
t§, ©Detail
55on ^cinrir^ ^^^cfd^ S. J.
3ttcttc Qluflage
5niit 5lpprol5ation be§ l^od^to. ^Qt)itelät)tcanat§ f^reiburg unb ber
Drbengobern.
^teißutg im |8tei$gau.
^ e r b e r ' f d) e 3] c r I a c? § I) a n b I u n g.
1898.
SiDeignieberlaffungen in töten, Slratburg, inünd)cn unb St. €ouis, 2Jlo,
2)a§ '3t(ä)t ber UeBcrfefeung in frembe ©prad^en loirb üorBelialten.
Su^brucferet ber ^erber'fd&en SSerlaggfianbtung in ^reiburfl.
©einem fjo^tjcre^rten Se^rcr
P. Ißcobor pciper S. J.
in ©an!6arfeit unb Sreue gett)ibmet
nom Üerfttfffr.
^ 0 r ttJ 0 r i.
2)aö 33e[treBen, einige in ben „(Stimmen au» 5[l]oria=
2aaäi" beröffcntlid^te ^Ibljanblunoen über bie ^rtöänge ber
liberalen, fogen. „f(affiid)en Dlationalöfonomie", fomie über
ben altern unb neuern (5DciaIi§mu§ unter einem einfjeitlidien
©e[i(^t§punfte sufammenäufaffen , ^ai m\ä) beranlaf^t, nid^t
blo^ bie früf;ern 5(uf|ä^e gönslid^ nmsuorbeiten unb burc^
mejentlidie Srgänjungen bebeutenb ju ermeitern, fonbern auc^
[latt be§ bereit» angefünbigten engern Sitel» „2)ie geiftigen
2Ba[fen ber (Socialbemofratie" eine umfaffenbere Sejeic^nung
3u motten. S)amit ift aber auc^ gugleid) ber ^md ber ©d^rift
ein anberer geworben.
(5§ ift mieber^olt, in§be[onbere um ben jungem 5)litglie=
bern be» fat^olifc^en (5(eru§ ein grünblicfie» ©tubium ber
l'ocialen f^rage ju ermöglit^cn, ber SBunjdb geöuBcrt morben,
e§ möi^ten au§ bem ©ebiete ber 5]3f)iIo)op()ie , ber Suri§pru=
benj, ber DJ^oral, ber Dlationalöfonomif unb ber ©efc^icöte
aüe bicjenigen Se^ren unter einem einheitlichen ©efic^tapunfte
in einem einzigen 2Ber!e äufammengefteHt merben, meldte für
ein tiefere» SßerflänbniB ber kämpfe ber ©egenmart unent=
betjrlic^ finb.
S)iefe 9tufgabe ift febenfallg eine fc^mierige. 3n§befonbere
mirb bie innere 5Ibrunbung be» überau» üielfeitigen Stoffe§
äu einem einheitlichen Ö)u| hierbei nottjmenbigerroeife manche»
ju tt)ünf(^en übrig laffen. Mein ber prattifd;)e SBert:^
VI SSortDort.
einer berartigen 3wfommenfteIIung ift imberfennbar, ba ntc^t
jebermann über eine größere Sibliotfje! öerfügt, nocl^ tüeniger
ober 3eit finben tann, um felb[t au§ ber 'i)öä)\i reichhaltigen
Siteratur bie nöt^ige 58ele^rung ju fc^öpfen. 3:ro| aller ft)[te=
moti[d)en Sebenfen tjobe ic^ barum geglaubt, toenigfteng ben
35eriuii) einer 3u[animenftettung wagen ju foUen.
SOßenn nun auc^ bejüglid) ber organifd^en ©tofföert^eilung
unb ber ftreng einl^eitlidien ©lieberung beg ©ansen jott)ie ber
Steile im 2>er^ältni^ ^um ©anjen bei borliegenber ©d^irift
mit i^rem befonbern S^^d nid&t ber [trenge 9)kB[tab gelten
fann, ber auf ein eigentlid)e§ Se^rbud) ?lntt)enbung finbet, fo
ergibt fiel) benno(^ eine naturgemäße 5lu§mal}l unb @intl;eilung
be§ ©toffe§ Qu§ ber S3erüdfid)tigung ber lämpfenben Parteien
unb ibrer berf(^iebenen ©teüung ^um ©treitobject.
5luf ber einen «Seite flehen bie 33ettreter ber diriftlid^en
G)efellfd)aftaorbnung, auf ber anbern bie 5Inl)änger be§ 2ibe=
rali§mu§ unb be§ @ociali§mu§. ©omeit ba§ mirtf^aft=
lid^e 2zhtn in ^rage ftel)t, lautet bie 5|3arole be§ 2iberali§mu§ :
greirairtfdbaft. S)ie SSorlämpfer ber d)riftlid)en Srabitionen
forbern bagegen eine ben {;eutigen Sßerl)ältniffen angepaßte,
nad) 5J?aßgabe ber ®ered)tigfeit unb be§ gemeinfamen 2Bol)le§
gebunbene 2Birt|d}aft§orbnung, 2)ie 6ocialiften enblid) erbliden
ba§ |)eil in ber 33efeitigung ber ö!onomif(j^eu ©elbftönbigfeit
ber ^nbiöibuen, in gefetlfdiaftlidiem @igentl)um unb gefeKfcbaft^
lieber ^robuction.
allein bie ©egenfä^liditeit ätt)ifd)en SiberaliSmu» , <5ocia=
ligmuö unb ß^riftent^um befcbränft ficb leineäinegS auf ba§
tt)irtfd)aftlid)e ©ebiet. 3m @egentl)eil finbet bie geinbfi^aft erft
i^re tiefere ßrflärung unb Segrünbung in ber grunbfä|lid)en
aSerfctiieben^eit ber allgemeinen ©efetlfd^aftSle^re über=
^aupt, mie fie feiten§ ber ftreitenben ^Parteien aufgefaßt wirb.
3n le|ter 2inic ift e§ fogar bie 93erfd)iebenl;eit ber 2B e l U
anfd)auung, bie eine unüberbrüdbare ^luft jmifcben ben
SSomort. vii
25ertretern be§ (5l^riftent§um§ einerfeit», bem bürgerlichen unb
fociülbemofratifc^en Siberalismua Qnberer]eit§ eröffnet unb ben
legten ©rflärungSgrunb für bie liberale unb fociaIiftifd)e ©e=
fenfcf)Qft§IeI)re barbietet.
Somit i[t bie Sia|)ofitiDn ber öorliegenben Bä)x\\t bon
felbft gegeben.
3)er crfte S^eil befianbelt in jtuci |)eften p^ilofo^l^ifd^
unb ^iftorijc^ einige |)auptpun!te au§ ber d)riftlid)en
@efenfd^aft§Ie|re mit i^ren mic^tigften ^Folgerungen für
ba§ tt)irtfcf)aft(icf)e ©ebiet.
S;er ämeite Sl^eil icirb fic^ mit ben h)iifenfc^aft=
Heiden ©runblagen beS 2iberaH§mu§ befdjäftigen.
S)er britte S^eil enblic^ !§at bie 2ef)ren unb ^^orberungen
bea öltern mie neuern ©ocialismua ju |)rüfen.
^n allen brei Steilen mirb ber 3i^iött^n''2"^'^"9 "^^^ f"^=
jetnen S^eorien mit ber 5U ©runbe liegenben SBeltanfc^auung,
foroeit bie» än)ecfentfpred)enb erfd^eint, fjerborge^oben tüerben.
Um eine bem praftifc^en Q^ecfe entfpredjenbe 5(u§n)a^I be§
in ben einzelnen Steilen ju befjanbeinben Stoffe^ ju treffen,
\üax e» nöt^ig, borab menigftenä in einer allgemeinen Ueber=
fi(^t ben principieUen Stanbpuntt be§ ^leutigen <SDciaIi§mu§
unb fein 93erfjältni^ jum 2ibera(i§mu§ bereit» im SInfange
ber Sd^rift ^ur S)arfie[Iung ju bringen.
5lm gefle be§ ^eil. 3Soter§ Sgnatius, ben 31. ^uli 1893.
:Qnnnd) )ßefd) S. J.
2)ie !ReuaufIage bot mir tDiÜfommene ©elegenl^eit , einige
3ufä|e äu mad^en unb mand)e§ flarer ju faffen.
Die 33ert£;eilung be» Stoffes auf einjelne, nic§t alläu um=
fangreid^e öefte ^atte eine S^^^IßQung be§ „erften S^eileS"
nii SJortoort.
not^tDenbtg gemaci^t, bie mandjz Vin^ntxü%ü6)Mtm mit fi(^
führte. Sc^ f)a6e e§ barum für ämedmäBiger gehalten, in ber
jtüeiten ^lufloge 'bzn einzelnen |)eften einen befonbern, bem
fpecieffen Sn^alte entfpre(J()enben Sitel ju geben, nämlic^:
I. ®er d^riftlic^e etaatSbegriff (8. öeft).
II. S)Q§ ^ribateigent^um al§ jociale 3n[titution (9. ^eft).
III. grcitr)irt[i|)aft ober 2Birt|(f)Qft»Drbnung ? (10. unb
11. C)eft.)
5lm Se[te be§ ^1. (5tani§Iau§, ben 13. 9tob. 1897.
i^finrid) J)eftl) S. J.
3 n I) a 1 1*
©eite
SJortoort v
pic heutigen 5?cln6c hex ^)tifiii<!^en ^efcffff^affsorbnuttg.
1. 2)eT moberne ©ocialtSntuS aU ^Partei unb oI§ Söiffen-
m^t 1
2. Ser ©octaliSmuä alö ßiberaliömus beö öierten ©tanbe§ 12
€r(}fs fiapitcl.
Scr ^rtftltjfjc SttttttSbegriff im aEocmciuen.
1. ®te ©efeüfc^aft al§ fjorberung ber mm\^üä)m ?tatur . 36
2. ®ie Ser)xe öom Urfprung be§ ©taate§ unb ber ftaQtIi(^en
©euialt 50
3. Staat unb 3(nbiöibuum 62
4. Staat unb ©efeltfd^aft . . .... 76
5. Staat unb Siecfit 98
^roritw fiapitfl.
2)tc ftaatlii^c Jleii^tSDrbnunfl.
1. Sie ©eret^ttgleit aU ^ximilp ber Drbnung ... 128
2. Sie S^orberungen ber allgemeinen ©ere($tigfeit . 135
3. Sie befonbere ©erei^tigfeit unb i^re fjorberungen . 165
4. !Principieße(Sefi(^t§punIteäurJßeurll^eiIungfoctaIer fragen 184
Heberfii^t über bie in ber er[len 5(uflQge non |)eft 9—11
(S. 195 — 732) oorfommenben S^ertreifungen auf hü% 8. §eft
CB. 1 — 194) mit 9lücf[id)t auf bie borliegenbe öeränberte
jroeite 5(iiflage biefe» |)efte§.
1. atuflogc. 2. Auflage.
S. 208 Deriüieien auf S. 47 ff., fie^e ©. 62 ff.
405 36 ff., „ „ 36. 44 ff. 51 ff.
411 „ „ „ 36 ff., „ „ 50 ff.
413 140. 169 128. 186 ff.
429 120 ff., fättt fort.
430 „ ,, „ 120 ff. 159,
437 „ „ „ 47 f. .54 ff., „ „ 61. 70.
442 „ „ „ 49 ff., „ „ 62 ff.
450 „ „ „ 40, „ „ 53 f.
454 „ „ „ 129 ff., „ „ 128 f.
505 „ „ ., 136 f., „ „ 131.
526 23. 104 f., „ „ 97 ff. 100, Stnm.
540 „ „ „ 56 ff., „ „ 74 ff.
548 „ „ „ 77, „ „ 62 ff. 76 ff.
546 143, „ „ 121 ff.
Sie Ijeutigcn geiiibe ber i^riftüdjcn @e|ell=
fi^aftöorbmutg*
1. 'pex mobcvne §octaft6ttttt6 afö ^*avfet
O
1. Oei5em, lüeldier fid) mit ber mobernen focianftifdjcn
Literatur beft^oftujt Ijat, irirb bte füfjne, nid}t feiten I}öf)m)d)e
3uber[i(^t aufgefallen fein, mit toelc^er bort bie fociatiftifdjen
Sefjren al§ i)ödi\k, foftbarfte @rrungenfd)aften be§ mcnfd^üd)en
(Beifte§, öla ©ipfel= unb 3ief|^itn^t "flei^ biatjericjen Sffiiffenfdjaft
angepriefen, ja gerabeju mit bem 9iim6u§ einer unanfedjtbaren,
unfehlbaren ©eiüifjfieit umfleibet tt)erben.
„2Bir Ijaben feit ber 5(uff}ebung be§ ©Dcialiftengefe|e§ fef^r
biel bon bem ,^ampf mit geiftigen Söaffen' geijört," fd)reibt
2ieb!ned)t, „fo biel, bof? ba§ 2Bort jum ©potte getoorben
ift. Sie 33ertreter ber befitjenben unb angeblid) ,gebi(beten'
klaffen finb e§ gcmefen, roeldje ben ,^ampf mit geiftigen 2Baf=
fen' erfanben unb if;n ber Socialbemotratie, ben 5lrbeitern, an=
boten unb aufbrängten. SBo^Ian, im 5}knbe biefer ^erreft
mar biefe 5trt be§ Kampfes bon bornfjerein nur eine 9teben§=
art; unb außerbem liegt e» in ber 9?atur ber Singe, ha^ e§
gegen ben (SodaIi§mu§ , ber eine SBiffenfd^aft ift, ,geiflige
2Baffen' nidit geben fann — f)öd)ften§ bie gefälfd}ten 5tac^=
bilbungen einer gemiffenlofen Sopfjiftif unb ükbuliftif . " ^
' „®ie 9bue 3eit" 1890/91, 9h. 18, ©. 583. „Srief auö Berlin"
üon S03il^. 2ieb!ne(%t.
^i](^. SiJ)eraIi§OTU§ 2c. I. 2. Slufl. 1
2 ®te l)eiiti3en iJeinbe ber (3^rt[tlt(i)en ©efeüfd^aft^orbnung.
^etr 2iebfned)t trollte lüot)!, inbem er mit unt)e[c^reiblic^er
5)laiöetQt au§ „ber ytatm ber S)inge" bie ^Jlac^tloftgteit gei=
ftiger SBaffen gegenüber bem @DciaIi§nui§ a(§ einer „2öi|fen=
\ä)a\t" fjerleitete, ben „unglüdlidien 5tböocQten be§ 5l'apitalia=
mn§" feinerfeit» ein Qbf(f)redenbe§ ^;)Jhi[terbei]piel jener gen)i[fen=
lofen Sop^iftif unb Stabulifli! bor 5tngen fü(}ren, tceti^e fie
fürber^in im Kampfe mit ben mi[fenfcE)QftIid)en ©rö^en be§
@DciaIi§mu§ ollen ©rnfteg ju öermeiben fjötten. 5inein me^r
no(^ qI§ bie grobe 2Seriüed)§Iung ber obfoluten, über ade 5ln=
fe(f)tung erhabenen SSa^r^eit mit einer öon irrtf)um§fä^igen
9J?en)d)en aufgebauten SBiffenfc^aft muf^ in ben SBorten 2ieb=
fnec^tS ba» ftolje ©elbftberauj^tfein befremben, meldieS lebhaft
an jene fouberäne 3Sera(|tung erinnert, mit ber bi§ gur ©tunbe
aud^ bie SSertreter ber liberalen Sßiffenfcbaft auf aKe§ nieber=
bliden, tt)a§ anber§ beult al§ fie.
Ob nun aber biefe fo juberfid^tlid) jur ©d^au getragene
@id)ert)eit fad)Iict) begrünbet ift, ober ob bielmef)r jene felbft=
gefällige unb tjerauaforbernbe ©prac^e bor aüem nur bap
bienen foll, bie grensentofe ^dtmadjt einer abfolut unljaltbaren
^ofition äu beden, barüber un§ gu bergemiffern, bürfte bie in
biefer ©djrift gebotene llritit ber focialiflifdben Seljren bieHeic^t
geeignet fein.
2. Man mirb unferem 33or^aben gegenüber geltenb machen,
ber fieutige @ociaIi§mu§ ftü^c fid) nidjt fo fe^r auf 3;fjeorien,
fonbern fud)e unb finbe feine (Srflärung namentlid) in ber offen=
funbigen 2;^atfa(^e be§ allgemeinen mirtfdiaftlidien 33erfane§.
S)iefe Sinmenbung fann einen boppelten ©inn fjaben, je
nad)bem man ben ©ociaIi§mu§ al» Partei ober al§ 2[öiffen=
fd^aft auffaßt.
(5§ mor in ber 9teid)§tag§filjung bom 31. Tlai 1886, mo
ber Ibgeorbnete 2Sinterer unter ben C-)aupturfad)en für bie
33erbreitung ber ©ocialbemofratie bie fortfd^reitenbe „ 5|3roIetari=
firung" be§ S3ol!e§ aufjaljUe. „3a, ha^ ift bie Oueüe," ant=
1. ®er moberne (Sodali§mu§ aU !ßartet unb alä SlSifjenfifiaft. 3
lüortete ber 5tbgeorbnete Sebel, „au§ ioeIc()er ber <5Dciati§=
muö [eine 9ial)rung fc^iöpft. ^oben «Sie ein 9}httel, biefe
Queue ju ber[to|)fen? S^abm ©ie ein ^D^ittel, bie ^roIetari=
[irung ber yjJaffen oufäuljalten? 3n bie[em Stalle luetben Sie
ben (2ocian§inii§ bemeiftern !önnen." 3^£i[c^^o!)ne luaren
biefe 3Borte S3ebel§ hjoljlbegrünbet. S)er (5ociaIi§mu§ qI§ poIi=
tif^e ^Partei rairb föefentlid) geförbert bur^ bie luadjfenbe ^er=
arnumg, butc^ jebe ^Irt Don 5lu§beutiing ober llnterbrücfiuig.
(S§ roäre ba^er tliörid^t unb berfjQngniBüoü, menn man, näd)ft
ber ©tär!ung be§ @influffe§ ber d)ri[llic^en Üieligion, bie tüir!=
famfte Sefompfung ber Sociolbemofratie auf einem anbern
©ebiete fud)en moüte qI§ auf bem S3oben ber |)raftif(^en
©Dcialreform^. @rft wenn bie Urfodien mirflid) gercditer
klagen befeitigt [inb, bann unb bann allein mirb bie focia=
liftifc^e Agitation ifjre fiegreid;e ^raft berlieren. «Sollte [id)
aber unfere f)eutige ©efeüfd^aft nid}t beizeiten ju grünblicben
unb ben Sebürfniffen föa^rljaft enifpred^enben ü^eformen öer=
[te^en, tueift fie mit fjarter 3öf]ig^eit jebeä größere 0|)fer für
bie mittlem unb untern klaffen ber Seöölferung ah , bann
mirb \l)x ganj gen3i^ aVi ba§ Unr^eil, all bie Dual unb S3or=
' ö. ©(iiäffle fpriifit in ber ©d^rift über bie „5tu§fid)t§Ioftg!eit
ber ©ocialbemofratie" (Süb. 1885, ©. 111) feine 2lnfid)t im gleidjen
Sinne au§: Sf^ic^t öor irgenb toeldjen 25ctt)eiSgrünber. umrben bie
fj-ül§rer ber ©ocialbemofratie bie ©egel ftreidien. „2[ßenn fie mit
®ngel§änngen iniberlegt toären, fo toären fie \\o^ lange nid)t oug ber
Sßelt gcfd)afft. 3<l bebaure boö auc^ gar nid)t. ®ie ©ocialbemo=
fratie mu^ fo lange bleiben, fogar toad^fen, bi§ fie bie befte!^enbe ®e=
feEfdiaft gestoungen l^at, auf ber ganjen ßinie bie pofitiüe ©ocialreform
aud^ toirüid) in 3lngriff gu nefjmen unb iiorbeI)aWo§ bur($jufü:^rcn,
toaä no6) lange nid^t gefd)el)en ift. §at fie biefe gefd^id^ttid)e ©en=
bung erfüEt, bann n^irb fie felbft betoirft l^aben, ba§ aud) ha^ 5pro=
letariat bie ^ufunftötaube auf hzm '^a^t be§ ©ociaUftenftaateö fi^en
laffen unb mit ben greifbaren S^rüdfiten ber unter htm Stngriffe ber
©ocialbemofratie l^ertoorgetriebenen 9leform:poIitif fid) befreunben toirb."
1*
4 Sie l^eutigcn fjeinbe btx cEinftlic^en ©efeüfcfiaftäorbnung.
batet nid^t erfpatt blei&en, föeldie mit bem 9Serfu(i) einer re=
bolutionären Unujeftaltung ber focialen 33erpltnif|e notfjtoenbig
berbunben [inb. 9Jief)r qI§ olle focioliftifdien S^eorien unb
2BQf)Ifiege fürifiten lüir borum ben lä^menben @influ§ be§ 2ibe=
raUamuS, lücldier einer Umgeftaltung ber (Srtüer6§= unb (äigen=
t^um§öer^ältni[je im diriftlirfien Sinne principiell miberfte^t^.
Solange bie leitenben Greife nid)t erfennen, ba^ bie 3eit be§
* lieber bie tu liberalen Greifen nod) immer :^errf(f)enbe 35erl6ten=
bung äußert fi(f) ßnri 3entfd^ iu feiner ©c^rift „Sßeber 6;Dmmumö=
muö mä) ßapitatiömuö" (ßeipäig 1893) ©. 366 jum S^eil treffenb
folgenberma^en: „®er fjreil^err ö. ©tumm tjat eö offen im 9fteid^§tage
au§gefpro(f;en, ba^ er bie Slrbetterfroge aU reiue SJlacfjtfrage auffaffe,
unb er l)at bie 3tegierung aufgeforbert, öon i()rer 9Jlacf)t rücffic^töIoS
©ebraud^ 3u macf;en. ©e^r einflußreiche ^reMümmen ^ben if)m bei=
gepf(id)tet, unb feine ber bürgertidfien Parteien ^at biefer 2(uffoffung
mit yiaä)hxüd toiberfprocEien. ®a§ Reifet alfo: ®ie So^narbeiter, bie
3ur 3eit bie fleinere §älfte ber SBeübüerung bitben unb öieüeidit f(|on
naä) ge^n Qabren bie größere bilben Uierben, benen fic^ möglii^eriüeife
aud^ 3übIrei(J;e i^Ieinbürger, Kleinbauern unb Unterbeamte anfcfjtießen,
biefe ßoi^narbeiter tooEen unter ben biäl^erigen SÖebingungen nic^t
me^r iceiter fdiaffen unb bienen, unb ber ©taat fott fie gunngen, e§
äu t^un. ©ein 3toang§mittel ift fein §eer. S)iefe§ §eer befielt äur
§ärfte aug ©ß^nen ber rebeltifcifKn ßlaffe. ®ie ©ntfd^eibung pngt
alfo baüon ab, ob biefe bereit finb, i^rem @ibe getreu auf ibre 9]äter
unb ajtütter ju fcfiießen, toenn e§ i^nen befo^ten toirb. 9lur eine§
gibt e§, toaä bem ®ibe Kraft öerleil^t, ba§ ift ber ©laube an ben
lebenbigen, pcrfönli(f)en ®ott, unb gtoar ein ©laube, ber fid^ auf leine
©afuiftif einläßt unb niöit unterfuc^t, ob ein @ib oud^ bann binbe,
toenn man mit Berufung auf i^n ju einer §anblung gegioungen toirb,
ber nic^t allein bie ®mpfinbung, fonbern anä) baä ©eioiffeu lr)iber=
ftrebt. (? ? @ine bem ©eloiffen luiberftrebenbe ®ibe§pffi(f)t toäre benn
bo($ eine merfwiirbige ©acfje!) — Itnb auf biefeä bünnen SDleffer§
©(^neibe gebenft man bie ©efeEf($aft§orbnung unb ben ©taat su
bauen, ein ^al^r naii)bem ber große Sntrüftungöfturm bie ,2tuöliefe=
rung ber ©djule an bie Kirdje' öerbütet 'ijat , möbrenb boä) ber ein=
föltigfte ßir(f}englaube aüein jene unbebingte ®ibe§treue fid)ern fann,
für bie eä auf freigciftigem ©tanbpnnfte gar feine 3DWglic^feit t)er=
nünftiger Segrünbung gibt."
1. ®er moberne SocialiSmuS aH ^nrtci unb aU 2Cßiffenfä)aft. 5
2iberan§mu§ enbgiltig abgelaufen i[t, folange )ein berber6en=
bringenber ®ei[t bte Ütegierungen f;emmt itnb bie ©efetjgebung
fie()errfd)t, lüirb bie ©ocialbemofratie i^re Srium)3§e feiern unb
mit bered}tigtent ^oijn ben (Segner überfc^ütten , ber ®ro^e§
boübracbt ju fjaben g(aubt, wenn er ba» lobernbe geuer mit
einigen Sropfen tRofenroaifer befprengt.
2)ie ©ocialbemofratie al§ ^artei finbet alfo in mancben
bebauern§tt)ertf)en 2:^atfadjen be§ rairtjd^aftlidien 2eben§ bie
fröftigfte 6tü|e unb görberung.
3. SKber auci^ al§ „SBiffenf d)af t" min ber ©ociaIi§mu§
nur ba§ getreue 5(bbilb gegebener t^atfä(i^Iid)er 23er()ä(tniffe
fein, ßr beanipvud)t für fid) ben 6f)ara!ter einer ftreng §iftD=
rifd)en 2Biffen[d)aft, meiere ben 23erlauf ber bi§()erigen @nt=
midlung ber gefeüfd)aftlid)en Organismen jur objectiüen ®ar=
fteüung unb 5um rid)tigen 35erftänbniB bringen foll, t)infid)tlid)
ber 3^i^ii"ft "iii^t ^"f ^^^B tf)eoretifd)e ©riinbe £)in, fonbern
nur infofern 5Infd)auungen au§fprid)t unb gorberungen auf=
fteüt, als biefe in ben gegenmürtigen 3iifiönben bereits t)Dr=
gebilbet unb feimmeife enthalten finb.
(£o erflärt 5-53. griebrid) (SngelS mit grof3em 5'iac§=
brud, 33larj Jiabe niemals feine communiftifd^en ^orberungen
auf irgenb meld)e 9cutjanraenbung ber 9ticarbofd)en äÖertl}tt)eorie
gegrünbet, fonbern allein auf ben notljmenbigen, fid) Dar unfern
5lugen täglich me^r unb meljr öolljie^enben 3ufammenbru(ib ber
fapitaüftift^en ^robuctionSmciie ^ (äbenfomenig bürfe bie natür=
Iid)e ®leid)5ered)tigung aller DJienfdien, n)eld)e für bie altern
g-ormen be§ 6onnnuni§mua unb ©ocialiSmua ben pl}i(ofop^i=
fdien Stü|punft bilbete, al§ ttjeDretijdje Unterlage ber prafti)d)en
gorberungen beS moöernen ©ociali§mu§ betrad;tet merben ^.
1 Sfn ber a}orrebc ju DJlar^' „6Ienb ber ^^iIofopf)te" (Stuttg.
1885) ©. X.
2 g n g e U , §errn ®ugen Sü^ringg Umtoäläung ber äßifjenj'cljaft
(.3ürid^ 1886) ©. 91 ff.
6 ®te f)euttgen f^einbe ber d^riftlid^en ©efetff(f)aft§DTbnung.
5In einer anbern ©teüe freilici) unterftiieibet ©ngel^ ätüifd^en
beffen Snijalt unb tljeoretifc^er gorm: „2)er moberne @d=
ciaa§mu§ ift feinem Sn^alte mä) junäc^ft bog gtseugni^
ber ^n]d)nuimg einerfeit^ ber in ber heutigen @efell[d)aft I;err=
fcfienben A(a[]engegenfä|e, Qnberer)eit§ ber in ber ^probuction
I)err[d)enben 5(narc^ie. 5Iber feiner tfieorctifdjen gorm nac^
erfd)eint er anfängliciö ala eine toeiter getriebene, angeblich con=
fequentere g-ortfüf^rung ber bon ben großen franjöfifdjen 9Iuf=
üärern be§ 18. ^a^r^unbertg aufgefteHten ©runbfö^e. 2Bie
jebe neue Sfjeorie, mußte er junad^ft anfnüpfen an boS bDr=
gefunbene ©ebanfenmaterial, fo feljr aud) feine SBurjel in ben
materiellen ötonomifdien Stjatfadien tag." ^ 2Benn biefe 2Borte
irgenb einen «Sinn traben folten, fo betetjren fie un§ barüber,
baB ber moberne „tt)iffenf(^aftlid)e" ©Dciaii§mu§ benn bo^
nid)t über jene ftrenge Dbjectioität berfügt, beren er fici^ rüt)mt.
6r betrad)tet bie 3;I)atfad)en be» lüirtfdjaftlic^en Sebena nid^t
borurtfjeitgfrei, fonbern im Sichte eine§ ganj befonber§ gearteten,
1 @ngel§, Sie ©nttoidfung beö ©octaIi§mu§ öon ber Utopie
äur 2ßiflenfc£)Qft (4. 5aufl., SerÜn 1891) ©. 7. — 3ur aiergleic^ung
mögen Qud) einige Sleufeerungen Sieb fneäjtS f)kx angefüf)rt loerben.
3m 9ieic^5tage bezeichnete berfelbe bie 2:i)atfa(I;en be§ toirtläjoftlid^en
ßebenö alö Ie^te§ ^unbament be§ ©ocialiämuö: „geigt man nn§, ba^
bie t()atiäd}licf)en ^ßer^ältnifje onberö finb, aU nur fie fcf)ilbern, bann
ift bie ©ocialbemofratie nid;tä , bann finb toir bie Sügner, bie 93c=
trüger, aU xodä)t man un§ I)inftellt" (©tenograp^. SBerid^t 1875/76,
©. 1087, ©p. 1). Stuf bem ^Parteitage ju ^aüi betonte er bagegen
et)enfofeI)r bie „SBiffenfci^aft", bie n)iffenfcf)aftlid^e Stuffaffung unb (5r=
ftärung ber Sfiatfadjen olä ©runblage ber fociaIiftifd;en 23eftte6ungen :
„Sie äßifjcnfc^aft ift für unä ber 23oben, auf bem mir unüt)erminb=
lidj finb, toie eä für jenen ütiefen beä 3tltert()um§ bie 2)tutter ©rbe
iriar. ®ic23iiffenfi|aft ift bie SJJlutter be§©ociarigmu§;
inenn mir fie Oerlaffen, finb tnir öerloren. 2tuf bem 23oben ber
SÖiffcnf c^aft unb ber 2öir!Hd)feit finb toir unkfiegbar unb
loerben alle unfere geinbe überminben" (^protofoü beä ^Parteitagen 3U
§aüe ©. ISO f.).
1. S)er tnoberne ©ocialtämuä aU '^axki iinb aU Söifjenftf^aft. 7
„borgefunbenen ©ebanfenniotertalS". ßeine§tT)eg§ begnügt er
\\ii) bamit, bie f)i[tori)d) gegebenen 93er^ältnif]e fe[läu[lellen, ha^
eine f^actum au§ beni anbern ^n erklären, — er will öielme^r
:^inab[leigen unter bie an ber Oberfläcbe [ic^ abföfenben ge=
fd)ici)tlid)en ©eflaltungen, um bie in ber Siefe ber ^iftorifdjen
Semegung roirfenben Gräfte ju erforfc^en, bie ©efe^e aufäu=
fud)en, nacb benen bie großen geienfc^aftlidjen Organismen
ent[te[)en, [id) entmideln unb untergefien.
4. ^urj, ber moberne ®ocia(iömu§ i[t feine @efd)id)t§=
befc^reibung Don [treng objectibem ©ebalte, nid^t bloße ®ar=
[tedung I)i[türi|c^er S^atfad^en , fonbern ©ef d)i c^ t§ auf=
fajfung unb @eicbid)t§|3r)i(o[op^ie, unb jmar eine
^bilofop^ie ganj bejonberer 5(rt, bie jum %l)di ben auf=
!Iärerifd)en ^been ber franäö[i[d)en 2)enfer entnommen i[t, jum
Stjeif bef)err[dbt tüirb üon bem materia(i[ti|d)en DJ^oni§mu§,
namentlid} aber bon ber ßntroidlunggibee be» |)egelid)en 5pan=
Iogi§mu§.
©erabe ber ©ocinIi§mu§ fennt unb offenbart am beften bie
boHe Tragweite ber atf)ei[ti)d)=materia(i[ti)d)en 2BeItan]d}auung
für bie gefamte 5(uffaffung unferer öfonomifd}en, focialen unb
po(itifd)en 33erf}ä(tmffe. Söarum anber» ift man benn — trotj
ader 33erfid)erungen , ha^ „Üteligion ^ribatfad)e fei" — fo
rafl(o§ bemüht, bie gottlofen l^et)ren unb ©runbfä^e ber mo=
bernen 2Biffenfc^aft unter ba§ 23oIf ju bringen, raenn nicbt
beafjalb, tüeil bie güt)rer ber Partei bon ber Ueberjeugung
burd)brungen finb, ha^ bie gegenroärtigen ÜJiißftänbe : bie fort=
f(i^reitenbe (Soncentration be» Sefi^eS, bie häufigen S^rifen, bie
llnfid)er^eit ber materiellen ©riftensbebingungen für einen großen
Streit ber 53ebö(terung, bie oft brüdenbe unb unroürbige öage
ber inbuftrieüen ober Iänblid)en 5Irbeiter, bom ©tanbpunfte
ber materialiftifc^en ®ef(^id)töOuff af f ung aua eine
toefentlicb anbere ©eftatt unb g-orm annehmen al§ im Sichte
ber (^riftlid^en SQöeltanf^auung?
8 ®ie :^euttgen S^einbe ber i^rtftlid^en ©efeUfc^aftSorbnung.
SBemi in ber %l)üt, tüte ber ©Dcialismu» le^rt, bie ^euttgeti
tüirtld^oftlid^en 2]er{)älttit[fe bog f(^tiIbIofe (Srgedttt^ eitter trttt
utiübireiöbnrer Dhturnotfjtüettbigfeit ftd) öoHäie^enben (Sttttüid=
lung tüäreti, ttjenn tttcfit (Sott, ttic^t ber bertiüttfttge uttb freie
'>)Jlm\d}, fottberti allein bos tnecf>nni)cf)e 5trlieitötnitte( bie 2öelt
bef)errid)te, tnenn bie tüec^felnbe öfonotnifd^e ©trtictur ber @e=
[enfd)aft bie ©runbloge wäre, tnit tneld^er ber ganje Ueberbau
ber red)tlid)en ttnb po(iti)d)en (Sinrid)tttngen , ber reügiöfen,
[ittUdien, p[}ilD[op^ifd^en 9>or[telIting§tr)eife einer jeben @pod)e
[ic^ gün^Iid) ttinbilbete unb beränberte, bann fürtt)a^r ittü^te
jebiDeber 33erfuc^ einer focinlen 9teform ebenfo t^ergebenS unb
ntt§[id)t§lD§ fein, tüie Qnbererfeit§ jebe ^Sefatitpfung be§ ©o=
ciali§inu§ tnit ben bi§f)erigen religiöfen, tnora(ifd}en, pf^ilofop^i^
fd^en 9)iotit)en ju einem löc^erlidien 5Ina(^roni§mu§ toürbe.
Sft über bie d)nftlid)e ©efc^i^taQuffaffung richtig, finb bie
fjeutigen Uebelftänbe feine naturgentöfje Stufe einer tnit üh=
foluter 9iDt()tr)enbigfeit boronfc^rcitettben ©nttnidlung, fütjren
fic^ biefelben bietmer^r auf ben fd)uIbbQren !)3iif3braud) ber
tnenfd)Iidjen 33ernunft unb grei(}eit qI§ auf i[}ren f)auptiüd)=
lic^ften (Srunb jurüd, bann bel}ä(t ba§ 2öort „Sanabiles fecit
Deus nationes" aud) für unfere fo fefjr umbüfterte @egen=
raart feine @e(tung, unb e§ bleibt in ber 9Jiad)t ber D^enfdten,
lüenigften§ alltnäfilid) bie focialen 33erf)ü(tniffe in befriebigettber
3Beife um^ugeftalten. 2)ann ift aber aud; ha^ focialiftifdie
<£t)ftent leine 2Biffenfd)aft nte^r, fonbern nii^t§ anbereö ata
ba§ !ranftjafte (SrjeugniK einer irregeleiteten 5|3t)Qntafie unb
einer burc^ fd)tt)ere ^rrttjüiner uinnad)teten 33ernunft.
5. 53on biefetn Stanbpunfte ou§ werben tt^ir fpüter bie
Sßiberlegung be§ ©ociaIi§tnu§ in Eingriff nefjtnen. yi\d)i an
bie ^^olijei appeütren tnir, nid}t äutn ^atnpfe tnit 33ajonetten
utib Kanonen rufen lüir auf, fonbern 5U einer ruhigen, ot^
jectiöen Prüfung ber fociaIiftifd;en 2e[)ren. äßir werben na(5=
Weifen, bajj bie geiftigen öül;rer ber ©ocialbcmofratie bie tt)at=
1. S)er moberne ©ociaüömu§ aU ^ßartei unb al§ Sötfjenfdiaft. 9
fQ(^licf)en 9l?iBt)erf)Q[tni[j'e im fieutigen 2öirtf(i)af trieben jum
Sljeil übertrieben, jum %l]cii cjänjlid) falfd) beurtljeilt I)Qbcn,
inabeionbere ober, boB bie materiQlifli[(|)e ^tuffoffung be§ menidb=
nd}en 2eben§, be» Staates, ber 33oIfsirirtid)aft, überreid) an
innern SBiberfprüdien, öor ber gejunben nienfd)Iid)en 33ernunft
nic^t be[tel)en fann.
2Bir be[treiten nic^t, bap Qud) ber 9kd)tt)ei§ ber llnöer=
einbarfeit be§ [ogen. „3uhinft§[taateö", ber communifliidien
©ei'eül'd}aitÄc)rbniing, mit ben 5tn[ürberungen jeber ptjern (5ul=
tur, mit 5'^eif)tnt, Söürbe unb ©lud be§ 9)?en]'(^en, eine jel)r
ttirtfame unb nameutlid) für populäre 3}ar[teIIung [)öd)[t ge=
eignete unb frud)tbare 5{rt ber SBiberlegung i[t. @Ieid)tuDlj(
mö(i^ten toir in biefer Schrift ben (Sc^merpunft unjerer 33eraeia=
fü()rung in eine birecte Sefümpfung ber focialiftiic^en „SBiffen=
fi^aft" öerlegen unb nur im 5tnid)IuB an bieje bie praftifdie
Unmögtic^feit einer bauernb auf ßollectiüeigentfium an ben
^robuctionSmitteln gegrünbeten ©efeUfdiaftSorbnung barjulegen
t)erfud)en.
53kn wirb mit 9fed)t in ben Se^ren, meld)e unter bem
^flamen ber „materioliftifc^en ©efc^ic^taauffaffung" ben ^ern=
pun!t ber fociaüftifcben 3SeItanf(^auung bilben , ef)er ein
(Symptom jener fc^toeren geiftigen unb fittlid)en ßran!^eit
unferer 3^^^ erbliden , oI§ eine U r f a db e be§ Uebet§ , unb
barum bon ber Teilung ber ©eelen öermöge be§ 2id)te§ unb
ber .Qraft be§ ß^(}riftent^um§ me[)r ermarten aly üon einer
hjiffenjdjafttidjen 353iberlegung burc^i anerfannte @rfa(jrunga=
t^atfac^en unb unanfechtbare 35ernunftgrünbe. Otjue Smeifel
toürben bie focialiftifdien l^efjren nid)t jenen gewattigen (Sin=
brud ^erborgerufen tiaben, wenn nid)t in ben pljern fomol}!
tüie in ben niebern klaffen ha§i cbriftlidie S)enfen unb
Scben fd)on im borau§ erfcbüttert gemefen unb bie
ungezügelte 2eibenfd)aft , ba§ rüdfid)t§Iofe 33ege^ren [tatt ber
33ernunft, be» ©emiffen», ber @Dtte»furc^t jur §errfc^aft ge=
10 ®ie l^eutigen {Jeinbe ber c^rtftlid^en ©efeÜfifiaftSorbnung.
langt tüäre. äBte fe^r aber auä) ba§ ?(nttc^riftentl}um bem
focialiftifdjen B\)\im bie 2ßege bereitet ^aben mag, fo fö^t e§
[id) bennod) nid)t berfennen, bo^ bie fatali[tifd)e S)octrin be§
(5ociari§mu§ aud) burc§ fid) [elbft eine gemiffe ^raft be[i|t,
bie 5[Roffen mit einer 5Irt fanatifd^er 53egeifterung ju erfüaen.
©arum Ijalten mir e§ für bie fjcilige ^ffid)t berer, meld)en ba§
geiftige unb materieKe 2ßo§I unfereS geliebten beutfdien 33olfe§
am ^erjen liegt, nidjt nur ben ri($tigen 2öegen einer gefunben
©ocialreform eifrigft nad)äufor[d)en , fonbern jugleid) aud) bie
innere ^alttofigfeit ber focialiflifcben Se^ren für alle, bie fid^
ber 2öal)rt)eit nic^t abfidjtticb öerfd)Ue|en roDtten, aufjubeden
— eine ^flid)t, melc^er man ^eute fomol)! auf prote[tantifd)er
mie fatI)Dliid)er Seite mit ebtem @ifer ju genügen fid) beftrebt.
6. Snbeffen 'ba tritt fofort ein neuer (äinmanb un§ ent=
gegen, ein ^ßebenten gan^ eigentf}üm(i(^er 5trt, burd^ melc^eS
bie neue „2ßiffenfd)aft" ade i^re ©egner mit einem (54)tage
munbtobt madjen möchte.
^nftinctio füt)It ber ©ociatiSmuS, ba^ er nödift bem (5^ri=
ftent^um feinen gefäfjrtic^ern ©egner befi^t al§ ben „gefunben
5}Zenfd)enl3erftanb". Siefen I)öd)ft unbequemen ©egner unf(^äb=
lid) 5U mad)en, ift fein eifrigfteS 53eftreben. 3)arum belehren
uns j. 53. ^aul gifdier imb ber i^m grtebrid) ®ngel§,
mie bie ®efe|e ber Sogit nid)t§ anbere» feien benn bie in ba§
menfd)Iid)e ^öemu^tfein überfe^ten @efe|e ber S3eroegung ber
mir!(id)en 2öelt. ®ie logifdie 2Beiterentn)idIung ber au» ben
öfonomifcben 33orgängen ab§traf}irten ©runbbegriffe muß bal}er
ber tf)at)äd)nd)en ötonomifc^en ©ntmidlung ber ©efellfdiaft ent=
fpred)cn. 3ft bie§ ber goü, beden fid) bie logifdie unb f)ifto=
rifc^e entroidlung (tüie 5. 5ß. in maxf „S^apital"), fo mirb
bie Üiid)tig!eit ber 2)arfteIIung unumftöf^Iic^. Sal)er bie Un=
angreifbarfeit be§ ÜJ^arjfi^en (Si}ftem§ ^
» Sie maxi\ä)t 2Öert^t^eorie («Berlin 1889) ©. 8.
1. ®er uiüberne Sociatiämuö al§ Partei unb al§ 2ßifjenfcf;aft. H
©ans rect)t! in ber Uebcrcinftimnumcj iinjere§ 2)en!enä mit
ber objectiöen äöirtlic^teit be[tel)t bie logifc^e SBa^r^eit, unb
infofern barf eine auf äBaljiijeit berutjenbe SarfteÜung q(§
„unumftöf5lid)" bejeidinet raerben. 5(llein iyi\d)n luollte Dffen=
bar t)a^ meufd)üd}e Sßiffen nid)t blofj mit einer menig bebeut=
jameu Soutologie bereidjern, nid^t etraa bie Unanfec^tbarteit
ber DJtari'fc^en @ebantenreit)en al§ eine be§ 53etüeife§ nid)t be=
bürftige 3:fjatfad)e bet;aupten, ©eine 5l6fid)t ging weiter, inbem
er gerabe qu§ ber materialiflifc^en ©efc^i^teauffaffung ^erau»
einen ©runb für jene angeblidje „Unangreifbarteit" Ijerjuleiten
t)erfud)te.
5lppeUirt man nämlic^ ben focialiftifdjen Seiiren unb iS-ox=
berungen gegenüber an bie gefunbe 33ernunft, fo wirb ftetS
mit §o^n unb (Spott geantwortet, 'iiaii eine foldje Berufung
ber „äßiffenfdiaft" wiberfpredje, t)a ja nid;t§ beftünbig, fon=
bern aüeä, Dteligion unb 6ittüc^feit, 9iec^t unb Sß3al)rf}eit,
in fteter 33eränberung begriffen fei. 3)ie beraltete SBat^rljeit
unb ©ittenletire ber tieutigen, i^rem Untergänge fdjueü ent=
gegeneitenben (ipodie ber SBarenprobuction unb bürgerlid)en
(Sefetlfe^aft bilbe barnm für bie fommenbe neue ^dt, it)re
5tnfd)auungen unb 6inrid)tungen feineu entfpredjenben 9[lkB=
ftab me(;r. W\t ber göuälid) umgeftalteten öfonomifd)en ©truc=
lur ber jutünftigen ©efeüfdjQftaorbnung werbe eine neue
SBa^rfjcit unb Sogif erftef}en, bie at§ einzig genaue» 5I6biIb
ber neuen ^z\t hm allein rid}tigen ^JJia^ftab für bie 53eur=
tl;ei(ung ber beränberten 33ert)ültniffe im einzelnen ju bilben
geeignet fei. Samit ift nun aUerbing» jebem ^eute borge=
brad)ten (Sinwanbe gegen bie focialiftifdjen Se^ren bie ©pi^e
abgebrod^en. 5JJan tann ja ftet§ mit triumptjirenbem , f{ep=
tifc^em Süd)eln jeben unbequemen 5tngreifer auf bie „jutünf^
tige" Sogit, bie neuen S)entgefetje ber fommenben, ötonomifd)
unb barum and) geiflig ganj unb gar umgeftalteten föpoc^e
berweifen.
12 ®ie l^euttgen g^einbe ber (^tiftlid^en ©efellfi^aftöorbnurtg.
@ine§ nur ^aben @nge(§ unb ^ifc^er babei ü6er[et}en, bof^
nömlic^ ber ®inioanb nid)t blo^ ben ©egner trifft, fonbern
aiiä) bie „2Biffenfd)aft" be§ heutigen (SociaüSmiiS felbft in
leeren ®un[t ouflöft. (Sttt für Un ©egner nur bie äufünftige,
neue Sogif, fo toirb felbftberftänblid^ nid)t minber ber @ocia=
(iamu§ eben biefe neue äöa^rt^eit, biefe neuen 2)enfgefe^e ab=
lüorten muffen, e^e er für fein ©i}ftem, feine S^eorien, feine
33eit)ei§fül)rungen irgenb welche ©ettung unb ©laubmürbigfeit
beanfprudjen barf. Wiü er aber fjeute fc^on un§ beletjren, fo
mufi er folgerichtig geftotten, ba^ auä) mx unfererfeit§ ^eute
fd}on jene fo gepriefene „äßiffenfc^aft" etraaS genauer ju ^jrüfen
un§ unterfangen — um fo me^r, ha ber fogen. „n)iffenf(^aft=
lic^e" ©ocialismuä abfolut nic^t über neue Sbeen unb äöaffen
berfügt, fonbern lebiglid) ein buntfd)edige§ 2)urd)einanber bon
Elementen barfiellt, meiere eingeftanbenermaBen ber liberolen,
„bürgerlid)en" '^fjilofop^ie unb Oefonomie fomie altern focia=
tiftifdien S^eorien entletjnt finb.
2. p« ^ociaftötttttö afö ^ibevatismu^
6c$ mexUn ^tanbeö.
1. ©er \pan\\ä)t ^^ilofop^ Safob »almeSi f)at ein=
mal gefagt, e§ gebe geilen, bie nod^ berberblic^er feien al§
bie 9iebo(ution§5eiten. Unb in ber %{]at, ha^ gröjjte llnglüd
für ein 5ßoIt ift e§ nid)t, unter ben Ummätäungen unb @m=
pörungen einer ftürmifcben 3eit feinen materiellen Sntereffen,
feinem SBo^Iftanbe tiefe SBunben ge{d)lagen, ein po(itifd;e§
©t}ftem ftürjen, ha% 5ölut feiner ©ö^ne auf ben ©d)lad)tfelbern
fließen ju fe^en. ®a§ größte llnglüd ift e§, „menn bie gei=
ftige unb moraüfd)e ©i-iftenj ber @efeafd)aft an itjrer Bürzel
angegriffen wirb; menn mitten in ber äBonne be§ ^yrieben»,
1 »ermifc^te ©d^riften. UeBerfe^t bon S- 93orf($t. III (9te=^
gen^burg 1855), 44 ff.
2. Set ©ociaIt§mu§ otö StberoUSmuS be§ oierten StanbeS. 13
bei oKeii materiellen t^ortid^ritten , fogar mitten in ber (Snt=
lüidlung be§ öüent(id)en G)lüde§ unb äßofjiftanbea ber Station
ber religiöfe ©tauben untergraben unb öernid^tet, bie mDraIi=
fc^en Sbeen Derfef)rt, bie @ei[ter in ben finnlid^en Vergnügen
entnerbt, ber §oc^mut^ unb ber Sujuä über bie OJk^en ge=
[teigert merben; menn bei aüem biefem bie fociaten unb pu§=
ticken 53anbe gelodert unb oft burdirijjen merben; menn bie
23erc^rung be» ^Jkmmon bie ö[fentlid)e Söeitje erfjalten ^at;
wenn bie idjänblid)[ten 2a[ter aud) it)re 5tpDt[}eo)e buri^ bie
©d^änbung ber fünfte unb bie Snte^rung ber äBiffenfd^aft
(}aben; n3enn bie Selbi'tjud^t bie eteüe ber Sugenb erje^t;
tüenn enbtid) bie ßteinti^feit , bie g-eigfjeit, bie 51rgli[t unb
bie i5(^mei(^e(ei an bie ©teile ber eblen unb gro^tjergigen @e=
füt)(e getreten [inb". ^urj, fd)Iimmer ala aüe Üieöolutionen
mirfen bie reDoIutionären ^been, jobalb bieje einmal
in baö ©eroanb ber rutiigen, falten SBiiienfdjaft gefleibet, äu=
gleich al§ „öffentlidie DJieinung" be§ S^oIfeS @ei[t unb
Seben befjerrfc^en. S;ann roirb bie SteöDlution au§ einer acuten
^ranf^eit 5um c^ronifc^en Uebel ber 3^^^^ 'td)nt fid) aua 5U
einer meiten , So^^^^unberte umfpannenben Oi e t) 0 1 u t i 0 n §=
^eriobe, bie ifjr @nbe erft erreii^t, loenn enblid) 'ba^ töb=
liebe @ift, bie fd)Ieid)enbe Äranftieit bur(^ ein Singreifen {)öt)erer
53?ä(^te übermunben ober aber bie Dktion al» joId)e Dom iSd)au=
pia^ ber ®ejd)icbte öerfdjraunben i[t.
2. 3n biefem 53id)te mirb \\d) ofjue 3iüeifel bie ©ntmidlung
ber europäifcben Staaten feit ben legten öier Sa[}rf;unbertcn
bem ©eifte be§ §iftorifera barfteüen muffen.
(S§ ift ber „SiberaliSmuS" im meiteften (Sinne
be§ SBortea, mie man in ben @emäd)ern ber g-rau öon
Stael ben ^ampf ber ungebunbenen ^^rei^eitölufl gegen jebe
göttlidie unb ©ottea Steüe Dertretenbe menfci^lidie Stutorität
eupt)emiftifcb genannt, melcber jener naijeju öierl^unbertjäfirigen
Siebolutionaperiobe it)r c^arafteriftift^e» ©epräge berlie^en unb
14 ®ie ^^eutigen g^einbe ber c^riftlii^en ©ejeüic^aftsorbnung.
bie tief[te GueUe alt i^re§ religiöfen, politifdien iinb focialen
@(enbe§ geroorben i[t.
äöir [inb feineStüegl ber 5ln[icE)t, ba^ j^eciell ber 9te=
formation allein bie ganje (5d)ulb ber bef(agen§tt3ertl)en 33er=
irrungen, it)e(d}e man unter bem ganj generetlen 5knien „2i6e=
ratiSniu»" jufammentaffen mag, jugefd^rieben werben bürfe.
33ereit§ öor bem 5tuftreten ber Steformatoren f)atte baa 2iet)=
äugeln mit hm 2ef)ren unb Einrichtungen be§ antifen ^eiben=
t^um» begonnen. Sa otjue bie ^ierburc^ berairfte ^u»(eerung
be§ fird)tid)en @ei[te§, otjue Otenaiffonce unb |)umani§mu§ unb
bie bur(^ fie Ijerbeigefüfirte ©ntfrembung gegenüber bem d)ri[t=
liefen S)enfen unb i^anbetn märe 2uttjer§ füf)ne§ Unternehmen
D^ne beträc^ttid)e ö'Olgen geblieben. @teid)raDt}t liegt e§ un§
anbererfeit§ ferne, be[treiten ju mollen, ba^ ber reformatorifdie
5In[turm gegen bie überlieferte fir(^lid)e 5(utorität, mcld}e meljr
alä anberttjalbtaujenb Saljre im ©tauben ber d)ri[tlid}en Golfer
für bie ^ödjfte, Don ©ott angeorbnete geiftige unb fittlic^e ©6=
matt gegolten Ijatte, bei ber engen 33erbinbung ber 2öi[fenfd)aft
fomie alter ®e)etli(^aft§= unb Sebensfreife mit ber d)ri[tli(^en
^irc^e eine gerabeju gemottige, atit^ umfaffenbe {ärfd)ütterung
nottiiDenbig jur ?^oIge traben mußte, ^eute ift biefe 2Baf)rf)eit
fo äiemlid) unbeftritten. Sn feiner „@efd)id)te ber preu^ifc^en
^politit" ^ fct)reibt ber ^proteftant 3ot)cinn (Suftao Sroijfen
1 IIb, 100. — 2te^nli($ urt^eileit and) bie 5]3roteftanten Sßotf^
gang ^ntengel, §etnr. Seo u. a. 33gl. efienfaltä Souig JBIanc
in ber 6inlettung feiner ©efcf)id)te ber franäöfifrf^en tReüoIution (§ift.=
polit. 23t. 23b. IX), unb S^e^r über „bie öuttoicflung unb ben @in=
flufe ber politischen S^eorien" S. 855. — lieber ben 3uf^^"ii"fnt)ang
ber Üteformatiou mit ben fpätern Umtüätjungen fcf^reibt 21 1 ä o g
(ßirc^engefi^. II [8. Stuft., 3Katnä 1867], 542): „Sie folgen ber
Deformation tourben erft xtä)t fjanbgreifticö , aU i^re ^rinctpien fid^
Don bem ©ebiete ber Dieligion auf bie ^^olitif übertrugen. Slef^t
augenfc^etnlicf; djarafterifirt fiel} bie franjöfifdie 9teDolution aU eine
»eitere föntiüidlung unb ^Jolge ber 9teformation. S)ie erften Organe
2. S)er ©ocialiömuö aU ßibeTaIt§mu§ be§ bterteit ©tanbe§. 15
Über jenen ^Ibfall bon ber fat^oli[cf)en ^\xä)t unb bem @tau=
ben imferer ^ßater: „S)ie ©elrofjnl^citen , bie DJIeinungen, bie
Crbnungen in ©taat unb gamilie, ha^ gonje Seben ber 5JJen=
fc^en, unerme^Iidje ©üter, alle§ [tonb in biefem f)ierarcf)ifciben
@t)[tein, ba§ nun in feinen (^runblagen bebte. (S§ gab ni(^t§,
baa nicbt miterjd)üttert, bia in fein innerfle§ SBefen, in
bem ©ebnnfen feine» Sofeina getroffen ttjurbe. @o begann
ein unabfefibarea 2Ber!. ß§ ^at nie eine 9ieöoIutiDn gegeben,
bie tiefer eingeffiütjlt , furdjtbarer ä^^f^ört, unerbittlidjer ge=
riditet Ijötte."
3. 2)er ^roteftantiamua Ijatte baa ^rincip ber inbi=
öibuetlen ©elbftfjilfe auf bem ©ebiete ber religiöfen (är=
fenntni^ prociamirt. 2)er 5[l?enfcb trot autonom, unbeljinbert
burd) eine firdjlid^e Se^rautoritüt, bem göttlid)en Söorte gegen=
über. Seber mät)(te, geftü^t auf ha?> „testimonium inter-
num Spiritus Sancti", unter bem öorgeblid)en 53eiftanbe be§
|)eiligen ®eifte§, aus ber ^eiligen (5d)rift, maa gerabe feiner
inbiöibueüen ßinficbt entfprad). '^k S^erfd)ieben^eit be§ 33e=
tenntniffe§ mürbe baburc^ jum mefentlid)en DJJertmal bea ^ro=
tefianti§mu§, meil feine blofj menfd)Iidbe 51utorität unbebingten
©tauben forbern tonnte unb burfte.
berfelben, ßutf)er, Ulridf) o. §utten , S^rans ö. ©icfingen, SljomaS
SJlünser, tiatten bereite mit einer Umtoäläung ber beftel^enben poIiti=
fc^en 5}er^älttüfje begonnen, toelc^e alöbann burd) bie geunüttt)ättg
auggeübte ©insie^ung ber ßirc^engüter unb Söcularifation feitenö ber
i^ürften fortgefe^t aurbe. §atte man ^infidjtltd^ ber fiirc^e in ber
^Reformation mit ber gejd)icf)tU(f)en SSergangenf)eit gebrochen, toarum
follte man bie gefd^iditlicben 3}erpltnifje bcö ©taateä ängftti(|er re=
Ipectiien, jumal bei ber ©laubenö= unb 3ügeIIo]igfeit ber nad)foIgen=
ben Seiten? Sind) luaren bie ^been ber fran3öl"ifc^en 3a!obiuer Don
3^rei:^eit unb ©leid)^eit f($Dn beftimmt genug unter 3[ltünäerg 5tnfü^=
rung in atlen f^ormen ausgeprägt, unb felbft in ber SSerat^tung unb
bem §afje gegen ba^ ßöuigtf)um fanben bie frangöfifi^en ßlubbiften
bei Suti^er in 2Bort unb S^^at ein berebtes äiorbilb."
16 ®ie l^eutigen Steinte ber (iitiftlicfien ©efeüfd^aftäorbnung.
2(I§ mm bennod) bie englif^e ßpiffopalfirc^e, ftatt freie
i^^orfc^ung p ertauben, biefen unkbingten ©lauben an il}re
39 5Irtt!e( forberte, er^ob [ic^ jum ©dju^e be§ gefä^rbeten
inbit)ibualifttfd)en ^rincipä eine Iebl)afte Dppofition, bie einer=
feit§ äur 3fi^^Iüftung ber ©taatSfirc^e in i3er[d^iebene ©ecten
fül}rte, anbererfcit§ bie ^odjad^tung oor bem ibealen unb über=
natürlidKn S"i)alte be§ 6l)ri[tent§uni§ immer me^r untergrub,
^aju tarn ber feit ^aco bon 33 er ul am (1561 — 1626)
ba§ |)^itofop^ifd)e Renten betjerrfdienbe @mpiri§mu§, bie
au§fd)IieBtid)e 23er:§errlid)ung ber (ärfa^runggertenntni^.
§atte ber 8ibera(i§mu§ in ®eut[cblanb bornetjmtid) gegen
bie !att)oIifdbe llirdie unb bie fird)tid;e 2et)rautorität ge=
fömpft, fo rid)tete bo§ englifdie greibenterttjum nunmetjr feine
Eingriffe namentlich gegen bie ürc^lidie SBiffenfc^oft unb ba§
6^riftentt)um überl;aupt. @mpirif(^e ^tjilofoptjie unb freie
gorf(^ung auf bem ©ebiete ber d^riftiidjen 2e(;re Ijatten t)ier
hm 53Dben bereitet für jenen beiitijdjen 9^aturati§mu§, beffen
SSortämpfer |)erbert üon ©(jerburt) (1561—1648), 2:in=
bat (1657—1733), Sotanb (1669—1722), äBooIfton
(1669—1731), e^ubb (1679—1747), 33otingbrD!e
(1672—1751) u. f. tu. meift unter «eibeljaltung be§ c^rift=
lidben 9?amen§, la äumeilen mit großen Sübfprüdjen auf bie
Se^ren unb SBerbienfte be§ ßtjriftentljumS, bie)e§ bennoc^ ganj^
lic^ feines übernatürlidjen 6t)arafter§, feine§ pofitiüen (Se^alteS
entfleibeten i.
2öie in 2)eutfd)(anb bie neue S3emegung ben il^r eigen=
tl)ümlid;en politifd)- unb focial^reDoIutionürcn ßljarafter in
ben unge^euertid)en 5lu§)d;reitungen ber äBiebertäufer unb be§
5Bauerntriege5 gleid) anfangs offenbarte, fo toarf aud) in eng=
lanb bie religiö[e g^reibenterei balb it;re Bd)üikn auf ha^
* 93gL John Lelmid, D. D., A View of the principal Deistical
Writers. London 1754.
2. Ser ©ocialiSmuS ai§> StberaliSmuS be§ öierten ©tanbe§. 17
poHtifdieÖeöiet. m'iUon (1608—1674) bert^eibigte bie
©ouberönitQt be§ 33o(fe§ unb bie SJeöoIution. |)Dbbe§ (1588
bi§ 1679) lefjrt, ba^ ber «Staat au§ einem b(o|en 33ertrage
etitipringt. c^arrington (1611 — 1677) unb 5IIgernon
©tbne^ (1622—1683) fämpfen für bie republüamfc^e
©taatsforni, lüötjrenb So^n Socfe (1632 — 1704) bie con=
ftitutionelle 2;^eorie bon ber 2;f)eilung ber ge[e|ge6enben unb
bofl^ie^enben ©eroalt jroii'djen 93oIf unb ^önig ju bcgrünben
berfud)t. !Sd)on 1642 fjotte @ng(anb feine erfte Oicbolution,
ber balb bie größere, fogenannte „gtorreicfie" S^ebolution bon
1688 folgte.
4, 9ioc^ geroaüiger roirften bie rebolutionären Sbeen feit
bem 18, Saf}rt)unbert in granfreid), 53on bort au§ berbrei=
teten fie fii^ in aüe romanifd)en Sünber unb übten auf beren
innere (Sntroidlung ben berberblidjften Ginflup au§.
3in 2}]ittelpunfte beä retigiöfen unb politiid)en 9tabicali§=
mu§ fte^t l^ier bor allem a^oltaire (1694 — 1778). 3)urc^
feinen 33er!ef}r mit bem djorafterlofen, tieberlid)en unb ^errf(^=
füd)tigen Sorb S3o(ingbro!e ^atte er einen roilben §af5 gegen
ha§) (JI}riftentt)um eingefogen, beffen reine Se^re feinen fitten=
lofen 2eben§roanbe( auf§ fc^ürffte berurttjeiüe. ^n ber 28bön=
bigen Encyclopedie ou Dictionnaire raisonne des sciences,
des arts et des metiersi eröffneten SSoItaire unb feine
„p^iIofopf}ifd)en" fyreunbe einen literarifd^en ^ampf gegen bie
religiöfen unb |)Dlitifd)en Slrabitioncn i§re§ 2anbe§, bei bem
man in ber 2;()at nid)t roei^, ob bie 2eid)tfertigfeit ber 53e=
roei§fü[}rung ober bie 33errud)ttjeit ber (Befinnung met)r unfere
(Sntrüftung unb 93erad)tung berbient. ®a§ einzige Sanb,
roeld)e§ jene bertommenen Siteraten bereinigte, bilbete, ftatt
jeber gemeinfamen Ueberseugung, (cbiglic^ ber in aüer i^erjen
lobernbe @otte§^a|. 33oItaire roar Seift, b'5IIembert
1 Paris 1751—1772.
18 ®te l^euttgen f^etnbe ber c^rtftfid^en ©efet(f(^aft§orbnung,
©feptüer, ©iberot unb Somardf |aI6e ^pant^eiften, ^oU
laä), Samettrte unb |)elbettu§ 5JtateriaIiften. @ie trafen
aber, tüie fpäter Gonborcet, 23 o In et) u. f. h). , in bem
33e[treben jufammen, föa» bisher für el^rlüürbig galt, in ben
^oti) ju jie^en unb befonberS auf jebe SBeife ben dirifllii^en
©lauben unb ba§ c^riftlid^e ©ittengefe^ al§ läc^erlic^, a6ge=
fctimadt unb öernunftmibrig bar^ufleüen i.
§atte man fid) in ßnglanb ernft(id)er bemüht, ber „5luf=
üärung" ben Sf)arafter einer „©ef)eim(el)re" ber f}öf)ern Stäube
ju geben, „bamit ber ^öbel ba§ @igentl}um acf)te unb ben
©efefien gefiori^e", fo ergo^ ficf) in g^ranfreit^ ber breite ©trom
be§ 23erberbeng um fo fc^neüer burd) alle ©diic^ten ber S3e=
bötterung. Sie Srüd)te liefen nid)t (ange auf fic^ märten,
namentlid) na^bem % 3. Ütouffeau (1712—1778) neben
ber ^^aturreligion bie allgemeine ®Ieid)l)eit unb bie unbcräu^er=
Ii(5e ©DUberänität be§ 23Dlfe§ berfünbet !^atte. 9JJit blutigen
3ügen ^at bie gro^e franjöfifdie Siebolution ba§ ^acit be§
aufflörerifc^en g-reibenfert()um§ in bie Stätter ber ®efd)id)te
eingetragen.
5. 5(ber bie franjöfifdie Ütebolution mar nur eine neue
(Stappe, nid)t ber ©nbpuntt ber 400iäljrigen SteboIutionSperiobe.
@ie führte bie rebolutionären Sbeen, bie fogen. „®runbfä|e
bon 1789" ^ jum ©iege, ofine ben menfd)Iid)en ®eift ju befrie=
bigen, ba§ berlorene ©lud ber ^lenfd)t)eit mieberjubringen.
^ Dr. ©ugen Qäger, Sie franäöfifd^e ^ieöülution I (Serlin
1890), 189 ff. Taine, Les origines de la France contemp. (L'ancien
r(5gime. 3« (^dit., Paris 1876) p. 266 s.
2 Unter btefeu „©runbfä^ett öon 1789" öerftanb man 3unä(^ft
bie fogen. „5!Jlenf(^enre(I)te", toeldie bie 3Rcl)oIution an bie ©pi^e ber
aSerfaffung üon 1789 gefteöt fiatte.
2lrt. 1. ®te aJlenfrfien luerben frei unb gleich an Siedeten geboren
unb bleiben frei unb gleitfj.
Strt. 2. S)er SwedC jebeS tjolitifc^cn ©emeinwefenö ift bie ®r=
fialtung ber natürlichen unb unberäufeerlid)en IRed^te beä aJienfc^en.
2. S)er ©octaIt§imt§ al§ StBeraIi§mu§be§ tierten ©tanbe§. 19
^er ©ocialtft fyriebrid) (5ngel§ fiot bie Snttäufd^ung,
lüeld^e ber Üieöolution folgte, furj unb treffenb gef(^ilöert: „5:;ie
Siefe fReäite ftnb bie iJretfieit, boS ®i9entr)um, bie ©ic^erl^eit unb ber
Söiberflanb gegen ItnterbrüdEung.
2lrt. 3. ®Q§ ^rincip aüer Stutorität ruf)t in ber Dktion.
Strt. 4. S)ie tyrei^eit befielt in ber DJiac^t, aQe§ gu t:Oun, tcaä
anbern nic^t jc^abet.
Strt. 5. S)Q§ ©efe^ barf nur §anblungen verbieten, bie ber ©e=
ietli(f)aft fcfiäblitfi finb.
2lrt. 6. ®a§ ©efe^ ift ber 3(uöbrucl be§ allgemeinen Sßitlen^.
2Iße SSürger Ijaben ba^ 9te(f)t, entineber perfönüc^ ober burcf) (5tell=
Dertreter an ber Slbfaffung ber ©efe^e t^eilguneljmen.
2trt. 10. Dtiemanb barf um feiner SDteinung toiüen, felbft trenn
fie bie Dieligion betreffen foßte, beunrnf)igt toerben, au^er tnenn bie
ßunbgebung berfelben bie tiom ©efe^ angeorbnete 9iu^e gefä^rbet.
§ 11. Sie freie 9}U{tf)eitung ber ©ebanten unb 2{nfic^ten ift eine§
ber foftbarften Steckte be§ SJlenfd^en ; jeber Staatebürger barf bemna(^
frei fprei^en, fd^reiben unb brucfen; nur mu§ er fic| in ben üom ©efe^
borgefe^enen fyäHen über ben SOlißbraud^ biefer tJrei^eit teranttoorten.
Slrt. 15. Sie ©efeüjc^aft ift berechtigt, tion jebem öffentli(|eu
SBeamten über feine 33erttialtung 3ie(|enf(f)aft ju forbern.
Slußer biefen „9Jlenf(ienred)ten" fotüie einigen rabicalen 3^orbe=
rungen in 93e3ug auf bie ©inri(f)tung eine§ religionstofen 9}oI!5unter=
ri(^t§, bie 93erftaatli(^ung ber 2lrmenpflege, Trennung ton ßir(|e unb
©taat jäbtte man 3U ben „©runbfä^en Oon 1789" in§befonbere aud^
bie Se^ren ber 1758 öon Q neonat) gegrünbeten ^^t)fiotratenfc^uIe,
toel(f)c außerbem burd; 5Dlercier be la Diioiere, Supont be
?temourä unb Surgot nertreten tüirb. ®ie ©mancipation be§
tüirtfdiaftlid^en 2eben§ oon bem göttlidien Sittengefe^e unb ber ftaat=
Itd^en 9ie($teorbnung, bie au§f(^Iie§Iid)e §errfd)aft einer „natürlidien"
Drbnung unb ber ^Naturtriebe be§ 9)lenf(^en auf bem ©ebiete ber
Söolfeffiirtfd^aft, bie rabicale Sefeitigung beö S^eubaliämuS , ber Sor=
porationen unb 3ünfte, ber ^rioilegien unb SDlonopote toar ber ©runb=
gebaute be§ !pf)^fiofrati§mu§ , ber fpdter feiten§ ber „flaffifc^en 3la=
tionatötonomen" 21. ©mitf), IRicarbo, 5Dtaltt)uä, Saft tat,
inebefonbere aber burc^ bie mand)efterli(^e Soctriu toeiter entttiicfelt
ttiurbe unb t^atfä($Iid) gur unbefd^ränften S^rei^eit be§ Capitata auf
ßfonomifc^em ©ebiete führte.
20 S)ie l^euttgen S^eiiibe ber äirifttidien ©efeßft^aftSorbnung.
großen DJ^änner, bie in ^^ranfreii^ bie l?ö|)fe für bte fommenbc
üteöolution flärten, erfannten feine äußere 5(utorität an, welcher
5h-t [ie auc^ fei. Steligion, Dkturanfdjauung , (Bcfeüfdiaft,
©taatSorbnung, atle§ ttjnrbe ber fc^onungSlofeflen Ä'ritif unter=
roorfen; alleS foüte fein 2)afein bor bem 9{id)terfluf)(e ber 5Ber=
nunft reditfertigen ober auf» Siafein öeräidjten. . . . 5l(§ nun
bie franäöfifd)e Oteöolution biefe i^ernunftgefeüfc^aft unb biefen
33ernunftflaQt üermirflid^t ^atte, fteüten fid) bie neuen @inrid)=
tungen . . . feine§tt)eg§ q(§ abfolut öernünftige ^eraua. 2)er
33ernunft ft a a t mar bollftanbig in bie 23rüd)e gegangen. 2)er
9touffeaufd)e ©efeUfdiaft^bertrog §atte feine 33ertt)irf(ic^ung ge=
funben in ber ©d)reden§äeit , au§ ber ba§ an feiner eigenen
poütifc^en S3efäf)igung irre geroorbene 53ürgerti)um \\ä) geflüi^tet
fiatte, juerfl in bie Korruption bea Sirectorium§ unb f(^Iiefe=
lic^ unter ben (5d)u| bes napo(eonifd)en 2;e§poti§mu§. Ser
ber^ei^ene eföige ^yriebe tüax umgefdjiagen in einen enblofen
ßroberunggfrieg. 2)ie 33ernunft g e f e U f d) a f t bjor nid)t beffer
gefaf)ren. S)er @egenfa| bon x^xä) unb arm, ftatt fid^ aufju»
löfen im allgemeinen Sßofjlergel^en, lüar berfdjärft loorben burc^
bie SBefeitigung ber it}n Überbrüdenben künftigen unb anbern
5pribi(egien unb ber if)n milbernben tird){i(^en 2BDl)(t()Qtigfeit§=
anftalten. Sie je|t jur SBaljrtjeit geworbene ,g-reiljeit be§
(Sigentf)um§ bon fcubalen tyeffeln' fteüte fid) t;erau3 für ben
Kleinbürger unb llleinbauern al§ bie grei§eit, bie§ bon ber
übermäßigen ßoncurrenj be§ @roßtapitaI§ unb bea ©ro^grunb--
befi^eS erbrüdte üeine @tgentl)um an eben biefe großen |)erren
ju berfaufen unb fo für ben Kleinbürger unb Kleinbauern fid^
ju berraanbeln in bie greitjeit bom (5igentl)um. 3Der 5tuf=
fd^roung ber Snbuftrie auf fabitaüftifdber ©runölage erf}ob 5lr=
nuit unb @(enb ber arbeitenben Klaffen ^u einer 2ebenabebin=
gung ber ©efeüfd^aft. 3)ie bare 3oi}^""9 tDurbe metjr unb
met)r, nac^ 6arll)le§ 5tuäbrurf, t)a^ einzige 53inbeglieb ber
©efeüfdiaft. Sie '^alji ber ^erbred)en nat)m ^n bon ^atjr ju
2. S)er @ocioli§muö aU ßtberaliömuö be3 toierten Stanbc§. 21
Safjt. . . . ®er |)anbet enttüicfelte fid) mel)r unb meljr ^ur
5]3rellerei. 5)ie ,53rüber(i(i)feit' ber rebolutionüren S)ebife öer=
tDirt(id)te [id) in ben ©^ifonen unb bem ^^ieib be§ 6oncurrenä=
!ainpfe§. 5tn bie «Stelle ber geföaltfamen Unterbrüdung trat
bie Korruption, an bie ©teüe be§ S)egen§, qI§ be§ erften ge=
fen|d)QftIid)en 9J?ad^tt)ebeIy, ba§ ©elb. . . . ß'uräum, bergUd)en
mit ben prunftjaften Sßer^ei^ungen ber 5luf!tärer ermiefen [ic^
bie burc^ ben ,©ieg ber 33ernunft' Ijergefteüten gejeüfdiaftliiiöen
unb poIiti[d)en föinridjtnngen q1§ bitter enttoufc^enbe 3^i^ii^bilber.
@§ feljtten nur nod) bie Seute, bie bie[e @nttüu[d)ung con[ta=
tirten, unb biefe fomen mit ber Sßenbe be§ Sal)rt)unbert§." ^
3unä^[t @aint = <Simon, ^-ourier, Stöbert Omen,
bie ä^ertreter be§ „utopi[d)en @ocintiamu§", mie (Sngc(§ [ie
nennt. Sann 9ftobbertu§ a(§ |)auptrepräfentant beä mo=
bernen ©taatafocialiSmuS , unb ^arl 5}iarj:, ber 2:!)eore=
tifer be§ bemofratifd^en ©DcianöUiuä, ber (jeutigen „@ociaI=
bemofratie".
2öir finben in ben ©djriften bie[er neuen 3Sot!§&egIüder
me^r ober minber biefelben „pruntfjaften SSer^ei^ungen", burd^
meiere bie franäö[ifd)en ^tjilofopljen be§ 18. ^aljrfjunbertS ha§
SSoIf bettjörten. SiÖenn e§ je gelingen fodte, ben gepriefenen
„3u!unft5[taot" irgenbwo mir!(id) ju etabliren, fo lyürben
otjue 3^öeifel gar batb auc^ bie burd) ben [iegreid)en S)ur(^=
brud^ be§ fociaIi[ti]d)en ©ebanlenS Ijergefteüten gefeüfd)aftlic^en
@inrid)tungen [id) ebenfaüg oI§ „bitter enttäufd^enbe ^enbilber"
ermeifen müfjen.
SebenfadS bejeidjnet ber moberne ©ociaU§mu§ htn 5Ib=
fd)(u^ ber 400jü^rigen Ütebolutionsperiobe, meU er bie benfbar
testen Gonfequenäen ber reDohitionären ^been be§ 2ibcrali§=
mu§ jie^t. 9JJit it)m enbet jene Sbeenioanberung , meldte in
* @ n g e I S , Sie ©nttotdlung be§ ©octaIi§mu§ k. (4. Sluff., SSerl.
1891) S. 7. 10. 11.
22 ®if l^eutigen O^einbe ber äiriftlic^en ©efeflft^aftSorbnung.
(Suropa me^r krümmet aufgetjäuft, gemaltigere Umiüöfäungen
Ijeröorgerufen ijat aU einft bie 23ölferit)anberung; imb [ie enbet
mer!mürbigeriüei)e lieber in bemfelben Sanbe, bort bem fie
i^ren ^luagong genommen, tt)enig[ten§ bie erflen, mächtigem
Smpulfe empfangen Ijat — in S)eutfd)(anb.
6. ^urd) iizn ©ieg ber „Sefjren unb ©runbfä^e bon 1789",
bie &i§ äur ©tunbe ha^i (Sbangelium ber Sourgeoifie bilben,
l)aik ber 2iberali§mu§ alle ©ebiete be§ menfd)Iicften S)en!en§
unb ^anbe(n§, ba§ religiöfe, p{}iIofopf)ifd)e, potitifd)e unb ö!o=
nomifd}e, für fid) erobert. S)ie inbibibuelle S^ernunft betrad)tete
\\ä) oI§ autonom unter jeber 9tüdfid)t. grci beftimmt fie ben
3n'^a(t i^re§ ©laubenS. ©ie orbnet ben innern 9??enfd)en burd)
felbfteigene ©ittengefe^e, ben fategorifdjen Sniperatib, eine un=
abpngige Moxal oljne SSe^ugnaljme auf ©ott. 2)a§ äußere
iRed)t§ge6iet mirb enbgiltig bem „@taat§gefe^e", b, i. bem
outonomen ©efamtmiüen, untermorfen. 2)er ©taat I)ört auf,
als SSermirf(id)ung einer bon ©ott geiüoHten, fittlidien Drb=
nung ju gelten, Sr ift burd) unb burd} ein bto^eS 9JJenfd)en=
mer!, o^ne fittlidie unb religiöfe 2Beif)e, o()ne eine anbere ®runb=
tage feiner 5lutoritüt al§ ben freien Söiüen be§ 33Dl!e§. §ier
aber mar ber 5)3unft fdion erreicht, mo bie gepriefene „Srei=
^eit", ber Süeöolution toftbarfte &üht, logifd) unb praftifd) in
it)r ©egentfjeil umfd)Iagen mu^te.
Sft tta^ Snbibibuum autonom im 9teic^e be§ 2)enten§, ber
Üteligion, ber ©Ute, gibt e§ für ben ßinjefnen fein I)ö()ere§,
göttlid)e§ @efe^, bann entbehrt oud) bie ©efamt^eit, ber ©taat,
jeber ©diranfe, bie burd^ ptjere ©emalten if)m etma gebogen
tDöre. @r ift frei, unabt)ängig, aflmä(^tig — mächtig menig=
ften§ fo meit, al§ feine Kanonen reichen.
53on ber abfohlten g-rei[)eit be§ 3nbibibuum§ au§get}enb,
enbigt barum ber 2iberali§mu§ mit ber 5luffaugung ber mefent»
lid^ften 9Jed)te einer jeben freien 5|]erfönlid)feit burd^ ben ah=
foIutiftifd)en ©toat; unb jmar teinesroeg» b(o0 in ber
2. S)er 6ociaIi§mii§ aU ßiberaliöinuö be§ öierten ©tanbc^. 23
S^eorie, inbem er ber ,/D]?ajc[tQt bc§ StaQt§9e[e|e§" gegenüber
jebe Berufung auf ein (}öf)ercs, aud) bie etoatÄgeinalt binbenbe»
^tä)t öertüirft, bie ^f(id)t einer „unbebingten" Unterroerfung
unter bie ^JJacfitgebote be§ mobernen !StQatc§ öerfünbet, fon=
bern ond) praftifd) burd) brutale Unterbrüdung beffen , lüaä
immer feinem „(^ortfdiritt" unb feinem ^ßorttjeit im 2Bege ftanb.
IJiur auf einem einzigen ©ebiete unterließ es ber 2iberali§=
mu», bie abfolutiftifcften Folgerungen feiner 2el}ren 5U äie^en,
ber „9]hjeftät" be§ ftaatlidjen (3efe|e§ feine 5tnerfennung ju
sollen, ^pier burfte bie ftaatlid}e 3tecöt§orbnung nur bie QuBer=
ften Sinien marfiren, foröeit bie ©i'iftens ber ©efeüfcbaft', bie
gortbauer ber 33efi|öerl)ältniffe, eä erfieifc^te. 3^arüber I}inau§
aber fodte in bem Sereidie öfonomifc^er S^ätigteit unb tt)irt=
f(^aftlid)en ©treben» alle» ber „9htur", bem Dhiturinftincte
ber Selbftüebe, bem natürlidien (ärmerbStriebe be§ 50^enfd)en
übertaffen bleiben. Man erfanb 5U biefem ^mtdt ein neue»
„ühturred)t", fprod) üon ben etüigen „Dtaturgefe^en" ber tt)irt=
fc^aftlidien Crbnung, um jebe unbequeme ©inmifdjung ber
Staatsgemalt aüfobalb al» „unnatürlid)" branbmarten ju fönnen.
@D f(^uf man t^atföc^Iic^ einen 3uf^aii^ »^ei^ Unnatur, tüeld^er
in fdmeibenbem S3iberfprud)e ^um alten, d^rifttidjen 5laturred)te
fogar ber brutalften @elbflfud)t freie 58a^n öerfcbaffte unb ben
fapitaüftifdjen (SgoiamuS ungel)inbert an ber Qual unb ben
Seiben feiner Opfer fid) loeiben lie^.
SBürben ^eute, in Ie|ter Stunbe nocb, aUe beffern (SIe=
mente ber ©efeüfdjaft fid) muttjig unb opferfreubig um ba§
33anner ber ^riftli(^en Aird)e unb be§ d)rift(ic^en ©taate§
fcbaren jum tjeißen, aber gan^ gemiß fiegreid}en Kampfe gegen
ben 2iberali§mua — bie öertörperte Dieüolution auf bem @e=
biete be§ 2)enfen§, ber 9^e(igion, ber ^olitü, ber 3}oIf§tüirt=
fc^aft — , eine frieblid)e Söfung ber bie ^^dt be^errfdjenben
fociaten fragen märe aud^ je|t nocb möglicb. 5tnbernfa[I§
aber wirb ber Ärater ber 3teüoIution ficb nid)t e[}er fd)ließen,
24 ®ie Ijeutigen ^einbe ber ^riftli(f)en ©efeCfd^aftgorbnung.
qI§ 6i§ burd) bte «Sociolbemofratie bie leMen, abfolutiftifi^en
gonfequenjen be» 2iberali§mu§ Qud^ für t)ü^ trirtfc^aftlidje Seben
in ber 5praji§ gebogen [inb unb [i(| al§ ein 93erberben ber
menfd}Iid)en ©ejetfidjaft erfaljrunggmäf^ig bemiefen ^abcn.
7. ®§ i[t bon jet)er ba§ Seftreben ber focioliftif^en 5Igita=
toren getoefen, ben toaljxtn 6f)arafter ber fociaüfli]d)en Se=
wegung in ^un!el ju ptten, um \\ä) in ben klugen ber getoufc^ten
9}?enge ben 9?inibu§ eine§ er[el)nten 9tetter§ an^ foctaler 9lotö
berfd)affen 5U fönnen. 33or ©eridjt gefragt, lüa» benn eigentlich
ber @ociQli§mu§ fei, antwortete ^roub^on: „3ebe§ Seftreben
nad) 23erbefferung ber gefeüfdiaftlidien 2?er^Qttniffe." 9Ui§ bem=
felben ©runbe raar man auc^ unablöffig bemül}t, bie (Segen^
fä|Iid)!eit be§ ©ociaIi§mu§ gegen bie inbiöibualiftifdie Unge=
bunben^eit ber liberalen, !apitaltftifdien Spoc^e Ijerborju^eben,
mit gtü^enben färben bie glüdlic^e 3eit ju fc^ilbern, in tt}e(d)er
burc^ eine jielbemuBte ©efomtleitung bie ^robuction planmäßig
geregelt unb jene fd)recfltd)e 5Inard)ie auf mirtfdjaftUdöem ®e=
biete, unter ber mir oHe feufjen, befeitigt merben foll.
5tber man bead)te mo^f, biefer ©egenfat^ befielt nur ämifc^en
bem ö!onDmifd)en 2iberaliömu§ unb ber ©odotbemolratie,
nid)t 5raifd)cu 8ociaIi§mu§ unb 2iberali§mu§ f(^Ied)tf)in. @§ ift
nid)t einmal in biefer 23efc^ränfung ein eigentlich principieller
©egenfa^, fonbern nur ein ©egenfatj ber Folgerungen unb ^'0X=
berungen, bie au§ genau benfelben ^rincipien gebogen merben,
— im Sutereffe einer ^(affe, ber 33ourgeoifie, feiten§ be§ 2ibe=
rali§mu§, im ^ntereffe be§ abfoluten g-rei^eitS^ unb @(ei(i^[)eit§=
3uflanbe§ „aller" feiten§ be§ bemotratifc^en (£ociaIi§mu§.
Sßenn baljer b. ©c^äffle in feiner „Guinteffenj be§ ©0=
cialismuä" ben «Sa^ auffteüte: „^a§ A unb ß be§ (5ocia=
Ii§mu§ ift bie SBermanblung ber pribaten ßoncurrenjfapitale
in einheitliches ßoUectibtapital" 1, fo ^atte er bamit allerbing§
Ouintejjcitä ©. 12.
2. ®er (SociatiSmuä nt§ Siberali^muS be§ üierten 8tanbe§. 25
ba§ Q be§ ©DcialiSniua rii^tig be5eidinet, '^infic^tlii^ be§ A
jebocl in bebauerüc^er SBetfe [id^ getäujcfit. ®ie ^yeinbfc^aft
gtotfi^en D!onomii"(f)em 2iberali§mu§ unb mobetnem @ociaIi§=
mii§ erfd^öpft nid^t beffen gangen Segriff, becft fein eigent=
Ii(f)e§ unb innerfteS SBefen feine§tt)eg§ auf. 9Bäre ber fogen.
<Socia(i§inu§ nic^ta anbete» ala ein no(^ fo fd^toffer ^roteft
gegen ben „^anipf um» 2)afein" im ©inne be» öfonomifd^en
8iberali§nui§, n^öre er nur ba§ 33erlangen nad^ einer gerecEitern
©eflaüung be§ focialen 2eben§, forberte er (ebiglid) bie f(^ürfere
^Betonung unb praftifcfie ©eltenbmacbung ber fociaten ^f(icf)tcn
unb 3iM'^"i"i^"^|^i"9^ ' begnügte er ficf) mit einer noc^ fo tief
greifenben, aber immerijin gefunben unb ouganifd^en llmbilbung
be§ gefamten (Srmerb§(eben» — mir mürben öieüeidfit bie un=
geftüme unb leibenfcbaftlid^e ?(rt, mit ber er feinen ^(änen jum
«Siege üerl)elfen miü, tabeln muffen — jeboc^ principieü ganj
unb bot! auf feiten eineä fold^en @DciaIi§mu§ ftef)en. 9tber
nein, nid^t» bon aUebem ift ber moberne (5ociaIi§mu§. @enau
fo mie ber 2ibera(i§mu§ gefjt ber ©ociaIi§mu§ entmeber bon
einer falfd)en 5(na(Qfe ber nienfifiüd^en 9Jatur, i^rer ^nftincte
unb 2:riebe au§ ober fe^t bod^ menigfteny in feiner @efdt)id)t§=
pf)ifofop^ie biefe falfc^e 5lna(t)fe borau§, inbem er fein ^ö^ere»,
(e^te§ 3iet, fein IjöfiereS ©efe^, feine ebfere Lebensaufgabe
fennt a(§ ben inbibibueüen ®enu^, bie materieüe 5Befriebigung.
Unb menn feine praftifc^en ^orberungen fd^Iiei3li(^ nod^ be§=
potifcber erf(i)einen al» bie Seiftungen be§ „mobernen <Staate§",
menn er nid^t nur bie Religion, bie ©rgieijung, bie @f)e, bie
2Biffenfd)aft, fonbern aud) jebe öfonomifdEie ©elbftänbigfeit, jebe
freie eefbftbeftimmung ber ^nbibibuen unb ber 5lffociationen auf
mirtfd)aft(idöem ©ebiete, jebea corporatibe 5]^ittefglieb jmifd^en
bem (Sinjelnen unb ber ©efamtl)eit in ben ^(bgrunb be§ ah=
fofutiftifc^en «Staate^ ober ber abfoIutiftifd)en „©efeflfcöaft" ber=
fenfen mifl, fo gefd)ie^t ba§ nid)t fo fef)r eine§ ^rincip§ megen,
fonbern meil er ea im angeblichen ^ntereffe be§ bierten 8tanbe§
q3cfd&, Sifieraltgntuä ic. I. 2. Stufl. .2
26 ®ie f)putigen ^reinbe ber c^rifllidfjen ©efeüfcE)aft§orbnung.
für bort^eilfiafter ^ält, bie abfolutiflifd^en (Jonfequenäen be§ 2i6e=
rali§mua gonj imb boH — - aurf) für ha^ öfonomifdie ©ebiet —
gu gießen. Chatte bie liberale iöourgeoifie ben ©tQat§Qb)oIuti§=
iTiu§ ju i^rem eigenen Df^u^en §u bernienben toie ju befdiränfen
berflanben unb bemgeniä^ bei aUer 33erf)errnd)ung ber 6taat§=
omnipüteuä ber berei^tigten ©inföirfung be» ©taatea auf ha§i
(Sriüerbgleben gegenüber |ic^ ablel^nenb ber^alten, fo nu|t ber
©ocialiSmu» genau eben biefen felben 5Ib|oIuti§mu§ gegen bie
iBourgeoifie unb jum 33ort^eiIe be» Proletariates au» ^.
3ti)ifcf)en 2iberali§mu§ unb ©ocialiSmuS be=
fle^t alfo im ©runbe genommen !ein mefentlii^er, prin=
cipieUerUnterfdiieb. Ser gan^e ©egenfatj smif d^en beiben
füf}rt fidö auf bie 33erf(^iebenl}eit ber praftifd^en <Bä)\u^=
folgern n gen jurüd, inbem ber ©ocialiSmuS unter ben au§
ben liberalen ^rincipien al§ Ie|te ßonfequenä fic^ ergebenben
©taat§abfoIuti§mu§ and) ba§ mirtl'cEiafttidie Seben unb 6treben
ber 9J]enfd)en ju beugen fi(| beftrebt.
2Bir Jjalten e§ gerabe im gegenmörtigen 51ugenblide für
eine ©acfie üon pctifter Sebeutung, ba^ man ficE) immer mieber
auf biefe§ n^afjre SSerfjältnip befinnt. |)at man fid) bod) — in
einzelnen göHen n)enigften§ — fo meit berirrt, ha)^ man ben
officieHen 33ertretern be§ 2iberali§mu§ ben Flamen einer „ftaat§=
erljaltenben" ^Partei juertannte unb öon biefen Sobfeinben ber
diriftlic^en ©efeüfi^aftSorbnung fomie be§ magren 3SoI!§n)o^Ie§,
öon ben 33erfed)tern rebolutionärer 3been (5d)u| unb ©tärfung
ber ftaatlidien unb gefeüfdiaftüdien Orbnung erroartete.
2Bie bitter unb fdiarf aud) bie geinbfc^aft ber l^eutigen
focialbemotratifdien spartet gegenüber ben liberalen Parteien
fic^ äuf5ern mag, ber (5ociati§mu§ at§ ©l)flem ift ibentifc^
mit bem 2i6eraU§mu§, ift nid)t§ anbere§ al§ ber 2iberali§mu§
1 SSgl. 2t. m. aSeife, ©ocxale gfrage unb toctale Drbnmig II
(3. Slufl.), 643 f.
2. ®er ©octolt§inu§ al§ ßi6eralt§mu§ be§ öicrten ©tonbc§. 27
confequent burcfigefül^rt, ber 2i6erQlismu§, tüie er fid) barfteüt
im ©eifte be§ ^roletarietö , fuq, ber 2iberQli§mu§ be§
öierten ©tonbeS. 2öer barum ben (Sociaüatnua er[Dlg=
reid^ befämpfen mü, ber ridite feinen Eingriff gegen ben 2i6e=
rQli§mu§. 51id)t in fic^ feI6[t, [onbern nur in unb mit bem
SibernliSmua mirb ber <5ociaIiamu§ enbgiltig ü6ern3unben.
8. llnfere ^luffaffung i[t feine»tt)eg§ neu. 3}or allem mar
e§ ber l^oi^felige W]ä)D\ bon 9}lainä, SBill^elm Immanuel
b. .^etteler, me(d)er ber[eI6en mieber^oÜ 5(u§bru(i berliefien
^at. 2Bir erinnern nur on eine mal)rf}a[t flaffifd^e ©teEe in
ber ©ci^rift „2)ie 5lrbeiterfrage unb ba§ ß^^ri[tent§um" ^t
„2öenn e§ feinen perfönlicfien ©ott gibt, ober wenn e§
roa^r i[t, hü}i bie S^age über bie ßriftenj ®otte§ nod^ ein
mi[fen)d)aft(id)e§ 5|]rob(em ift ; n^enn alfo ber ©tanbpunit [ämt=
lieber europäifd^en 9fegierungen, bie auf aüen Setirtan^eln ber
§D(^id)u(en unferer gefamten beutf(i)en Sugenb biefe fyrage a(§
^oflulat ber 2öiffenfd}aft in S^^eifel äie^^n laffcn, wenn ber
5]^iteriali§mu§ unb ber 5]3ant[)ei§mu§ bered)tigt finb; menn
aUe jene, bie ba bem ^reigemeinbleriüefen ^ulbigen, menn bie
grof^e liberale Partei redjt l^at, fo ift ha^ ganje ^riöateigen=
t^um§red^t mit allen ©efe^en, bie ba§feI6e reguliren, lebiglic^
unb auafd)Iie^Iic^ ganj unb gar ^Uienfc^enroille unb mc^t§ al§
DJIenfc^enttjille , unb id) fe^e nidit ein, meiere» begrünbete S3e=
beuten man bann ergeben mill, menn bie 93taffe ber 5)ienfc^en,
bie fein ©igent^um befi^en, einmal burd) Dlkjorität ben S3e=
fd)[uB fa^t, baß bie 33efi|enben i^nen einen Sfjcil al§ 5tnlei!^e
überlaffen foHen -. 3n biefem g-aHe fann e§ nid)t ausbleiben,
ha]^ fie fpäter nod) ttieiter getreu unb ftatt ber 51nleif)e einen
2;^ei( a(» (äigent^um forbern. 2)a§ fann fogar ge)d)et)en, ol^ne
be§^a(b hü§! 9laturgefe| be§ (Sigent^um§re(i^te§ ju beftreiten
» 2. Slufl. (93kin5 1864) ©. 74 ff.
2 ßafjalle, ben ü. ßetteler im Sluge ijat, forberte äunädjft nur
einen ©taatäcrebit jur ©rricQtung bon ■probucttögenoffenfd^aften.
2*
28 S)ie heutigen fjetnbe ber c^riftlid^en ©ejeÜf(!^oftlorbnung.
unb infolge einer fo beliebten Seutung beSfelben. @§ pngt
bann alle§ öon ber ^JJaiorität ob, unb [ie f)üt namentlich auc^
über bie ^rage ber Erbfolge be§ @igentt)um§ , b. f). borüber
ju entfc^eiben, ob unb inioiefern bQ§ 9?aturgefe| bie 5lner!en=
nung be§ (ärbrecf)te§ mit fic^ bringt. ®er fogen. moberne
©taot fte^t grunbfä^Iic^ ganj unb gar auf biefem ©tonbpuntt.
Stöie fann man glauben, ba^ man bie ßonfequenjen beSfelben
be^üglid^ einer UmgeftaÜung be§ @igent§um§rec^te§ auftjalten
fann? Sie gonje Partei, bie je|t bie treffe unb alle ©tänbe=
t)erfammlungen be§errjd)t, bertünbigt un§ ja oljue Unterlaß
biefe§ l^eilbringenbe ©runbgefe^ be§ neuen ©taote§, bafe o^ne
9tü(f[ic^t auf bie SSergangen^eit, oI;ne 9iüc!nd)t auf frühere
a3erträge, insbefonbere unb öor aüem o^ne 9{ü(ffid)t auf t)ü^,
h)a§ ber diriftlic^en Äird^e gebüfirt, nur mel^r 9tec^t ift, tüa§
bie ©tänbeöerfammlung per maiora entfdjeibet. ©elbft bie
5[l?itmirtung einer föniglicben ©emalt unb einer @rften Jlammer
betrachtet fie al§ antiquirte 5tbnormität, bie ber gDttfc^ritt
balbmöglict)ft über ben Raufen merfen mu^, unb fie t)at aiid)
barin boüfornmen red)t, ioenn jene ^rofefforen red)t Ijahtn, bie
Surften unb Hönige bem beutfd)cu 23Dlte gu 2e^rern gegeben
fiaben. 2)ie abfolut not^menbige ßonfequens biefe» gangen
©t)ftem§ ift eine Kammer, unb tt)a§ biefe eine Hammer be=
ftimmt, ift ©efe^, unb föer fic^ bogegen auf fein ©emiffen,
auf feinen ©tauben, auf I}ergebrad)te§ 9ted}t, auf (5^riftu§
unb (Sott beruft, ift ^od)Oerrätt)er, er fünbigt gegen bie 9Jiaje=
ftüt be§ 5i5oIföminen§. SBarum foü benn aber um§ |)immel§
tt)iDen biefe Slbjorttat auf einmal bor bem ©elbbeutel ber
reid)en liberalen ftet)en bleiben? äßenn fie ba§ 9ied)t ^at,
uufer ©eroiffen nüt t^ü^en gu treten, unfern ©tauben ju ber=
t)ötjnen, ®ott unb Gt^riftuö ju läuguen, fo tüäre eg bo(^ un=
auSfpredfitid) lüäjaliä) , bel^aupten ju tooüen, "üa^ auf einmal
bor bem ©elbbeutel ber SJJitlionöre biefe neue äöeltorbnung
tüie berjaubert fcftftetjen bleiben mü^te. 5iein, nein! bafür
2. ®er ©octaIt§tnu§ qI§ 8itieroIt§mii§ be§ bierten ©tanbe§. 29
lüirb ©Ott Jörgen. 2)a§ tinrb nimmer ge[(f)ef)en. Wix muffen
bie ßonfcquen^en unferer ^^rincipien bi§ juin legten Kröpfen
au§trin!en, mögen Die Slropfen nod} fo bitter fein. 235enn biefe
liberalen 5)^QJorttQten mit ber (Souberönitöt ifjrea SBiüena bie
tanfenbjöOrige (Bteüung ber ^irdde mit §ot)n megbecretiren
unb unfer d)rifllic^e§ ©etüiffen in allen feinen gafern fränfen
bürfen, bann tcerben halh onbere 5)laioritäten nadjfommen,
bie ganj unb gar auf bemfelben 53oben unb mit berfelben
5)iajorität nidjt nur 5JJiüionen aU 8ubfibien für bie 5(rbeiter=
bereine, fonbern nod) ganj anbere 2)inge forbern roerben. 33om
©tanbpunfte ber liberalen Partei unb jener SBiffenfc^aft , bie
im 5hmen ber 9tegierung bon fo bieten Sefirfanjetn ge(ef;rt
mirb, ift boljer, tt)a§ bie ©eredjtigteit ber bon Saffaüe bDr=
gefd)(agenen 53h^regeln angef;t, \vioi)l fid)er(id) gar fein S3e=
benfen ju erfjeben. 6ä ift bictmefir nur ein uneublid) befdbei=
bener Einfang gan^ anberer Singe, bie ha fommen muffen."
5(ud) b. ©c^ äffte trat in feiner (gd^rift „2)ie ?tu§fic^t§=
lofigfeit ber ©ocialbemofratie" biefer bon ben !att)oIifd)en ©0=
ciatpolitifern ftetö bertretenen 5tnfid)t bei.
„S)er ©ociaIi§mu§ ift in ber »Ouinteffenj' nur nad^ feinen
lbirtfd}afttid}en g-orberungen unb g-olgerungen bead)tet morben;
bie .Qtugt)eit [?] gebot biefe Öinfd}rdufung. 3n ä'ßirflidjfeit
ift er eine ganje $ßettanfd)auung, mie S^txx 53ebel fagt: 5tttjei§=
mu§ in ber Üietigion, bcmo!ratifd)er 9tepublifani§mu§ im «Staat,
6onectiöi§mu§ (8taat§probuction) in ber 5BoIt§mirtfd)aft, unb,
barf man Ijinjufe^en, maf^tofer Optimismus in ber (Sttjit,
naturaliftifdjer 5J{aterioIi§mu§ in ber TMapl]\)\\t, Soderung
be» ö'(iniilien= unb @t)ebanbe§ ober baran etrcifeiiöeS im C^aufe,
©taat»er^iet)ung in ber ^^übagogif, allgemeine ^tufflärerei im
Hnterrid}t. S)a§ ©anje Ijei^t t^reif;eit unb ö)(eid)§eit mit 5lc=
centuiruug ber (entern." ^
1 t). ©(^äffle Q. 0. D. ©. 3 f.
30 ®ie fjeuttgen g^einbe ber ö^riftltd^en ©efeüfd^aftgorbnung.
Bürger gejagt : ©er tnoberne @Dciaü§mu§ ^ i[t 5ltf)ei§mu§
feiner 2öeItQnf(i)auung, od)Io!ratif(^er, proletorifdier 5lbfDluti§=
mu§ feinen politifd^en unb foctalen ^^orberungen nad). @r ift,
lüie gefagt, ber 2iberali§mu§ be§ öierten ©tonbeS. S)er Unter=
fd^ieb bea 3^amen§ beruf;t lebigüd) barauf, bofe ber bürgerliche
„2iberQli§mu§" fic^ nad) bem inbibibuoliftifd^en 21 u§.
gang§punfte, ber coHectibiftifdie „(5Dcian§mu§" aber na(^
bem aüfeitig ab f o In tiftifdien (Snbpunfte ber ganzen
tfjeoretifd^en unb praftifc^en Strfo^rt benannt ^at. Srud)tlD§
unb au§fid)t§Io§ finb barum aui^ alle Semüljungen ber libe=
raten Parteien, ben ©ociati§muö bon \\6) abjufdiüttetn.
5Jkn fü^rt h)D^t liberaterfeitö mit S^orliebe bie „llnmög=
Iid)feit" einer focialiftifdien ©efeüfdiaft^orbnung in§ ^^elb. 5tber
ber «Socialift fpottet jener „Unmögüdjfeit", ba ber „anmä(^=
tige" Staat tieute f(|)on bietet möglid) gemadit, tt)o§ etjebem
für „unmöglich" get;alten tt)urbe. 9Jian poc^t ouf ba§ |)eer
unb beffen SiSciptin. 5tnein wer berechnet bie ^a'^l ber ©0=
cialiften im |)eere? Unb bie 2)i§ciplin? D^ne Steligion, ofjne
fittlic^ea ^flic^tgefü^t ift fie ein bloßer 3öuber, über ben ber=
jentgc berfügt, ber Uniformen, ©emel^re befi|t, bie militörifci^e
Tlü\\i ertönen unb ßommanborufe erfdiaüen lo^t. 2öenn enb=
lid) bie atebolution ouabrec^en mürbe fogar in einem 3eitpunfte,
mo bie 5lrmee nic^t einmal jugleic^ einem äußern ^mht gegen=
überfielt, — ma§ tonnten bie compacten §eere§maffen im
©trafjenfampf gegen 2)t)namit unb Petroleum nü^en?
S)er SocialiSmuS mirb fiegreid) nur im geiftigen ^ampf
unb "burä) friebtidie Steformarbeit übermunben. |)ier
aber ift ber 2iberali§mu§ unföglici^ f(^mad() unb I)iIfIo§, bie
' ©einem focialen S"^alte naä) ftintmt ber ©taatöfociaUemuö im
toejentlic^en mit ben (SentvQlifatton§t)e[trebungen ber mobernen SDcial=
bemofratie überetn; t)oIttifd^ jebod^ toill er „conferöatiü" fein unb
ftatt bem bemofratifdf^en bem cöfariftijd^en 2lt)fotuti§mu§ auf n)irt=
|(i^aftlic^em ©efiiete bie 2Bege bereiten.
2. Ser ©octaIt§mu§ qI§ SiBeraIt§tnu§ be§ öterten ©tanbeä. 31
confequente Sfeform xo'xtl er nicfit, imb ^um geiftigen ^ompf
fehlen if;m bie Sßnffen. ^ie liberale ^ßourgeoifie mag alle§
gegen bie Sodaliften einföenben ober unternehmen, — eine§
fte^t i^r nicfit p ©ebote: nic^t ein einziges 5princip,
feine 3bee bermag [ie ber «Socialbemofratie gegenüberjus
ftellen. 5D'Jan maä)t boc^ nur ben SSerfud) unb jielje öon ben
fociatiftifc^en Se^ren afle§ ab, ma» nic^t ben Sfieorien be§
liberaten greibenfert^umS entlefjnt ift. 2)er 9te[t rebucirt ficf)
auf ben einen Sa|, baf] biefelben Se^ren, bie früher ber 33our=
geoifie gebient, in 3u^unft bem ^Proletariat gute Sage oer=
fci^affen foUen. ®a§ ift bie maljre Quinteffenj be§
©ociaIi§mu§, bie einzige „llnterf(5eibung§le^re", mätjrenb
im übrigen bie boflenbetfte Uebereinftimmung I)errf(f}t.
W\i '^cä)t berfiö^nt barum bie ©ocialbemofratie ba§ liberale
53ürgertf}um, menn baSfelbe in feiner heutigen SebrängniB fid^
plö^Iirf) mieber auf ba» „Diecbt", ein „©ittengefe^" berufen miü,
t)a§> e§ bislang t^eoretifi^ unb praftifd^ öerläugnet !^at.
„(£($aue man fic^ boc!b um in ben 9{ei^en berer, meldie aöe
religiöfen Sbeale aufgegeben tjaben, ob fie mirflid) beffere 9J?en=
fcben," fagt mit Otec^t ber ©ocialift «Stern i, „ob fie tDir!=
lic^ l^uman gefinnt finb unb ^umon bflnbe(n gegen it)re (5on=
currenten, gegen i^re 5lrbeiter ; ob ni(i)t i^re ,'öumanität groBen=
t^eil§ oon jener Sorte ift, metcbe |)einrid) |)eine bie fatte
Sugenb unb äa^Iung§fät}ige ÜJIorat nennt, inbem er aufruft:
©ie efjen gut, fie trtnfen gut,
©rfreun fid^ iiixtä 3!JtauIluuifö9lüdEö,
Unb il^re ©rofetnutl^ ift fo grofe
211^ tote baä ßod) ber 2trmenbüc^§.
O bafe iä) gro^e ßafter fä^',
95erbrec^en, blutig, folofjal,
3tur bteje fatte Sugenb niii^t
Unb äafjlungsfö^ige 9J^orat."
1 §albe^ unb ganaeS greibenlertt)um (2. Stuft., ©tuttg. 1889) ©. 17.
32 S)ie ^^eutigen S^einbe ber c^riftlic^en ©efeßfc^aftgorbnung.
llnb [oüte ein liberaler (Staatsmann berfcfiämt unb ]i)nä)=
tern meinen, für ben Proletarier fei bie Üteligion bocf) nii^t
o^ne Sebeutung, bann meift i^n berjelbe ^Socialift auf bie
33er6rec^en §in, lüeldie gerabe ber Siberaliamua an bem (5^ri[ten=
tf}um Derü6t ^at:
„3)ie religiöfe 2Beftan[if)auung ifl föiffenfd^aftlic^ löngft
übermunben, barüber [inb mir roof)! aüe einig! 5(u§ grobem
unb leiditem (Seld)üt3 [inb in ben testen 5af)r,^ef)nten bie ®e=
fi^offe geflogen gegen ba§ ^oüroerf be§ ©upranaturaliamuS,
bie ünä)t, unb gegen biefen felbft. ^difofop^ie, 5RaturtDiffen-
f^aft, @ef(f)id)te unb 53i6e(!ritif finb a(§ mädjtige 5(nionä
gegen bie ürc^liclen S^ogmen üorgerüdt unb ^aben i^nen ben
guB auf ben 9laden gefegt, I}a6en ba§ 33anner ber 33ernunft
aufgepflanzt, wo ef^ebem bie Q^al^ne be§ ®(auben§ roel^te. (S§
ttjurbe and) mit ben (Srgebniffen ber freien ^orfdiung feine
n}iffenid)aft(ic^e ®ef)eimniBfrämerei getrieben lüie e^ebem, too
bie religiöfe ©fepfi§ unb öörefie nur (ateinifd) rebete unb
fcbrieb, bamit ba§ 33oIf braußcn nid)t§ baüon l)erftef)en foU.
9iein, in Sücbern, 53rofd)üren unb g^itungSartifein f)at fi(^
eine föafire öod)fIut^ öon guten, mittelmäf^igen unb fd)[ed)ten
aufftärerifdien ^ubticationen in ofle «Scbic^ten ber ©efeflfdiaft
ergoffen, unb ebenfo rourbe in 5a^[rei(^en 3}orträgen bie t^adel
ber 5(uf!(arung gef(^tDungen, lüefdie baih mi(be§ 2id)t au§=
ftra()(te, balb greflrotfjen Sd)ein berbreitete." ^
9, <Bo bleibt bem liberalen 53ürgertf)um für feine poIi=
tiid)e unb öfonomifdie ^Jhc^tfteüung fein anberer 2itel übrig
al» bie nadte Sfjatfac^e feiner ^errfc^aft. 5(ber umfonft
beftrebt fid5 bie 33ourgeoifie, auf ®runb biefea Sitels i^ren
33orrang ju befjaupten, — fie, bie geftern if}r 3etftörung§=
wer! öoüenbet unb ^eute \\ä) bemüht, bie ettjige ^auer be§
©ebüubea ju berfünben, lüeldie» fie eiligft auf ben Srümmern
1 ©tern a. a. O. ©. 8.
2. S)er ©octQli§tttu§ qI^ ßtl6erQltätnu§ be§ bierten ©tanbe§. 33
einer burci^ bie So^jvtjunberte gert)ei£)ten 93ergan9enl)eit auf=
führte. „SBer feib it}r benn," lä^t 53alme§i bie fociali[ii=
fd^en 5lpo[teI bem liberalen Sürgertl)um entgegenrufen, „wer
feib i^r benn, bofe il}r e§ tüagt, baS Söort, tt)elrf)e§ ber ©d)öpfer
ben S3ogen be§ 93ieere§ anbefol;!, an mid) (ben ©ociaUgmus)
gu ridjten : S)u tüirft nid^t weiter ge^ien ? (Suer SBorrec^t gegen
mic^ beftetjt barin, ba^ il)r geftern antamt unb id} (jeute an=
fomme. (Sine 33ergangent}eit , weldK mehrere Söljrljunberte
5ät)lte, fonnte end^ feine 33eriäl}rung entgegenljalten , unb \i)i
foütet glauben, fie gegen mid) anrufen ju fi)nnen, itjr, bie it)r
nur einen Sag jätjü? 2)a i(}r mit euern Stjeorien ben S^er^
fud) madjen tonntet, fo werbet iljr mir nid}t im SBege ftetjen,
mit hm meinigen aud) ben 3>erfud) ju mad)en; ba ifjr bie
©efellfdjaft nad^ bem ^lane, ber eud) beijagte, eingerichtet
'i)aht, fo la^t fie mid) meinerfeit§ auf bie Sßeife, weldje mir
gefüüt, wieber aufbauen; itjr tratet im Dramen ber 5}ienfd^=
Jieit auf, in it)rem 5^amen trete id) auf; wenn il)r bie grei=
^ett berfünbigtet, fo üertünbige aud^ id^ fie auf nid)t weniger
glänsenbe SÖeife ; wenn i[)r gegen bie Ungleii^t)eit ber ©tänbe
logbonnertet, fo ift e§ je^t an mir, 53Ii|e gegen fie ju fd^Ieu=
bem; wenn if)r alle§ 33efte[)enbc at§ ungeredtit berbammtet, fo
berbamme id^ mit nid^t weniger 9ted)t ebenfadS aüeS 53efter)enbe,
D^ne ein einziges eurer SKerfe babon auSjunefimen. "^ijx l)abt
ba§ ,9}Jenfd)en9efd)Iec^t' jur 2:I)eiInaf)me an gewiffen politifd^en
9ted)ten berufen, bie 2Bo()Iurnen aber einer fel)r befc^rontten
^nja^t bon ^^ribilegirten geöffnet unb bann in ^odjtrabenber
SBeife ju ber @efellfd)aft gefagt: 33egnüge bidö bamit unb
glaube auf unfer SBort, ha^ bu eine wirfüd)e |)errfd)aft au§=
übeft. 5Ba§ mid) betrifft, fo rufe id^ in ber 2;(jat bie gan^e
5}ienfd)f)eit sufammen, nid)t bamit fie an trügerifdjen (S,om=
binationen tt)eilnet)me, wcld)e Weber il)ren junger fliüen, nod^
aSermifc^tc ©ciiriften III, 69 ff.
2**
34 S)ie heutigen ^dnbi ber d^riftU(3^en ©efellfi^aftgorbnung.
i^ren Surft löfd^en, noif) t^re Slö^e bebecfen, noc^ gar i^rem
©tDlje fd^meid^eln fönnen, ha bie größte 5InäQ]^I jebeä 9tec^te§
beraubt bleibt; td^, id^ berufe fie jur ®ütergemein)cbaft, ju
tt)irtücE)en 33ergnÜ9en, ^um ©enuß eine§ ®Iücfe§, it)el(i)e§ fie
niemals !annte, jur Dollftänbigen unb gänälid)en Sefriebigung
aller ifjrer ^Öebürfniffe , alter i^rer ^ieigungen unb aller i^rer
Saunen. S)ie grei^eit, nield^e il^r |)rocIamirt l^abt, fc^ü|t ben
Firmen nid)t bor ber 5tbpngig!eit bon bem 9teid)en, ber Siener
mu| bie @e|e|e feineg iperrn ertragen, ber 33ettter wirb öor
^älte an ber Satire jener ^alüfte jittern, in benen bie 2Ser=
fd^menbung unb bie Suft mit fo biet llebermut^ ^errfd^en;
lüa§ mid) anbelangt, fo rufe id^ eine greitjeit au§, metdie teinen
Unterfd)ieb äiüifd^en ben 9feic^en unb 5Irmen butbet, melcbe
unter ben 5!}Jenfd)en feine 5lrt bon ©tiaberei jugeben wirb.
(Sure ®Ieid)^eit ift 2üge, bie ftd) mit ber fc^reienbften Ungleid^=
l^eit berbinbet, ttjeil fie bie reidie 2öot;nung be§ 5}Md)tigen
neben ber traurigen §ütte be§ dürftigen, bie gtäuäenbfte ^rad^t
neben ben tjäfslid^ften Sumpen befte^en tä^t ; tna§ mic^ angebt,
fo fenne id^ biefe mi^geftaltete ®Ieid)f)eit nid^t, id) tcerbe nid^t
bulben, ba^ ein bergolbeter 2Bagen, bon feurigen Ütoffen ge=
äogen, ha^ faum in ba§ Seben getretene ^inb, ben monfenben
@rei§, bem feine ITräfte nid)t met;r geflatten, bie @efat;r ju
bermeiben, im ^ßorbeige^en sermalmen fann. Sd) rniH, ba§
jebermann feine ^leibung, 2Bot)nung unb 9iaf)rung auf gleid^e
SBeife 'i)a'b^, ha\i e§ für aUe einen gtcid)en S^eil am 93ergnügen
gebe, ^d^ mü nid^t, ha^ ber ©d^eiji ber ungef;euern 5)iel)r=
l^eit ber 5J?enfd)en fortan bie mollüftige 9tu^e ber fdbtnad^en
^Jünberjaf)! nö^re. . . . @o berftet^e id) bie ®Ieid)t)eit, bie grei=
^eit, bie geredite 3Sertf)eiIung ber 9ted)te unter alle, bie maljren
Sntereffen be§ ajJenfc^engefc^lediteS. 5llle§ übrige ift nur 2:äu=
fd^ung unb 8üge."
3)a§ ift bie ©prad^e, tneldje ber Sibcrali§mu§ bon fjeute
ju bem bon geftern füljrt, unb „biefe ©prac^e ift ganj natür=
2. ®er ©DCtaIi§mu6 aU StlberQli§mu§ be§ üierten ©tanbeS. 35
\\ä), tüenn man einmal bie 6runbfä|e ber ©ereditigfeit auä
bem 2lnge beiiiert, um nur bem ^Jlufeen feine 5lufmerfjamfeit
5U [($en!en, ober aud) bem einfadjen SBertf) ber roljen ©eroalt.
©in 5(6grnnb öffnet ben anbern, unb ba^er fommt bie 9Zot^=
roenbigfeit, bie e toi gen ©runbfä|e, roetdje ber ®efenfd)aft
jur ©runblage bienen unb oI)ne wMit bie 2BeIt in ba§ GfjaoS
äurüdfaüen mürbe, underfel^rt ju beroafjren".
10. 33i§f}er mürbe ba§ 2Befen be§ SociaIi§mu§ unb feine
33esief}ungen jum SiberoIiSmuS nur im allgemeinen ge!enn=
jeic^net. ®ie einge^enbere 53ef)anblung mirb fpäter folgen.
3Bir beginnen junädjft unfere S^arflellung mit benjenigen
Sfjefen au» ber (^rifllidjen ©efellfd&af tstel^re, meldte
für ein ridjtige» unb tiefere» 33erftänbnif5 ber focialen fragen
unentbetjrlid) finb.
Der 4)nJ!Ud)e ^tootsbcgtif im aUgcmcinen.
1. 3}Dn 5^Qtur qu§ i[t e§ bem 932enf(f)en eigent^ümlid), in
ber ©efeÜld^aft ju leben. „Senn bo i^m in ber ^Bereinselung
bie äum Seben not^menbige ^pflege unb gürforge fe^It, ebenfo
auä) bie 23irbnng be§ ®ei[te§ unb ®einüt|e§ nid^t möglich i[t,
bearaegen i)üt bie göttlic()e 2]orfeI}ung e§ fo georbnet, ba^ er
in eine menfd)Iid)e ©emeinjc^aft, bie ()äu§Iic^e foföo^I n)ie bie
bürgerlit^e, I)ineingeboren würbe; benn nur biefe fonn il;m
boUen ÖebenSbeborf bieten." ^ 5)emgegenüber bef^auptet
bie empiri[tifd)e unb rotionoliftifc^e ^Ijiloiopfjie : M^ 9J^enfd)en
finb üon 9iatur qu§ gleid^; in ber ©efellfc^oft ober üerüert
[ic^ biefe ©leit^tjeit ; alfo i[t bie ©eieüfiijaft nid)t ein 2Berf
ber Diotur, jonbern bas rein ^iftorifrfie ^robuct menfd)IicE)er
i a}gt. ©nc^flifa Seo§ XIII. „IteBer bie c^riftae^e ©taat§Drb=
nung." Officieae (.§erberf(f)e) SIuägaBe, 1885, ©. 8 f. (9 f.) : ,. . . pro-
visum divinitus est, ut (homo) ad coniunctionem congregationem-
que hominuni nasceretur cum domesticam tum etiam civilem, quae
suppeditare vitae sufficlentiam perfectam sola potest."
- aSgl. Saparelli b'SljegHo, SSerfud) eine§ auf ©rfo^rung
Begrünbeten Staturrec^tä (beutfct) 3tegen§b. 1845) I, 121 ff. — ®et
ßam^jf gegen bie beftefienbe ^Dolitifi^e unb feciale Drbnung berleitete
inäbefonbere § o b b e ö unb 9t o u f f e a u ju ber Jßefiauptung, g^omilie
unb ©taat feien ntcf)t burd) eine natürlid^e 9totf)U)cnbig!eit , fonbern
burc^ einen freien ©ontract eingefüf)rt tüorben.
1. Sie ©efellfd^aft aU ^^-otberung ber tnenf(^IicE)en iJlatur. 37
S)iefe 5lrgumentQtiDn I}at fDciQli[tifd)e ©(firiflfteKer mit ba^u
beranloBt, bie Dlot^toenbigfeit einer gortbauer be§ ^taak§i bei
pfjerer ijfonomifcfier Snttüicflung 511 beftreiten unb jogor ben
tüeitern 33e[tanb eine» fe[len, bauernben §amiltenüerf)ältni[]e§
in S^rage ju ftetien. 5Iüein bie ^altlofigfeit jener Slnnofime
ergibt [ic^ mit aller nur iDÜnfc^enamert^en ^(arfjeit, meun man
bDrurt[)ei(§frei bie meni'd)Iici)e 9?atur, mie fie in 2öirflid)feit i[t,
in§ 5(uge faj^t 1.
2. 33etra(f)ten tüir ben 5J?en[cf)en junädjft in feinem pi)\)\\=
fd)en (Sein. 2;a§[elbe nimmt feinen 5tnfang bon ber 33erbin=
bung 5tt)ifd)en 5^cann unb 2Beib, meli^e i^ren i^ouptjfDed I;at
in ber Fortpflanzung unfere§ ©efc^Ied^tea. Soll hierbei bie
5ßernunft unb nic^t bie Seibenfdiaft allein ^errfdien, foüen bie
lüit^tigften ^ntereffen ber I1^enfd)t}eit niii^t gefätjrbet merben,
bann muß bie 33eäiel)ung ber (Satten ju einauber ebenfo mie
bie 58ejie^ung ber ßinber ju ifiren Altern ben ß^arafter einer
bauernben moraIifd)en ^Bereinigung , eine§ feftgegrünbeten ge=
' Söir begnügen un§ an btefer ©tette bamit, b ixe et bie 91ot:^=
toenbigfeit ber ©efeHfc^aft gu enüeifen. 3}on ber angeblichen
„natürlid^en ®lniS)t)eit" ber 2Jien|(^en toirb im SSerloufe biejer Schritt
ttieber^olt bie Ütebe fein. ®ie Slertoerfüd^feit ber ©Ieic^:^eitslef)re ergibt
ji(^ übrigen^ f(^on burd^ einen bloßen SBlid auf bie 5Ib^ängigteit
unb Sc^toäd^e be§ ÜJlenfc^en bei feinem Eintritt in bie 2BeIt, auf bie
Unterfc^iebe be§ ©efcE)Ie(i)teö u. f. to. „2ßäre ber SJtenfd^ gefc^Ie(f)t=
Id§, gäbe e§ nic^t $lDlonn unb Söeib, bann lönnte man träumen,
ba^ bie 35ölfer ber Srbe 3U ^yreil^eit unb ©leidibeit berufen feien",
fagt 2Ö. §. atiebt (Sie fyamitie [Stuttg. 1861] ©. 3). „^nbem
aber ©ott ber §err SJtann unb SSeib fc^uf, ijat er bie Ungleidibeit
unb bie 2lbf)ängig!eit alä eine ©runbbebingung atfer menff^Iicfien 6nt=
tüirflung gefegt. ®ä ift ber öettoegenfte ©ebanfe be§ mobernen 3tabt=
caliömuS, bafe ba^ Sßerbältnife ber Ungleid)beit unb 5tbf)ängigfeit auc^
5H)tfc^en Söeib unb SJIann, tote es bie 91atur gegeben, toie eö bie Sitte
Don Stabrtaufenben toeitergebtibet unb in bie ebernen 2afeln aüer
©efe^gebungen eingef(i)rieben ijat, ein Slu^ftufe barbarifc^er Sljrannei,
ein blo^eg 8iege§3ei(^en ber rollen pb^fifi^lfn ©etoalt fei."
38 Elftes ßa^itel. Ser (firtftlid^e Stnatäfiegriff im aögemetnen.
feKfc^aftlic^en Sßetpltniffe§ an fic^ tragen. 9iur fo toirb bie
2Bürbe be§ ^Jienfdjen getra^rt. S)er ©atte erfcEieint nic^t me^t
al§ ein fclo^eS 5Jiitte( ber 2n[t, fonbern al§ treuer ©efä^tte
be§ 2eben§ in ^reub unb 2eib. 9iur fo fann üuä) ba§ ^inb
an Seib unb ©eele gebei^en, föenn e§ fid)er in ben 5trmen
ber DJ^utter ru^t unb in [einem (SIternI}aufe al§ einer magren
ipeimat fortgefe|t liebeboHe |)il[e unb forgfältige ©r^iel^ung
finbet. 2Bie foflten 9}Jann unb grau mit greube unb boder
Eingabe iljre gan^e ^raft bem beiberfeitigen Sßo^Ie unb ber
ßr^ieljung i^rer 9ia(^!ommen n^ibmen, \vk ju ben mannigfachen
Opfern, oljne meld)e !ein .^inb erjogen mxh , fid) berftefjen,
wenn bag ganje 33erl)ältni^ Iebigli($ precör, in feinem Se=
ftanbe n)ed)felnber Saune untermorfen tt)äre?
äBoHte baljer (Sott bie gortpflansung be» 5}lenfd)engefd)Ied)te§
unb feine ß;räie!^ung in einer ber üernünftigen D3^enfd)ennatur
gejiemenben SBeife fid)ern, fo gab e§ l^ierfür feinen anbern
SBeg al§ bie bauernbe ^Bereinigung ber (Satten unb ßinber in
ber t)äu§Iid}en (Sefellfd^aft, in ber gamilie. ®arnm ift benn
aud^ bie menfc^Iid)e 9Jatur fo eingeriditet, ba^ bie ebelfle unb
^öi^fte 5Dlad)t, bie ein menfd)Iid)e§ ^erj bemegt — bie Siebe — ,
äur (Seele ber t^amilie n)irb. 2ßo ed)te Siebe unb greunb=
fdiaft ba§ 58anb jmifdien SSater unb 5}hjtter gefnüpft ^at, ta
bleibt bon born^erein jeber @eban!e an eine Trennung au§=
gefd)Ioffen, unb biefe felbft tbürbe nur a(§ berädjtlidier S;reu=
brud) erfdieinen fönnen ^. InbererfeitS ift bie bauernbe, n)ed)fel=
fettige Siebe jmifdien (SItern unb llinbern nid)t» meniger al§
ein 5|3rDbuct bloßer SBifltür, fonbern etmaS fo fprid^roörtlid^
5lflgemeine§ unb 5Rotf)n)enbige§ , baf^ ein jeber o^ne n)eitere§
1 ^-Jlbgefe^^en öon aüen anbern :pf)l)fiDlD9tfd^en unb moralifc^en
©rüuben fd)Ue§t fdjon efien biefe SrUiägung and) jebe O^orm ber ^oIt)=
gamie au§. „^ä) fann meine 5Perfönlicf)feit ganj unb unget^eilt
nur einer anbern !PerfönIid^feit barbringen, nitfit aber einer 9Jlei)r=
äa^I öon ^erfönlid^feiten" (2ß. §. Stiehl a. a. D. ©. 143).
1. ®ie ©efeüfd^aft aU i^orberung ber tnenfc^Iii^en Slatur. 39
ta?! (Srflerben biefer Siebe unb ^ietät qI§ tüibcrnatürlicE) Be=
jeic^net unb berroirft.
(So ift alfo bie gamilie aH ein bauernbe» ©efell»
jd)aftööerf)ältnif5 jtüiidjen ©atte unb ©attin, Altern
unb ^inbern itjtem !^w^d unb i^rer mefentlidien @inric|tung
noc^ in ber bernün fügen 5RQt ur be§ 5}Unfc^en be=
grünbet^. 5Iu(f) bie jum 2öe[en einer jeben ©efenfdiaft
1 3Jlit 9ie(f)t toirb barum bie i^amitie itirent Ursprünge nad) al§
eine „na türlxtfie" ©efeüic^oft kjeii^net. „O^reie ©efelljci)aften
finb joI(f;e, beren ©vric^tung unb ©cftaltung tnnert}alb ber allgemeinen
Üiec^tögrunbfä^e com freien ©rmeffen ber DJlenfi^en abfängt; natür=
Itc^e bagegen foI{^e, bie nic^t bloß if)rer ©attung, jonbern auc^
i^rer befonbern 21 rt nad^ Don bem ©(fjöpfer ber 9^atur getooüt finb
unb fid) nolf)tt)enbtg au§ ber Dlatur be§ 3)teuf(f)en ergeben. ®ie na=
türlidien ©efeüfcfjüften ^oben fc^on üon Statur au§ einen i:^nen t)or=
gezeichneten ^totd unb eine bementfpredienbe ©inric^tung; fie finb alfo
in 33e3ug auf i^re Sserfaffung toenigftenö 3um S^eil bem ^Belieben
ber 5Dtenfd)en entjogen. — Tlan fann aud^ not^luenbtgc unb
freie ©e]eEi(i)aften unterfcfieiben. Siefe ©int^eilung fällt mit ber
oorigen jujammen ober aud) nicf)t, je nacf)bem man baä ,not^ttienbig'
auffaßt. Diennt man jebe in if)rem 23eftanbe oon menfc^lidier Sßillfür
unab{)ängige ©efeüji^aft notl^ttenbig , fo ift fie Don ber Dorigen Der=
fc^ieben. S)enn bie d^riftli(|e äix6)t ift nad) fat^olifd^er Stuffaffung
in if)rem Safein Don bem 2BiIIen ber 3)teni(^en unabt)ängig, in biefem
©tnne alfo notl)toenbig. Sro^bem ift fie feine natürliche ©efellfd)aft,
toeil fie nic^t au§ ben Steigungen unb Slnlagen ber Statur ^erDor=
fommt, fonbem auf bem freien unb burd) übernatürlid^e Offenbarung
tunbget^anen 335illen beö Sc^öpferä beruht. — Stennt man bagegen
jene ©efellfd^aft not^toenbig, bie fi(^ i^rer 21 rt nad) notfitoenbig
au§ ber Statur ergibt, fo föüt biefe ©intl^eilung mit ber Dorigen
3ufammen. 2öir fagen: i:^rer 21 rt nac^. S)ie S^amilie 5. 35. entfteljt
in jebem concreten (inbioibuellen) pralle burc^ eine freie
llebereiufunft ätteier *^erfonen, unb tro^bem ift fie eine i^rer 21 rt
na(^ not^toenbige ©efeEf(^aft, toeil bie Statur nic^t nur im allgemeinen
jur 9}erbinbung ber beiben ©efd^led)ter treibt, fonbern in ber SBeife,
ba% barau§ bie f^amilie al§ bauernbe ©efellf(|aft jiDifd^en SJtann unb
grau unb i^^ren ßinbern ju bem Don Statur getooUten !S^id ent=
40 ®rfte§ ßa))ttel. ©er c^riftlitfic ©toatöBegriff im otlgememen.
gel^örige 5Iutorität lüirb ^ier 'timä) bie 3fjQtur felb[t gegeßen.
©inb nämlicö 23ater unb 5J?utter bie Url^eber ber fyamilie, fo
gebührt if;nen ol^ne 3"'£iff'f ^^e Seitung aller in bie g-omilie
eintretenben ^erfonen. ^m übrigen i[t bie ^rau bem Ü^knne
imtertrorfen , nid)t burd) ©ercolt unb äußere Unterbrücfung,
fonbern föeil [ie e§ i^rer ^Rotur nac^ gar nid)t anber§ fein
!ann unb fein mag.
3. @§ lüfit fid) nid)t beftreiten, bafe für bie (Stobilität
ber @I)e, tok fie bie 5ßcrnunft qI§ 25ertünbigerin be§ göttlidjen
@ittengefe{3e§ forbert, in ber !at^Dlif(§en luffaffung am
beften geforgt ift. |)ier erfdieint ber ©fjefdilufe nid}t blo^ qI§
ein SSertrag tt)ie jeber onbere ßontract, bie ßf}e nidit qI§ ein
innerlich burc^ loedifelfeitige 2BiIIen»einigung ober äufeerlid) burc^
(Staatagefel unb ri($terli(^e§ Urtf}eil Iö§bare§ 35erI}QltniJ3, fon=
bern qI§ ein fjeiliger, unauflöalid^er, allein mit bem Sobe
enbigenber 33unb, lueldier burc^ ben facramentalen ßtjarafter
nod^ eine befonbere , übernatürlid)e SBei^e empfängt ^ Wan
iann jugeben, ha^ bie ^^ortbouer ber (S(je für ben einen ber
©atten ober auä) für beibe jumeilen mit hen l^ärteften Opfern
fielet" (aSictor Sali) rein, ^oxalpi)ilo]opi)n, 2. %i)til, 2. Slbtf).,
1. aSuc^, § 2: ®ic berf(i}tebenen Slrten öon ©ejetTfc^often , ©. 313).
' Tlan öergletdie l^ierju bie 6nct)nifa Arcanum divinae sa-
pientiae consilium, De matrimonio christiano, ü. 10. fjebr. 1880. —
„S)ie @^e !ommt aud) öom rein iiaturre(^tlicf)en ©eficfilöpunlte lbe=
trQ(f)tet jtoQr 3U ftanbe buxä) einen freien 5öertrag ber Brautleute.
Slüetn inbem biefe einanber frei fii^ l^ingeBen, fnüpft ©ott ba§
Sanb ber @|e. ,®rei finb e§ baf)er, burd) beren äöitlen naä) ber
Setire ©l^rifti unb ^auli bie @^e ju ftanbe fommt: ©ott, ber
Jülann unb ba§ Söeib; toer ficE) öon bem SKenfc^en fd;etbet, mit
bem ©Ott i^n öerbunben l)at, ft^eibet ficf) jugleid) üon ©ott' (®öl=
Unger, (S^riftentfjum unb ivird)e ©. 462). ®ie ©djtiefeung ber
©^e ftefit alfo bei bem freien äBitten be^ SDIenfc^en; bie 31uflDfung
ber gefdiloffenen ®t)e ift feiner 2ßiü!ür entjogen" (©taatöfejüon
ber ©Drre§=©efeafd)aft Sb. II, Slrt. „©^e" »on Dr. ßreu^ioülb,
©. 429).
1. S)te ©eft'ttfd)aft al§ S^orbexung ber menfifjütfjen Jlatur. 41
derbunben fein mag. 2öo aber bie Wögncf)feit einer bnuernben
2;rennung iinb einer Söfung beS 6f)e6anbe§ gett)äf)rt rairb, ba
ift bie Familie unb if)r ©lücf tnef)r ober meniger menicf)Iid)er
Unbeftänbigfeit unb ber n)ed)ielnben Segierbe überantiuortet.
93?an bar[ ficf) ni($t tt)unbern, tüenn bort bie fd}(imm[ten 2eiben=
fcE)a[ten 6a(b aud) t^eoretifdie 33ertretung )'ud)en unb finben,
föenn [ie bie auf 5lutorität unb ^ietät gegrünbete Orbnung
be§ gamitien(e6en§ untergraben, bie ^^enfd)f)eit eine§ beträc^t=
(id)en 3:t)ei(e§ i^rer ](^ön[ten unb not(}iüenbig[ten @üter be=
rauben, bie ^bee ber |)eimat unb be» 3.^ater(anbe§ üernic^ten,
ben (ebenbigen Urquell trabitioneüer Sitte jerftören unb ofine
<B(i)m bie men[d)(id)e SBürbe mit g-üßen tretend „^-öei bem
Sfjiere berbinben [id) bie @efcb(e(^t§inbiDibuen gattungsmäßig
unb eben barum nur öorübergeljenb ; bei bem 5!)?en[djen ber=
binben [id) bie ^perfonen für bie ganje 2eben§bauer", fagt
2Ö. ^. 9iief)(2_ ,,2öenn bafjer moberne ©ocialiften @tnQt§=
.^inberer5eugung§='i}lnftalten an bie ©teüe ber f^amitie fe|en
moQen, fo ^ei^t ba§ nici^t» anbere», al§ bie 53eftiantät
an bie ©tette ber ^kn)d)nd)!eit fe^en. Um aber
ben 53egriff ber gamitie fogifd) ]n üernid)ten, muß 5. 33. ^eter
2er DU r bon einem (Srunbfatj au^gefjen, meld^er f(^on burd)
bie befannteften pt)i)fiofogiid)en Sbatfadien miberlegt mirb, bon
bem ©runbfatj: ,^k ^Jhnj'ditjeit ift birtualiter in jebem ein*
seinen 9)?enid)en. 3)ie ^enfdj^eit ift ber ^'}hn\ä) — ber Wm\^
bie ^enfd)f)eit.' 2ßir fagen umgeMjrt: '5)er einjetne 9Jfen)c^
fann nicf;t einmal für ba§ bertleinerte Silb ber 5}?enfd)^eit
egetten, gefdimeige baf? er jelbft bie 93^enfd}fjeit märe; bie ll?enfd)=
^eit ift erft im 53ilbe repräfentirt burc^ jmei 5}?enfd)en, burc^
l^knn unb SBeib, unb mieberum nid)t burd) 5}?ann unb 2öeib
* Cf. Charles de Ribhe, Les familles et la societe en France
avant la Revolution (Paris 1873) p. 185 ss.
2 21. 0. C. ®. 142.
42 ®rfte§ ßa^jitel. ®er d^riftlid^e ©taatSbegriff im allgemeinen.
in i^rer SSereinjelung, fonbern in if)rer 23erbinbung burd) bie
(5^e 5ur f^ a m i li e. " i
<BoU aber biefe tRepräfentation eine bem bernünftigen ^en=
fcfien gejiemenbe unb für bie 5}ienl(^^eit fru(f)t= unb fegen§=
rei(^e fein, fo tt)irb man ba§ boüe d^riflli(!)e Sbecil ber
t^amilie ^od)^aIten unb aüeS aufbieten muffen, bemfelben
fortbauernbe pra!tif(^e Geltung ju berfc^affen. ©eflütjt auf
einge^enbe ©tubien über bie gamilie in ben berfd)iebenen
6uIturepo(^en unb bei ben bebeutenbern 35ölferfd)aften, !ommt
6. ©. ©eba§2 ju bem bemer!en§mertl)en ©d)Iuffe, „bafe,
menn eine gro^e (5)emeinfcf)aft bon ^lenfdien ba§ ß^riftent^um
berlaffen ^at, biefe nid)t ju ben p(f)ften formen be§ gamilien»
lebenS, tüie tt3ir e§ bei ben bordiriftnrfjen 33ö(fcrn gefunben
l^aben, jurücüe^ren, nod) biel meniger bagegen ein g(üdn^ere§,
gefunbere§ Familienleben au§ fid) felbft beginnen !önnen, fon=
bem bielmefjr bie niebern fyormen ber bDrd)rift(id)en gamilie
aufgreifen. ®a§ Snbibibuum al§ foId)e§ fann ämeifeUoS t>a§)
Gfiriftent^um quittiren unb boc^ im ^äu§Iid)en Seben Siebe,
1 ®arau§ folgt aber feineStoegS für jeben einjelnen S!Jlenfd)en
bie 5ßflicf)t, eine @f)e einjugelicn. Sie ®^e ift für iia§ menfdiltd^e
©efd)Ie(i)t notl^itenbig ju feiner ©r^altung unb aSeiiioütommnung unb
barum ein üjol^reä 9)tenf d^f) eitögef e^. Slber fie ift fein 3n=
biöibualgefe^, ba ber ©injelne feine naturgemäße 33onfommen=
fieit erlangen, feine irbifi^e 3lufgabe erfüllen unb fein ettigeö S^d
erreidien fann, o'^ne ©atte ju fein. ®ie 3lepräfentation ber ÜJ}enfc^=
f)eit in S^orm ber e^elirfien SSerbinbung gtocier SJtenfc^en öerfd^iebenen
©ef(f)Ie(^te§ tt)irb tlöatfö(|It(| 3u jeber S^it öon bem »eitaug größten
Steife ber 9)lenfc^en boltäogen merben. SDarum befielet aud^ feine
®efal)r für bie i^-ortpflanäung unfereS ©efd)Ied^te§, toenn einselne ^er=
fönen auä l^öfjerem SBeloeggrunbe, namentlid^ um ü^re ganje ßiebe unb
i:^re ganje ßraft btm S)ienfte ber SUtenfc^tjeit auf anbern ©ebieten ju
lüibmen, e§ öorgiei^en, fic^ ber ®i^e 3U enthalten.
2 Studies of Family Life. A Contribution to Social Science.
®eutf(^ öon $. m. Saumgarlen («Paberborn u. Smünfter 1887),
©. 230 f.
1. ®te ©efetlfc^aft olö g^orberung ber menfcOIi(^en 3latm. 43
Steinzeit unb Q^rieben aufrecht erhalten, tti(f)t bagegen trifft
bie§ bei einer ©emeinj^oft Don ^J^enfc^en ^u; unb bie fociate
2Biffenfcf)aft f)at e§ eben mit ben SJ^affen unb ni(i)t mit ben
Snbibibuen ^u t()un."
4. 2)ie bem 5)^enjc^en angeborene @efeöig!eit erfc()öpft fidö
jeboc^ feine§roeg§ in jener einen, urfprünglid)[ten , natürlidien
unb not^menbigen 5(rt ber ©efeüfdiaft , föeti^e mir f^amilic
nennen. Stemmen föir an, gmei bi§ ba^in fic6 böUig frembe
Europäer begegnen fid) in ber Saf)ara. ©ofort fe^en mir
i^re iBemü^ungen, fic^ gegenfeitig über alle§ ju unterrid)ten,
ma§ itinen in ifjrer gegenmärtigen Sage öon 9?u|en fein fann,
unb mie fie einer ben anbern ju unterftü^en bereit finb. 3."ßürbe
ber eine bemerfen, baß ber anbere unrebüd^e 5l6fi(^ten ^ege
unb nur auf fein eigene» 2Bo^I bebadit fei, fo mürbe er i^n
auflagen, bie (Sefe^e ber 9T?enfd}^eit oerad^tet ju fiaben i. Unb
meld)e§ finb biefe ©efe^e? ^eine anbern ata bie jeber 33er=
nunft unb jebem ©emiffen eingeprägte Srfenntnip Don ber
^ot^menbigteit unb ^f(id)tgemä0tjeit gegenfeitiger |)i(fe(eiftung,
einer ^Bereinigung ber Gräfte, burc^ metdie allein bie DJienfdien
tia^ aüen gemeinfame unb bon allen anjuertennenbe 3^^^ bey
8treben§, it)r Söo^I, in einer ber bernünftigen ücatur unb bem
un§ angeborenen J^^erboütommnungstriebe entfpred)enben SBeife
erreid)en tonnen.
2Bir brauct)en übrigen^ nidit in bie (Samara ^u ge^en, um
mafjrjunefjmen , mie bie 5htur be§ D}^enfd)en if;n bon felbft
baju fütjrt unb baju füt^ren muß, über bie engen ©renjen be§
gamilienberbanbeS !^inau§ 5tnfc^Iu$ an feine 9Jfitmenf(^en ju
füllen. Cber ift ber ©ebrauc^ ber Sprache auf ha^ @Itern=
^an^ befdiränft? Unb meift bie 5htur mid) nid)t fc^on allein
burc^ bie ga^igfeit, aud) anbern ^erfonen al» ben gamilien=
anget)örigen m.eine ^been mitjuttieilen, i^nen meine 53ebürfniffe
1 äigl. Saparelli, 3kturvec^t I, 126 f.
44 6tfte§ ßapitel. ®er c^riftlid^e ©taatSbegriff im oügemeinen.
au§einQnberäufe|en, mit i^nen mid) ju berot^en unb ^läne 511
foffen, — tneift fie mid) nic^t burd) alle» biefe§ barauf Ijin,
ba^ id^ mic^ mit onbern in eigenem unb frembem Sntereffe
ju 9emeinfd)aft(id)em ^'^önbeln üetbinben foü? Dtjue bie Sbeen=
mittt)eihing mürbe ja bie förtenntnifs auf bem niebrigften 5^iöeau
äutüdgetjalten , gäbe e» leine 2Biffen[d}aft ; benn nur mo ber
@ei[t mit bem Öeifte \\ä) berührt unb bereinigt, mo bie ge=
monnene SBol^r^eit mit ber Ueberlieferung fi^ fortpflanzt unb
neuer §orjd)ung jum luSgangSpuntte bient, kmi bie äÖtffen=
fdiaft entftcl}en unb gebeifjen. 9Jkn befeitige bie focialen 53e=
gietiungen ber DJ^eufd^en ju einanber, unb mit ber äßiffenfdjoft
mirb Qud) bie llunft ju ©rabe getrogen. 5hir burd^ bie 35er=
einigung ber ^nteüigenä unb ber Straft enblid^ fönnen bie
5J^enid)en ber 2Se(t, ber üuBern 5btur gegenüber jene Stellung
erringen unb bemaf^ren, bie bes ÜJJenfdKn (äf}re erforbert, aber
nid)t minber ein unobmei§bare§ SebürfniB feiner DIatur unb
feine bon ©ott gefe|te 33eftimmung er()eifd)t.
5. SSon ®Dtt tommen mir, ju ©ott gefien mir; unfer
geben lann batier feine anbere 53ebeutung ^aben oI§ bie, burc^
ben ^ienft @otte§ eine a3orbereitung ju fein für ben 33efi|
@otte§ in ber (Smigteit. Deo servire regnare est! Ser
Sienft @otte§ aber ift §errfd;aft, nid)t blof^ über bie ungeorb=
neten triebe unferer 9?atur, fonbern ^errf d)af t aud) über
bie un§ umgebenbe D^atur!
§ätte ©Ott nid)t auSbrüdlid) bie §ercfd)aft über bie 2Be(t
bem 9Jknfd)en juertannt, ein S3Iid auf beffen natürlid)e ?tu§=
flattung mürbe genügen, um in it}m ben irbifd)en ^önig ber
©d)öpfung ertennen ^u laffen. geljen mir ah imn ber un=
erreid^ten ^BoÜtommentjeit feiner organifdjen gätjigtciten , ge=
benfen mir nur jener munberboüen 3öubermadbt ber innern
33orfte[[ung , ber l'eben fpenbenben ^raft unferer 8eele, ber
SBanberungcn be§ ©eifteS burd; bo§ ganje, mcite, unermefe=
lidje 9tcid) ber äßat)rt)eit, beä 2Biüen§, ber in freier 2öaI;I
1. 3)te ©efeIIf(|Qft aU i^orberung ber menfcf)It(f)en DIatur. 45
]'id) felbft beftinimt, — unb leinen 51ugenbli(f fann e§ ^treifel^
fiaft bleiben, tnarum bie materielle Belt im 9J^enfd)en gipfelt,
IDQ» ea i[t , ba§ i^m nic^t nur einen 33orrnng , fonbern aud)
bie ^'^errfc^oft über biefe @rbe gercäfirleiftet.
2!er QÜe» ©innlic^e, atle» Ülkterieüe überragenbe ©eift
fteüt ben 9]ien[d)en auf bie oberfte ©tufe ber Dhturroefen.
3nbem er i^n über bie Srfenntni^ ber (Sinjelerfc^einung ^inau§
befäf)igt, bo§ allgemeine (Sefe^ ber 5|3(}änDmene, ben Siifi^t^nifi^^
^ang äroifc^en Urfadje unb 2Bir!ung aufäuberfen, eröffnet er
bie l^iöglidjfeit, bie 5btur mit i^ren eigenen Prüften ju be=
möltigen , fie ben menfdjiidjen ^tt^^^^fi^ bienftbar ju mad)en i.
„Süden tüir in bie 9htur ^inauS," fagt 2o|e, „überall !^at
bie me^rlofe, [tiüe ©eflalt bes 53^enjd}en ben ßampf mit i^ren
©cbredniffen begonnen, unglüdüi^ ntof)! im einzelnen, aber
bod^ fiegreid} im ganjen; meit überlegene Gräfte ber Sbierl^eit
!^at feine 2ift überraunben, bie einen 5U mibermiüigcm (5)ef)or=
fam gebänbigt, bie g-ät^igfeiten anberer ju eigenem 5hi|en ge=
fleigert, mandje §u Ijingebenber 5(n[jünglid)!cit unb 3uneigung
eräogen." 2^ie ©efc^idjte ber fDrtid)reitenben Ö"uttur ift bie
©efc^icbte ber fi(| befeftigenbcn unb ermeiternben iperrfdiaft be§
5Dienfd)en über bie materielle 3Bett. „5üid) bie ßuttur", fd^reibt
9^obert bon 9iofti| = 9iiened2^ „bie Gultur al§ ^ortfdjritt
toie al§ 3i'[*önb ift ja SBeltüberroinbung , Sffieltüerflärung,
5(u§beönung ber §errfd}aft be» men)d)Iid)en ©eiftee über bie
ganje ©(^öpfung gemäp bem 53efe[}(e: ,Untermerfet eud) bie
6rbe unb be^errfdjet fie.'" ^n bem g(eid)cn Sinne fd)reibt
aud) See XIII. in einem Hirtenbriefe, ben er furj öor feiner
(Srt)ebung auf ben päpft{id)en ©tu^t erlief ^i „5)er 5)^enfd)
1 ^Qi. Stimann ^e\ä) S. J., ®ie großen Söelträt^fel (2. 5tufl.,
^veiburg 1892) I, 31 ; II, 425 ff.
2 ®a§ ^Problem ber guUur (fjreiburg 1883) ©. 132.
* Hirtenbrief oom 6. fyebruar 1877. S)eutfc^ üoti Dr. Stefen
(ajlaitiä 1878) 8. 27 f.
46 ®tfte§ ßa})itel. ®er (^riftü^e ©taotgbegriff im atfgetneinen.
erhielt bon ©ott al» feinen 5Int^ei( in ber 3^^^ ^i^fe ®f^£f
auf tüelc^er er lebt unb al§ beren |)err er eingefe|t iüurbe.
S)a§ 2Bort, h3eld)e§ am 9J?orgen ber @d)öpfung erjdpll : ,llnter=
lüerfet eud» bie (Srbe unb be^errfc^et fie', ift niemals tt)iber=
rufen morben. . . . 33on feinem 9?ec^te nun mac^t biefer ^önig
aller gefc^affenen 2)inge ©ebraud^, trenn er bie |)ülle, tüelc^e
feine 58efi^tE)ümer bebecft, jerrei^t, fid) mit bem, mag if)m bor
5Iugen liegt unb tDa§ er mit |)änben greift, nid^t jufrieben
gibt, fonbern in ba§ Snnerfte ber 5?atur einbringt, bie bort
ru^enben ©d^ä|e frudjtbarer Gräfte fammel't unb fie ju feinem
unb feiner 5!Jiitmenfc^en ©ebrauc^ unb 33ortöeiI anmenbet.
Sßie f^ön unb majeftotift^ erfd)eint ber 5[l?enfd^, menn er bem
Sli^e jumintt unb i^n unfd)äb(ic^ bor feine güße nieberfaüen
läfet, menn er bcn e(e!trifc^en gunfen ruft unb i^n al» SSoten
feiner Aufträge f)inau§fd)idt buri^ bie 5(bgrünbe be§ Dcean»,
hinüber über fteite 5Berge§tetten unb unabfef)bare Ebenen entr
lang ! 3Bie ^errlid) jeigt er fid^ , menn er bem 2)ampf ge=
bietet, if)m tylügel ju leiten unb ifin mit 53Ii|e§fd)neIIe über
SBaffer unb Sanb 5U bringen! ..." S)ie 2BeIt ift für 'tim
5Dieni(^en ha. Sm ^ienfte be§ 93ienf(5en fod fie ifjre eigene
Seftimmung erreid)en. <Bo berlangt e§ bie göttliche 2Bett=
orbnung.
6. S)er 3tDed jener -f)errf(^aft be§ 9J^enf($en über bie
äußere 2Belt ergibt fid^ bon felbft au§ ber 33etrad^tung ber
3iele unb 53ebürfniffe be§ menf(^Iid)en 2eben§.
2)ie SBelt foü bor ollem unb (cijttid) un§ fjelfen, ba§ fjöd)fte
3iel ju erreidien. Sine Seiter jum -pimmel Ijinauf mirb fie
bemjenigen fein, ber fie red)t 5U gebraud^en berfte£)t, ein SBeg
in ben 5lbgrunb emigen 33erberbenä für jeben, ber nid}t ju
entfagen, ju opfern berfte^t, mo immer ber ©ebraud), ber
©enufe burc^ ©otte» ®efe| berboten ift. O^ne ben ^ienft
ber 9?atur märe aber anä) ba§ p^t)fifd^e 5)afein unb bie 5(u§=
Prägung unb irbifdie Sßotlenbung be§ 5)knfd)(id^en in ber 2BeIt
1. ®ie ©efeßfd^öft ol§ S^orberung ber ntcnfd^Iic^en Statur. 47
unmöglich, ben ©liebern unfere§ @eid)Ie(f)te§ bie 2SorQU§fe|img
unb ©runblage jebeä ipljzxn ©trebenS benommen. S)ie @r=
!^Qttung unb Entfaltung feine§ 2eben§, bie (Sntroidtung feiner
förpcrli(f)en unb geiftigen g-äl}igfeiten boKjieljt fic^ für ben
Slteufd^en nur üermittelft be§ S)ienfle§ jener S)inge, bie i^n
umgeben. S;ic 2BeIt ift unfere Söo^nung, unfer ©arten, unfer
5lrbeit§fe(b. 5lu§ ifjr fönnen unb foüen mx unfer Seben,
unfere 931a d}t ergänjen, biejenigen materiellen ®inge entnehmen,
bereu mir jur ^^ortfe^ung unb 33onenbung unfereS 2)afein§
benöt^igen. SBenn bof}er ber tiefere, ibeale ©runb ber |)err=
f(i)aft be§ 53?enf(I)en über bie 2SeIt in feiner @ottäI}nIi(^!eit,
ber Ie|te 3"^^^ i" f^i^^^ überirbifdien Seflimmung gefudjt
merben mufj, fo t}at boc^ biefelbe |)errfd}aft einen f)öd}ft reeüen
näljern S'^^^d, ber fid) au§ hm natürlidjen Sebingungen un=
fere§ leibtidien unb geiftigen ®afein§ l^ienieben ergibt. 2)er
^DKntfd) finbet fid) burd^ feine 5Zatur gesmungen, über bie Srbe
eine beftänbige unb |3lanmä^ige §errf(^aft ju üben, meil er nur
fo bie 33efriebigung feiner irbifcften 53ebürfniffe erlangen fann.
7. ©aju reitet aber bie ^raft be§ ifolirten ^nbiöibuum§
unb ber ifoUrten gamilie nid^t au§, baju bebarf ber
5J?enfc5 ber ©efellf d^aft, mie er ber |)anb bebarf unb
ber ■ 33ernunft , um feinem |)errfd)erred)te über bie 3[ßelt jum
©iege ju berl^elfen. 2Ba§ ber ©injelne nid)t öermag, ba» ge=
minnt bie bereinigte ^raft. Sßürbe iebe§ Snbiöibuum alle
5Irt bon 5Ir6eit t^un muffen, meld)e nötfjig ift, ifjm eine mür=
bige ©jiftenj ju fiebern, löngft märe bie 5}ienfd)f}eit im @Ienb
berfommen. 23on einem gortfc^ritt, bon materieller unb gei=
ftiger ßuttur lönnte feine 9iebe fein, ^nbcm ber 5)Jenf^ feine
gan^e ^raft in beftimmter, begrenzter Stjätigfeit concentrirt,
eripljt er feine 2eiftung§füljig!eit in grof^artigfter 2Beife. S)a§
mirb aber nur gefd^el^en in ber @efenf(^aft , mo er bie 5pro=
bucte feines gleite» umtaufc^en fann gegen bie SUiittel ber 5ße=
friebigung feine» 53ebarf§.
48 ®rfte§ ^aptter. ®er d^riftRt^e ©tootäbegriff int atfgetnetnen.
8. 2)er SJtenjc^ i[t olfo |)err ber Söelt, aber nur bitrcä^
bie ©efeUlc^aft unb inmitten ber @ e) eH f d) a [t.
5Ric^t a(§ ob it)m bie ©efeüfcbaft ba» 9?edbt ber ^errfc^aft
über bie 2öett unb bie Sefugnife, aus ben ©ütern ber äußern
5^atur ©tidung feiner 53ebitr[ni[]e gu fuc^en, erft öerlei^en
müBte. 9?ein, bieje» D^ed^t f}at er ala 5)?en)cb öermöge feiner
9?atur, bie if)n über bie S.'öett ergebt unb jugleicb ouf bie 2BeIt
anroeift. 5Iber bie Ütealifirung ber |)errf(^aft, il^re t^atfäci^=
Ii(f)e unb fiegreicbe ©eltenbmac^ung, ba§ f^actum ber |)err=
fcfiaft öerbanft er jum großen %^ni ber ©efeüfdiaft. ©eine
Sntereffen finb atfo mit ber ÖJefetlfdiaft enge berfnüpft. ©ci^on
barum mirb er feinen eigenen 25ortf)eiI jmar auf Soften ber
?Ratur, nid)t aber auf l^often ber ©efeüfc^aft erflreben. @r
wirb nidbt oergeffen, baß aud) für ade anbern Tlm)ä)tn, genau
fo roie für i^n, ba» gefenf(^aft(id}e Seben eine Quelle be§
(5egen§, nid)t aber be§ 33erberben§ merben fott, unb ha^ bei
Söerfen, voo öiele ^ufammen luirfen muffen, jeber Sinjelne fid^
ben p^ern ^^JO^dm ber ©efamt^eit unterjuorbnen l^üt.
9. 3ft e§ nun unbeftreitbar, ha]] bie gefeöige 9?atur ben
5}^enfd)en über bie (Brenjen ber gamilie ^inau§ mit anbern
^erfonen in 53erbinbung bringen föirb unb bringen muB, fo
!ann e§ ebenfomenig beän}eifelt merben, baß biefe 33erbinbung
fid) nid)t mit fporabifd) auftretenben, fur5en, Jt)ed}felnben 53e=
jie^ungen begnügen, fonbern oft bie ^orm einer eigentlichen
„©efedfcbaft" im firengen «Sinne be§ 2.Borte§ annef)men wirb.
Unter 6efenf(|aft berfte^en mx babei eine organifirte ®e=
meinfd)aft, eine bauernbe ^Bereinigung öon ^erfonen, bie
burc^ gemeinfame S^ätigfeit einem gemeinft^aftüc^en ^kk ju=
juftreben üerpfliditet finb unb buri^ eine rec^t(i($e ©etoalt jum
@efe[Iid)afts,^iüede Eingeleitet merben. 2)ie S^erbinbung mel)rerer
ober bieler ^erfonen burc^ gegenfeitige Siedete unb ^f(id)ten
5U einem moraüfdjen ©anjen, ha^ «Streben nad) einem ge=
meinfamen 3ie(e mit öereinten i?räften unter gemein=
1. Sie ©eteüjciiQft alö i^orberung ber mcnj(f)Ii(^en DJatur. 49
[am er Sei tun g — bü§ [inb bie 2Be[en»eIemente jeberraafjren
unb eigentlichen ©efenjd^aft ^
2)ie (Sefedl'cfiaft in biefem ©inne i[t eben bn§ lüirffamflc
unb nad}^altig[le Wiikl, beffen ber 5)knj(^ fic^ fielen gegeu=
über bebienen fonn, bie er mit feiner i[oIirten ßraft überhaupt
nici^t ober nid}t gleich gut erreidjen fann. <Bk erfd^eint nur
qI§ bie boKe grud^t unb SBirfung ber gefeCligen Einlage ber=
nünftiger llJenid^ennatur , unb barum mu^ auc^ "bü^ 9^ed)t
bes DJJeni'c^en jur toirflii^en ^Bereinigung mit onbern ju einer
(5}efen[(5Qft aU ein natürlid^eä Dtec^t be^eic^net unb Qn=
erfannt merben. 3IIIerbing§ überläßt bie 5htur bem Dernünf=
tigen unb freien (ärnieffen, bie 5irt unb ^orm jener (BefeII=
fd)aften nö^er ^u beftimmen, überläßt e§ fogar in meiteftem
Umfange unferem belieben, jene» ^O^ittel» un§ jur 33erboüfomm=
nung bea Seben» ju bebienen ober nid)t.
5tur eine beftimmte 31 r t unb gor m ber @efeüf(i^aft im
eigent(i(^en ©inne be§ 2Borte§ gibt e§, außer ber ^^amitie,
roeldie al» foldie in ber 9latur be§ 5)?enfc^en begrünbet ift,
au§ ber 9^atur fii^ bon felbft ergibt, barum ben Gljarattcr
einer bon ©ott gemollten unb notbiüenbigen ©efeüfc^oft an
]\d) trägt. S)a§ ift ber ©taat. Seine 9iDtf)U3enbigfeit mer=
ben unfere 2(u§füt)rungen über Urf|3rung unb ^md be§ Staate»,
über bie 53ebeutung ber lRe(^t»orbnung für büa gefe[Ifd)aft=
lid)e 3uiötniTtenIeben ber 9]?enfd)en, über bie maditöoHe, für
ben föaljren g-ortfdiritt unentbef)rlid)e |)i(fe, bie ber Staat ju
leiften bermag unb (eiften fotl, unmibertegti^ bartljun.
1 33gr. Staatälejifon ber ©örre§=©efeüi(5aft II (^reiburg 1892),
9trt. „©efeüfd^aft" Oon 58 ruber, ©. 1199 ff. — Th. Meyer S. J.,
Institutiones iuris naturalis I, n. 347 sqq. — ßatl^rein a. q. C>.
n, 309 ff.
Spei^, St£ieraa§mu§ jc. I. 2. Slufl.
50 ^iftcö ßa^jitel. S)er c^riftlicfic ©taatöBegriff im atlgemetticn.
2. pie <le^xc vom ftifprung bc6 Staates unb bcir
1. ©tili, aber mäd}ttg war bn§ Wxxhn be§ (5^ri[ientf}um§
im ^erjen be§ (Sinjelnen, überlüölttöenb bte fd}öp[erifd)e Wad)t
ber neuen S'been auf bem @ebiete poUtifd)er unb jocialer 3n=
[titutionen.
3tt)ar öerfügte aud) bie antife, in§be[onbere bie altCjeKes
ni[d)e 5p^ito[o|}I)ie über einen reid)en unb gebiegenen ©ebalt.
hinein bie Sßa^rfjeit blieb jum Sl^eil ber^üHt burd) ben 5fiebel
be§ 3rrt()umS, ^um 2;l)eit berjerrt burdö bie SSabngebilbe be§
.t)eibentf)um§. (är[l al§ bie t)o[itit)e, d)ri[tlid)e Offenbarung,
tt)ie ein Seuc^ttrjurm aufgepflanzt, bie SBege be§ 3^orfd)er§ er=
fjeUte, mürbe bie ©pcculation Dor lüeitern fcSbrnerjüdden 3rr=
fal}rten gefd)ütjt.
grei Don jeber ftoljen ?(nma^ung prüften bie d)rift{i(^en
^■P^itofopljeu mit ©ruft unb (Beiüiffenl}aftig!eit bie überlieferte
@eifte§arbeit früherer 3al)rf)unberte im Siebte ber (^rifttic^en
Offenbarung, fd)ieben ben ^rrttjum au§, t)er!nüpften bie Seigren
unb ertoeiterten ben (Seban!enfd)a^ unb f(f)ufen fo jene§ ftau=
nenStuerttje Sefirgebäube ber f^olaftifdien ^tji(ofopl)ie , st)eld;e§
nur ber geringfd)ü|en fann, ber al» ^^rembling i^m gegen=
überfielt, ober bem bie (Sinfic^t fe^It, e§ ju begreifen.
2. 3unüd)ft trafen diriftlic^e unb antife ^^ilofopfjie in ber
gemeinfamen Ueberjeugung sufammen, ba^, mie bie Orbnung
ber menfc^Iidien 3Serf)äItniffe überljuupt feine»tt)eg§ ber to^ä)'
feluben Saune unb bem freien S3elieben überlaffcn fei, fo in§=
befonbere aud) bie 5(b(eitung be§ Staate^ unb ber ftaat=
lidjen Orbnung au^ ber freien SÖlüfür ber ^nbibibuen
al§ unüereinbar mit ber 33ernunft berinorfen trerben muffe.
^lato^ äufolge entfielet ber ©taat öermöge be§ natür=
lid^en 53ebürfniffe§ nad; focialer 5lrbeit§tf)ei(ung. 5t r i ft o=
1 Polit. II, 369 sq.
2. ©ie Se'^re öom Itifprung bc§ Staate? unb ber ftaatf. ©etuatt. 51
tele§i bejeic^net bcit 53len[(^en alä (poazi TzoXiTtxhv ^cbov
unb ftcüt bert ©a^ auf: näoa tJ)Xic, (poaet kaz'iv. (Sbenfo
lefjrt ßicero^ in 5tnle^mmg nn bie gried)ij($en ^f)i(ofop^en,
'h(\);>, ber Ie|te ©runb be§ ©tnate» in ber focialen ^lotur
be§ 9JJenfd)en ju fu(^en, unb 'iia^ ber gejc^id^tUcfje SSoUjug ber
©taatengrünbung al§ eine bie g^orberungen bey ükturtriefeeS
reaüfirenbe %i)ai aufjufaffen ]ei.
52d(J^ !(nrer unb beftimmter !e^rt biefelbe Stuffaffung iDieber
in ben Seigren ber diriftiid^en ^^ilofopfjen. S)er ©taat gilt
i^nen a(§ ein unobtüeisboreS ^poftulat ber menfd^ilidien Dhtur
unb borum jugleic^ q(§ ein föefentlic^er %\^z\{ ber b o n ©Ott
geforberten SBeltorbnung^.
33erniöge ber 33egrenätfjeit feiner inbibibueflen ^ö^igfeiten
unb Gräfte bon DIatur au§ einer (Srgänäung fä^ig unb 6e=
bürftig, ift ber 5Jienfd} not{)n)enbig barauf angeiüiefen, bei
anbern Sc^utj unb .^ilfe ju fudjeu, nid)t blofe in feiner %\u
genb, fonbern loäfjrenb ber ganzen S)nuer feine» 2eben§. 5Iu^er
bem natürlidjen Srieb nac^ @elbftcrf)altung unb ©eIbftberbDlI=
fommnung, neben bem ©efüf)! ber p^tjfifdien unb moralifd^en
§ilf§bebürftig!eit bilbet bQ§ in ber ©emeinfamfeit ber gleid)en
5^atur begrünbete gegenfeitige SBo^Irooüen , bie Humanität in
bea Sorte» befter, unberfälfc^ter Sebeutung ein fefte», etni=
genbe§ S3anb. „®a§ finb jene urfprünglidien , unfid)tbaren,
ber 5}?enf(^ennatur angeborenen 50kgnete, bie ben SJ^enfd^n
äum 9J?enfc^en, ?5^ami(ien ju gamilien f^mpatfiifd) ^injie^en
unb fie nid)t nad) einem bon 9}?enfd)en tt)infür(i(^ entmorfcnen,
fonbern nad) bem göttlid)en ©d)ö]jfung§p(ane untereinanber
berbinben. 5tu§gel^enb bon ber einfad)ften natürlichen 33erbin=
1 Polit. c. 2.
2 De off. ir, 21; III, 5; I, 4. De republica I, 25. 39; II, 1.
Pro Sestio c. 42 etc.— Jßgl. ©ier!e, ©enoffeufd^aftörecfjt 23b. III:
©taat§= imb 6ovporatton§k^re (iBerlin 1881) ©. 13, Slnm. 13.
3 5. Tlwm. in T. Polit. lect. 1.
3*
52 ®i;fte§ ßapttel. ®er dOriftlt^e ©taatSfcegrtff im attgemcinen.
bung bon Snbibibuen in ber l^üuSlic^en ©efeUfc^aft, biefe er*
toeiternb jum Sßereine tion gominen in ber (Bemeinbe, bie
©emeinben beSfelben ©tamme§ toieberum in bem SSerbonb einer
Dhtion äufornmenfaljenb, jd^reitet bie[e§ ge^eimnißöoHe 233ir!en
ber gefeüigen Statur fort bi§ jur boHenbeten ©lieberung be§
©taate§, ober tüie bie eilten beffer fagten, be§ großen bürger=
lid^en ,(SemeintDe[en§' im üteic^e (respublica, regnum)." i
5tu§ ben Df^eigungen unb 33ebürfniffen ber menfd)(i(f)en
?RQtur {)eran§gett)Qd)fen , nnter bem (Sinflu^ gemeinfamer 516=
[lammung unb ^Nationalität, be§ gefeHigen SSerboHfümmnungS»
triebeS, mlä)zx eine über bie ©renken ber gomilie f)inau§ er=
heiterte 3u|'ammen(egung ber berfd^iebenen Einlagen unb Gräfte,
eine in größerem Um!rei§ [id) boHsiet^enbe Strbeitst^eilung,
!rüftigere Unterp^ung burd) öffentlidie 51n[talten, enbtic^ eine
mädjtigere Garantie ber gemein[amen @id)er^eit er^eif(i^te, ent=
ftanben, erfc^eint fomit in ber Xf^at ber ©taat in le^ter Sn=
ftanj al§ ein 2öerf be§ UrljeberS ber 9latur, al§ föefentüdjer
^Beftanbt^eil be§ weltorbnenben 5)3Iane§ ber ©ottTjeü.
2)amit füll nid)t be[tritten werben, ba^ im ge](^id)t=
Hdien 33iIbung§procc| ber ftaatlidien ©efeüfd^oft, bei ber
Stiftung unb Umformung ber einzelnen ©taoten, bie freie,
bemühte menfd)nd}e Sptigfeit in Ijerborragenber äßeife mit=
juwirfen berufen fei, unb ba^ fie tl}atfäc^(id) ouc^ in ben
mannigfai^ften g^ormen, burd) 33ertrag ober Ufurpation, auf
re(!^tlid)em 2Bege ober burd^ ©emalt mitgemirft ^ahz. 9Nur
ba§ eine ift surüdgemiefen: al§ ob e§ in bem belieben ber
5[lienfd)en gelegen I)abe, ben Staat überfjaupt ein^ufüf^ren ober
nid)t, al§ ob ber Staat au§ ber boKtommen frei geraollten
SSeenbigung eine§ au^ergefeKfcdaftlic^en 9laturäuftanbe§ ^erbor»
^ S^eobor 3)1 e^ er S. J., ©runbfä^c bev ©ittlid^feit unb be§
3fle(^t§ (^reiburg 1868) ©. 256. — »gl. bie ©nc^ftila ßcoä XIII.
„Diuturnuni illud^ Dffic. 2lu§g. 1881, ©. 10 (11). — Chr. Än-
toine S. J., Cours d'Economie sociale (Paris 1896) p. 28 ss.
2. Sie Seigre öom Ursprung be§ ©taateö unb bev ftaatl. ©etoalt. 53
gegangen, nicf)t felb[t ein D^aturjuftanb unb burd) bie Waäjt
ber öernünftigen ^Ratur geforbert unb bermirfUcfit [ei 1.
3. mk bie ftaatlic^e ©efeüfdiatt ber ^rifllic^en ^:|5^irofol)Ijie
qI§ eine öon (Sott für bie gegentt)ärtige Orbnung^ gewollte,
1 „SBetI ber DJhni'c^ t^^ättg ift, fdEireifct er fetner S^l^ätigfeit alleö
ju; unb toeil er fiä) feiner S^reil^eit beloufet ift, bergifet er feine 2tb=
pngigfett. ... ^n ber gefeüfc^aftlii^en Drbnung , too er fi(| gegen=
lüärttg unb mitlnirfenb fü^It, erjeugt \iä) fe^r leidet ber SBal^n, ba%
er eigentlich ber unmittelbare Stfiöpfer otteS beffen fei, toag bur(| i^n
gefd^ie^t; er ift in getoifjeiu ©inne bie SQlaurerfelte, bie fic^ SSaumeifter
3U fein büntt" (Se SO^aiftre, 2}erfuc^ über Urfprung unb 2Bac^§=
tf)um ber )3oIitifc§en ©onftitutionen. Ueberf. Dlaumburg 1822, § X).
9Jlan inu^ ben llnterfd)ieb jtoiftfjen ber l^iftorifc^en 6ntfte^ung§=
form be§ ©taateä, feinem natürlid^en unb ^jofittüen 9ie(^tä=
grunbe tooI)t beachten , um bie S;f)eorien mancher ScfjriftfteÜer ridjtig
lüürbigen ju fönnen. 2Ba§ bie allgemeine imb tieffte Urfac^e ber
bürgerlichen ©efeüff^aft betrifft, fo fanben ©uare3 (De legibus unb
Defensio fidei catholicae adversus regem Angliae) unb feine 2ln=
i^änger biefelbe feine§tDeg§ in ber freien SSidfür, fonbem in ber ge=
fettigen Dkturanlage bf§ ISJlenfc^en. [Jür SBellarmin unb ©uarej
^anbelte eS fic^ bei StufftelTung i^rer 33ertrag§t^eorie überhaupt gor
ni(f)t um bie :^iftorifd)e @ntfter)ungsart ber Staaten , fonbern (ebig=
üü) um bie red)ttirf)e ©rflärung be§ SJeftel^enben, toie immer
e§ l^iftorifd^ geiüorben fein mod^te. 9M:^ere 5lu§fü^rungen über bie
93ertrag§tl^eDrie ber ©d^olaftifer unb il^ren ©egenfa^ 3ur 0touffeau=
fdjen Se^re fie^e bei Sa t^ rein a. a. £). II, 401 ff. S)eäglei(^en
%i). met)tx a. 0. D. @. 228 f.
2 JSefannt ift bie bon einselnen .ßtrd^enbätern au§gefpro(^ene Sln=
fid)t, bafe ol^ne ben ©ünbenfatt bie Untcrorbnung unter eine ftoatlid^e
§errfc^aft nid^t in berfelben SÖeife nötljig getoefen tuäre, «Die biefcä
für ben Sufianb ber gefattenen aJlenfc^ennatur erforberlid^ ift. 33gl.
©ierle a. a. D. ©. 125, beffen 2lu§fü^rungen jebod) in biefer Srage
3um S^eit einfeitig finb, jum S^eit auf 3QHBberftänbniffen berul^en.
S)er 1^1. 2:^0 mag bon Slquin meint (S. theol. 1, q. 96, a. 4),
ba'Q auä) im parobiefifdien Suft^nbe eine obrigfeitlic^e ©ettjolt not^=
n)enbig getoefen toäre im Sntereffe eine§ georbneten ^S^iamminUbm^,
beffen 33egriff eben eine gemeinfame Seitung erforbere. 9catürlic^
roüxhi. eine folc^e ©etoalt bort be§ ^toanqt^ nii^t beburft, fonbern
54 ®rfteä ßal)itel. ©er c^riftfii^e StnatSbegriff im allgemeinen.
bur(^ bie DZaturanlage be§ 5}lenfd)en ge[orberte ßinrtd)tung
galt, [d behaupteten bie diriftlic^en Genfer folgerii^tig ein
@Iei(|)e§ bon ber obrigfeitüci^en ©etüolt im ©tante.
S)enn ebenfotoenig mie e§ einen lebenben Organismus geben
fann o^ne ©eete, gibt e§ einen <5taat o^ne ©taatsgematt.
5Ui(^ für bie [taatlidje @e)eü|(^aft i[t irgenb ein Sräger ber
ftaatlidien 5tutorität unentbefjrlidje» SBefenSelement.
©er ®eban!e war nic^t neu. bereits bie geiftig bebeutenbften
unter ben griecbifdien unb römi[d)en ^l}i(o[o|jf)en juchten barum
ben 9ied)t§grunb ber @taat§gett)att al§ foldien in ben ^tx=
nunftgefetjen unb leljnten e§ a^, bie @taat§gemalt al§ ein
blojj tt)ill!ürlid}e§ SBerf ber ob[iegenben Wlaä)t ober be§ freien
5ßertrag§fc^Iuife§ ju betraci^ten. ©o entmidelte 5triftotele§i
au§ ber organifdien 9iatur be§ @taate§ :^erau§ ben Unter=
fd)ieb 5mifd)en §errfd^enben unb ^e^errfditen. @r bilbete ben
iBegrift einer jouüeränen oberften |)errfd;aft, einer x'jpta apyj},
ber um fo mert^öoder mar, ba bie ^flid)t be» iperrfd)er§,
feine Stellung unb ©emaÜ nid)t im eigenen ^ntereffe, fon=
bern jum äBof)Ie ber ©efamt^eit ^u öermenben, in bemfelben
äum Haren 5tugbrud gebrad)t mürbe. 5tud) 6 i c e r o ^ iier=
gleicht ben «Staat einem Crgani§mu§ unb bo§ imperium
mit ber Seele.
@Ieid)5eitig würbe aber, inSbefonbere Don ben d)ri[tlid)en
3)enfern, mit aller nur münfd)en§mert()en SSeftimmttjeit t}er=
Uorge^oben, bafj bie concrete, ^iftorifd^e ©eftattung ber
fid^ Quf bie blofec Seitung Befd^räntt \)<x\it\\ (Dgl. S q t f) r e i n o. a. O.
II, 385). — Heber ben Urfprung ber ©taotggettialt ügl. bie ©nctifUfa
ßeo§ XIII. .Diutiirmim illud" nom 29. SuH 1881. Dfftc. 5lu§g.
©. 4 (5) ff. 10 (11) ff. 24 (25) ff. — @nct)frifa ^Hmuanum gemis"
(1884) ©. 30 (31) ff. — ®nct)!I. Jmmortale Dei" (1885) ©. 30 (31).
1 Polit. I, c. 5; III, c. 6. 7. 10. — ©ierte a. a. £). @. 18 ff.
2 Cf. S. August., De civitate Dei XIV, 23; Contra lulian.
Pelag. IV, 12.
2. Sic Se^ve üom Uriprung beä ©taateö unb ber ftnatl. ©einölt. 55
i nbibtbu eilen ©taat?gert)Q(tcn jebe^mal nur biird) bie Son=
curren5 freier unb natürlidjer Urfac^en ju ftanbe fommt.
Sn Dielen güüen toirb anfänglich bie «Staatägetoalt inner=
1)016 eine§ 33erbanbe» öon t^amilien qI§ potriorcfialifi^e , in
natürlicher §ort&i(bung unb 5lu§bef}nung ber f)äu§Iid)en 5(u=
torität be» gamilienober^auptea entftanben fein. §icr genügte
bann eben biefe befonbere ^iflorifdie (äntfleJ^unglart , um ber
Staat^geloalt eine red}tlid^e 33afi§ ^u geben. Ober man mochte
mit 23ellarmin unb Suarej bie unmittelbare recQtlic^e (lr!tü=
rung ber be[tcl)enben ©emalt, mie immer fie l^iftorifi^ ent=
ftanben mar, t^eoretifd^ alfo conftruiren, baji bie Dbrig!citlid)e
©eroalt junüd^ft bei ber ju einer moralijd^en (äinfjeit cDnfti=
tuirten @e]amtf)eit be§ ^ßolfe» al§ bem öon D^atur au§ un=
mittelbaren unb urfprüngtidien Subject ru^e unb bann t)on
biefem burcb eine unroiberruflic^c Uebertragung auf hm 9te=
genten — ber infolgebeffen roirflic^ i^aupt, nidjt bloßer
ÜJknbatar bc§ !33Dlfe» roirb — übergegangen fei. ^a man
modite fogar mit 5luguftinu§i, in bem ^ßeroußtfein, baß
^iftorifd^ bie 9?eid)e unb bie i^errfd^aft in benfelben nur ju
oft burc^ Unred)t unb ©eroalt gegrünbet unb bermefirt rour=
ben, ben fünbfjaften Urfprung ber meiften ©taaten bitter be=
ftagen; immer, unter aUen a?Drau§fe|ungen, in jeber 2efjr=
meinung ebenforoo^t roie in bem praftifdjen ä5er^a(ten ber
©Triften gegenüber f}eibnifc^en, atfjeiftifc^en, abfolutiftifc^en 9Je=
gierungen gebad)te man flets ber DJfa^nung be§ ijL ^au(u§2
an bieüiömer: „^ebermann unterroerfe fic^ ber obrigfeitlii^en
©eroalt; benn e» gibt feine ©eroalt au^er Don ©ott, unb bie,
roe(d)e befte^t, ift ücn ©ott t^erorbnet. 2Ber bemnad) fic^ ber
obrigfeitlic^en ©croalt roiberfe^t, ber roiberfe^t fid) ber 5(n=
1 De civitate Dei XI, 1; XIV, 28; XV, 5. 17; XVI, 3—4;
XVII, 6; XVIII, 2.
- mm. 13, 1. %I. %i).mzt)txa.a.Q.e. 213 ff.
56 ®rfteö ßapiteL S)er c^riftUc^e Staatöbegriff im atfgemctncti.
orbnung @otte§, imb bie \\d) biefer toiber[e|en, sieben [id) bie
SSerbammni^ ju."
^iiemals aber galt l^ier bie ©taatSgeroalt al§ blo^eS 5pro=
buct men[(i)üd)er SBillfür, niemals rvax e§ bie brutale %i)ai=
\a^t, ba§ einfac()e, t}i[tori)(i)e Serben unb 33e[tel)en ber ©etnalt
an unb für fid), auf tt)e(d)e§ fid) il)re Segitiniität ftü|te. 6ine
üon ©Ott geiüoKte Orbnung bitbete bielmefir bie le^te Unter=
tage aflcr 9Jed)te unb ^f(id)ten be§ 9iegenten. @elb[t bie ^i[tD=
rifc()e S^atfadie, föeldie unmittelbar ben concreten Sräger ber
©emalt fc^uf, mu^te mit ber fittlidien Orbnung irgenbioie ber=
fnüpft fein unb barum lieber in le^ter ^nftanj auf ©ott al»
ben Urfjeber ber 9iatur, ben @efe|geber ber lex aeterna, ben
probibentieHen 2en!er ber 5}Jen)d}^eit fi(^ jurüdfüliren laffen,
um einer Stegierung ben Gljarafter ber Segitimität ju t)er=
leiten \
* 2lud^ für ben S^aü ber Ufur^^ation betoa^rt bu\e§ ^rtncip
feine ßraft. S l). SfJl e l) e r (a. a. O. 6. 232) äußert firf) barüber in
feiner flaren unb prägnanten Sßeife Une folgt : „@ine unred^tniäfeige
Jöergetoaltigung bleibt in ©toigfeit ein Unrei^t unb fann aU foId)e
Qud) fein 9led)t begrünben, fie mag mit ©rfolg gefrönt fein ober nid^t.
©effenungead^tet ift eä möglid^ , ba'^ auf einer ungereimten S^atfatfje
nad^träglidE) eine malere ßegitimität fid) aufbaue, nitf;t toeif bie 95er=
anlaffung eine ungered^te ift, fonbern toeil möglit^erweife bereu tl^at=
füd)Ii(f)e äußern f^olgen burd^ g^it U"^ llmftänbe fic^ fo enge mit
ben l^öt^ften ©octalätoecfen oerfetten, ba'^ fie ot)nc ©efäl^rbung
ber le^tern fortan f(j^Ie(§tl^in babon unsertrennlic^ finb unb bal^er
mit Slüdffidit auf biefen Umftanb eine neue natürlid^e OletfitSbafiö
btiben. ®ö fommt Ijier feineetoegS blo^ bie nadte SJerjäfirung naä)
bmi formellen DJla^ftab ber 3eitbauer in 23etracOt. . . . Sa§ entfd^ei=
beube 5Dloment ift oielme^r ein burrf^auö naturrec^tlidjeö, lueld^eS ber
SSernunft unb ber göttlid^en Drbnung gemäfe in bem oberften S^^^
ber öffenttid^en 9led^töorbnung aud^ ben 9Jla§ftab berfelben erfennt.
UnjlDeifelfjaft mufe bemnad) eine au§ urfptünglid)er Ufurpation ber=
Vorgegangene Dbrigfeit bon ber Seitperiobc an aU 5U Üied^t beftel^enb,
alä legitim angefefien Joerben, in toeld;er jebeä anbere cntgegenftel^enbe
2. Ssie £el)re nom llrfpninQ bc§ ©taates unb ber ftaotf. ©etoalt. 57
4. 5ßei Qtlen 93Dr5ügen ber fjellemfc^en , in§befonbere ber
Qri|tDteIifd)en 5]]{)i(Diü|.if)ie — in mand)en 5pun!ten blieb [ie
bod) föeit fjinter ber d)ri[t(td)cn 2e^re jurüd. 2ßir berüd[i(^=
tigeu fjierbei nic^t bie f}öd}[t bebenflidjen Unter[trömiingen, bon
benen bie antue ^(jitoiopfjie feine»tt)eg§ frei geblieben. So
liefen g. 58. bie ©D|)I;i[ten nnb ©pitureer ben ©toat au§ einem
freien 5ßertrage entfteljen , ben bie Win]ä)zn blof? jn ifjrer
(Sicherung gefc^Ioffen. 2Bie fie überhaupt gur Unterfc^eibung
öon 9te(^t unb Unrecht, ©ut unb ^öa feinen anbern 5}k^=
ftab fannten al§ ben 9tu|en einer ^anblung unb ba§ burc^
fie bett3irfte 2öof)(erge^en ^ fo raar aud) inabefonbere it)re gonge
<5taat§= unb 9te^ta(e^re burc^ unb bur^ utilitariftifd^. ^Idein
O^etfit offenbar unmöglid) gelüorbeu ift." ä!;gl. aud) bie 2lu^einanber=
fe^ung beö preufetfcfien SJünifterä H. SRabonit^ (©efammelte gtl)rif=
ten IT [Berlin 1853], 71 ff.).
1 Stuf eine ausführlichere S)arfteüung biefer SSerirrungen tnüffen
wir l^ier öergi^ten. Einige Slnbeutungen finb jebod^ um fo mel^r am
^la^e, ba, ttie tx>ir fpäter feljen n)erben, bie liberale unb focia=
Iiftif(|e @t:^tf gerabe biefen 9Ueberungen ber ]^eibnif(i)en
5p{)iIof Opiate i^re ^been unb Stbeale entnommen l^at. Striftipp
aus ©tjrene unb bie nocf) i^m benannte <Bä)uU ber ßtirenaiter fanb
in ber finnltd^en Suft be§ Stugenbliöö ba§ p(|fte ©ut unb bie oberfte
9ticf}ti(f;nur beg ^anbelnS. Sie Suft bleibt gut, ifirer felbft toegen
erftrebenSicert^ , auf toeli^em Sßege, burc^ lüel^e 3[RitteI unb §anb=
hingen fie aud^ immer erreicht toerben mag. SD e m o ! r i t fiebt bas
bci(i)fte ©ut ätoar nic^t in ber Suft be§ SlugenblidEä , aber bod^ blofe
in bem bauetnben SBol^Ibefinben be§ 3nbiüibuum§. 2tu(^ für ®pi=
für gilt bie groBtmöglicOe 2eben§Iuft ciU bö($fte§ ®ut. S)ie oberfte
ber ^lugenben ift i:^m bie ^^po^r^mg, jene ßlugbeit unb ®infid§t, toeIcCie
ben SDtenfd^en jur richtigen 5Iusn3af)I unter ben Perfc^iebenen Süften
anleiten foK. ^vx ^ntereffe be§ äJergnügenä toirb Spüur fogar 5um
„2l§ceten". ®r prebigt ©ntfagung, fotoeit biefe not:Otoenbig fei, um
bem 2)lenf{3^eu eine längere ®auer be§ ©enuffc§ fid^erjufteHen. SSgl.
Diog. Laertius II, 8. 16: IX, 45; X, 128. 140. 150. Sat^rein
a. a. D. I, 137 ff. ©terf e a. a. O. ©. 21. 3eHer, ^^itofop^ie
ber ©rted^en I (3. Sluff.), 748.
58 @tfte§ ßapitel. ®er c^rtftlic^e ©taatSBegriff im ntfgemetnen.
ber !Ia[[i[(3^en ^[jilofop^ie be§ 5(Itert^um§ erlüädjft qu§ biefen
Seigren bcr ©D|)f)iften unb (Spüurecr fein SSortourf. äöa§ tüir
an i^r ju tabeln l^aben, bQ§ i[t ber DJJangel einer ge=
nügenben Umgrenzung ber ftaatüd^en 9Jiad^t.
Rotten bie gried}i[d^en 5p^ilofo|)^en ricfitig er!annt, baf^ bcr
<Btaat in le^ter 2inie Qn\ bie uernünftige 9iatur be§ 5}?enjd)en
[id^ grünbet, baB tt)ir gcrabe öermöge ber 23e[rf)rän!t^eit bcr
©inäeüröfte bie 53e[riebigung unferer leiblichen unb geiftigen
^ebürfniffe, bie Sebingungen einer l^öljcrn, fortfci^reitenben,
oHfeitigen Entfaltung, bie Sicherung ber notfjWenbigen ®runb=
lagen be§ S^ifi^nimenlebenS nur in bem innigen 3uffli"'»f"=
'iäjhi^ innerfjafb bcr floatlidien ©efenfdjaft unb in gcgenfeitiger
©rgäuäung burd) eine gröf^ere ^Inja!)! ber in bemfetben großen,
focialen 33erbanbe mit un§ bereinigten (Staatsbürger finben
fönnen, fo feljite anberer[eit§ ben 93ertretern ber IjeKcnild^en
unb römi](^en 5]3f)ilofo|3l)ie bie (SrfeuntniB, "iici^ eben mit bie=
[en natürlid)en ©runblagen, mit biefcm natürlid^en
3föede jugleid) auc^ bie ©renjen ber [taatlic^en 5[lia(^t
in i^rem Ser^ältni^ gu ^nbiüibuum unb 6)e[ell[(^a[t gegeben
feien, ©tatt ba^er in ber (^rganjung unb ^-örberung ber
3nbibibuen unb ber niebern ©efellf(^aft§freife burd) bie Tlaäjt
unb bie Söirffamfeit be§ ©taateS ben uatürlidKU ©taatSsmed ju
erfennen, glaubte man bielmelir umgete^rt, ha^ ber ©taat alle
Seben§ämede be§ 9Jienfd^en fid^ boUftönbig unterorbnen unb
bereu Sßermirfüd^ung burd^ bie eigene, ftaatlidie S^ätigfeit nid^t
blo^ borbereiten, mitljclfenb ermögtidieu unb fd^ü^en, fonbern
aud^ unmittelbar bolläie^en bürfe. ©o mürbe ber antifc ©tant
fc^Iie^Iid) au§ einem Sefc^üt^er be§ natürlicOcn 9ted)te§ jum
geinbe be§felben.
2ßa§ nü^te e§ bem |)ellenen, menn man ifju im (Begenfat^
äum Heloten aU „gfreien" |)rie§? 3m SSer^ältnifj äur @e=
famtl^eit, in feiner 53e5ief)ung jum ©taat mar aud) ber freie
Hellene nid}t 3>bed, fonbern nur 5)J?itte( nnh barum im ©runbe
2. Sie ße^ve Dom Itrfprung be§ ©taateS unb bcv ftaatl. ©eloalt. 59
genommen ein bebauernStuett^ev ©flabc, ber 5Jla^ unb '^Id
feine§ gefamten ©tre&enS einzig im ©taate ju fudjen Trotte,
ber an greifjeit unb ^tec^tSfubjcctiöität, an perfönlidiem SSertl),
an perfönlidier 33ebeutung nur gerabe fo biel 'bc\a'i^, al§ er
innerljalö be§ [taat(i(f)en ©anjen jugelüiefen erljiett ober hmä)
eigene ^ra[t [id) errang i.
5. 51m mettc[len gcfjt in biefer |)in[icf)t ^lato. S)ie @in=
^eit be§ Staates i[t fein I)öd)[te§ ®ut; af(e§, waS biefe (Sin=
r}cit ftört, ba§ größte Hebel. Sarum finbet ^(ato fein Sbeal
im communiftifcj^en ©taate. |)ier toerben bie 33ürger,
„jeber ju bem einen @efcE)äfte, mosu er geeignet ift, I)in=
gebradjt, bamit fie, jeglidier be§ einen, ifim eigentl}ümlid)en,
fid^ beflei^igenb , ni(^t biete, fonbern ein§ trerben". 5Reben
bem 58eruf§ämange forbert bie ßintjeit aber aud) bie 2ßeiber=
unb @ütergemeinfd)aft , „inbem, wenn feiner metjr bie 233orte
,mein' unb ,nid)t mein* aussprechen fann, ba§ ©taatSganje
genau fo unmittelbar unb ausfd^liefslid) ba§ bem Stieile SSiber=
fal;renbe a(§ Suft unb Unluft empfinbet, tüie ber ^JJenfd) bie
33ern)unbung be§ gingerS at§ ©d^merj om Singer fül}(t" ^.
1 2Bir berüdftdjtigen l^ier äunöcfjft nur bie gricd^ifdje $f)tIofo:p!^ie.
Sit 9tom begnügte man fid), jotoeit bie ^^ilofopljie in S^vage
fommt, mit bem Qfifotutiftifdjen ©tantSfiegviff ber gxied;ifc^en ©enfer.
9lber and) bie römifc^e Suri§ptuben3 tarn tro^ if)ter Unterfc^etbnng
3Unfd)en ins publicum unb privatum nid;t üiet über ben 9IbfoIuti§muö
ber griedjil'dien 5pf)ilofopt)ie bina«^- 3" öffentUd)=rec^tIid)er §infid)t,
aU mas romanus , Wax ber 9lömer bem ©anjen , bem populus ro-
manus, abfolut unterworfen, ^nnerbolb ber )3rit)atred;tlid)cn ©pbäre
'iit\a% jebod^ ber römifd)e paterfamilias 9ted;te, bie, im ^rincip menig=
ftenS , aU unantaftbar galten. @r fonnte 3ted)t§öerbältni|fe jum
populus eingeben unb trat bemfelben mit eigener IRec^töfubjectiintät
gegenüber. SJgl. 3 b e r i n g , ©eift be§ römifd^en ^eä)t§ JI (3. Stuft.
1873), 67 ff. ©ierle a. a. O. ©. 45.
2 Polit. IV. 422. 423. 462. ©ierfe a. a. O. ©. 15,
9^ote 22.
60 ©rfte§ ßopitel. S)er d^riftltd^e ©taatsbegriff im attgemeincn.
Offenbar 'i)atk Poto red^t, inbem er bie ©in^eit aU
2Befen§eIement be§ ©taateS beseic^nete. 5I6er er über=
fa^, bo^ bie (Sinfjeit eine mannigfach geartete fein !ann, ba^
in§befonbere ber ftaatlid^e Organismus fid) ni^t mit einer
(Sin^eit t^erträgt, meldte im ©runbe genommen nur jur (Sinerlei=
I^eit füf)rt. 2)arum mu^ e§ al§ ein bead}ten§mertl)er r^oxU
fc^ritt betrachtet merben, menn 5lriftoteIe§ jener @inertei=
^eit be§ platonifd^en ^beölftaatey gegenüber bie organifci^e
©inl^eit be§ ©taate§ betont, meiere o^ne Ungleic^artigleit
ber 2:f)ei(e ni(^t gebadet merben !ann i. 3)cr 33erg(eid) ber
ftaatlictjen (Sefellfc^aft mit einem „Organi§mu§" ifl treffenb
unb reid^ an fruchtbaren Slntnenbungen auf alle focialen 2eben§=
bejie^ungen. 5IÖDlIte man jeboc^ mit 5lriftoteIe§ unb mandien
neuern ©d^riftftetlern barau§ ben ©djlu^ äiefjen, ba^ im 33er=
fjöltnifj äum ©taat ha^ Snbibibuum §mar 5pflid)ten, aber !eine
eigentlichen 9tec^te befi^e, ebenfomenig mie oud^ bie einzelnen
^ör|)ert^eile bem ^ienfdien gegenüber reditlic^e ?(nfprüd}e get=
tenb machen tonnen, fo mürbe einer fo(d)en „^^iulanmenbung"
ein neuer logifd^er Sel^ter ^u ©runbe liegen : bie SBermed)§Iung
be§ moraIifd)en mit bem pl}i)fif(^en Organismus. Sei
le^terem l]ai ber S^eil feinen 3toed aflein im (Sanjen, bei
erfterem aud) in fid) felbft.
6. SBon jel^er Tjat nämlid} ber @taataabfoIuti§mu§
für fein 53eftreben, ba§ ganje inbit3ibuefle unb fociale Seben
in bie @|.i()äre ber ftaatli(i)en |)errf(f)af t , ber ftaattidjen 3ni=
tiatibe unb ©irection, ju äieljen, mit 33orIiebe \\6) auf 5lri=
ftoteleS berufen. '!Rai) bem ©tagiriten ift ber Staat feinem
SBefen nad) früljer al§ ber 5J^enfd;, meit ba» ©anje nDt^=
Wenbig bor feinen 2:^eilen gebadet merben muffe 2. 2)arum,
^ Polit. II, c. 2. 5 ; III, c. 1. 15. S)a§ ftaatlid^e ©etneintoefen toirb bei
2lnftoteIe§ aiicf) mit einer ©timpl^onie unb bem Dt!^t)t]^mu§ öerglic^en.
^ Polit. I, c. 2 : Kai Tipurspov dij rrj <puati nö/.ig ^ olxia. , y.at
U/.aaroq ijßwv tu yäp oXov TzpözEpov ävay/.aiov sTvac zoü pipouq etc.
2. S)ie ßel^re Dom Uxfprung be§ ©taateö itnb ber ftaatl. ©ettialt. 61
[o f(|)Iie^t man, iamx ber 8tQQt mä)t al§ D^Httel gelten für
bie ^votät ber Snbiöibuen, fonbern umgefe^rt, e§ [inb, toie
bie Steile für boa ©anje, -fo anä) bie Snbibibuen nur für
ben (Staat ba. 3^tn gehören fie baf)er mit iljrem gefamten
inbiöibuellen unb focialen Sebensinl^alte an.
äöäre ber 5}ienf(| fein freie§, [itt(i(^e§ äBefen, f)ätte er
auf biefer 2BeIt feine anbere, Ijö^ere 58eftimmung al§ bie,
Sf^eil be§ (Staates ju fein, bann allerbing§ gäbe e§ für itjn
üiiä) feinen bom (Staate unabhängigen 'S^ütä. ^er (Staat
fönnte nict)t a{§ DJ^ittel jur (^rreid}ung ber menfd)Ii(^en S^i'^t
angefe(}en »erben, ebenfotuenig n^ie ba§ ^au§ al§ 50iittel gilt
für bie ^rotdt eine» S3Qufieine§. 5Iüein ber 5Jien|^ t)üt in
©Ott unb in fi(^ felbft ein l^öf)ere§ ^uL Wxt biefem feinem
:perfi)nlict)en ^mä föar er ni(f)t blo^ ^iftorifd^, fonbern eben=
faul bem ©ebanfen nad) bor bem Staate ba. 23ermöge biefer
Ijö^ern 2eben§aufgabe, auf ©runb feiner finn(id)=bernünftigen,
freien nnb fittlici^en dlatm, ift aber ber 9Jlenf(^ jngteid^ and) al§
Snbibibuum, in feiner Steüung ju ben moterieüen ©ütern biefer
2ößelt fotoot)! mie für feine focialen 53e5iel}ungen mit 9tecf)ten
au§geftattet, meldte ber <Btaat nid^t erft ju bertei^en brandet,
mit 9ted}ten, an meiere feine (Staatägeiüalt i^re §anb legen
barf, beren Sd)u| unb 5ßerrt)irf(id)ung bielmefjr ju ben mefent=
tidöften 5(ufgaben be§ Staate» ju jä^Ien ift. 2)enn berfelbe
©Ott, in beffen ©ebot bie ftaattid)e ^lutorität itjre Ie|te, rec^t=
(ic^e ©runbtage befitjt, berfelbe ©ott tjat jebem 9JZenfc^en fein
3iel berlie^en unb mit bem 3ie^ ba§ 9ted^t auf ben ©ebraud)
ber äur Srreid^ung besfelben notfjtcenbigen 93littel.
Sßenn baljer §tüeifeIaDfjne ber Staat bon feinen 5Inge^örigcn,
a(§ „Sl^eilen" be» ftaatlic^en „©anjen", bie Unterorbnung
i^rer inbibibueHen ^ntereffen unter ba§ ©emeintüo^I ju ber=
langen bered)tigt ift, fo finbet biefe gorberung bod) in bem
©efamtäiete be§ menf^(id)en 2eben§ immer mieber eine un=
überfdjreitbare ©renje. |)ier gilt ha^ fd)öne äBort S)a^I=
62 ®ffie§ ßa:|3ite(. ®er (^riftncfje ©taatsBegriff im oügemcinen.
mann§: „S)er feiner !^ö()ern 58eftimmung getreue DJienfc^
bringt bem ©taate jebeä D|)fer, nur ni(^t — ba§ Opfer
feiner Ijö^ern S3eftimmung."
7. 3ut (Sntfd)ulbigung ber alten S)en!er mag ber Um=
ftanb gereid)en, bafs iljnen eine bolüommen Kare 5>orftenung
t)on bem 3iel be§ 9Jienfd)en jenfeitä be§ ©rafie?, in ber (Sroig=
feit , nod} fehlte, ©ie atjnten jum S^eit ein fo(c^e§ !^k\.
3Ibcr ba§ 33ilb ber $ßergänglid)!eit in biefer Söelt, ba§ 9{ö(^e(n
be§ 2;obe§, ba§ allentfialben ertönte, föfimte unb trübte jene
©rfenntnifs lieber, au§ ber I}eute aud} ba§ ärmfle 50knfd)en=
tinb ben reid^ften Sroft empfängt, ©o !am e§, ba^ fie auc^
bie 5lufgaben unb 3tt)ede be§ irbifdien 2eben§ nidjt rid)tig
erfaßten unb bie Unterorbnung unter bie I}öd)ften irbifc^en @e=
maikn in einer abfoluten, ma^= unb fd^ranlenlofen ma(^en
fonnten.
SBir werben in ber golge fe^en, mie bo§ 6f)riflentf)um
in biefer 33eäief)ung öoUftänbig 5[ßanbe( gefdjaffen, toie ber
©ebanfe, ba^ ber ©taat fomo^t bem ^nbibibnum al§ anä)
ber gamitie unb anbern focialen ©ebilben gegenüber feinem
innerflen 2J3efen unb feinem natürlidien "^md^ gemäf3 nur ben
6[)ara!ter einer äußern <Bä)u^= unb |)ilf§mad)t für \\d) in
5(nfprud) nefimen fönne, in ber d)rifllid)en ^pf^ilofopljie eine
flare ^^affung unb tiefe 33egrünbung gefunbcn I;at.
3. ^taai unb ^nbiv'ibnnm.
1. DJian Ijat Ijeutjutage bem 6f)riftentfjum afle nur er=
bcnflidje ©d)mad) an^utt^un fid) nid)t gefd)cut. DJian Ijat feine
meUumbilbenbe 5fraft beftritten, im angcblid)en ^ntereffc ber
„Kultur" mit milbem, blinbem t^anati§mu§ bie t^irci^e, bie
Segrünberin ber abenblänbifdjen ßuttur, bctömpft — eine§
f)at man nici^t ju beflreiten gett)agt. Unb märe biefeS ©ine
auc^ bie einzige Seiftung be§ 6f)riftentf)umä ^um Söofjle ber
5[)ienfc^t)eit geblieben, fie allein fönnte unb mü^te genügen.
3. etaot itnb Snbiüibmim. 63
um bie ü6ermenfd)Iid^c ^raft unjerer I;eiligen 9teIigion fognr
bcni blöbeften 3(uge 5U entljüüen. (S§ mar ber ©teg be§
(S^ri[tent!§um§ über ben 5lbfDluti§mu§ be§ I)eib=
nifc^en ©taateS.
2)a§ 6()riftent(jum i[t feinem innerfieu 2Beien nad), hmäj
\\ä) felbft ein fefler S)Qmm gegen obfolutiftifdje ©elüfle jeber
3trt. 5)or Quem aber bilben brei feiner midjtigften 2ef)ren bie
unerfd)ütterlid)e ©runblage, bie fiegveic^e @d)uljiüel)r ber edjten,
bürgerlid^en t3'teil}eit. 2Bir meinen
tü^ überirbifdie 3iei »^eS 9Jienfd)eu, fobann
bie Se^re bon ber t^ird)e al§ einer freien unb t)onfom=
menen (^efeIIfd)Qft neben bem (Staate, enblid)
bie ©taat unb Snbiuibuum umfaffenbe i5errfd)aft be§
natürlidien unb geoffenbarten ©ittengefe^e» unb
©otte§red)te§.
2. SDer ©taat oI§ @otte§orbnung — biefe§ eine äöort
umgab ha§, ©cepter mit bem fjeljren ©lanje einer Sßürbe,
nad) ber ein fel6ftl;errlic^er ^eöpot fid) t)ergeben§ feijnt. 3)er
Staat al§ ©ottegorbnung nur für biefe 2öelt — ba§ mar
ha^ Soubermort, meldjes bie Letten ber 33ölfer jerbrad^.
S)er «Staat ifl nid}t ha^ Snbäiel be§ 9JJenfd)en, unb barum
fann auc^ ber 5Jknfd)t)eitöämert nid)t in bem Staaty^mede
aufgeljen.
5tl§ unflerblid^e§ SBefen ragt ber 2)fenfd) mit feinem 3tüede
über bie ©renjen be§ Staate^ unb ber ftaatlidien 5)Jad}t rjin=
au§. (Sr f;at ein !)öl}ere§ S^d über ber ftaatlic^en Sptjäre,
eine pfjere 53eftimmung, bie fid) im Seben ber ftaatlidien ©c=
feKfdiaft nid)t erfdpbfen fann. @§ ift bie 33ermirflidning jener
allgemeinen, fittüdjen Orbnung, bereu ^rone unb Sdjlu^ftein
ber befeligenbe 5Befi| ©otteS im 3enfeit§ bilben foU.
3)a§ ift bie Seljre be§ (5fjriftentf;um§. äßer biefe maljx^
^eit in Slijsoxk ober ^ra^iS berfennt, ijat ba§ 9ted)t bermirft,
ben djriftlidjen 5Zamen ju tragen.
64 ®i;[te§ Kapitel. ®ei- if)rtftlTcf;e ©taotöbegriff im atlgemeiiteit.
33ermöge jenes jeine§ l^ö^ern 3i£^ß§ gewinnt nun jeber
einzelne 5)?en[(f) qI§ Snbiuibuum innerhalb ber [taQtüd)en
©efeüfcdaft einen [elbflänbigen SBertl), [le^t !ra[t feiner
lt)e[entlid)en SebenSaufgobe auf bem Soben einer 3{ed;t§fpf)äre,
bie bem ftaatticfien ®efe| unb ber [toatlitfien SSerlei^ung ni(i^t
ent[tammt, jonbern, weil bon ©ott gegrünbet, für jebe blo^
irbifd)e (Gewalt unberle|li(f) bleibt. 5üi§geftQttet mit unQntoft=
baren Urred^ten, ober aud) gebunben burd) ein @ittengefe|,
bQ§ oKeS ©treben unb §anbeln bem f;öcbften S^tk unter=
orbnet, tritt ber 5Kenfd) in biefe SBelt, ©ott unterworfen in
ollem, ber ftaatlidien Dbrigfeit um be§ ©emiffeng willen unter=
t^on, foweit beren ^tutorität in ber natürlicben Drbnung,
in bem ewigen @efe|e @otte§ begrünbet ifl.
9iid)t umfonft ^at %^oma^ öon 5t quin bie St^it^ mit
ber ^3^ilDfDpt}ifd)en 53eleud)iung gerabe ber Se^re bom legten
3iele be§ TOenfdien begonnen. S)er ©nbäWed ber bernünftigen
ßreatur ift ja bie ^ö(^fle D^orm, ber einjig entfdieibenbe 9}?o^=
[tab für ^emeffung be§ SBertljeS ober Unwert^eS aller unferer
Seftrebungen, gugleic^ bie magna charta aller ed)ten bürger=
üd)en unb inbibibueüen ^^reitjeit. Dljne biefe§ 3^^^ tbirb natur=
not^wenbig ber ©c^wadie ^um ©Haben be§ ©törfern, mit
biefem 3^^^ füf)It auc^ ber ©flobe fid) frei. O^ne biefe§ 3^^^
ift ber ©taat alleS, ba§ Snbibibuum nicbtS; mit biefem 3iel
wirb ber ©taat jum S)iener ber ©efamttjeit feiner ©lieber.
„^a bie ©efeüfdiaft nur für bie ^t\t befielt, bie 5|]erfonen
aber für bie @wig!eit, fo leuditet bon felbfl ein, ba^ bie C)rb=
nung be§ gefellfd^aftlidien Seben§ abtjängig bon bem testen
3iele ber inbibibueHen Si-iftenjen unb alfo biefem untergeorbnet
ift." 2 S)a§ ift, in fd)Iicbter (Sinfad^l^eit au§gebrüdt, ber d)rift=
Iid)e ©ebanfe, welcber ben 5IbfDluti§mua bea ©taateS gebrod^en
1 S. theol. 1, 2, q. 1—98 ; 2, 2.
~ t). gjlot) be ©on§, ®a§ 'Stiäjt aufeerf)atb ber 9}oI!§a'6fttminung
§ 5. — %f,. mti)tx a. a. O. ©. 122.
3. ©taat unb 3fnbioibiium. 65
f)at. Sn ^roft bie|e§ @ebanfen§ bekannte man fid) ju bem
©lauben, „ba^ ba§ innere Seben ber (Sinsehien nnb i^ver reli=
giö§=fittlid)en 53erbQnbe feiner n)eltlicf)en 5}?ac|t untertüorfen
unb über bie ©pfiäre ber [taatli^en ^ofeinaorbnung erfjaben
fei. 5)ninit entfcölDonb bie aKumfaifenbe 33ebeutun9 be§ Staaten.
2)er 9}ien[d) ging nid}t meljr im 33ürger, bie ©efeüj^nft md)t
me^r im ©toote auf. 5^a§ gro^e SBort, bo^ man ©ott mel)r
ge^or(^en [oHe al» ben 51^enfc^en, begann feinen ©iegealauf.
3Sor i^m öerfanf bie Cmnipotenj be» [)eibnifd)en ©taateg.
S)ie Sbee ber immanenten ©c^ranfen oder ©taatägemalt unb
aller Untert^anenpflic^t (eu^tete ouf. S)a§ 9ted)t unb bie
5pflid)t be§ Unge^orfam§ gegen ftnatlic^en ©emiffenSjmang tDur=
ben berfünbigt unb mit bem Stute ber 5Jkrtt)rer befiegelt.''^
2ßa§ ben f)öd)ften 3ioed be§ ^JiJ^enfc^en unb ber 2)lenf(!^=
^eit betrifft — ßotte» S;ienft auf biefer (ärbe unb Erlangung
be» legten ^^ele» im Senfeit§ — , fo barf ifjm gegenüber nie
unb ninnner ber Staat ein |)inberniß merben. ©eine oberfte
^flic^t mie fein ()öd)fter ^md ift e» öielme^r, innertjatb feiner
©p^äre buri^ ©d)u| unb S^\l\t lUx ©eftaltung ber äußern
©runbtage mitjuroirfen, auf metd^er ein gebeitjüd^eö , Ijö^ere»
©treben be» 9J?enfc^en fic^ entmideln tonne.
S;a§ mar bie erfte ^^-ruf^t, meiere bie (^rift(id)en Senfer
au^ ber 33erürffid)tigung be§ emigen, jenfeitigen S^k^ fü^ i^ic
genauere @rfenntni^ be§ ftaatli(f)en 8eben§ unb feiner Sejiel^ung
äum Snbiöibuum jogen.
2)ie 2et)re üon bem jenfeitigen 3^^^^ be§ ^J{enfd)en ^at
inbea nid)t blofe ber ©taatsgemnlt gemiffe unüberfteigbare
©c^ranfen gebogen, ©ie gab überbie§ ber ganzen d^riftlid^en
©taat§p()i(ofo|3f)ie bie i^r eigentt}üm(ic^e 9iic^tung unb @efta(=
tung, inbem fie einerfeit» bie rürffi^t§(ofe |)inopferung be»
(Sinjelnen an bie ©efamtt^eit im ©inne be» 5tbfoIuti»mu§ au§=
1 ©terfe a. a. D. ©. 123.
66 ©rfteS Kapitel. ®cr d§tiftlt(^e ©taatäbegriff itn attgemeinen.
fd^to^, anbererfeit» bie bom 9laturrec^te geforberte Unterorb=
nung be» SnbibibueUen unter bQ§ ©emeiniome jur (Geltung
brad)te.
3. gür ba§ pf)i(ofo|)I}i[(^e ©taat§red)t i[t !eine grage iüid^=
ttger al§ bie gi^age, in toelt^em Umfange unb in roeldjem
©inne man bei ber S3eurtf;eihmg be§ 93erl}ältnifje§ jtt)ifd)en
©taat unb ^nbioibuum, focialen unb inbiüibueHen S^^'^^n,
Don bem ^nbiüibuum ober bon ber ©efamtfjeit au§5uge[)en f)abe.
2Bie mir faljen, erblidte ^lato in bem ©ebanfen ber
(Sinfjeit, ber ©emeinfd^ a[t , ber ftaatlicfien @e|amtf}eit, be§
„^ienfcEien im großen" , ben |3^i(ofop!)ifc^en 5Iu§gang§pun!t
be§ ©taot2re($te§. ^lud) für 5(riftote(e§ !am t^a^ Snbi=
bibuum blo^ ol§ S^ei( be» ©anjen in 53etra(^t, inbem er ^u--
gleid^ ^erborl^ob, bo^ ha^ ©anje früher gebac^t merben muffe
mie ber S^eiL lieferten ©ebanfen micberfjolten fid) in ben
abfolutiftifd^en ©pftemen ber f|iätern ^a^r^unberte unb in ben
Erörterungen ber flaatsfocialiftifd^en S^eoretifer. <Bo fe^en
gid)te, 9fobBertu§ unb anbere in ben Snbibibuen nur
bienenbe Steile be§ ©anjen. 9iad) 9?Dbbertu§ !ann unb barf
ber ©taat feine ?(ufgobe nid^t in ber „©(üdfeligteit ber @in=
jelnen" fudien, biehne^r foöen bie (Sinjelnen jum geiftigen, fitt=
liefen unb mirtfd)aft(i(^en 2Sof)I6efinben be§ 'Biaak^i biencn ^.
Sie d)rift(id)e ^pofopfjie bagegen (efjrte ttar unb beftimmt,
bafe ber ©taatSjmed nid)t ha^ te^te ^kl be§ mcnfd)(id)en
©trebenS fei.
Sa§ nDtf)menbigfte, ()öd)fte unb mid)tigfte Sntereffe ber
5}?cnf d)fjeit , ba§ aSfotute (Snbäiel aller menfd)Ud)en Seftre=
bungen unb (Sinric^tungen concentrirt fid) bietme^r in bem
Snbibibuum. 9Jur bie ^nbibibuen |aben eiüige 2)auer, nur bie
' §. ®ie|er, Stall OlobbertuS II (^ena 1888), 37. 64. 2;t)eopf|.
^03 a!, 3^ob[)evtu§=SQSe^oto§ focialöfonom. 5tnfi(i)ten (3ena 1882)
©. 52 ff. 14. 202. 3ettfcf)nft für ©ociat= unb 2Birtf(!^aft§gefd^id^te
I, 1 (greiburg, moi)X, 1893), 93.
3. Staat unb Sfnbiötbuinn. 67
Snbiöibueu lönnen jene» überirbi[(f)e 3iel erreidien, um beffent=
tüiHen ©Ott ni(i)t nur bie 3öe(t, bie 9J?en[d^en gefctjaffen, fon=
bern auä) inabefonbere bie [ociolen Organismen, ^^amilie unb
©toat, 5um ®a[ein cjctangen ließ. 5I(Ie Socicitjmede orbnen
\iä) bemgemä^ in tetjter Sinie bem tjöd^ften, inbibibueüen S^id
unter. ®er ^öt^fte inbibibueüe S^i^e*^ i[t äUQleicf) ber oberfte,
(e^e Soctaljmecf 1.
SDiefe 2BQ^rf)eit, bie ©emeingut ber fatfjoüjc^en, lc^Dla=
ftif(^en ^^f}i{D|o|}tjie jeber !^t\t gemejen, §at — mie luir gern
QUäuerfennen bereit [inb — ebenfalls unter ben übrigen 33er=
tretern ber (f)ri|'t{i(5en SGßeltanjc^auung jumeiten einen berebten
5Iu§brud gefunben.
Heber bo§ SBer^ältnife ber „(Sinäelperfönlid^!eit" gu hm
„@efamtperiönli(|feiten" f(^reibt 5. 33. 5l^ren§ in feiner
9ted)tap§ilDfüp^ie 2 folgenberma^en : „S)ie ©runbloge aller ©e=
famt|3er)i)nlicf)teit ift gegeben burd) bie (Sin5elperfön(id)feit, beren
9te(i)t bafjer auc^ ta^ @runb= unb Urrec^t in allen gefeüfct)nft=
(id)en 33erl)ä(tniffen ift. Senn alle ©efamtperfönüc^teiten in
ber 5Dienid}f)eit finb hoä) nur jeitlidje äJertjältniffe unb n)erben,
toenn fie auä) für biefe» Öeben anbauernb finb, mannigfach
umgeftaltet. 2;ie (Sinäelperföntiditeit ift aber eine emige Ur=
intibibualitüt, bie if)r ©ein, Seben unb Dtec^t äui)öc^ft au§
©Ott fdjöpft unb in biefem ureigenen 9ied)te ftetg gead)tet tüer=
ben tnu^. . . . 2)a§ iRed)t ber inbiöibuellen ^erfönlic^feit Ijot
bafier feine Cuelle nid)t in ber ^^-amilie, in ber ©emeinbe ober
in ber Aktion, felbft nidjt in ber ^Jknfdjfjeit, fonbern in ©ott,
unb biefe ^er)önlid)feit tann ba()er öon einer gefenfd)aft(id)en
^Bereinigung mot)! in i^rem Dtedjte befd^ränft ober Dielme^r
organifc^ beftimmt, aber nie ööüig reci)ttD§ gemad)t merben.
1 aSgl. bie enctiflifa 2 e 0 § XIII. „Sapientiae cliristianae" (1890).
Ueber bie toiifitigften ^fü(^ten cf)riftli(|er 33ürger. Offic. (§evberfc^e)
Sluög. ©. 8 (9) ff.
2 Stügein. %i)tx\, Aap. 3, § 2.
68 ®rfte§ ^a^jitel. S)er c^riftlid^e StaatStiegriff im aügemeinen.
6ine 33er!ennung be» mbibibuell = per[önlid)en 9ted)te§ tDÜrbe
aber auä) barin liegen, roenn bie inbiüibueüe ^perfönlic^feit
jtüar in einzelnen §in[iä)ten erholten, aber im ^rincip ber=
nicktet wirb. Siefe grunbjätjlidje a3erni(f)tung i[t bie golge
aller |)antfjeiftifd)en , fenfualiftifi^en unb materiali[tifcf)en @l)=
[teme. . . . SSiefe ©t)[leme füfjren confequent gu ber gänsUi^en
Unterorbnung unb Eingabe ber (Sin§elnen an bie ©efeüfdiaft,
an ben ©taat, ober ju einer Uo^ materiellen ^ggregation
berfelben nac^ gemeinfamen abatracten ^rincipien."
4. Söenn ber (i^ri[tli(^e ^Ijüofopl; in ber flaatlii^en ®efea=
]ä)a\t mie in allen irbii(f)en ©ütern unb 33er^ültni[fen fc^Iie^=
lic^ unb le^tlidö nur ein 93Uttei erblidt, melc^eS bem ein=
jelnen SJtenfd^en bienen fofl, fein Ie^te§ 3iel unb 6nbe ju
erreichen, »enn er in biefem ©inne ben Staat jum Wxtkl
für bie ^nbiöibuen maä^t, bann tt)irb e§ iljm leidet fein,
ba§ allgemeine 35er[jältni^ jroilc^en bem ftaatlic^en @e=
meinföof^Ie unb bem menfi^üd^en SnbibtbualmoI^Ie
rid;tig ju er!ennen. 5(ud) :^ier beljölt ber ©a^ : 2) e r © t a a t
ift für bie ^Jienfc^en 'oa, feine bolle Söaljrljeit unb
:prattiid}e 58ebeutung. 3)a§ ftaatlidie ©emeiniüol;)! ift ntc^t
D^ne 33e5ie^ung jum irbifdien Snbiüibualmofjfe ber Bürger.
(S§ bietet üielmefir bie 58afi§, auf mefc^er ha^ äßo^t ber Sn=
biöibuen fid) aufbaut ; e§ ift ba§ 5Irfena(, au» bem bie ©taat§=
glieber bie SBaffen nehmen fönnen jum erfolgreichen 9iingen
für if)re ötonomifdie (Sjiftenä, für if;re aüfeitige (Sntmidtung ;
e§ ift bie Queue, au§ ber ifjnen bie ^raft aufliefen foö, um
mit (Srfolg unb unter ^tufbietung audj ber eigenen Gräfte il^re
erlaubten irbifcben SebenSsmede ju Dermirflid)en unb aflen i^ren
berechtigten, mit bem 2öo{)te ber Ü)cfamttjeit unb ber gleid)=
bered)tigten 5}^itbürger in Harmonie bleibenben Sntereffen ^um
Siege ju berfjetfen.
9J?an tonnte entgegnen: SBenn man ben ©taat nur um
ber 5priöatperfonen miüen ha fein lä^t, menn man fagt, er
3. ©taat unb ^nbiDtbimm. 69
[ei nur ein 5)?ittel für bie ^pribottDol^If a^rt , fo tüirb bamit
logifd) ber 33ec3ritf be§ ©tQQte§ felbft aufgelöft. (5§ gebe feine
©efamtl^eit, bie oI§ ©anjeä ein eigenem Seben l^ötte. S)er gute
Söiüe, mit loelcfiem ^OiiHionen i^r 5]8riöattt)D^I ber Söofilfa^rt
if)re§ 33aterlQnbe§ unterorbnen, bie Opferfreubigfeit , ttjelc^e
Saufenbe begeiflert, für bie (S§re unb bie 5)?ad}t be§ «Staates
in ben %oh ju ge^en, toöre eitle 2;i^or!^eit unb (Scfiftärmerei :
bie |)D^eit be» (Staate^ rt)ürbe in bie ©emeinnüfeigfeit einer
^Iffecuranäanftalt umfc^Iagen. @§ beftel)t ein organifd^e» @e=
famtleben ber 3SöI!er, weld^eS nad^ ber göttlicfien SBeltorbnung
eine felbftänbige 33ebeutung ^nt. ©eine SBol^Ifafjrt ift eben
bie öffentlid)e 2BoI)Ifa(;rt im eigentlichen ©inne, unb inbem
ber (Staat bafür junädift forgt, forgt er mit 9ted)t borauS
für feine eigene (Si'iftenj.
3Sa§ ift hierauf ju antworten?
©emij], ber Staat gi(t auc^ un§ a(§ eine moralifd^e 5per=
fon; er I}at ein eigenes Seben unb eigene Stjätigfeit, welt^e
fic^ öon bem 2eben unb ber S^ätigteit ber ben Staat bilben=
ben ^ribatperfonen unterft^eiben ; er f^at auc^, mie jeber anbere
Organismus, bie natürlid;e 53eftimmung, bafe er fic^ felbft er=
l^alte unb berbofifommne. 2öenn ber 58aum nid)t fein Seben
erl^ält, menn er ftd^ nid)t entmidelt, nid)t fc^öblidie @in=
pffe überlDinbet, nid^t blütjt, fo fann er auci^ feine grüd)te
bringen. 3l6er er ejiftirt, mäd^ft, blü^t nid)t, bamit er ei-iftire,
mad)fe, bluffe, fonbern bamit er grüdjte bringe. So ift aud^
ber Staat nid)t ba, um ju fein, fid^ ju entraideln unb feiner
^raft fid) ju erfreuen, fonbern bamit er grüd^te bringe für
baS 2Bo^t feiner Sürger. greilid) forbern mir nid)t, ba^ er
unmittelbar baS ^riöatmo^I aüer einjefnen Bürger fefbft ber=
mirftidje. 5Mn, baju finb ben 23ürgern bie eigenen, perfön-
lid^en Gräfte berlie^en. (Sr foH ober in meiteftem Umfange
bie focialen 33orbebingungen beS pribaten StrebenS fjerfteHen
unb erhalten. ^aS ift feine 5tufgobe, unb infofern fagen mir
70 ©r[te§ :$?opiteI. S)er (I)rtfllic|e ©taatäbegriff im allgcmeineti.
aüerbingS, ha^ ber ©toat beflimmt fei, mit feinen (Sinri(5=
tiingen a(§ Wiikl ju bienen für bü§ SBol^I aller einzelnen,
jum (StaQtöganjen ge^öreuben 5)?enfd)en. folgerichtig ergibt
fi(i^ benn auc^, bo^ ßlenb unb ^Rotl) in ber Seüölferung ober
in ganzen klaffen berfe(6en regelmäßig ju bem ©ci^Iuffe 6e=
red^tigen, ber Staat Ijabe feine naturgemäßen 5lufgaben ni(^t
erfüllt, mäfjrenb umgete^rt ein n)irfn(i^ allgemeiner Botjlftanb
ber 23ürgerfcf)aft auf ein bfüfjenbeS unb in gefunber SBeife
tt)ir!fame§ ©taatsmefen fdiließen läßt.
5, 2)ie ii^urdjt, a(§ ob ber ©taat in ber c^riftlidien Sluf=
faffung, burd^ Unterorbnung ber (Staat§ttjätig!eit unter ben
Ijöctiften menfc^Iictien SnbiDibualämeil unb unter bie ^oftulate
be§ oHgemeinen ^ßoItämo^IeS, feine innere organifdie (Sinljeit t)er=
lieren mürbe, märe berechtigt, menn ber @a^, 'i)Q^ ber ©taat für
ben DJIenfc^en ha fei, eine abfolute Unterorbnung afler ©ociaI=
^mede unter bie taufenbfacj^ berfd^icbenen inbiöibuellen ^mät
ber einzelnen «Staatsbürger bebeuten foKte, 5IIIein e§ Ijanbelt
fi(f) l^ierbei nid)t um Sonberintereffen einzelner ^nbiöibuen.
2Ba§ in ^rage fommt, ift junädjft nur ber pdjfte 3nbit)ibual=
jmed, ber aU allgemeiner DJJenfd;|eit§ämed allen ^nbioibuen
gemeinfam ift. 33on einer 2)urd)bred]ung ber (Einljeit be§ ftaat=
Iid)en ©trebeng fann barum ^ier um fo mcniger bie 9tebe
fein, ba überbieS Don bem (^Ijriftentfjum ftet§ bie Sbentität
be§ I)öd;ften Socialjmedeg mit bem Ijöc^ften unb allgemeinen
^nbibibualjmede ^erborge^oben mürbe.
2ßa§ aber bie übrigen, bem {)öd)flen untergeorbneten 3n=
bibibualämede betrifft, fo brot;t bie S)urd)bred)ung ber @int)eit
be§ ftaatlidjen Strebend biet me!^r bon einer anbern Seite — ,
gerabe bon benjenigen nämlid), meldje fd^einbar fo fel^r für
bie (5inf}eit unb 9Jiad;t be§ „Staates" fid) begciftern. Ober
maren e§ im Saufe ber ©efdiii^te nidjt ftet§ bie abfolutiftifd^en
©elüfte eines ^^eSpoten, bie 33ertreter ber materiellen ^ntcrcffen
einer l^errfdicnben ^^taffe, einer phito!ratifd)cn 0(igard)ie, bie
3. ©taat unb ^n^^i^i'^uwi"- 71
in eigenfüd^tiger 33erfol9ung i^re§ irbifdien ^^ribatbort^eil^
[irf) ber abatracten „@taat§per|önltcf)!eit" , beä ab§tvacten
„(5taat§tüoI)Ie§" 5ur Secfimg if)rer Snbibibualität, ttjrer inbi=
iiibueüen ^mdt kbieut ^aben?^
(Sin berartiger egoi[ti[d}er 9J?iBbraud) ber '(Slaat§mad)t
tuurbe burc^ bie ^rincipien ber rf)ri[tlid)en ©tQQt§Ief)re ]d)Iedjter=
bing§ unmögüd^ gemadit. ^enn toenn e§ ma^x i[t, tiü^ jeber
@taQt§5iüed [id) ftet§ bem gemeinfamen 3ttiede aller ben ©taat
bitbenben Snbitjibuen unterorbnen niü[[e, [o ergab [idj au§ einer
füldjen @r!enntniB mit 2eid)tig!eit ber (Sa|, ba[3 aud) ba§
„©taat§tDO^(" niemal» ju bem föa^ren gemeinjamen 5ö5o()Ie
aller in ©egenfal treten !önne. @emi§ be[i|t ber „©taat"
bie (5elb[tünbig!eit unb ©infjeit einer „moralifdien ^erfon" ;
aber al§ foId)e i[t er nur bie ermeiterte ^erfönlid)!eit ber
©taat§bürger, bie au§ ber gefeHjdiaftUdjen Organifation I}er=
aualüai^fenbe (Sejamtperfon , bie ala „^erfon" gebadite (Be=
famtf^eit be§ [taattid) orgonifirten 9}oIfe§, — fein SBamp^r,
ber auf bem 5kden be§ 53Dl!ea [i|t, um bon beffen 33hite [id)
ju nähren, ©benfo fann bie mit 9ted)t geforberte Unterorb=
nung be§ ^riöatöort^eilä unter ba§ ©taatsraoljl, bie Opferung
ber inbiöibueüen ^ntereffen bi§ jur fiodjljerjigen Eingabe be§
2eben§ im 3)ien[te be» 3SaterIanbe§ feinen anbern bernünftigen
<Sinn ^aben, al§ ba^ ber irbi|d)e ^orttjeit, ba§ irbifdie ^nter=
effe einzelner ^nbibibuen surüdfteljen müfje hinter bem gemein=
famen Sßo^Ie aUer, nieinal§ aber fann biefelbe ba§ 2öof}I aller
bem jd)attenf)aften ^§antom eine§ „@taat§n)oI)Ie§" opfern mo(=
len, tt3el(i^e§ neben unb über bem ©emeinmo^Ie ber
gefamten Staatsbürger eine fefbftänbige ^iflenj unb
33ered)tigung ^ätte^.
1 »gl. bie ©nci^flila „Diuturnum illud" (1881). Offtc. 3lu§g.
©. 16 (17).
2 SalJareUt (91aturred)t I. Sb. , 2. %t)til, 2lbf). 2, ßap. 1,
?lr. 722— 727) bemerü biegbeaüslic^ im Slnfd^Iufe on ß.t).§ aller:
72 ©tfteä ^apttet. ®er c^riftlii^e ©taatäbegrtff im aügemeinen.
6, Snbem bie (f)ri[tltc^e ^^itofoptjie burd) i^re 8ef)re bom
35erl)Q(tni{; be§ ©tQate§ jum Snbibtbuum öor ber Qb[Dluti[ti=
fdjen llebertreibung be§ organifc^en 6^arafter§ be§ ©tooteS,
bor ber boHfornnienen |)inopferung be§ 3nbibibuum§ an bie
©efamt^eit betüo^rt blieb, inbem [ie ^erbor^ob, ba^ ber 53?enf(^
im ©taate nic^t nur a{§ „focioler St'örpert^eil", oI§ Sfjeil be§
[taotlic^en Drgani§mu§, fonbern auc^ qI§ ©elbftsmed 5tner=
!ennung unb 33erü(ftic5tigung finben niü[fe: berfiel [ie feine§=
lüegg in boä ber fDciaIi[tij(^=Drgoni[dKn Sljeorie entgegen[lef}enbe
ßi'trem be§ atomiftif d)en SnbibibualigmuS.
@§ mar feine 5tuffaffung be§ ©taQte§ „bom ©tanbpun!t
feiner 5(tome" i au§. 3)er organifdie ß^arafter be§ ©taateg
blieb boUfommen getoaljrt. ^eine „frei roogenbe ©efellfdiaft",
bie „äu^erli(iö nur burd^ ben überibiegenben S^bang einer me=
cf)auif(f)en ©toatSgetüalt bor bent böüigen Serfnllen äufnmmen=
gef^nttcn tbirb"2, foEte gefc^offen iberbcn. ®er «Staat golt
immer nocf) at§ focialer „Körper" — , nur nid)t aU focia=
liftifc^er TOoIoi^, ber feine eigenen l^inber berge^rt.
Wan braucht bloB für einen ^(ugenblic! ba§ „9feid) jener
inbibibualiftifc^en ^^rei^eit" fid^ on^ufel^en, tt)eld)e 9lobbertu§
„SBenn man alfo jagt, ba^ ba§ Sffio^t be§ ^nbiötbuumS bem ©ociaI=
IDO^I ftd} unterorbnen mu^, fo fpridjt man Don einem ^nbiöibnum
im ©egenfa^ 311 ben übrigen. Unb e§ märe am tJnnenbftcn, fogfeic^
^insupfiigen : ®ag ©ocialmo^t mn^ fic^ nad^ bcm SBorjIe abmeffen,
\vtl6)e§ für bie ©efamt^eit ber ^nbiüibuen 2So^I ift, um bie pIato=
nifd^en Uto^jien getoiffer ^ßolitifer 3U öermeiben, meldte auä i^rem
Staate ein ^M mad^en unb babei firf) nic^t fc^euen, bie ajolfer un=
glücffic^ äu mad^en, toenn fie nur i^r ©taatämo^t erreicfjen." ®ie
Ijrafttfd^e JBebeutung biefer Se^re liegt auf ber §anb. 3. S. SöEe,
bie im ^ntereffe ber blojien SBereic^erung einer ©ruppe öou 3nbu=
ftricffcn anbere SSoIfötlaffen belaften, finb bermerflicf). gölte bagegen,
bie tüirflid^ 3ur ©r^altung einer fflr ba§ ©efarnttool)! notljmenbigen
maffe unentbetirlicfj finb, erfc^eineu ijkxnaä) aU bered^tigt, fetbft wenn
fie ber übrigen SSeboIferung unmittelbar Opfer auferlegen foEten.
1 ßoaaf a. a. £). ©. 202. 2 g^^^ (g_ 72.
3. ©toQt unb ^iibiüibuutn. 73
)ü treffenb geseidjnet ijat, um fofort be» grollen Untcrfc^iebe»
I)Q6f)aft 5U inerben, ber ätüifc^eu ntomi[tt]dKm ^nbiDibiiaüS^
iniia unb (^ri[tli(^cr 2e§re befielt.
S^er 3nbiDibua(i§mu§ ift nid)t§ q(§ eine Qllijemeine Ü^cgation.
Seber barf I^ier „feiner 6eiüi|"ien§tvei(jeit unb inbit)ibuQli[ti|d)en
^orfc^ung, feiner eigenen Tloxüi unb feinem beliebigen con=
tractHt^en Steckte, enblicf) feiner unge^inberten freien @rtt)erba=
t^dtigfeit na^fjängen" ^. Snbem bie liberale ^^i(ofop^ie bie
3ibee einer ab fo(uten, fi^ranfenlofen g-rei^eit unb Ü)Ieic5=
Ijeit Don bem „präf)iftorif(|en", njiHfürlic^ erbic^teten „9'?atur=
juftanbe" auf bie ftüat(i(^e föefeüfd)aft übertrug, fonnte i^r in§=
befonbere ber Staat lebigfid) al§ eine materieHe 5(ggre=
gation, al§ eine 3^^!, üU eine ©umme freier unb gleid^er
Gliome erfd)cinen , o^ne innern organifdjen .3iM"'ii'^"''''^"^}f^''Ö'
einzig burd) l1iajorität§befd)Iüffe unb 6ett)alt bet)errfd)t.
©ö mar eben nid^t ba§ ^nbibibuum, mie e§ ^eute mirf=
lid) ejiftirt, fonbern mie e§ angeblid) in bem „5hturäuftanbe"
gemefen fein foü, ha^ ab§tract gebaditc, beffer gefagt: ba§
burc^ miüfürüd)e Slbstraction üerftümmelte Snbit)ibuum,
melc^e§ ein 9iouffeau jum 2tu§gang§pun!te feiner ©taat§|)I)i(o=
fopfjie gemalzt fiatte.
5tnbera bie d)riftlid)e 5|3(ji(DfDpI}ie. 9lud) fie gef)t bei ber
fpeculatiöcn Srgrünbung be§ ftaatlid)en unb gefeflfd;aft(i(^en
2eben§ ^mar in le^ter Snftauä Don bem ^^nbiDibnum au§,
aber öon bem Snbibibuum, mie e§ in ber 2Bir!(id)feit fid^
unfern Slugen barftcüt, oou bem ganzen, concreten, ^iftorifc^en
^nbiöibuum, unter 5Iner!ennung unb Serüdfic^tigung ber in
bie inbiDibueüe 5^atur bom ©d}öpfer gefenften focialen
Sebürfniffe unb triebe unb ber auf bem 3nbit)ibuum
traft gi)tt(id)en 9?ed)te§ ruf;enben unb um ber ©rreid^ung be§
cmigen S\^k?) miüen 5U erfüüenben focialen ^flid}ten.
^ ßü^af a. a. C *&. 74.
^e\ä), Sibcrart§mu§ ii. I. 2. 3lufl.
74 ©rfteö Jlapitel. S)cr cf)riftUc[)e 8taatö!6ccji-iff im aUgemctncu.
2ßenn \l]x ba^er audi ber «Staat mit 9türf[ic^t auf baä fjöd)fte
imb eiuige 3iet be§ ÜJ^enfrfien ala bienenb8§ Witid gift, unb
löcnn [ie anä:) in bem ©emeintüofjle ber S3ürger ©runb unb
3tt)e(f be§ (5taote§ erblicft, jo wei^ [ie ho6) anberer[eit§ ni($t§
bon abfohlt freien Snbibibuen. 5lf(e inbiüibueüe 2Öin!ür
tüirb befd^ranft burdj ba§ ]^ ö 1} e r e 9icd)t ber @efanitl}eit, unb
ade rein irbifd^en, mit bem ©emeinmo^Ie codibirenben
^rioatintereffen muffen tjeopfert merben.
7. <Bo ift alfo für ben c^rifilic^en S;en!er ber ©taat mel)r
aiö eine btofee @rfinbung ber ^ot!^ ober ber ©efdjidlici^feit,
me^r a(§ ein miafürlii^eS SSertragStoerf, eine ^Ictiengejellfdiaft,
ein notfjiuenbigeg llebel, ein mit ber geit ü6erroinbbare§ @e=
bred)en. 6r [ie^t in \f)m einen notfjmenbigen, oon (Öott ge=
forberten 3uft«ni>, ein 33ermögen, eine natürlid;e 5hi§ftattung
ber 9}^enfd)f}eit, meldje bie ©attung jur 33oIIenbung ju führen
beftimmt tvax, aber au!^ eine urfprüngtidie, bon @ott gelnoKte
Orbnung, mit einer hüxä) i^ren Segriff, iljr Söefen, if)ren
3iüed gcforberten ©lieberungi, fein blo^eä ^Jiebeneinanber
unb 3)urd)einanber freier unb gleid^er ^ttominbioibuen.
S)a§ Ijarnionifdie Sueinanbcrgreifen ber einjelnen 33eftanb=
tl;eile, bie ^ntere)fengemeinfd)aft, ba§ Serau^tfein ber 3u=
fammengeljörigfeit, bie |)fIid)tmäBige llnter= unb lleberorbnung,
üü biefc 33anbe umfc^Iingen bie ©lieber ber ftaatlid^en (Sefen=
fd)aft. „(S§ finb luirflic^e Sanbe, infofern fie ben ^KJenfc^en
mit feine§gleid]en nad^ 3Irt organifd^er ©ücberung ju (eben§=
fälligen I)öt)ern Sin^eiten berbinben, worin bie {Sinjelinbioi^
buen gemiffermaBen at§ elementare 23eftanbt'^ei(e jum (Banken \iä)
berljaltcn; aber e§ finb fitt(id)e §3anbe, infofern fie ber per=
fönlid)en 2Bürbe be§ 93ernunftn)efcn§ feinen Eintrag tf}un, inbem
fie bie inbibibuefle grei^eit nad) einer ©eite fjin ju ©nnftcn
ber organifdjcn @in^eit jtüar binben, aber ofjnc fie mxiild) ju
10 1^1 mann, ^oüüt ©. 1.
3. ©taat iinb ^nbinibumn. 75
[diäbigen, \a biehnef^v biefelbe sum (Sntgelt für ben fd)ein=
baren ^bbritd) mit unt)ergleid)lic^ pfjcrn Sntereffen bcrcicfierrt.
©0 tritt bie au§ ber [ocialen 5Dhnfd)ennatiir I}eniürgcl}enbe
gefelljdjnttlic^e SSerbinbung gemiffetma^en qI§ ein analoge»
(al§ ein ö^nlidiea, nicfit gleidjea) ©cöilbe in bic 9teit}e ber
natürtidien Organismen unb i[t ein berebte» 3eugni^ für bie
(jcrrüdie ©intjeit im göttüdien ©d)öpfung§s unb Orbnung§=
|)Iane. 51ber fie unterfc^eibet fid^ öon öden orgonifdjen Sßefen
ber ©innenlüelt al§ fittlid^er Organi?-mu§ unb bilbet al§
fo((^er für fid) eine eigene Orbnung." ^
1 %f). 9Jlet)er S. J., Sie StrBctterfrage (^^reibiirg 1891) ©.44.
^nä) ö^ettng {a. a. D. I, 13) warnt üor ber Hebertretbung bc5
35ergleid^e§ mit ben Organiömen ber ^ftan3en= unb Si^tertoelt : „S)tcfe
^e^eic^nung jOrgoniftf/ unb ,naturH)üd)[ig' ift fjeutäutnge eine ^efu" t>i=
liebte, aber ni(^t feiten ift fie ein prnnfenbeä 5XuöpngefiiüIb, fjinter
U)eld}em fid^ eine mectjantfclje (!) 23e!^anbtung§n)eife Devbirgt." —
2l^ren§ Ouvift. ©nct)!(opäbie ©. 55) ^ebt furj unb trcffenb ba^
3]ergIeid^unQ§moTnent gtoifd^en ben fittlicfjen inib :i3!^t)fif(f)en Organiö=
inen fjeröor, inbem er fdjreibt: „Organifc^ nennen toir bie in ber
©intjeit cine§ ©anjen . . . gegebene 2öe(j^feI6eftimmung aller S^'^eile
unb $8erf)ältniffe." ®ie %xt unb SÖeife fon^ie ba§ SJlafe biefer 2[öed)fct=
beftiinmung unb 2lb()ängiglfeit beö SfieileS Don htm ©anjeu ift fef)r
uerfdjieben in ben |)^l)fifc§en unb fittlid^en Organismen, ^n ben
pl^l)fifc^en Organismen ift allc§ bun^ bie allgemeinen ©efe^e be§
91atmiaufe§ befttmmt, in ben fitt tieften bagegen bilbet bie 3ktur
ber vernünftigen unb freien 9}lenfd)enfeele ein alii SSe^iel^ungen mit=
bebingenbeS unb geftaltenbeS (Clement (So^e, SDlitrofogmoS I, 200),
nnb berfelbe ^Jlenfcf) , ber fid) I)ier aU ©lieb unb SBeftanbt()ctI einem
p^ern ©anjen eingefügt finbet, erfennt fi(§ gugleid^ aU ©elbftjtoecf,
oI'3 3ielpunft aße§ beffen, toaS bie 9]afur= nnb DJienfdjentDelt an§=
madit. — 9lad^ bem ©efagteu Uiirb eS Wenig befriebigen tonnen,
toenn Siegel üon einem boppefteu „etljifcfien" ©runbprincip „beS
focialen @einfotten§" rebet unb biefe beiben ^rinctpien bann alfo
nä()er beftimmt: „®a§ «Socialer i ncip ba§ ift ber ©a^, ba^ bie
©efedfc^aft oberfier Smed fein fofi, bci§ Snbiüibuum nur bieneubeä
50^itter für if)re Smedfe, Organ be3 Jocialen ÄörperS', toie ba<i ©Heb
76 ®rfte§ ßapttel. 35er c^rifiüäie ©toat§Bcgviff im allgemeinen.
1. ßbenfofeljr lüie bie Se^re bom jenfeittgen 3^^^^ be&
einjelnen 5JJenfd)en iDiirbe bie qI§ felb[tänbigc imb boU^
foinmene ©efcüfdjaft neben bem Staate beftc^enbe ^ird^e
eine fe[te (5d)u^h)e^r ber bürgerlid^en gr ei [je it.
9ii(f)t burd) bie ©nabe eine§ [terblid)en DJ^onnrc^en , öiet=
nie^v bon bem ewigen .Könige felbft, bon Sefn§ 6:^ti[tu§,
bem eingeborenen ©oljne ©ottc§, bept^t bie .Qirdie i^ren ?(nf=
trag, it)re n)efentlid)e ©eftaltung, ifire unberäufierlitJ^en ^tä^k.
(Sr, ber bon [id) fagen fonnte: „D3iir i[t olle ©etcalt gegeben
im i^immcl nnb auf @rben", berjelbe @otte§[oI}n Ijat aud) feine
51pofte( tjinauagefenbet in alle Söelt, ju leljren alle Sßölfer.
©Ott ift ber §err feiner ©fjre. Sßare bie ^ir(^e nac^
göttUd)em Sßillen lebiglid) ^lationanirdje, fie ^ötte fein 9te(^t,
über bie ©renken ber Station [)inüu§äugel}cn, unb feinen %n=
ipxüd) auf ®et)ör außerhalb be§ ©taoteg, für ben fie gegrünbet
tburbe. 9Zun aber fenbet 6()rifti 2BDrt fie in alle 2Be(t, ju
aller ßreatur. 3)ie <Bpxad)tn ber Golfer, bie ©renken ber
Sünber berlieren bor ber diriftlidjcn 2Batjrt)eit iljre fd)eibenbe,
trennenbe 5^'raft. S)ie cQirdie burc^bridit fie. ©ie fjat ein un=
berüu^erlic^e§ 9ted)t auf aüe 53ölfcr traft göttUd)en 5luf=
trage§; benn aüe foüen ®ott bienen, feinen 9iamen preifen
unb fo 5um ipeile gelangen. 93lögen irbifc^e ^JJäd^te unter
Drgan be§ )3^t)ftfif)en." „®aö 3 nbioibufilprincip ha^ ift ber
<Ba^, ha^ ba§ Snbiüibiium — jebcä ^nbiüibuum al§ ,gIet(fjUiertf)tg'
jebem anbern geba(i)t — oberfter !S\md fein foKe, bie gefeÜfdjaftUtfje
öx-ganifation bienenbeö aJiittel für feine BtoedEe" (3eit)d^r. für ßite=
ratur nnb ©ef(f)i(^te ber (Staatötoiffenfif^aften , öon Dr. ßuno öon
g^ranf enftetn [Setpätg 1893], ©. 3). 5)a§ finb ni(^t bie „©runb=
^rincipicn be§ focialen ©einfoTlenS", nidjt „ba^i f)üc^fte et^tfc^e ©ebot",
fonbern fe()r nnet{)ifci)e @jtreme, fein gocialprincip ober 3iibiüi=
bnutprincip , fonbern ba§ f o c i a 1 1 ft i f cf) e unb ba§ i n b i o t b u a=
nftif(!^c ^princip.
4. Staat unb ©efeüfcfioft. 77
bem I)eud}Ienfd)en Secfmantel einer erlogenen greiljeit unb ?(uf=
flärung mit ^oliti! unb t3erQd)t(id)en Ü^önfett ber .^ird)e ben
2eben§nerb burd)[d)neiben , ober mögen fie mit ber 33ontt)ud)t
brutaler Öjemalt in einem Tim bon 23Iut [ie er[tiden moUen,
bie 9t\xä)t jeijt ifjren (Siegeslauf unbefümmert um faiferlidic
(Sbicte unb red)t§mibrige ©taatögefe^e fort, bi§ eine äBelt er=
obert ifl für ben, ber fie mit all ben gted)ten unb ber 93dI(=
gemalt auggeftattet , mit benen ilju ber 3?ater gefanbt Ijatte.
f)ätte bie llirc^e bie unerfdjütterlidje Ueberjeugung nidit
bemafjrt, bo^ smar auf toeÜ(id)em ©ebiete bem ^aifer @e^or=
fam gefd)ulbet merbe, ba^ fie aber in Erfüllung ifjrer gött=
Ii(^en 5tufga6e bom ©taate unab!)ängig fei, — ha^ 6^riflen=
tf)um märe niemals gur ^errfd)aft gelangt. S)ie Organe be§
©taate§ Ratten ja 6^riftu§ an§ ^^reuj gefd)Iagen unb bie
5(rena mit bem Slute ber 9J?artl)rer getränft. 5^id}t burd)
bie Wüä)i be§ @taate§ ift ba§ 6f)riftentf)um gegrünbet morben,
fonbern burd^ bie Seiben unb Opfer, bie e§ im Kampfe mit
bem Ijeibnifdjen ®taat§abfoIuti§mu§ getragen unb gebradjt Ijatte.
2. Ibgefeljen bon ber gejd)id)tlid)en SKjatiadie, bafj bie
^ird}e unabhängig bom «Staate, ja im 2Biberfbrud)e
mit ber ©taatSgetnalt, hoft göttlid;en 9ied)te§, gut @£i=
fteuä gelangt ift, befunben anä) xijxi innere Organifation, il)r
^lüed, ifjre ÜJiittel bie i()r ^ufteljenbe Souberänität.
Sie ^ird)e ift ebenfogut mie ber ©taat eine bonfom=
mene (SefeHfdjafti. Sie I}at einen ifjr eigentf)ümlid)en,
fetbftänbigen 3tüed unb befitjt in fid) aUe jene DJcittcI, bie jur
* Mtbtx bie ßitdje aU üoftfommeue ©efctlfi^aft , ifjr Söerpltni^
junt ©taatc, i^ren fegenSreidjeu @tnffu& auf ba§ ftaatfid^e Seben ligl.
encl^ffifa Seo§ XIII. Jmmortale Dei" (1885). Offic. (§crbcrfdje)
SluSgabc <B. 6 (7). 12 (13) ff. ©tut)!!. „Praeclara gratulationis"
(1894) ©. 24 (25) f. 30 (31) ff. @nc^!I. „Sapientiae cliristianae"
(1890) ©. 12 (13) f. 32 (33) ff. 36 (37) ff. (Sbenfatlä bie mP
tidjen ©tf^veiben an bie S3ifd)öfe ^^reu^enS, S3al;ern§ u. f. U).
78 ®t[teö ßapitel. ®er cf)riftlicf)c ©taatskgtiff im aügemetnen.
SrfüQung il)rcr tüefeutlicfKn 5(ufgaben unentfiefirlid} [inb. ?(uf
Unrein ©efeietc ift bie Slirc^e barum fouDerön. SBäre biefe
(Souberänitüt nur 'tia^ ^robuct einer jafjrl^unbertelangen I)ifto=
rtfc^en ©nttüidlung, fo müfete ber Staat biefelbe I^eiite al§ ju
Sffedjt beftcfienb ancilennen ^ 5Iber fie ift me^r a{§ ein ^ro=
buct ber @ei"i^id)te. 58e|i|t [ie ja bod) iljre tieffteu g-iinba^
mente in bem SBiüen be§ fjödjften [oclalen ^önig§, Sefu
6l)ri[ti, bem ou^ ber Staat fid) unterioerfen nuiB. 9^id)t
bie iüeltlidjen dürften I)at ber göttlidje Srlöfer mit ber D?e=
giernng feiner ^irc^e betraut, fonbern 5|3etru§ unb bie ?Ipo=
[tel nad^ bem nnjtreibeutigen SSorte ber ^eiligen ©d}rift.
(Sbenfo erfjeüt bie Unabfjängigfcit ber l^irdie bom ©taate t^eita
au§ ber Uniberfaütät ber firdjlidjen Senbung an alle
MlUx, t^eila ou§ bem übernatürlichen (5:^oraIter il)re§
3ibede§ unb ber fpecifijd) fird)Iid)en W\tkL
Som ©tanbpunüe ber 33ernun[t, ber Offenbarung, ber
@efd}id)te an?, wirb baljer jebe Unterorbnung ber ^irc^e unter
bie ftaat(id)e @en.ialt ober gar bie Einfügung ber ühä)c al§
eines S^eifeS in beu ftaattid)cn CrganiSmua mit afler @nt=
fd^iebenfjcit jurüdgeiuiefen loerben muffen. 2Bo immer ber
Staat gIeidjUioI)( feine materielle 9)?ad)t jur Knebelung ber
p^^fifd^ fd)mäd)ern c^irdje benu|en mollte, ^at biefe 9tebö=
' ©anj bcfonberö gilt ba^ für bie afienbtänbifi^en Staaten. 9^ü(§
beoor einer ber I)eutigen abeiiblönbif(f)en ©taaten fieftaiib, f\at bie
c^riftlid^e ^ixä)t aU eine tioüfommene, in iljrem S3ereidf)e fouüeräne
©efellfdjaft gelebt unb gettirft. @elbft§erber geftanb: „Söenu oüe
(^riftlidjen ßaifer=, fiönigl=, 5ür[ten= unb Slitterflämme if)re S3er=
bienfte öoräeigen foltten, burc^ meiere fie eljeinQtä ^ur §errid)aft ber
äJöIfer gelangten, fo barf ber ®reige!rönte in Üioni, auf ben ©(I)ul=
tern unfriegerifcfier !priefter getragen , fie alte mit bem t)eiligen
^reuge fegnen unb fogen : ,0^ne mid) ipäret i^r nicf)t gelüorben,
lüttä il)r feib'" (3fbeen 5ur ©efcf)ic[)te bev SDlenfc^eit IV [Stuttgart
1828], lOS).
4. (Staat unb ©efcüfd^aft. 79
(ittiou üon obm auf bie Stauer ben ©taot mdjx (jcf^äbigt
nly bie Äird)e i.
3. 2Bie bie ^ird)e auf geiftüci^em ©ebicte botle <SDUbe=
ränität iraft göttlidjen 9^e(f)te§ beoni'pnic^t unb benufprudjen
iuuf3, [o läßt [ie boc^ anbererfeitS bie ©oubevänität beä 8taatc§
an^ toeltnd^em (Bcbiete unöerlürst U'iUfizn'^.
1 35on ber (^rtfilid;en Stuffafjung entfernt ficf) ^ inf c^inS, tuenn
er fagt (Slögem. Sarftetlung bcr Scri^äÜniffe öon ©taat unb ßirc^e,
in OJtarquarbf en§ i^^H'^^i"^ öeä öffcntlidjen Steditö ber (Se3cn=
mart I [3^retbur(3 1887], 187 ff.): ®as 2JiitteIaIter „fannte nur eine
über bie einjelnen (Staaten l^inauSgel^enbe uniüerfelte ßird^e, welcfie
fouberän unb unabl^ängig öon ber ftaQtU(|en ©etoalt t:^re JBerf)ä{t=
ntffe regelt. S)af|er trat ii)X Steigt bem ineltlidfjen Stedjte ber eingelnen
Staaten felbftänbig gegenüljer. Wiaä) ber niobernen Stuffaffung aber
ift bie (ßirdje nic^t fouuerän. ^Jür bie Siegelung ber äußern 23er=
Ijältniffe be§ menid^li(^en 3u^^"nnenteben§ ift ber Staat bie K^ötfifle
DJlad^t, jebe anbere ift t'^m untcrtr}an. Soioeit eine ober mel^rere
ßirci^en al§ organifirte ©emetnfc^aften innerl^alb be§ Staates ftel^en,
finb fie feiner Souöeränität unterworfen unb ne^^men tf}m gegenüber
nur bie Stedung oon ßorporattonen ein. Saö 9te[I;t ber eiuäelnen
d^trc^en ift ba^er ba§ 9tec!)t üon im Staate beftefjenbeu Sor|)orattonen
unb bilbct einen 2'^eil be§ ftaatliöien ober ftaatlicf) anerfannten ©e=
feüfcf;aftöre(5te§." Silan üergleiciie ßubtoig 93enbij, Mxä)t unb
ßird^enredjt (2jriain3 1895) S. 27 ff.
- So f (greifet 3. 58. 5Pa:pft ®elaftu§ an ben ßaifer 2Inaftaftu§:
Quantum ad ordinem publicae (i. e. civilis) disciplinae cogno-
scentes imperium tibi superna dispositione collatum, legibus tuis
ipsi quoque parent religiosi antistites. — @benfo ©regor ber
© r 0 B e : Quemadmodum Poutifex introspiciendi in palatium po-
testatem non habet, ... sie nee Imperator etc. — SSgl. ferner
Decret. Gregor. 1. 2, tit. 28, c. 7. ^f)itlip§, ^ird^enred^t III,
§ 129. §ergenröt^er, ^atfiol. ßtri^e u. d^riftt. Staat S. 373 ff.
398 ff. — fflkn f)at mit lüatjrem SBienenfteiBe bie Secrete ber ^ä^jfte,
me^r noc^ bie Sd)riften ber Sanoniften burt^ftöbert, um nacfisuiüeifen,
bü% bie {^riftlicle ßir(f)e fid] eine politifdje Dberljoljeit über ben Staat
angemaßt l^abe. S)er ©rfotg cntf^jrad^ ben JBemül^ungen feineänjegö.
3Jlan fanb eine Dici^e jum 3:t)eil :^^perbotifd;er 2(u§brüde unb Jöilber,
80 ©i'fteö ßapitel. 3)er (f)rtftliii}e ©tüatäbegviff im aügeuteinen.
@§ i[t nid^t bie 5Uifgabe bet ^irdje, ben «Staat ^olitifd)
all bd)txx\ä)tn , neue <5taatcn in§ Se6en gu rufen, beftef^enbc
oufjur^eben. Selbe ©efeüfi^aftöformen füf)ren [id} auf gött=
lidjc ^Inorbniing imnd, bie ^irdje auf bie pofitibe, d)rifllid)e
Offenbarung, ber (Staat auf ba§ natürüdie ®otte§red)t. 53eibe
finb in i^rer Sriftenj, i^ren 5JJitte(n, i^rcm ^m^d raefenttid}
üerfdjiebene ©efeflicEiaftSformen , unabl)ängig Doneinanber, eine
jebe in if)rer eigenen <Bpijim bollforninen felbftänbig.
^nbem aber bie (^rift(id)e ^irc^e „mit ifjrer Se^re unb
©nobe bie |)errf(^er unb 33öl!er er(eud}tet, i^re fittUci^en 23e=
griffe reinigt, ifjre 5tuffaffung bon bem 'S'id be§ 5[l?enf(^en=
leben» bertieft, begrünbet fie aui^ eine neue 9?ed}t§= unb ©taat§=
orbnung unb ein neue§ ^BerfjöÜniB biefer 5U ber religiöfen
Orbnung unb 5Iutorität. Siefe beiben SJJomente bebingen fic^
gcgenfeitig. 3n bemfelbcn Wa^z, al§ bie fitttic^ = religiöfen
©runbfö^e bc§ (5f}riftent^um§ in beni Staat^redjte jur ©eltung
tarnen, gelangte aud) bie ^futoritöt ber ^ird^e in biefem ®c=
biete jur ©eltung, unb mngefefirt bilbete ba§ d^rifttid)e
(5taat§red)t in bemfetben 93?a^e fid) au§, al§ bie 5tutoritüt
ber ^irci^e, in§befonbere be§ Oberf}aupte§ berfelben, jur 5(n=
er!ennung gelangte, tiefer 3ufammenfjang jeigt '{iä), tüie in
bie ebenfogut Hon jener moralifcEien Ober^ofjeit ber ßirdfie unb irjrcr
inbirccten ©eioalt über ba^ 'S^\Ü\ä)i öerftanben luerben fönnen. @inc
unmittelönr potitiid}e ^errfd^aft l^at bie ßirdje nur beonfpruc^t , fo=
»ücit biefelbe i^r üolferredjtlii^ äuftanb. SBol^I aber i)at biefelbe bie
i^r ül§ äixä)t. 3ufter)enbe moralifcf^e 2:fieo!ratie mit aüer ®ntf(^iebeu=
beit geltenb gemacf^t , xvu firf) eine foIcf)e auä ber einfallen ülfjatfacCje
beä übernatürlicfien Si^feä für ben 9)lenff^en unb ber göttlirfien @tif=
tung ber Mxäji. für jeben logifd) bentenben ©eift non felbft ergibt.
— Sßir bemerfen übrigens auSbrücflid), ba% mir feineöinegä aüe 2lu§'
fü^rungen einzelner ®anoniften billigen fönnen, fofern fie tt\va§ Qn=
bereö fein fotlen aB 3}erfu(i)e einer me^r ober mtnber gefcf;icften 3^or=
inulirung ber inoraUfcf)eu Sfieofratie unb if)rer praftif(§en 6onfequen3eu
für boö meülic^e ©ebiet.
4. Staat unb ©efeUfcfiaft. 81
ber 3(u§Bi(bung be§ cfiriftlid^en ©taot§rcd)te§, fo auä) in beffeti
Üiüdbilbung. Sn bem Wai^t, a[§ bic ©tellung be§ ^np[t=
tf)um§ in ber ©taatenorbnung ($uro})Q§ erid)üttert tourbe, warb
aud) ba§ eiU'opät[(^e ©taat§red)t entdn'i[tnd)t" ^. ©ernbe
iu bicfer lUDraüidjen llnterorbnung be» ©toatc» unter bie
^ird)e beftetjt bn» fpeci[i|dje DJJerfmal einer d)riftlid)en Orb=
nung ber [toatlidien ©cfenft^aft. „5)ie ©efeüldiaft i[t djri[t=
Ii(!^, wenn [ie unter ber (mDraü[djen) Sirectiüe ber ßirdjc [teljt.
©er Staat ifl ^rifttid}, fofern er al§ ^robuct ber natür(id)en,
menfc^Iidien (Sntiüirflung burdj ben ©influB ber d)ri[t(ic^en 9{e=
(igion unb bie Leitung if}rer ^tutorität in einer ül)ernatür=
ticken 2öei[e gef)üben, gefjeiligt unb gettjeitjt rairb." ^ Umgefe^rt
berliert ber Staat in bemfelben ^Dla^e feinen (^ri[ilid;en (5^a=
rafter, al§ er bie ^irdie, b. i. bie übernatürüd;e, ber 5,ikni(|=
(jeit geii'lige Sntercffen iüaf)rne|menbe , auf ba§ endige !^kl
gerichtete ©ei'eltfdjaft unb Slutorität bei feinen (Befe^en unb
^anblungen nid}t mel^r berüdfiditigt.
4. 93lan mag in ber praftifd^cn 5Inerfennung ber ^ird;e
al» ber gottbefteHten |)üterin be§ ®ittenge)e|e§ , al§ einer
©öule unb ©runbfefte ber 2Ba!^rf)cit eine 33efd)ran!ung ber
ftaatlid;en greil;eit erbliden iDoüen. ^mmerljin ift e§ feine
anbcre iSefdjrönlung , a(§ wie fie jeber anberc DJIenfc^ burc§
ha^ ^riftlidje Sittengefe^ erfährt, — eine ©inbämnnmg ber
SBiüfür, aber feine 33efd)ränfung ber ©ouberänität , bie nie
unb nimmer ba§ Unfittüdic, ba§ Hngered^te, ba§ Hnd^riftli^e
äu i(}rcm S"fjafte ^aben fann.
ß§ ift eine 5ßefd)rQnfnng , tnie fie bur(^ ben fittfic^en
ßfjarafter be§ Staate^ unb bie fittlid^e 5|3fad)t feiner Senfer
geforbert föirb. Söitt ber ©taat in ber Sliat eine fitttid^e
^nftalt freier 53knfc^en fein, bann mujj er anä) bie ^BoIIgetualt
1 ©taat§re$i{on ber ©örre§=©efeaj(i^aft »b. II (fyveiburg 1892),
%xt. „e^rifiad^e ©eieüii^aft" oon f. S. §affnet, ©. 1242.
" ©taat§IeEtfon ber ©örre§=©efeüid)aft a. a. O. 6. 1243.
4**
82 @rftc§ ^o^Dttel. ®er c^rifttic^e ©taatöbegriff im allgemeinen.
®otte§ über ba§ 9J?en[cf}en9e|'cf)(ec()t Querfennen unb im eigenen
S3ereic^e jur ©eltung fommen loffen, bann mufj er bie ber
^ird;e Don @ott berliefienen 3f{ec^te unb 5}lQd;tbefugni[fe ad)ten
unb feine eigenen @inrid)tungen jo treffen, bo^ fie ben 5Iuf=
gaben ber tftirdie, bem Snf}Q-^te ber d}rift{id)en ©(auben»^ unb
©ittenleljre jum oKerminbeften nidjt iüiberf|)red}en ^.
@§ ifl enblid) eine 53c)djrän!ung, oljue föeldje bie @runb=
lagen ber [taat(id)en Orbnung not^iüenbig erfdiüttert tt)erben.
Ober niu^ nidjt eine gegen (^ott rebellifdje (5taat§gelüalt mit
^z6)t fürdjten, baf] bie ^Bürger aud) ber flaatüc^en Obrigteit
ben ©eljorfam lünbigen? 3Sie fann Don einem ©efe^e ober
gar bon ber „^Jkjeftät" beö ©efe^e» ba bie 9tebe fein, too e§
fid) um 5)Ji^ad)tung ber 9fe(§te @otte§ l^anbelt? S)arf über=
[jaupt ein rein menfd)Iid)e§ ©efe^ n^afjre „53iaje[tät" für '\\ä)
in 5(nfprua) neljmen — iüa§ toir burd)au§ nid}t beftreiten
lüoUen — , fo entletjut e§ biefelbe einzig unb allein Don ber
* 9ltd^t oljne 3fiitetef|e ift eine bieSbesüglid^e Sleufeerung be§ „^^^iIo=
jopfjen bc§ Unbelou^ten". 3n feiner ©rfitift „Heber 3teIic3ion unb
®f)rifteutf)um" jagt ®. ü. § artmann: „Sie un§ geläufige gorbe^
rung, ben 5]>atriDti§mu§ üBer bie Sieligtofität , bie ©taatögefe^e i'iber
bie ßtrdiengefe^e gu ftellen, beineift auf§ beutlic^fte, ba§ bie (firiftltdfie
©c^ä^ung be§ Steefeit§ unb 3'e»f6't^ in unferem SSenjufetfetn eine
bivecte Umfei^rung erfal^i^en !f)at, bafe toir bie lt)eltltd;e 3^ecfntä§ig!eit
über bie ©orge für bie eiuige ©etigleit ftcüen, loaä toieberum nur
mögücf) ift bei eingeriffenem Unglauben an bie (i)riftlid;en 33ert)ei^nngen
unb Srol^ungeu für bie @©ig!eit ber unfterblidien ©eele nacC) 2tb=
ftreifung beö Seibeä, fotoie an bie 23ir!famfeit ber bon ber ßircfje
gefpenbeten ©nabenmtttel. ©otoeit loir noc^ nidjt gerabeju mit ber
^ircfie unb 9ieIigion gebro(i^en Ijaben, ift fie bod^ ba§ 2lfd)enbröbel
bei un§ getoorben, ba§ ben beüorjugten luettlit^en ©djloefteru nad)=
ftellen mufe. . . . äöir tuunbern un§, Juie man bie 2lnf)ängli(f)fcit an
bie bie ^Religion ret)räfentirenbe ßird)e über bie 2(n^änglid}fcit an
ba§ trbifd)e SSaterlanb fe^en fönne, unb eö faßt un§ gar nid)t ein,
tüie total irreligiög im d^riftHc^en ©inne man fein mui3, um
fid^ barüber gar tüunbern 3U lönnen!"
4. ©taat unb ©efeßfdjaft. 83
göttlidjen 9)k|c[tat luib befi^t [ic baiiim nud) nur |o incit,
al§ fein Snfjalt in Ue6erein[timmung bleibt mit bem göttlichen
5tatiii-red)te unb bcm ^.iDfitiüen ©efetje ber Oftenborung.
Wk ©ütt unb ber <^ird)e, fo evfd)eint ber ©taat nidjt
minbcr ben eigenen ©tnotSange^örigen gegenüber burd^ bie
'^il\ä)t ber ©erec^tigfeit nerbunben, ber d}ri[tlid}en ^ird^e in
9(n§iibung ifjrer ©enbung feine i^inberniflc gn [e^en, bicinierjr
bie[elbe m6) Gräften jn fdjü|en unb §u unterptjen.
2)er ©tGot i[t eben !eine§tt)ega jenes obStracte Sing, jn
bem ifjn bie Soctrinüre l|)ätcrer 3a!^rl)unberte gemacht ()aben.
(Sr gel)ört ^n ben aüerrealften S)ingen unter bem DJJonbc, be[tet)t
üu^ biefen beftimmten ^robinjen, ©emeinben, gomilien, nu§
biefcr cüucreten Cbrigtett, biefen befiimmtcn 33ürgern. ©o gut
mie ber ©tont bie ganje ^er[önlic^feit feiner 33ürger Qner=
fennen unb jd)ütjen mufj, ebeniofeljr muß er aud) auf ben
d^riftlii^cn (5t)araiter jener ^erfönüi^ieiten 9?üd[idbt nehmen.
(Sr barf in feinen 33ürgern nid)t ben DJienfcben bon bem (Jfjri=
flen trennen. 3)er Staat !ann nie ju feinen bürgern fpred^en :
„^sc^ gemäbrieifte eud) eure altgemeinen 5[)?enfcibenred^te unb
betrad)te cud} blof^ ol» 9}?cnfd)en. 2Ba§ it}r aufserbem feib,
euer ©taub, euer 9iang, eure üteligion, ba§ get)t mid^ nid}t§
an, ha^ ignorire id)." SBielmel^r !önnen bie ^Bürger bon 9ted)t»
megen mirtfamen Sdju^ ifjrer djriftlid^en Uebergeugung unb
boüe g-rcifieit für bie Settjätigung be§ firc^Iidjen 2eben§ ber=
taugen.
5. 2)ie Seljre bon ber ^ird^e al§ einer freien , unab=
gängigen, bofltonunencn ©efetlfdjaft neben bcm Staate mürbe
für ba§ |)f}itofopt}iid)e unb praftifc^e Staatared^t bon ganj un=
erme|Ii^er ^Bebeutung. Sa mir ftetjen nidöt an ^u befjaupten,
baj? an bem Sage, an melc^em ba§ .^reuj jum erftenmot auf
ber Stirn be§ 6äfar§ ergtänste unb bie d)riftlii$e ^'ird^e in
it^ren göttlichen 9ted)ten ^Inerfennung gefunben tjatte, bie grci=
f;eit ber 33ölfer geboren mürbe.
84 @rfte§ ßa^jitel. Ser cOriftlid^e ©tacitöbeöriff im aügemeinen.
2Bie bie hnxä) ba§ G^riftentfjuiu berinittelte flarere, be=
[timmtere ©rfaffung be§ jenfeitigen !^kk^ aU allgemeinen
5D^enfd)f}eit§äit)ecfe» töeientlid) bajit betgetragen t)atte, ha^ rid^=
tige 93er§ättnii3 bon ^iaat^md unb Snbiüibiialätüecf, ©taat§=
ti)o!§I, ©emeinmol;! unb ^inbiüibualtDof;! feft^ufteüen , wie [ie
bem inbluibueHen Seben ber 9J?enjd)en jtüar feine boüftönbige,
aber bod) eine gerabe in i^rer 5}Mßigung l)'6d)\t tüertfiboüe
Unabljüngigfeit bom Staate aud; für bo» biegfeitige Seben
unb irbifc^e «Streben ge[id)ert Ijatte, — [o mu^te anbererjeit»
bie Srlenntni^, bafj bie [taatlid)en Seäiet)ungen nur einen Streit
ber [ociaten 33e5iefjungen ber 9J?enfd)en untereinanber bQr=
[teilen, unb nid}t einmal ben lriid}tig[ten Sfjeil, neue§ 2\ä)t
über bie gesamte ©efeüfdjaftSleljre berbreiten.
S)ie [laatüdie Orbnung fonnte nun nid)t me^r al§ ba§
einzige [ociale 53anb ber9}ienjd)en untereinanber
gelten, bie Staatögeroalt nic^t a(§ bie einjige feciale '^Slaä^t
auf ßrben, weld^er ber Tlm']d) ju gef)ord)en f;atte. ®er Staat
mar nid)t mel)r bte Öefeflfdiaft fdjled^tljin, b. I}. alle @efell=
f(j^aft, fonbern nur eine ©efedfdiaftSform, — innertjalb ber
natürüdjen ©efellfdjaftäformen jmar bie Ijödifte, aber mit biefen
allen in mDraIifd)er Unterorbnung unter bie in ber d)riftlid)en
t^irdie berförperte, übernatürüdje ©efellfdjaft.
5)ie 2Ba()r§eit, bafj ber Staat nid)t ha^ ganje gefeüige
2eben begrünbet, fonbern ba| er ebenfo, mie er bie mit ber
inbibibueüen dlaim gegebenen S^tdi, Gräfte unb gät)igfetten
anerfennen, fic^ entiotdeln unb bet^ättgen laffen mu^ unb barum
bie inbibibueüe Snitiatibe unb Scibfttfjötigfeit nid)t burd; eine
afie§ abforbirenbe Staat§Ieitung boüftäubig berbrilngcn barf,
fo aud) bie bon ber Statur gegebenen ober burd) freie§
Srmeffen begrünbeten gefeüigen S3e5ieljungen unb focialen ®e=
ftaltungen an unb für fid) adjten, fräftig fdjüj^en unb
eifrig förbern muf3, — biefe burd; bie d)riftlid)e 2ef;re in§
^eUfte 2\d}t gerüdte 2Bal;rI)eit würbe ju einem ber oberften
4. ©taat unb ©efeüfcfjaft. 85
unb bebeiitfamflen Seitjä^e ber gefnmten d)ri[tIidKn ®e[en=
fd;aft§Ie^re.
6. ®cr «Staat gilt unter ben uatürlidjeu (Sefenjd}ofteu a(§
bie pc^fle, nu§ bem men]c^lic()eu (^enieiufd)Q[t§(cIicn I;ert)or=
ragenbe (Sefenfc^aftafovm. 5(llein er ift nid)t bie einjicje natür=
lic^e @efeII)d)Qft§form. S)a§ gefeßige Seben be§ 9}?en[(^en er=
fd)öpft [id) nic^t einmal für bie natürlidje Orbnung in bem
[taatlidien Seben. hieben unb in bem ©taate [tef}t nl§ natür=
Iid)e (SefeUfc^oft für einen engern ^rei§ büu ^erfonen bie
Sctmilie. ©ie ift bie innigfte unb jugleid) bie ur|prüng=
l\ä)\k @efellfd)aft. ^^xt ^tä)k finb ölter unb Ijeiliger al§
oHe 9ied)te be§ ©tnate». Sft j« 'i>od) ber ©taat nic^tö an=
bereS al§ eine natürlicj^e ^Bereinigung mel)rerer ober bieler t^a=
milien jum !^mdt be» gemeiufamen Söoljlea bur(^ SJJittel, ^u
benen bie Gräfte ber einjelnen t^^amilien nid)t au§reid)en. ®er
©toot foH biefe Gräfte ergiinjen, i^re 23ett}ätigung unter Um=
ftänben befdiränien, menn ba» ©emeintt)oI)l bie§ mirfüc^ for=
bert ; aber e§ fte^t i()m !eineämeg§ p, bie ^yamilie ifjrer natür=
Iid)en 5(uf gaben ju berauben, fie in ©rfüüung berfetben ju
be^inbern. „©ie gamitie, bie ()äu§Ii(^e ©efeüfdiaft , ift eine
tüQ^re ©cfetlfdiaft mit allen 9^ed)ten berfelben, fo Hein immer=
Ijin biefe ©efellfd^ift fid) barftellt; fie ift älter a(§ ieglid)e§
anbere ©emeintoefen , unb be§^a(b befi^t fie unob^angig Dom
©taate if;r inneiDofjuenbe 53efugniffe unb ^flic^ten" , fagt
Seo XIII. 1 „3Bie ber (Staat, fo ift and) bie ?^ami(ie im
eigent(id)en Sinne eine ®efellfd)aft, unb e§ regiert felbftünbigc
©emalt in i^r, nömlic^ bie bäterlidie. Snuer^alb ber Don
i()rem näc^ften !ß\üiäi beftimmten ©renken befi^t bemgemä^
bie gamitie jum menigften bie gteidjen %hd)k mie ber Staat,
in 2öat}( unb 5(nmenbung jener SJiittel, bie §u i^rer @r^al=
^ ©ucJ)!Iifft ,Rerum novarum" bom 15. SJ^ai 1891. Officieöe
(§erberf(i)c) Stuägabe ©. 18 (19).
86 ®tfte§ ßapitel. SDer c^viftlic^e ©taatSBcgriff im aftgemctnen.
timg iinb ifjrer bered)tigten freien 53en3cgun9 unerlöislid) finb.
Wix fagen : jitm tnenigfteu bie gleid}en 9^edjte. ®cnn bn bQ§
()äu§nc^e 3ufommenfeben fotoo^I ber Sbee al§ ber <Sa(^e na6)
früfjer i[t qI§ bie bürgerlidie ®emeinfd)nft, fo fjaben and) feine
Sftedjte unb feine 5pf(id)ten ben ä^ortiitt, m'ü [ie ber 9ktur
näfjcr flehen, S)q§ Seben in ber ©taatSgemeinfdjttft mu^ bcm
SnbioiDunm nnb ber gomilie ju einem münfd)en§n)ert[)en ®nte
geniad)t tüerben. 2Benn nun ober ^nbiöibuum unb ^^omiüe,
uQd}bcm fie im SSerbnnbe ber ftaaüid^n ©efeflfdjnft finb, feiten§
ber (entern nur ©(^öbigung finbcn flatt 9iu|en, nur ä^erle^ung
be§ ureigenen 9ied)t§ ftatt ©(^u|e§, fo würbe ber ©tQat§Der=
banb e()er qI§ ©egenftonb ber 5I6neigung unb be§ |)Qffe§ er=
fc^einen benn al§ ein bege^ren§raerif}e§ @ut. Sin großer unb
gefüfjrlidjer Srr(T}um liegt olfo in bem 5lnfinnen cm ben Staat,
ala muffe er in "ba^ innere ber gamitie, be§ §Qufe§ einbringen.
5{Üerbing§, lüenn fid) eine Familie in äu^erfler 3^otf} unb
in fo berämeifciter Soge befinbet, ba^ fie fid) in feiner Steife
f)elfen fann, fo ift e§ ber Orbnung entfpredienb, ba^ ftaat(id)e
^i(fe(eiftung eintrete; bie t^amitien finb eben Sfjeite be§ ©taate§.
Sbenfo ^nt bie öffentlid)e (Setüolt einzugreifen, trenn innert)alb
ber I)äu§Ii(^en 5)^auern erlieblic^e 53erle|ungen be» gegenfeitigen
9ted)te§ gef(^cl;en: Uebergriffe in ©c^ranfen meifen unb bie
Orbnung Ijerfietlen, f)ei^t bann offenbar nicöt ^efugniffe ber
f^amilie unb ber Snbtöibuen an fid) reifjen; ber (Staat be=
fepigt in biefem g-alle bie Sefugniffe ber (äinsetnen, er jerftört
fie nid)t. 9(IIein an biefem ^untte mu^ er ^att mad)en, über
obige ©renken barf er nid^t Ijinau§, fonft {)anbelt er bcm natür»
Iid)en 9led)te entgegen. Sie bäterlid)e ©eföatt ift bon 5?atur
fo befdjaffen, ha)^ fie nid)t jcrftört, aud) nidjt bom Staate
an fic^ geäogen tt)erben !onn; fie meift eine gleich e^rtoürbige
,^*)erfunft auf mie ba§ 2tUn be§ 5}?enfd)en fetbft. ,Sie l^inber
finb', um mit bem 1)1. Sl^omaö ju fpred)cn, ,gett)iffermaf5en
ein S^eil be§ 33ater§' ; fie finb gteid)fam eine Entfaltung feiner
4. ©taat imb ©eJeCfc^aft. 87
^erfon. 5Iu(f) treten fie in bte [taatticfie ©ememfcfiaft, tuenn
man im eigentlid)en (Sinne reben lüill, nirfjt felbftänbig, nidjt
ata Snbiuibuen ein, fonbern öermittelft ber gamiliengeniein=
fd)aft, in mctdfier fie bQ§ Seien empfangen Ijnben. 5(n§ eben
biefem ©rnnbe, meil nämlid) bie Ivinber ,bDn ^Ratnv einen
Sl^eil be§ SJoter» bilben, fteljen fie', naä) ben SBorten be» Ijei=
ligen Seigrer», ,nnter ber <Sorge ber Ottern, c{)e fie ben @e=
braud) be§ freien 2BiIIen§ tjciben' i. 2)a§ focialiftifd^e ©ijftem
olfo, lueti^e» bie e(terlid)e Q^iirforge beifeite fe|t, um eine
allgemeine Staatsfürforge cinjuf ül)ren , berfünbigt fid) an ber
natürlidien @ere(|tig!eit unb jerrei^t geloaltfam bie Sanbc ber
gamitie." -
7. UebrigenS ift e§ nid^t Uo^ ha^ @t)ftem be§ focialiftifd)en
3u!nnft§)taate§, gegen meldieS fid^ biefer i^ormurf rid)let. (Sr
trifft mit boüer Sßnc^t nic^t minber bie 23erirrungen be§ mo=
bernen (Staate§ auf bem Gebiete be§ ©c^ultoefenä.
@§ liegt un§ ferne, beftreiten ju wollen, baß ber ©taat
ein beredötigtea ^ntereffe an ber 23i(bung be§ 35ol!e§ unb bes
5ßolf»ben3ufUfein§, namentlich an ber Pflege be§ 5patriDti§mu»
^abe. 2Bir fönnen un§ bafjer audj nid;t 5u ber 5Infid)t be=
fenucn, bafe bem <Btaak gar feine '^hä^k in Sejng auf bie
(Schüfe jugeftanben lüerDen bürften. 5lber bon bem beredjtigten
(SinfhiB be» Staates l)immelmeit berfd)ieben ift bie abfolutiftif^e
53efd)Iagnar)me ber ©c^ule burdj ben Staat, ha^ ftaatnd)e
S d; u I m 0 n 0 13 D I.
Gin 5)o|3pe(te§ fjat bie Sd)ufe ju (eifien : Unterricht in ber
2Baf)r^eit unb Gräieljung jur Sugenb. S;aB beibe§ geleiftet
merbe, baran fjot ber Staat mit 9tiicffict)t auf ba§ (S)emein=
mo^I 5iDeifetaü()ne ein Sntereffe. 3(ber n3eber ba» eine nocb
t^a^ anbere ift er felbft für ftd^ allein ju leiften im ftanbe, unb
» S. TJiom., S. theo]. 2, 2, q. 10, a. 12.
2 gnc^ltüo ,Rerum iiovarum" ©. 20 (21) f.
88 ®rfte§ .$?apitel. ®et djnftUcfie Staatööegriff im aügemeinen.
bantin tüirb bie ©d^ule nie unb tiimnier für beu t)Drurtr}eiI§=
freien S3eurt[}ei{er al§ blofje ©taatganftalt Qeften fönnen.
@eioi^ ift ber ©taot eine Sulturanftalt im eminenten ©inne
be§ 2Borte§ : einma(, inbem er alle naä) aufjen ^erbortretenben,
ha^ feciale 3iif«nimenleben ftövenben ober entmei()enben Ue6cr=
tretungen be§ «Sittengefe^e» , gonj befonber» aber alle if)rer
9iatur nad^i antifociaten 5tu§müc^fe ber ^Barbarei, bie 33er=
brecfien, beftraft nnb öerfiinbert, bie äufjere Crbnung hmä)
©efe^ unb 3ttiang§mittel aufrcd)t erijält ; fobann aud) pofitib,
infofern er bie materiette Kultur in ifjrer ßntraidtung fcfiü^t
unb förbert, fomie ben jur Söafjrung ber geiftigen unb fitt=
Iid;en (Uiltur berufenen gactoren burc^ outjere 5IRitteI feine
fröftige Unterftütjung Ieit)t. 9iiemal§ aber bermag ber «Staat
bie tiefften ©runblagen jeber tüar^ren unb bor altem ber (i)rift=
lidien ß^ultur burd) fid) felbft ju legen unb ju Ijüten. ^ier
ift er an bie 5)^itmir!ung einer t)öf)ern (Sulturanftalt , ber
^'ixäjQ (5t)rifti, burd) bie 9Zatur ber ©a^e nnb ha^ t)iftorifd)e
9{ed)t gcmiefen. (Sr nui^ anertennen, ba^ bie geoffenbarte
SBa^rljeit, toelc^e bie unbeftreitbare Romane ber fird^Iidien
Seljrgemalt bilbet, jugleid^ bie bor Srrt^nm f(^ü^enbe ^torm,
ber oberfle Seitftern aller menfd)Iid)en 2i)iffenfc^aft , unb bafj
ein SDiberfprud) gmifdien ed)tem natürlichen SBiffen unb über=
natürtid)em (Blauben unbentbar ift. ©omeit alfo bie ©dbule
ben Unterricht in ber SBaf)r^eit gu leiften ^ot, unter=
ftel)t fie bem bon (Sott, bon Sefu§ (S^riftuS befteüten S;ri=
bunale ber 2Bat)rI}eit. ^nfofern fie aber (Srjiel^ung jur
Sugcnb erftrebt, mirb fie ebenfalls an bie ^xxä)t gebunben
fein. 2Bar e§ ja bod) bie ^irdie, unb nid)t ber «Staat, meldie
bom oberften |)errn ber äBett ben 3Iuftrag unb bamit ha^
unberäuf5ertid)e 9ied)t erhielt, bie Sötfer jur Haltung ber gött=
Iid)en ©ebote anjuleiten.
S)e§g(eid)en barf ber ©taat nidjt berfennen, bafj bie
9?otur bie (SItern im ^inblid auf if^re ^inber mit bem
4. ©taut imb (ScfeKjdfjatt. 89
Üiedjt imb bei* ^fnd)t ber ©väiel^ung uiib bal)er niid) bc§
llnterrid;te§, ber al» integrirenben 53c[tanbtf)ei( ber (Sräiefjuutj
fid^ barftedt, ouSgeftottet ijat. ®ie 9latur leitet 33ater unb
Ü.lhitter nn, für bie ^inber gu forgcn, unb bie ^inber, in
i§rer f)iif»&ebürfttg!eit fid) an bie @(tern ju tüenben. 3nncr=
l}aI6 ber [tootlidicu Drbnung bejeidjnet [ie aI]o bie natur=
gemöfeen (Srjief^er ber ^inber, unb [ie fonn nid^t gugleid) bem
Staate ba§ Stecht gciijQf}ren, bie ^inber ben 5(rmen if^rer
(SItern ju entreißen unb in einer äßeife ju er^ietjen, lüetdje
ben bered)tigtcn 2öünfd;en ber (Altern n3iber)prid)t. Sie 5-a=
uiilie i[t jiDar bem ©taate untergeorbnet, aber [ie geljt nid^t
in i(;m au[. ^i)xt natürlidjen Otec^te unb ^flid)ten bleiben.
I^at [ie bie nntürüdje ^fti^t unb ha§> natürlid)e 9Jed)t, bie
^inbcr ju erjiefjen, [o barf ber ©tant [ie nidjt t)erbrängen,
itjr ba§ 9Jed)t nid)t nehmen , eben[Diüenig mie er ben eiu=
seinen 53ürger [einer natürtici^en DJed^te in berauben ober an
ber (SrfüHung [einer natürlidien ^f(i(^ten ^u üerfjinbern be-
fugt i[t.
S)ie 0)runb[äl^e, an toeId)en bie d)ri[ttid}e (5)e[en[d)a[t§-=
Ief)re in.i §inblid auf ba§ @d)uili)e[en unbebingt [e[tfjalten nui[3,
[inb atfo furj [olgenbe:
31I§ (Sräiel}ung§bef)örbe in ber uatürlidjeu Crbnung gelten
beäügtic^ i^rer ^inber bie (Stteru. S)ie @räief)ung§bef)örbe ber
5JJen[d)I)eit in übernatürlicher, b. f). d)ri[t(idjer Orbnuug i[t
bie ,Qird)e (5fjri[ti.
SDa§ i[t ein uuättjeifel^aft rid^tigeS ^^riucip unb ber notfj-
iDcnbige 3tu5gang§pun!t in bie[er ganzen f^rage.
2)ie (Sräiefjung in ber natürlichen Orbnung toirb bon ber
ßräietjung in ber c^ri[tUd)en Drbnung nidjt au[ge^Dben, [on=
bern bon biefer borau8ge)eljt unb in f)armoni[d)er Unterorbnung
jum fjöfjern übernatürlidjen ^iele informirt. 6^ri[tlid)e Altern
f)aben baljer a(§ [oldje bie im ©acramente ber ®je bon [eiten
ber l^irdje übernommene 9:)Hf[ion, ifjren i^inbern jugleid) mit
90 ©vftcä ßaptter. 3)er c^riflücfie ©tautöbegriff im otf gerne inen.
ber natürtid^en bte (f)ti[t(i($e ©räietjung 511 üermittcln, Ic^tereä
aber al§ ^Jbnbatare unb Organe ber ßird)e.
t^ür bte „öffentlid^e" (Sd)ule ergibt [id^ I}ierau§ al§ not^=
tt)cnbige§ SoroIIar ber @a|: ©otoeit bie ©cE)uIe ©r5iel)ung§=
anftaft ift, unter[tel)t ibre 3tt)e(fbe[timtnung unb Seitung burc^=
au§ ber obeneriüäljnten boppelten @rjief}ung§bel)örbe in beui
bezeichneten 33er^ältni^. ©in ftaatüdie» Sd^ulmono^jol mit
3iöang§f(!)ule, ferner eine ^ä.)\\k, tüetdie fid) ber üid^Iidjen
2(nf[{d)t entäief)t ober gar ben rettgiöfen Unterricht nic^t ein=
mal äur gebü^renben ©ettnng gelangen lä^t, entbebrt bem=
nac^ burd)au§ jeber principiellen Untertage. 3)er ©taat ^at
bie I)ier bered)tigten ^actoren jn nnterftü^en nnb gu förbern
ober ju ergänzen. 2tber er barf nid;t unter 93erfennnng
fremben 9ied)teä gegen ben Sßißen ber junöc^ft 33crpflid)teten
unb Sercd)tigten beren Functionen an [id) äiefjen.
|)ö^ere miffenjcfiaftüc^e unb facf)lt)iffen[c^aftli(^e Sd)ulen,
tt)e(d)e bie formelle, natürliche unb c^rifllic^e @räie!)ung t)Drau§=
fe^en, [inb entmeber i^rer 9?otur unb ^Beftimmung nad) fir^=
nd;e ?tn[tatten, toie 5. 53. t^eotogifctie S^ocuttäten, (5;{erical=
femtnare u. bg(., ober [ie [inb allgemein roiffcnfdiafttici), burger=
l\ä), oljne birecte ^Begiefiung jur Ütetigion. Stn erftern i^aüt
unterftel^en [ie [elb[ii3cr[tänb(id) nur ber ^irc^e; im te|tern
gade unterfte^en [ie, menn aucf) nidjt ber birecten firc^Iid^en
Seitung, [0 bod) ber Cberauffic^t ber ^ircfie in Sejug auf
Sefire unb moralifdien (äinflufj üu\ bie [tubirenbe ^ri[tücbe
Sugcnb ^ Ueberbie§ mürbe aber ber ©taat bie ©renjen [einer
> „Snbem toir öon gan3cm ^erjen bie intettectnetten S^-ortfdjrittc
toünfc^en," fagt^almeö (SJerm. S(^tiften II [ÜteQengb. 1856], 121),
„Beeilen ioir iing, tjcnäuäufügen, ba^ biefe in bte innicjfte Jöerbinbung
mit ber Floxal unb üleligion treten muffen. (B§ ift bicö boS ctnjige
5}HttcI, um bie nnijtüdteligen S^olgen gu oermetben, tueldjc Ijcute üBer
jene 33ölfcr fommcn, bei benen ber S-ürtf(i)rttt be§ ©et[te§ t)Dn bem
ber Smmorolttät begleitet ift, M benen in ben ©tatiftifen ber ©ttten=
4. ©taot itnb ©efeüfcf;aft. 91
ßompetens itnbebingt überjrfireitcn , tueun er irijenblöie ein
^JJonüpoI be§ I^öljern Untcn'id)tc§ für iiä) in ^Infprud) luifjine.
S)Q§ [inb Folgerungen, bie [id; au^ ber Söaljrljeit, baß
ber ©taat nid^t bie einzige @efellfd)aft i[t unb nid)t allein
für ba§ 2öd:^I ber 9}hnfd)en gu fotgcn I)at, bafj e§ nod)
anbere (^efeüidjaften gibt, bie jur (ärfüflung if)rcr ^\mäc mit
natürlidKU unb pofitiö göttli(^eu 9ted)ten ou»geftattet [inb,
ganj bon [elbft ergeben.
8. 5Iud) für ha?) tt3irtfd)aft(i(^e Seben ber Q^ölfer
ift bie 2öal)rf)eit, ha^ bie eine ©efeüfdiaftaform, bie roir ©taat
nennen, bur(^au§ nid)t ba§ ganje gefeHfdjaftlidje Seben ber
53ürgcr erfdiöpft, gerabe im gegenlt) artigen ^tugenbtirfe lion
[jöd^fter 23ebeutung.
„53ei iebem ciöilifirten SSoIfe", fagt S^reil^err ti. .f)ert=
(ingi, „ift bie Unterorbnung ber 33ürger unter bie (^cntral=
gematt jur 5(uf redjtcrtjattung Don <Sid;er[}cit unb 3ied)t n i d) t
bie einzige gorm be» @em einleben!. Ueberaü bilben
fid) üielmefjr innerhalb be§ ©taateS Don bemfelben untcrfdjiebcne
Sebenatreife. ®enn ber ©taat ift feine blofje ©umme g{eid)=
mertfjiger (Sin^eiten, beren einigenbe§ 53anb tebiglid) in ber
ttntermerfung unter ha^ nämli(^e Oberl^oupt ober in ber ^\u
gei)örig!eit ju bem g(eid}cn politif^en ^'6x\nx beftönbe. ^er
9}Jenfc^ ift erft in jm eit er Sinie Staatsbürger, unb
nur für einen fleinen S^eil, für bie 5ßeamten, ftel^t ba§ tög=
tid^e Seben in unmittelbarer S3eäie^ung jum Staate unb feinen
lofigfett unb be§ a}erbtec^en§ bie ^pevfonen, Utctcfje eine <Bä)üh be=
fudjten, ireit gal^lvetöier finb aU bie, icelcfie feine 2trt fon Itntervidfit
empfangen." Sa§ d^rtftüÄje :SbeaI be§ öffentlichen ©djufuiefenö mifl
feine ntt6trQuiiii)e ©djeibung Don Oteltgton unb 2Biflenfc^aft, fonbcrn
forbevt bie lefienbige innere ^Bereinigung unb gegenfeitige S)uvd^=
bringung naä) Slnalogie beS Ue&ernütürlicfjcn unb Jlatürlic^en int
ßekn be§ einäelnen 6{)riften.
1 9laturvei£)t unb ©ocinlpolitif (Äötn 1893) ©. .3. S5gl. aud)
0. §evtling, 3tuffäfee unb Oteben (Sl-reiOurg 1884} ©. 4B ff.
92 @tfte§ Kapitel. ®ev c^rtftlicfie ©taatSbegriff im aßgemeÜKn.
9(ufgQben. S)ie 5)?e^rt)eit 6i(bet [id} qu§ ben ^Bauern itnb
i^anbirerfern , ben ^aufleuten unb I^nbuftdeUen, hm Unter=
ne^mern unb 5(rbeitern, ben ß'ünfttern, ©elefjrten , @d)rift=
[teHern unb tt)Q§ man fonft mä) üon 5Irtcn bcr ^ejifiäftigung,
be§ Berufs unb ber Sebenafteüung oufääljlen mag. @etnein=
fame ^ntereffen fütjren bie ©in^elnen ju ©ruppen sufammen
ober Ia[fen fie öon jefbft qI§ 5ufammengef)örige ©ruppen inner=
f;aI6 be§ ©taatagongen erfd^eincn. 5Iu§ ben gemeinfamen Snter=
effen unb ber gleichartigen Sefc^äftigung erirädjft eine gleid^=
artige 2e6en§h)eife, eine gemeinfame Sitte, eine üBerein[timmenbe
Ütidjtung unb garbe be§ ®en!en§ unb gü^IenS. @§ i[t ^lu
näd}[t ba§ SBirtfc^aftSleben eine§ ^ßoIfeS, toelc^eS ööHig
naturgemäß eine ]oId)e (Slieberung entfietjen löfjt, aber and)
3iüerfe geiftiger 3lrt fönnen ben 9}?itte(pun!t abgeben, um
ireldjen iiä) auf @runb freier ^Vereinbarung gröf5ere ober fleinere
Streife äufammenfinbcn. . . . 2)en Inbegriff aller biefer Seben§=
freife im Unterfd)iebe öom ©taate, über beffen ©renje einzelne
berfelben nid)t feiten hinausragen, bejeidinet bcr Dfiame ®efen=
fd)aft in feiner mobernen 5lu§prägung."
®a§ ä'ßofjlerge^en ber Staatsbürger befte^t !eine§n)eg§ barin,
baß eine ftaailid^e S3e^örbe fid) in alle§ unb jebe§ mifdit, e§
rt)irb üielmefir boräugStoeife burd) bie georbnete Selbftänbig=
teit, ^nitiatibe unb Selbftbetfiatigung jener engern feciale n
©ruppen unb Korporationen bebingt, bie innerhalb
be§ ©taatSganjen jur mirtfamen SSertretung unb SSerfoIgung
ber eigenen Sutereffen \\ä) bitben ober gebitbet werben.
Siefer Sßatjrf^eit ^otte ba» 9)?ittc(alter in fegenSreid^er äßeife
praftifd}e Geltung gemährt. Snbem ba§ 6^riftentf}um einer=
feits bie trennenben 5}^omente, n)eld)e ber gefeüigen 33erbinbung
entgegentreten fönnen: Selbftfudjt, ^'Ieinlid)feit, 5[lhit^Iof{g!eit,
Uutfjätigfeit, fiegreic^ befömpfte, anbererfeitS burd) bie flärfere
^Betonung ber bie ÜJZenfd)en einigenben 58anbe, öor allem burd)
bie Sßerfünbigung be§ (Sefc'geS ber Siebe, ber focialen 51nnä^erung
4. ©taat unb ©efeüfd)aft. 93
bie Bege bahnte, fanb e§ 5UöIcid) in bcr d)arQ!tcriftij(f)en @igen=
t^üm(tcf)!eit aller germanijc^en ^öikx, tt)eld)e Don iel}er unb
übernH ba§ ungeljinberte 5IffociatiDn§red)t mit \)dIU
!omniener ^lutonomie qI§ ba§ erfle greif)eit§re(^t
aKer freien DJ^ünner in 5(nfprud^ genommen Ijatten, einen feften
S:>a\i unb fräftige Unterftü^ung i. ©o ent[lanb, burd) bie
1 ^öe^ft Ibettübenb ift bie 5tx't unb Sßeife, tote matid^erorts I)eut=
äutage biefer uufentHcfje «Beftanbtf)eil ber bürgerlidien
gtetl^ett mifead^tet tüirb. „®er aSoriüanb be§ niit^tgen ScCju^eS für
bie öffentlichen i^ntereffen", fagt Seo XIII. (®nc^!I. «Rerum novarum"
©. 70 [71] ff.) , „batf ben Staat auf feine Söeife ju ©(firitten üev=
leiten, bie trgenb eine Ungerec^tigfett einfrfjlie^en. ®enn ftaatliö)e
©efe^c unb 5lnorbnungen Befi|en innern ^üifprud; auf ©el^orfam nur,
infofern fie ber aSernunft unb efien be§t)alb bent etotgen ©efe^e ©otteä
entfprcif)en. 5öir fjaben f)ter bie mannigfatf^en ©enoffcnfcEiaften, a3er=
eine unb geiftti^en Orben im Sluge, toelcije in früljerer !S^\t auf bem
Soben ber ,Qircf}e entfproffen finb, ©rünbungen ber ßirc^e unb ber
frommen ©efiunung it)rer ßinber. Söie Dtcl Segen fie geBrQif)t I)aBen,
baüon ift bie S^ergangenljeit bis auf unfere Sage B^uge. 3)cr fttttt(|e
©fjaratter tf)reö 3tt)edEe§ fagt f(f)on ber Biofeen Slcrnunft, ba% fie ein
natürliÄ;eä unb unbeftreitbareS Uiä)i beä JöeftanbeS ^aben. ^nfouieit
fie aber religiöfer Dktur finb, fjüt auöfcfilicfelicf) bie ßirctie über fie
3U Oerfügen. S)ie Dlegierungen befi^en fcinerlei ülec^tc über fie unb
finb auä) nii^t beöoümädjtigt, ibre ändere Slermattung an fic^ ju
sieben; fie finb ibnen im ©egentf)eil ben Sribut ber 2l(^tung unb
be§ ©(fiu^e§ fd^ulbig; fie ba^en bie ^Pffic^t, für biefelben ctuäutreten,
um gegebenen ^^afleS ItnrecEit öon ibnen ab^utoebren. ßeiber b^ben
Sißir inbeffen, namentfid) in Ie|terer 3eit, gi-iuä anbere S)inge gefctieben
feben. 2ln Dielen Orten ift bie ftaatlicbe Obrigfeit gegen jene ®or=
porationen mit ungerecbten unb Derle^enben SJtaferegeln Oorgegangen;
fie bat bie greibeit berfelben burcb gebäffige ©efe^eSbeftimmungen
eingefcbränft, b^t ibnen ©teüung unb 9te(f;te einer juriftifcben *Perfon
entßogen, ^at fie fibnöbe ibres 93ermögen§ beraubt. Stuf ba§ S8er=
tnögen befafe ober niif)t blofe bie ^ixä)t unüeräufeerlicbe 9ieii)te, fon=
bem and) bie ©tifter unb SSobltbäler, lueM^e ibre Beiträge für jene
frommen S^ecEe beftimmt bitten, unb enblid) biejenigen, für bereu
S3efte§ bie Stiftungen gefdiaffen tüaren. ^i^1:)alh tonnen 2Bir imS
94 ®i[tcö -^aptter. Ser d^viftliifje ©taatöbegriff itit ollgeineinen.
fociale %mUxa'\t be§ ßt)ri[tentl^um§ beförbert, jener tüunber-
bülIe ^rei§ ber teidf) organifirten imb manntgfod) tjccjtieberten
beriif§genD)"fen)djaftIid)en ^tilociaiionen, tüeldje, biird) bic
fliinbifd^e Orgoniiation gu einer IßijQxn (5in§eit berbunben, bcm
Biaak feftc <Bt^^ unb innern |)n(t getüä^rten, in ber ]taaU
lidien ©ejeüfc^aft i£}ren natürlidien ^bfdjluf, unb ©ipfel [ucä^ten
unb fünben. „2)ur(^ [eine Innung mar ber ^anbrtierfer, burd^
feine @i(be ber .Kaufmann, burd) feine ©emeinbe ber 5Bauer,
burd) feine gei[tli(|e ßorporation ber @cift(id)e in ben @efamt=
!ör])er eingefügt, ^eber befanb fid) an feinem ^la^e unb
biente burd^ feine 53eruf§arbeit junäc^ift bem engern 23er6anbe,
bem er angeljörte, unb Ijierburd) bem @an3en."i ^a§ $i>oI!
tt)ar in ber Sfjat organifirt. (S6en biefe beruf §genoffen=
fd^oftlid^e unb ftänbifc^e Organifation aber bitbete bann ^lu
gleich gcmiffermaBen ha^ fefte ßnod)engerüfte für ben 8taat.
„§eute bagegen finb n)ir glugfanb, nid)t ©lieber einc§ 2eibe§
@§ liegt ja im 2Befen ber rein med^anifd) gefügten 53ureau=
frdtie, baf? aUe», tt)a§ fie fd)afft, nid^t organifdjer 5ktur ift,
fonbern auf rein med)anifd)e Ueber= unb llntcrorbnung f)inau§=
läuft, bei ber bie untergeorbneten Sljeile nur burcö S^^Q^fl
an ber i^nen roiütürlid^ angemiefenen ©tefle feftgefjalten werben.
2)iefe rein med}anif(5e ©d) i d) tu ng entfprid^t burd)au§
ber fociaten ober bielmefjr unfocialen Gntmidlung unfcrer 3eit,
bie alle gefellfd)aft(id^en Organismen auflöft unb bie 5}ienfc^en
in bic beibcn ©d^id^ten ber Firmen unb ber 9Jeid}en äufammen--
nidjt ent:^oItcn, gegen jene ungereii)tcn unb üerberdlidjen 58erau6ungcu
S3efcf)tuerbe p,u erl)eben. hierbei ift inebeionbcrc bieä ein betrn&cnbcr
Umftanb, bofe ben friebltc^en unb attfeitig nü^Iicijen SScretnigungen
fatl^olijcficr SJKänner ber ßvieg er!(ärt toirb ju gletd^er Seit, mo öer=
liinbet \oixb , ba^ 5>etetn§freil}eit ein attgcmeineg gcie^Iicf^eS ®ut fei,
unb mo ber ©ebraucE) biefer f^reifjeit reltgionefeinblidfjen nnb ftaotg=
gefäf)rli(f)en S^crbinbuiigen im tueiteften Umfange gcftnttet wirb."
» ^arl 3cntfd^, Sßeber (Jommuniämu'3 iiocb ,(?apitoU^mn§
(ßeipjig 1893) ©. 362 f.
4. ©tmit uiib (ScfcUfc^aft. 95
[d)tt)cmmt, bereu eine bind) bcu C'^ungei- (jesunuttjeii mivb,
ber anbern 511 bienen." ^ ®ie 91]cn[djen [iub baburd) nid)t
(j(üdlid)er, fonbern unfäglid) eleuber geiüorben al§ gu ber 3eit,
JDO bie (Korporationen eine [tet§ fri[c()e SebcnaqueKe üon 2;f)Qtig=
feit nnb geiftiger ^tnregnntj, bon 2Bo!)([tanb unb Greift ber
33iirger föaren.
5t£)er anc^ bie 5)lad)t be§ ©tooteS i[t innerlid) gebrod)en.
Ser 5l6fotuti§tnn§ glanttc ju gewinnen , al§ er ber liberalen
53onrgcoi[ie unb bem Kapital bie gefenfdjafttidie Organifntion
opferte. 5n(ein mit ber ge]e[l[dKiftIid)en Organifation fd}iüanb
bie eigentUdöe 2eben§!raft be§ [tantlidien Organi§mu§^ ber Don
ienem Stugenblide an immerfort bnrd) potitifd^e unb fociale
> .U. Öentfd) a. a. D. ©. 364 f.
- ©e^r bel^ersigenstoertl^ ift in biefer Segie'^ung ha§ ßob, ireldjcS
SÖelder im ©taatälejifon üon Slotted unb aöeldCer I, 7'25 ben
„Slffocintionen" fpenbet: „Sie l^nbcn für bie einzelnen, felbft für bie
ro^eften SJlitgtieber ber untern ©täube, inbeni fie biefclben ftetä auf
I)öf)cre, allgemeinere S^vtdt unb ©cfe^e l^intoeifen, eine fiitbenbe, biö=
ciplintreube unb moralifif) üerebclnbe IJraft. Sie entaücfeln Dor ttlfem
ba^ ]^ö()ere ßebeuä^^riucip, ben ©emeingeift, bie Guelle be§ §errIi(J)fteu
unb ©rö&ten. ^Jlur bei gon3 toljen a^ölfern unb bei fold^en , »nclcf^e
unter beä^jotift^en 3iegierungeu i^rer Sluflöfung enlgegengef)cn, unb
tu bem (Srobe, aU biefe guftänbe t)orf)errf(i|cn, erfifieinen in ber Siegel
auct) bie S3ebürfnifje , bie Slrieöe ober bie fyreit)eit für foldjc Jßereine
befc^ränlt ober ertofdien. ©in ^auptd^arafter be§ ©espotiämuö ift
— meil berfelbe im Sßiberfprutf) mit bem aSefen unb Sebiuinife ber
SJieufdjennatur unb ber menf^Iii^en (SeieIIfd}aft fielet — unt)ermeib=
lid): 5üerni(f)tung. ©er ^a'^me ®c§|)otiömu<j aber, welÄjer oft bei
altcrnben 2]öliern in ber iJorm einer fogeu. ifjotiäeilic^en ©ic^eruug
ber 9legierung, it)rcr ©ateEiten, be§ nügemeinen finnüt^en (Senuffeö
unb ber trägen 3lu:^e, öergiftenb toirlt, ift meift nod) oerberblid)er
üU rot}e ©raufamfeit unb ©etoalt. ©0 bnrf e§ benn nid^t befrem=
ben, ha^ foldjer ®e§pDti§mu§ unb feine §anblanger ganj befouberö
gegen bie freien Slfjociationen, gegen biefcö ßebenSprtncip freier, meufcfj=
Itcljer ßultur unb eineg freien unb Iräftigeii ^Jlationallebenö , fid) er=
eifern."
96 ^x\kä ßapitel. S)er d)riftli(^e StaatöBegviff im allgemeinen.
atebolutionen in feinem 2)a[ein bebroI)t rairb. „3m 5nter=
tfjum, im 5}litte(alter berüef ber gefen[ci)aft(id)e SebenSproce^
in fleinen Greifen. 5^lo(^te immcrijin balb (}icr balb bort eine
fleine SteDolution au§bred)en, [ie bebeutete nur ein @ntn)idlung§=
fieber be§ einzelnen, tteinen ©emeinmefen», in bem fie fic^ er=
eignete; fie ttjirtte tt)D(}( Qud) al§ 2eben»n3ecter , unb bie üon
ifjr gef(f)Iagenen SBunben Rotten ni(^t me^r ju bebeuten a(§
.t)nutri|e, bie ficE) ein fräftiger ^nabe beim ©)3ie(cn ober
Surnen f)oIt, ber 2}Dltäförper im ganjen aber mürbe babon
gar nicfit berüf)rt. 9lacf)bem ber ©taot alle biefe fleinen,
felbftänbigen Drganifationen jcrftört unb fi(^ oHe ©eelen eine§
'ö-ünfjigmiflionenDDtfeö unmittelbar untertt}an gemad)t f)at, finbet
fidb nun baa ^oli in jraei DJkffen getfjeilt, bie |)errfd)cnben unb
bie 33e^errf(f)ten, bie ficf) in Sübfeinbfdiaft gegenüberftefjen. " ^
Sebe getoaUfame ööjung biefer in oller ©dirofff^eit be[tel}enben
(Spannung mn^ barum aud^ Ijeute nott)tt}cnbig unmittelbar
bie ©i'iftens be§ @taate§ in ^^rage fteUen; fie mürbe, menn
5mar nid)t mit bem Untergange ber d)rifttid^en ßiöilifation,
fo bod) gau;^ gemif] in bem 3ufammcnbrud) ber f)eutigen ftaat=
lidjen ©efcllfc^aft itjren 5tb}d)Iuf3 finben.
9. Snbeffen, ber 2ibera{i§mu§ geljt innner met^r feinem
6nbe entgegen. S)ic atomiftifdje, inbiüibnaliftifdje (yefe{Ifd}aftä=
(el^re Ijat fid) überlebt, nad)bem fie prattifd; ad absurdum
gefütjrt mürbe. 3)ie ®efal}r beS 5lugenblide§ ift, ba^ man
bei bem focialen 3jBieberaufbau focialiftifd^en @i1ra=
liaganjen anficimfallc. .galten mir bemgegenüber an ber 2Baf}r=
()eit ber djriftlidjen (S)efenfd)aft5le^re feft, bafj mcber ha^ in=
biüibuelle nodb ba§ ©efcllfcftaftsleben in ben grofjen öffentli(j^=
rcd)t(id)en @emcinfd)aften aufgefjen barf; fo merben mir öor
gefäl)rtid)en unb nerberblidjen Srrmegen bematjrt bleiben. Sft
e§ ja bod) gerabe mieberum ber (5ociaIi§mu§, melc^er jener
1 Sientfd) a. a. D. ©. 367.
4. ©taat unb ©efeÜfifiQft. 97
fitnbamentafen 2Ba^rl;eit rtiiber|'prid)t, fei e§, baj5 er d^ bemo=
tratifdjcr @ociaIi§mua bic ben ©taat btibenben 23i'iri3er ju
einer einjicjen großen 2}3irtf(f)aft§genofjcni"c^aft (aber oud) (Sr=
5ie^un9a= u. f. tu. (Senoffenjcfiaft) sujammenfaffcn lüiü, fei e»,
boB er als 8taat§fociaIi§nuig ber „93Dlf§ttiirti'ci)aft einen me^r
[laat§ir)irt]d}aftlid)en ßljaratter" i jn bericifjen [id) beftrebt.
5IIIein anf biefem SBege mxh ba» bertorene SSöIfenjlüd nid)t
tt>iebert3efunben. ^er 8ociaIt§nui5 bietet in feiner tyrrm eine
ßöfung ber [ocinlen S'^oge, fdjon bc»fja(6 nidjt — • obgefetjen
Don aüem anbern — , raeil er c§ ju feinem rid)tigen 2>er=:
f)ä(tni^ jmifc^en Staat nnb SnbiDibuum , Staat unb ®efell=
fc^aft fornmen läBt.
S)er Slffociation gehört bie 3ii^ii^Mt' ^^^^ ^"cf;^ ^"^"^ ^'^^
cialiÄmUö.
' Sgr. ßintge SSriefe öon 9lob6ertu§ an 3f- 3-, mitgeti^eilt
in bei- Seitfc^r. für bie ge]'. Staat§to. 35. Qa^rg. (1879), ©. 231 ff.
.^ojaf, mobbertuö' iocialöf. 2Infid)ten (^eiia 1882) ©. 336. 356.
Stobbevtuö eriDartet atleä §eil f)eute Oon ber „ftaattid^en 3nitia=
tiüe", JDät)renb er beut 3lfiociationätt)efen SDlifetrauen entgegen3U=
bringen jt^eint. „5)te fporabifi^e ©ntflel^ung Don unten auf foU
,naturniütf!figer' fein , nnb bie (£ntfte{)ung im SBege ber Slffociation
f(^mei(f)elt htm 3'ibiDibuanömu§ nnfcrer 3eit- S^^an »ergibt aber:
einmal, ba% eine Dialurtoüd^figfeit biefer 2lrt nur auf ben untergeorb=
neten Stufen ber organifdien 223elt öorfornrnt, £rgani§men üotltom^
mencr 2[rt aber immer fertig unb mit bem ßopfe suerft auf
bie Sßelt fommen ; 3ttetten§ , ba% eö gerabe ber pd^ften Sßürbe bes
©taateö entfpricfjt, ber formenbe S3itbner ber focialen S!Jla=
t e r i e 3 u fein unb eine ,g e f e 11 f d) a f 1 1 i cf; e S3 0 r f e f) u n g' 3U
repröfentiren , mögen bie äeiticeiligen Crgane biefer Sorfefjung mit=
unter aui^ noc^ fo blinb fein" (3uv ©rflärung unb Slb^ilfe ber ^eu=
tigen ßrebitnot:^ be§ ©runbbefi^eS <B. 370). Söir unfererfeit§ fürd^ten
aßerbingä, baB ber Staat, trenn er mit feinem ßopfe ^eute immer
juerft üornn tüiU, oJjne ber Sntaicfinng beä SlffociationötoeicnS bie
gebüt)renbe Sea(^tung ju fc^enfen , eben biefen feinen ^opi nn ber
focialen fjrage einrennen möge.
«Pefd^, Sißerati§mu§. I. 2. Slufl. 5
98 (Srftcö flapttel. S)ev djrtftUdje ©taatäbegriff hu aflgemeinen.
1. '^Jlan \px\ä)t bon einer ÜiedjtSorbnuug, mld)c ber
©tciat 5U bertüirflicfien I)abe. Unb in ber 2^nt, ber natur=
gemüf3c ^md be§ 9iedjte§ i[t fein onberer al§ ber: in bie
©ntiüidlung ber inbibibueHen unb focinlen Scbensbe^ieljungen
Orbnung ju bringen. 5H§ Sßermittler ber nilgemeinen §ar=
monie foÜ ber «Staat burc^ feine ©efeljgebung nid)t etföa
eine fjorrfdienbe lllaffe in i()rer 5)iaci)t[!enung fdjirnien ober
6(013 bic jeweilig gegebenen aJiac^tüer^ättniffe gefe^Iicb fe[t=
legen, fonbern bielmeljr eine in bem Steigt unb in ber ®e=
red}tig!eit befdiloffene Orbnung be§ nienfd}(id)en ^\u
) 0 ni ni e n I e b e n § IjerfteUen unb bie ^ergefteUte lüirffam
fd}ü|en.
Sa» i[t bie n)a^r^aft fjolje, ibeale 5tufgabe beö ©taate§,
tt)ie fie bem @ei[te ber d)riftlid)en ^H;i(D[opIjcn üorjdjmebte.
ä>on ber ©eite beö 9tecbte§ umfaBt ba^er ber ©taat innerf)a(b
ber natürüdien Orbnung bie @efamt(}eit ber focialen 2ebens=
be5ic()ungen mit magrer |)err|djergeiua(t. S3ir fjebcn bie§ au§=
brüdlid) fjeröor, weil oljne bie[e 5(utorität unb moralifd^e lleber=
orbnung bc§ ©taate§ über alle anbern natürlidien formen unb
{Sc[ta(tungen be§ focialen Gebens eine Sermirtüdjung be§ 9?ed)te»
unbenfbar märe.
5Iber jene Ueberorbnung barf nid)t jur fd)ran!enIofen Söiü=
für merben. 3)er ©taot ift nid}t bie Quelle, nic^t
ber §err be§ 9^ed)te§, fonbern nur ber ^"^üter unb
3}ermirflid;er ber burc^ ha% S^aturredjt in großen llm=
riffen t)orge§eid;neten 9ted)t§orbnung.
(S§ mar bie» bie b ritte ©djutjme^r, mit meldjer ha^
e^riftentTjum bie bürgerlidje 5reil;eit umgüitete, nidjt
minber mädjtig mie bie Seigre bom jenfeitigen 3iele be§ 9}?en=
fd)en unb oon ber ^irc^e al§ einer felbftänbigen, t)üfIfommenen
©cfeüfd^aft neben bem Staate.
5. (Staat itnb 3tecf)t. 99
2. ^6)on bie cbclften inib cr(eud)tet[ten (Seiftcr be§ |)eflenen=
tf)um§, ein ©ohatea, 5p(ato, 5h-i[toteIe§ , 5)emo[tl)ene§ , bie
©toücr, famen bann überein, boß ber ^n^olt oder menf(3^=
Iid}en 6atjungen nic^t ber 2BiII!ür be§ 5ÖDlfe§ ober feiner
Se^errfd)er überanttüortct, fonbern ben „ungefd)ric5enen, ^oö)=
tl)rünenben @eiet;en" ber ©ottfjeit ju entnetjmen fei: o-c r.ac,
iazc vöjxoc, euprjiia xat ocopov Ö^scov. 5?i(5t meil bo§ 33ol!
ben Sn^olt feiner ©efe^e tt)i(I, gilt er ifjnen a[§ „9?ed)t", fon=
bern ti(\^ 33dI! foH biefen Snljalt lüoQen, tt)ei( e§ if)n oI§ ba§
„gfed)t" erfannt Ijoti.
klarer unb (}eller ober erftraf)(te biefe 8e^re bon einem
„natürli{5^en 9^ed)te", bQ§ q(§ ©otteSfat^ung 9?orm
nnb 9Jk^ aller 53ienfd)enfal3ung ju fein bernfen ift, nadjbem
bie unbeftimmten unb fd^manfenben ^BorfteHungen be§ |)eiben=
' ^tlbenbtanb, ©ef(i)id)te u. ©Aftern ber 9iecf}t§= unb @tQat§=
p{)ilo)opliie, aSb. I: „®aä Ifajnfdje mtertfjum" (ßet^jjig 1860) ©.29.
— aSgl. ©terle a. a.D. S8b. III: „Sie ©taat§-- unb Sorporation§=
lel^re be§ 3Utert^unis unb be§ SJlittelalter^ unb i^re 3tufna^me in
®euty^Ianb" (^Berlin 1881) ©. 8 ff. — S}9r. ferner 1. 2, Dig. 1. 3.
— Aristoteles, Polit. IV, c. 4. — ©ierf e a. a. €. ®. 9, 2Inm. 2.
~ §irbenbranb a. a. O. ©. 89 ff. 122 ff. 196 ff. 303 ff. 509 ff.
— Slud^ (Eicero folgt biefer 5luffuffnng: „Uebcr ba§ ©efe^ finbe
t!$ &ei ben toetfeften SDtännern bie üfeereinftinnnenbe 2Infi(^t, baefelbe
fei toeber öon ajten|d)en erbacfit no(^ bo§ ©rgefinife eineä 35olfä=
befcE)ruffe§ , fonbern ettt)aä ©toigeg, fceftimmt, bie Sßelt 3U regieren,
aU bie 2SeisI)ett§norm felbft int ©ebieten unb Sierbieten. ©onad) fei,
fagten fie, btefeö erfte unb oberfte ©efe^ ber ä?ernunftioiIIe be§ a(fe§
üernünftig gebietenben ober oerbietenben ©olteö , Oon ireltfjem mit
JRecf)! bn§ ©efe^ abgeleitet totrb, toti^t^ bie ©ötter bem SJ^cnfc^en=
gefd^IC(^te gegeben ^aben" (De leg. II, 4). §atte SIriftoteleä ättiifd^en
S)emo!ratien , in benen bie ©efe^e unb in benen bie aSoIIebefci^Iüffe
^en:fd)ten, unterfdjteben , fo ixoax , ba§ er le^tern feine Slnerfennung
ücrfagte (Polit. IV, c. 4) , fo bebt aud) ©icero ausbrücflid) !f)erOor,
baf5 unabf)ängig Oon bem göttlid}en DIatnrgefeije ben 23ef(|Iftffen beö
3}olfeö eine oerpfüc^tenbe firaft nic^t jufomme (De leg. 1. c).
5*
100 ®t[te§ ßa)3itet. S)er c^riftfid^e ©taatsBegriff im attgemetnen.
t§um§ über &oü unb fein $8etl^öltnt^ jur 2BeIt enbgiltig
burc^ boö (5;(iriftent^um unb bie c^riftlic^e ©pecufotion [iegreic^
übermunben waren. 93or bem ®ei[le be§ benfenben üJknfc^en
erl^ebt [ic^ nun ba§ ©ittengefe^ unb al§ be[fen SSeftanbt^eil
ha^ natürlid}e ü?ed}t mit übermöltigenber 93taje[tät i)oä) über
bie uie(^feIüoIIe Söitifür ber ©terblid^en, aüe 3>erl}ä(tni[ie, afle
Reiten bef)err)d)enb. ©erobe ber unttjanbelbore ß^arofter unb
bie «Staat unb Snbibibuum jugleic^ berpflic^tenbe .Qraft be§
(Sittengefe|e§ mürbe mit befonberem 91ad)bru(f betont unb burci^
bie {^riftlidje «Speculotion nod) met)r ber 9J?ögIid)!eit eine§ öer=
nünftigen 3^^ei[ß^§ entrüdt, mie biea in ben ©t))'temen ber
großen alttjeUenifc^en Genfer bereite gefc^e^en mar i.
^ Sl^ering l^at einmal mit ^fted^t barüfier gcflagt, ba'Q unfere
beutfi^e SBiflenfc^aft buxä) etnfeitige 2lbf(J)Iie^ung gegenüber ber S(|o=
lafti! mandjer luertfjüDtlen (Srrungcnfdjaft be§ menfc^Iici^en ©eifte§ t)er=
luftig gegangen fei. Qn ber S^at umrbe bei einer arn^ nur ober=
fläc^licf)en ßenntni^ ber ©d^olaftit bie l^äufige SßertDcc^glnng be§
„9taturre(^te§" mit bem 3iec^te eine§ angeblid^en „9ktur3uftanbeä"
ober mit ben ü)irt)($aftli(^en „S'laturgefelen" ber flaffii($en 9hationaI=
öfonomen unutögüd) fein. 2ßir fönntcn 3um Setoeiö biefer für
jeben mit ber c^riftlic^en $I)iIofopf)ie 9}ertrauten gerabeju l)orrenben
33ermengung t)on ßet)ren unb S^ftemen , bie nidjt im minbeften eine
2}ertoanbtfd)aft miteinanber befi^en, auf mandie 3teufeerungen SRob=
bertu§' unb feiner Slnl^ängcr »erlüeifen. ©anj befonbcr^ aber tritt
biefe§ pc^ft feltfame ÜJlifenerftänbnife immer toieber Don neuem bei
5RationaIöfonomen ber tjiftorifdien 9lid)timg 3U S^age. 9Jtan lefe
nur 3. 25., um fid) Itiieröon 3U überseugen, einen Sluffa^ be§ im
übrigen fo regfamen unb üerbienftüotlen 3orfd;erö ßujo Srentano
über „bie S}Dl!§toirtf($aft unb i^rc concreten ©runbbebingungen" in
ber 3£itl^rift für ©ocial= unb JBirtfd^aft'ogefd^i^te I. 1 (fjreiburg
1893), 77 ff., namentlid^ ben 2tbfd)nitt „Sie SSorfteüung üon einem
ibealen Sflaturjuftanbe ber 5Dhnfd^en" B. 81 ff. ®aä „9kturred}t"
ber d)rifttid)en ^^ilofopljie ift butc^auä fein Diatur3uftanb§red)t, lieber
ba§ fRe(^t be§ parabiefifi^en 3ufta"be§ ber 9Jknfd;en, Don bem bie
SBibeI.beri(f)tet, ober ba§ ^e^t be§ „golbenen geitalterö" im 6inne
ber;Smcn, nod) ba§ „Ülec^t" ber 3iouffeaufd)en gtueifü^Ier; — e§ ift
5. ©taat unb ^lti)t. 101
3, ©Ott i[t ber tneife unb (jeüicje Otbner be§ 2(IIa, Sebe§
'J)ing iDirb Don if)m geleitet, cutfpredjenb ber eigenen ^iatur:
bie öernunftlofe ©cfiöpfung burd) plj^füdiidje unb d)emt)d)e
©efe^e, bur(| bie Drbnung beS Degetatiöen Seben§ ober ben
Snftinct mit feinen nQtürIid)en Senbenjen — ber bernünftige
Wmiä) hüxä) ha?>, föaa i[)n üon allem unterfc^eibet, über afleS
ergebt, burij^ feine üernünftige 5^atur. SSermöge eine§
@ittengefe|e§, fo loie e§ ber freien 9iQtur entfpric^t, burd) ein
©efe|, ba§, feiner 25ernunft eingeprägt, im ©eraiffen beä ii?en=
fc^en für jeben einzelnen t^aü fid) melbet , öon bem auö) bie
im 5}?en)(^en t)Dr[}anbenen notürlidicn, inftinctiüen Stegungeu
geteuft unb iljren bered)tigten 3ielen angepaßt merbeu, — ber=
möge biefe§ erijabeneu, reinen, beglüdenben @efe|e§ erfennt ber
üielntel^r ba^ IRec^t, tote eö fict) unmittelbar au§ ber Vernünftigen
SJtenfc^ennatur ergibt, ein SBeftQnbtt)eil beö göttlid^en ©ittengefc^e§,
fein ütec^t, ba§ Oor ben ©a^itngen beö )3ofittben IRed;te§ in irgenb
einem urfprünglicOen , ibealen Suftoni^e beftanben (a. o. O. 6. 84),
jonbern ha^ IRed^t, beffen 5principien bie S[Uenf(^en in jebem [)iftori=
tdjen 3iiftanbe in t^ren pofititien ©efe^en unb in i^ren §QnbIungen
3u beoba^ten l^aben, fofern fie nur in einer ber SSernunft ent)pre=
(%enben SÖeife leben motten, ©benfonienig f^at ba§ „91aturrec^t" ber
äiriftlic^en ^Ijtlofop^ie mit bem „5Raturred)t" ber !taffifcf)en 9latiouaI=
öfonomie ju tl^un. ®te ,,91atuvgefe|c ber SSoIfsairtfc^aft" finb feine
i^orberungen an ben fittlid) freien SJtenfc^en, fie ftü^en fic^ nicEit auf
bie SSernunft, baö ©etoiffen, alö bie 2]erfünbiger ber fittlicCien 2BeIt=
orbnung, fonbern bringen nur bie Scnbenjen be§ natürlichen Srieb=
lebend ber SOtenfdien gum 2(u§bru(I. — @§ liegt un§ burd)au§ ferne,
an3unel)men , baß Srentano au§ Stbfid^t bie angebeutete S3egriffö=
öertüirrung getoottt l^abe. ®r ift l^ierbei t)ietme:^r baa Opfer feineg
©l)ftem§ getoorben, be§ eüotutioniftifc^en ©ebonfenS, meld^er :^eute faft
alte Stteige bee 2öiffeng bet)errfif)t : atfeö ift retatiö. ©in 9le(f)t mit
abfoluter ©ettung, feinem U)efentli($cn ^ntjalte na(^, für atte ^ßerioben
ber aJtenf(f):^ettägefcf)id;te, — felbft bie Jßorftettung l^teröon ift für bie
moberne SOßiffenfcfiaft p fc^toer. Sarum löirb au§ iem d^riftlic^en
9taturrec^t unoermertt ein DtaturguftanbSredit, toeld)e§ man bann ebenfo
al§ „init)iftorif(i)" Dertoirft toie jenen „Staturjnftanb" felbft.
102 ®rfte§ ßopitet. Ser (^rifttic^e ©taatäbegriff im atfgemetnen.
Tlmlä), n3a§ bie tüeltorbnenbe 33ernun[t im göttlichen ©eifle,
hü?) emige, tüeltorbnenbe SBotten ©ottes, bie „lex aeterna",
ööit i^m forbert, bamit er fein 3^^^ etreid;e , unb bie @efell=
[djaft unb Sni'iöibuum unifpannenbe Söeltorbnung naä) ©otte§
nieifem ^piane ifjre 5>ertt)ir!(i(|ung finbe i. (Serabe jene „Orb=
nung" be§ inbibibueHen unb focialen SebenS moc^t ben Sn^olt
be§ natürlidjen 6ittengefelje§ qu§ ^. 2Bo immer aber bie Orb=
nung burd) Unorbnung, burc^ „5Inarc!^te", berbrängt wirb
— beim (Sinäeincn mie bei ber (Sefeüfd^aft — , bilbet bie
Uebertretung be§ göttlid)en @ittenge[e^e§ bcn legten unb tief=
[ten (Sr!Iärung§grunb.
4. Sie 5ßebeutung ber ©adle erforbert ein ettüa§ tiefere§
(Einbringen in bie)e Se^ren ber d;riftlid)en ^^itofüpljie.
@ö finbet \\ä) im DJJenfc^en, b. i, in feiner oernünftigen
5?atur, eine unberfennbare ^unbgebung be§ meltorbnenben
23iflen§ @otte§, ber lex aeterna. ^D^iit bemfclben 2id)te ber
Vernunft nämlid), mit meldicm mir unterfc^eiben jmifc^en gut
unb böa, erfcnnen mir aud), ba^ ba§ SSöfe ber rid)tigen Orb=
nung miberfpricbt unb bie Erfüllung unferer bon (Boit gefegten
2eben§aufgabe mie bie ©rreid^ung unfere§ Ie|ten S^tk^ üer=
{;inbert, mäfjrenb bie SSermirtüdjung be§ ©uten bie ^erfteUung
unb Semal^rung ber Orbnung bebeutet, unfer irbifd}c§ Sßirfen
unb ©treben ^u einer Erfüllung unferer pd)[tcn 5Iufgaben
geftaltet, unferem Seben feinen moljren SBertl} unb feine eigent^
Iid)e Sebeutung im 4'^inblid auf ba§ ©nbäiel berlei()t. 'J)a^
©Ott bie (Srftrebung be§ 3iele§, für tt)eld)e§ mir in ber Söelt
finb, bon uns tl}atfäd)lic^ forbert, bafj er bie rechte Orbnung
crnft(id) mifl, barüber tonn ebenfomenig ein S^^fiff^ befief;en,
mie über bie 33ered)tigung ©otteö, ben 5}?enfd)en jur 3]ermirf=
lid^ung ber Orbnung unb jur ©rflrebung feine§ ^kU^ ju
' %f). mn)ex, S)te ©runbfö^e ber Sittltciifeit unb beö 9icd^t§
©. 24 ff. 118 ff.
2 S. 'llwm., S. tbeol. 2, 1, q. Ül, a. 1. 2; 2, 2. q. 57—81.
5. ©taot nnb 9tci^t. 103
nerpflic^)teii. S^ie 23evminft feI6[t offenbart im§ borum olfo
aud) unfere 3$erpflid}tiüuj äum ©uten, b. I). jur 3>errid]tunc3
bcrjenigen §anblungen, iDcIc^e lüir f(nr unb beutlic^ qI§ nDtfj=
luenbig für bie Srreidiung unfere» ©nbjieicä unb für bie Drb=
nung unferc§ 2e6en§ erfenuen, wie nnbererfeita bie ^f^id^^f
QÜe§ 5U bernieiben, tüa§ biefcm 3'^^^ unb biefer Orbnung
offenbar roiberftrebt.
^rei trefentlirfie ^ßejic^ungen gibt e§ ober, naä) iDeldjen
unjmeifeKjafte t^orberungen im ^ntereffe ber (5rreid)ung unfere§
3iele§ unb ber SSerloirüid^ung ber Orbnung an ben menfd)=
lid^en Söillen geftcüt inerben. S;er ^J^enjd) mu^ \\6) in ba§
redete, bernunftgemüf^e unb barum bon bem oner^ödjflen @e=
fe^geber geforberte ^erfjüItniB fteüen gu @ott, ju fic^ felbft,
§u ben 5Jtitmenf (^en. 33o[(5ie!)t ber 5[l?enfd) in biefer brei=
fachen §inficf|t, lüa» er in feiner 23ernunft nl§ gut unb be§f)alb
Quc^ a(§ bon ©ott geforbert erfennt, fo ift bomit äugleidj bie
red)te Orbnung in ben SBe^ie^ungen be§ 5D^enfcben jur materiellen
SBelt t^atfäd^lid) bermirÜidjt.
'^a^ ^Berfjültnip ^u ©ott nun regelt bie S^eligion. S)ie
innere Orbnung be§ 9}?enf(^en burd^ Unterinerfung ber niebern
Slriebe unter bie ^errfd^aft ber 33ernunft bilbet ba§ ©ebiet be§
©ittlidien ober ber Sittlid^feit im engften Sinne. S;a§ O^e^t
enbtid} orbnet ben 9J?enfd)en in feinem ©efeUfdjaf trieben,
b. i. in feinen 53e5ief}ungen gur gefeflfdjaftlidien (Sefamtfjeit
unb 5U ben ?Tiitmenfd}en innerljalb ber @efefifd)aft, mobei bann
bie ($riftlid)e 6f)arita§ ber ©efefligteit unb bem ©efeIIfdjQft5=
leben bie ^ödifte 23oIIenbung unb eine gan^ befonbere über=
natürlidie 2Beit)e berleifjt.
5, Sie 9ted)t§orbnung bilbet fomit nad) c^riftlic^er
9Iuffaffung einen tt)efentlid)en 53eftanbtl;eil ber fitt=
üd^en 2ßelt orbnung. „Ser rid^tige ßinblid in bie fitt=
Iid)e SBeltorbnung", fagt Subttjig 53enbiji, „ift bie 23or=
' ^h6)i unb ßirii)enrecf;t (ajlains 1895) ©. 75 f.
104 Srftcö ßopitel. 3)er c^rifttid^e ©taatöbegriff im aögcmeinen.
ou§[c|itng einer richtigen ^tufcfiauung Don ber 5Red)t§ürbnung.
2)enn bie 9tecE)t§Drbnunt3 i[t bie [tttlidje Crbnung )e(bft, nic^t
jroat nacf) i^rer gangen 5(u§be§nung, fonbern in ber befonbern
Seäiel)ung jur ®ered}tig!eit. SBalter (Ü^aturrec^t unb ^olifi!
im £icE)te ber (Begenraort § 60) besei^net baljer mit 9fed)t
,bic über bem 5}len]'d)en [tc^enbe [itt[icf)e Sßeltorbnnng' qI» ben
übjcctiüen, auf^erljalb be§ 5[lienf(^en liegenben ©runb, tüornuf
bie Öeredjtigfeit lelbfi berul}t, üU bie auf^ere ©runbloge bcs
9te!^t3 nnb be§ i}?ed)töbegrine§. 2)ie innere ©runblage be§=
felben i[t ha§! bem 5}ienici()en angeborene 9ted^t§getü^l unb @e=
lüiffen, meld)e§ bie Ueberein[timmung ber menfi^Iic^en ^anb=
hingen nnb S^erfjöltniffe mit ber @ered)tigfeit miÜ. 2;ie)e beiben
güf)ig!eiten , ,bie Organe, meldie ©ott bem 5l?enid)en ber=
liefjen ()at, um biefc unfidjtbare Drbnung ju erfenncn nnb
mit \t)x in 2?erbinbung ju treten, fie finb bie ?tugen be§
(Sei[le§, 'mtläjt in bie bem irbifd^en 5Iuge unerreichbare ü6er=
[innlic^e äöeü f)inüberteud}ten. S^a§ 9ied)t unb bie @cred)tig=
feit [inb alj'o, in i[;ren legten ©rünben aufgefaßt, bie ans ben
6igeni(^a[ten ©ottea fTie{3enben ©ejetjc ber [itt(id)en 2BeItorb=
nung, bie ficö bem ^Jlenfd^en buri^ ba§ Crgan be§ ©eroiffenS
als jolc^e, aI)D a(§ Sßiüe ©ottes unb a(§ eine über bem
9)^en)d)en fteljenbe Tlaä^t antünbigen'."
6. Sffiie munberbar tieffinnig unb mie mo^Ibegrünbet cr=
f(^eint biefe 2ef)re ber d^rifllid^en ^tjilofop^ie bem benfenben
@ei[te! 2;ie 3^^iJrffü^rung be§ natürlichen ©ittengefe^e» unb
in i^m bea natürtid^en Dtedjte» auf @ott, auf ba§ „eföige
©efe^" be§ 5tnerf}öd)ften, ift burc^au» feine bloB „aprioriftifc^e
©pielerei fd)oIa[ti]c^er Specutation". 2]ßie überall, fo getjt
auc^ ^ier ha^ |}f}iIoiopr}ifd)e teufen öon Sljatfadjen au^,
bie niemanb läugnen fann, in unferem galle Don ber S;^at=
fad)e, baB fi(^ ju allen o'-'i^'^^^ i^""^ f'^i '^tl^" Sölfern eine
©umme u um anbei bar er fittlid^er unb rec^tlidier
^been Dorgefunben I;at. 8elbft ber in materialiftifc^en ^been
5. ©tcat itnb 9iec^t. 105
53efangene wirb ja bod) nidit bcftveiten bürfen, ba^ 3. S.
f(i)mQfjIicE)er Unbanf unb SBerratr) gegenüber einem treuen ?}reunbe
unb 2Bofj(tf)äter fteta unb überatt ol§ Bö)e gegolten t)at, ha^
gro^nuittjigc 33etf)ätigung ber Sicfie 511 ben 9J}itmen[(i)en unter
feiner 5Bornu§|c^ung ein Safter ju lüerbcn üermag. (S6enfo=
wenig bürfte man in 5I6rebe fteüen fönnen, baB [icf) eine ge=
tuiffe ^Injaljl eigentUd)er 9?ed)töiä|;e , bie [id) auf ha§i äuj^ere
gefellfdjaftlii^e 3^M"'^i"i"f»^cben be^ief^en, bei aüen ä^ölfern üor=
finben, wenn and) bie einen me^r auf biefen, bie anbcrn mef}r
auf jenen grö|ere§ ©etuid^t legten. S)arum bejei(^neten bie
9tömer ha^, toa§ tt)ir 9laturred)t nennen mürben, gerabcju
a(y ius gentium, unb hü% prätorifd)e (Sbict, aufgemad)fen in
ben meiten Sänberftreden be§ römifd)en 9ieid^e§, mar feinem
Snfjalte nad; menigften§ jum %l)t\[ eine grud)t ber 5tb§trac=
tion unb ber 3u[flnii"e"[icHung jener bei ben berfc^iebenften
93ölferfd}aften geltenbcn ^teditöfülje 1.
2;a3 Unmanbclbare aber tann uiemai§ feinen @runb in
bem SBonbelbaren ^aben. yiid)t in ben med)fe{nben Sntereffen
be§ Snbit)ibuum§ ober ber ®efamtf)eit, nid)t in ben manbe{=
baren cuItureHen 33erl^ültniffen , nid)t in bem öeränberlidien
unb zufälligen Sein irgenb einer ßrcatur bermag barum ber
benfenbe Seift bie eigent(id)en unb tiefften SBurjeln, ben Ie|ten
©runb^ jener unmanbelbaren fitttic^en Sbeen ju finben, fün=
^ JBet ben ©d^olafttfeni ift „9tatui-rc(i)t" unb ^ius gentium" nicf)t
ibentifc^. 2ßo ber 1)1. S^outaä ba§ SBort „ius" tut ©tnne üon „©efe^*
antoenbet, rechnet er bo§ ius gentium jum condictum humanuni, jur
adinventio rationis humanae, b. 1^. gum :|)oftttüen inenfc^üc^en ©e=
fe^e. UeBcraE abn, too S^^omaS ntc^t bie @ntftef)uiU3ätDeife, fonbern
ben 3nf)Qlt ber ©a^ung berüdtfiifitigt, too i^m „ius" (Diedjt) glei(^=
tebeutenb ift mit ,iustum" {ha5 (Sevedjte) , ää^It er anä) baö ius
gentium, b. f). bie quo gemeinfamev 3tecf)teüt)er3eugung ber 33i3lfcr
I)ert)orgegangenen reij^tltdfjen Slnfd^auungen unb ©a^ungen jum ius
(iustum) naturale. S5gl. barüber (Satl^rein a. a. Q. I, 42-5 ff.
^ Söir fagen: ben legten ©runb, U)etl ber nä(|fte objectiüe ©runb
106 ®vftei ßa^jitel. 3)er d^ttftlid^c ©taatgbegriff im arfgemeinen.
bern allein in bem, ber einjig uninanbelbar , oljne äöed^fel,
of^ne ©(Rotten ber 33eräubetung i[t, in 6)ott unb [einer un=
beränberlidjen 3Be)enl)eit.
^nbetn aber bie [tttlicf)en einjrfiliefjnc^ ber re(^tliii)en Sbeen
auf G)otte§ 2Be[cu af§ ifiren I}öd)[ten unb Ie|ten Ursprung
äurüdgefü^rt n^erben, erfciieineu fie gugleid) al§ eine gorberung
be§ n(lf)eiltgen ©otte» an ben SSiUen ber öernünftigen (Sreatur,
a(§ untüanbelbore ©otte§[a|ung, bie ben freien 53ienfd^eu
ni(^t pljt}[il'(f) gtüingt, aber mornlifc^ nöttjigt, inbcm fie ben
einzigen 2öeg be§ innern unb äußern 33er^allen§ beäeidinet,
auf beni ber Tlm]6) ju feinem Qi^Ie, ju ber bon xijm mit
9fiaturnot^ti3enbig!eit evfel^nten, aber burd) 33ett;atigung feiner
i^rei^eit ju crflrebenben ©lüdfetigfeit gelangen fann^. „®a§
9?aturgefe|", fagt 2co XIII. '-, „ift gefd)rie5cn unb eingeprägt
in bem ."perjen eine» jeben 93ienfd)eu ; benn e§ ift nic^t§ anbereä
al§ bie menfc^ti^e Vernunft felbft, bie ba gebietet, ba§ ®utc
äu UoKbringen, berbietenb bie böfe Sfjat. S)iefem ©ebote
unferer 33ernunft fommt aber bie 53ebeutung eine» @efe|e§ nur
barum ju, meil e» bie ©ttmme unb ber 2)olmetfdj einer Ijöfjern
JBernunft ift, ber mir unfern ©eift unb unfere grei[;eit ju
jener Itnluanbelbarfett beä ©ittengefe^eS in ber überaff unb immer
fitf) gleid) bleibenben vernünftigen 3laiuv beö SOlenfcfien erblidt U)er=
ben mu^.
^ 2lu§ bem ©efagten ergibt fid; Hon felbft ber Unterfdfiieb 3lin=
f($en ben ©enfgefe^en unb ben ©pracfigefetjen einer|eit§ unb bem ©itten=
gefe|e, bem uatürli(f)eu Üled^te anbererfeitg. ®ie ©efe^e ber Sogif
lüenben fid) an bcu 93erftünb, bie fitt(icf)en ©efe^e on ben SÖiüen be§
Stenfd^en. ®ie ©efe^e ber ®pra(|e regeln bie fprac^Iid^e iJorm, ben
2(u§brudE unfereS ®enfen§ unb 3^üI)IenS, bie bei ben üerfifiiebcncn
S}öl!crn t)evf(^ieben finb unb and) bei bemfelben SSoIfe Uieci)feln tonnen ;
bie ©ittengefc^e aber ba§ meni(f)li(^e SÖoüen in fid; felbft unb baö
äußere §anbeln in aügemein gi(tigcr Söcifc. 33gl. b. ^crtling,
^'laturrecfit unb ©ociorporiti! ©. 8.
2 @ucl)mfa „Ueber bie menfd)Iid)c g?reif)eit" (1888). Officierie
O^erberfdK) SluSgabe S. 16 (17) f.
5. ©taat imb Slei^t. 107
unteriüerfen l^oBen. S)enn bn ba» ©efe^ ^ftidjten auflegt unb
9te(i)te berleirjt, fo ru!^t feine ganje Sebcutung auf ber Stutoritöt,
bQ§ ift nuf einer toal^ren ©euiolt, ^f(id)ten ju bcflimmen unb
9ted)tc in bejeidinen unb ebenfo burd) ©träfe unb 2of}n ben
©eböten i^re ©anction ju geben. ^q§ alle§ aber fßnnte
offenbar bei bem 9}lenfd)en nidjt ftattfinben, föäre er ber
f)öd)fte ©efetjgeber, ber feinen .^nnbtungen ifjre 9tegel bor=
fd}rei6t. 2;arauy folgt, baf? ba§ 9taturgefc^ baS endige
®efe| felbfl ift, eingeboren ben üernünftigen 2Befen, ha^ fie
f^inlenft gu bem i^nen beftimmten ^kk unb entfpred;enben
S:t}un; e§ ift bie§ eben bie eioige 33crnunft be§ ©d)öpfer§ unb
Ütegierer^ ber ganzen Söelt, @otte§ felbft." Sarum ber=
(nngte benn and) ganj richtig bie @Ioffe jum ©ad)fenfpiege(
an berfd;iebenen (Stellen bie Unterorbnung bc§ ftaatlidjen ®e=
fe|e§ unter ba» natürliche 9iec^t al§ bie allgemein gütige
@otte§fa|ung : „@ott ift ber 5Infang alle^ 9{ed)ten§. . . . S)ie
@ered)tig!eit ift ein fteter unb eioiger Sßill', ber 'i)a gibt einem
jeglidien S^ing fein Sftedbt. S)iefcr Sßill' ift ©ott. ... ^a§
natürtidie 9ied)t fjei^t aud) ©otte§ 9tedbt, barum, ha^
©Ott bie§ 9ied)t allen Kreaturen geben ^at. . . . 5)urd) biefe§
D^ec^t finb gefunben atle anbern 9Jec^t. . . . ^illien Sa^ungen
unb ©eiüofjuljeiten fol unb mu^ ba§ natürlii^e 9ted)t öorgejogen
werben. ... @in gcfe|t Mg&jI mag tt)oI)t ba§ anbere aufl^eben,
aber fein natürüd^ 9ted}t mag e§ abtl)un."
7. ®ie neuere ©taatareditate^re, fotoeit fie oon ber 4"^ege^
fd)en 5|3t)i(Dfopt)ie i^ren 5tu§gang nimmt, aber aud) jene Su^iften
ber fogen. ^iftorifd)cn @d)ule, bie gerabe nidit ju |)eget fid^
betennen möd^ten, f}aben biefe 5luffaffung ber djriftlic^en ^^i(D=
foptiie leiber öerlaffen. «Sie möchten nur bem ftaattidjen pofi=
tioen @efe|e ben (S^arafter be§ 9tcd^te§ ^uertennen, jebe§ ob=
jectioe gfed)t (ebiglid) al§ ftaatlidie (Sinridjtung anfefjen. S^nen
äufolge ift Oted)t nur, ma§ ber ©taat a(§ ÜJec^t anert'ennt,
unb füf;rt \\ä) alle§ 9kd)t tebigtid} auf bie ^utoritöt be§
108 ®rfte§ Äapttcl. S)er d^riftlid^e ©toatöbegrijf im oagemeinen.
fjerrfd^enben ®emeinh)efen§ jurücf. 5lber auf tooS — ]o fragen
mir — , Quf mag füljrt [id^ benn biefe 5(utoritQt jurüd?
@tü|^t [ic^ biejelbe lebiglid) auf bie ^^^oüäeiinannfdiaften,
auf 53at)onette uub Kanonen? 3ft bie pf}l)fifc(;e Maä)t unb
.^raft, eine äufeere (Srfüüung unb Seobad^tung ber ©taatö=
gefe^e materiell in erjiüingen, ba§ einzige ^unbament ber
ftaatüc^en 5Iutorität? §at man mirflid) ben y}lutl), bie[e aüe
Orbnung auflöfenbe, bie ftaatlid}e ^lutoritöt ju einem precären
„fjiftorifdden" factum begrabirenbe 3lnficf)t ju Vertreten? Unb
menn man bie offenbar rebohttionören Gonfequenjen ber 2e^re
m(f)t äu üerfennen unb nic^t ju beftreiten öermag, follte e§
bo ni(i)t nafje liegen, ou§ ber 5Ibfurbitöt ber praftifd^en tJoI=
gerungen bie innere llniDaf)rf;eit unb 33ertt)erflid)feit ber ©octrin
felbft äu erfdjliefjen"? 3^ein, bie ©taat§gemalt l)at ein n3ir!=
Ii(^e§ unb mal)re» Siedet barauf, ®efe|e p geben unb ®e=
fjorfam ju forbern. ®iefe§ 9tecf)t aber fonnte bie <Btaat§=
gewalt fid) nid^t felbft geben. Sonft märe il}r S^ec^t eben
nur nadte 3:()atfad)e unb eine (ebigüc^ burd) bie pljtififc^e,
aber ftet§ manbelbare, (Semalt geftü|te Ufurpotion.
@s gibt alfo ein mir!Ud)e§ ^ed)t bor ber @taot§gemaIt,
ein $Red)t, auf meldiem ber ©taat unb bie ©taat§gemalt fid)
aufbauen, o^ne meld)e§ fie bollftünbig in ber Suft fdimeben
mürben. Söenn man aber einmal anerfenncn muf5, bo^ bie
5tutDrität ber ©taatSgemalt ein mal;rea Üted)t ift, ba§
9tec^t, bie Untertl}anen gu berpfliditen — ein '3itä)t, me(d)e§
ber ©taat fic^ nid}t felbft gibt, unb auf bem bennoc^ alle
@efe|gebung§= unb 3ti^'^nG§6ßfnpip "^^^ @taate§ berufet — ,
bann foüte e§ bem folgericbtig benfenben ©eifte in ber 2;^at
nid)t fdimer faüen, einjufcfjen, ba| ber ©toat nid^t bie Duette
alleg iRed)teö fein fann. ä'Öie tf)örid)t ift ba()er bie S3e=
t)auptung, ha^ nur ber Staat 9ied^t fdjaffen fönne, meil nur
er bie pf)l)fifd)e (Srämingbarfeit ^u öerteitjen öermöge! 5IIö
ob bie moralifd^e ßr^mingbarfeit, bie moraüfd^e SSerpflid^tung
5. ©taat unb ffitä)i. 109
tnd)t genügte, um eine ^^orberung an ben nien[cf)Ii(i)en Söillen
nl§ toofire 3fi e (^ t § forberung erfd)einen ju (offen! 3)a§ be=
ftätigcn bodE» aüe 5!)?enf(f)en , fo oft fie über bie @ered)tig!eit
ober UngerecE)tig!ett ftaatlid)er @efe|e ein Urttjeil fällen unb
ungered)tc (Sefe^e eben qI§ fold^e, qI§ redbtSiöibrige 5JhiB=
nahmen berurt^eilen. Unföillfürlid) btidt babei ber ^enfd)
auf eine p^ere 5^orm — auf 9ted)t5f orberungen, nid)t
blo^ auf 9Jedjt§tbeen — ^in, bie feiner eigenen ^ßernunft
eingegraben unb beren 33erit)ir!üd)ung er al§ ^flid)t ber
@taat§gen)alt erfennt unb barum anä) bon ben Orgonen ber
@taat§geit)aü erroartct.
SBotlten bo^er bie Suriflen ber ()iftorif^en ©c^ule if)re
@eban!enrei^en einmal forgföltig prüfen, fo bürften manci^e
liieüeidjt ju ber @r!cnntnif5 gelangen, ba[5 fie bon born^erein
unb im Saufe i^rer 2)ebuctionen tüieberfiolt bie Segriffe „5Red)t"
unb „@efe^" miteinanber bermedifeln. 5hir fo iuenigften§ oer=
mögen mir e§ ju berftel}en, baß ^^änner bon Ipljer geiftiger
(Sinfid)t unb öon beftem SBiKen bie pf)i)fifd)e @r5tüingbar=
feit, bie o^ne 3ioetfeI ein tDefentIid)e§ 5Ütribut be§ t)ofitit)en
®efe^e§ ift, nun aud) al§ jum SBefen be§ ^eä)k^ f^Iec^t^in
geprig betraditen möd^ten.
3Iber, fo menbet man ein, foll e§ benn jebem Dttd^ter frei=
ftef;en, bie ©taat§gefe|e ansumenben ober nid)t, je naä) ben
3Infd)auungen , bie er perfönlid) über ba§ fogen. „natürlid^e
9led)t" pt ? ©ans gemip nid)t! 3^er 9tid)ter t]ai ba§ pofitioe
®efe| be§ <Staate§ ansumenben, e§ fei benn, haii e§ einlend)tenber=
ma^en gegen allgemein anerfannte 9?ormen be§ natürlichen
(5ittengefe|e§ berftö^t; ba mürbe e» fi^ bann offenbar nid^t
um „perfönli(^e 5lnfd)auungen" I;anbeln, fonbern um eine
Ueberjeugung ber menfd)Ud)en 33ernunft felbft. ®er 9iid)ter
mirb jebod) unter Umftänben in feiner officieüen ©teKung al§
9iid)ter aui^ ein (Sefe| anmenben, bem er feine 3ii[iiii^tttu"g
berfagt. 2)enn bie <Si(i^er!^eit unb ©tönbigfeit ber 9ied^tfprec^ung
110 @vfte§ ßapttel. ®cr c^riftlid^e ©taat§6egriff im atfgemeinen.
i[t fo lüefentfid) mit beut ©emeintüoljl ber flaatUc^en ®eje(I=
fc()aft Der!nü|}[t, bo^ bie[eI6e nid)t öon bem SSelieben unb
bem rein fubjectiöen ßrmeffen be§ einzelnen 9iid)ter§ abhängig
gemad^t toerben barf. S)Qbei bleibt ober bie ^f{id)t ber ge=
fe^gebenben ^actoren be[te|en, jebeS ®e[e^ borerft anä) naä)
ber red)tnd)en ©eite ju prüfen, ©ie Ijaben burd)Qnö feine
Slancoermädjtigung für bie @efe|gebung, tüeil
©Ott fid) nidjt lüiberfprei^en, nid)t bie 53ürger 5ur SSeobaditung
eine§ [taotlid)en ®efe|e§ berpflidjten !ann, beffen 3n£)Qlt un=
5tt)cifcU)aft bem natürlidien 5Red)te julDiöer ift.
8. ®ie Seljre ber cbriftlidien ^fjifofüpljie öon bem nQtür=
lid^en 3ied)te n(§ einem Seftanbtljeite be§ notürlid^en ©itten=
gefe|e§ ift offenbar meit entfernt, ber SBürbe be§ ©toateä
irgenblüie jn nolje p treten. S^ietme^r erfdjeint bie @taat§=
geiüQtt f)ier mit einer biel großem 9!}ind)t ouSgeftottet , al§
tüenn man i^ren Slnorbnungen nur be§l;alb ben 6|ara!ter
be§ 3{ed)te§ äuerfennen wollte, loeit biefelben pofitiöeS unb
barum pljt)fifd) ersmingbareä öJefe^ finb. 2Bel)e bem
©taote, in meldiem bie 5}lefjr^eit ober aud) nur eine fel)r
gro^e ^Injol)! öon ^Bürgern ha^ Sefen be§ ^^d)k§i au§fd)Iie^=>
lid) in feiner ^tj^fifdien ©rjiningbarteit erbliden unb barauS
für ^\ä) unter Umftänben bie praftifc^en ß^onfequenäen äie^jen
moüten !
2Bie aber 'tia^ jeber ftaatlid^en ©efetjgebung tiDrau§=
geljenbe unb bon berfelben notfjföenbig borau§äufeljenbe Üied)t
ber Autorität, b. i. bQ§ 9ted}t, ^u berpflic^ten , al§ 5lttribut
ber ©taat§gelbalt ber SBürbe be§ «Staate^ nid^t ju naf}e tritt,
fo liegt ebenfaü» in ber 2Inerfennung einer natürtidjen 9^ed)t§=
orbnung bor unb über ber burd) @taat§gefe|e ju bol(l=
5ief)enben Orbnung be§ gefellfdjaftli d;en 2eben§ burd)au§ feine
ungebü^rlidie unb bem ©emeinmoljle fd)äbl(id)e
25efd)ränfung be§ UmfangeS ber ftaatndj = Iegi§=
(atiben 3:^ätigfeit. Sm ©cgenttjeife wirb erft burd) bie
5. ©tQQt itnb 9hc[)t. 111
richtige Umgrenzung biefer 3:^Qtig!eit beren fegen§reic^e W\xU
fonifeit für bn§ Boljl be§ $ßoIfe§ garantirt. 3lIIerbing§ ber
ab)Dlnti[tiicf)e ©runbfa^, baßberStaat bie Quelle
oHeS ÜtediteS fei, ift bomit geüi^tet jum ©lüde ber
58ölfer. yi\d)t ber ©taatäraiüe bilbet ben letUen ®runb be§
Üted)tCö unb barum anä) n\d)t bie (Staatäwillfür bie einjige
©c^ranfe ber SegiSlation. 5Iöie bie 5(utorität be§ ®efetje§ fid)
grünbet auf bie g'O^berungen ber fittlidjen 2BeItorbnung , fo
ift ber '^nljalt be§ ®efe^e§ ju meffen nad) ber @ered^tig=
feit, ülS beren 5Iufga6e e§ gilt, „bie 9,1knf($f)eit in i^rem
gefeüfci^afttid^en 2)Qfein @Dtte§ ^peiJigfeit unb äßeialjeit
gemöf] ju orbnen unb in biefer Crbnung ju erfjdten" ^.
3n feiner einfadjen unb Haren SBeife fprid^t ber ^l %i)o--
ma§ über hm 3nI)aÜ ber pofitiöen ftaatltd)en ©efe^gebung
unb i^r ^erfjQltni^ jum natürli^en 9ted)te, inbcm er fogt:
„Sebe§ Don 'DJ^enfc^en erlaffene @efe| Ijat infott)eit ben
ßfjnrafter eine§ ©efe^es (einer mirflid) Derpflid)tenben
Dlorm), al§ c» fid) nu§ bem natürlichen ©efe^e ableitet, ©timnit
e§ bagegen irgenbtno mit bem natürlidien ©efe^e nid)t übercin,
fo ift e§ ni(^t me'^r ©efe|, fonbern ©efe^e§üerM)rung. 3«
beachten ift inbeffen, baf? etma§ in boppelter Sßeife au§
bem natürlidien ©efe^e abgeleitet merben fann: äuerft nad)
5trt ber ©c^IuBfoIgerungen üu^ ben ©runbfä^en unb jmeitenS
at§ näljere Öeftimmungen eine§ ^Jtügemeinen. 2)ie erfte 3Beife
erinnert an bie 5(rt, nad) n3eld)er man in ben tf)eoretifd)en
2i3iffcnfd)aften au§ ben ^rämiffen ^^ülgerungen äiel)t; bie
jmeite an bie 5Irt, lüie in ben fünften bie oHgemeinen i?or=
ftefhmgen burd) ha§! befonbere Cbject, auf ir)eld)e§ man fie
onraenbet, i()re nä{)ere 53eftimmt^eit finben, iDie alfo 5. 53. ber
3(rdöite!t bie allgemeine 33orfteIIung be§ |)aufe§ ber beftimmten
iJorm biefe§ ober jene§ ^aufc§ accommobiren muf]. ^em-
' Xi). 9)leljer, ©vunbfä^e ©. 99.
112 @rfte§ Kapitel, ©er d^riftlid^e ©taatSBegviff im allgemeinen.
gemä^ wirb nun mand)e§ nad) 5Irt ber ©d)Iufef olger un gen
Qu§ ben oberften ^^rincipien be§ natürlid)en @efel^e§ ab=
geleitet, lüie 3. 33. ha^, ©ebot ; ,Su foUft nic^t tobten', meld)e§
eine gclgerung qu§ bem aUgemeinen Oberfabe ift, nad) bem
man niemonben Ueblea äufügen borf. 5(nberea leitet fid) ber=
mittelft näherer 53eftimmung bon 5(tf gemeinem t)er.
<Bo befagt ha^ natürliche ©efe^, ba[3, mcr fel}(t, ©träfe leiben
muffe; baju aber, bo^ e§ gerabe biefe ober jene Strafe fein
foHe, ge()ört eine naivere Seftimmung. ^n ber menfd}Itd)en @e=
fe|gebung nun finbet man Seftanbtfyeile üon beiberlei 5lrt." ^
Ueber ben 3nf}Qtt unb bie üted)t§fraft ber menfc^Iidjen
©efe^e äußerte fic^ Seo XIII. 2 in bem Ütunbfdireiben Liber-
tas, praestantissimura naturae bonum, Dom 20. Suni 1888
folgenbermofsen : „(Einige biefer menfc^Iic^en ®efe|e bejiel^en
fid) auf baä, ioa§ öon SJotur avS gut ober bö§ ift, unb gc=
bieten ba§ eine, öerbieten tiü^ anbere, jugleid) mit |)in5ufügung
ber entfpredjenben «Sanction. 2)0(^ biefe (^efe^e traben ifjren
testen @runb feine§meg§ in ber menfd)lid)en ©efeüf d^aft , ba
biefe nid)t Urfprung ift ber menfcblidien 5iatur, baf;er aud)
nid)t be§ ber DIatur entfprcd)enben ©uten, noc^ be§ \l)x miber=
fpredienben 58öfen ; gut unb bö§ finb Dielme^r üor ber menf(^=
(id^en ©efeUfc^aft unb gelten nur üon bem Üiaturgefe^e au§,
ba§ ba^er auf tia^ ewige (Befe| ^inmeift. 2)ie (Sebote be§
9?aturgefetje§ , me(d)e bie menfd^Ii(|e ©efe|gebung in fid) auf=
nimmt, Ijaben barum nid)t blofj bie S3ebcutung eine§ menfd)=
lid^en ©efe|e§, fonbern empfangen eine biet tjö^ere unb er=
t)abenere ©emalt, meil biefe oom 5kturgefe|e unb bem emigen
©efetje au»ge()t. 3n '^ejug auf biefe 5trt bon ©efe^en ift
bieä eben bie 5Iufgabe be§ bürgertidben @efe|geber§, auf ©runb
ber ollgemeinen Ote^t^orbnung bie ^Bürger im @et;orfame ju
» S. Thom., S. theol. 2, 1, q. 95, a. 2.
2 gncl)!afa ,De libertate humana" (1888). Offtcieüe (§erberfc^e)
5Ku§gabe ©. 18 (19) f.
5. Staat unb 9ie(!)t. 113
crf)a(ten, bie 53öfcn unb 511 llebertretimgen (geneigten in ©(^ranfen
^u galten, baniit fie öom 33öfeu äurüdfgefjalten unb jum ©utcu
LinGetvieben werben ober tt)enigften§ ber bürgerlidjen ©efeUfdiaft
feinen @d)Qbcn nod) 9tad)tf)eil zufügen fönnen. — • 5Inbere
(ÄJefe^e ber bürgerlichen ©eraalt gefjen aber nidit unmittelbar
unb äunädjft bon bem 9laturred^t au§, fonbern in weiterer
5-oIgerung unb ^Inwenbung, unb besiegen [id) auf derfd)iebcne
©egenftänbe, für we(d)e bie 9Jatur nur im atigemeinen unb
Dt}ne nöf;ere Sejie^ung 5}orfef)ung getrau ^at. @o gebietet bie
DJatur, baf] aüe ^Bürger mitmirten jur öffenttidien 9tu§e unb
SBo^tf afjrt ; ma§ [ie fjierf ür ju tljun f)aben, in meldjer S3eife,
worauf i^re St^ätigteit fid^ beäiefjt, bie§ i[t niiftt bon ber
5?atur, fonbern burd& menfc^Iii^e 2Bei§(}eit beftimmt. 2)iefe
mo^tbemeffene unb öon ber reditmofjigen Obrigfeit im befon^
bem borgefi^riebene Sebenäorbnung bilbet 'iia^ men[(^lid5c ©efe^
Im eigentlidjen Sinne, (5§ gebietet, ba^ afle S3ürger ju bem
gemeinfamen @tüat§ätt)ede jujammenmirfen, berbietet, babon
a5äun)eid)en; inbem e§ batjer in llebereinftimmung ift unb fid)
anfc^IieBt an bie 33orfc^riften ber 5iatur, füt^rt e§ jum fittlid)
©Uten unb ^ält ab bon bem, maa itjm roiberftrebt. |)ierauä
erfjeöt, bafj bie 91orm unb 9tege( für bie g-rei{)eit foibo^I be§
(Sinsetnen wie ber gefamten menfdjlid)en ®efeltfd)aft burd)au§
auf bem eroigen @efe|e ®Dtte§ rul)t. gür bie menfd}Ii(^e @e=
fenfd)aft befte^t barum bie f^rei^eit nidit barin, 'i)a^ jeber tt)ut,
maö i^m beliebt, maS bem ©taatgroefen bie grö[5te Unorbnung
bringen, e» berroirren unb §u @runbe rid}ten mürbe, fonbern
barin, bafj bie ©taatagefetje un§ förbern in 23eobad)tung ber
@e6ote be§ einigen (Sefe^eS. ®ie f^reitieit berer aber, metdje
regieren, 5eftet)t nid^t barin, baf5 fie o § n e (S r u n b unb na 6)
SBillfür befet)Ien fönnen, ma§ ebenfo fdjäbltd) möre unb bem
@taat§mefen jum größten 33crberben gereid^en muffte; ba§
roafjre Söefen ber menfd)Iid)en ©efe'^e muß bielmetjr barin be=
ftel;en, 'ba^ \i)x Urfprung aus bem ewigen ©efe^e
114 ©tfteä Kapitel. S)er (^riftltd^e ©taats'begriff im ottgemeincn.
tiax erljeüt uub fie nid^tS berorbnen, toa§ nicf)t
in biefem qI§ bem 5Iu§gang§punfte be§ gefamten
9teci)te§ enthalten i[t. ^'6d)\i tueife fagt borum 5(ugu=
[ttnu§i: ,®u edennft äugfeid), mt \ä) glaube, bafe in jenem
;^eitli(f)en (@efe|e) oKe» @erecf)tc unb (Sei'c|niQ[3ige bem ewigen
(©efetie) öon ben 53?enid)en entnommen tüurbe,' ©ollte batum
Hon irgenb einer ©etüalt eine 53e[linmning getroffen tnerben,
entgegen ben (Srunbfä^en ber gefunben S^ernunft unb bem
©emeintüefen fc^äblic^, fo I^ätte [ie nid^t ©ejeiieafraft, benn fie
toäre bann nid)t Oiegel ber ©eredjtigteit unb iDÜrbe bie 50'ien=
fd^en bem Öute entfremben, luoju bie ®e[e!l](|aft ha i[t." 2
9. ^er ©taot er[d)ien un§ nac^ hm frütjern 5Iu§[ü{)rungen
über ben Urfprung ber ftnatlidien @efenfd)aft qI§ ein ^oftulat
ber men)d)(id)en ÜZatur, a(§ eine ^orbcrung ber 33ernun[t.
2)Qrum muffen benn au<S), fo f(f)IieHen lüir, au§ bem nQtür=
liefen 53ernunftrec^te bie oberflen (Srunbfä^e fid^ herleiten,
tDeId)e bie 5Iufgaben be» Staate^ unb ber ©taatSgemdt be=
ftinnnen. 2)er (Staat, ber bie i£)m noturrec^ttid^ gefteüten ^uf=
gaben ucrabfäumt unb bie i^m f)ier gezogenen ©renken iiber=
fc^reitet, tritt in Sßiberfpvut^ mit ber gi)ttlid;en unb menfd)=
(id}en 23ernunft, t}erle|t @otte§ @efe| unb öerlä^t bamit ben
3f e(^t§boben , auf bem aüein er fid)er beftel)cn unb glüdlii^
luirfen !ann. Wü anbern Borten: ba§ Diaturred^t regelt
nid)t nur bie gefellfdjaftlidjen Sejiefiungen ber ben ©taat bit=
benben 5Jknfd)en untereinanber, e§ 5eid)uet nidjt nur in grofsen
3ügen unb aögemeinen Umriffen ber ftaatlidben ©efe^gebung
ifiren Snl^alt t)or, — e§ beftimmt unb begrenzt nid)t minber
bie 9iid^tung unb ha?) 5}Jaf5 ber gefamten ftaat=
nd)en S^ätigfeit.
1 Sßom freien 3BilIen. L 58uc^, 6. ßap., Ta. 15.
- 93gl. ^ierju anä) @ncl)!Itta „Sapientiae cliristianae", De jjiae-
cipuis civiiim christianorum officiis (1890). Officieüe (§ei"berfc^e)
Slusgabe ©.12 (13) ff.
5. ©tOQt iinb 5Rcd)t. 115
„^ä) tuünjc^te," jagt 23Q[tiQt, „man j'eüte einen ^rei§
iu§ , nid^t nnr non f ünffjunbert , fonbern bon einer TliU
ion grüne» . . . , gU ©unften beffen , ber eine gute , ein=
ad^c unb berfliinbige '2)efinition biefe» einen 2SDrte§ ,8tQat'
labe." 9]kn fönnte öielleic^t ein 65Ieicf)e§ föünfdien mit
ße^ug auf bie begriffüi^e gefifleflnng be§ <Staot§äföecfe§. Sfl
ü bod^ mit ber SrfenntniB be§ ^\üeät^ , ber notljmenbigen
i(ufga6en be» ©taateg äugieid) bejjen inner[le§ Söefen er=
djiofi'en.
^^ür bie d^riftücfie ©ejenfcfiaftglel^re mar inbe§ ber „'^taat^^
med" ein üerljältni^mä^ig Ieid)te§ Problem, gelöft bereit» burd)
)ie rid)tige 53eurtf)eilung unb ©rfenntni^ ber ©runblogen be»
Staate» in ber D^ienjc^ennotur, jomie feine» 33erl)ältniffe§ §um
jnbibibuum unb ^ur ©efetifdjaft.
ß» ift nun ni($t unfere 5lbfi(^t, an biefer ©teile fdfion
iefer in bie Segrünbung unb 33egrenäung be» ©taat§ätr)ede§
injuge^en. S)a» mirb an anberer «Stelle gefd)e^en, mo mir
m» mit ben Seigren be» frcimirtfi^aftlic^en @t)ftem» auaeinauber=
^ufe^en ^aben. S;)kx berül;ren mir ben (Staat»5med nur im
lü'gemeinen unb fomeit e§ ber 3"fQ"''^£^^'J^iÖ "^f^" S)octrin
aforbert.
33ergegenmärtigen mir un§ in ^ürje bie Srgebniffe unferer
)i5^erigen Unterfui^ungen , unb ol^ne ©cömierigfeit mirb ber
lon Sott gemotite 33eruf unb bie naturred^tlici^e 5Iufgabe be§
Staate» unferem ©eifte fic^ barbieten.
2Bir bebienen un» '^u biefer O^ecapitulation um fo lieber
)er SBorte eine» öerbienftboHen ^lationalöfonomen , ber bier
m mefentüdien mit 5(^ren5, ©ta^-I, 5Ro6ert n. 9]?oI)I,
J;t)eDbor Uli et) er, b. ^ertling, (Satt) rein ben gleidien
jrincipiellen ©toubpunft tfieilt, al» in benfelben fd)on früfjer
)er beginn eine» erfreulid^en ^oi^tfd) litte» gerabe ber ötono=
nifc^en 2Biifenf(^aft jur d^rijtti^en ^tuffaffung I)in fid) !uub=
jegebcn Iiattc.
116 ®r[te§ ßa^jttel. ®er i^riftlt(i^e ©taat^ficgriff im allgemeinen.
„2)er@taat", [agt ^uHuS ^aiti^i, „ifl ein ur[prüng=
lic^eS, in bem inner[len äßei'en ber DJ^enfd^cnnatur tüurjelnbeS
menfd){)eitlic^e§ ^nftitut, ba§ fid) mä) be[limmten geiftigcn
2eben§t3efe^en entfaltet, allen focialen Sebenöfp^ären unb @Ie=
menten förbernb unb fd)ü|enb nebenorbnet, unb waäi ben
immer unb überall gleichen, unberänberlidien ^rincipien be§
9fted^t§ unb ber @ered)tigfeit unterftü^enb unb f}elfenb, über=
ipnd)enb unb beauffidjtigenb, fc^irmenb unb ftärfenb jur <5eite
[te^t. ^raft biefer feiner 53iif[ion i[t ber Staat nid)t etma§
(SonöentionelleS, nichts @emad)te§ ober 33eliebige§, fonbern ein
urfprünglic^e§, fortfi^rittfö^igeS, [itt(id)e§ 2Ber! ber bernünftigen
DJ^enfc^ennotur. @r [te^t nid)t ba al§ eine 3*üang§an[ta(t für
bie ^tü^dt, Slriebe unb ©trebungen ber TOenfd^en, ober al§
ein |)emmf4iu^ für bie inbibibueüe unb feciale grei^eit§=
entmidlung, fonbern al§ eine ^ilf§mad}t für bie Entfaltung
alle§ ^Vernünftigen, für bie 53ertüir!tid)ung alle§ ®uten, ©diönen,
2öa{}ren, 9Ut^Iic§en, nüeS ec^t 5Jienfd)(i(^en. @r ift feine '?fli=
gation ber ^rei^eit ober ber Orbnung, fonbern gerabe bie
lebenbige a}ianifeftation unb 53erfö[)nung be§ ^rincip§ ber
i^rei^eit unb ber Orbnung . . ., ber progreffioen unb ber con»
ferbirenben Elemente be§ 35ölfer(eben§ . . . , unb ebenbe§^atb
auc^ nid)t etma» 33ergängUd)e§ , 9)?omentane§ , fonbern etmaS
immer S)nuernbe§, eine nie ju entbel^renbe , notfjmenbige 3n=
ftitution ber 5)knfd)[)eit unb aller S^ölferentföidlung, 3)er ©taat
ift fein 5)led)ani§mu§, fonbern ein Drgani§mu§, beffen belebcn=
beä unb befeelenbe§ Element ha^ et^ifd^^bernünftige 9)ienfc^en=
* 3n feinem $8u(^e: S)ie 5RationaIöfonomif aU Sßiffenfdöoft,
1. %fjnl bea ©efamtluerieä: Sfjeorie unb @efci)i(J)te ber 9tattonaIö!o=
nomi! (Söten 1858), ®. 265 f. 9Sgt. üBerbie§ gur oorliegenben 3^rage
ben ganzen Slbfc^nitt „Sie 35Dlföi;)irtf(^aft unb ber Staat" <B. 249 ff.
— S)a§ Stib eine§ (Staates nacEi d)riftltcf)er Stuf fafjung l^at ß e o XIII.
cnttoorfen in ber @nci)flifa „Immortale Dei" (1885). Dfftc. 2lu§g.
6. 6 (7) ff.
5. ©taat mib 9ied)t. 117
tüefen bilbet imb ber [id) nod) ben ©efe^cn bet [ittlicden unb
fociolen SBeltorbninuj bclucgt. (Sr abforbirt ba§ ^nbibibiunn
unb bie ©efeflfc^aft nirf)t bonftänbicj, tüie einft 511 ttn Reiten
be§ ^eibentl)um§ unb gegentt)ärtig in ben ibeologifdien äi>ot)n=
gebilben ber focialen llto|3i[ten, fonbern er i[t uielniel^r ein
großer, menfcf)(i(i)er §ebel jur gteolifation unferer 2eben§ätt)e(fe ;
ein Sßermittler für bie (irbi[c^=) menfd)Iic^e unb fociale 33e=
ftimmung, ba§ niäd)tig[te Organ ber SBeltgefdiic^te, bie 9>Dr=
au§fe^ung unb ba§ g^unbament allea föaljren t^ortfdiritte^,
Quer editen eiöilifation, Silbung, müä)t unb Söofjlfofjrt."
2Bq§ tnuB baf)er ol§ bie nntürnd)e ?(ufgabc ber ftaatlic^en
®efeIIf($Qft betrQd)tet tnerben?
10. Sl^oniaS bon Iquin erblidt in bem irbijd)en
2Bo^I ben ^md be§ ©toate§i.
Söenn aber bem ©toate al§ natürlicher 3icfpun!t feine»
@treben§ bie ^citüdie 5Bof)Ifaf)rt angen^iefen tüirb, fo barf
babei ber befonbere 6f)aro!ter ber ftaatlid)en (Sefe(If(^aft nid)t
unberürffid)tigt bleiben. 2)enn aud; ha?) ^nbibibunm i]at fein
anbere§ natürlid}e§ 'S^d al§ fein eigene§ ©lud, unb bie Sa=
milie finbet i£)re naturgemäße 5Iufgabe in ber ©orge für bö§
aüfeitige SBoIjtergefjen it^rer ©lieber.
@§ entfielt ba^jer bie S^ragc, tt)eld)e Folgerungen fid} für
bie 93ertt}irfli(ibung bea irbifd)en 2BDl)(e§ ber ^Bürger au§ ber
(Sigenart ber [taatUdKn ©efeüfdjaft ergeben?
^nbem ber ©taat a(a t)öd)fte natürlidie @efeüfc^aft§form
'üa^ äußere, feciale Seben be§ SSoIfeS ju einer organifdien,
' S. Tliom., De regim. princip. I, c. 14. — Sieben ttitr in foI=
genbem üon ber irbifd^en SÖOi^Ifa^rt aU bem '^xotd be§ 6taatcä, \o
fe^en toir natürlid^ beten Unterorbnung unter ba§ jenfeitige 3iel t)or=
au§. — 9}gl. Costu-Eossetti S. J. , Philos. moralis (edit. altera)
p. 514 — 531. tJ-erner öon bemfetben 35erfaffer: ^lügenteine (Brunb=
lagen ber 9lationaIöfonotnie (3^rei6urg 1888) ©. 7 ff. — ©f)riftIicE)=
fociale Sölätter 1884, §eft 4, ©. 107 ff.
118 @rfte§ ,$?apitel. S)er t|rtftlid§e ©taat§begriff im affgeuietnen.
ober morolifd^en ©nl^eit äufanimenfofet, bejeii^net bie Don i^m
erstrebte irbi[c!)e 2öo^[faf)rt gtünr ba§ BdI)! aller ben ©taat
bilbenben Snbiöibiien ober (SefedfcfiQften , aüein bte[e§ SBo^I
!etne§tt)eg§ al§ blo^e (Summe ber inbiDtbuellen ober jocialen
©onbertntereffen, bielmefjr ent)pred)eub ber 5htur be§ ©taoteg
aU eine ©in^eit be§ S3)o^Ie§, qI§ ein unter SluSgleic^ung ber
mannitjfad^ tüiberftreitenben 3utete[fen cjefc^QffeneS ©efamtmoljl.
Siefcä ©emeinmol)! form bol^er nie in ©egenfa^ treten
5um äßofjte ber @e[amt^eit ber Snbibibuen, ba e§ eben nidjtä
nnbere§ i[t aU ha^ 2Bo^I ber @e[amtf)eit felbft. Snnerfjalb
be§felben h)irb jebea einjelne ^nbibibuum, abgefe^en öon !^u=
föEigfetten, über föelc^e ber «Staat teine Tladjt ijQt, feine
tDefent(i(^en irbijc^en S^ede erreici^en tonnen. Stber eS mu^
[id) aüerbing§ juglei^ baju berflel}en, unter Um[iänben feine
loeniger ioefentlidien Sntereffen ben ^ötjern Sntereffen bc§ ©an^en
unterjuorbnen unb aud) bei ber SSerfoIgung not^roenbiger unb
bered)tigter ^mdt bie gleiche 33ered)tigung ber übrigen jur
©eltung fommen ju laffen i.
S)orau§, bofe ber Staat bo§ 3SoI}l ber ©efamttjeit feiner
©lieber al§ einer ©in^eit ju bermirt(i(^en ^at, folgt oud) mit
3^ott)tt)enbig!eit, ha^ nidjt jebe§ einzelne ^nbiüibuum nun aüeS
* 2öir erinnern l^ier an imfere früf)ern 5lu§e{nanberfe^ungen über
i)a§ S5erpttiüfe Don ©taatöUiof)! unb ^nbiütbuaItt)of)L ®a§ ©taatä=
iüofjl bccft firf) mit bem aügemeiiten buvgerlid^en SBol^I in ber otien au^=
gefüfjrtcn Sißeife. — SJlan lann aÜcrbingS aud) bie .fiiräftigiuig mib
©tär!ung be§ ©taateö unb ber ftaatlitfien Organifation nid)! mit Un=
re($t aU „©toatStoo^^i" fieseic^nen. Slßein ba§ „©taat§tüoI)I" in bie=
fem engern ©inne orbnet fid) b^m ©taatsiooi^l im treitern ©inne,
b. i. bem „®emeinuiot)Ie" ber ben ©toat tilbenbcn 3nbiüibuen, 3^a=
milien, unter, i[t ein 9)cittel, um bie ©idjerung unb Qrörberung biefe§
(SemcinUio()te§ ju bctuirfen, aber nidit eigcntlid^cr, Ic^ter !i^\Vid bt§
©taateS. ©er ©taat ift eben fein „©clbftjtoecf", unb barum barf
ba^ „©taal§lüoI)I" im engern ©inne niemols in ©egenfa^ treten jum
„©emeimwo^r be§ ^olU^^".
5. 8tQüt unb dM}{. HQ
Linb jebea dorn ©taate erroarten unb öerlangcu bnrf, maä in
'einen perjönüc^en 33erf)ältniffen gur ©eiüinnung bea eigenen
Prioatroo^ley erforberüd) [ein mag. 5(u(i) in bem beftgeorbnetcn
Staataroefen luirb ber @a|: „@in jebcr ift feines ©lütfea
Bc^mieb", bie üolle Sebeutuncj bewahren muffen.
11. 5(u§ bem (Sefagten ergeben \\6) sioei mii^tige ©efiddts^
)un!te für bie nähere 5Beftimmung beS Staata^ioecfeg.
iDcr (Staat I^at 5unäd}ft bie auf^ern 53ebingungen eine§ ge=
jei^tici^en @emeinfcf)aft§(eben§ ju bieten. ©ebei^Iicf) aber tütrb
)n» ©emeinfdjaf taleben nur bann fein, menn einerfeita bem
Snbioibuum fomie allen bem ©taate bei= ober untergeorbneten
Sefetlfd^aften ©c^ufe itjrer natür(id)en unb ermorbenen ütec^te,
3uft unb 9taum ju freier, felbftönbiger Entfaltung i^rer iQrüftc
mb i^re§ @treben§ nad) ben bered)tigten inbiöibuellen unb
Dciaten ^mdm gemütjrt, anbererfeita baa 3iMa»^nie"&fftcO^'»
)er Derfd^iebenen 2eben§!reife unb i^rer Seftrebungen im Ülal^men
)ea ©ansen unb mit Unterorbnung ber unmefentlid&en unb
;ein particulären Sute^^effen unter bie ^ntereffen ber @efamt=
jeit tnirffam t)ermittelt mirb^.
©obann foü ber Staat in 5(u§übung feiner Stufgabe a(a
:iner natürlid)en §ilfamad)t jur g^örberung be§ ®emeinmot)[ea
)iejenigen pofitiüen Wittd in ben ^ienfr ber ©efamtf)eit fteHen,
ue((^e nid^t burd) bie Gräfte ber (Sin^elnen über ber fonftigeu
jefcll]d0aftlid)en Greife ofjne @d)nben bea gemeinfamen SBo^IeS
mb 3^ortfc^rittea befdiafft merben fönnen.
5)iefe pofitiöe g-ürforge be§ Staate^ ift eben i()rem Söefen
md) fein bebormunbenbea , fonbern ein ergänjenbe» SSirten.
ck foü bie Stjätigteit ber .©efellfd^aft unb ifjrer einzelnen
Siieber meber öerbrängen nod) abforbiren. 5lid)t umfonft finb
a 'ODÖ) ben Snbiöibuen unb ben niebern ©efellfc^aftöformen
f;re Gräfte unb g^ii^igfeiten Don @ott berlie^en morben. ^er
1 D. §ertling, Stuf jage unb üteben B. 53.
120 ®rfte§ ßatiitcl. ®er (^rtftlid^e ©taatsbcgriff im allgemeinen.
^ltn\ä) Ijat fobann ba§ 33er(Qngen, biefe feine eigenen Talente
äur ß)eltunt3 jn bringen, nnb niemals ttjirb er, mit boöem
9terf)t, [ic^ einem Softem beugen, tt)e{d)e§ i[)n ber gebü^renben
©elbj'tänbigfeit unb ^nittatiöe beraubt. UeberbieS Hegt e§ auf
ber ."panb, ba[3 für eine gefunbe ©eftaltung inäbefonbere ber
wirtfc^aftlic^en $ßerf}ültniffe jene ?Ini|)annung ber geiftigen unb
för|)erü(f)en Gräfte, jene ediärfung ber @infi(f)t, loie fie gerabe
mit bem felbftänbigen «Schaffen unb ©trebcn fid) paart, bur(f)=
aus nid)t entbel^rt merben fann ^ .
@§ ift borum aud) ein nQtur= unb liernunftiüibrigeä 33e=
ge'^ren, menn ber ©ociatiSmuS bem Staate ober ber al§ „®e=
fellf(^aft" bezeichneten ©cmeinfdiaft ber 93ürger bie (irjengung
1 aSgl. ^ü\i^ a. a. D. <B. 255 f.: „®cr ©taat realifirt 3unä(f)ft
unb ctgenttitf) nur bnä SRec^t (bie 3'led)tgorbnung) , aber Ijiermit er=
möglid^t er äugteid) (in feiner SGßeife) bie ©rftrebung atler onbern
SebenSjtDerfe ber ©efeöft^aft in ben berfd^iebenen Sebenstreiien. Ser
(gtaat ift nic^t berufen, bie S!Jienf(f)en unb bie ©efeüfc^oft in ber 3}er=
folgung i^rer !^'0)ede fpecicü ju birigiren ober ficE) bie Stellung einer
religiöfen, fünftlerifcfjen ober inbuflrielfen Slntorität 3U oinbiciren;
er 'i)üt aber bie DJiittet unb 2öcge 3ur iRcalifation ber gefettfd)aftlic5en
©runbätüecfe öorsubereiten, bie S3egrünbung, Sici^erung unb ©rfialtung
ber öffentlii^en unb t)rtüaten 9le(|täorbnung ju betuirfen, ba§
Drganif(i)e ©anje ber auf bie ©rfüöung aller foctarcn Slufgaben fic^
begie^enbeu Sted^täanftalten unb (Sinri(!)tnngen gu oermirflic^en , bie
9Jli3 gltd) feit eines f{ttlicl^=tiernünfiigen ©efetlfe^aftslebenä nacf) allen
grunbiDefentIi(fien Oiidjtungen unb ^xoidtn auäuba^nen, o{)ne jebodj
l^ierbei ben ©iuäelnen an bie §anb ju nel^men unb tf)n jur ridjtigen
Senu^ung ber burd^ ben Dxed^täjuftanb gegebenen unb üertoirflic^ten
5Dftittel ber ©nllDtdCIung unb SSerooßfommnung anjuleiten. ^raft
biefer feiner Sefttmmung nnb Slufgabe toirb ber ©taat angetniefen
fein . . . , bie Sicherung unb S^eftigung ber focialen ©efnmtorbnung
ju oottfül^ren unb fo aud) al§ §ebel unb S3ermittfung£iorgan ber ber=
fd^iebenfien menfc^lii^en unb gefeüfdiaftU^en Seftimmungöfrcife , aU
6entral= unb 5FcitteIpunft aller Jöebingungen für ben aßgemetnen
iJortfd^vttt , für bie ßnttoicflung nnb iüeroodfommnung be§ gefamten
SJoIfSlebenö fidj tptig unb mirffam ju enoeifen."
5. «Staat unb ^Red^t. 121
unb 33ert^eilung ber ©ac^güter übertragen totH. S)er Staat
mag [id) an ber 9}Dl!§rt)irtf($aft, folueit ba» ©enieinmot}! ha=
burd) nid^t gejdjäbigt tüirb, betfjeiligen. 5(ber eine ©taat§=
ober ®eiet(i'(f)aft§tt)irtic^aft im Sinne be§ 8DciaIi§mu§, eine
nnmittelbare Seitung ber ^robnction unb i^ert^eilung ber ^rD=
bucte hnxä) bie G'entralgematt be§ Staates h^w. ber ©efamt^
f)eit ber „©enoffen", i[t tneber principicU äu(ä][ig noc^ irgcnbmo
unb irgenbtuann burc^ bie :^iftori[d)e Sntinicfhmg geforbert,
tneil fie eben für ben (Sinjelnen roic bie ©efamt^eit jeberjeit
lierberblic^ unb unerträglich^ märe.
5lucf) bei ber richtigen Umgrenjung ber [taattid)en 9te(f)te
unb 5Iufgaben bleibt ein meite§ ©ebiet übrig, inncrfjalb befjcn
bie Staat§gemalt ifjrer micfitigen ^fiid)t , pofitiö förbernb
auf baa 33Dlt»moI}I einjumirfen, genügen !ann. ©er Staat
mirb babet in ber 3teget an bie bor^anbenen ©eftaltungen äu=
näd)ft anfnüpfen muffen, bie gegebenen c^räfte mcden, an=
regen unb förbern. (Sr mirb 3. 58. im ^ntereffe ber ©cfamt^
!^eit ein fic^ereS Saufdimittel, einen aKgemeinen 2Ö3ertt)ma^ftab
[jerfteüen, ber (Srric^tung unb Sinfü^rung Don 2]erfe^r§mitteln,
meld)e unmittelbar im 2;ienfte be» gemeinfamen Söo^Ieg aüer
fielen, feine 5Iufmer!fam!eit mibmen, bie ^ntereffen ber natio=
naien 2Birtf(fiaft anbern 33öffern unb Staaten gegenüber ber=
treten, ben ein^eimifd}en 5Iderbau ober eine nod) junge, jum
SSettbemerb mit bem 5Iu§{anbe unfäf)ige ^nbuftrie bi§ ju
i^rer Srftarfung burd() 3öQe gegen bie erbrüdenbe ßoncurrenä
bon außen f(^ü^en. (Sr mirb mirtfc^afttid)en .Qrifen nad) ^räf=
ten bor^ubeugen mtb bie t^atfäc^Iic^ entftanbenen ^u milbern
fudjen u. f. m.^
12. Seo Xni. faßt in bem Ü^unbfi^reibcn Rerum no-
varum^ bie berfd^iebenen ^Jiomente unb Wükl ber flaatlidien
' Cf. au: Antoine S. J., Cours d'Economie sociale (1896) p. 74.
2 Offic. (§erberfc^e) 5Iu§gabe <£. 46 (47).
qSeid^, 2iberaa§ntu§. I. 2. Stuft. 6
122 ©rfteg ßapttel. ®er c^riftüd^e ©taatöbeijriff im atlgemeinen.
SIßot){faIjrt§|Drge furj sufammen, inbem erjagt: „5!)ie 53ei{)ilfe
qI)o, ioe(rf)e öom Btaak ju erroarten tüäre, befleljt äimäd)[t
hl allgemeinen gefe|Iid)en SSerorbnungen unb 6inrid)tungen,
bie eine gebei()Iidje (äntroicflung be§ Söofjlftanbe» befi)rbern.
.v)ier liegt bie Stufgabe einer ein[id)tigen 9tegiernng, bie irat^re
^\l\6)t jeber toeifen Staatsleitung. SBa» aber im «Staate bor
oüem ben SBotjIjtanb öerbürgt, H^ t[t Orbnung, ^näji unb
©itte, ein mo^tgeorbneteS ö^amilienleben, 5ld)tung üor 9teUgion
unb äiedit, mäßige 3(uf(agen unb gteidje ä^erttjeilung ber Saften,
53etriebfam!eit in ©etnerbe, ^nbufttie unb |)anbel, günftiger
©tanb be§ ?lder6aue§ unb äf}n(i(^e§. 3e umfiditiger aUe biefe
|)ebel benu|t unb gef^anb^abt werben, bcfio gefilterter i[t bie
2ßoI)I[at)rt ber ©lieber be§ ©taate§. |)ier eröffnet fid) a(fo
eine meite 33a^n, auf metdier ber ©taat für ben SZu^en aller
klaffen ber 53eöö(ferung unb inSbefonbere für bie Sage ber
5lrbeiter tt;ätig fein foü ; unb ge§t er auf biefer 93afjn Doran,
fo ift burd)au§ fein 3^orn)urf möglid), at§ ob er einen Ueber=
griff beginge; benn nid)t§ ge^t ben ©taat feinem SBefcn nad)
näfjer an a(§ bie 5pfüd)t, 'Qa^ ©emeinmotjl jn beförbern, unb
je n3ir!famer unb burdjgreifenber er e» burc^ allgemeine y)la^=
noljmen t§ut, befto n)eniger braud)en anbermeitige 93?ittct jur
53efferung ber 5trbeiterber§üttniffe aufgefudjt ju merben."
Sn allen gäüen aber, fotDoI)t in ber 33ertretung ber natio=
naien 3Birtfd)aft bem 5(u»(anbe gegenüber, in ber ©infütjrung
foiüie 5tbfd)affung öon Söüen ober ^Prämien, in ber görberung
mirtfi^aft(id}er Unternel)mungen, in ber .^erftenung Don 53JitteIn,
luet^e bem 33er!eljre bienen u. f. \v. — ftet§ mu^ bie ©taat§=
geroalt fid) beroußt bleiben, baf? fic a(§ 9^e|)räfentant be»
©anjen, für ©egenroart unb 3»^u"ft/ "i^t 'i^ S)ienfte einer
einselnen beborgugten l^laffe ju ^anbeln ^at.
2Bir bert)etjlen un§ nid)t, bafj in einer 3eit, roo bie
©taat§re(^t§(etjre bie 53efugniffe ber StaatageroaU in ungebü(}r=
Iid)er 2Bei[e auägebe^nt l}at, Seljren, roie mir fie borgctragen
1. S)ie ©ercd^tigfeit aU ^rtncip ber CrbunnQ. 123
f;a6en, mancherorts auf Sßiberjprud^ [to|en tüerben. 5I(Iein
'iia^ fonnte un§ nidjt abljoüen, ber 2öal)rl}eit bie 6f)re ju
geben, uin fo weniger, tt)ei( mir überjeugt finb, bo^ eine |)ei=
hing ber focialen Schaben nnr bann mögüd) ift, menn "ba^
©taatsleben gan5 nnb rüdfjaltlo» auf ber fe[ten ©runblage
ber fittlid^en äßeltorbnung ola einer ©Dtte§fa|nng Don nenem
[lä) anfbaut, föenn bie ©efct^gebung irie bie gefamte [laatlid)e
S^Qtigfeit 9te(i)t unb ©erec^tigfeit föieberum aU \l)xt 5^orm
unb i^r 93iaB, al§ ©eele nnb ©iegel anerfennt.
Die ftttatUd)e Ucd)t0orbnung.
1. SBenn e§ ben ab[oIuti[tifc^en Seftrebungen be§ ©Dciali§=
mn§ gegenüber nnerläBücf} i[t, für bie bürgerlidje ^^reiljeit ein=
jutreten, fo bürfen ttiir anberer[eit§ niema(§ öergeffen, ba^
e§ feinen ©ocialiSmuS geben lüürbe, ^ötte nic^t ber 2i6erQli§=
mu§, iüenig[ten§ für ba» tDiri|d)aft(i(i)e ©ebiet, eine ganj un=
gebü;^r(id)e g-reil)eit für fid) in 5lnf|)rud) genommen.
„®ie grei^eit," fagt 2eo XIII. i, „bie)e§ fo borsüglic^e
@ut, melc^eS bie Dlatnr un§ gegeben, unb bQ§ nur ben in=
telligenten 2Sefen ^ufommt, bie ben ©ebraud^ ifj^e^ 3Sernnnft
f)Qben, üerleifit bem ^Jknfc^en eine foldie Söürbe, baß er, feiner
eigenen @ntfc^eibung folgenb, t^err ift feiner ^anblungen.
5Iber e§ fommt fef]r öiel bnrauf an, mt er eben biefe feine
SBürbe anmenbet; benn bie ^öetljätigung ber grei^eit ift tnie
1 (£nct)!Iifa ,De libertate humana" (1888). Dffic. (.^erberfc|e)
2tu§g. ©. 6 (7) f. 14 (15) f.
6*
124 StteiteS .Kapitel. ®ie ftaatlidie 3fie(|täorbnung.
ber fjßd)fien @ütcr, \o oiitf) ber l^öd^ften Uebel 5)?utter. 2Bol)I
fte^t e» bei bem 9)Zenjd)en, ber 23ernunft 511 ge^ord^en, bem
^ittüä) ©Uten ju folgen unb geroben 2ßege§ feinem l)öd)ften
3iele nad)5uflreben. S)0(^ ebenfo fann er aud) nad) allen
mögü(f)en 9tid)tungen ^in abirren, inbem er Srugbitbern öon
©ütern nadige^t, bie fittüdie Orbnung ftören unb freituiüig
fid^ in§ 33erberben ftürjen. ... S)a e§ fii^ alfo mit ber
menfd)ti(^en ^^reiljeit berrjätt, fo mufete i^r ein entfprec^enber
Seiftanb unb <Bd)ü^ werben, moburd) alle ifjre 2;f)ätig!eit ju
bem ©Uten ^in, bon bem SÖöfen ^inmeg gewenbet mürbe, foHte
nidjt bieten bie SBiüen^freiljeit ^um ©(^aben gereidien. — ■ (S§
mar barum nottimenbig ba» ©efe^, b. ^. eine Otegel für
"öa^, ma§ ju t^un unb ju meiben ift, gür bie bemuf5t=
lofen SBefen, meiere mit 9tot()menbigteit fid) betljätigen, !ann
e» ein fofd)e§ im eigentlichen ©inne nid)t geben, ha fie in
i^rer gefamten S;(;ätigfeit bem antriebe ber 5^atur folgen unb
bon ficb au§ in feiner anbern 2Beife tljötig fein fönnen. Sie
freien Sßefen aber ^aben eben barum, meil fie fid) ber 3^rei=
^eit erfreuen, ba§ 93ermögen, ^n ^anbeln, nic^t ju ^anbeln, fo
ober Qnber§ ju ^anbeln, ba fie mähten, ma§ fie motten, iinh
jenes oben ermähnte Urttjeil ber Vernunft borau§gegangen ift.
S)iefe§ Urtljeil beftimmt nid)t bto^, ma§ feiner 9iatur nad)
fitttid) ift, ma§ unfittlid^, fonbern aucb, ma§ gut ift unb gu
bofibringen, ma§ böfe unb ju meiben; e§ fd)reibt eben bie
95evnunft bem ^Bitten bor, monadb er ftreben, ma§ er ber-
meiben foü, .bamit ber ^J^enfc^ fein tjödjfte» 'S'^d erreichen !ann,
um beffen mitten alle§ übrige ju gefc^e^en ^at. ®iefe Orb=
nung ber ^Bernunft nun nennen mir ©efe^. — 2)er
tieffie ©runb, in bem ba§ ©efe| gemiffermalen murjett unb
feine D^otfimenbigfeit Ijat, liegt barum in ber 2öitlen§freil;eit be§
9}|enfd)en felbft; e§ folt nämlid^ unfer SBitte mit beK maleren
5ßernunft im ©inftange bleiben. 9ii(^t§ ift barum fo falft^
unb berfe^rt, al§ menn einer benfen unb behaupten mollte,
1. S)ie ©ered^tigfeit aU ^rincip ber Drbnung. 125
m\l ber 2)Jcnfc^ Don Dktur au§ frei i[t, \o müfje er gcfe^Io»
[ein ; benn bie§ l^ie^e [o Diel ala befjaupten, e§ niüffe bie grei=
l^eit bernunftloa fein ^ (Serabe bQ§ ©eijcnt^eil ift üielmefir
ber lyaU: tüeil ber 5Jienf(^ bon Dktur au» frei ift, barum
mu^ er bem ©efe^e untergeben fein. Sn fold^er SBeife leitet
'ba^ ©efe^ ben 5J?enf(f)en in feinen ^anbtungen, wirb e§ xijm
burd^ 3]er^eif5ung üon Soljn, burd^ 5(nbrof)ung bon ©trafen
ein eintrieb jum ©uten unb pit Dom 33öfen i^n gurürf."
2. ©(^on früher fjoben lüir bargelegt, tt)ie bie redete Orb=
nung bc» nienfc^Iid)en Seben», unfere§ 23er^ältuiffe§ ju ©ott,
ju un§ felbft, ju ben 93iitmenfd)en a(§ SnbiDibuen unb al§
gefeüfd^aftlid^e ©efamt^eit Dor aüem Dorgejeid^net h)irb burd)
ba» natürliche ©itt engefe^, bQ§ in eine» jeben 9Jienf(^en
^er^ gefc^rieben ift. 5Iber ba§ göttlid)e Dlaturgefet^ bebarf in
Dielfadier |)infi(^t ber nähern Seftimmung , unb biefe nöfiere
53eftimmung unb 5(ntDenbung juglei^ mit ber irbifdien eanction
bietet, fotoeit bie Drbnung bea gefe(lfd;aftlid}en
3ufammenleben§ inmitten be» ©taate» in grage fommt,
tia^ menfc^Iidöe, ftaatlic^e, pofitiDe ©efe|. ^ierauS er=
gibt fic^, bafj ofjne 3™^^!^! f^^cb ber Staat befugt ift, burd)
feine ©efe^e bie greitieit ber 33ürger ju befdjränfen.
5IIIein nic^t o^ne ©runb unb naä) SSiüfür barf biefe 53e=
fd)rän!ung fi(^ Doüjietjen. ©eljört boi^ bie grei^eit jur natür=
lidben ^uöftattung be§ 53?enfc^en, ift fie bod) ein J)o^e§ ©ut
unb ein natürlic^ea 9ted)t, raeldbe» ber ^J^enfd) nid)t Dom
©toate empfängt, fonbern logifdb unb rec^tlici^ Dor bem ©taate
befi^t, unb ba§ barum aud) nur fomeit befc^ränft merben
^ „Stet ift ha^ SSernunfttoefen, ba§ fti^ bem ©efe^e conformiven
fann, unb eö fann bte§, tijetl bie inteßectuelfe ßraft in il^m auf ba^
^nteCegible l^ingeorbnet ift. Sarin liegt feine Sßürbe unb augleid^
bie Sürgid^aft feiner Unöergängü(^feit" (Dtto 2Cßinmann, ©e=
\ä)iä)k be§ Sbealtärnuä III [1897], § 123: ®ie ibealen ^rincipien
olö feciale Stnbegctoalten, ©. 951).
126 StDciteS ßapitet. Sie ftaatüd^e 91cd^t§orbnung.
barf, wie ber naturrecfitlid^ be[timmte bejonbere ©taatapedf
biefe Sefdiränfung forbert.
S)a§ [inb bie beiben für bie ri(i)tige 53eurtf)et(ung unb 5Bc=
meffung einer Sefd^ränfung ber bürgcrlidjen greif)eit iunerfjalb
ber [taatli(^en ©efellfi^aft entfdieibenbcn ÖriinbiQ|e:
®r[ten§: S)ie greiijeit ber Sürger im Staate fann feine
abfolute greif)eit fein.
3tt)eiten§: ®ie Sejc^ränfung ber g^reitieit boU«
jie^t fid) ni(^t nac^ SBilÜür; fie barf nur fo itieit
gefien, al§ ber ©taatSjtoecf, b. i. ba§ ©emeintoo^I be§ 3SoI!e§,
eine Sefdiranfung ber greificit unbebingt erforbert^.
S)a Ca nun gerabe bie 5(ufgabe ber @erecf)tig!eit ift, ba§
gefellid)aftlid)e Seben in ber red)ten SBeife ju orbnen, b. ^. ba§
33erI)äItniB bea einzelnen sum ©anjen unb ju ben mit i^m
in ber Öefeüfdiaft lebenben ^erfonen, ber 33ernunft unb bem
SßiUen @otte§ gemäß, ju regeln, fo wirb man bie ®ere(f)tig!eit
f(i^Ie(i)t^in a(§ ba§ ^rincit) ber Orbnung be§ freien menfd^=
Iiä)en f)anbeln§ innerhalb ber ©efeEfc^aft bejeidinen bürfen. ©ie
beftimmt unb bemißt genau, meldje 53efd}rän!ungen bie grei=
l^eit nac§ ÜJkßgabe be§ Btaat^totd^^i fidj gefallen laffen mu^.
gugleic^ ber^inbert fie bie (Srrid}tung ungebüf)rli(^er ©diranfen.
2BeiI niimlid) bie g-rei^eit felbft ein 9?ed)t be§ DJ^enfdjen ift, fo
mirb bie ©erec^tigfeit eine Sefc^ränfung ber grei^eit nur fo
meit bulben tonnen, al» tjö^ere, allgemeinere, ältere O^ed^te ju
i^r in Sottifion treten. 50^it anbern Sßorten: bie 33 e=
fc^ränfung ber f^rei^eit regelt fid) nad^ bem 5prin=
cxp ber Siec^taconifion.
(Sa !ann bafier feinem 3^2ifel unterliegen, ba$ für bie
rid)tige 5ßeurtt)eitung focialcr 33er(}Qltniffc unb fociafer Silagen
eine genaue ßenntnifj ber gorberungen ber @ered)tig=
feit unentbe'^rli(| ift.
' Cf. CJtr. Antoine, Cours crp]conoinie sociale p. 80 ss.
1. S)ie ©ercd^ttsfeit als 5Priucip bcr Orbnung. 127
3. ©er ©taat mu^ bie ©ered^tigfcit tt)at)ren. ©iefcn ©a^
in feiner allgemeinen Raffung »irb aUerbingS niemanb be=
[treiten moüen. bringt man ober tiefer in bie 33ebeutung
be§feI6cn ein, beftimmt man genauer, tt)a§ bie ©taatagemalt
in 5üi§übung jene§ ^rincip§ ju leiften ^at, fo gen)at}rt nmn
alabülb, ba| bie 93ieinungen meit au§einanbergef)en.
^lad) d)rifllid)er 5tuffaffung fott ber (Staat nid)t nur
„9(ad)ttt)üc^terbienfte" leiften — um jenen ^tuabruct ju ge=
braud)en, beffen gerbinanb Soff alle jur furzen 6^ara!teri=
firung ber ftaatSrec^tlic^en ?lnfd)auungen be§ 2iberali§mu§ fid)
bebiente. @r füll feine btof^e 5tffecuranägefeIIfd)aft für bie
tljatfädilid) gegebenen 33ermögen§= unb 9ted)töDcr[)ä[tniffe fein,
nic^t aüein bie ermorbenen 9ted)te, ben ermorbenen 23efitj fdiü^en
unb fc^irmen. ©eine f)ei(igfte ^f(id)t bielmefjr ift eg, bie gan^e
©erec^tigfeit, in ifirem t) ollen Umfange, innert}alb ber
Sphäre be§ äußern, gefetlfc^aftlid^en 2e6en§ ju bermirflidjen.
Sßerfäumt ber Staat biefe feine mefcntlid^fte 5lufgabe, bann
unb nur bann treten jene furd}tbaren unb gefäl)rlid)en 3udungeu
bcr ©efedfdiaft ein, iüeldie man „5?Iaffen!ämpfe" ju nennen
pflegt. S)er ^laffenfampf ift barum ber d}uiftlid)cn @efell=
f(^aft§Ie!^re äufolge ebenfomenig eine Ijiftorifdje 9ZotI}menbig!eit,
mie bie Ungered;tig!eit in irgenb einem ^^i^punft mit ber gc=
fd)id)tlic^en (Snttnidtung unabmeisbar berbunben fein mu^.
4. 2Bir braudien nur furj bie gorberungen ber focialen
©ered^tigfeit un§ üor klugen ju füljren, um fofort ifjre ge=
maltige, tief einfdineibenbe Sebeutung für aUe 2eben§freife, für
Snbibibnum, gamilie unb Staat ^u erfennen.
Sie ®ered)tigteit tjerlangt ifjrem innerften Söefen nad), baf?
„jebem ha§i Seine" äugetfjeilt tüerbe, ber ®efenf(^aft baa
S^rige, bem ©in^elmenfc^en ba§ , ma» ifim gebührt. Seit
Ulpian ift i(}re 23egripbeftimmung ftationär geblieben: lu-
stitia est perpetua et constans voluntas ius suum uni-
cuique tribuendi — „©erec^tigteit ift ber be^arrlid^e unb
128 3tocite§ Kapitel. Sie ftaatlic^e Sted^tSorbnung.
entfd)iebene ^Biöe, einem jeben fein SRec^t ^u geben unb 511
(afjen" \
"^an unterjc^eibet nun eine generelle unb eine particutate
@ered)tiglfeit. Slod) i[t, 6e)Dnber§ in ber weitem 3£i^^egung
bie)er Segriife, bie Terminologie nidit bei oüen ^futoren biefelbe.
9tn gemein nennen mir biejenige 2Irt ber ©erec^tigfeit,
meldte entroeber ba§ 33crpItniB ber (Sinjelnen 5ur ©efamtfjeit
a(ä fold^er ober umgeMjrt ba§ 33er^Qltni^ ber (Bejamtfjeit al§
l'olc^er 5U t)tn ßinjelnen regelt 2. gur allgemeinen @ere(5tig=
!eit gefiört einmal bie iustitia legalis, fo genannt, meil e§
bie mefent(id)fte 5(ufgabe ber ®efe|gebung i[t, bie Ütegelung
be§ (SinselwiüenS jum aügemeinen 33e[ten ju öonsiefjen; fobann
bie iustitia distribtitiva , mel(^e bie geregte 3ut^eilung ber
gemeini'amen Saften unb SBo^ItCjoten bon fetten ber ©efamtfjeit
an bie ßinjelnen orbnet. (Snbli^ bie ©trafgeredjtigfeit, iustitia
vindicaUva, meld)e jumeilen m^ al§ S^eit ber biStributiöen
@ered)tig!eit aufgefaßt mirb.
Sefonbere @ered)tigfett, iustitia particularis , nennen
mir biejenige 5trt ber ®ered)tig!eit, meld)e bie priöatrec^tüdjen
33erfjö(tniffe ber ^nbiöibuen untereinanber ober jum ©taate
3U regeln berufen ift. '^\\6) ber Staat l)a[ biefe priöatred)t=
lic^e @pt)äre feiner 93ürger ^u achten, mie er anbererfeit§ al§
3Sermögen§fubject (gi§cu§) innerhalb berfelben Sräger bon
^tec^ten unb ^flid)ten fein fann.
' S. Tliom. , S. theol. 2, 2, q. 58, a. 1 (i. c. a.) : Iustitia est
babitus, secundum quem aliquis constanti et perpetua voluntate
ius suum unicuique tribuit.
^ 3tnbere Slutoren ^iefien e§ öor, bie iustitia legalis, distributiva
unb commutativa al§ 2Irten ber ©erecf)tigfett überfjaupt nebeneinanber
ju fteüen. Sabei regelt bie legale ©eredjtigfeit bie SBejiefiinigen ber
Unterorbnung ber Sürger unter ba§ ©anse, bie biötributiüe ©e=
rec[)tig!eit bie S5e3te:^ungen ber Ueberorbnung ber SSorgefe^ten
über bie Untertl^anen , bie commutatiüe ©eretfjttgfeit bie Segiel^ungen
ber einonber coorbinirten 33ürger unter ficf).
1. S)ie ©ercd^ttgfeit aU ^rincip ber Orbnung. 129
5. 2)ie allgemeine ©er ed)tigf ei t orbnet alfo 5iniäd)[t
bie Sesief^imgen be» ©in§ einen ju ber [taatlidjen ©e=
nieinfdiaft, in ber er lebt, ©ie [id)ert ben @e[enfd^Qft§=
üorftänben unb bem ©efelje ben ©efjorfnm ber Untergebenen
nnb orbnet bie porticulären ©onberintereffen ber Snbiüibnen
unb ber niebern fociolen S^erbänbe bem ©efamttDoI}! ber gongen
©efeüfdiQft unter nad) ben '^orberungen bea natürlid)en 9tcd)te».
Sdu bei'onberer 33ebeutung für ha?! gefeüidjaftlidie 2e6en
i[t fobonn [taatU^erfeit§ bie ©erec^tigteit in ber 23er=
tljeilnng ber öfientlidjen ©üter unb ^a\kn je nad) ber 2öürbig=
feit unb 2ei[lung§fäljig!eit ber einzelnen ©ejenjdjaftaglieber.
©ie i[t t)ör^err[d)enb eine 5p[Iid)t ber SSorgefe^ten im Staate,
toeldie feinen ©taat§bürgcr über ©ebü^r beöDr^ugen ober un=
gebütjrlid^ mit 2ei[tungen für bie ©cfamttjeit belaften bürfen ^.
S)ie 3]ern3irflid)ung ber 9ted)taorbnung bringt ea enblid)
mit fid&, ba^ ber ©toat auf ber ganjen Sinie bea gefenfd}aft=
lid^en 8eben§ bie red^tamibrigen 5lcnfeerungen ber Brutalität
unb ber ©elbflfud^t ftrafen muB- <Bo ergibt fid) Don felbft
al§ britte 5trt ber allgemeinen ©ered)tigfeit bie iustitia vin-
dicativa, bermöge beren ber 33orgefetjte gefjalten ift, eine ber
©(^utb entfpred)enbe ©träfe für bie berbred}erifd)e ©törung
ber Ütec^taorbnung 511 berfjüngen.
S)ie befonbere ©ered)tigf eit luirb in ber Oteget g(eid)=
bebeutenb mit ber iustitia conimutaüva gebraud^t. S^iefclbe
I)at biejen i^ren 5Zamen junäc^ft Don ber ©ered^tigfeit im 5lau[d)=
berfe^re, toenbet jebod), in einem meitern ©inne ala stricta
iustitia gefaxt, bie allgemeine ^^orberung ber ©ereditigfeit, baa
suum cuique, auf bie gcfamte, burc^ natür(i($e ober ern}orbene
9ted)te gebilbete, ^prioatred^tsfpljäre einer p(}l}fiid)cn ober mo-
ralif(^en ^perfon an. Snjofern fie bie Unöerle^Uc^fcit biefer
9tec^t§fppre garantirt, bilbet fie offenbar einen I^erborragenben
' S. TJiom., S. theol. 2, 2, q. 60, a. 3; q. 61.
6
130 3>i5eiteö ßapitel. Sic ftaatlic^e 9led^täorbnung.
@egen[tanb ber [taat(id)en @e[et^get)ung. ©erabe aud) bie actuett
]o bebeutjamen gorberungen naä) 5Ir6eiter]cf)u^, geftfeljung eine§
geredeten Sol^neS, nnd) ©infü^rung [trengerer 2Budjerge]e|e, naä)
einem ioir!]amern (5d)u| be§ 6rlt)erf)§(e5en§ u. f. tu. [tü|en
]\ä) birect ober inbirect nuf boä ^rincip ber nu§gleidjenben
®ered)tig!eit im meitern @inne be§ SBorte§.
6. 2ßenn man bie ®ered)tig!eit ba» gunboment ber ©taaten
nennen barf, fo (egt jebe tie[ergefjenbe ^ßertüirrung nnb 5Iu[=
regung be§ jocialen 2eben§ bie a>ernuitf}ung nolje, ba^ eben
jene» gi^^^oment in irgenb einer 3öei)e ©droben gelitten ^ot.
(Sin berftönbiger 5J3oIiti!er föirb barum aud) Ijeutäntage
bor allem nnb mit größtem ©rnfte bie mid)tige ^rage fid)
borlegen muffen, ob nid^t etwa ber ©taat bi§f)er feine natür=
Iid)e 5hifgabe nnb 5]3fli(^t berabfänmt I^abe, nnb ob ni(^t ba§
ftaatlic^e nnb gefeüfc^aftlii^e Seben in Söiberfprud) jn ben
gorbernngen ber @ered)tig!eit getreten fei^.
^er ©taat fott ba§ 3te(^t bermirtüdien auf ber ganzen
Sinie be§ focialen 93er!er)r§ unb barum aud) für ba§ 9teid)
ber öfonomifdjcn SBe^ieljungen. '^a gernbe ^ier borjugSmeife,
meil nirgenbS me^r bie ©etbflliebe , bie ©igenfndit eine 5Iuf=
löfung ber gefeflfd^aftlii^en 3iM''^i"i"^"f}'^riÖß bemirfen, ben ganzen
Sau ber ©efeüfdiaft er|d)üttern unb jum Sßanfen bringen fann.
|)at ber l^eutige ©taat biefe feine Slufgabe erfüllt? S)q§
' ©erabe biefelben 2'^eoretüer, toeli^e bie 2lufga6en be§ ©taate§
in maBlofer SBeije auSbeljnen mödjten, überfeinen nid^t feiten bie
9Jtänget, bie fitf) bie ©taaten auf bem ifjuen naturrecOttid^ 3U9eU)ie=
fenen ®el)iete ju Sc^ulben fommen laffen. ©o t)at man bie 1^01^1=
flingenbe ^Ijrafe öon ber „^öertoir f lidjung ber fittlidien
:J>bee" aU be§ eigentlichen 3>üfcEe§ ber Staaten erfunben. ©an3 mit
9le(f)t fagt bieSbeäügüd^ ßarl :$>entfd§: „SQJenn einer menfii)UcOen
33eranftaltung Slufgaben gcftetft toerben, bie tüiber ü^rc 5JJatur finb,
fo erfüllt fie nid)t nur biefe nicf)t, fonbern nerfe^ft meiften§ aucf) folc^e,
bie if)r toirflidf) oMiegen" (2CÖeber ßapitaliöntuä nocf; 6ommiiniömu§
©. 373).
1. S)ie ©eredjtigleit qI§ ^Princip bn €rbnung. 131
ift alfo bie totc^tigfte unb bie er[te ijrage, bie ber ©ocinlpolitifer
äu beanttüorten Ijai.
@§ kruf}! büljcr auf einer merftüürbigcn 33er!ennung iiidjt
bloB ber inen]d)Iid)en 3laiüx, fonbern sugleid) au^ ber ganjen,
furrfjtboren Siefe ber f)eutigen fociolen fragen, lüenu einselne
@d)ri[t[teller in bem 33e[treben, ben ßinflufj einer Dielfad) nn=
d)ri[llid)cn @tant§getr)alt jn beid)rQn!en, QU§]d)Iief^Iid) Don ber
ftörfern 33etDnung ber Siebe ober allein bon ber .Qirdie unb
ber prioaten ^nttiatibe bie 5^enge[taltung be§ [ociolen Sebeng
erwarten ju muffen geglaubt ^aben.
5ntit großem llnredjt jtüar mürbe biefen 9}?ännern ber 95or=
iriurf „mand)c[terlid)er" @e[innung gemacht. @ine joldie 5fn=
flage gefjt über ha^ 9J?a[3 erlaubter .Qritif treit I)inau§ unb
Seigt, tt)ie tüenig bie 5(nflägcr baa Sßefen beg 91fand)e[tert;^umö
einer[eit§ unb bie Intentionen jener «Socialpolitifer anberer=
feits berftanben l^aben. 9^id)t auf bie natürli(^en triebe, nic^t
auf hm 9^aturin[iinct ber (Eigenliebe, sollen jene DJ^änner bie
@efe^e ber 53oI!§tt)irtfd^aft aufbauen. 3!^r 3rrt^um befielet
bielme()r gerabe umgefe^rt in einer aEju ibealen 5luffaffung
be» inenfd)(id)en unb focialen SebenS, tueli^e fie t^ergeffen ließ,
baß bie Siebe äföar bie S^oüenbung be§ ©efe|e§, bie Königin
unter ben Sugenben, ba§ (Snbjiel aller ©ebote, bie f(^ön[te
53Iüt^e unb ^^rudjt be§ focialen SebenS ift, ober in ber gegen=
lüärtigen Crbnung, bei bem fjartnädigen Kampfe ^ttiifd^en gut
unb bö§ im gefallenen 5!}?enfd)en, bei ber elementaren 9J^a(^t
ber ©igenfu^t feine»meg§ al§ ©runblage be» ©efellf(^aft§baue§
ausreidien fann.
©eiüiB f)at bie 93?enfd)f)eit bie Ijeilige ^pfü^t, nad) ben
^öd)ften Sbealen ju ringen, ^e me^r fie ftc§ benfelben nähert,
um fo beffer werben ft(^ unsmeifelfjaft bie focialen $Ber(}ä(tniffe
geftatten. 3e me^r fie fid) babon entfernt, um fo ftärfer
treten bie ©egenfä^e auf, um fo Ijeftiger jetgen fic^ bie focialen
.^rifen. Sarum ift aud) bie freie, unbel^inberte SÖ3ir!fam!eit
132 3W"te§ ßa^ttel. S)te ftaatlid^e 3ted^t§orbnung.
ber ^irc^e öon einer gerabeäu eminenten iöebentung für bQ§
fociale 2Bol)(. ^t)x: (Sinflu^ erftredt [id^ focjar auf ba§ |)er5,
ha§i @ett)i|fen, bie innere 33erboniommnung be§ 'iDienfdjen, bie
hmä) fein poIitijc^e§ @efe^ geregelt merben fönnen. @in öon
ben ©runbfQ|en ber d)ri[i(id)en .^irc^e innerlid) geleiteter Sürger
rairb ganj geroi^ ben gorberungen ber ©ere^tigteit ebenforaol^I
genügen, mz ben ^flid)ten ber Siebe in feiner innern ©efinnung
unb in bem äußern 23erfe§r§Ieben ^. 5(ber nid^t alle S3ürger
netjmen htn ®eift be§ 6^ri[tentf)um§ in fid^ auf, unb bie ©elbft=
judjt, lüeldje foldje Seute betjerrfc^t, roirb fid) nid)t auf eine 3}er=
te^ung ber Siebe be)d)ränfen, fonbern oft gerabe ba§, lt)a§
bem 5?äd)ften gebüfjrt, ni(^t leiften ober laffcn n)oüen. |)ier
mup ber ©taat mit feiner ©efe^gebung bie ©eredbtigteit er=
ättjingen. Sie äußern ^flid)ten ber ©ered^tigfeit finb ja un=
' (Eö gibt alfo ouc^ natf) unferer Sluffaffung ein bo:p))eIte§
$ßanb imjerer gefeßfcfiaftUiiien 23eftimmung : ©erec^tigfett unb
Siebe, lieber bie 3totf)ttienbtgfeit ber Siebe für ba§ gefeüf(^aft=
lid^e ßeben äußert ficf) ber til. %t)oma§ in ber Summa contra gentiles
(ed. Uccellii [Romae 1878] lib. 3 , cap. 130) : Non sufficit pacem
et concordiam inter liomines per iustitiae praecepta conservari,
nisi ulterhis inter eos fundetur dilectio. Per iustitiam sufficienter
hominibus providetur, ut unus alteri non inferat impedimentum,
non autem ad hoc, quod uni ab aliis inferatur auxilium in bis,
quibus iudiget, quia forte aliquis indiget auxilio alterius in bis,
in quibus nullus ei tenetur per iustitiae debitum; aut, si forte
aliquis ei tenetur, non reddit. Oportuit igitur ad hoc, quod se
invicem bomines adiuvarent, etiam praeceptum mutuae dilectionis
superinduci, per quam unus alii auxilium ferat etiam in bis, in
quibus ei non tenetur secundum iustitiae debitum. — ^n äf)nlic|er
Sßeife jagt ^apft ßeo Xlll. in feiner (Snct)fUfa Jnscrutabili" üom
21. Stprit 1878: Cläre innofescit ac liquet, civilis bumauitatis
rationem solidis fundamentis destitui, nisi aeternis principiis veri-
tatis et immutabilibus recti iustique legibus innitatur, ac nisi bo-
minum voluntates inter se sincera dilectio devinciat, officiorumque
inter eos vices ac rationes suaviter moderetur.
1. S)ie ©ered^tigfett al§ ^prtncip ber Drbuung. 133
abhängig bon ber Öefinnung beffen, lüel(^er [ie ju erfüllen
i)at ©ie luerben normirt burd) il)r Object, unb bie[e§ Dbject
i[t ha?> Dtei^t ber oubern al§ ^nbiöibiien unb al§ ©efamtljeit i.
35on ,*[")eiben unb Ungläubigen, bon 2öud)erern jeber 5lrt fonn
unb mu[5 bat}er bur(^ ba§ @e[et^ bie ^Beobachtung ber ®e=
red^tigfeit eüentueü mit ^niam^ geforbert lüerben. Whq bann
ber 6l;ri[t bie 2Ber!e ber ©crec^tigfeit jugteid) au» bem 33en)eg=
grunbe ber 5Jüd)fteuIiebe üerridjten, mag er jogar in mal}rl)aft
d)ri[llid)er ©efinnung, 5. 23. aU 5lrbeitgeber, über ba§ TU^
ber ftrcngen @ered)tig!eit ^inau§, im Sntereffe feiner Unter=
gebenen fid) neue, große Opfer ouferlegen — 'i>a^ 23en)U^tfein,
at§ ebler 5Jknfd}enfreunb , al» jünger 3efu ßljrifli ge^anbelt
ju ^aben, mirb, abgefetjen bon bem übernatürtid}en 2ol)n, fdjon
t)ienieben fein ^erj erweitern unb mit g-reube erfüllen. Stber
man uerlüei^gle hoä) niemals ba§ Sbeal mit ber SBirftid^teit.
©olange bie ftaatlidje ©efetjgebung nid)t im ©eifte ber ®e=
red^tigteit angelegt ift, tnirb burd) bie Siebe ebler Unternefjmer
für ba§ 2Bol^I ber ganjen ©efcüfd^aft feine§föeg§ in au§=
reid)enber SBeife geforgt merben tonnen. 3n einem mand)efter=
lieben «Staate, in einer ©efeüfdiaft, bie \\ä), foroeit ba§ öffent=
lidje 2eben in ^Betrac^t fommt, faft böKig bom 6^riftentl}um
emancipirt ^at, mirb auc^ bie bis jum f)eroi§mu§ gefteigerte
d)riftlid)e Siebe nur bereinjelt ju l^elfen im ftanbe fein, ^^llle
iljre 23emül)ungen finb mie ein 2:ropfen auf Ijei^em ©lein,
aber leine — Söfung ber focialen ^xai^t. 2Ber bal^er au§
ber Ijoljen Sebeutung ber Siebe für ba§ gefeUfdiaftlic^e Seben
ben ©(^luf5 äieljen raoHte, man bürfe bie @efe|e ber liberalen
äBirtfdiaft, beffer gefagt: bie ©efetilofigleit beS 5)Jknd)eftertl;um§,
unbel)inbert fortbefte^en laffen, ber n)ürbe bie ebelfte Sugenb,
jiüar unbelDuf3t, aber t()atfad)Iid), in ben S)ienft ber (egalifirten
?lu§beutung unb be§ plutolratifdien (Sigennu^eS ftellen.
1 »gl. Deftetr. 3Jlonotg|d)iift für ©etea|(i)attä=2Öi?teni(ijaft 1880,
©. 330 ff.
134 3toeite§ ßa^jitef. ®ie ftaatlid^e 9le(|t§orbnun9.
@in S3Iidf auf bie l^eutigen 5ßet^ältm[fe genügt übrigens, um
fofort erfennen ju lofjen, ba§ ni(!)t bie $ßerle|ung ber Siebe
allein bie fociale ^roge gefcfiaffen f)at. S)q§ Hebel [{|t tiefer.
6§ i[t ein ^nmpf um unb gegen bie ©eredfjtigfeit,
um ha^ gunbament ni(f)t bto^ ber 9teic^e, [onbern ber gansen
menfd)[icben ©efellfcfjaft, ber unfcre 3eit beniegt. ßein SBunber
barum, menn biefer ^ampf mit größter Erbitterung gefüfjrt mirb.
S)a§ @erec5tig!eit§gefüt)I i[t bem üJlenfcben angeboren unb mit
[einem gesamten S)en!en unb SBoIIen [o innig bermoben, baf3
ba§ ganje innere \\ä) megen erlittener Ungereditigfeit aufbäumt,
©erabe unj'er beutj(f)e§ 33oIf aber befitit ein befonberS [tar! ün^=
geprägtes @ered)tig!eit§gefüt)I. 2Sieneid)t möd)te hierin ni(i)t ber
lefUe ©runb erblicft merben tonnen, me§()alb in S)eut]rf)Ianb
bie focialen kämpfe ber ©egenmart mit größerer (Erbitterung
geführt merben al» in irgenb einem anbern Sanbe ber Sßelt.
3[t aber bie 2^erle|;ung ber fociaten ®ered)tig!cit ber f)aupt=
fäd^Iidbfte (Srunb ber ge]cü]d)aft(i(j^cn ^Zottjlage, bann mirb bie
Söfung ber fociolen 3^rage nur üon ber erneuten 33eriDir!ü($ung
ber focialen ®ered)tig!eit erfjofft merben bürfen,
Sine 33emer!ung möge nod^ an biefer ©teile geftattet fein,
äßenn auc^ bie bon uua mit attem 5tad)bruc! befämpfte ?(n=
fidjt, )xitl&)t eine Söfung ber focialen S^rage non bem ©efet;
ber Siebe allein ermartet, fdieinbar feljr fdiarf bie umge[tal=
tenbe ,Qraft be§ 6t}riftentf}uma betont, mirb fie bennod) ber
mirflidien S3ebeutung beafelben nid)t ganj unb boH gered)t.
2Bie bie ^ird}e e§ nid^t billigen barf, ba^ ber ©injelne bie
@ered)tig!eit berieft, fo tann fie ebenfomenig fd^meigen jur
^ii{5ad)tung ober 25ernad)läffigung ber focialen @ere(^tig!eit
burd) ben ©taat. ^m @egentl;eil galt e§ in allen 32^^^" ^^^
eine iljrcr fdjönften 5Iufgaben, gerabe bie ?DM(^tigen ber Erbe
über bereu ^flid^ten ber ©efamtljeit be§ SSolfe» gegenüber gu
beleliren unb bie ©taatSlenfer jur Söafjrung ber @ered)tig=
teil in Öefe^gebung unb ^ermaltung einbringlid^ ju ermahnen.
2. ®te i?orberungen ber attgemeiiien ©eref^tigfeit. 135
2. |>ie gfoibcntngen bev att^cmeincn ^erej^ttrjfteif.
1. S)a ber ©taot !eine§tt)eg§ bn§ ganje ©ittengefe^ ju
üerlülr!Iid)en f;Qt, bielmef^r [ic^ feiner nntürlidien Seftimmung
unb 33cfä^igiing naä) auf bte 3]ertt)ir!ü(i)ung be§ 9fie(^te§ 6e=
fd)ränfen mu^, fo toerben an biefer ©teile ntc^t alle fittlidjen
^flid^ten be§ 5D'?enfd)en ben (Segenftanb ber Unterfurfmng UU
ben !cnnen. W\x bürfen in unferer S^rage bte fittlid)en 5(n=
forberungen, tüeld}e bie innere SBelt be§ iD^enfdien, fein 3?er=
I}ältni^ äinn legten fönb^iel, ju ben innern S3egierben unb
(Semütf)§bert)egungen, jur menfd}lid)en @ebrec^Iid)!eit unb 2BanbeI=
barfeit, orbnen foüen, ou^er S3etrad)t laffen. @§ beanfprud)t
für ben ^tugcnblid nur jener 3:(}ei( be§ @ittengefe^e§ unfere
?tufiner!famfeit, föeld^r ben ^Otenfd^en nac^ feinen äuf^ern,
gefelligen ^ejieljungen in§ 5{uge faf^t, if}n in ba§ rid)tige
23erfjä(tni^ ju ben übrigen ÜJienfdjen unb jur ©emeinfdiaft
fe|en foü. @d)Iie^(id) fianbelt e§ fid) and) hierbei nur um
jenes 33anb unferer gefeHfdjaftndien 53eftimnumg, beffen ©d)u^
unb (Srl^altung ben iüe)entlid)ften S3eftanbtt;eil be§ ©taatSsmedeS
bitbet, um 9te(|t unb ©erec^tigfeiti.
@ntfpred)enb ben 53ebürfniffen unb gorberungen ber gegen=
bärtigen ^dt neljmen fditiefjlid) biejenigen @efi($t§pun!te ber
* Cicero, De of'ficiis I, 7: lustitia ea ratio est, qua societas
hominum inter ipsos et vitae communitas continetur. S3gl. auä)
S. Thom., S. theol. 2, 2, q. 58, a. 2 in corp. — „5Rtd^t jebe §anb=
lung, Jüelc^e bog ©ittengefe^ Dorfd^reil)!," fagt 3^reif)err D. /p e r t=
liug (Stuffä^e unb Sieben ©. 84 f.), „!ann ©egenftanb einer re(^t=
H dj e n 9iorm toerben. @§ bebarf baju ... be§ f o c t a I e n 6 {) a=
Taft er § ber §anblung, lueld^er ben ^onbelnben in ßontact mit
ben SOtttmenfc^en bringt, unb e§ mu^ bie §anblung toeiteri^in
mit einem notl^toenbigen 9)lenf(i)^eit§3n)ecle im 3iifan^wen=
I)Qnge fte^cn, fei eß, bafe fie [törenb in feine Slealifation eingreift
unb baf)er reprimirt toerben mu^, fei eä, bafe fie um eben biefer
Siealifation miüen geforbert ift."
136 3tü"teö Kapitel. ®ie ftaatlid^e ^led^tSorbnung.
@ered)tig!eit, tüdä)t \\ä) auf baa materielle, tt)irtf(i)aft=
Hc^e (Streben fiesiel^en, imfere befonbere 5tufmer!fam!eit in
9(nfpru(^.
^Beginnen tDtr mit ben §o^berungen ber allgemeinen @e=
redjtigfeit.
2. ®ie allgemeine ©erei^tigfeit orbnet ba§ SSerljältnife
be§ Sinjelnen jur @efamtf}eit aU foMjer, unb um=
gefeiert ber ÖJefamtfjeit jn ben einselnen ©Hebern.
^üx ba§ n)irtfd)aftli(f)e ©ebiet fommcn bnbei borne^mlic!^
in 33etracf)t bie iustitia legalis unb bie iustitia distributiva.
©rftere, bie iustitia legalis^ forbert bie Unterorbnung be§
priöaten 3nterefje§ unter bie Snterefjen ber ®e[amt(}eit für
ade gäHe, in tt)eld)en ein irbifdieS Sntereffe einjelner 33ürger
mit bem 2Bot)fe aller coüibirt. Sie unjmeifelfjafte 5pflid)t einer
berartigen Unterorbnung i[t i^rer 5latur nad) eine öffent(i(^=
red)tnd)e ^flii^t, menn [ie anä) ^priüaten obliegt unb 5um
grof^en STI^eile auf priüatrec^tlic^cm ©ebiete jur ©eltung fommt.
5(ber ni(|t minber f^ängt bie gebeifjlic^e (äntmidlung aller
focialen unb ingbefonbere ber tt)irtid)aftlid)en 2SerI;äItniffe eine§
2SoIfe§ ah öon ber treuen Sßaljrung ber iustitia distributiva.
S)ie[e öertljeilenbe (^ereditigfeit Derlongt nämlid) ein S)o^peIte§ :
einmal, ba^ bie gemeinfamen ßaften ben Gräften ber Sinjelnen
ent[|)red)enb bert^eilt merben; fobann, ba^ bie (5taat§U)o^I=
t(;aten in einer bem 23erbien[te unb ben 33ebürfni[fen ent*
]|)red)enben SBeife jur SSert^eitung gelangen.
3, SBenben mir äunödjft unfere 5tufmer!famfeit ber iustitia
legalis ju.
3n ber (^riftlid^en 5luffa[fung gilt ber (Staat a(§ eine
5JJad)t, bie if^rer Uniüerfalität megen fic^ über bie engern Greife
jebe§ rein particulären 3Sortl)eiI§ erf;eben fann unb foll unb
barum berufen ift, bie Einfügung unb Unterorbnung jebeS
Sonberintereffe» naä) 9}ta^gabe ber gorberungen bei ®efamt=
moI)Ie§ ju boüäie^eu. 53ei mög(id)fter Schonung ber bereditigten
2. ®ie fjotberungen ber allgemeinen ©ered^ttgfcü. 137
grei^eit unb 5üttononiie foll bie etaatSgcwalt butd^ @e[e|=
gebung unb ^^erftialtung tüiberftrebenbe öfonomifcfie ^ntereffen
Qu§äug(ei(i)en fud^en, ferner bie föirtfc^aftlidien 9ted)t§ber^Qlt=
niffe in einer SBeife orbnen, bafi ber gemeinfd)öbli(f)e
(igoiamu» jurüdgebrängt, ein übermäd)tigeö ^eröortreten
Don @insel= ober öon c^Ioffenintereffen auf Soften ber @e]amt=
fieit öerl)tnbert lüerbe.
5tüerbing§ i[t bie |}fIicf)tgemQ^e ?(ufgobe be§ (Staate^, auf
ber ganjen Sinie be§ tt)irt](|aftHc^en 2eben§ bie ^leußerungen
red^tatoibriger ©elbflfud^t ju befämpfen, fo riefenmä^ig gro^
unb geiuaüig, ba^ |)rQ!tifd) föo^I niemof» ba§ 3^^^ öollftänbig
unb in gefunber, fegeusreidier 2öeife erreicht merben !ann,
wenn bie ©taatSgetüalt nic^t bobei aud^ jene Gräfte jur @el=
tung fommen lä^t, tüelc^e eine ftönbifc^ orgonifirte ®efeü=
fi^aft in \\i) birgt ^.
S)ie corporntibe ©onflituirung be» <gtanbe§, fofern bie
Korporation burdb ©efe^ befäfjigt ift, einen genügenben @in=
flu^ auf ha^ 2Birtfd^aft§Ieben geltenb §u madien, bringt 5U=
näc^ft bie inbiüibueüen 53e[trebungen ber 5(ngef)örigen beS
©tanbe§, if)r inbiDibuelleS 2Bo!^I in richtigen 6inf(ang mit
bem ©efamtrao^t be§ ©taubes.
Sie tt)id)tige unb öerantiüortungSooKe 5Iufgabe be» ©taate»
unb ber ©taat§geraalt bleibt ea bann noc^, at§ uniberfate,
alle ©täube jur tjöfjern Gin^eit be» 5SoIfe§ berbinbenbe 9J^ad)t
bie Sntereffen ber berfd^iebenen ©ruppen miteinanber in Quu
flang ju bringen nad^ DJioBgabe bea ©efamtiooljleä ber
'yiatiou.
^k großen SSor^üge einer berufsftönbifdien Organifation
ber ©efeüfd^aft liegen ju Sage.
Sn einer aufgelöften ©efeüfi^aft bermog ba§ Kapital, toenn
nid^t a\it^ gegenüber ben fc^roädiern ßoncurrenten unb ben
1 Dr. g^r. §i^e, ßa^ital unb 5lrBeü («ßaberb. 1880) ©. 388 ff.
138 Stoeiteö l?apitcl. Sie [taatlidje Otedjtöorbiiunö.
proletattfcl^eu ^Irkitern, [o bod) öiel mef;r, al§ ha^ SBo^I be§
5ßülfe§ berträgt. S)urd) nid)t§ toirb ber mächtigere lla|3itali[t
gel^inbert, in tüilbem 6:oncunenä!ampfe bie fd^ituäc^iern WiU
beirerber 511 bernicf)ten. S[l 06er ber ©tanb corporatib or=
ganifirt, bann tonn, n^enn bie Orgonifation unb iljre 2öirf=
fam!eit eine gute, äioedmöBige, föirüic^ geredete i[t, 5(r6eit unb
©rwerb allen ©tanbeSgenofjen gefidjert föerben.
@6en[o berniögen bie organifirten 5(rbeiter fid) beffere, ber
@erec^tig!eit entfpred)enbe 2(rbeita6ebingungen ju erringen, woäu
bie ifolirten 5lr6eiter abfolut unfät}ig bleiben^.
5)(ud} für bie ^ntereffen ber ßonfumenten i[t in einer
flänbifd) organifirten ®efeüfd)aft beffer geforgt al§ in ber auf=
gelöften (Sefenfd)aft. ß-in geregelter SBettbeföerb bermag burd)
(Sräietung ftätig fortfd)reitenber ©otibität unb ©d)önl)eit ber
^robucte ba§ ganje ©emerbe bauernb in bie §ö^e ju bringen
unb barum mittelbar ben luatjren, materiellen gortfdiritt ber
ganjen (SefeKfc^aft gu förbern. S)ie regellofe Soncurrenä aber
fd)äbigt auf bie ^auer bie ©efamt^eit ebenfofe^r, mie fie bie
tt)irtfd)aftlicbe ©i'iflenj ber ©tanbeSgenoffen jebcn 5tugenblid
in g-rage fteüt. ®er fiegreidje Soncurrent, ber feine Wii=
bemerber glüd(icf) au§ bem ^^-elbe gefc^Iagen, beljerrfdit f(^ne^=
lid) ben 5}kr!t unb beftinunt bie greife. ®a§ confumirenbc
5|3ublifum ^at bann aüein bie Soften be§ Kampfes unb beä
©iege§ p tragen.
9}?an f ann barum oI}ne 3^e^f^i <S t ö d I beiflimmen, menn
er in feiner ©d)rift „Sa§ 6f]riftentl)um unb bie großen g-ragen
ber ©egentoart" sunädöft im |)inbtid auf bie gcmerbüdien
^örperfd^aften fngt: „Sßer für eine neue corporatibe (5;onfti=
tuirung ber gcn)erblid)en ©tönbe plaibirt, ber bertangt bamit,
principiell genommen, nid)t§ anbereS, al§ bafe bie natür=
* ©erabe barin liegt eine getöaltige ^ugtraft ber I)eutigen ©ocioI=
betnofratie, ha'Q jie öon ben inbuftrieüen Slrbeitevn al§ Sßertreterin
i^reö Gtaubeä aufgefaßt wirb.
2. ®ie 3forbctimgen ber affgemeiiien ©crecf)tißfeit. 139
Iid)e, gcfellldjaftlidöe Orbnung tüieberljergefteUt tuerbe,
'ta^ bie a}iec^ani[inmg unb ?ltoinifiriitig ber gefen[d)QftIid)en
©tänbe, tüie fie in ber nbfoluten ©eiDerbefreifjeit jum 5tu§=
brurf !omnit, auffjöre unb bie natürfidie, orgonifd^e Silbung
be§ geieüfdiaftlidjen Körpers lieber ^iü^ gi^eife; bn^ ber
corporatioe Srieb, ber in ber ^iatur ber menfdE)(id)en @efen=
[d)aft unb ber Stönbe, in bie [ie [ic^ gliebert, angelegt i[t,
nid)t länger nietjr getDoUfain jurüdgebrüngt, fonbern bop if^m
öielme{)r mieberum bie Sdjn frei gemacht tüerbe, um [i(^ ju
6etf)ätigen unb it)ir!)am ju ertDeijen. Unb all bie» toieberum
beä^alb, lueil nur unter ber 53ebingung, ba^ bie natürlid^e
gcfellfci^aftlid)e Orbnung in '\olä)tx SBeife reftaurirt toirb, bie
®efenfd)aft roieber in ben ^lu^ einer gefunben
(Sntttjidtung eintreten fann, unb biefeS gefunbe geiefl=
fd^aftlic^e Ceben felbft lüieberum bie unerlöBlic^e ^öebingung
unb 3Sorau§fe|ung einer gebeifjlidien SBoIjIfaf^rt alter
©lieber ber ©efcüfd^aft i[t." 1
4. S)ie iiistitia distrlhuüva, al§ jlüeiter 5ße[tanbt^ei( ber
adgemeinen ©erec^tigfeit , orbnet bie 3}ert^eilung ber
Saften unb 2Bof;(t^aten im «Staate. 6ie ift eine ^f(id)t
ber <Staat§geroaIt unb forbert, ball bie Saften ben .Gräften
ber Bürger, bie 2I3of)(t^nten i^rem iBerbienft unb ben 33ebürf=
niffen entfpred;enb sugetfjeitt merben.
33Dn tjödjfter Sebeutung für ba§ 93o{!»ttiDl}I ift bor allem
bie 2Batjrung ber ©erec^tigfeit im ©teuermefen.
S)er genereQe 9{ed^t§grunb ber (5teueröerpf(id)tung ift, um
«Stal^U 3(u§brucf ju gcbraud^en, „fd)(e(^ttjin bie Untertfjan=
fcöaft. 2öie fold^er ©etbaufmonb im SBefen unb '^votd be§
©taate§ mit ^iot^menbigfeit liegt, fo muffen i^n awö) feine
©lieber aufbringen. S)ie D^ation gibt al§ ©anje» bie W\M
1 aSgl. Sncl^flifa „Humauum genus" (1884) ©. 40 (41) f.
&nicl)!n!a „Reriim novarum" (1891) ©. 68 (69) ff.
140 3f5cite§ .Kapitel ®te ftaatlid^e 9tec^t§orbnimg.
für i^rcn SSenif aU ©tnot, unb jeber Sinjetne mu^ geben,
weil er ©lieb ber ^lation i[t" i. Tlan Ijat biefe mit ber oben
batgekgten organifdien 5Iuffaffung Don llr|prung unb 5lBe[en
be§ Staates jujammen^ängenbe 33egrünbung ber ©teuerpflic^t
ni(i)t gerabe fe^r paffenb „Opferttjcorie" genannt. S^r
gegenüber fte^t bie jogen. „® enuf5t^eDrie" , welche bie
©teuer al§ eine ©egenleiftung für ben ^itgemip ber ©üter
auffaßt, bie au§ ber ©taatyberbinbung für bie einzelnen 33ürger
ober ©onbermirtfdjaften erraod^fen.
®ie ^luffaffung einer 5(bgabc al§ ©egenteifiung für einen
flaatlic^crfeita gemährten 33DrtI)eit tjat iljre 53eredjtigung jur
23egrünbung ber fogen. @ebüt;ren. Ueberaü, n)0 eine ©taat§=
t^ötigfeit nid)t fo fet}r bem 5hi|en ber ®efaintl)eit in glei(^er
2Beife bient, fonbern etnäelnen ^riöaten einen ganj befonbern
5^utjen bor anbern gen)öfirt, ober mo bieje ©taatattjätigteit
burd^ ben SBiüen ober bie ©d)ulb (Sinsetner befonber» beran=
la^t tt)irb, ift eine @ebü(;r al§ Entgelt ber befonbern DJ?üI)e=
raaltung unb al§ erfa| ber l^often julaffig. Sie ©ebü^ren
bürfen um fo p^er fein, je mel^r ber ^ribatbortfjeil be§ ein=
seinen 58ürger§ burc^ jene ©taat§t()ötig!eit geförbert mirb.
©ie werben um fo niebriger fein, je nieljr bie (Se[amtf}eit felbft
ein Sntereffe an bem 3SoIIäug ber ftaatlidien 2:I}Qtig!eit (;at.
S)arum forbert ha§> öffent(id)e @efunbl)eit§= , ba§ Unterrid)t§=
unb Suftismefen bie niebrigften ©ebüljrenfä^e, möörenb ^öljere
©ebüljren bon ber bo(faibirtfd)aft(id)en SSermaltung je nac^ ber
Seiftungöföljigteit ber ^ntereffenten bejogen merben bürfen.
SnSbefonbere mirb bei ber SBertfjeilung ber (5;ommunaI=
abgaben bie 23erüdfi(^tigung bon Seiftung unb ©egenteiflung,
bon Saft unb S^ort^eil eine bered}tigte tRoHe fpielen tonnen,
gür ©emeinbeeinrici^tungen , meiere auSfc^Iie^Iid) im Sntereffe
1 9te(i)t§|5t)tIoyDpr)ie 11, 2, § 121. — LelimkiM, Tlieol. moralis
I, 11.982. — §eIferidE), Slügemetne (&teuerlef)re (in ©(i)ön6erg§
§onbt)ud) ber polit. Oefonomie III [2. 3lufl.], 137 ff.).
2. Sie fjorberungen ber atigemeinen ©ercc^tigfeit. 141
einselner ^Bürger ober ber be[i|enben klaffe getroffen finb,
j. 53. foflfiare ftöbtifc^e ^Sobeeintid^tungen , (ui-uriöfe Stnlogen
u. bgl., tnelc^e ben niebern «Stänben gar nid)t ober !aum p
gute fommen fönnen, f;aben gered&tertöeife nur bie ^ntereffenten
aufsufommen. 5(ef)nlid}e SßorQUöfe^ungen werben äuiüeiten aiid)
in ben gröpern, ftaatli(^en Sßerfjöltniffen fi(^ t>ern3irflidöen.
Somit ift ober feine§lt)eg§ ber Seweia erbrci(i)t, bau aügemein
in ber ©teuer, roeldje jur ^öefriebigung ber flaat(id)en Se=
bürfniffe üon ben Untert^anen ju entrid^ten ift, auöfdjüefelic^
ober aud) nur Dorsug^rocife eine bloBe ©egenleiftung für ftaat=
l\ä)c Seiftungen erblidt tüerben bürfte.
(5§ ttjürbe eine foI(^e 5(uffaffung ber ©teuer itjre prin=
cipielle 6tü|e lebiglid) in ber gänjlic^ un(;altbaren atomiftifd^en
Se^re bom Urfprung unb Sßefen beS Staate^ fud)en fönnen,
a(§ löäre ber «Staat nur eine auf Sßiüfür beru^enbe, burd^
freien 33ertrag gegrünbete ©efeüfdjoft, ber Staatsbürger nid)t
ein burcE) t)öt}cre fittlid)e ^-Pfli(^ten an t)tn Staat gebunbener
Untertf)an, fonbern lebigüd; ein ben perfönli^en ^ortljetl
fudienber, burd) feine 53anbe folibarifc^er 23erpflic^tung mit
ber ©efamt(}eit berbunbener Gontrafient.
5. Ser Staat ba rf jebod^ bieSteuerpfIid)t ber
58 ü r g e r n i c^ t m i 1 1 f ü r I i d) i n 51 n f p r u c^ n e f) m e n. S)a=
mit eine beftimmte (Sinjelfteuer ben gorberungen ber @ere(^=
tigfeit entfpred)e, muf] fie notl^menbig, allgemein, gleichmäßig
üertfjeilt fein.
S)ie @ered)tigfeit berfangt erften§, ha^ bie Steuern mxh
l\ä) not^menbig, b. ^. hinä) ben ^öeruf bes Staates unb
feine bernunftgemägen 53ebürfniffe geforbert merben. 5fnbern=
fan§ ift bie (Steuer ungeredjt, ein unbefugter (Singriff in bie
5ßribatred)tafppre ber einzelnen 53ürger mit allen reditlic^en
Sofgen unb ^^flit^ten, meldie fid) auc^ fonft an bie red)t§=
mibrige Qjermögenäfc^abigung für bie Sd^ulbigen ju fnüpfen
pflegen.
142 3tocite§ ßopitel. S)ie [iaatltc^e ^Red^tSorbnung.
2)te ©teuer mu^ stüeitenS oH gerne in fein, b. f). alle
öfonomifd^ felbftänbigen ©taatöongel^örigen, fofern biefelben
burcb bte ©teuerleifiung nid^t in i^rer ©ilftenj bebrofit ober,
fei e§ auf ©runb eine§ loofifermorbenen f)iftonf(f)en 9{ec^te§,
fei e§ äur ©ompenfation anbemeitiger, bem Staate über bie
©renken ber ^\l\ä)t t;inau§ geteifteter ®ienfte, mit 9tec^t gan^
ober t^eiltneife befreit finb, muffen jur 3^Wung ber ©teuer=
abgaben (jerange^Dgen merben. 2öo ber tteine WitkU unb
So^narbeiterftanb burrf) inbirecte ©teuern bereits unüerpttni^=
möfjig ftar! belaftet ift, fann bie Steuerfreiheit be§ „@jiftenä=
minimumS" gelüiB mä)t al§ eine S^urcfibrec^ung be§ 5princip§
ber 3tIIgemeintjeit gelten. Hbfolute ©teuerfreitjeit jebod) bürfte
roof)l nur bie aud) p minimalen Seiftungen unfähige 5Irmut
beanfprucfien tonnen.
(Snbüc^ foü aud) bie ©teuer gleid;mäj3ig üertt}eilt unb
erlauben werben. 9)ZDnte§quieu I^at einmal gefogt: „3ur
Seftimmung feiner ^a&]z mirb meljr 2Bei§l}eit unb I?lug6eit
erforbert al§ jur S3eftimmung be§ SljeilS, ben man ber 5?a=
tion nimmt, unb be§ 2;§eil§, ben man iljr lä^t." ^ S)o§ bleibt
nid^t nur mafjr, menn man bie Söirhmgen ber ©teuern in
ö!onomifd)er l^'^fic^t in§ 5luge fafet, fonbern audi unter ber
alleinigen 9Jüdfid)t ber ©ercd^tigfcit.
@ered)t märe jebenfaKs ein ©teuerft}ftem nid}t, meldte»
oljue 9tücffid)t auf bie inbibibuelle 23crmögen§lage, auf bie
üerfd)iebene ©teuerlraft, jebem ©toat§angel)örigcn ben numc=
rifd) gleichen ^Betrag abnel^men mollte. Semgegenüber
bcljielte 5J?irabeau§ SBort feine ©eltung : ^'opffteuern foHe man
ben ^ferben, nid^t aber ben 93?enfcE)en auflegen.
9iein, nid)t bie rein numerifd^e (Sleid)l)eit, fonbern eine ber
2eiftung§fä[}igfeit entfpred)enbe Selaftung entfpric^t einjig unb
allein ber iustitia distributiva , meldje ba§ gemeinfame ^o^
' De Fesprit des lois 1. 13, cb, 2.
2. Sie tJürberungen ber otlijentemen ©eredjtigfeit. 143
[tiilat jeber ©erei^tUjIeit, ba§ „suum cuique", aud) auf 'ba^
©teuevmefen übertratjt: Gebern bie Saft, bie er nad) feinen
iubiöibuellen SBer^üItniffen , nad) feiner w i r t f c^ a f 1 1 i (^ e n
2eiflunc3§fäf)igfeit gu tragen im flanbe ift, tüie nmgeM)rt
ein jetjüt^er feinerfeit§ al§ StaatsMirger öerpflic^tet ift, im
SSerl^ältniB äu feiner rairtfc^aftlidien ^raft ju ben Saften beä
©taatea beiäutragen.
6. 2)ie genauere Sefpred^ung be» ^rincip» ber @Ieid)=
mäßigfeit in ber 33ert^eilung ber ©teuerlaft er^eifc^t ein (5in=
gef;en auf bie miditigfte Unterfd;eibung ber (Steuern.
'^Jlan t^eilt bie Steuern in birecte unb inbirecte ein.
3u ben birecten ©teuern »erben in ber 5praj:i5 all=
gemein bie @infommen=, ^Iaffen=, ®runb=, @ebäube=, @eiDerbe=
fteuern gered)net.
'inbirecte Steuern nennt man bagegen namentlid) bie
t)erfd)iebenen 5Irten üon 5^er6raud^§fteuern , feien ea innere,
b. (). beim intünbifdien ^robucenten erljobene 93erbraud}§fteuern
auf <SaIä, Sabaf, S^idix, föetränfe u. f. w., ober bie in 5IRo=
nopolform erl^obenen 5ßer6raud)§fteuern, ober enblid) (Sinfu^r=
äöQe, tt}eld)e naä) ^Ibfidjt be» @efe|geber§ bie au§(änbifrfjen
'^robucenten betaftcn foüen.
2;ie 2;^eDrie Derbinbet mit bem ücamen birecte besio. in=
birecte Steuer ntdjt immer benfelben Segriff.
3m ^Infd^IuB an 9t au nennt 51 b. SB agner „birecte"
Steuern fold^e, bei benen bie gorberung ber Steuerjatitung
fic^ unmittelbar an biejenigen ^erfonen riditet, meldie ber
@efe|geber belüften tt)ifl. §ier ift ber Steuerjal^tenbe ^iig^ki^
ber 53e(aftete ober ber Steuertröger. SBerben bagegen Steuern
üon '^erfonen geforbert, bie fie nac^ ber 2(bfid)t ber Staata=
geiüalt nic^t felbft tragen, fonbern auf ben eigentlidjen Steuer=
tröger „übermalten" follen, bann fpriij^t man bon mittelbar
erhobenen ober inbirecten Steuern. S3ei ben 33erbraud)öfteuern
ä- 53. fjanbelt e» fid) um eine 33efteuerung bon SBaren, mobei
144 Sttieiteö ßa:|3itel. Sie ftaatlid^e ^led^tSorbnung.
e§ offenbar U\ä)tn i[t, bie ©teuer bom ^^robucenten ober 3Ser=
fäufcr, al§ Don ben jafilreidien ©injenäufern 511 erficben. (Skid)=
roo^I muffen bie Käufer bie ©teuer tragen, inbem i^nen ber
5prei§ ber SSare um bie ©teuer erljö^t trirb.
^ier ift alfo bie birecte ober inbirecte 33etaftung be§ eigent=
liefen ©teuerjafjlera ber (Sintl^eitungagrunb gemefen.
^nbeffen aud} ba§ abminiftratiö=tec^ntfd)e 3?erfa()ren ber
^Veranlagung ber ©teuer bietet einen bon naml^aften 5^ationoI=
öfonomen, irie ^^teumann, neuerbingS Oon 51b. Sßagner u. a.,
anerfanntcn @int|cilung§grunb. ^eninad) fjei^en „birecte"
©teuern fold^e, meMje nad^ einigermaßen fcflfteljenben %^at=
fadien be§ @rtt)er6§, be§ 33ermögen§, be§ (SinfommenS u. f. fö.,
bal^er borneljmlirf) nad) ^ataflern beranlagt merben fönnen;
„inbirecte" bagegen folc^e, bie bon sufäHigen Sljatfadjen unb
|)anblungen abfjängen unb ba()er nad) 2;arifen beranlagt unb
erhoben merben. Sie inbirecten ©teuern treffen nic^t im bor=
au§ beftimmte einzelne ^erfonen, fonbern jeben ^Beliebigen bann,
aber aud) nur bann, menn er beftimmte 5tu§gabcn mac^t, 5. 53.
eine Söare tauft, auf toeli^e iia^i @efe| eine ©teuer gelegt l^at 1.
7. SCßelc^e 51 rt ber S3efteuerung ift nun am beften ge=
eignet, eine ber mirtfd}aft{id)en 2eiftung§füt)igfeit ber (Sinjelnen
entfprec^enbe ^etaftung {}crbei3ufü()ren ?
b. ©djüffte bejeidinet bie birecte @in!ommenfteucr
„allein unb allgemein angemenbet" al§ „ba§ boIt§mirtfd)aft=
lidje Sbeal". ©ie ftört nirgenbmo ba§ eigentliche (5rmerb§=
' 95gt. 21 b. Söogner, ^^"lansnnffenfd^aft II (2. Sluft., ßeipaig
1890), 237 ff. - Stcmpelgcfätlc, ©ertdjtSfoften founc fonftige Sajen
unb ©ebü'^rcn Serben suuieilen 3U ben inbirecten «Steuern gercci^net,
l^iiuftger jeboc^ neben bie birecten unb inbirecten ©teuern unter ben
91amen „©ebü^ren" geftettt. — § off mann (ße^rc bon ben ©teuern
[SBerlin 1840] ©. 71) nennt bie ©teuern auf ben 33efi^ birecte, ouf
§anb(uugen inbirecte. — SSgl. nud) b. ©d) äffte, ®ic ©runbfä^e
ber ©teuerpolitif (Tübingen 1880) ©. 58 ff. 75 ff.
2. S)ie Sforbcrungen ber attgemeinen ©ered^tigfett. 145
leben unb i[t i^ver Ütatur naä) am beften ju einer gleid) QUa=
t^eKenben 33e(Q[tiing beS äJoIfe^ geeicjnet. S)enn „toenn aud)
bie 2(rt unb bie ipölje be§ ßintomnien» nldjt allein ben 9)laf5=
[tob ber trirtfdjaftlidien SeiftungäfQfjigfeit barftellen, bielmefjr
tiubere bie le^tere beeinfluffenbe 5)lomente baneben berüdfid^tigt
lüerben muffen, [0 finb fie bod) mit 9led)t a(§ ber midjtigfte
unb l^raftifd) am einfad)[ten anjumenbenbe 5Jb^[tab bafür
gegenmörtig anjuerfennen" ^.
2)as ^rincip ber (SIeid)mä^ig!eit forbert batjer eine foId)c
23ertf)eilung ber Steuern auf bie Pflichtigen, hafi biefelben nod)
bem 33erf)ältniffe i^rer, im reinen ©infommen fid) barflellenben,
feraeiligen ©teuerfraft betaftet roerben.
S^er ©erec^tigfeit burc^Qu§ entfpred^enb ift e§, menn bei
ber Semeffung ber Steuern nid}t b(oB bie ^ö^e, fonbern
ebenfo auc^ bie 5lrt bc§ @in!ommen§ berüdfid^tigt luirb.
©0 Derträgt 5. S. boa böüig arbeit§Iofe (Sinfommen, ber
®Iüd§geiDinn, b. i. ber ^yniib ober ©pielgett^inn, eine ]'tär!ere
^efleuerung mie ba» (Sinfommen, ha^ fid) al§ „ermorbene»",
b. i. erarbeitete», barftedt^. 2!ie 5{rbeit i[l ber naturgemäße,
regelmäßige 2öeg jum 53efi^, §ug(ei($ ber beftbegrünbete Sitet
be§ ßigent[)um§, bie innigfte 3>ertnüpfung ber ©ai^e mit ber
^erfon. 3*üar trerben innerl)alb einer auf ßigent^um ge=
grünbeten @efeüfdjaft§orbnung immerfjin gälte eintreten tonnen,
bie aud) einen arbeit§(ofen ©riüerb al» geredjtfertigt erfd^einen
laffen. ^lüein man loirb es oI§ billig unb geredet anerkennen
' 2t b. 2Bagner in 6(^önberg§ §anbbu(^ ber ^jolit. Defo=
nomie III (2. 2luf(.), 296. — 3" jenen „anbern, bie ßeiftun9äfä^ig=
feit" beeinträrf^tigenben 5Dlomenten ge()ören 3. f8. große ßinberja^I,
9}erpfti(^timg jum Unterhalt armer Slertoanbten, ßrauf^eit, UngIü(I§=
läüe u. bgl. S)iefelben getoä^ren älüeifelgol^ne einen 2tnfpru^ auf
©teuerermä^igung.
^ 3}g(. Dr. $Rob. ÜJtet)er, 2)te 5principien ber geredeten 93efteue=
rung (Sertin 1884) ©. 353 ff.
5peid^, 8t6cratt§mug. I. 2. Stuft. 7
146 3tocitc§ ßa^itel. ®ie ftaatUd)e 5Re(J)t§orbnung.
muffen, bo^ bann ber normole, naturgemäße (Srtoerb butd)
?Ir6eit innerI)Qlb be§ @teuerft)ftem§ boc^ öor bem Qu|erDrbent=
üä)m (Srtrerfte beuorsugt ttjirb.
®a§feI6e ^rincip Mjali feine ©eltung ebenfalls für einen
Srtt3erb, ber ^\dax nii^t böüig arbeitsloa ficf) üoüsiefit, beffen
|)öf)e aber in gar feinem 35erf)Qltniffe fte^t ju ber geteifteten
9(rbeit, öielmefir auf eine glücflic^e (^onjunctur, auf allgemeine
Urfadien unb 3>erljältniffe fid) jurüdfüfirt. ^ierfjin gel^ört ber
(Jonjuncturengelüinn übert^aupt, gan^ befonberS aber ber <Bpt=
cuIationSgeföinn an ber 33örfe.
5tnber§ berl}ält e§ fid) jebod) mit ben Srbfi^aften. SSorab
!ann bic ©rbfc^aft innerfialb ber näc^ften 5Bern:)anbtfd)aft§=
grabe überljaupt nicbt nad) 5Irt eineö arbeitÄfofen ®(üd§=
getüinnea beljanbelt werben, unb fe^(t !)ier, abgefef)en bon ben
@rbfd)aft§gebü[)ren für Urfunben u. bg(. , jeber iRed)t§grunb
für eine befonbere 6rbfd)oft§fteuer. S)ie näcfiften (Srben finb,
lüie ft. ©(Raffte mit 9?e(^t betont, „nac^ ben @runbberl}ält=
niffen ber jetzigen ©efeüfdjaftsorbnung lebiglid) bie t^ortfe|er
ber 5perfönlid)!eit unb ber @efd)öfte ber Altern unb ©ropeltern.
^s^re ©rbtijeite finb nid)t neue 25ermögen§äugänge , fonbern
©plitter eines fc^on gebilbet geiüefencn, bem gamiliensinede
burd) alle (Generationen gemibmeten 33ermögen§" i. 5lber anä)
bie ©rbfdiaft aufjerlialb ber nilc^ften 9]eriDanbtfd)aft§grabe !ann
nid}t genau fo mie ber ©(üdägeluinn betradjtet unb befjanbclt
merben. „Sie iuriftifd)e 5Iuffaffung, lueldje ben (Srben über=
^aupt al§ gortfe^ung ber ^perfon be§ (5rbfaffer§ anfieljt, I;at
and) in mirtfdiaftlic^er S^e^ieljung ifire 58ercd}tigung. Ser @rbe
überninnnt einen ©ütercompleg, beffen 53eftimmung ala ß'apital
bereits böüig ausgeprägt ift. . . . Sarum fann für bie S3e=
fteuerung ber (Srbfdjaft niemals bie 33efteuerung beS @in!om=
mens hzn 93ergIeid^ungSmaf5ftab bilben. 2)aS Sinfommen beS
ö. ©d)ätfle, ®ie ©runbfä^e ber ©teuetpoliti! @. 510.
2. Sie gorberungen ber attgcmctncu ©ered^tiglett. 147
@rben toirb nur inu ben Ertrag ber ßrbfd^aft bergrö^ert.
5)iefer Srtrag aber unterliegt (in gufunft) tuie jebes anbere
(Sintommen ber 33c[teuerung." ^
(Sine bejonbere (Srbi'd^aftSfteuer bei eintritt ber (Srbfc^nft
feiten§ eine» entfernten 33ertDQnbten ober gremben tüirb bal^er
allein al» anticipirte ^}Ze(jrbela[tung be§ Srtrage» einer foldien
ßrbic^aft im 33erf)äItniB §u fonftigem, burc^ Arbeit „ertt3or=
benen" (Sinfomnien ficb geltenb niad)en fönnen. ®ie barf,
loie 9tob. 53^ei)er »erlangt, f}ö elften» jo biet betrogen, oI§ ba§
„nic^t eriüorbene" ßinloinmen gegenüber bem „erworbenen"
ftürter befteuert werben joK, gleidjfani bie fapitalifirte "^Mjx^
belaftung be» in Sutunft au» bem ererbten Vermögen ju
äicijenben 6in!ommen§ barfteüen. (Sine ^Ibftufung ber Grb=
[teuer nod^ SBeriüaubtidjaftsgraben erfdjeint fiierbei ber ©ere(^=
tigfeit angemeffen.
(Snblicb braud)t faum erwäfjut ju werben, boß temunera=
torifc^e Segate an bie 2;iener]'d)aft , ba§ (^efinbe unb Beamte
be§ @rblaf]er§, wetdje geiüifjermo^en als nai^träglidje ^e{Dl}=
nung für geleiftete S;ienfte erfdieinen, bißigertoeife befjanbelt
werben muffen wie jebe» anbere hmö; 5Irbeit erworbene 6in=
fommen.
ßbenfofer^r wie bie p:^ere 23efieuevung be§ „nidjt erwor=
benen", meljr ober minber arbeit§Iofen @in!ommen§, entfpridjt
bie 9:)ieljrbe(aftung be§ fogen. funbirten (Sintommen»
ber ©eredjtigfeit.
S)a§ ni(^t funbirte (Sinfommen ifl ba§ @in!ommen ou§
ber SSetptigung ber perfönlidien 5Irbeit§!raft ; ba§ funbirte
bagegen ade» 6in!ommen, welcbe§ mit 3ulji(fenat)me bes eigenen
1 3lob. Tlt^tx a. Q. £). ©. 357. — ü. ©c^öffle, Sie ©runb=
fä^e ber Steuerpotitil <B. 471 ff. — S)ie bort aSagner unb Um)jfen=
haä) dertretene 5tnfi(^t, toelc^e bie grbfteuer aUi 2tuöf(u& eiiie§ ftaat=
lid^en 5Dciterbre(|te§ auffafet , ift unffeuftiiaftlidj unliegvünbet luib
praftifd^ fe'^r beben!Ii(|.
148 3toeite§ ^a^Dttel. ®ie ftaatlid^e 3fle(|t§orbnung.
58efi|e§ erjielt tüirb, |o boS 9ftentenein!ominen au§ ^at)ital=
6e[t|, Qu§ $ßerpQcf)tung bon ©runbftiicfen, Don §anbel§= ober
©elüerbebetrieben , ferner (Siniommeit au§ bem @el&[lbetrteb
bon 2anbtüirt)'d)Qft, ^^anbel ober ©eloerbe mit eigenem S3e[i|.
Söä^renb 'i)a§, @in!ommen au§ ber ^kbettsfraft bon bieten
3ufQÜig!eiten abfängt, mit ber (Sefimbl^eit unb ben ar6eit§=
fähigen ^üf)xtn abnimmt ober gar aufprt, erfrent fid) ba§
©infommen au§ bem 5ßefi| einer großem seitlichen 2)auer=
(jaftigfeit. S)a§ @in!ommen ber 5lrbeit fjot ba^er bie 3Iufgabe,
ni(^t bIo[5 ben gegenwärtigen 53ebürfniffen ju bienen, fonbern
mu| aud) für bie S^'it ber 5{r6eit§unföf)igfeit unb be§ ?tlter§
bie not^tüenbigen ©ubfiftenjmittel fid^erfteüen. ®iefe unb ätin=
üä)t gtüd[id)ten laffen aber offenbar ba§ iöf)rUd)e @in!ommen
an^ ber 5lrbeit al§ weniger Ieiflung§faf)ig für (Steuer^aiilung
er[d()einen mie ba§ funbirte ßinfommen.
8. 5(bgefe()en bon einer 93erücfftd)tigung ber berfd)iebenen
5(rt be§ @infommen§ in einzelnen befonbern ^^-ällen, entfd)eibet
für§ allgemeine über bie §ö^e ber ©teuer natürtid^i bie §öf;e
be§ (5in!ommen§.
|)ier6ei fommen jtoei @t)fteme in Setrod^t: ba§ ©t)ftem
ber progreffiben unb ba§ ©l)ftem ber proportionalen
^efleuerung.
2e|tere§ glaubt bie burd) bie (Sere^tigfeit geforberte „gteid)=
mäßige" Sefteuerung nur bann gemafjrt, wenn ein jeber bie
gleiche Quote feine§ @infommen§ al§ ©teuer gu jatjlen 1:)ah^.
53ei ber progreffiben ©infommenfteuer bagegen fteigt ba§ ju
entrid)tenbc ©teuerprocent mit ber ^öf)e be§ (5infommen§ ^
©ans rid)tig f)at ©l). 23obin bemerft, bie ©nt[d)eibung
in ber S^rage nac^ proportionaler ober progreffiber 23efteuerung
l^önge tcefentlid) bon ber Sntfdieibung ber anbern ^^rage ah:
^ ©0, Jüenn 3. 23. ba^ erfte Soufenb mit P/o/ baö älneite mit 2%,
bn§ britte mit 3% burdj btc ©teuer in Slniprurf) genommen Juüvbe.
2. S)te S^orberungen ber attgemcinen ©eredjttQicit. 149
tüeld^er 5trt bon ©erec^tigfeit bie allgemeine @teuer|)f(id)t untev=
liege. 3ft bie ©teuer Uo\] eine 33crgeltung ber öffentlidien
5(ufn)enbungen, bie im ^ntereffe ber 23ürger gefd^e^en, nur ein
^(equiüalent für bie ge[ell){f)aftlid)en 33ort^eiIe, bie ber Sürger
al§ fo(d)er geniest, bann mufj ein jeber bie öffentIicE)en Waffen
in bemfelben 55er|ä(tni[fe mit feinen 5l6ga6cn fpeifen, in rotU
d)em bie öffentlid^en 5lu§ga6en ifjm ^um 33orti)ei[e gereichen,
b. i. alfo (arit(;metifd)) proportional ju feinem SSermögen.
SBenn mon aber bie <SteuerpfIid)t nic^t auf bie iustitia com-
mutativa jurüdfüfirt, fonbern auf bie legale unb biStributine
©ered^tigfeit , auf bie perfönüdje ^flidit bc§ 33ürger§, feinen
Gräften entfpredjenb für bie Seftreitung ber öffentlichen 5Iu§=
gaben beijutragen, bann mup ein jeber eben naä) bem DJ^a^e
feiner mirtfd^afttidjen SeiflungSfä^igfeit «Steuern entrid)ten 1.
3ur red)tlid)en 53egrünbung ber ^U-ogreffion bient bie
unbeftreitbare S^atfad)e, ,M^ bie ,n3irtf^aftlid)e 2eiflung§=
fa^ig!eit' in flärterem ^er^ältnif} al§ ba§ ßinfommen fteigt,
inbem mit ber 3}ergröf5erung be» le^tern ba» ,freie' @infom=
mcn, felbft neben befferer Sebürfni|befriebigung , . . . eine
immer grii^ere Quote be§ (SinfommenS auSmaii^t" 2. '^r\o
nid)t etma ber Hmftanb, ba^ ber 9}finionär ben pfjern 5|3ro=
ccntfa^ ber ©infommenfteuer faum fo „fü^It" mie ber 2:og=
löfjuer ben geringern, redjtfertigt bie ^rogreffion, fonbern bie
I)öt}ere 2eiftung§f ü^igfeit, ha ber ^J^iüionär, bei „ftanbe§=
gemäßem" Seben unb fogar reid)üd)er 33efriebigung aUer feiner
bernunftgemä^en 53ebürfniffe , aud) tljatfäd^Iid) ben relatib
großem ©teuerbetrag leidster für ben <Btüat erübrigen fann
als ber arme Sofjuarbeiter ober |)anbmer!er ben geringern
33etrag s.
* SSgl. Bei dir. Antoine, Cours d'Economie sociale p. 122 s.
^ 2t b. 2öagner bei ©(^önberg a. a. D. ©. 300.
^ 91eumann, ®te progreffitie ©tnfomtnenfteuer (ßetpäig 1874)
©. 142. — §Rob. 3Jte^er (a. a. O. ©. 332) tottt bie ?(Tgumentation
150 3toeite§ ^apittl. S)ie ftaotlid^e ?Red^t§orbnung.
S)ie 5progre[t'ibfteuer Utü'nit olfo eine berfdiiebene ^e[leue=
rung ber 6in!ommen je naä) i^rer (Srö^e. 5lIIerbing§ mag
e§ firmer fein, einen feften 5D^af)ftaB für bie ^rogreffion ber
@teuerfä|e p finben; bie(mel)r toirb fie, wie ^tenmann ^er=
borfjebt, „nac^ bem Umfange menf(^Ii(i)er ^roft ftet§ mill!ür=
üä) bleiben; fie mirb ober tro| biefer SBiüfür unter ben 25Dr=
au§fe^ungen erljebli^er ©teuerlaft unb Bebeutenber 33ermögen§=
unterfd)iebe immer nod) ben -Borjug l^aben bor ber ni(i)t iriiö»
fürüc^en fc^reienben Ungerecfitigfeit ber proportionalen ©teuer" i.
S)ie ^rogreffion ^at felbftberftänblid^ if}re ©renje unb barf
feine aHju f^roffe fein. 2)ie 53ef;auptung aber, hü^ jebe ^ro=
greffion notljmenbig ju bem ungereimten (Srgebniffe einer
lOOprocentigen ©teuer fütjren muffe unb fomit fdjlie^tidj ba§
gan^e @in!ommen abforbiren mürbe, mirb Ijeute mo^I bon
niemanben mefjr ernft genommen 2.
9^euntaiin§ ttid^t gelten laffen. SiefetBe fül^re ju ber ?R a u fi^en 9?ein=
ein!ommen§t^eoTte prüd, rechtfertige aBer tiidjt bie eigentliche 5pro=
greifiüfteuer. @r ftü|t bie Sßerectitigung ber ^Drogreffiüen Jßefteuerung
in anberer S^orm auf ba§ ^rincip ber Dpfergleid^^eit : „Solange man
fpcctett bie Bei ber tec^nifd^en ©infommenfteuer gelüö^nlid) in Setrai^t
fommenben Ouoten öon 5 — 10% inä Sluge fa^t, toirb man fict) faum
ein Beftimmte§ Urttjeil barüBer Bitben fönnen, oB ba§ öou einer foIcEien
©teuer Bei öerfifiiebenen ®intommen§grö^en rjeröorgerufene Opfer
gleicC; ober ungleicf} gro& ift. dagegen fann bie ©ntfd;eibung m($t
ätoeifel^aft fein, foBalb man an größere Sinfommen^aBäüge, 3. S5.
'/2— \3 ^e^ ©intommenä, benit. Ser 2Jlann, ber öon 1200 ©ulben
®in!ommen auf 800 ober 600 Befdfiränlt wirb, mu§ feine Sebi'irfniffe
gegen btn frül)ern 3u[ta"b mef)r einf(i)räu!cn a(ä berjenige, ber oon
2400 ßntben auf 1600 ober 1200 rebucirt n)irb. . . . Sfnfofern nun
ber ©difu^ gere^tfertigt ift, bafe auc^ bie Sßirfung einer geringern
©cEimälerung beä ©infommenä neri^ältnifemä^ig biefelBe Bleibe, lä&t
fic^ Behaupten, ba§ baö ^rincip ber Dpfergteidj^eit bie progreffilpe
33efteuerung lierlange."
' iUeumann a. a. D. 8. 149.
^ 2ln Steüc ber ^Progreffiofteuer tuirb otelfac^ bie ©egreffion
empfo^^ten; ba^j 3)egreffilifteuerfl)ftem Befte()t barin, bafe man einen
2. S)te iJorberungcn ber oügemeincn ©ered^tigfett. 151
9. Sn legtet ^t\t- ift bie ^yrage toiebcrum biclfcni) t3cntilirt
tnorben, ob neben ber @in!ommen[teuer noc§ eine 93ermögen§=
[teuer bom ©tanbpunfte ber ©ered^ttgfeit ^uloffig fei.
S§ begreift ficf), baß bie befifienben klaffen nid)t oljne $8e=
benfen 511 einer foldjcn Steuer fic^ üerftefjen tonnen. 9?ainent=
lid^ bie ^onbeI= unb geföerbetreibenben ^perfonen fd^euen mit
9tü(ffi(^t auf ben ^rebit bie t'^unbgebung if}re§ tüetfifelnben
Sermögenöftonbe» nod) met)r tüie bie ju einer bernünftigen unb
tüirtfonien ßinfoinmenfteuer tnefentlic^ geijörenbe S)eclQratiDn§=
pflid^t l^infid^tlid^ be§ jöf^rlid^en ©eibinncS 1.
feften ©teuerfa^ annimmt nnb biefen für bie fleinern ©in!ommen§=
großen ermäßigt. S)ie ©renje , toon ber abtoärtg ber ©teuerfufe
niebriger irirb, Bilbet ein relatiu mäßiger ©tntommenSbetrag, fo ha%
Qlfo nod) bie grofee DJtaffe ber ©leuerträger bem gletcfien Steuerfufe
unterliegt. Ser 9ied§t§grunb für biefe Srleic^terung ber fleinern ©in=
lommen ift berfelbe, toel(^er für bie ßoQftänbige ^Befreiung ber Un»
tiermögenben f:pri(f)t. „5JluB man biefe aU unfäl^ig, üfceri^aupt eine
birecte Steuer 3U tragen, Begeitfinen, fo mufe man oud^ confequent bie
i^nen im ginfommen naä) olienfiin aunäcEift Stel^enben für relatiü
minber Ieiftung§fä(iig erftären aU bie 3}ermögliifiern" (öelferid^
in @($önberg§ öanböuc^ III. 148 f.). — gur S^rage ber ^ro=
greffiöfteuer Dgl. aud^ 2t b. Sißagner, lyinansrciffenfd^aft , II. S^cil
(2. 2tuf(., Seipäig 1890), ©. 428 ff. — ltebrigen§ iuürbe felfift aud^
eine ftörfere ^rogreffion bort gerei^tfertigt erfdjeinen, lüo für bie
2ßaf)Ien ba§ STciffaffenft)ftem Befte:^t. ®a§ ber ÜtcicEie mel^r «Steuern
be3a:^It Um ber 3trme , ift nocf) fein „^Berbienft", fonbern lebiglid^
$ffic^t. ©in „Serbienft" läge nur bann üor, wenn er über ba§ }3flit^t=
mäßige Cuantum :^inau§ fid^ mel)r belüften liefee. ®rft für eine
fold^e 3[}tel^rbelaftung fönnte t)ieüeidf)t ben befi^enben ©tönben al§
foltfjen bonn aucFi ein größerer Sinffufe auf ba^ )3oIitifd^e Seben ge=
toäl^rt tterben.
^ fjür bie S>ermögen§fteuer gilt naä) ben ^teformgefcfeen in ^Preußen
ftatt ber nrfprüngfit^ geforberten obligatorifd^en JöermögenSanseige
bie facultatioe. Soc^ ift ben SSeranlagungöbcfiörben tDenigften§ bie
ÜJlöglid^feit gegeben, eöentuelf einen SrudE jur ©rinittefung ber 2öaf)r=
I)eit üben ju fönnen.
152 3weite§ l?Qpttet. Sie ftaatüc^e DtecfitSorbnung.
^(eicf)lcof)I bürfte bie dJl i q ii e I ]d}e (Steuerteform für
^^reu^en, mit ifjrer S^ermögenSpeucr bon V2 P^o Wiüt, dorn
<StQnb|3iinfte ber ©erei^tigfeit einer 5Infed)tung nid)t unter«
liegen. 5{6ge[ef)en bobon , baß Ijierburd) ba§ funbirte @in=
fümmen, bie 5Bermögenanu|ung, flärfer Ijerangeäogen lüirb ata
ta^ nici^t funbirte, barf bie neue „ßrgänjung^fteuer" aud^ in=
fofern 5(ner!ennung finben, al§ bciburd) "üa^ bebeutfame ^rin=
cip in bie (Sefe^gebung eingefüfjrt föurbe, bo^ ber Sjefil al§
fotd^cr fteuerpflid^tig fei. „2)a§ S>erinögen ift", toie Dr. 3a=
firofö f)erüorI)e6t 1, „ba§ breitefte Cbject, met^ea einer ©teuer
fid) barbieten tann. @d)Dn qu§ biefem (Srunbe barf bie 8teuer=
berfaffung großer ©taoten biefeS Object auf bie S)auer ni(^t
au^er ac^t taffen. 5tu§ bemfelben ©runbe ift ein Ueberblid
über bie ©ruppirung unb 5ßertf)ei(ung ber 33erniögen nii^t nur
im Sntereffe ber [taatltd)en g-inanjen, fonbern im S"tereffe
unferer gefamten 3Birtf^aft§püIitif münf(5^en§mert{), ja gerobeju
unerlößlid). ^eine Steuer ift ferner fo geeignet, ben 33ef{^en=
ben tiü?> @efüt)( für if}re ^^f^id^ten Dor 5lugen ju tjalten, mlä)t
i^nen ber Sefi| auferlegt, al§ gerabe eine ©teuer, bie ba§
^^efi|t|um q[§ foI(^e§ gum ©teuerobject inä^Ü." 2)aäu fommt,
bap eine berartige SermögenSfteuer Cbjecte unb ^erfonen trifft,
bie fünft nid^t in gebüt)renber 2Beife jur SDedung ber gemein=
famen Saften herangezogen mürben.
2Si(bpar!§, Suftgärten, ©runbfiüde in ber 9?a§e großer
©tcibte, meld;e ber @igentt}ümcr unbebaut liegen lü^t, um fie
im red)tcn 5(ugenblid mit um fo größerem (Seminn ju öer=
taufen, merfen fein fleuerbarea (Sinfommen ah. 5lber ertraglo»
finb fie nid^t. 2)enn aud) ber ©enuf^, ben ^arfanlagen u. bgl.
bem 33efi^er gemätjren, barf a(§ ein Ertrag bejeidinet merben,
nod) me^r aber bie jäfirlid^e Söerttjfteigerung bei bracfjliegenben
©peculattonägrunbftüden 2. 5luc() ber reid^fte 33anquier enbüd^
' 3n§. 33raun§ .©ocialpolit. gentralblatt" II, 3lx. 15, ©. 175.
2 (Bbh. £. 173 ff.
2. S)ie S^orberungen ber aKgemcinen ©etedjttgleit. 153
fonn in bem einen ober anbern Safere „oI)ne ©infommen" fein,
^ennod; irürbe e§ bem nügemeinen 9ied)t§c3e[üf)I gar n)enig
entfpred^en, wenn ein ^Jüdionör, ber burc^ unglüdlid^e 6on=
ftedationen sufäüig o^ne ^infommen geblieben, ber ^aupt[ad)e
nad) fteuerfrei tt)äre.
10. 2)ie bisherige ^inanäproi'iS leitete nur ben geringern
S^eil ber ©teuereinüinfte unmittelbar an^ bem 5)3tiLiateinfom=
men ber steuerpflichtigen ah. Statt be[fen fudite man burd)
erfünftelte (Sl}[teme mittelbar, auf Umlüegen, ha^ ©infommen
5u belaften.
33Dr altem bienten baju bie fogen. ©rtrag§fteuern. 3Sä^=
renb bie ^infommenfteuer ben (Srtrag erft bann befteuert, menn
er fid) auf bie an bem ©rtrag tfjeiineljmenben ^erfonen üer=
tf)eilt |at, belaftet bie ©rtragefteuer biejenige ^perfon, bie augen=
büdlid) 'i)a^ ertrag§fä^ige Cbject innel^at. 2)ie auSfc^Iie^lidÖe
^erüdfic^tigung be§ Objecte§ unb feiner @rtrag§fä^ig!eit fe^t
bie (ärtragSfteuern in SQßiberfprui^ mit ben gorberungen ber
53iüig!eit. 2)enn offenbar mirb bie 2eifiung§fäl)igfeit einer
^erfon jur Steuerjaljlung attein burd) ben toirflidien ßrtrag
beftimmt unb überbie§ burc^ ben wirÜic^en ©rtrag nur fo toeit,
mie biefer al§ Üteinertrag bei ber ^erfon berbleibt, ntd)t aber
ä. 53. in ber ©eftalt t)Dn ginfen an bie (Gläubiger abge=
treten werben mu^. ^an nennt bie @rtrag§fteuern aud)
Objecto ober Ü^ealfleuern , weit biefelben fid) unmittelbar an
ein Object anf c^^IieBen , im (SJcgenfat^e jur @in!ommenfteuer,
bie al§ ^erfDnaI= ober ©ubiectfteuer be^eid^net mirb, info=
fern fie ben perfönlidien 33erp(tniffen , ber perfönlidien 2ei=
ftung§fafjig!eit beö Steuerjal^IerS 9ted}nung trägt. 3)ie ^aupt=
arten ber (SrtragSfleuer aber finb einnml bie ©runbfteuer,
fobann bie ©ebäubefteuer be§ @igentljümer§ , enblii^ bie 6)e=
merbefteuer.
3]on ber 5[)i i q u e I fd)en Steuerreform finb bie ©runb=,
@eböube= unb ©eraerbefteuern al§ Staatsfteuern „au^er C^e^ung
154 3tt5eite§ ^apM. ®ie ftaatlid^e 0led^t§orbnung.
gefeljt" ^ unb bie[e bom (Staate frei gela [jenen ©teuerquellen
ben ßommunen übertüiefen Sorben. 9lf(ein bie bom @efe^=
geber Ijierbei berfotgte 5I6[id)t, eine bie ^ntereffengegenfäle
au§g[ei^enbe gerechtere Sert^eitung ber ©teuerlaft ju beirirten,
toirb ni(f)t erreid)t föerben, folange nid)t äugleid) burd) eine
geeignete 9fieform be§ contmunalen Söofjlred^teg bie 33eböt!erung
in ben ©taub gefegt ift, [id) ju fd^üljen gegen bie Snterefjen=
politi! ber [ocialen ©d)id)ten, in-beren §änben \\ä) Ijeute bie
communale 33ern)altung borjugSföeife befinbet. Ober iner lüäre
naib genug, an^unefjnien , bo^ bie je^t in ben communalen
SSertretungen rcgierenben @rD^grunbbe[t|er unb g^abrifanten
bie Saften ber communolen SSertcaltung borjugStüeife gu tragen
bereit fein werben? Tlan tjai einer geeigneten Sdeform be§
5ffiaf)Ired)t§ gegenüber geltenb ju madjen berfud)t, bafj ebentuett
bie niebern klaffen ber 33ebölterung einen ungebü^rlid^en ®in=
* Sie unentgeltltd^e SöeggaBe ber ©tunbfieuer mirb übrigens in§=
befonbeve öon nationalöfonomifdOer ©eite fet)r beanftanbet. 3tboIf
2ißagner fd^reibt (in ©(f)önberg§ §anbbnd) III, 248 f.): „®ie
gelegentlich neuerbingS gefotbette öößige ^Beseitigung ber ©runbfteuer,
felbft lüenn atöbonn bie betvetfcnben 6teuer^f(idjtigen bnri^ birecte
^Perfonalfteuern angemeffen getroffen lüerben, 1)at bod) Uiie bei allen
lange beftel^enben SJealfteuern bie mi^IicCje 3^olge, einigermaßen toie
ein ©efc^enl an ben ©runbbefi^er anf Soften ber SSoIfggemeinfd^aft
3U Unrfen, unb ^wax toie ein ©efd)en! niä)t nur im ©teuerbetragc,
fonbern im ^Betrage ber fapitalifirten ©teuer." (9}gl. aud^ ^aftrolu
a. 0. ö. 9h-. 41, ©. 485 ff.) ©ine lange, burcf) ©enerationen f)in=
burdj beftebenbe ©runbfteuer toirft nämlid) nid}t meljr al§ ©teuer,
fonbern toie eine 3fleattaft. SSeim ßauf unb äJerfauf toirb borum bie
©runbfteuer bon ber diente abgerechnet, infolgebeffen finft ber äöertl^
be§ ©ute§, ber burd) bie fapitaUfirte 3tente bargeftelfft ift. aJlan tauft
ein ©ut, ba§ nid^t 200 9iente, fonbern 3. 58. nur 174 liefert unb
bementfpredjenb toeniger toertl) ift, atö toenn eö bie nolffe Oiente öon
200 abtoerfen toürbe. Wü ber 23efeitigung ber ©runbfteuer ober
fteigt bie 3lente toieber ouf 200, mit i^r ber 2Bert]^ be§ ©uteö in
entfprec^enbem SJtaße. ®ie ®ifferen3 be§ frübern unb nunmebrtgen
SCßertt}e§ ift bann ein ©efd)en! an ben gegentoärtigen ©igentbümer.
2. S)ie tJorberungen ber aKgemeinen ©erec^tigfeit. 155
f(uB gelüinnen fönnteu. (Sa liegt un§ geföip ferne, ben 5In=
ipriid) auf großem ©influB, iüel(!)en ber ©tQnbe§unter[(f)ieb
mit 9tcd)t bcgrünbet, berfennen 511 tüotlen. 5(nbereri'ett§ barf
akr aucf) ni(^t ü6er)ef;en tcerben, büß, tt)Q§ geiftige gä^igfeit
iinb 53i(bintg betrifft, bie 2)iftan§ 5tt3ifd)en ben fjöfjern unb
niebern @d)id)ten ^eute errjeblid) geringer geworben ift, qI5 fie
in früfjern Reiten tt)ar. 2Säf)renb bnrc^ bie allgemeine @d)ul=
bitbung ha?) geiftige Diiöeau ber geringern Seute fid) bebeutenb
erl^ö^t ^at, ift e§ für bie ^ö^ern klaffen ba»feI6e geblieben,
toenn nid^t fogar eine tfieiimeife ©rniebrignng ftattgefunben
^oben foHte. Sie 33orentf)aItung be§ beredjtigten Ginfluffe»
au^ ber mittlem unb niebern Stänbe in Staat unb ©emeinbe
!ann barum unmöglid) auf bie gebei^Iid^e @nttt)id(ung unferer
^Ber^äftniffe einen günftigen ©influfj ausüben.
11. SBiel umftrittcn ift bie S^rage nad) ber Seredjtigung
ber inbirecten ©teuern, 5Iufroanb§fteuern, 5ßerbraud)ö=
fteuern, 3ööe u. bgl.
SBa» bie ^uläffigfeit ber 8d)u^äöüe betrifft jur Sßaljrung
ber tüirtfd)aftüd)en Griftenj eine» ganzen @tanbe§, foiüie jur
Unterftü^ung einer noc^ fc^föaclen Snbuftrie bi§ gu itjrer 6on=
currenjfä^igfeit mit bem ^tustanbe, fo ift oben, au§fü[jrlid)
barüber geljanbett föorben.
3ölle unb Stuftagen auf ungefunbe 3Baren , fc^Ied)ten
Kaffee, fd)äblid)e ©etränte u. f. \ü. werben ebenfall» !aum ju
beanftanben fein. SBelt^en Sinflufj ber SoHtarif auf bie £cben§=
gett)o^nl)eiten eine§ 2SoIfe§ ausüben !ann, jeigte fi(^ 5. ^. in
ber 3eit be§ Soüfriege» jwifd^en gnglanb unb granfreid^.
Gnglanb beantwortete bie franjöfifdien ©c^ulsöüe GoIbertS
mit einem ^of)en 30^ öuf franäöfifdie ^robucte, namentlich
fran§öfi[d)e Beine. 3u gleicher 3eit fd)lDB eS mit ^Portugal
einen 93ertrag, ber ßnglanb für :|3ortugiefif(^e SBeine öffnete.
2)er franäöfifd)e Glaret unb <Sect, öon bem ©Ijafefpcare
fo l)öufig rebet, üerf^manb feitbem immer meljr in (Snglanb,
156 Stoeiteä Kapitel. ®ie \iaattiä)i 3(tec^t§orbnutig.
unb man gettiöl;nte [ic^ boron, ^oxt unb @^errl) p Irinfen.
5!J?e^r qI§ ba§ feuchte ^üma \mx ber SoHtorif bie Urfac^e
bie[er @elüö()niing. ©o lüürbe man auä) ^eute burcl ^luflogen
ben üerbetWid^en unb fd^Iedjten @d)nap§ berbrängen unb bo§
SSoIf meljr an gute» Sier getrötjuen fönnen.
@en)t^ entfprec^en aud) bie 2ui-u§[leuern, fofern man
unter 2ueu§ nid)t gerabe 5. 33. bie Sulaffung bon Sic^t unb
Suft in bie Bo^nungen ber[tef)t, bem 9?ed)t§gefü:^r be§ 25Dl!e§.
äßenn biefe ober äfjnlic^e 5(bga6en eine ©rleidjterung ber
birecten ©teuern für ben !(einen Tlann herbeiführen fönnten,
fo märe bie§ gemiß ntd)t bon ber §anb ju meifen. 3fl e§
ja boc^ un6eftreitbar , baf3 birecte Steuern ben fteinen 2ßirt=
fdiaften gegenüber befonber§ ^art auftreten unb in ifjren 3=01=
gen für biefelben leidjt berberblid) merben fönnen. ?I6er bie
inbirecte Steuer birgt in fid^ bie anbere gro^e @efaf;r, "oa^
unter bem SSormanbe, ben ©teuerbrud gu berminbern, fcö(ie^=
\\ä) eine burd)au§ bermerflic^e @teuerunglei(^l;eit berurfadjt unb
bie „misera contribuens plebs" unberl^ältni^mä^ig belaftet
mirb 1. ©egen biefe llngered)tig!eit, nic^t gegen bie inbirecten
Steuern fd^Iec^ifiin rid^ten fid) unfere 5(u§fü^rungen.
1 ajlan begnügt fic^ üielfaif), jur SSegünbung unb Dtedjtfertigung
einer inbirecten Steuer l^erüoräufjeben, ba% ber ©teuer^al^Ier btefelbc
faurn „fiU)Ie", ba bie go^fung in ben fleinften Oiaten fic^ öoKsielie
unb fi(i) tnnerfjalfi eine§ 3af)i"e§ auf 3aI)Ireicf)e ©elegenf)eiten Oertl)eilc.
©etoi§ verlangt e§ bie poIitifcf)e ßlugfjeit, ba% man ben ®ruc£ ber
5tf)ga6en erleichtere, fie n^eniger Jü^ibax" madje. 3tllein fotoett bie
©erecfjttgfeit in ^yrage fommt, cntfc^eibet nid;t ba§ md)x ober minber
brücEenbe „©efüf)I", bog bie 3lbgabe l^erüorrufen fann, fonbern einsig
ber Umftanb, ob eine berartige ©teuer fic^ ber retatitjen Setftung§=
fäf)igfeit ber ©teuerga^Ier anpaffe, ob nid}t ba§ ©efamtftjftem ber in=
birecten ©teuern fcfiUefeücf) eine relatiü ftärfere ^erbeiaie^ung ber
ärmern klaffen jur 5tuf6ringung ber gemeinfamen Saften beloirfe.
2tui| nD(§ in anberer §infic^t ftefjen ber inbirecten ©teuer loid^tige
23ebenlen entgegen, ©inmol, Joeil fie oft eine üiel ftärtere Säelaftung
2. S)ie fyorbevungen bn alfgemeinen ©erec^ügfeit. 157
Cber tüiberfprid^t e§ mdjt offentinr ber biÄtriButiöen ®e=
rei^tigteit, tuenn bie untern 33ülf§t(a[jcn burd) ein CDniplicivte§
©t)[tem bon inbirecten «Steuern unb ^Ibgoben I)eute nod) in
mand)cn Staaten über @ebüf)r betaftet [inb ? ßbenfo ungered)t
i[t bie unber^ültnißmö^ig gro^e 53efteuerung ber fteinen unb
mittlem ©runbeigenttjünier, tt)ä§renb 'tia^ mobile .Kapital einer
auffaUenben Sdionung fid^ erfreut. 9Jlon mod^te — um nur
ein ^eifpiet an^ufüf^ren — 53linionen Waxl an ber 53ör[e um=
fetten unb bejaljlt nid)t5 ober meniger babei, al§ »er ein !(eine§
Bauerngut !auft. Cf;ne S^^eifel forbern btefe unb ä^nlid^e
be§ fleinen SOtanneä l^erteifül^rt , oI§ ber ©efe^geber intenbirte. <&o=
bann, tocti bie Stbfdjaffung einer einmal eingeführten inbirecten Steuer
bie Selaftung nii$t fo leicht öon ben (Scf)ultern beö üeinen 93lanne§
lüieber toegsune^^men im ftanbe ift. ®en größten 93ort^eiI i^at in ber
SRegel nid^t ber ©taat, fonbern ba§ .Kapital oon ben inbirecten (Steuern.
^tbt 33eränberung lüirb i^ier üon bem ©goiömuä benu^t, bie ®in=
füi)rung fotoof;! tüte noc^ me^r bie S5efeitigung ber Slbgabe. 5le:^men
lotr an, eine ©teuer toürbe auf ben Söetn gelegt im ^Betrage üon V2
ober V4 Pfennig per Siter. 3m Setailoerfaufe red^net man nii^t mit
fo fteinen Beträgen, fonbern bie ©r^b^ung beä ^reifes ttirb für ben
Siter gleich auf 5 ober 10 ^Pfennig fid) belaufen, alfo ba§ 3f^n= biö
Swaujigfac^e ber bnxä) bie Steuer belotrftcn (Srl^ö^ung betragen. Sott
biefe Steuer fpäter befeitigt loerben, b. fj. V2 ober V* ^Pfennig per
Siter, bann tüirb im ®etattDer!auf eine §erabfe^ung bey $reife§ boi$
ni(f)t ftattfinben, toeil eä eben '/^ ober V2 Pfennig nic^t gibt, unb
me^r üom biö^erigen greife abjulaffen fällt bem SJerfäufer nti^t ein.
©er Staat begießt bann üietteidjt 2}Hüionen toeniger, aber ba^ 5]oIf
3at)It ebenfoüiel inte frül^er, ja no($ me:^r, ba ber Stu^fatt an inbirecten
Steuern oietteitf^t je^t burd^ birecte Steuern gebedt toerben foll. —
9hir »renn bie inbirecte Steuer fef)r ijoä) xoax , bann wirb bie JSefei=
tigung berfelben eine §erabfe^ung be§ ^reifeö jur S^olge l^aben, loeil
nun bie ßoncurreuä mithilft. SJor einigen Salären beftanb in §effen
eine Sonfumfteuer auf Söetn, ju 7 Pfennig per Siter. 2tt§ fpäter bie
Steuer abgefiafft tourbe, öerlor ber Staat §unberttaufenbe, toä^ienb
ber ^rei§ beä 2ßeine§ im Setailoerfaufe berfelbe blieb. 2Ser bntte
ben SSort^eit üon ber 5lbf^affung ber Steuer? 5Riemanb anber§ al§
bas> Kapital.
158 S>^eite^ Kapitel. ®ie ftaatltd^e 9iecE)t§orbnung.
Uebelpnbe, ido [ie beftetjen, fd)Ieunige 51bljiife. S)ie ©teuer=
reform bilbet oUent^oIben neben ben Oteformen anf agrarifdieni,
getüerbli(i)ein , inbuftrießem ©ebiete einen [jeröorragenben 53e=
ftQnbtt)eiI ber focialen S^rage. Söenn ein alter ^sl^ilofopl; [ogte,
bo^ in ben [taotUdien @inrid)tnngen bie Ungerec^tigfeit tüie
in Sapibarfcfirift erfc^etnt, ollen [iditbor unb barum berfüfirertfci^
ober jur (Empörung reijenb, fo gilt bie§ nid)t am tt)enigften
üon ben g^ormen ber [taatlic^en SSefteuerung.
12. 3)er anbere S^eil ber bert^eilenben @ered)tigfeit for=
bert, ba^ bie ©taatStoofiltl^Qten je nad) Sebürfni^
unb 25erbienft gleidimäf^ig bertf)ei(t werben.
3u ben ©taQtStüoIjtt^aten redjnen mx äunöd^ft bie öffent=
lid^en 9Iemter, fotoofil ttjegen be§ großen @influf[e§ q(§ quc^
megen ber bamit berbunbenen ßinfünfte. S)ie 5}?inionen bon
©teuern merben bon allen @taat§angef)örigen gesaljlt. ®arum
barf aud) ber c^riftli^e ©laube !ein ^inberniB ber ^(nfledimg
fein. 2)ie ^utüdfeiumg ber .^otljolifen in biefer |)infid)t, i^re
5lu§fc^ne|ung bon ben pfjern unb eintröglidien 5temtern unb
bie baburd) auf bie ©auer betoirfte 33ermDgen§berfd)ie=
b u n g ju Ungunften ber !at(joIifd)en Sebölferung ifl eine Dffen=
!unbige 23erle|ung ber iustitia distributiva.
ßbenfo forbert bie bertf^eilenbe (Sered^tigfeit , bafe nidjt
nur bem |)anbel§[tanbe unb ber ©ro^inbuflrie i^re §anbel§=
unb @ett)erbe!ammern gefe^Iid^ gelüöfjrt, fonbern anä) bem
^anbtDerter= unb 5lrbeiterftanbe, ebenfo ber Sanbmirtfdjaft ein
entf)3rec^enbe§ Organ jur 3>ertretung ber gemeinfamen
Sntereffen ju t^eil werbe, ^ahcn bie ^aufleute in bem |)anbel§=
red)te einen @rfa^ gefunben für ifjr alte§ ©tanbe^reci^t,
fo forbern nic^t minber bie eigentfjümlicfien 33ebürfniffe ber
lönblid^en S3eböl!erung , be§ 5(rbeitcr= unb ^aubn^erferftonbeS
Ijeutjutage ein befonbere§ 5lgrarred}t, ^anbtüerfer= unb 9(r=
beiterrec^t, bamit jebem ©taube in feiner fpecififdjen 5Irt ba§
itjm ©ebü^renbc merbe.
2. Sie ^Jorbcvungcn ber allgemeinen ©ered^tigfeit. 159
5Iuf ©riinb ber bistributiüeu ©ered^tigfeit forbert 2eo XIII. ^,
hü^ ber (Staat ferner in§be[onbere bem ?(rbeiter[tanbe einen
fräftigen unb tüirffamen Ü{ec()t§fd)U^ 5U t^eil h)er=
ben laffe: „@§ i[t überbieS bie n)id)tige 3BaljrI)eit öor 5Iugen
gn bef}alten, bafj ber ©taat für atte ba ift, in gfeidjer 2öeife
für bie 9ciebern föie für bie ^o^en. ®ie 5Irbeiter finb bom
naturre(i)tnd)en ©tanbpunÜe nid)t minber ^Bürger tuie bie 5ße=
[it^enben, b. 'i). fie finb lüaljre 2()ei(e be§ ©taate», bie am
Seben ber an§ ber ®efamtf)eit ber g^amilien gebilbeten ©tQat§=
gemeinfdjaft t^eitne^men, unb fie bifben jubem, n)a§ fe()r in»
@etoid)t fäUt, in jeber ©tabt bei tüeitem bie größere ^a^l ber
(SinltiD^ner. Söenn e§ alfo unsulüffig ift, nur für einen S^eil
ber ©taataangeprigen ju forgen, ben anbern aber ju üer=
nad^Iäffigen , fo mu^ ber @taat bur(^ öffentlid)e 5Ka®eIn
fid) in gebüfjrenber 3Beife bea ©diuljeS ber 5trbeiter an=
nehmen. Söenn bie§ nid^t gefd)ie^t, fo berieft er bie Sorbe=
rung ber ©ereditigfcit , tneldje jebem ba§ ©eine ju geben be=
fie^lt. 9iicbtig bemerft in biefer |)infid)t ber ^I. 2:f}oina§:
,2öie ber 2;f}ei( unb ba§ ©anje gettifferma^en baSfetbe finb,
fo gehört "ba^, toa§ bem ©anjen geprt, aud) geföiffermajjen
bem 2;f)eite nn.'^ Unter ben bieten unb mid)tigen ^fUd)ten
a(fo, bie ein für baö SBo'^I feiner Untertljanen beforgter prft
5U erfüllen fjat, ift e§ eine ber erften, ^ai^ er alten klaffen
feiner Untert^anen benfelben ©cöu| angebeifjen Io[fe, in ftrenger
Sßafjrung jener @ered)ttgteit , bie man bie ,bertfjeilenbe'
genannt f}at." ^urj md)i}zi^ fjetf^t e§ bann meiter: „Sßenn
aber übert)au|)t alle 9te(^te ber ©taatsangel^örigen forgfättig
bead)tet merben muffen unb bie öffentlidje ©emalt barüber ju
madien f)at, baf, jebem ha^ ©eine bleibe unb t)aii aik 3Ser=
le^ung ber (Sered)tigfeit obgetüe^rt merbe ober ©träfe finbe,
1 ©nc^üifa „Rerum novarum^ Dffic. SluSg. ©. 46 (47) f.
2 S. Tliom., S. theol. 2, 2, q. 61, a. 1 ad 2.
^ ®ncl)fUfn flRerum novavum" ©. 52 (53).
160 Stoette^ Kapitel. ®ie ftaatUc^e Üied^tSorbnung.
fo mu^ bod) ber ©taat Beim 9led)t§ic^ii|e 511 (Sunften ber
^tibaten eine befonbere gürforge für bie niebere, un=
bermöglid^e ^(offe fid) angelegen fein laffen. 2)ie 2[Bo^If}nben=
ben finb nämüdo nic^t in bem 5!Jia^e auf ben öffentlidien
(5d)u| angettjiefen, fie Ijahm bie |)ilfe e^er jur §anb ; bagegen
!§ängen bie Sefi^Iofen, of^ne eigenen Soben unter ben t^ü^en,
faft gang bon ber ^protection be§ ©taate§ ab. ®ie 5Irbeiter
atfo, bie ja jumeift bie Sefi^Iofen bilben, muffen bom ©taat
in befonbere Ob^ut genommen merben."
13, SBic reidyfjaltig auc^ bie @efid)t§|)unfte finb, tüeld^e
bie bert^eilenbe ©ered)tig!eit für bie fociate unb bDnömirt=
fd)Qft(id)e 53etrac^tung eröffnet, fo märe e§ bennod) anbererfeit§
berf e§It, moKte man bieS5ermögen§bertl^eiIung unmittel=
bar im boIf§mirtfd)aftnd)en ©inne ber bistributiben @e=
red)tig!eit unterfteüen.
g§ ift ber berbienfibolle ^rofeffor ©uftab ©dimoüer,
bem mir biefer^alb miberfpredien muffen. Um ein unparteiifc()e§
Urtljeit ju ermöglidien, unterbreiten mir bem Sefer bie bie§=
bezüglichen 5(u§füt)rungen be» berüf)mten ^Rationalöfonomen.
„W^t feinen 23ebürfniffen bient ber 5Jienfd) nur fid), mit
feiner 5lrbeit, feinen Sugenben, feinen Seiftungen bient er ber
©efamt^eit; unb nur barauf fommt e§ in bem Urttieil über
baS ©erectjte an, meld^e§ fie mert^et."i „©erec^t" ift
alfo nur ba»jenige Urtljeit, meld)e§ ben SBertlt) einer Seiflung
naä) i^rer Söe^ietjung jur ©efamtl^eit unb in biefem ©inne
nad) itjrem „^erbienfte" mi^t. „|)anbe(t eS fid) um bie großen
focialen ©emeinfc^aften unb um ha^ ©ered)te in i^nen, fo
mirb immer meljr ober meniger ber 33erfu(^ gemad^t merben,
bie berfd)iebenen ßigenfdbaften unb Seiftungen ber 9}?enfd)en
in i^rem (Sefomtergebniffe unb in i^rem 3wfoi"n^£"^)onge mit
» ©c^moUer, 3ur <BodaU unb ©eloerbepolittf ber ©egemcart
(Seipäifl 1890) ©. 230.
2. 2)te 3forbcrmtgen bev allgemeinen ©ered^ttgfeit. 161
ben 3we(fen ber ©emeinfcfiaft 311 mögen. ... Sn ber [ittlid)en
2Bertf)fcf)ä^ung , Don ber ha^ Urtfjei( über ba§ ©ered^tc aua=
geljt , empfangen bie 3:^Qtigfeitcn ber ^injelnen i^ren 2Bertf)
nad) bem Innern ^md be» ©onjen. 2)ie tüatjxt G)ere(^tigfeit,
l'agt 3i^)cring, ift bie aüen bürgern gleich äumägenbe 5(bme)=
fung ber ^^olgen gegen bie Sf^aten noc^ bem 5)JnBe be§ 2Bert^e§
ber le^tern für bie ©efeüfcfjQft." ^
5(ud) bie tr)irtfd)Qft(id)e S^ätigfeit fönte bemna^, menn wir
©demolier ricfitig berfiefjen, für ba§ „9ied}t" nur nl» ein ber
@efnmtf;eit geleifteter 2)ien[t in 23etrad)t. ^^-ür bie „5öe(o^=
nung" biefe§ „23erbienfleä" l)üi bie ©efeHfc^aft bei 35ert[jei(ung
ber @üter gemö^ ber bi»tributiöen ©ered^tigfeit Sorge ju
trogen. 2)Je^r ober minber, birect ober inbirect, [teilt fi(^
fomit bie 33ert§ci(ung ber ©üter f(^Ied)ti}in qI§ ft a a 1 1 i (^ e
g-unction bar ! ^ Gegenüber ber liberalen 5ßertf)eilung burd)
5(ngebot unb D^adjfrage mirb l^ier ber 6taat§fociaIi§mu» pro=
ctamirt, werben üolfärairtfdjaftlic^e ^nftitutionen öerlangt,
burd) tt)e{(^e bie ©üter allein nad) D^iapgabe be§ 33erbienfte§
um bie ©efamt^eit fid) t}ert[jeilen. 2)ie ©mitljfd^e Cefonomif
fennt feine anbere bie ©üterbertr^eitung befjerrfd}enbe ©ered^=
tigfeit al§ bie t^i^eifieit ber 5?ertrüge, o^ne 9^ürffid)t auf ba§
materielle ©emeinluoljl ber ©efeflfdjaft. ©dimoller gufolge ift
lebiglid) biejenige ©üteröert^eilung „gered)t", meli^e nad) bem
33erbienfte um bie ©efamtljeit ben 51ntl}eil an ben ©ütern be=
mi^t. g-ür bie !(affifd)e Oefonomie mar ba§ Snbiöibuum
alle§, bie ©efamtljeit nid)t§. 4'^ier rairb umgefe^rt bie mirt=
jc^aftlidie S^ötigfeit, infofern fie 6(0^ öon ben (äinjelnen jur
Sefriebigung i^rer pribaten 53ebürfniffe gefi^ie^t, ber *£p^äre
be» „üie^ta" boüftönbig entrüdt.
' ©demolier a. a. D.
- ®ie biätriButioe ©ere(|tigteit ift eben eine 3^imction ber Staat§=
gewalt, toirb üon biefer niif;t nur gefc^ü^t, Jonbern geübt.
162 3toette§ ßapitcl. Sie ftaatlic^e 9iec^t§Drbnung.
2öir trürben e§ lebfioft fiebauern, trenn (gdjmotter toirflid)
biefen ©tanbpunft einnefinien füllte. (S§ tt^üre bie Erneuerung
be§ alten Strtf)um§: W\t bem «Staate fangt erft ba§ 9ted)t
an. gr gilt al§ Gueüe al(e§ 9ted)tc§ — aucft be§ 33ermögen§=
rechtes, llnb boc^, tt3a§ !önnte benn fe(6flberftünb(ii^er fein
al» bie ©jiftens eine§ natürlicfien, in fi(f) begrünbeten prioaten
9te(f)te§ ber (Sinjelnen bor febem Staate, bor ber ©efeHfi^aft?
(Smpfängt benn etma ber 9J?enf(5 erft bur(^ tim Staat ober
lüegen ber S)ienfie, bie er ber ©efamtfieit leiftet, ba§ „^tä)i"
auf fein 2e6en, feinen guten 9?amen, ha^ 9te(^t, ^u arbeiten,
bie 3^rüd)te feiner 51rbeit ju geniefjen, burct) bie 5trbeit S3e=
friebigung feiner eigenen 23ebürfniffe ju erftreben? S)a§ attcS
befa| ber '^m)ö) bereit§ bor bem Staate, unb biefeS $ßer£)öItniB
tüirb aud) nid)t baburd) befeitigt, bap bie pribatmirtfc^aftlidie
Sfjätigfeit bea 23ürger§ fecunbör ebenfalls ben ^md unb bie
33ebeutung eine» ber ©efamtfieit geleifteten 3)ienfte§ im Staate
ertjält.
23ieIIeid)t aber, ha^ für Sd^moüer noc^ ein anbere§ 9}li^=
berftänbniB ben 5InIaB bot, bie g-unctionen ber biatributiben
(Sered^tigfeit über ©ebütjr auSjube^nen. Sene§ DJJiBberftänbni^
tritt flar ju 2:age, too Sc^moüer bon bem 3Serfjä(tni^ ber
auataufd^enben @ered)tig!eit (iustitia commutativa) gur ber=
t^eilenben ©ered)tig!eit (iustitia distributiva) fprid)t: „3)ie
@ered)tigfeit be§ (äinjelberfefjrS ift bie fogen. au§taufd)enbe. . . .
Siefe au§taufd)enbe ©erec^tigfeit fteljt aber nidbt in eigentlit^em
(Segenfa^ jur bertfjeitenben , fie ift nur eine i^rer Unterarten,
bie ni(^t bie ganse ©efellfdjaft unb aUe i^re ^tütäc, fonbern
nur einen %^z\[ berfelben unb einen befonbern ^ixttd im 5Iuge
^at." 1 S)a§ ift unrichtig. Sie au§taufd)enbe ©erec^tigteit ift
feine Unterart ber bert^eitenben @ered)tig!eit, fonbern ber @e=
redjtigfeit überijaupt, fo ^wax, ha]] bie ®ered)tigfeit im all=
' ©(^m oller a. a. D. ©. 239.
2. S)ie Sotbmuigcn ber atigemeinen ©ered^tigteit. 163
gemein[ten, generifdjen ©inne [ic^ in bie nebenetnanber ftef)en=
ben Unterarten ber iustitia legalis, vindicativa, distribu-
tiva unb commutativa fc^eibet. 2Ba§ ©demolier qI§ 2Be[en
fpeciell ber bertfjeilenben ©erec^tigfett beseidinet, boä suum
ciiique — bnf3 jebem bQ§ ©einige jn tfjeit werbe — , i[t bo§
gemeinfame Söejen QÜer Slrten ber ©eredjtigfeit, an bein [omit
in i^rer 2Seife auä) bie iustitia distributiva participirt.
5)ie 33ernjed)»Iung ber biätributiöen @ered)tig!eit mit ber
(Serec^tigfeit fi^Ied^t^in er!(ärt ebenfalls mit Seic^tigfeit bie
nnbern 9."Ri$berftänbni[je , benen un]ere§ (5rad)ten§ ©c^motter
jnm Opfer gefallen ift,
3unüd)ft ift bie 2Baf}rung ber iustitia distributiva in
ber %^ai bie 5(mt§pf{id)t ber 33Drfte§er einer ©efamtl)eit, unb
ivoai mu^ biefe bi§tribntiüe ©erec^tigfeit getnal^rt lüerben ge=
rabe bei ben 3iitf}ei(ungen , bie unmittelbar bon jenen 33or=
ftel^ern — in unferem g-aHe bon ber ©taatSgeroalt — ju
boHsiefjen finb, Söirb foniit bie „53ermögen§bert^eilung" ein=
fad)I)in unter ben ©eftd)t§pun!t ber bi§tributiben @ered)tig!eit
geftellt, fo nimmt ba§ äöort „53ert^eilung" plö^Iid) einen
actiben ©inn an. ®er ©taat f}at bann nic^t blo^ burd)
feine 9ted)täDrbnung mittelbar „ba§ ©idjbert^eilen be§ 33er=
mögen»", ba§ „33ertfjei(tfein" ju beeinfhiffen unb nad) ber
Diorm ber ©eredjtigfeit §u regeln i, fonbern bie 33ertl)eihing
* §ierbei tottb ber ©taot in !raf t ber b i § t r i b u t i 0 e n ©ercd^=
tigfeit benjenigen, bie für baä ©emetnmo^I non großer Scbeutung
finb (ä- S. bem Slrbeiterftanbe), einen befonber§ Unrffamen 3te(f)t§=
fc^u| gewätjren muffen, nad) befter 5IRöglid)!eit bafür ©orge tragen,
ba% bem Slrbeiter ber gered)te Sol^n nidjt üerfürst toerbe. SIßein ber
Slrbeiter empfängt fjierbei ben ßo'^n ni(|t etma öon bem ©taatc unb
für 5)ienfte, bie er bem ©taate geleiftet tjat, fonbern für bie im
„®ienfte" beö ßofjnl^errn geleiftete StrBeit. S)ie „9}erbienfte" be§ 2Ir=
beiterö aU foId)en um bie ©efamtl^eit aBer luerben klotjnt bnxä) ben
t)efonber§ forgfamen Ote^itöfc^u^ , ber il)m aud) in SSesug auf 2Df)n=
forberung u. f. W. ju ti)i'ü lüirb.
164 3weite§ ^a^itel. ®ie ftaatliöie 3le(|t§orbnung.
felbfl immittelbor, actib ju Doli sieben. ®ie logifdie unb
red)tüd)e i>Drau§le|ung einer berartigen birecten 93ert[)eilung
be§ 93ermögen§ biird^ ben Staat aber tüäre offenbar ©taat§=
eigent^um an allen materieüen (Sütern unb Se[i|gegenpnben.
S;enn öert^eiten fann unb barf ber ©taat nur ha^, ma» ifjm
gef)ört !
14. (S§ ift alfo bei ©dimoller ber ©taat§fociansnm§ ni(i)t
etwa ba§ logifdie ©rgebni^ einer ftreng roiffenfcbaftlic^en 2)e=
buction, fonbern eine unbettjiefene 23Drau§fe^ung, toeldie jenen
f)D(f)begabten 3^orfd}er bon born^erein irreleitet unb iljn leiber
l)inbcrt, fic^ ju einem principieü böüig geflärten ©tanbpunfte
empüräufd)it)ingen.
Se|t berfte^t c§ \\ä) auä) leidet, wie ©i^moller baju Um,
lebiglid) ba§ 33erbienft um bie ©efamtfjeit bem „Urttjeü über
ba§ @ered)te" gu ©runbe gu legen, ^anbett e§ fid) um 53er=
t^eitung öffentUdier 23o^(t§aten burd) ben ©taat, fo bilbet
aüerbingS neben bem SebürfniB ba§ „25erbienft um bie @e=
fomtfjeit" einen ©runb, ber Ijierbei bon ber iustitia distribu-
tiva berüdfid^tigt werben mu|. Iber bie ^eto^nung be§ 33er=
bienfte§ um bie ©efamtfieit ift nur ein Sf^eil „be§ ©erec^ten
in ben großen fociolen (V)emein)d)aften", feine§meg§ ber ganjc
Sntjalt ber fociaten @ered)tigfcit, welche ber ©taat t[}ei(§ un=
mittelbar t|eil§ burc^ feine ©efetjgebung mittelbar ju berioirfs
lidben ^ot. @» ift bie fd)öne, erhabene, gro^e 5lufgabe be§
«Staates, bafür Sorge ju tragen, bajj gang unb bot!
„jebem ba§ ©einige", b. f). ba§ i^m @ebü{}renbe ju t^eil unb
belaffen werbe, mag biefe§ ©ebüfirenbe nun auf einem 33er=
bienfte um bie ©efamt^eit ober auf einem fonftigen, fei e»
natürlid^en, fei e§ erworbenen, Stec^tSanfpruc^ berufen.
llebrigen§ wirb Sdimoöer fic^ bod) wo^I töufc^en, wenn
er fid) für bie S^eorie bon ber „geredeten" ©üterbert^eilung
burd) ben Staat, nad) 93iaBgabe „be§ 93erbienfte» um bie @e=
famtljeit", auf 9(riftoteIeö berufen ju fönnen glaubt. Sm Sinne
3, S)ie iiefonbere ©ercd^ttgfeit unb i:^re S^orbcrungcn. 165
be§ ©tagiriten i[t bie 2öaf)rung ber iiistitia distributiva
feine bie gefnmte ©üterüertfjeilung beljerrfd^enbe Function
ber <StnQt§geit)aIt. (Sie legt Dielmef;r ben @taat§(en!eni nur
bie ^flid)t auf, bie genieinfamen ©üter unb Saften uaä)
eine» jeben Sßerbienft unb 23ebürfni|5 ju öert|eilen.
gür bie Orbnung be§ gefenfcf)aft(i(^en SebenS bon ^öci^fter
Sebeutung ift nid)t minbev bie 2BaI)rung ber befonbern
@ered)tig!eit. 3^re gorbcrungcn tuoKen n3ir, äunüc^ft in großen
Umriffen föenigften», nunniefjr feftjuftetlen un§ bemüf;en.
3. pie befonbexe ^ercrßügßcU unb i^re ^otbcrungen.
1. 2Bäf)renb bie biätri&utiue ®erecE)tig!eit eine 5]3flid)t
ber 33orgefe^ten q(§ fold^er hqw. ber 2:räger ber (Staatggemalt
beäeirfinet, infofern biefelben gemeinfame Soften unb @üter nod)
2eiftung§fä^ig!eit, ^ßebürfnif^ unb 33erbienft ju bert^eitcn I;aben,
ttinfjrenb anbererfeit» bie legale ©ereditigteit ba§ Seneljmen
be§ ©insetnen unb fein unmittelbares SSerl^öItni^ gegenüber
bem allgemeinen 2BotjIe ber ©efamt^eit orbnet, ift e§ bie 5Iuf=
gäbe ber befonbern @ered)tig!eit, üorne^mlid^ unfer unmittel=
bare§ 33err;ättniB in ben anbern ^nbibibuen unter bem
@efid^t§punfte ber @ered)tig!eit 5U regeln ^.
^er 9hme commuMicu iustitia, S a u f c^ gered^tigfeit,
foU , mie bereit» früljer angebeutet mürbe , feineSmegS ben
Saufc^üerfe^r, ^auf unb 33er!auf, al§ auafd)Iie|Iici^e», fonbcrn
nur al§ borneI)m(ic^e§ ©ebiet biefer ®eredjtig!eit ^erbortjeben.
(Srunbgebanfe, innerfter ^ern ber „befonbern" @ered)tigfeit ift
oielme^r ganj allgemein bie SßorfteHung t3on einer unberle^=
1 S. Thom. , S. theol. 2, 2 , q. 58, a. 7 ad 1 : Iustitia legctlis
sufficienter quidem ordinat hominem in iis, quae sunt ad alterum,
quantum ad commune bonum , iminediate ; quantum autem ad
bonum unius singularis personae, mediate. Et ideo oportet esse
aliquam particularem iustitiam , quae immediate ordinat hominem
ad bonum alterius singularis personae.
166 3tt3eite§ ßo^itel. Sie ftaatlid^e Diec^t§oi-bnimg.
liefen inbiöibuetten gie(i)t§[|3pre be§ 5!Jien[(^en. Wan mag
tl)n al§ ^erfon ober nl§ ben |)eri-n eines großem ober ge=
ringern 3;^d(e§ bev ^hturgüter betracf)ten, überaß erfdietnt er
al§ Sräger einer ©efamtfjeit bon natürlidien ober erioorbenen
9ted)ten, beren jebeS einzelne bem 5D]itinenf(|en nnb bem «Staate
l^eilig [ein foll, tüeld^e niemanb tütüüirlid) beriefen !ann, oljne
\iä) in äöiberfprud) ju fe|en mit ben g^orberungen ber ett)i=
fc^en Drbnung.
W\t 9iücf[id)t auf bie iustitia commutativa erlüäc^ft für
ben ©taat unb bie ©taatSgetoalt eine boppelte 3SerpfIid)tung.
3unQd)[t mu^ ber ©taat vok jebe ^priöatperfon jene
inbiüibueHe ütec^tSfppre ber einjclnen 53ürger, S^amiHen, ßor»
iporationen anerfennen, einem jeben geben unb laffen, tt3a§ il^m
fraft natürlichen ober erworbenen Üte(^te§ gebüljrt i.
©obann entfielet für ben ©taot au§ feinem naturgemnfsen
3n)ede bie ^flidit be§ Üte(^t§fd)u^e§ unb ber 23ertt)ir!Iidjung
jener befonbern ®ered)tig!eit in ben gefenfd}aftlid)en ^öejicljungen
ber Staatsbürger ju einanber.
2. 2[Ba§ inSbefonbere bie @igentl)um§uerljältniffe
nnb ba§ @rtt) er blieben betrifft, fo ift e§ bie 5ütfgabe ber
ftoatlidien ©efetjgebung , bie 33ermögen§fpt)ürc be§ ©iuäetnen
gegen jeben unbered)tigten Eingriff, fei e§ burd) S)icbftal)t,
glaub u. f. tu., fei e§ burd) Seftimmung jur ©elbftfd)äbigung
in ben mannigfadien ^^^ormen ber ^rjeugung unb Ausbeutung
öon Srrtfjum, ^yurd^t, burd) betrug, ©rpreffung u. f. xo., in
lüirtfamer 2Beife ju tt)a!)ren.
5]amentUd) aud) foH ber ©taat ein mäd)tiger ©d)irmUügt
be§ gcrecbtcn 33ertrag§Der!ef)reS fein, ^ienmnb ift hierbei
befugt, grunbloS, titeUoS baS Sßermögen eines anbern ju t)er=
minbern. Sine grunbtofe, ber ®ered)ttg!eit tt)iberfpred)enbe
» S)te 93cx-Ie^i»ig fremben 3k(^teS buvc^ 2}ern)artung ober ©efe^=
gebung fatin jogar für bie Srager ber ©taat§gelüalt ober bie gefe^=
gebenben ^-actoven eigentlidEie 3teftitution§t)faÄ)ten wa^ fid) 3ie()en.
3. 2!ie befonbere ©evedfitiglett unb if)re fj^-orberungen. 167
5}iinberung läge ober bor, lüenn in ben 33etträgcn, in bencn
ber eine S^cil eine Seiflung üoüäie^t, nm bafür eine ®egen=
Iei[lnng ju erf}alten, Seiftnng unb IRücfleiftung wertend) l3er=
fd^ieben tpären. Seber ber 2}ertragf(i)Iie|enben enrartet unb
forbert ein berartige» 5lequiöQlent. 5(uf biefen Srfo^ öerjiditet
er unter normalen 23er^ältnifyen ebenjotrenig , nl§ ein folc^er
(Sontract ber 5Zatur unb ber 5(b[icf)t ber 33ertrag[rf)IieBenben
naä) eine ©c^enfung [ein [oII. 2öürbe ober bie 5Zot^ ben
5)ienid^en jn^ingen, auf [ein Siecht 35eräic^t ju leiften, [o mu^
ber ©taot für if)n eintreten, ä'ßenn ein 33er!^ungernber mir
ein ^önigreid) für ein ©tüd 33rob geben „toodte", [o barf
ic^ bennoc^ feine augenblidticfie 9iot^ nid^t gu meiner 53ereic^e=
rung mifjbraucfien ; nnb menn ba» eingebet öon „|)änben"
noc^ [o umfangreich märe, ber geredete 2o!^n müßte gteid^mo^I
fid^ nac^ bem 2öertf;e be» ©eleifleten beftimmen unb jugleic^
feine ^J^inimalgrenje in bem 2eben§unter[)alte be§ 5Irbeitera
finben. Sie ßi'iflen^ tion „|)ungerlöf}nen" ift ftet§ ein 5Be=
mei§, ba^ ber ©taat feine fjeiligfte ^flic^t, ein |)ort unb 33e=
f(^ü^er be§ 9te(^te§ ju fein, nic^t erfüllt I;at.
9J?er!roürbigermeife ^aben aber bie SSorfämpfer be§ „mo=
berneu" @taat§gebonfen§ — im 2Biberf|)rud^e mit ber bi§=
tributiben ©ered^tigfeit , metcf^e borne^mlid^ bie mirtfdjaftlid^
©d^madöen , itjrem gröBern SBebürfniß entfpred^enb , f(^irmen
foü — ben ftaat(i(^en „?Red}t§fd)u|" auf mirtfdiaftlic^em @e=
biete in ben befonbern ^ienft ber befi|enben klaffen ju ftellen
gemußt. S)a» ermorbenc ßigent^um einerfeit», bie ^xz'u
l)eit be§ @rmerbe§ unb 53ertrag§berM)re§ anbererfeita : ba§
[oüten bie beiben ©ebiete [ein, auf meli^en ber ©taat aüein feine»
[d)ü|ienben ^mte§ malten burfte. Sie golge mar, baß unfer
93er!ef}r§(eben aHmäljIid) bon betrug, 5{u§beutung, ©djminbel
burd^feud)t unb iuabefonbere bie mittlem unb niebern ©tänbe
bem (Sigennu^ unb ber 5lu§beutung burc^ be§ ^a|3itali§mu§
Uebermud^t unb Uebermutf; na^esu fd)u^(o§ preisgegeben mürben.
168 SttJ^iteö ßapitel. Sie ftaatli(^e ÜiecfitSürbnung.
®a§ inanc^efterlic^e „9^aturgefe^" öüu ^(ngebot unb 9lad^=
frage , bie freie Goncurretiä al§ 9teguIator ber 23ermö9en§=
üertfieilung fteüten bQ§ ganje feciale Seöen immer mefir auf
bie '^Jlad)t ftatt auf bie ©ereditigfeit. @egen brutale (5ün=
currenj gibt e§ ^eute fein anbere§ 5j^ittel al§ eine Ueber=
bietung buri^ nod) größere 33rutantät, unb gegen ben Unter»
(o^n !eine anbere |)ilfe mie ben @trife. S;arf man e§ bem
5(rbeiterftanbe berargen , menn er tjierbei ba§ ^rincip ber
„(5elbfl()i(fe", meld^e§ man fo fefjr itjm angepriefen, gegen
bellen 23erfünbiger antoenbet? 2)er 5trbeiter öerlangte ftaat=
lid)en ©^u| öor ber fapita(ifli)rf)en 5(u§beutiing. Umfonft!
%k 33ertrag§= unb 33erfef)r§frei^eit foHte nid)t öerle|t merben.
33on niemanben bef)inbert, bürfe ja ber Arbeiter ba§ 5Jiinber=
angebet be§ 5lrbeit§f)errn auäfcblagen, Unb biefen bei^enben
|)üljn magte man bem Arbeiter iu§ Stngefic^t ^u fd}teubern,
auc§ menn er bon jener erhabenen „grei^eit" feinen @ebrau(^
machen tonnte, meil ber |)unger unb bie 9?ott) ber Peinigen
if;n jmangen, um jeben ^rei§ in bie 5{rbeit ju treten ! 2ief
berieft, in feinem ®erecbtigfeit§gefü^t getränft, erfpäfjt er nun
eine (Gelegenheit, um bie berütjmte „Selbfttjilfe" aud) einmal
äu feinem eigenen 23ort(jeiI rüd[id)t§tD§ ^u bermert^en. 5(uf
biefe 2Beife ift ba§ ä^erljättni^ ^mifdien Strbeiter unb 5trbeit=
geber eine einfache 5Jfad)tfrage, ein beftünbiger ^riegs^uftanb
gemorbcn, mobei ber eine %l}^\l ben anberu argtiftig belauert,
um i(}n nad) Gräften ju fcbäbigen.
5lud) ber SIrbeiter ift 5}Mifcb, f)at ein ^erj, f)at ©inn
unb 35erftänbnif) für bie ®ered)tigfeit. ®afür tonnen jene
gabritt)erren , bie au§ (äf^rgefüf}! unb perfönlid)er ©en)iffen=
^aftigfeit, inmitten ber liberalen 2Birtfc^aft, bie @ere(^tig=
feit äum oberften ©efe^e it}rea |)anbe(n§ gemacht, ein bDn=
tt)id)tige§ ^euQ'^ii? ablegen. 9Zid)t§ fieigert bie „2eiftung§=
fät)igfeit", beffer gefagt, bie ÖeiftungSroiQigfeit be§ 'Meiter§
me^r at§ eine gcrecbte 33ef)anblung unb 2öl)nung.
3. Sie befonbere ©ereäitigfeit unb iijxe S^orbcrungen. 169
3. Wü bcni föefagtcn i[t jebod) feineStüegS bie ganje 51(uf=
gäbe be§ ©taateS er]rf)ö|3ft, tceldje bem[eI6en au§ feiner ^flid)t
ber 93ertt)irflicf)ung auagleidienber (Beve(i)tigfeit im gefe(Ii(f)aft=
lidEien Seben ertriidjft. 5iid)t blof, foü er bie reblid) er=
toor denen 3.H'rmögen§re(^te burd) ^^'^ii'^ii^fM'iing jebe§ un=
befugten Eingriffes in bie inbiöibuelle 9fied)t§fpf)Qre „fdiütjen",
nid)t nur bie @ercd)tig!eit im 5ßertrag§lier!e^re tra^ren — ,
überbiea ift er ber .*püter jenes natürlidien, perfönUd)en D^ec^teS
eines jeben feiner ^Inge^örigen, beffen $ßerit)irf(id)ung ben 5JJitte(=
punft inSbefonbere ber öfonomifdien ©efefegebung, einen ^aupt=
äwed ber ganzen ftaatlidjen 53oI!sit)irtfd)nft§forge bilben mu^.
äBir meinen boS „^tä)t ber ©riftenj" ober boS „9ted)t auf
ei'iftenä"!.
S)a§ 9?ed^t ber ©i'ifteuä ift ein natürlid)e§, mit ber
5]3erf öntid^feit be§ 5J?enfd^en, bor jeber S)aän3ifd)enhmft
ber ftaatlidien ©efe^gebung, berbunbeneS 9^ed)t unb borum
Dom ©taate anjuertennen , ju fd)ü|en, in einer bem ^mäz
unb ber 9Jk(^t be§ ©taateS entfpred)enben SBeife ju ber=
wirflic^en.
S)er Sn^olt biefeS 9led^te§ ber ©jifteng, feine gorberungen
finb t^eilS negatibe, tljeilS Ijofitibe. @§ berbietet jebe
unmittelbare 33er(etuing bon 2thm, ©efunbfjeit unb focialer
G^re beS 9Jäd)ften, aber aud^ jebe mittelbare ©d^äbigung feiner
^erfönlic^feit. Unter biefem ©eftd^tspunfte aufgefaf^t, finbet
ha?, ^tä)t ber (Si'iften^, mie ^rofeffor b. ^ertling in über=
jeugenber 2Beife au§füt}rt ^, bei ber @ntmid(ung ber moberncn
2öirtfd)aft§ber^ä(tniffe eine ganj neue 53ebeutung unb 2Bid^=
tigfeit. „®a§ 9tec^t be§ 5Irbeiter§ auf Seben unb ©efunbfieit
1 Uefcer bie falf($e Stuffaffung biefe§ Dted^teg tigl. „©timmen auä
9Jtaria=SaacE)" XLIII (1892) , 405 ff. , ober and) unfere fpätere 3tt)=
tianblung über bie dttern foctaltfttfi^en ©tjfteme.
2 Jögl. ti. §ertling, 9^Qturred)t unb 6octarpoIttif (ßötn 1893)
©. 43 ff.
5Pefd^,:Sißerari§mui. I. 2. StufT. 8
170 3toette§ ^apiUL S)te ftaatlid^e 9fiec|t§orbnung.
ift gefäf)rbet hmä) bie SejdEjäfttgung mit giftigen ober fonft
gefunb()eit§raibrigen ©toffen in [tauberfüüter ober überhaupt
öerunreinigter Suft, e§ ift gefäl}rbet burd) ben Umgang mit
ÜJkfc^inen bon ungefjeurer ^raft unb ©dinedigfeit, jumal bie
monotone 23efc^äftigung , meldje bie golge ber buri^gefütjrten
Strbeitöt^eitung ift, unöermeiblid) bie ^tufmerffonifeit abftumpft.
'Biä) felbft überinffen, förnpft ber 5tr6eiter einen bergeblic^en
^ampf gegen biefe ©efal^ren unb fcf)äbigenben (Sinmirfungen,
bie \\ä) jubem ni(^t fofort in i^rer gangen Sragmeite erfennen
laffen. . . . ®arum ift e§ bie ^flii^t be§ ©taateS, burd) 51 r=
beiterf c^u^gefe^e für ba§ (eib(id)e 2Bof)I ber Strbeiter,
in§befonbere auii^ ber ^-rauen unb ^inber, in mirffamer Sßeife
einzutreten. @§ ^anbett fic^ alfo bei ber 5(rbeiterfd)U^gefe|=
gebung nid)t blo^ um bie 5Set()ätigung f)umaner ?(bfid)ten,
fonbern um 5tnfprü^e, bie im notürlic^en Dieci^te begrünbet
finb. (Sine öoüenbete 5lrbeiterf(^u|gefe^gebung bebeutet eine
boüftonbige, bi§ in i^re ßonfequensen entroidelte 5lnerfennung
be§ 3ie(^tea ber (äriftens unb be§ bamit im engften gufaminen»
^ange ftetjenben 9ted)te§ ber gamilie." ^
2Ba§ mit 9f{üdfid)t auf bie au§ ber befonbern 33efd}affen=
fieit eine§ ^etriebe§ ^eröorgefienben ®efaf;ren für 2thtn unb
@efunbf)eit ber 5Irbeiter gilt, ba» finbet nid)t minber feine
5tnn)enbung auf bie 5tu§be^nung ber SlrbeitSjeit. 2Benn ballet
2. b. ^ammerftein gemöp ber (Snctiflifa „Rerum nova-
rum" für bie berfd)iebenen 53etriebe je nad^ i^rer Eigenart
bie „geftfe^ung eine§ 9iormaIarbeit§toge§, froft beffen nur eine
beftimmte ^Inja^I bon ©tunben täglid) gearbeitet werben borf " ^,
mit 5lacbbrud forbert, fo fommt er bamit nid)t nur bem ougen=
blidlid) bringenbften 33erlangen ber ^(rbeitermett entgegen, fon=
* ö. §e rtling a. a. £). ©. 44 f.
2 ß. t). §ammerftein S. J., 5lrbetterfQtec^iömu§ (^öln 1892)
©. 67. — Sögt, au^ %f). %xau'b, Äürsere %xMt§itit (Seipäig 1893).
3tn ben „®üan9eIif(i)=foctaIen S^itfragen", 2. fReil^e, 8. §eft.
3. S)tc befonbere ©ered^tigleit unb i^xe fjorberungen. 171
bern beseicj^net juglei^ eine Südfe in ber Öefe^gebung moberner
ßulturftaaten , lüeldie im Snteref[e be§ natürlichen (?Eij'ten5=
red)te§, alä tt)irtjd}aftli(f)e 93orbebingung für bie inteüectueHe
unb [ittlidje |)ebung be§ 5lrbeiter[lQnbe§ unb für ein gefunbe»
gomilienfeben, f^on löngft ^ätte auagefüllt toerben muffen.
S^ie ^erfönlic^feit be§ ^Jlenfd^en ift mit bem leibücfien
^afein nid)t abgefdjloffen. 6ine bie gan^e 5|3erfönlid)!eit be§
5lrbeiter» umfoffenbe @d)ufegefe|gebung mirb barum enblic^
nid)t um[}in fönnen, anä) für bie Söo^rung be§ geiftigen unb
fittlid^en 2BD^(e§ ber 5Irbeiter geeignete Ü^bRnafimen anju»
orbnen. 58e|c^rän!ung ber .Qinberarbeit, ©(i^u| ber @onntag§=
ru^e, 33efeitigung befonberer fittlic^er (Befahren, n)eld)e qu§ ber
ßinrid^tung ber 5trbeit»räume , qu§ bem 3ufanimenarbeiten
öon '^er)onen beibertei @ef(^(ec^te§ fic^ ergeben u. bgl. , mu^
ber gtaat erjttiingen, föenn bie (5elbft)ud)t ber Unternel^mcr
ju bergeffen fc^eint, boB ber Arbeiter für ben 2o^n ^voax ben
®ienft feiner |)Qnb, nid)t aber ha^ §ei( feiner @eele ber=
faufen fonn i.
4. 3^ie 5IufgQben be§ Staates gegenüber ber 93oI!§tt}irt=
fdiaft geminnen neue» 2id)t unb eine nod) umfaffenbere 58e=
beutung, wenn n)ir bem pofitiben ^nöalte be§ 9ted)tea auf
(Sjiftens unfere 5(ufmerffamfeit f^enfen moHen.
3^er D3?enfd; l-)üt ata förperüd^-geiftigeS SBefen, baju al§
ein Söefen, tt)elc^e§ in beiben Sfieilen feiner Dktur entiDid=
lungafü^ig ift, Sebürfniffe für Seib unb ©eele, beren Sefrie=
bigung gugleid) um feiner fitt(id;en 5Iufgaben, feiner l^öljern
seitlichen unb eroigen ^eftimmung millen ^flid)t für if)n ift.
3um Qtütd biefer 53efriebigung ift ber 5DK'nfd) an bie natür=
Iid)en ©üter geroiefen, »elc^e i^n umgeben unb bie i^m nad^
@otte§ 3BiIIen unb nad^ @otte§ 2ßort bienen foüen.
^ 9SgI. bie i(f)öne Stelle ber ©ncljüifo „Rerum novarum". Dfftc.
(§erberf^e) Stu^g. ©. 28 (29) ff.
172 Stoeiteö ßapitel. ®te ftaatltd^e 9fie(f|tiorbnung.
Söunberbor tief [innig ijat ber |I. 2:§omQ§ bon 5t quin
bie §err)(^aft beä 5[)Jen[d}en über bie 9Jatur p^iloi'opfjif^ be=
grünbet. S)ie unfreie, unperfönü^e, bem ^Jlenfc^en an 33oli=
fommen^eit nocfifte^enbe Söett erreid^t i§re eigene ^^oecfbeftim»
tnung ^htn boburc^, bnp fie bem ©^enfc^en bient. ^Bon i^m
unb in . if;n umgebilbet , getüifferma^en öergeiftigt burc^ ben
©ienft be» 5)ienfcöen, lobt unb öer^errlid^t fie erft ©ott, i^ren
pf^ften Urheber unb |)errn. — ©otte§ 2öei§]^eit berlongt fD=
bann jene Unterorbnung unter ben D^^enfd^en, n3eil 'ta^i 9hebrige
allentfjalben bem ^'^ö^ern bienen mu^, ber 5Jienf(^ aber ala
©otteS ©benbilb t^eilnel^men foU an be§ ^tüer^cbften ^err=
fc^aft über bie Singe biefer SBelt. S)arum gerabe ^abe ©ott
bei ©rfc^affung be§ ,^önig§ ber 2BeIt unmittelbar mit ber ©ott=
öl^nlic^teit sug(eid) fein |)errfc^aftarec^t über bie unöernünftige
ßreatur bertünbigt: Saffet un§ ben 5JZenfc^en mad^en naä)
unferem 33ilbe unb ©leii^niffe, bamit er fierrfd^e über bie gifd^e
be§ 9JJeere§ u. f. m. ^ Sni erften Sfjeile ber Summa füt^rt
ber l^eitige Seigrer biefelben au» @otte§ SBeieJieit unb 33orfe^ung
entlehnten ©rünbe noc^mala an, au^erbem aber meift er fiin
auf bie im 9)iifro!o§mu§ I;errfc5enbe Unterorbnung. 2Bie ^ier
ber ©eift über alle§ anbere ^errfd)t, jo fotl ber ^Jienfc^ aud^
über 9Jkterie, begetatibe§ unb ttjierifd^e» Seben au^er il)m
^errfd^en 2.
S)er 5Jienfd^ barf unb muß alfo bie Singe biefer Söelt
gebrau(i)en jum !^toid feiner Sr^altung unb (Sutwidflung.
93kn beat^te mol^t: a) 2BeiI e§ fid) um ein ber menfd^=
liefen 5iatur fo(genbe§ 9tecbt tjanbett, finbet fid) baSfelbe überall,
tt}o bie menfd^lic^e Dktur borfianben. @§ ift bal^er ein 9ted)t,
metcfiea allen 9JJenfd)en in gteidjer Seife juftefjt unb unter
feiner Seblngung bem DJJenfd^en abfidjtlid^ entzogen ober bauernb
' S. Tliom., S. theol. 2, 2, q. 64, a. 1; q. 66, a. 1.
2 Ibid. q. 96, a. 1. 2.
3. S)ie befonbere ©ered^ttgMt unb tl)ve ^rorberungen. 173
bedümmert tüerben barf. „Seber ^at ein nntürlit^e» 3ted)t,
ben 2eben§unter!^aU ju finben", föie ^Qp[t Seo XIII. in
ber (inct)!(itQ „Rerum novarum" fagt. 3)a§ bleibt aud)
toa^r für ben 5Jien]d)en, ber inmitten ber [toottidKn @efe(I=
fd)aft lebt; ja für i(jn um fo mefjr, lüeit bic ©efeüfc^aft feine
(5d)iüQd)e nid)t bermetjren, fonbern nad; DJ^ögUdjfeit befeitigen,
ber $ßertüirflic^ung feiner natürlid^en 33efugniffe unb ^mdi
bie 3Sege ebnen füll.
b) SBenn and) ha§> 9ted)t, au§ ben ©ütern ber 2BeIt ju
entnehmen, n)a§ man für ein menfc^enmürbige» 2)afein bebarf,
ein urf|)rüngU(^e§ , mit ber Dktur gegebenes unb barum für
aUe 9JJenfd)en g leid) es ^id)i ift, fo borf boSfelbe bennod^
nicbt al§ ein ^Qd]t auf gieid)en Sefi|, auf gleidien 5lntfjei(
an ben ©rbengütern betroc^tet werben. S)te mit ber concreten
DJJenfc^ennatur gegebene 93er)d)iebenl}eit ber 2eiftung§fä^ig!eit
bielme^r roirb bem Ijöljn ^Veranlagten bie reditlii^e 9JJögIid)feit
geraü^ren, öon feiner gröf5ern ®efd}idli(t)!eit, feinem großem
gleite jum eigenen 5ßeften ©ebraudb ju madien. 5Inbererfeit§
ift audb bie 33erfd)iebenl}eit be§ Sefi|e§ unobmeiSbareS iöebürf=
ni^ einer mo^Igeglieberten unb georbneten ©efeüfdiaft, mie tuir
fpöter fe^en toerben.
c) 2;ie urfpcüngnd)e Sefugni^ be§ ^JJenfd^en, ou§ bem
allgemeinen ®ütert)orrat[)e für fid) unb feine gamilie be§ 2eben§
Unterl;a(t ju geminnen, mirb näf)er beftimmt burd) ba§ ®e=
fe| ber 5trbeit. @§ fjanbelt fid; bei biefem ©efe^e nid)t
um eine 9iecbt§pflidbt , bie ber ©taat erjmingen Bnnte. 2)ie
^flid)t jur ^{rbeit ift eine fittlidje ^flidjt, n^elc^e öon @ott
bem DJJenfd^en auferlegt tüurbe, bie ebenfo allgemein gilt mie
ba§ gleidjjeitig bertünbete ©efet; be§ Sobe§. ®er ÜJJenfcb foü
arbeiten aUe Sage feine§ 2eben§, mü^eboH, im ©(^roei^e feine§
5Ingefid}te§, bi§ er in ben ©taub jurüdfeljrt, bon bem er ge=
nommen ift. 2)a§ @efe^ ber 5trbeit, mie e§ bon ©ott ber=
fünbigt tourbe, empfängt feine f^orm, feinen 5lu§brud bon
berjenigcn 5lrt ber 5ir6eit, föelc^e bie tüi(i^ttg[tc, |)rimQrfte ift
unb ben Sn^olt ber meiften 5J?en[d)enIe6en bilbet. @§ i[l ber
^ampf be§ ^J^enfdjen mit ber ^iotur, [ein ©ieg über bie
^inberniffe ber materiellen SIuBenmelt, fein 3f{ingen um jene
g-rüc^te, meldie ber S3Dben fpenbet. Somit foÜen felbftt)er=
[tänblidö ni(i)t alle 5}^enfd)en jum Slrferbau üerpflidjtet werben,
ebenfott^enig föie bie ^lügemeintieit be§ ®e[e^e§ ber 3trbeit bon
allen ein gleid^e§ Quantum bon 5Jr6eit forbert. 3)o§ ^inb,
ber @rei§, ba§ SBeib fönnen nid)t ba§fel&e leiften, traS ber
9}iann in ber 33oÜ!raft be§ 2eben§ ju teiften im [taube i[t.
Slber e§ gibt fein ur[prünglid)e§ 9ted)t au[ mü^eIo[en
Srmerb. 3m 5(n[d)(u[5 an eine gegebene ge[e^Iid)e @igentf)um§=
orbnung, unb ^mar in ^ra[t einer ganj natürlidien @nttt}id=
lung unb 5lu§bilbung be§ [tabiten (Sigentl)um§, mirb gtoar ein
ßrwerb auc^ o!)ne eigene, per[önlid)e SJiüIjetnaltung be§ (Jr=
toerbenben in manchen S-öden red)tnd) äutü[[ig [ein. 5IIIein
Ijierbei bilben ben unmittelbaren (Srmerbagrunb ermorbene 9ted)te,
j. S. bo§ (5igent§um§red)t eine§ Donators ober @rb(a[[er§,
ober [onftige bom ^cäjk anerfannte 3;I)at[ad)en, g. S. ®Iüif§=
föHe u. bgl. 2)a§ ur[prünglid)e , unmittelbar mit ber 9?atur
be§ 50^en[d)en berbunbene 9ied)t au[ ©i'iftenj jebod) i[t lebigtid^
ein ^t&)t, burd) 5trbeit [einen Hntertjolt ju getoinneni.
5. S)a§ 9ted)t au[ @i'i[tenä bermeift ben 932en[d)en nur
im allgemeinen an bie ©(^öt^e ber Statur ^um S^tä ber Se=
1 ®a§ Siedjt auf ©giftenj, tüie e§ burdf) bie fittfidCie 5Pf(ic|t ber
Slrbeit nä^er beterminirt erfdjetnt, fann auc^ aU Sleilt jur 3trbett
beäetd^net iüerben. ®ä fc^ü^t benjenigen, toel(|er gut ©etninnung fetner
©jifteuämittel arbeiten toill, gegen unbefugte 93ef)inbenmg ober 93e=
raubung ber S^rüdjte ber Slrbeit. SUht bem „&vecf)te auf SIrbeit", fo
tote £oui§ 23Ianc eö üerftanb, Ijat jebocf) ba§ Siedet jur Slrbeit nid^tö
3U tbun. ®a§ „3led)t auf 2lrbeit" im focialiftifdjen 6inne befagt
uämlid^ einen 3lnfprudj gegenüber bem ©taate, öermöge beffen biefer
felbft äur ^ßefc^äftigung ber ^Irbeitslofen birect üerpftic^tet toäre.
3. ®ie iiefonberc ©erei^ttgfeit unb i^re S^orberungen. 175
friebigung feiner 5Sebürfnif[e. @§ i[t ein ^ e r f ö n li c^ e §
tRed^t, tt}e(rf)e§ jeber 5J?en[(f) Don feiner ©eburt an befi|t, o^ne
einer accefforifdien Sfjatfadje ju beffen (Srraerb ^u bebürfen.
5I6er foc^Iid^ erfdieint boSfelbe inbcterminirt. 5(nen Ü]Jenfd)en
gett)Q^rt e§ ein @e6rau(f)§re($t an ben DJatnrgütern f(^(ed)tfjin,
ober feinem tt)eifl e§ nmnittelbar eine bingüc^e ^errfd)aft über
irgenb eine beflimmte inbiöibneHe <Baä)t gu. Um QUa bem
perfönlid)en Diedjte ein bing(ic5e§ jn mad)en, bebarf ea be§
2;Q5n)ifc^entreten3 concreter, menfdiüdier ^anblungen, burd^
föelc^e ber Sefi^ bejtt). ba§ @igent§um an einer Bü(i)t er=
roorben tt)irb.
Sinem auffaHenben ^O^if^üerftänbniß ift ^rofeffor 3ulin§
Sßolf babur^ jum Opfer gefaüen, ba^ er h^n perfön=
lid^en ß^arafter be» 9{ed)te§ auf ^iften^ nidjt ridjtig er=
fo^t, in bemfelben öielme^r nur eine 5lnn)eifung auf bie ur=
fprün glichen ©üter nnb Gräfte ber (ärbe erbüdt. „2Biü
man bie gelehrten ^Ableitungen be§ 9iec^tea auf Griftenj al§
einea 9?aturrec^te» einen ?lugenblid ernft nef^men," fd)reibt
er, „fo bürften, mie man mei^, beren jraei ju unterfdjeiben
fein: einmal jene 2ode§ unb gourier§, meiere beibe Don
einem urfprünglidien Üted)te be§ 9Jhnfc^en an bie 5[Rutter @rbe,
Courier etn)a§ betaiüirter öon einem Stecht, ju jagen, ju fifdjen,
t^rüd}te ju pflüden unb ha^ IMcfj ju meiben, fpred)en ; fobann
jene im ©tile gic^te§, monai^ niemanb auf ber Srbe min=
bern 9fed)te§ fei al§ ber anbere, jeber genau ha^ g(eid)e 9tec()t
^)ab^, 5U leben, mie ber näd)fle. S)ie 2^ei(ung muß ba^er
äuüörberfl fo gemad)t merbcn, ha)^ alle babei befte^en fönnen.
Sn mie ^o^em ©rabe aber ber §intt)ei§ auf bie urfprüng*
Iid)en Gräfte ber ^^iatur unb beren Ueberantmortung an
ben 5[IJenfc^en bie driftenj beSfelben in unfern Gulturflaaten
fidierfteüt, ge^t au§ ber einfachen DJiitt^eilung einiger ^iff^^"»
bie mir 9ia|el§ 5{nt()rDpogeograp^ie (©. 264 f.) entnehmen,
fieröor. @§ finb bie folgenben:
176 3toette§ ^apikl. S)ie ftaatlid^e SRed^täorbnung.
®te QuQbratmeile 2onbe§ bermog Wm]ä:)m p ernähren :
bei ^ägetöölfern ber Steppengebiete . . . 0,1 — 0,5
bei S-ifc^erööIfern an lüften unb g(ü[fen bi§ 100
in Sönbern europaifdier ©roBinbuflrie ... 15 000
„Wan fiet)t nun, tt)ie föeit man mit ber 5tuft^eilung ber
urfprünglicfjen ^röfte ber 9?atur an bie 93?eni(f)en !ommt,
bie ^eute bie ©rbfugel ben^o^nen. ®a§ ,91aturre(^t' auf Qiu
[teu5, bie ,5J?utter @rbe' fiebert bem 5Jtenic^en bie ß^iftenj für
— feien mir liberal — eine SBoc^e im 3of)r. '^a^i ,^Qä)t'
auf ©i'iftenj . . . ift alfo nic^t 5?aturrec^t, fonbern 6ultur=
pfli^t, ^f(i(i)t bornel^mtiti^ ber d^riftlid^en ©ulturgemeinfd^aft.
5paulu§ mahnte bie .^orint^er: ,<&d biene euer UeberpuB it)rem
^.l^angel.' ^a§ 9?edf)t auf (Sriftenj, bie !nappe 2eben§fi(i)erung
ber 5^id^t§t)ermögenben barf böüig eine 9ied)t§frage niifit fein,
fonbern nur eine @mpfinbung§f rage, eine grage ber au§
ber (Smpfinbung gefd^öpften ^f(id)t inmitten einer ©efeUfci^aft,
bie in i^rem ©iegel al§ bie ,£)auptfumma aller ©ebote' . . .
ba§ S3e!emitni^ berbebingungSlofen 5Mc^ftenIiebe trägt." ^
@§ mag bie UnfenntniB mit ben Sefjren unb ®eifteaeräeug=
niffen ber fd)o(aflifd^en ^pfjilofopfjie unb ^^loxal, ber Umftanb,
baB Söolf nur Socfe, gourier unb gid)te al§ Sßertreter be§
gtec§te§ auf %iflen3 fennt, aUerbingS in gemiffem ©inne bie
eigentf)ümlid)e 5(uffoffung jene§ urfprünglidien 9ted)te§ unb
feine 2>ermed)§tung mit einem '^tä)k auf bie urfprünglidjen
Gräfte ber 9latur erflärcn unb berfetben jur @ntfd)ulbigung
bienen. ^lüein ber 2öiffenfd)aft ermäd)ft megen ber ®üter, bie
in t^^rage fte^en, bie ernfte ^flic^t, berartigen 9J^iBbeutungen
mit afler @ntfd)ieben!^eit entgegenzutreten.
S:)a§ 9tec^t auf %iftenä mifl ^eute niemanben me^r bie
Sifd)errutl)e in bie |)anb brüden ober ifjm ein ©ebiet jur
1 Dr. 3. 2öoIf, ©octaliämug unb fapitaliftifc^e ©efettfc^attö^
orbnung (Stuttgart 1892) ©. 614 f.
3. ®te Befonbere ©erec^ttgfeit unb i^rc f^orberungen. 177
Sagb, 5iir 23ie()H)eibe antDeij'en. 6» ijanhdt ]\ä) überhaupt
babei nid)t um ein 9ted;t mit einem beftimmten binglid)en 3n=
f)nlte in irgenb einer g-orm, [onbern um bQ§ perfönlic^e, mit
ber men)d)Iid)cn Üiatur uri'prüngüd) gegebene Dicd}t , n)elc^e§
büt^er für alle 6ulturöer(]ä(tnifje feine ©eltung bcmafjrt, um
ha^ 9ted^t, burd) 5Irbeit ben gebütirenben Sebeuaunter^olt ju
finben. I^urj, „im ©tite gid)te§" ju reben: „S^ie 2;I}ei(ung",
b. i. bie 33ertf)eiiung äunädjft be§ Slotionatprobucteä , „mu^
üuä) {)eute fo gemacf)t töerben, boß oHe babei befleißen fönnen."
Slaran aber gerabe möd)te ber liberale l?QpitaIi§mu§ fic^ öorbei
mad)en. Um biefen ^reia flimmt er fogar ba» Sieb ber „be=
bingungalofen Siebe" an, ift großmütfiigft bereit, einige 2;au=
fenbe at» Sllmofen ju fpenben, um feiner „©ulturpflid)t" ju
genügen unb bie D^iiHionen ungeflörter auff}äufen ju fönnen.
6. S^ie Dernunftgemaj^e 5tuöübung be§ D^ec^te» auf ßriftenj
füf)rt fd)on bei 53eginn ber ßultur notfjnDenbig jum ^ribat=
eigent^um 1. 2;a§ @igentf}um ift febod) fein ©elbftämcrf. @§
füll nid)t ba§ aüen ^Jienfdicn gemeinfame 9ted}t auf ©i'iftenä t)er=
eiteln, nid)t bie urfprüng(id)e 33eftimnuing ber DZaturgüter, ben
Sebürfniffen afler DJienfdien p bleuen, iHuforifd^ madjen. Seine
5(ufgabe unb feine 53ered^tigung befielt allein barin, ha^ e§
ein öon ber 33ernunft unb bem natürlichen 9ted)te, im Sntereffe
ber ©inäelnen, ber Hamiden, ber gefamten focialen Orbnung
geforberte» DJiittel fei, um in frieblic^er unb ätüedentfpred)enber
2Beife bie ©üter biefer 2öelt ben 53ebürfniffen ber 93ienfd)t)eit
bienftbar ju madien. Sin gefeüfd;aftlid)er 3"[^a"^ ober, in
luetc^em ha§> ^riöoteigent^um jum |)inberniB ber allgemeinen
33erfDrgung gemorben, wo gange .klaffen ber Sebötferung o^ne
eigene ec^ulb bauernb bem @(enb unb ber Diot^ überantroortet
» S. Tliom., S. theol. 2, 2, q. 66, a. 2. — 23). @. ö. ßetteler,
Sie Strbeiterirage unb baö 6^rtftentl)um (33lain3 1864) ©. 69 ff. —
Jßictor ßolt) S. J., ßonferenäen (Söien 1891) ©, 49 ff.
178 3tüette§ ßa^jitel. S)ie ftaatlt^e 0ie(J)t§orbnung.
bleiben, mu^ borum bom (i)ri[ilid)en unb bernünftigen ©tQnb=
punfte QU§ mit aller (Snt)d)iebenfjeit al» unfittlid), ungeredit,
bem eröigen, toeltorbnenben 9tegierung§p(Qne @Dtte§ tt)iber=
fpred^enb berurtfjeilt iDerben. @o Ijahm bereit» in ben erften
Sat)rl)unberten be§ 6tjri[tenttjum§ bie fjeiligen 53äter gelef)rt,
fo bertünbete e§ bie c^riftlid^e ^-Pt;iIofopf;ie bea 53iitte(alter§,
unb genau benfelben DJJa^ftab legt and) Ijeute nod) bie d)ri[t=
Iid)e ©Dcialit)i[feni(^aft an, wenn [ie bie 33ert)ü{tni|fe ber @egen=
tbort einer ^riti! untersie^t.
g-reili(^ pa\\m berartige Sluffaffungen wenig in ben Sbeen=
!rei§ unserer !^dt Unb boc^ enttjalten fie nur ben Sluöbrud
ber einfodien, unbe[treitbaren unb für ba§ gebeit)Ii(^e S^=
fanimenleben ber 5Jienfd^en fo bebeutfanien äBaf)rt)eit, ba^ bie
©üter biefer äßelt jur S^erforgung ber 9Jienfd)^eit,
n i c^ t ä u r e y c I u f i ö e n 33 e f r i e b i g u n g e g o i ft i f dj e r
Sntereffen ©inj einer bon (Sott berliet)en finb.
7. 5{u§ bem 33er[jältni& be» (Sigentt)um§red}teö jum 9te(^t
auf ©i'iftens ergibt fic^ a(a mic^tige ^^olgerung bie Unter=
orbnung be§ inbibibuellen (Sigentl;um§ unter ha^
allgemeine @i'iftenäred)t ber ÜJUnfc^en.
3)iefe Unterorbnung [inbet junäc^ft itjren prägnanteften
5tu§brud in bem befanntcn ©a^e: „^n ber äuBerften Diotf}
i[l atte§ gemein." „2Birb bie ^Jiottilage fo augenfd)einlic^ unb
brangenb, ha^^ e§ offenbar ift, ber gegenmortigen Tiott) muffe
mit ben borlicgenben Singen gefteuert merben, bann barf
einer, erlaubtermeife , au§ frembem ©ute tiü^ 9iottjiüenbige
ttetjmen, offen ober gel^eim, unb e§ l;at ein folc^cä 33orget;en
nic^t bie 5ktur be§ ®iebftafjl§ ober be§ 9taube§." ^ 2ßer in
ber äu^erften 3loti) ha^ i^ut bea DZüc^flen gebraud)t, um fein
gefütjrbete» Seben ^n erhalten, ift fein S)ieb, fein ütöuber, fon=
bem befinbet fid^ in ber 5lu§übung eines Ütec^te», be§ primär=
1 S. Thom. 1. c. q. 66, a. 7.
3. ®te Befonbere ©ered^tigfeit unb il^re S^orberungen. 179
ften, nQtürfl({)en 9ied)te§, feine» Died}te§ auf @j:i[tenä. 2ßie
ber eine ba§ ©ut gebroud^en fann ala (Sigentf)ümer , fo borf
ber nnbere e§ \\d} aneignen qI§ DJKnijd), toeil e§ für i[)n je|t
bQ§ einzige ^J^ittel ift, fein 2e6en ju erhalten. S)aa erroorbene
9ted)t be§ @igent^um§ mu^ olfo ^ier bem angeborenen Otec^te
ber @elbfterf}altung tt3eid)en.
8. Mein nur bie öuperfte 9Zot^ gibt bem |)ungernben
ein ^tdjt auf eine concrete, borliegenbe Badjt, roäbrenb
ba§ ©jiften^rei^t ben DJ^enfdjen im allgemeinen auf bie
©üter ber Srbe anireift, ofjne eine binglidie |)errfd)aft über
irgenb einen concreten ©egenftanb unmittelbar ju gemäbren.
©(eicbmol)! mirb e§ in einem ftaatlidjen ©emeinmefen ftet§ ^er=
fönen geben, meldje burd) Unglüdöfäüe, ^ranft;eit, 33ebräng=
niB jegüdjer 5Irt jum felbftünbigen ßrmerb bea notfitüenbigen
Unterl)alte§ gang ober ttjeilmeife unfäl)ig finb. Boü f^ier ge=
tuartet merben, bi§ etma bie öu^erfte dlotlj ben 5)?angel einer
objectiüen 23eftimmt^eit be§ 9^ed)te» auf (äi'iftenj löfen mirb?
Unb roenn nid)t, mem liegt bie ^pfüdjt ob, für foldie 5Irme,
<Bd)tüa6)t, 9Zott)(eibenbe ju forgen, fie gerabe öor bem ©(enb,
ber äuBerften 5lott)Iage ju bemafiren?
2)er englifdie 5htionaIötonom 5l3kItf)Ua unb bie benfen
toic er, finb um eine 5(ntroort nic^t berlegen. gür biete Mzn=
\d)m — fo berlongt e§ bie 2;t)eorie — ift bei bem großen
©aftmafil ber Dlatur fein ßoubert gebedt.
9lid)t fo ba§ 6f)riftentfjum. 2)er c^riftlid)e 2(rme fül^tt
fidb nic^t ganj berlaffen unb berfto^en, tüeil er meiB, ba^ ©ott
and) für i^n ben Sifd) gebedt, ba|3 ber 9ffeid)e berpfüc^tet ift,
fogar burd) eine tjö^ere ^^fIic^t a(§ bie ^ftid)t ber (Serec^tig-
!eit, berpflid)tet burd) ba§ oberfte ©efeti, it)eld)e§ bie 53e5ief)ungen
be§ DJJenfd)en jum 5)Md)ften regelt, burd) ha^i ^auptgebot ber
Siebe, ber|)flid)tet bei feiner Seele ©eligfeit, il)m mitäut^eilen
bon feinem Ueberftuffe. 2Bir nennen e§ eine ^flic^t ber 9iäc^=
ftenüebe, toeil, abgefetjen bon bem fJaUe ber öu^erften dloti).
180 3»Dette§ ^apM. Sie ftoatlid^e »led^tSorbnung.
bem einselnen 5Irmen gegenüber eine red)tli(^c 33erpf(i(i)tung eine§
bestimmten 9{ei(!öen jur 5l(mD[enfpenbe nid;t befielt. ®er @igen=
tpmer foll üon feinem Iteberfluß geben. S)ie 5(rt ber 23er=
t^eilung aber i[t feinem Grmeffen Qn^eimgefteüt. „äBeil eS
Diele gibt, bie D^otf) leiben, unb man quo berfelben <Sad)e
nic^t QÜen gu i^ilfe fommen fonn, fo bleibt bie Sßert^eilung
ber i^m jugef^örigen ®inge bem Urtfjeite eine§ jeben überlaffen,
bafj er bermittelft jener ben 5btf)Ieibenben I)elfe." i
5lnber§ bereit fid) bie ©ad)e, fofern man nid)t ba§ $8er=
l^ültni^ be§ einjetnen 6igent()ümer§ jum einzelnen 5Zot{)Ieiben=
ben, fonbern jur (Sefomttjcit in§ 5(uge fa^t.
fö§ tuürbe eine 5luf(öfung ber ganzen focialen Drbnung
bebenten, raenn bie ©elbftfjilfe be§ Firmen, föie fie bie extrema
necessitas, bie äußerfte Dbt^tage, bem ^ilföbebürftigen ge=
ftattet, fid) gemifferma^en ju einer allgemeinen unb bauernben
Sfjatfadie inmitten ber ©efeüfdjaft f}erau§bilben foüte. 2)a§
mufj bie ©taatSgetüalt unbebingt t)erf)inbern.
Ueberbie§ i)at ber Staat bermöge feiner mefentlidien 5(uf=
gäbe, tüie jebeg anbere ^^d)t, fo and) ha?i natürlidie 9Jed)t ouf
©jiftenä SU fd)ü|en. ß§ ift barum eine ^flid)t unb ein ^tä)t be§
Staate», feinerfeita bie objectiöe Unbeftimmtfjeit be§ natürlid^en
@3:iftenäred)te§ im Sntereffe ber ern3erb§unfä§igen 5trmut, unb
um fie unb \\d) bor ber äuf5erften 5iot^ ju betnaliren, burd) bie
pofitibe ©efe^gebung ju löfen. .^ur^, bie fubfibiäre 33e=
red)tigung unb 9?ot^menbigfeit einer ftaatnd)en 5(rmenftener,
h)D immer bie freie d)rift(id)e 2icbe§tt)ätigteit für bie obföal^
tenben 33ebürfniffe nid)t au§reid)t, bürfte bom ©tanbpunfte
be§ 51aturred)te§ au§ tüolji faum besmeifelt werben fönnen.
3n bem gleidben ©inne fcbreibt ^rei^err b. ^ertling: „2Bo
ber ©eift be§ 6f}riftentf}ums in ganjer ©törte Tjerrfdjt, ha ift
aüerbing§ für ftaatlidje 5trmenpflcge fein 9taum unb lein Se=
1 S. Thom. 1. c.
3. ®ie {icfoiibcre ©ered^tigfett unb ir)re fyofberungcn. 181
bürfniB. @D toax e» in ber alt(i^riftlid)en Qt'ü, wo bie Sjiü=
fönen an bie 31rmen bert(}eilten, rva^ [ie bon ben reichen ®e=
meinbeg(iebern er()alten tjotten; fo in ben mittelalterlici^en
(stcibten, mo großartige tStiftungen bon 33ürgern bie 5}iittel
jum Unterl^alt ber Sßebürftigen boten. 5(6er man barf nid)t
öergeffen, bap e§ [icö ^ier [tct§ nm nerfjältnij^niäpig fteine unb
feftgefc^Iofjene ©emeinmefen l^anbelte. 2öo beren g-ür)'orge ber
5Zntur ber @a$e nac^ nici^t meljr ^inreid)te, \üt) e§ um fo
fc^Iimmer au§, unb ju ben ^eroi)(^en 53emeiien tt}ätiger 5^äd}[ten=
liebe, föelc^e immer mieber oon ßinjelnen ober bon 6orpora=
tionen geleiftet würben, bilbete bie lüeite ^Verbreitung be» @Ienbe§
ben büftern i^intergrunb. . . . Söenn ba^er ber moberne ©taat
bie 5(rmenpflege in ben l^reia feiner Stjotigfeit miteinbejogen
f)at, fo fjat man bie§ nid)t al§ Ufurpation eine§ fremben (Se=
biete! ^u tobeln, fonbern al§ bie unentbeljrlid^e (ärgänsung ber
d)rift(i(^en 6^arita§ ju begrüßen. . . . 9Jur muß man [id)
^üten, bie ©renje ^tüifc^en 2iebe§bflic^ten unb 9ted)t§pflid)ten
ju bertüifc^en. Sie Ie|tern aüein unterliegen ber ftaatlid)en
Siegelung. 2)ie Sruberliebe jur ©runblage ftaatli(^er 5)bB=
nat)men madien, fjeifet, bie ^ompetenj ber ©taatSgemalt über=
fd)reiten unb jugteid^ bie 53ruberliebe in i§rem 2eben§nerö
angreifen." ^
9. S^ie 2öer!e ber greigebig!eit unb ber 6f)arita§ bifben
inbe§ ebenfomenig eine Söfung ber focialen grage mie ba§,
maS bie ftaatlic^e 5lrmenpflege jum ^Beften ber Dtottjteibenben
tl)un !ann. „2ßir banfen für eure Siebe, für euer 33ettel=
almofen unb eure ^arm^er^igfeit. 9öir moUen @eredötig=
!eit, bie ganje, tjolle @ered)tigfeit unb nur fie; bann
werben wir un§ felbft r)elfen." S^aS ift ber @runbfa| ber
igocialbemofraten, ber aud) auf beutfd)em ^Boben in Sanfenben
tjon Söenbungen au§gefprod)en mirb.
ö. Wertung, 9laturre(3^t unb ©ocialpoliti! 8. 53.
182 Sttieiteg ßapitel. ®ie ftaatltd^e 9fie$t§otbniing.
Tlan mag [ic^ entrüften über bie Brutale ^orm foI(f)er
5(u§fprü(J)e, man mag bie ^ur5fid)tig!eit beflagen, bie e§ für
möglict) ^ält, allein burd) ®ered)tigfeit ba§ ©lücf ber @e=
fetlfdjaft gu boüenben. @ine§ jeboc^ fann nid)t beftritten föer»
ben : ©erec^t barf nur eine foldie @efeIIfd)a[t§Drbnung genannt
werben, in tt)e(d)er ba§ 9te(^t auf ©iiften^, b. ^. ba§ ^tä)i,
burc^ reblidie 5Ir6eit ben entfpredienben Unterl^alt ^u er=
merben, nicftt burd) bie focialen Snftitutionen ober burd) ben
5[IJangeI geeigneter Snftitutionen in g^rage gefteüt mirb. S)a§
ift unferea @rad}ten§ bie bitterfte unb überbie§ eine nur ju
tool^l begrünbete 5ln!Iage gegen bie liberale äBirtfd)aft§epDd)e,
ba^ in it)r ein großer Stjeil ber S3et)ölterung ber gefid)ertcn
ßjiftenäbcbingungen ofjne eigene <Sd)uIb unb trotj müfjeöollen
unb rebüdjen 9tingen§ beraubt lourbe unb beraubt blieb. 2)en
2Beg ^u ben ©ütern biefer (Srbe für ben recbtfdjaffenen 5lr=
beiter, mag er 53auer, ^anbmerter ober SnbuftrieHer fein,
mieber ju öffnen unb offen ju galten, ben öerfdjiebenen @tän=
ben gefid)erte (Sjiftenäbebingungen ju geroäljren, ba§
9te(^t auf ßjiftenä burci^ eine fluge, geredete 2Birtf(^aft§poIiti!
bon neuem ^ur Geltung ju bringen, ha^ ift bie grope 5Iuf=
gäbe, bie ^eute bem Staate bermöge feines natürlid;en 3tt)ede§
unb auf ©runb ber gegebenen 3]erljä(tniffe zugefallen ift.
10. @in l^erborragenber unb berbienftboHer protefiantifdjer
©Dciafpolitifer au» ber OtobbertuSfd^en ©dmle äußerte fid)
un§ gegenüber bor einigen Sö^jten über bie gegenmärtige Sage,
inbem er fagte: „(Sin 3^ifiönb ber S)inge, in meldjem alle§
bon ber 5ktur gelieferte, bon ber 5)ienfd)en!raft aufgel^äufte
5lneigenbare bon einzelnen Snbibibuen in ^ribateigenttjum ber=
toanbelt unb biefe§ gefamte l^apital bann auä) nod^ burd^
fociale Snftitutionen lünftüd) probuctib erljalten tüirb, ift nur
nod) für fe^r turje ^dt Ijaltbar. 3)urd) eine !^dt bon dampfen
tt)irb man jur (Snt)d}eibung 5n)ifd)en jföei ^principicn gefteüt
loerben: S)a§ eine befielt in ber 51ufred^tl;altung be§ 5pribat=
3. S)ie befonbere (Beretf)tigfett unb t^re g^orbetuttgcn. 183
eigentfjumS an einem großen Sljeil be§ eben gonj allgemein
al§ jRapital ^Bejeicfineten bei boüftänbiger 5luf^e6ung feiner
5probuctiöität , ]o bajs nur noc^ bie 5(r6eit ^.irobuctiö bleibt.
®iefe Üteform, föeld)e bQ§ ^ribQteigentf)um principieü im grofeen
unb ganzen befteljcn laiit, i[t ben!barermei)e ofjne bie energifd)e
5!Jiittt)ir!ung ber fot^olifd^en llitd)e nici^t auafü^rbar. Sollte
biefe Steform ni(f)t gelingen, fo mirb bie 3ii^i^"ft ^^r grie(^i=
fd)en ^irdie gehören, meldte mit bem fogen. nQtiDna(=f(atiij(^en,
b. f). communiftifci^en unb in ber Wix unb S^bruga no(|
beftetjenben @igentt}um§|)rincip bie SBelt regeneriren will,"
2öir unferer[eit§ tljeilen bieje ?ln[id)t nid)t; inabefonbere
glauben h)ir nic^t, ba| bie (jeutigen ßulturöölfer bauernb
mieberum auf ba§ ^^iiDeau be§ 6ommuni§mu§ Ijinabfinfen toer=
ben. (Sbenfomenig ermarten mir bon einer gän^lidien ober
tfjeilroeifen 2)urd)fü[jrung be§ Staatafociali^muS irgenb weldje
Sefferung unferer 33erl)ältniffe ^
2Baa mir unter fodaler 9ieform berfteljen, ba§ I)ält bie
5)Utte ämifdjen @ociaüömu§ unb SnbiDibuali§mu» unb fteljt
in fdiroffem (S5egenfa|e ju beiben. 2Beber ber liberale Defo=
nomi§mu§ nod^ ber ©ocioIi§mu§ öerfügen über ben rid}tigen
23egriff ber 5SoI!§mirtfd)af t a(§ einer realen (Sinljeit
unter bem @e[id)tö|)unfte ber aKgemeinen Sßofilfaljrt al§ be§
praftifc^en 3iele§ unb 3mede§ eineS ftaatlici^ berbunbenen 33Dl!e§.
S)ie 3^Dlf§mirtfd)aft gilt un§ alfo meber im ©inne ber flaffi=
fd)en Defonomif al§ eine blo^e Summe bon ifolirten
?pribatmirtfd)aften, meld)e nur burcb ben Saufd^berfe^r
1 hiermit toollen toir jeboc^ teiiieäinegg fieftveiten, ba% bei einer
Tid)ti9en 93iii(f)ung üon öfientlid^em unb ^ßriüatbefi^ ber offentlicfje
58efi^ in mannigfacf)er §tufi(f)t günftig auf bie ^Regelung beä priüaten
$8efi^e§ etnautoirfen im ftanbe tft. ^m ©egentf)eit toünjc^en toir eine
berartige 93Ufcf)ung um be§ befagten 35ortE)eiI§ toiüen, ebenfo toie oon
unä bie ri(f)tige $ntifcf)ung tion ©ro6=, 5!JlitteI= unb ßleinbefi^ oB ein
3iel ber focialen Üteform anerfannt toirb.
184 3weite§ ßa^itet. Sie ftaatlicfie 9le(i)t§orbnung.
miteinnnber in 5öer6iribung treten, im übrigen aber DöHig un=
be^inbert i^rem 5prit)atbDrt^eiIe bienen !önnen, — nod) öer=
mögen föir mit ben ©ocialiflen jeber ©cftattirnng in ber 33o(f§=
n)irtjct)Qft eine große Snbibibnaltüirtfc^aft be§ ©taate§
ju erfennen, wobei ba§ 2^oIf in feiner Totalität ai^ „®e[ell=
fd)aft" ober ber ^tftorifd) überlieferte ©taot qI§ mirtf(i^aftenbe§
©ubject gebadet tüirb unb bie 33ert()ei(ung ber (Süter ficb un=
mittelbar burd} ben 6taat ober bie „@efe(If(^aft" bo[Ijief}t.
93ielme£)r galten föir bafür, baf? bie „5>oIf§n)irtfd)nft" riditig
berftanben nid)ta onbereä ift al§ eine Orbnung aller 2Birt=
fc^aften ober ba§ nad) DJia^gabe ber gorberungen ber @e=
red^tigfeit unb be§ ©emeintool^teS georbnete tütrt=
f(^aftttd)e Seben eine§ ftaatlic^ geeinten S^oIfeS.
S)a^ bie |)erfte(Iung einer fold)en Crbnung Sefdiräntungen
ber greifjeit erforbert unb mand)e Opfer auferlegt, mirb nid^t
bejtneifelt toerben fönnen. 2Iber e§ finb ©diranten unb Opfer,
bie ben 33ö(fern jum Segen gereidien, meil biefelben nid}t üh=
foIutifti)d)er äCnüfür, fonbern bem bürgerlid)en (Scmeinrootile
nac^ Otec^t unb ®ered)tigfcit bienen foüen.
fociakx '^xa^en.
2)ie borauggel^enben Unterfud^ungen über einzelne miditigere
2Ba^r[)eiten ber d)rift(id)en @efe(Ifd}aft§Ie[)re fe|en un§ in ben
@tanb, berfd^iebene @runbfä|e aufäufteflen, meldje ein tieferes
2]erftänbniB be§ fociaten Seben» ermögüdjen unb eben barum
bei allen Seftrebungen jur Söfung fociater fragen gebü[;renb
bead)tet merbcn muffen. S)iefe DJki'imen entfjalten ntd^t§ ^ReueS,
fteüen fid) bielmc^r al§ furjgcfafite (Srgebniffe ber bisherigen
au§füt)r(id)ern Erörterungen unb 53emeiäfül)rungcn bar.
1. ®er ©taat, ala fpecififd)e @efelIfd)aftäform, ift fein
jufäüigeS, rein Ijiftorifd^eS ^probuct, fonbern eine unabtoeiSbare
4. ^rincipiefle ®efi(|t§pimtte 51« S5eurtf)cituTig jocialet Strogen. 185
gorberung ber tiertüinftigen ^?enfd}ennatur unb barum jugleic^
ein tüefentücfier, bauernber Sej'ionbtfjeil ber Don @ott geiüollten
2BeItorbnung,
2. S)ie (gtaatSgetüatt i[t 2Be)'en»eIement ber flaatlid^en
©efeüfd^aft, wie biefe eine Don ber 33ernunft geforberte (iin=
rid)tung. Snnerfja(6 ber ©renjen i^rer (Sonipetens 6e[ibt bic
©taatSgeraalt raafjre ^Uitorität, b. i. ba§ 9ted)t, ju öerpfüdjten.
S^re ^tnorbnungen erfdieinen mittelbar üI§ 51u§flui5 be§ JDeIt=
orbnenben unb gefetigebenben götttidjen äBillen?, insofern biefer
ber •Staatggeiüolt für ben 5ßerei^ i^rer 3^De(f§]pt)Qre 3üito=
rität Derlei^t.
3. ®er 53lenfd) ^at aber nod) einen Jjötjern ^wtd, al§
©lieb be§ ©taotea ju fein. S)urd^ biefen feinen Ijö^ern ^votd
unb fein Ie|te§ S^l beiüofjrt hü^ Snbiöibuum felbftänbigen
Söert^ inmitten ber ftaQt(id)en @efellfd)aft, erfdieint jeber @in=
seine a(» ©ubject bon 9ied)ten, lüeld^e ber ©tnot if)m nid)t
t)erlie!^en f)Qt unb bie er if)m nid)t entjieJjen fnnn. 3m ^in=
blid auf jenen t)öd}ften ^imd ■ — ©otte» Sienft fiienieben
unb ©ottc» ^e[i| im 3enfeit§ — gilt ber ©taat, lüie alte
irbifc^en ©üter, (Sinricbtungen unb 93er^ä(tniffe, nur aU Wllittd
3um Skit.
4. (S§ fann bafier meber ber S()atfac^e nod) bem ^tä)k
naä) ein ^oftulat magren 33ölferglüde§ geben, melc^eg hm
9Jknf(^en bem 3)ienfte ©otteS, bea atler^öc^ften ©efet;geber§
unb aümeiien 2BeIten(enfer§, ent^iefjen unb i{;n um eine§ an=
geblii^en 58oIf§= ober Staat^intereffeS tuiüen ^um 58eräid)t auf
feine eroige ^eftimmung Derpflid^tcn bürfte. Sie roafiren unb
berechtigten (Socialsroecfe roerben niemo(§ in SÖiberfprud^ treten
äum ^Dc^ften unb legten ^to^dz ber ben ©taat bilbenben 3n=
bioibuen. ^m ©egent^eit ift e§ bie fc^önfte unb fjöi^fle 5tuf=
gäbe be§ @taate§ , burd^ aUeS , roa§ er im 33ereid)e feiner
9ted)tä= unb 3.s3irtung§fp^üre ^u leiften ^at, ha^i (Streben ber
S3ürger nac^ itjrem (Sub^iele 5U erleidjtern unb ^u förbern.
186 3toeite§ J^apttel. Sie fttiatlidöe 9ie(^t§orbnung.
5. ®er ©taat i[t ni(^t bie ©efeü[c^aft fd)led)t§in, fonbern
nur eine ©efellfdiaft^forni. 5(ii^er ben [taatlidien gibt e§ für
ben 5!J?en)c^en noc^ onbere fociale Sonbe. S)a§ gefellfdiaftliclie
Seben ber ^Bürger föirb nii^t mit bem [taot(id)en Seben erfc^öpft.
6. S>or ber f)ö(^[l berberblid)en Uutermerfung ber „@efell=
fd)Qft" j(§(e^tf)in unter bie [taatlid^e ßentralgemalt unb öor
ber (Einfügung be§ ganzen ©efeüfd^aftsIebenS in bie befonbere
®efenfd)a[t§art , weldie tt)ir a(§ „[taatüdje ©efeüfc^aft" be=
jeiÄnen, — öor biefen bie g-reif)eit Dernidjtenben 5ßet)Quptungen
unb ^eftrebungen bleiben bie cbri[t(id)en 33ölfer \djon allein burdö
bie 2ef)re don ber ^ird)e q(§ einer freien, unabf)ängigen, t)oU=
tommenen ©efeüfc^aft neben bem ©taate auf§ wirffamfte gefdiütU.
7. @benfa(I§ für bie gamilie nimmt ba§ 6^riftent£)um
unb bie d)riftü($e ^f)i(ofopI}ie mit allem 9fJod)brud bie gebül)=
renbe ©elbflönbigfeit in 5Infprud). S)ie gamilie mor bor bem
(Staate ba, au§gerüflet mit einem natürlichen ^tüedt unb natür»
fielen 9ted)ten. SBenn fie aud) a(§ Seftanbt^eil bem (Staate ein»
gefügt unb untergeorbnet ift, fo fann bod) niemal» ber (Staat§=
gematt auf irgenb einen Sitel I)in bie 5Befugni^ erroadjfen, bie
gamitie t[}rer natürlidien 23eftimmung unb ifjrer natürlid^en
9ied)te, namentlid) im ^inblid auf bie ßrjieljung unb ben
Unterridit ber Hinber, gan^ ober tt)ei(roeife ju berauben.
8. Sa§ SebnrfniB ber 5JJenfd)en naä) gegenfeitiger |)i(fe
unb Unterftü^ung unb ber hierauf berutjenbc natürlicbe 3:rieb
ju gegenfeitiger 33eretnigung bewirft, baf? innerhalb be§ Staates
fic§ SSereinigungen unb 23erufögenoffenfd)aften bilben, mlä)z
bie SSerfoIgung bered)tigter, inSbefonbere aucb mirtfcbaftlicber
Sntereffen jum !^mdt Ijaben. @§ ftetjt bem Staate teine§=
megS 5u, berartige, bem Söo^Ie ber S3ett}ei(igten pd)ft nü^Iid)e
unb bem ©emeinmo^Ie ni(!bt raiberftrebenbe ©efeflfcbaften ju
unterbrürfen ober 5u bet)inbern. dr foll biefelben Die(mel;r
nacb befter ^raft förbern burd) ©eiuä^rung Don 6orporation§=
red)ten, ^nertennung il^rer innern ^^utonomie u. bgl.
4. ^principtelle (Sefic^t§pimfte jur Seurtfieilung focialcT t^ragcn. 187
9. ©er ©taat i[t ni(^t bie DueUe unb barum oud) nid)t
ber nbfolute |)err aKc» 9üe(i)te§, fonbern nur ber 2Serrair!lid)er
unb §üter ber il)m buri^ bo» 9^Qturred)t in großen 3ügen
DDrgeäeid)neten 9te(^t§orbnung.
10. 2)ie 9?e(f)t§orbnnng bilbet einen föefentlici^en 53ej'tQnb=
t^eil ber [ittlii^en aBeltorbnung. S£)re Shifgabe i[t bie 33er=
tt)ir!(id)ung ber @ered)tig!eit , burc^ meldie bie 5}2en[d){}eit in
i{)rem gefenfc^Q[tIid}en ®afein ©otteS |)ei(igfeit unb 2Bei»f)eit
gemöB georbnet unb in biefer Orbnung erfjalten lüirb. Ueber
bie ©renken be§ tRedjte» ^inouS bie [ittüd^e Söeltorbnung pofitid
unb birect ju öertt3irf(id)en, i[t ber Staat Weber berufen nocb
befäl}igt. 9?ur fomeit bie [ogen. öffentlidie 5}?ora( in ^rage
lommt, f)at ber ©taat einzugreifen, inbem er öffentlidie 5terger=
niffe berfjinbert unb beftraft.
11. ©efe^e, )x)dä)z ber fittticlen SBeltorbnung unb fpeciell
bem natürüd)en Üiec^te roiber[pred)en, fjaben leine Üte(^t§!raft,
weil bie tierpf(id)tenbe ^raft be§ ®efe|e§ [id) le^tlid) ou» bem
9taturred)te ableitet, ha§i 3^aturred)t aber ju ni($t§ t)er|:)flid)ten
!ann, ttia§ ben ©a^ungen ber lex aeterna unb bemgemä^
feinen eigenen g-orberungen miberfpridit i.
12. S)er Staat gibt fic^ ni(|t felbft feinen ^\VQä unb
!ann barum oud) feine§tt)eg§ nod) Setieben ben Umfang feiner
33efugniffe beftimmen. ®er ^md be§ ©taate§ ift t)ie(me^r
burd) ba§ natürlidje Otec^t, mie e§ fid^ in ber menfd)Iid)en 3Ser=
nunft un^meibeutig offenbart, !Iar unb genou beftimmt. 'iRad)
biefem 3tfede bemi^t \\d) bie 9ted)tmäBigteit ober Unred)tmä^ig=
feit ber gefamten ©taatstl}ätigfeit.
13. ®er Staat ift t^iernac^ jur ©rgönäung ber natürlichen
Sdimäd^e, |)ilf§bebürftig!eit, ^ßerboKfornrnnungSfä^igfeit feiner
1 „®ie ^eibni feiert ?PfiilDfo)3'^en fpred^en mit SiJlai^iabeü : ©^
ift Q,txtä)t, tt)a§ nur äum gtoede fü^rt; bie c^rift liefen: yiux ba§
©ered^te fü^rt gum ^^md" (ögl, Baxl SUlarlo, 6t)ftem ber 33}elt=
ötonomie III [Tübingen 1885], 56).
188 3t»cite§ ßo^itcl. S)ie flaatlid^e 9iecf)t§orbnung.
53eftanbt()ei{e befttmmt, nit^t jur 93erbrängung ber inbibibuetlen
ober focialen S^ätigfeit ber Bürger, md)t jiir 23eiDrgung beffen,
lüa» ber einzelne 5)ien|(i) ober bie natürlidKn unb freien
focialen 3}erbQnbe burd^ eigene ^roft p leiften bermögen. 2Bo
bie ^raft ber Snbiöibuen nnb il}rer ^iffociationen aufijört,
beginnt erft bie ©pfiöre ber ftaatlid)en Stjotigfeit.
14. ÜJZit gted^t tt)irb aU 3n)ed be§ 8tQQte§ bQ§ irbifc^e
2BdI)I ber S3ürger 6eäeid)net, 2)iefe§ SBof)! mn^ babei ober
qI§ ©eforntraof)! oufgefafjt föerben, qI§ ein Inbegriff äußerer
58ebingungen unb (Sinrid^tungen , burc^ beren 58enu|ung bie
^Bürger feIbftt()Qtig unb mit (Srfolg if)r 5|3rioattt)ol)t Dermir!»
Iid)en fönnen. Unter bem <Bä^n^ be§ @taate§ unb mit |)ilfe
ber öffentlid)en ä>erQnftQ(tungen bleibt ein jeber feines eigenen
(B(ü(fe§ ©(^mieb.
15. 2)ie 2:f)ätigfett be§ Staate» unterfd)eibet fid; ba^er
n^efentlic^ bon ber 3;f)ätigfeit ber g^amilie. S3eibe @efe[Ifd)aft§=
formen finb 33eftanbt[)eile ber allgemeinen natürlid)en ©ocia(=
orbnung; beibe f)aben bie föntmidhnig unb ^ßerboüfommnung
be» ^DJenfd^en , junadjft in feinem (Srbenieben , jum ^mzdt.
5Iber biefe» 3^el erftreben fie in berfd)iebener 2Beife, in ber*
fd)iebenem Umfange unb ©rabe. S)ie gamilie ift an erfter
©teile unb bor bem Staate berufen, bie mefentlidien ©üter
ber menfd)Iid)en ©i'iftenj unb ©Dolution if)ren ©liebern ju ber»
mittein nad) bem 93kBe if)rer ^raft. 3)er <Btaat foH nod^
bariiber fjinau§, unter 23enu|ung ber ©efamtfraft be§ 53otte»,
reichlichere 93^ittel jur i^erfügung ftellen unb ben SSeg ju einer
flö^ern ©ntroidlung ebnen. 2)ie gamilie h}enbet i^re Witkl
unmittelbar auf bie einzelnen ©lieber an unb fucbt biefelben
für ben ©ebraud) jener Wittd ju biöponiren, ber Staat ha^
gegen beroirft nicf)t unmittelbar feiner|eit§ bie actuelle (Snt=
tt)idlung be§ einzelnen 33ürger§ unb feiner irbifd)en ©jiftenj,
fonbern bietet unb ertjiilt für alle nur bie 93^öglid^!eit einer
fortfd)reitenben ©bolution, inbem er ©inrici^tungen fdjafft ober
4. ^^rincipielle ©eftc^töpunfte jur S8eurtI)eUiuig focioler ^rragcn. 189
förbert, but(f) beren 58cnutjung bie Bürger i^re perfönlid^eu
^latutonlagen unb if)i- tt3irtfcf)aftli(3^e§ ©ein löeiter enttrirfeln
unb berboütommnen fönnen.
16. 3.kr[tef)t man unter ^politif ober ©tQatSthigljeit im
allgemeinen bie 2Biffen]'d)aft, be^m. ben ©ebroucö ber riditigen
^JJittel, burc^ meldte ber 8tQat§5me(f (©emeintüolji be§ 33D(!e§)
fo UDÜftönbig al§ möglich in ber 2BirfIic^!eit erreicht wirb,
bann ift e» 5{ufgabe ber ftaatlic^en Söirtjdiaftgpoütif in§=
befonbere, bie nad) ben jemeUigen 33ebürfni[len unb 23er(}ält=
niffen erforberlicEien Tlxttd ju erfennen bejtt). anjumenben,
burdö tt)eld)e bie ollgemcine, materielle 2Bo^(fa!)rt be§ 33oIfe§
erreicht, bewaljrt, geförbert merben fann. ®ie concreten ?(uf=
gaben ber [taatlidjen 2Birt]d)aft§|3oIitif öerönbern [id) bafjer
je nad) ben I}i[tDrif(^en 33ebingungen. Unberänbert jeboi^ bleibt
ifire 9{id)tung auf ba§ (Semeinmo^I , if^re 33egren5ung burd}
ba§ natürliche 9ie(^t unb ben <Staat§ämed.
17. 5)a ber ©toat nid)t feiner felbft, fonbern nur feine§
3tDede», b. f). be§ ©emeinirof^Iea ber 53ürger megen ba ift,
fo barf niemals ba§ ©efamtmo^t be§ 33Dtfe§ einem angeblichen
(Staat§mDl)Ie geD).ifert merben. „2Beber ba§ Snbibibuum, noi^
bie t^^amilie, nod^ bie engere 3^ami(iengru|)pirung in ber ©emeinbe
ift bem ©taate aU bloßeS ^Waterial jur 5?erfügung gefteflt,
um bermittelft beSfelben unb auf Soften biefer organifd^en 53e=
ftanbtf)eite feine uniberfale ©rö^e unb 9Jkd)t al§ eine felbfl=
jmedlic^e C'^errlidileit bi§ in§ Hnenblit^e ju erp^en. S)er Staat
f)at ben natürlichen 23eruf, feine focialen 23cftanbt^eile auf bem
SBege öffentlid)er Crbnung ^u l^otenjiren, beren inneres, meient=
i\ä)t^ ^ntereffe ju fd^ütjen unb ju förbern; aber letzteres in
fid) felbft ju abforbiren, ift er meber berufen no(^ befugt." ^
18. SBeil bie ftaattii^en 5(ufgaben nid)t o^ne 5(ufmanb
it)irtf(^aft(i(^er 9}iittel erfüllt »erben !önnen, fo ift eine §inQn5=
^ %i). 3Rt^s)^x, Sie ©tunbfä^e ber ©ittltäifctt unb be§ 9fied§t§
©. 126.
190 SöJeite^ Kapitel, ©ie ftaotIi(|e 3ie(|t§otbnung.
löirt[(^aft be§ ©taoteS jur georbneten |)er6ei[diaffimg unb 33et=
tnenbung jener Wütd notfiiüenbig unb berechtigt. 2Bie aber
bie gonje poIitifd)e Orbnung ber bürgertieften Drbnung bienen
muB, inbem fie feinen ^ö^ern Qtio^d f)ai a(§ 'üa^ 333d1^I ber
©efamt^eit Quer bie ftQQtlidje ©efeHfcftaft bilbenben ©lieber,
fo befi^t aucf) bie [taatlidie g^inansmirtfcftaft unb ginanspotiti!
i^re p^ere, regeinbe unb befd}rön!enbe ^Rörm in bem bürger=
Iid)en ©emeinttjol^te. ®ie 33oIt§tt)irtid)oft i[t olfo nidjt etroa
f(ftted^tt)in für bie 58e[riebigung ber 33ebürfniffe be§ ©tQat§=
f)au§^alte§ bo; bielmefir n^erben biefe 53ebürfni[fe nur befrie=
bigt, bomit ber ©toat feinen ^fliditen unb 5lufga6en bem
35oI!e unb fpeciell aucft ber SSoItSmirtfcftaft gegenüber gebüJ)=
renb entfpre(ften tonne, ©ine Sefnftung be§ 33otfe§ über bie
(Srenjen be§ bem ©taatgäWede entfpredienben 33ebürfniffe§ ift
baljer red)tti(ft unjutäffig; no(ft met)r ober liegt jebe milltür^
Iid)e 33erbrängung ber 213oI!§n3irtfd)aft burd) bie (StQat§tt)irt=
fd)aft Qu^er^alb ber im natürlichen 9ted)te begrünbeten ftQat=
Iid)en 5}?a(fttfpl)äre.
19. S)ie ^reit)eit ber Sürger im ©taate tann feine a^=
folute fein, meit fonft jebe focinle Orbnung fid) notljmenbig
auftöfen mü^te. Slnbererfeit» fte^t e5 ber @taat§gemalt feine§=
meg§ ^u, in beliebiger SBeife bie greitjeit ju befdiränfen. Sft
ja bod) bie 3^rei[;eit felbft ein l)Df)e§ @ut unb ein natürlid)e§
iRe(ftt, n)el(fte§ nur fo weit geopfert merben muB, al§ bie not^=
menbigen "Stü^dt be§ ftaotlidien 2eben§ biefe§ Opfer unbebingt
öertangen. — ®a§ ^rincip, nad) meldjem fid) bie 53efd)ränfung
ber grei^eit unb bie 33emeffung ber Opfer in ber 9tcd)t§au§=
Übung regelt, ift ha^ ^rincip ber 3ftcd)t§cDnifion. ®q§ niebere,
inbibibueHe, jüngere 9ted)t muf5 bem Ijö^ern, allgemeinen, altern
9ied)te meieren.
20, 2)ie grud)t ber noci^ ben f^orberungen ber @ered)tig=
feit fid) öDÜjiefjenben Sefcftränfung ber greifjeit ift bie ftaat=
lidje unb gefeüfd)aftti(fte Orbnung. S)amit biefe§ fdpne unb
4. ^Principiette ©efidfitöpunüe jur SBeurtl^eilung focialer f^rageii. 191
notf^tnenbige 3iel erreid^t werbe, baju i[t aber erforberlid),
haii bie @erecf)tigfeit in i^rem üollcn Umfange öerlüir!(id)t
lüerbe : bie iustitia legalis, distributiva, stricta ober com-
mutativa.
21. 2;ie legale ©erec^tigfeit forbert bon feiten ber 33ürger
©el^orfam gegenüber gerechten ©taat^gefe^en, SSereittriüigfeit,
für bie ©efamtf)eit ^fIid)tmäBige Opfer ju bringen, überfjaupt
ba§ priöate ^ntereffe bem öffentü^en ^ntereffe unb bem aü=
gemeinen SBo^Ie unteräuorbnen. 9Jhn barf affo nid)t auf
Soften ber ©efamtljeit bie eigenen ^ntereffen pflegen, mu^
bielmel^r bei allem feinem ©treben aiid) bie 9tec^te unb Snter=
effen ber anbern jur ©eltung fommen laffen. ^pflic^t ber
©taat§gett)alt ift e», nad)brüc!Iid) für bie Baljrung ber legalen
@ere(^tigfeit einzutreten.
22. S)ie bi^tributiöe ober bertfjeitenbe @ere(^tigfeit öer=
ppid^tet bie 8en!er ber Staaten, bie gemeinfamen Saften ben
Gräften ber Sinjetnen entfpred^enb unb bie (Staatgföo^It^otcn
bem 5ßerbienfte unb Sebürfniffe gemäß ju öert^eilen. — Sn»=
befonbere bei Semeffung ber «Steuertaft, wetdie bie ©injelnen
äu tragen l^aben, mu$ bie biStributiöe @ered)tig!eit geraabrt
tüerben. 3)a§ in erfter Sinie entfd)eibenbe ^rincip ber «Steuer^
t)ert^ei(ung ift nic^t bie 33erge(tung ber öom ©taate empfangenen
SöotjÜ^aten, fonbern bie 5pflid)t be§ Staatsbürgers al§ fotd^en,
nad) DJkßgabe feiner materiellen 2eiftung§föf)igfeit jur Seftrei=
tung ber gemeinfamen Saften beijutragen. — 23ei ber 9]er=
t^eihing ber (£taat§tt)ot)Itf)aten , inSbefonbere ma§ 9te^t§fd^u|
unb pofitiöe götberung betrifft, forbert bie biStributioe ®e=
rei^tigfeit eine größere Sorgfalt im ^ntereffe ber fd)roä($ern
Seftanbt^eile ber ftaatlic^en ©efeüfcbaft ^. — Unbegrünbet unb
^ ®er üerbienftDoIte ^pifaner Socialpolitifev ^rof. Dr. Sonioto
üert^eibigt in ber „Rivista Internazionale di Scienze Sociali", Rom.
1897 (Cgl. au^ „©etmania" XXVII. 3af)rg., 91r. 242 öom 21. €c=
tober 1897), ben aßerbingä leicht mifeüerftänblic^en Sluäbrud „Demo-
192 3weitf§ Kapitel. Sie ftaatlid^e 3fted^töorbnung.
in öerberblic^en ßonfequenjen geleitenb lüäre e§ jeboc^, toenn
man bie biätributiüe ©erec^tigfeit gum ^rincip ber 33ertt)etlung
ber 9tei(^t^ümer (im bolfaiüirtid^aftlidien ©inne be§ SöorteS)
machen raonte. S!ie bi^tributiöe (Sered^tigfeit bertfjeilt bie ge=
nteiniamen ©üter be§ floatüdien 2eben§. ^ene ©üter aber,
lüeldie im t)oI!§tt)irticfjQft(id)en ^roce^ ber ©üteröertljeihmg ben
33ürgern jufommen, finb 5|3riöatgüter. ©ie toerben ben 5öür=
gern ^u tl^eil bermöge priöaten Üf e(i)t§titel§ , feine§tt)eg§ in
erfter Sinie megen eine§ öffentltd^en 23crbien[te§ um bie @e=
famt^eit, fonbern al§ gruci^t ber 5trbeit ober qI§ (Begenleiftimg
für ein anbere§ @ut ober unter liberalem 9te(f)t§titel. 2öer
bie biötributiöe ®ere(^tig!eit jum ^rincip ber ©üteröert^eilung
madien moHte, fönnte \\d) ber abfurben (Aonfequenä einer öd(I=
ftänbigen 53erbrängung ber 23oIf§tt)irt[d)aft burc^ bie ©taat§=
mirtfdiaft nid)t entsie^en.
crazia cristiana", beffen fid§ bie !at^oItfd)=fociaIe 33ett)egung in Sta=
lien Ibebient, tiibetn er ^ntiüx^tbi, bofe „©emolratie" in bem bort
üblii^en ©inne bur($au§ nii^t eine beftimmte, auf inbiöibualiftifdiem
^Princip lbenil)enbe StaalSform — bie Üiepublif — bebeuten foHe,
Jonbern bie für alte ©taatSformen notliiuenbige §inlenfung be§ ge=
jamtcn ©taatälebenä auf ha^ 2ßoI)t bei SJoIfeö. ©o Derftanben ift
„Semofratie" ni(f)t§ anbereS aU „jene innergefeüf(f)aftlicfie Drbnung
ber Singe , tüonadf) atle focialen, re(^tlid)en unb öfonoinifctien Gräfte
in i!^rer öoKen :^ierarcf)ifd)en ©ntfaltuug, jebe nnc^ i^rem SSer^ältnife,
auf hd^ © enteintDo'^I "unb ba{)er üotäügUf^ auf ha^ 25> o f) t=
erget)en ber untern klaffen Einarbeiten". S)a nun bie untern
klaffen ben größten Si^eil be§ aSoIlfeö auömac^en unb gerabe t)eut3u=
tage fid^ in Slot^ befinben, fo loirb bie ©orge für ba§ ©emeiniüo^I
in concreto gang befonberö gu einer ©orge für ha^ SBo^I ber be=
bürftigen ,$?laffen. 3n biefem Sinne ift bie „Semofratic" eine iyor=
berung ber ©ere(f)tigfeit unb barum aucE) bei 6()riftentl)uin§. ©ie
öerfpri(i)t — fo tjofft Soniolo — „ein ©c^ritt üorUiärtö ju fein auf
ber SBol^n ber t^eoretifcEien unb praftifd^en (Erneuerung ber ©efeüfc^aft
burd) bie ßird^e — tl^eoretifd) ift fie eine logifc^e ®onfequenä ber
ä)riftIicE)en ©ere^tigteit unb Siebe , prafttfd^ eine StuSbel^nung ber
2Sot}ltEaten ctiriftüdier ßuUur auf bie niebern .klaffen".
4. ?Prtnct^)tetfe ©eft(]^t§punfte 3ur SSeurtl^eilung foctaler iJragen. 193
23. 2)ie ftrtcte, comtnutotibc ober auSgleidienbe @ere(i^ttg=
feit orbnet bie Sejie^imgen ber 5IRenf(i)en untereinanber, in-
fofern biefelben al§ ^nbioibuen unb ni(f)t aU ©lieber ber @e=
fenf(!^Qft in Setrod^t fommen. ©ie ftricte ©erecfitigfeit üerbietet
jeben unbefugten Eingriff in bie nu§ notürlidjen ober ertt3or=
benen 9ted)ten gebilbete Sfec^töfp^äre ber :p^t)fi|d^en ober mora=
lifc^en ^erfonen, qu§ benen bie [taotlid^e ©efellfci^ait befielet.
gür ben ganzen ^ereic^ be§ 2Quf(^öerfet}re§ forbert bie au§=
gleic^enbe ©eredbtigfeit SBert^gleid^fjeit 5n3tf(iöen 2eiftung unb
©egenleiftung (5lequioaIen5princip).
24. !^ux inbiöibueüen 9te(f)t§fp^äre eine§ jeben Bürger»
gel^ört inabefonbere ha^ Steigt auf Gjiftenj, b. ^. ba» 9tecf)t,
in feiner leiblichen, geiftigen unb fittlid^en (Sjiftens öor S(f)Qbi=
gung feiten» onberer beiüoljrt ju bleiben unb burc^ Peinige
^Jtrbeit feinen gebü^renben 2eben§unterf}alt erwerben ^u fönnen.
SBenn in einer ftantüc^en (BefeClfc^aft biefe§ 9te(^t nidjt etwa
äufäüig, öereinjelt unb borübergel^enb, fonbern bauernb für
einen großen S^eil ber ^Bürger ober ganje .^(affen tlntfad^Iid^
nic^t jur ©eltung fommt, fo ift ha^ ein fid)ereä ^Mjtn, boB
bie ftaatlic^e ©efeüfdiaft itjren h)efentlid)ften Stufgoben ni(^t
genügt ^at. 3lber quc^ bie bloße Unfic^erfjeit ber @jiftenä=
bebingungen einer großen 3(näQ()( bon ©taatabürgern ift burd^=
ge^enb» ^robuct unb (5t)mptom fd)tüerer focialer unb föirtfd)Qft§=
politifc^er Errungen, eine ftete ©efat^r für 23oIf unb ©taat.
25. 33on ber Siebe allein bie Orbnung bea focialen 2eben§
ju erwarten, loäre öerfe^It. ^Inbererfeit» ift ed^te Df^ädiften'
liebe, wie baa ß^riftent^um fie öertünbet, unentbe^rlidb für
ba§ ®Iüd ber 35öl!er, gwar nid^t al§ „t^unbament ber @efell=
fc!^aft", wo^t aber al§ bie auc^ im beftgeorbneten Staate not^=
wenbige (Srgäuäung ber @ered)tigteit unb al§ Slbfd^Iuß unb
SßoIIenbung aüer focialen 33eäief)ungen. — 2!ie Siebe gewährt
ben engern natürlidjen unb freien 3}erbünben größere Se[ti9=
feit unb 2Birffamfeit. <Bk milbert unb überbrüdt aUe <5tanbe§=
^e]ä). StberaUimuS. I. 2. Stuft. 9
194 3toeite§ ßapitel. S)te ftaatlic^e Oled^tgorbnuttg.
unb ^'fafjenunterfi^iebe , [teüt eine moralifd^e ®Iei(^^eit l^cr,
roenn bie focialen unb materieüen 5Ib[iänbe auä) nod) fo gro^
[ein mögen. 3n ber 2ie6e c^riftltt^er Srüberlid)!eit [teigt ber
Öo^e äum 5^iebrigen ^inob unb fü^It \\d) ber 5Irme gum
9ieid)en emporgejogen. S)ie ed)te Siebe i[t ja bie grud^t einer
in (J)ri[tli(f)er Se^re unb @e[innung begrünbeten, aufrichtigen
|)0(^Q(f)tung ber 9}ienf(^en= unb 6^ri[tenn)ürbe, beren 33oübe[i^
üuä) bem ärmften ^inbe genjö^rt ift. — Sie Siebe ergönjt
enb(id) bie 33ertl)eitung ber ©üter. SBegen ber UnboHfommen*
^eit aller men|(i^IicE)en (Sinrid)tungen irirb, idh\i bei geredeter
©efloltung be§ mirtj'diaftlic^en unb focialen Seben§, nidit alle
Strmut unb 5Zot[) böllig befeitigt werben tonnen. 2;a ift e§
in erfter Sinie bie ?lufgabe freier diriftlidjer Siebe§t^ätigteit,
gu öer^inbern, ba^ ein Sfjeil ber 9[lienfd)en ber jur ßrfüüung
i^rer irbifc^en ^tufgoben nDtfjtt3enbigen W\ttd beraubt bleibe.
Üteic^t bie priöate Siebegt^titigfeit nidit au§, bann ift ba§ (Sin=
treten ber i)ffent(id)en 5lrmenpflege notfimenbig unb eben barum
bered)tigt. 2öef)e aber bem 93oIfe, bei bem bie "^floÜ) fo bauernb
gro^ unb allgemein unb anbererfeit» bie Siebe fo fdjttjod) ift,
boB bie fubfibiär berufene ^ilfe ber (Semeinbe unb be§ @taate§
bie 2öer!e unb ba§ Sßirfen freier d)riftlid)er Siebe§t^ätig{eit
abforbirt. (Sin foId)e§ 53oI! fte^t ofjue Stt^eifel im ^^it^en
be§ 3BerfaK§i.
5)ie bofle Sebeutung biefer @runbfü|e unb Folgerungen
ber d^riftlid^en @efeüfc^aft§(e^re tt)irb im SSerlaufe unferer n^ei»
tern llnterfu(^ungen flarer p Sage treten.
^ Cf. Charles Perin, Premiers Principes d'Economie politique
(Paris 1895) p. 340 ss.
^ie feciale ^rage
beleud^tet buT(| bie
„Stimmen au§ Max\a=2aa^'\
9. j^eft:
ut ifji1|tlitl)E iffelliaftMitonö.
@ r ft e r ^ ^ e i l.
II. ^aö^ntJafetgettf^ttm afö fociafcSnllittttiott.
SOUt Slpprobation beä l^oc^io. §errn ©rsbifd^ofö üon 3^ret6urg.
^reißtttrg im ^teisgau.
§ e r b e r ^ f d) e 33 e r I a ö § I) q n b t u n g.
1900.
Steeignieberfaffungen in SBien, ©trofefiurg, 3Jlünd^en unb ©t. ßoui§, ÜJio.
Imprimatur.
Friburgi Brisgomae, die 25. Mali 1900.
4: Thomas, Archiepps.
S)a§ 9ted)t ha Ueberfe^ung in frembe <Spracf)en wiib üorbe^olten.
SBuc^brudferei bcr ^erbcD'fd^en a)crlagl'^anblung in guiburg.
3 n I) tt 1 1.
Dritt« fittpittL
Sol jpiiijotclgcnt^um ßI8 fociolc ^nftitutiflu.
©ette
1. 30ßa§ l^eifet: ^Priüatetgentl^um? 196
2. 2Bie enlftanb baä ^rioateigentl^um ? Segal= unb S>er=
traßöt^eorie 204
3. S>er Urfprung be§ @igent^um§ i\a^ ber bartoiniftifd^:
focialiftift^en ©DoIutionSt^eorie 213
4. S)ie ©ntftel^ung unb 93egiftnbung beä ^riöatetgentl^utng
nacf) ber toifjenfd^aftlid^en ©tiolution^tl^eorie . . 258
5. Slögemetne Sintoenbungen gegen ba^ ^prtüateigent^um . 296
6. ©inaenbungen gegen bte naturrcd^tlii^e SSegrünbung be§
©runbeigent^umä 309
7. ®ie grtoerbung be§ ©igcntl^umS 354
8. «Pflid^ten unb ©d^ranfen bc§ (Sigcnt^um§ ... 390
Das Jünoatetgcnlljttm ttls fonale 3n|iUuttott.
2Benn eine tüo^Ibegrünbete «Staatele^re für bie rid)tige
Snifd^eibung in ben fragen be§ focialen 2eben§ oly unerIäB=
lid) erid)eint, fo tüirb nicE)t mtnber eineg jeben Stellung gegen=
über ben praftifc^en ^Problemen bur^ bie Stuffaffung be=
einflu^t, rddä)t fein ©eift oon ber Ijeute fo Ijein umfttittenen
(Einrichtung be§ ^ribüteigentf}um§ fid) gebilbet Ijüt.
2)ie einen erbliden in bem ^^riüateigentfium bie Cuelle
oller unferer focialen ÜJ^i^ftanbe unb erfjoffen öon einer befferen
3utunft — fomeit roenigftenS bie ^^rDbuction§mitteI in ^^rage
fletjen — beffen gön^lic^e 53efeitigung.
3)ie anbern nennen bo» ^riDateigentl;um ein unöerle|=
boreS 9tec^t, @ie forbern im 5kmen be§ ^Drtfd)ritte§ für ben
ßigent^ümer unbebingte ^-reifieit. 2)er Sadjeninelt gegenüber,
bie er fein eigen nennt, fofl er fouöerän, abfohiter |)errfd)er fein.
2Bieber anbere betracbten bie ^nftitution be§ ^riüateigen»
tf)um§ al§ untrennbar öerbunben mit jeber Ijöl)ern ^'ultur
unb al§ einen uncntbet)rlid}en ©runbpfeiler jebea n3o^Igeorb=
neten ftaatlid^en (Sefenf(^aft§(eben§. 5Iber fie fennen ©diranfen
für ben (Srroerb unb ©ebraud^ bes @igent()um§, fie begrenzen
bie äBiütür be§ inbioibueüen (äigentl^ümer» , inbem fie beffen
33erfügung§frei()eit regeln nad^ ben f^orberungen ber ®ered)tig=
feit unb be§ gemeinen 2Bo^Ie§.
®ie folgenbe 5lbi)anblung n^irb bem Sefer bie Sßa^I
äwifd^en biefen üerfc^iebenen Sluffaffungen erleichtern !önnen.
5Pef(^, ßiberalismuS k. IL 2. Stuft. 10
196 drittes ßapitel. ®a§ ^Pritiatetgcnt^um al§ fociale ^nftitution.
1. |5a6 ^eif^t: "^ritiaf etgcnf ßum ?
1. Unter ^riöateigerttljiim Dei-[te()t man ba§ 9te(f)t einer
^erfon, über eine !örperU(^e 'Büä)i al» über etroaS i^r (S5e=
Ijörigea auf jebe erlaubte SBeife üerfügen ^u bürfen^.
©ie einjelnen 23eftanbtt)eile biefer 53egriff§be[timmung for»
bern eine näf;ere (5rflärung.
a) 3)q§ ^priöatei gentium ift ein 9te(^t, b. f). ein
mDra(if(f)e§ unb untier(e^(id)e§ können einer ^erjon. SBenn
man jagt: jemanb l^abz hü§i 9ted)t, über feine ^ahi ju
bisponiren, fo bebeutet bie§ 5unöd)ft, bafe er öerfügen !ann.
5(ber ni(!^t jebe§ können ift ein ^tä)t. Ober ^at etwa ber
Stänber, ber einen 9Jeifenben in feine (Seroalt befam, eben
^ierburc^ aud^ baS Üted^t, i^n ober feine S^abt jurüctju^alten?
^eine§n)eg§, bie bloß p(}^fif(^e ©eroalt ift nod) fein Siedet.
5Inbererfeit§ !ann jemanb burd) irgenb roelc^e 33erf)ältniffe
borau Der()inbert roerben, |)t}l)fifd) 5. 53. auf fein ©runbftüd
einjuroirfen, bennod) aber ba§ 9fed)t ju biefer ©inroirfung
nnjroeife(^aft befi^en. @§ fann alfo ein 9ted)t befielen o^ne
pt}l)lifd)c (Seroalt, roie eine pl)t)fifd)e ©eroalt otjne Sfiec^t^. S)a§
9ied)t ift alfo feinem SBejen nac^ ein moraIifd)e§ llönnen,
eine öefugni^, bie fid) in legtet Sinie auf bie 9Zotf)roenbig!eit
ber fittlid^en Orbnung ftü|t, biefer fittlidien Orbnung fici^
' ®a§ ift „Ißribatetgent^um" itn f ubjectttien ©tnne. ^m ob=
jectiüen ©inne öerfte^^t man unter „(Stgentl^um" bie © a cf) e
felbft, fiber iüel($e jemanb lote über bie feinige in jeber erlaubten
9Beife üerfügen fann. — @. ©c^iffini S. J. befinirt baö ©igentlium:
,Ius proprietatis reale perfecte disponendi de re aliqua, nisi aliunde
prohibeatur." Cf. Disputationes philosophiae moralis II (Augustae
Taurinorum 1891), 126.
2 Sllois SapareUi S. J. , 93erfuc^ eineä auf (Srfol^rung 16e=
grünbeten Dlaturrec^tä. 5tuö bem Qtalienifc^en überfe^t Don Dr. 3^ri=
bolin ©cf)bttl unb Dr. ßart Slinecf er. I (Dlegcnöburg 1845),
mx. 342, ©. 138.
1. 2Ba§ fieifet ^nOüteigentf)um ? 197
einfüt3t unb in feiner ?Iu§übung hnxä) 'i)a<ci ©ittengefe^ bebingt
tuirb. @ben bornm unb nur barum erfreut fid) benn auc^
tci^ 9ted)t be» 6f}arafter§ tüa^rer Unüerle^Iici^feit. ^lÜe anbern
^3Jenfd)en finb burd) ba§ @ittengefe| gebunben, im ©eroiffen
ticrpf(id)tct, un§ nid)t bei 5tu§übung unferer afJed)te ^u ftören,
unb ttjir feibft finb befugt, frembe Eingriffe nb5UtDet}ren. S)ie
pDfitiD=9efe|(i(^e Inerfennung eine§ natürlichen 9ied)te§ feitenä
be§ Staate» fdjafft nii^t erft biefey Ote(^t unb feine n!0=
ralif(^e ßräiüingbarfeit , garantirt aber bie ben 33ebürfniffen
ber gefeüfd)aftüd}en Orbnung entfpred^enbe p|t)fif($e @räit)ing=
barfeit beSfelben. — 9Jkn unterfdieibet nun perfönlic^e *
unb binglii^e 9ied)te. 5)ie erftern geiüäf^ren bem 5ßerc(^=
tigten i()rem unmittelbaren Sn^citte nad) einen 5tnfprud) gegen
anbere ^erfonen, bie letztem eine |)errfd)aft über !ör|)erlid)e
(5ad)en.
b) S)a§ (äigentbuniöredjt ift ein binglic^eS 9tcd)t. —
2)ie 53efugniB, meld)e feinen Snf;a(t au§mad)t, ift bie |)err=
fd()aft§befugnif} über eine <Baä)t. 2Benn jemanb einem anbern
t)erfpro(^en !)at, if)m einen beftimmten 5lder ju fdienfen, fo
befi^t ber 53efd)enfte auf ©runb ]ene§ SSerfprec^enS ^mar ein
ins ad rem, bie red)tlid) begrünbete Hoffnung, jenen 3tder
ju ert)alten. Stllein e§ ftetjt it}m üorab noi^ !ein bing(id)e§
9?ed)t an bem 5(der feibft ju, fonbern (ebigüc^ ein perfön=
Iid)e§ gorberung§red)t gegenüber bem ^ßerfprec^enben. 5lnber§
beim @igentt)um§red)te. 2)iefe§ gcmätjrt unmittelbar, burd)
fid) feibft, eine ^errfd)aft§befugni| über bie förperlicbe <Büä)^,
ein ius in re,
c) ^a§ @igentl)um§re(^t ift ferner ha^ Dolüommenfte
bingltc^e 9Serfügung§red)t einer ^erfon über eine
^ „5)3erfönlic^e" IRed^te fann man aucf) bie unmittelbar an bie
eigene ^erfon fid^ anfnüpfenben Stecfitc nennen, jo 3. SB. ba§ 3te(^t
auf Qijxt unb guten 91amen, ba§ Siecht auf ®3;iftenä u. bgl.
10*
198 ®ritteö Kapitel. ®q§ ^PriDatetgent^um oI§ jociale Stnftilution.
<Baä)t^. ®enn feinem wefentlid^en Snf)alt xiaä) be[tef)t ba§
(5igent^um§re(!^t borin, ba^ eine <Baä)t jemanb fd)Ied)t^in qI§
bie „[einige" ge!)ört, fo jroar, bafe er an unb für fid^
jeben onbern öon berfelben au§fd)He^en fann. @ine natürliche
i^^olge biefer äJerbinbung ber @ad)e mit einer ^erfon ift c§
bann, baß ber (Sigentijümer über bie <Baä)t aU bie „feinige"
öerfügt^. SDer 23ormunb, meld^er ba§ SSermögen be§ ^Dlün'
^ S)a§ r ö m i f c^ e ^iec^t unterfcfietbet f ü n f Sitten binglid^er
SRe^te : dominium , servitus , pignus , ius hereditarium , possessio
iuridica.
^ Cf. Moh'na, De iustitia et iure. Tract. 2, disp. 3, n. 5.
„Primo quidem, quoniam recte dicimus, quia Petrus est do-
minus huius rei , habet facultatem perfecte de illa disponendi :
e contrario vero non recte dicimus, quia habet facultatem perfecte
disponendi de hac re, est dominus illius, sicut etiam non recte
dicimus , quia habet facultatem videndi , est homo : ergo facultas
seu ius perfecte disponendi est effectus dominii , non secus ac fa-
cultas videndi est effectus hominis.
Secundo , quia ,esse suum', seu ,proprium' alicuius videtur
correlativum domini : dominus enim est, qui habet aliquid ,suum'
simpliciter. . . .
Tertio , potest quis conferre procuratori suo, aut amico in
bonum amici ius tum ad utendum re sua omnibus modis, quibus
ipse uti potest, tum etiam ad illam alienandum et consuraendum,
retento sibi dominio interim , dum rem non consumit vel alienat.
Ergo ius ad utendum re aliqua et ad illam alienandum et con-
sumendum, distinctum quid est a dominio, quod in eo praecise est
positum , quod res sit sua simpliciter. Confirmatur , quoniam ius
ad utendum re aliqua, et ius ad eam alienandum sunt iura distincta,
potestque unus idem habere multa iura circa unam et eandem
rem pro diversitate obiectorum, ad quae sunt ea iura. Sed ratio
dominii circa unam rem est unica et simpUcissima. Ergo ratio
iuris ad perfecte utendum et disponendum de re aliqua diversa est
a ratione dominii.
Quarto, eo ipso quod res aliqua simpliciter est alicuius, illeque
proinde est dominus illius, ex natura rei habet hie plenura et
integrum ius circa illam, nisi forte res illa devincta ad eum ac-
1. 2öa§ Reifet «Prttateigentl^um ? 199
be(§ befi^t unb bertoaltet, i[t nic^t Sigent^ümer, totil er bn»
Sßermögen aU ein frembeS be[i|t. 2Ber ha^ 9te(^t be§ "^k^-
braucE)§ an einem ©tunbftücfe l^at, 6e[i|t 'oa^ ßJrunbftücf unb
bi§ponirt über bie 5]3robuctiD!räfte be^ ^oben§. 5I5er er
befi^t ben tiefer nic^t )d)(ed)t()in n(§ ben feinigen unb öerfügt
Weber über bie ©ubflanj nod) über ben SBert^ be»felben. S)er
(5igentf)ümer bogegen be[i|t ba§ ius perfede dlsponendi de
re, erfreut \\ä) ber umfaffenbften 3Serfügung§befugniffe unb
barf QUö ber i^m gehörigen 8acE)e in jeber |3^i5nfc^ unb mo=
ralifcb möglid^en 2öei]e Dhi^en unb grü(^te äie^en, ben ®egen=
ftanb nad) ^Belieben Deränbern, beräuBern, bermenben, fotüeit
fretnbe unb ^öfjere Steckte nic^t berieft merben ^.
cederet iure aliquo in re. . . . Sed (ut ex emphyteutico contractu
est manifestum) potest is abdicare a se totum ius ea utendi, et
fruendi , eamque administrandi , et conferre illud alteri , retenta
proprietate, hoc est retinendo rem iilam esse suam simpliciter, ut
autea erat, quod iuris interpretes appellant dominium directum.
Ergo dominium et iura ad utmdum et disponendum de re, quae
subiatis impedimentis ex natura rei dominium consequuntur , di-
stincta inter se sunt." Cf. Schiffi)n 1. c. p. 126.
' S)ie Dte($te be§ Sigent£)ümer§ »erben üon ben ^uriften in ber
bieget auf bxet klaffen äurücf gefüf)rt :
a) ius excludendi, b. ^. ha§) Oie(i)t, anbern jebc ©intoirlung, toeldje
ben 6tgentf)ümer im SSefi^ unb ©ebrauc^ feiner ead^e ftören
!önnte, ju unterfagen;
b) ius utendi, fruendi, b. ^. baö 9ie(J)t, bie Sai^e 3U gebrauchen
unb S^rüc^te barau§ ju gießen;
c) ius disponendi, b. f). ba§ fRed^t, btc Ba<^i untäugeftalten, gu
öeräufeern u. f. tt). („SispofitionSbefugnife" im engern, iuTifti=
fc^en ©inne).
SDlan tjüt ba§ @igentl)um aud) bcfc^rieben als ins utendi et abufendi.
SCßürbe f)ierbe: ^abuti" im Sinne bon „mißbrauchen" öerftanben, fo
enthielte bie Sefinition einen 2ßiberfpru(f) , ba e§ ein ^ti^t jum
5üitBbraud^ nic^t geben fann. ^nbeffen bebeutet „abuti" fpra(^Iic(}
aud^, unb 3ttar in erfter ßinie, fo oiel tute „aufbraud^en". 3n
bie fem ©inne fte^t bai ius abutendi, fotoeit pi^ere !Re(|te nt(|t
200 S^ritteö .^apitcl. ®a§ 5PritatetgentI)um al§ fociale Snftitution.
2. Um bo§ richtige 3]er[tänbmp [pöterer 5tu§fü£)rungen
ju ermöglichen, muffen mir bie mi^tigften Sinti)eiluugen
be§ 5ßriöateigentl)um§ roenigften» !urj ermätinen.
a) 53?an unterfd)eibet junäc^fl ein Obereigentljum unb
Unter ei gentium unb jmor in boppeltem ©inne.
©Ott allein öerfügt über ein urfprünglid)e§ , Döüig
unabhängiges unb unberäufeerlid)e§ öigent^um§rec^t
an allen S^ingen. 3^^^^ bt\\^t auä) ber ÜJIenfd^ ein ma()rea
@igentf}um§rec^t im 3>ert)ä(tni^ ^u ben übrigen ^Dienf^en.
%btx im 33erf)ältniB ju (Sott erfi^eint baSfelbe al§ abgeleitete?
unb bau ernb ab §öngige§ 9iecbt, ber ^iUn'iä) felbft ala
®Dtte§ Sel}cn§träger unb 33ermaiter^. —
©obann fpridit man don einem birecten ÖigentTjum
unb einem D^u|eigent^um — au(^ „Ober= unb Unter=
eigentf)um" genannt. 2)iefer Unterfd)ieb gibt jeboc^ ni^t öer=
fcbtebene Wirten, fonbern nur üerfc^icbene Seftanbtljeile be§ @igen=
t^umerec^te» an. ®§ ift feine divisio inter partes subiedivas,
bielmefjr eine di\^sio inter partes integrales. „5öeftanb=
tfjeile" , aber nid)t „Wirten" be§ |)auie§ finb 5. 53. ba§
gunbament, bie Söänbe, \)Ci% 2)a($. 8d geprt auc^ jum
öoüen ©igentfjum fomof)! ba» dominium directum wie \>a?)
dominium utile. „2)irecteö (äigenttjum" iiei^t nun
\i(!A 9ied)t, blo^ über bie ©ubftanj ber ©ac^e ^u Derfügen,
burd) 23eräuf;erung, Q^^flörung, (^ntminbung (rei vindicatio).
^yiüw nennt ba§felbe barum aud) dominium nudum ober
berieft löetben, bem @igenl^ümer of)ne 3tt'eifel 3U, unb nur in biefem
©inne (beö SSerbraud^ene) ift eä in ber Definition beö ©igentl^uuig
ju öerftel^en. Cf. Johannes XXII. Cap. ad Conditorem. III. De ver-
hör, signific. Extravag. tit. XIV.
* S39I. äJictor So t^ rein S. J., 2)]orQlp^iIofop^ie. ®ine nnffen=
jcE)QftU(f)e Sarlegung ber fittlid^en, einfd^IiefeHä) ber redfitlid^en ©rb=
nung. 3toeiter 33Qnb: SSefonbere SDlorQlp^iIo)opf)ie (greiburg 1891)
©. 245. 3. 2lufl., 1899, ©. 308.
1. 2Baö f)ti^t ^riDateigentljum? 201
nuda proprietas, um feine Trennung Don ben ^yrüdjten ber
©ac^e anjubeiiten. ®(eic[)tüof}( i[t ein berartigea @i9entf)um
nid)t frud)t= unb bebeutung§lD§ , roeil ber @igentf)ümer ben
2Bertf) ber Bad)^ be^errf(f)t unb biefelbe tieräu^ern !ann.
S)Q§ „9Zu|eigentfjum" i[t ba§ ^^dit, bie Bad)t ju be=
nu^en ober ^^rüc^te barouS ju ^ietjcn. 5)hn unterfdieibet
fjierbei alfo mieberum baa 58enu|ung§red;t (usus , 3. 33. qh
einem §aui'e) unb ha?) 9iufenie^ung§= ober 9^ieBBroud)§re(5t
(usus fructus, j. 33. an einem 5(cfer). S^aS 33enu^ung§red)t
befugt nur jum ©ebraui^, nidit jur ^-rndjlgietjung. ^a§ ?iie|»
braud)§red)t bagegen befugt jur ^■rud)t5ie[}ung in jeber ^orm,
folange nur bie Subftanj ber Ba6)t erhalten bleibt ^ Sa fo=
toolji ber 58enu|er lüie ber 9?u^nieBer bie ©ubftang ber <Baä)t
erhalten muffen, !ann bon einem usus ober usus fructus
Singen gegenüber, meldte burd) ben erften ©cbraudb öerbrauc^t
merben (quae piimo usu consumuntur), feine Dtebe fein. —
b) @ine fernere Unterfdieibung ift bie jicifd^en inbibi=
buellem ßigent^um unb ©emeineigentbum.
„3ted)t5fubject", b. i. ©ubject einer moralifdjen Sefugni^,
!ann nur ein bernünftige» SBefen, eine „^erfon" fein. 9iun
aber unterfd}eibet man ätt}ifd)en „pf)Qfifd)er" unb „moralifdjer"
^erfon. (Srftere ift ein einjefner, inbibibueder 5}len)d), tDäf)^
renb ber 3(u§brud „moraIifd)e", „juriftijcbe" ober „mpftifdbe"
5|5erfon inSbefonbere eine ©efamtfieit mef)rerer untereinanber
gefeüfi^aftlid) öerbunbener ^erfonen , bie al§ (Sin^eit gebac^t
löerben, bebeutet. ^nbiüibuelleS @igentf)um, inbiöi=
buefleä ^ribateigentljum ift bcmnad) ein foId}e§, ba§ einem
einjelnen 5)lenf(^en, einem menfd)li(^en Snbioibuum geprt.
@ e m e i n e i g e n t f) u m , ©efamteigentfjum , gefeüfd)aftlic!bea
@igentf)um bagegen ift ein fold)e§, ba§ einer @emeinfd)aft,
einer ©efeüfcbaft non ^erfonen gef)ört, fo jmar, baß bie @e=
^ Cf. Schiffini 1. c. p. 130 sqq.
202 Stitteö ßapttel. ®a§ ^ßrtoateigentl^um aH jociole Snftitutton.
famt^eit ber gefeülc^aftlid) öerbunbenen ^erfonen a(§ ©iibject
be§ (Sigent^um§red)te§ gilt.
Jöermöge be§ inbioibueüen (5igent()um§ tücrben öon ber
|)err[d)Qft über bie ©oi^e alle anbern ^ev[onen nuSgefd^Ioffen,
iinb ber inbiüibueüe 5]3rit)ateigent^ünier i[t ber einjige §err
be§ Cbiecte§, Sßermöge be§ @emeineigentt)um§ tüerben alle
nid)t äur ©emeinfc^aft gefiörigen ^perfonen dorn ©ebroudb
ber <Baä)z Qu§ge|d)(offen , nii^t aber bie @e[eüfdbQft§gUeber,
bie ^ufammen, ala (Sin^eit gebacbt, ben „§errn" ber ©acbe
barfteüen iinb ben ©ebrau^ ber Sac^e gemeinfcboftlidb regeln.
3. 33Dn ber foeben beI}QnbeIten pofitiöen ©emeinfcbaft,
bem gefetlfcbaftlit^en Sigcntfjnm, unter|dbeibet \\d) raefentlid^
bie negatiüe ® emeinfdboft.
©teüt bie 9}hitter einen ^orb boü 5Iep[eI auf ben Sifcb,
bamit bie ^inber baüon nehmen, jo wirb e§ niemanben ein=
fallen, bie ^inber im 33er^äItniB ju jenen SIepfeln al§
ein einziges 9Jec^t§fiibject, al§ eine moralifdie ^erfon [id^
öorsufteüen , mit ber recbtlid^en f^-olge, baß bie f (einen „^iit=
eigentijümer" nunmehr nur noct) „gefamter ^anb" über bie
!o[lbaren ^yvüi^te öerfügen bürfen. S)ie comraunio, bie l^ier
bc[te^t, ift Qu[ feiten ber .^inber (ebigtid) eine ©emeinfamfeit
ober ®(eid;äeitigteit ber S3efugniB, b. §. iebe§ i)üt, mt ba§
anbere, bie (Jrlaubni^, au§ bem ^orb ju ne^imen. 5luf feiten
ber 2Iepfel ift e» eine geiüiffe ©emeinfamteit ber 58eftimmung,
b. ^. bie DJiutter ^at bie 3IepfeI für „i^re ßinber" ^ingefteüt,
o^ne bem ^eter gerabe biefen 5(pfel unb bem ^poul jenen
Gipfel anjuiöcifen. ©ie felbfl bofljiefjt bie Streuung nic^t,
fonbern überlöBt ba§ ben ^inbern.
Sn äbnlid)er SBeife^ öertjäÜ e§ fid) mit ber fogen. ne=
gotioen ©emeinfcbaft. äßä^renb bei bem gefeüfdjaftlid^en (S)c=
' ©elbftüerftänbli(^ barf ber JBergleic^ lüd^t urgivt toerben; c§
finb aucf) 33erfcf)iebenl^£iten öorl^anben.
1. 93)a§ ijd^t <13riöQteigentf)um ? 203
famteigentf)iini, ber pofitiDen @ütergeineini(^Qft, ein iDirf(id)e§
©igeutljumärec^t vorliegt, )o ^wax, ba^ bie ©cfamtöeit ber be=
re(^tigten ^erfonen, aU @inf)eit gebockt, ©ubject eine» actuellen
lÄigentf)iim§red)te§ i[t imb borum auä) nur aU ©eiamt^cit
über bie gemeinmnien Sadjen öerfügt, beäeid}net bie negatibe
©emeinfc^aft lebiglid^ ben 3ii[lanb be§ Ungetfieiltfein§ be§ Ob=
|ecte§ unb läugnet ba§ 33e[te^en eine§ octuetten (Sigent^um§=
rc(i^te§, fei e§ ber ©efomt^eit, fei ey ber einzelnen ^perfonen.
2Ba» l^ier „gemeinfd)Qftiic^" ift, bQ§ ift lebiglid) bie S3eflim=
mung ber S)inge für niedrere ober biele, anbererfeit§ bQ§ gted^t
jener meljreren ober bielen, qu§ bem oügemeinen 3}orrQt^ ju
f(^öpfen. ©ie finb boju befugt, nid)t in ßraft eine§ einzigen,
ber (Ä}efamtf)eit al§ foldier sufte^enben binglid)en 9fed)tea,
fonbern jeber einzelne bermöge feine§ i£)ni ^uftefienben |)erfön:=
liefen Üted^tcs.
5)Jan fann bofier auä) bie ganjc 53ebeutung be§ 5tu§=
brucfe§ „negatibe ©emeinfci^aft" mit ©c^iffini^ auf fofgenbe
groei fünfte jurüdfüijren :
@rften§: 2)ie 53c5eid)nung gibt junädift on, bo^ nod^
niemanb ba§ betreffenbe @ut ober bie betreffenben @üter fid)
angeeignet l^at, biefelben bielme^r borber^anb res nullius finb,
3iDeiten§: ^o^ jebcr au§ ben mehreren ober bielen
^erfonen burc^ ^efi^ergreifung ober üerniöge eine§ anbern
gerechten 2itel§ bie ©ütcr fid) aneignen fönne.
@o beftet)t fomit bie negatibe ©emeinfc^aft , furj gefagt,
in ber g'ü^^ö^eit ober ber ^öefugni^ , @igent[)um an ©ad^en
5U ermerben, bie al§ res nullius gelten. @ie ift !ein actueOeö,
rao^t aber ein potentielle» Sigent^um, lüäl^renb ba§ (Sigent^um
an ben in pofitiber (Semeinfc^aft befeffenen (Bütern ein tDirf=
Ii(^e§, actuelleS ®gentt)um barfteüt. §ierau§ folgt bann
noc^ ein £)öd}ft midjtiger Unterfc^ieb. S)ie ©ac^e nämlit^,
* Disputationes philosophiae moralis II, 132.
10 =
204 2)rittc§ ßapitel. ®a§ ^riüateigent^uni aU fociale ^fnftitutton.
bie bem pofitiben ©emeineigent^um niedrerer iintertüorfen i[t,
tonn o^ne (äinmiHigung ber anbern nid)t (Sigentl)um etneä
einzelnen roerben. ^anbclt e§ \i6) bagegen um negotiö ge=
mein|atne ©üter, fo bebarf e§ einer berartigen @irttt)it(igung
feineötregä. —
Sie tiefere Segrünbung be§ ^ier in ^ür^e entoidelten
(Sigentl)umö6egriffe§ ergibt \\ä) au^ ben folgenben (Srörte=
rungen. 33Drer[t jebocf) tt)irb bie Prüfung ber tt)i(i)tig[ten
5ln[ic^ten über ben Urfprung be» ^riöateigenttjumä una be=
fd^äftigen muffen.
1. 3)ie 'iciuffoffungen über htn Uriprung be§ ^riöateigen=
tf)ums qI§ einer focialen Snftitution ge()en roeit auaeinanbev.
Sie 2 e g a 1 1 ^ e D r i e.
|)obbe§, ber 2el)rer i?önig ^axU II. bon (Snglanb, fledte
in feinem 33uc^e De cive bie Se^aiiptung auf, bon 5ktur
au§ ge!)öre allm alle§. ^eber f)abt baljer bie 53efugmp,
noc^ Seüeben bie materiellen Singe in Sefi| ^a nef)men, ben
anbern ju entroinben, fic ju öerraenben, wie immer er rooüe.
Sanier fei ber ^ampf afler gegen alle ber urfprüng(id)fte 3"=
ftanb be§ 5!)^enfc^engefd)Ied)te§. 5Iu§ gurc^t, unb um fid) in
biefem allgemeinen ^ampf ju fcf)ü^en , fachten bie ^^icnfd^en
©enoffen auf, mit benen fie fi(§ jur gemeinfamen 2Bef)r ber=
banöen. ©o entftanb ber «Staat. Ser ftaattidjen ©emalt aber
lag e§ ob, burc^ p o f i t i o e ®eie|e hü^i ^ r i 0 a t e i g e n t fj u m
ju f{!^affen unb baa gefdiaffene ju fd)ü^en.
öine ä[)nli(^e 2ef)re trugen ^. ^. Ütouffeau, Senttjam,
9)^Dnte§quieu, Mouillier unb anbere bor ^ ©ie lüurbe bie
* Cf. S. Schiffini S. J. , Disputationes philosopbiae moralis
II, 148 sqq. 154 sqq.
2. Söieentftoub b. *Priöateigent^um? ße9Ql= ii. SBerttagStl^eorie. 205
2^corie ber franjö[t)d)cn DteliDlution. So jagte ül^irobeau in
ber con[tituirenben JBevfnmmlung : „S)a§ (äigenttjum i[t er=
morben in ^raft ber @efe|e; bn§ ®efe| allein begrünbet ba§=
felbe." ®e§gteidben befannte 2;rDnc^et, einer ber SSetfafjer be§
Code Napoleon: „9tur ben @efe|en berbanft ha^ 6igentf;um
feine (Sgiftenä unb feine 33ere(^tigung." Sn feiner ©rflärung
ber 93?enfc^enrec^te befinirte 9Jobe§|)ierre ba§ (Sigentfjum al§
„bas 9te(f)t eine§ jeben 53ürger§, jenen Sfieil ber iäütn §u
genief^en, tuelc^er i^m bur(| ba§ @efe^ garantirt ift".
^üä) f)eute nod^ n)irb biefe fogen. Segalt^eorie, roeldie bie
53ered)tigung be§ ^riDateigent[)um§ lebiglid^ au§
bem pofitiüen ftaatlidien ©efe^e herleiten tdiU,
öon Dielen berfod^ten. <Bo muffen junädift aüe confequenten
3tec^tapüfitiöiften i^r anpngen. 2;enn lüenn e§ überf^aupt
fein 9ted)t aufier bem pofitiben ©taatsgefe^e gibt, bann fann
aucf) bie (Sigentl)um§inftitution eine anbere Segrünbung nic^t
für fid) in 5(ufprud) nefimen.
3n ®eutfd)Ianb mnrbe unb mirb bie ßegaltljeorte bertreten
inabefonbere öon S. S^. gid)te, 5f . Srenbelenburg, 5(. Söagner ^
unb 51. ©amter-. —
S:ie Segalt^eorie ift unhaltbar ou§ folgenben (Srünben^:
6rften§: (S§ ge^en i§re SBertreter bon ber irrtl}üm=
Iid)en 33orau§f e^ung au§, ba^ e§ ein natürlichem Stecht
nid)i gebe. 2Ber bae einmal angenommen f)at, bem bleibt
aüerbinga ^ur „reditüc^en" 33egrünbung be§ ^riüateigenttjuma
tebiglic^ ba§ pofitiöe ©efe^ übrig, ^tüein bie ^ejugnaf^me
auf ein blo^ ^iftorifd)e§, pofitiüeS 9ted)t nü|t gar toenig, tüeil
' Sögt. Slttgemetne ober t^cotetifd^e 93oIf§tt)trtf($aft§Ie]^re. ©rfter
%i)nl. ©runblegung (ßeipätg unb §eibelberg 1879) @. 518 ff.
^ Sa§ Sigent^um in feiner focialen JBebeutung {^ma 1879)
©. 309 ff.
2 Sgl. ©Qt^rein, 2noraIpf)iIofopf)ie II, 222 ff. 3. 51ufr.
©. 285. 287 f.
206 ®ntte§ ßapitel. ®a§ ^priöateigcntl^um aU foctale SfnfJitution.
iebe§ [toQtlic^e ©eje^ nur bann ©eltung für ]\i) in ln=
fprud^ nehmen fann, trenn e§ eine naturred)tlic^e, bem po\U
tioen 9?e(^te borauSge^enbe 33erpflicötung gibt, bem menfc^=
li^en, pofttiöen ®e|'e|e ©e^orfam §u leiften. O^ne biefe natur=
re(^t(id^e 3}erpflic^tung , ju ge^orc^en , i[t ba§ poi'itiue ®e|e|
nur eine t^ntiQ(^{ic^e gorberung ber ©emalt. 33(DBe ©eraatt
aber roirb üuä) mieberum burc^ ©eroalt „rec^tmö^ig" über=
tüunben. ^rincipieU bermöcbten baf)er bon itirem ©tanbpunfte
au§ bie 5Inpnger ber Segalt^eorie nic^t§ bagegen einjuraenben,
tt)enn bereinft etroa eine fociaIi[tifct)e 5)kjorität in ber 2anbe§=
öertretung ba§ ^riüateigent^um „ge)e^(id)" ebenfo tt)egbecre=
tiren föoüte, roie e§ „gei'e^Iid)" eingeführt rourbe^.
' Slbolf Söogner meint freiließ, eine ©arantte für bie Souer
be§ *PriV)ateigentf)umä „liege in ber fittltdfien unb intetTectueHen, fpeciett
in ber ittrtfifiaftndien 93ilbung beö SBoIfeö, in ber fittltd^en 3uc|t unb
©eI6ftbel^errf(^ung alter öfonomifdien ßlaffen unb in einer richtig
organifirten , tüchtig fungirenben SSoIföüertretung neben einer guten
9tegierung. . . . ®inc aubere ©arantte alten üted^teö unb mitt)in au(§
be§ @tgent^um§red^teö qI§ in ber fittlic^en S^^^ """^ i" ber Silbung
beö SSoIfeä unb in ber tnöglitiift äiüecfmäfeigen Drganifation ber
gefe^gebenben ©etoalt gibt eä nic^t. ÜJtögli(^ bleibt ein ÜJtifebraui^
biefer ©ewalt freilicE) immer; aber baran änbert aud) bie ,S5e=
grünbung' beä 6igentl)umg auf irgenb eine anbere 3trt al§ burcb bie
ßegatt^eorie ni^t§" (©runblegung <B. 566 f.). Sßitt 2öagner bie
ßegaltbeorie öertbeibigen , fo berliert er principieü über^upt ba^
9te(i)t, bie ?lb)c^affung be§ ®igentbum§ unbebingt einen „SOtiBbraiicb"
3U nennen. ®enn menn ber Staat bas @igentbum erft fcbafft, wenn
biefe§ feinen anbern 3fted)t§grunb b^t üU baä pofittöe ©cfe^, fo
itiiberfpritt)t bie 3lbftf)affung be§ Sigentl^umä loeber ber fittli(^en
3uc§t no(f( ber SBilbung be§ 95oI!e§. ^m ©egentbeil fann ber ©taat
für biefe§ neue ©efe^ ganj benfetben ©cborfam forbern inie für baS
erfte ©eü^, toelcbes ba^ Sigentbum begrünbete. — 2lnc^ bie „3tt)edE=
mäfeigfeit" loürbe feine ©arantie bieten fönnen ; benn bie 2tnfid§ten
über „Stoedmäßigfeit" finb febr getbeilt unb bem 2Bee|fel unter=
iDorfen. Ueberbieö „ift eö boc^ ettoaS anbereö, ob btt§ 93olf ber
9legierung blo^ fageu fann : ®u b^inbelft uujuiecfmäfeig , ober aber :
2. 2öie entftanb b. ^riüoteigentl^uin? Segat» ii. SSertraggf^corie. 207
3tt)eiten§: 9?iif)t irenig beirrte innnd)e 9?ertreter bei
2egaItf)eorie tro^I bcr Umftnnb, boß fie jal)en, tüie für ben
einzelnen 93ienid}en concrete§ (Sigentfium (ebiglid) 'buxö)
^Vermittlung pofitiDer Stjatfac^en, 5. 23. burc^ (i^rbf^oft, i^er=
trag, Sdjentung u. bgl. , erroorben lüirb. ^ierauS fd)(offen
fie fälfd)Ii(^, baj^ niic^ bie (äigent^uniöinftitiition einer
pofititien, rein t)iftDrifc^en Cueüe entflamme.
hinein mit einer n[)nlid)en ©(^(ußfolgerung unb 5Dieinung
!önnten toir in taufenb anbern 33ert)ültniffen bie unfinnigflen
SBiberfprüc^e aufred)t^alten^ ©o märe 3. S, bie Unmünbig=
feit ber .^inber rüdfic&tlii^ be§ 9}ater§ eine blo^ pofitibe ©in»
rid^tung. Senn otjne eine folc^e ift bie ^t\t , in tneli^er fie
auffiört, nic^t genau unb ^ö(^ften§ ber öuBerflen ©renje naä)
beflimmt. ^ofitioe (Sinridbtung märe bie Sprad)e, benn o^ne
eine menigflens ftiüfdjmeigenbe Uebereinfunft brüdt ber ©d)all
!eine 3ibeen au» u. f. m. (S§ ift alfo , mie jebermann fie^t,
ein 23erftoB gegen bie ®efe|e ber Sogü, menn man aua bem
Umftanbe, ha^ eine ßinriÄtung o^ne ^linjutreten pofitioen
menfdjiicben Eingreifen» feine concrete ©eftalt geminnen fann,
ben @(^luB jieljt, jene @inrid)tung beruhe ganj unb gar auf
bem pofitiDen Söiüen be§ 93?enfd)en. DJian unterf($eibe öielmef)r
auc^ in unferer ^rage ba§ 5tb§tracte bon bem ßoncreten, ba»
SnbiöibueHe Dom ^^tügemeinen, bo§ 5^otf)menbige öon bem
3ufänigen. ©0 fann ba§ ^riDatcigentf)um im allgemeinen,
ala gefeüfc^aftli^e ^nflitution, ganj mo^l etroaS 5^ot^roenbige§,
unb benno(i^ gugleid^ feine concrete ©eftaltung, biefe ober jene
tyorm ber @igentt)um§orbnung, in§befonbere ber Srrocrb unb
33erluft be» (äigent^unia an einer einzelnen ©ac^e feiten» einer
S)u nerle^eft mein guteä 3ie(^t, bu überfd^reiteft beine ©etüalt, unb
fo(gIi(f) f)aft bu fein üled}t, ©efiorforn ju Derlangen". Sgl. ©atljrein,
a)loraIpf)Uoiop{)ie II, 225 f. 3. 2lufl. ©. 288.
1 Soparelli a. q. Q. I, 3lx. 404.
208 ®ritte§ Kapitel. S)o§ ^riöateigctit^um aU fociale Snftitution.
befttmmten ^aion, etmaS 3ufäQ^öe^» 93eränber(i(^e§, bie 2öir=
fung concreter Umfläube, fiiftürifd^er S()at)'ad)en fein.
2)rittenä: @§ tüiberfprid^t gerabesii ber 33ernunft,
hai^ hmä) ein obrigfeitlic^eS ©efe^ ba§ Sigenttjum juerft ge=
fdj äffen toorbeu fei.
2)enn „ber ^Dknfd^ ift älter nlä ber Staat, unb er befap
bo§ 9ted)t auf (ärfialtung feine§ törperlic^en Safeina, e^e e§
einen @taat gegeben" i. 51I§ bie erften 5J^enfd)en auf ber @rbe
erfc^ienen, bie erften Familien begrünbet tourben, tüar ber
„©taat" nid)t bereits fertig ba. 5)ie einzelnen 5Jienfd)en unb
bie gamiüen aber, mlä)t t^atfäd^lid^ bor bem Staate ej-iftirten
unb logifd; ^ ftet§ öor bem Staate gebadet werben muffen,
befa^en fc^on öon ®Dtte§ ©naben ba§ 3^edjt, (Sigent^um ju
erroerben. 5(bgefe{)en Don jeber flaatlid)en ©etüäljrung, ergibt
fic^ ja bereits au§ bem ütec^te ber Selbfterl;altung, ber 3}er=
boUfcmmnung unb Sicherung be§ förperlic^ien Safein§, nament=
tic^ ouS ben Si^^den ber ^^-amitie, irie mir fpöter nac^raeifen
merben, bie 9lott)roenbig!eit unb S3ered)tigung beS ^rißateigen=
tf)um§. ©benfomenig mie nun ber Staat bem 5]ienfd)en feinen
2eben§äiDed unb feine 8eben§berecbtigung, feine inbitjibueüe unb
' Encycl. „Rerum novarum". Officielle §erberfi^e Stiiätjafie.
©. 14 (15).
2 203enn lüir fagen, ber einjelne gel^e auc^ „logtfd)" bem Staate
öoraug, fo foH bamtt nur belfiauptet werben, man fönne fic^ bie @nt=
fle^ung,, ba§ SGÖevben eineö ©toateä nic^t benfen , o'^ne öorl^er x^a=
milien unb Qnbiüibuen gebacf)t gu ^aben. — Qniofern ic^ ben 5Dienfc()en
aU buvcE) feine Statur für bie ©efenfd)aft fceflimmt benfe, getjt ha§
©anje bem Steile öorauö. ©o l^at outf; ber 2JlaIer in erfter Sinie
bie Slbfi^t, ba§ ©anjc be§ S3ilbe§ ju malen, ^n ber 3lu§=
fübrung fommen jeboc^ jucrft bie 'S.ijeiU unb bann ba^ ©onge.
Hein 3D1enfc^ ift ftc^ eoüftänbig felbft genügenb, üielmebr auf bie
©eicßfcfiaft angeiuiefen , joQ i^r alö S^eil angel)ören. ^njofern ift
benn auc^ in ber Slbfit^t ber 3latur bie ©efeüfdjaft früfjer toie ber
einäelne SDtenfd).
2. 2ßicentftünbb. ^rtDateiäent^um? ßegül= u. Söertrugst^eorie. 209-
focia(e 5^atur t)er(ei[}t, eknfoinenig tann er al§ OueHe ber=
jenigen Öted)te gelten, bie mit jenem Sebenöäroecfe, mit jener
inbiDibuellen unb focialen 9iatur öerfnüpft unb öon felb[t ge=
geben finb. —
^)lün fönnte dieüeic^t fagen: 3)ie ©üter biefer @rbe finb
jur (Sr^Qltung aller DJIenjdben be[timmt. ©ie gepren aI[o
ber „D^ienfci^^eit". 9iun ober erjci^eint ber ©taat al§ ber
officielle 5>ertreicr ber 9??en[(^f)eit. 511)0 i[t ea feine 5tufgabe,
bie 33ert§ei(ung ber ©üter öorsunefjmen, ha^ ^riöateigent^nm
5U begrünben.
2Bir entgegnen: ©er 5lu§bru(f „9J^enfc^!^eit" !ann al§
©oIIectiDbegriff ober qI§ ©attung&begriff t)er[tQnben
lüerben. ^ft nun aber ber ©taot ber officielle SSertreter ber
menfcf)üd)en ©attung? ^at er bie 53efugniß, bQ§ ju gerao^ren
ober äu tjerfagen, über ha^ ju oerfügen, n)Q§ bem ?D^enfd)en qI§
9)2en)c^en jutommt, infofern berfelbe jur menfc^Iic^en ©attung
geprt? Sa§ fei ferne öon un§! fonft fönnte un§ anä) eine§
Sagea red)tagiltig befo()Ien lüerben, auf allen tjieren ^u fricc^en.
SE)er DJknfc^ ala ÜXcenfc^, aU ©lieb ber ©attung, ^at aber
fd&on 'öü^ Stecht, (äigent^um felbftänbtg ju ertoerben, D()ne baß
er jur ©rlangung beafelben ber 33ertretung bes Staate^ bebürfte.
— t^aßt man jeboc^ ben 5lu5bruc! „9Jlenfcf)^cit" coUectib
auf, berfte^t man barunter ade 9Jien)d)en a{§ (äin^eit, al»
ein einjigea Ü^ec^tafubject, fo wäre junöd^ft ju bereifen, ©ott
fiabe bie 2BeIt aUen 9]ienfd)en ^ufammen ala GoQectiDeigen»
t^um übertragen. @cf)tt3erlic^ bürfte biefer 33eiDei§ gelingen;
allein felbft wenn er gelänge, fo inäre bamit tüenig gel^olfen.
Sft e§ ja bod) niemals ein einziger Staat gemefen, ber bie
ganje 5[llenfcl)I)eit umfaßte. Wü welci^em Üiec^te bürfte alfo
ber einzelne ©taat fid^ al§ „officiellen 33ertreter ber ganzen
5}ienfc^§eit" aufipielen, mit toeldjem 9ted)te bie anbern Staaten
bon feinen ©ütern , öon feinem Territorium au§fd)Iie^en ?
DJlüßte nid^t in jener SSorauSfe^ung bie gan^e 93ienfd)^eit al§
210 ®ntte§ fiapttel. ®a§ ^riüateigentfiutn aU fociale 3nftitution.
fold^e bie SSert^eidtng üorne^men , bamit biejelbe reditSgiUig
jei? Unb tüäre mieberum nid)t bie 9Jienfd)f)eit jeben 5Iugen=
Uid 6ered)tigt , bn§ Sigent{)um , ba§ ber einjelne ©taat ge=
f(i)affen, ju bcfeitigen, eine neue @int^eilung ber Sterritorien
u, f. tt). äu üoüäieI)en? —
23ierten§: 5)ie Segalt^eorie tu iberfpridit enbücf) aud)
bem natürlidien föered)tigfeit§gefüf)Ie. Ober toer lüollte
erfl auf ein 2)ecret ber Obrigfeit, auf ein ©tnot^gefel ^in
"ba?) föigent^um an einer ©totue, an einem ©emälbe bem=
jenigen jufpreaien, tnel^er jene ©tatue, jene§ ©emölbe üer=
fertigt I)at? Ofine an irgenb t^^ld)^ pofitiöe ©efe^gebung ju
benfen, füüt ber nien)'d)(id)e (Seift fc^on öorI)er fein Urtl)eil
über bie 9te(^tli(^feit be§ @igentf)um§, unb jeber efirbore ^lenfd)
tDÜrbe e§ al§ eine 9ted)t§iier(e^ung empfinben unb öerurtf)eilen,
raoHte ba§ pofitiüe ftaatlidie ©efe^ ben erarbeiteten 2o()n be§
5lrbeiter§ nic^t al§ beffen ^rioateigent^um anerfennen ^. 5IIfo
bor jebem ©taat§gefetje Ijat bie @ered)tigfeit im ©eifle unb
©etüiffen ba§ ^rit)üteigent()um bereits unter ifiren ©c^u^ ge=
nommen.
2. (Sine anbere irrt()ümlid)e 5Iuffaffung über ben Urfprung
be§ 5prioateigentf)um§ enthält
bie S>ertrag§t^eDrie.
©ie)elbe würbe namentlid) Don ^ugo ©rotius ^ unb (Sa=
muel ^ufenborf^ entraidelt. St)r äufolgc ift ba§ (Sigentfjum
burc^ einen ftiflf(itt)eigenben ober auSbrüdliiten Sßertrag ur=
fprüng(id) eingefüf}rt morben unb fjat in jenem 93ertrage feinen
eigent(id)en 9tcd)t§grunb.
5tucö biefe 3;()eorie ift unf}altbar.
* Cf. Card, de Lugo, De iustitia et iure d. 6, n. 4.
* De iure belli et pacis II, c. 2, § 2, n. 5.
^ lus naturae et gentium 1. 4, c. 14.
2. 2Bie entftonb b. ^riüateigentfium? ßegQl= ii. SJertragStl^eone. 211
3nnäd)[t fel)lt jebcr pDfitiöc 5tn^aU§pim!t, jeber l}i[torii(§e
9iad)mei§ für bie 2f)atiäd)IicI)feit jeuea 33ertrQ9e§. —
g-erner märe ein fold^er 33ertrQg nur bann mirflicf) notf;=
tüenbig geiüefen , menn iirjprünglid) eine pofitiöe ®üter=
gemeinfc^aft beftanben fjötte, mie [ie in ber %i]at C^ugo
©rotiuS annimmt. 5lüein Don einer pofitiben @üter=
gemeinid^oft ber gefornten 53kni(i)f)eit an ber ganzen @rbe
roeiB bie ©efcöicfite nicl)t§. ßbcnforaenig lü^t fid) bie pofitibe
©emeinjc^aft burd) 33ernunftfd)lüi"le beraeifen. ^(u§ ber natür=
litten 33e[timmung aüer irbifi^en ©üter, ben ^ebürfniffen ber
„Ü1Jen)d^f)eit" ju bienen, folgt nur, ta^ jeber ?3knfc^ ba»
Üted^t [}aben mu|, ßigent^um ju erraerben, nid)t aber, baß
bie ^}ienfd)t)eit urfprünglic^ ein actueHeS ßollectiöeigenttjum
an ber ßrbe ge(}abt f}abe. —
^pufenborf na^m ^luar nur eine urfprüng(id)e nega=
tiüe (^ütergemeinfd)aft an. S)a aber Don 5iatur aua nie=
manb ein beftimmte» Object angeroiefen erhalte, fo glaubte er,
ha^ aud) niemanb etroaa a(§ fein au§fd)lie^Ii(^e§ ©igentfjum
be^anbeln fonnc ofjue bie ßintoilligung, bejrü. ben äjer^idjt
ber übrigen ^OJenjdjen auf tbm jene§ Object. S)ay mürbe
rid)tig fein , toenn jene» urfprünglid^e $Red)t bea 9J?enfd)cn
gegenüber ben materiellen ©ütern ein binglid}e§ 9ted}t mare.
5IHein baa Stedit, iDe(d)e§ ber 9Jienfd) bon 9iatur au§ ^at,
ift fein binglid)e§, uon ber 9latur unmittelbar berIie()eneo unb
bom 5)?enfdjen unmittelbar ermorbene§ 5Red)t an irgenb einer
concreten einzelnen Büä:)e, ober an ber ©efamtljeit afler ©oc|en.
$Bie(me^r erfd)eint e§ al§ eine lebiglid) perföntic^e 5ßefugni|,
aua bem atigemeinen unb negatib gemeinfamen ©üterfdjafee
fid} anzueignen, ju erm erben, meffen er jur ©rtjaüung unb
93eröolIfommnung fcinea 2eben§ bebarf.
5)a§ (äinjetbing fann feiner 9?ütur nad) nii^t jugleid) ben
58ebürfniffen aüer bienen. 2)arum ift aud^ bie 5Inna^nie n)iber=
finnig, bie Dhtur Ijobe allen 93icnic^en äugleid) auf jebe ein=
212 ®ritte§ ßapitet. ®a§ iptitiatetgentfium alä foctale ^uftitution.
gelne «Sorfie ein unbebnujte§ Miä)t gegeben. ^Ibi'olut i[l nur
ba§ 9ted)t ouf bie not^ioenbigen (Srf)altung§niittel im atl=
gemeinen, I)l)pot[)etii^ aber ba§ 9Jed)t auf (ärmerb ber ein=
jelnen concreten @üter. @§ be[tef)t näiulid) — abge[el)en Dom
goKe ber äußerften dhti) — allein unter ber 5)orau§)eijung,
bQ$ jene ©üter nod) nicbt bon jemanb red^tmä^ig in 33e[i^
genommen [inb. ®arum bebarf e§ auc^ bei ber 33e[i|na^me
einer „^errenlofen" ©ad)e burc^ouS nid)t einer ginraiüigung
ber anbern 5Jienfd)en, meil bia jum 2(ugenb(i(fe ber 336^^=
na!§me niemanb an biefer einzelnen beftimmten ©adie ein er=
tt)Drbene§ 9te(^t geltenb machen !ann.
^ad) ber bon un§ befirittenen Se^re fönnte enblirf) ha^
^ribateigentfium an irgenb einer ©ad^e nur unter ber 23orou§=
[e|ung redjt^giüig begrünbet luerben, boB alle 5!}?en|d)en 33er=
jictlt leiften auf ha^ 5Inre(^t, melcbeS i^nen öon 5^atur au§
an ber betreffcnben einzelnen Baä)t guftel^t. 9?un i[t aber bie
(Srfünung einer fo(cben 53ebingung abfolut unmi)g(id). ©tetS
merben neue 9]kni"d)en geboren. 5Ziemanb aber fällt e§ ein,
biefe um Sriaubnife ju fragen, baa biafjerige (Sigentt)um anä)
fürberf)in befi|en ju bürfen. üJkn jage nicbt: bie fpätern
®cfd}Iedbter feien ala „9?ed)t§nad)fo(ger" ber früfjern üxi beren
3Seräid}t gebunben. (S§ ^anbelt fid) ^ier eben gar nid)t um
bie 3^acbfoIge in ein frembe§ 9tecbt, um eine mir!üd)e 9te^ta=
na(^foIge, fonbern um ein 9te(^t, ha^ mit ber menfd)üd)en
5^atur berbunben ift, barum überall fic^ finbet, mo bie menfd)=
lid^e 9iatur öor^anben, um ein 9ted)t, ba§ mit jebem ^enfd^en
bon neuem geboren mirb. |)at bal^er bie urfprünglidie (Sin-
roeifung be§ 5)^enfcbengefd)(ed)te§ in ben Sefi| biefer ßrbe in
ber 2;^at ben ©inn unb bie 58ebeutung, ba^ jebem einzelnen
9}^enf(^en ein mirtlidier Diec^töaniprud) be^üglid) jeber einzelnen
<Baä)t aufteilt , ein 9ted)t§anfprud) , ber nur burd^ 23eräic^t=
leiftung behoben mirb, fo bermag man fid) auc^ ber ©d)(uB=
folgerung nic^t ju entäieljen, ha^ burd) ben 2Biüen jebeS
3. Urfpr. b. @tgentl)umö nac^ b. barn).=foc. @t)oIutton§t^eorie. 213
neugeborenen 5}?enfd)en bie ^^ottbauer be§ ur[t)rünglic^en $8er=
traget beftritten werben !ann. —
6§ war bofjer ein tprid)te§ Unternehmen, wenn man
öermittefft ber 33ertrag§t^eorie bem ^prlüateigentfjiim eine foübere
©runblage ju geben üerfud^te. Sin Sjertrag, Don beffen %i=
[tenj \\ä) niemanb überzeugen fann, Don bem jebe ©pur feljlt,
ein 33ertrog, ben unfere 33ernunft al§ böüig überflüffig be=
jeici^net, ein 23ertrag, ber, felbfl wenn er be[tanben f)ütte, öon
ben gleid)bered)tigten Diadifommen ber Urmenjdien mieber um=
geftoßen werben !onn, — ein fol^er SSertrag bietet in ber
3;[)at nur eine anwerft fdjwactie Unterlage für ha^ befteljenbe
^ribateigentljum, ober üielme^r er fielt t beffen S3ere(^ti=
gung unb ^^ortbauer jeben 5tugenblidt wieber in
^rage. S)ie In^änger ber 23ertrag§t^eorie fjaben ba§ wo^l
fetbft gefüllt unb barum fd)(ie^(i(^ bie 3ii[tiinniunS ä« i>f»i
uralten (Jontracte al§ eine burd) bie Söettorbnung geforberte
natürliche ©ociaIpfIi(^t ^ingefteüt. 2Benn aber bie 2BeIt=
orbnung ober Dietmefjr bie gefeüfc^aftlidje Orbnung bie 5ln=
erfennung be§ ^^riüateigcntt)um§ forbert, fo ift ber angeblidje
93ertrag erft rec^t al§ überflüffig unb gänäliii^ bebeutung§Io§
erwiefen ^. —
3. ^ex ^xfpxmt^ &e$ ^igenfßumö uac$ ber barwinifüfe^-
fociatißf(^eit ^votuüon^iffeoxu.
1, 5}?an I)at nid)t mit Unred)t eine neuseitlidie @rrungen=
fd)aft barin erblidt, baf^ bie wiffenfd)aftlid)e Unterfuc^ung fid)
mit befonberer ©orgfatt ber ©rfenntniß be§ 2B erbend ber
S)inge jugewonbt. 5tUein e§ ift ju befürchten, ba^ bie ein=
1 Sögt. S)ie fociale g^rage beleucEitet bur(| bie „(Stimmen aug
aJtana=ßaac^" I. 93b., 1. §eft : S^eobor 30^1 e^ er S. J., ®ie
^Irbeiterfroge unb bie ci^nftltd)=et{)if(f)en ©ociQl|5nnct)3ien (3. Slufl.,
S-reiburg 1895) ©. 101.
2 14 2)titte§ ßapttel. Sa§ «Priöatetgettt^unt al§ Sociale önftitutton.
fettige Ueftertreibung biefeS ©treben§, bie nic^t feiten jur ^rei§=
gäbe ber ri(^tigen (SrfenntniB be§ (Sein§ geführt, größeren
«Schaben anrichtete, q(§ bQ§ genetif(^e Jßerflefjen 5>ort^eU ^u
bieten öermodite. ©o bef(^äftigt nmn fid) in ber mobernen
^^ilofop^ie !aum mel^r mit bem 5Iuffu{^en ber 2Bat)r^eit,
fonbern augfd^IieBIid^ ober mcnigftens uortütegenb mit ber @e=
ftf)id)te ber pt)i(ofop()ifc^en ©tifteme. S)ie ^uriöpruben^ iDirb
bet)errfd)t öon bem ^ofitibiömu§ be» 9ted^te§, bie ^iotional^
öfonomie jum 3;^eil bon einem einfeitigen §iftoti§mug. Sn
ber 9lQturrt)iffenfc^Qft fpielte ber SE)artt)ini§mu§ feine 9loIIe,
unb ber tt3iffenfd)aft(idbe @ociaIi§mu§ ^offt noc^ immer ha§>
^eit Don ber „naturnDt(}tt3enbigen (Sntmidtung" be§ ©ociaI=
förper». (Sr glaubt fo rec^t auf ber |)ö^e ber heutigen
2öiffenfd)aft ju fte^en, toenn er [läj §u bem (gn|e berfteigt, ha^
mii)i^ abfotut unb bauernb, alle§ nur retatiö unb tranfitorifc^
fei. SnSbefonbere erfc^eint if)m ba§ ^Pribateigentljum
lebiglid) al§ eine {}iftorifd)e Etappe, eine „^iftorifd^e J? ate=
gorie" (Soffaüe), eine (äntroidlunggftufe , bie getoorben ift,
um im Saufe ber 3^it bor ben neuen ©eftoltungen ber fort^
fdireitenben ©ntroidlung ju berf^minbcn. —
@§ I)at ben begeifterten 9tn[jängern be§ (Jntmid(ung§=
geban!en§ nicbt genügt, bie Soolution bea ^J^enfd)engefd)Ied)te§
öom gefd)id)tlic^en (Stanbpun!te au§ ju ergrünben. 5[Ran ging
weiter unb erfanb bie fogen. „prä|iflorifd)e" 2Biffenfd^aft i.
Dt)ne Sebenfen roirb jugeftanben, ha^ auf ber Urgefd^icbte ber
9Jlenfd)I}eit, ben erften Seiten ber 35ölferbilbung, ein ©d)Ieier
* 9Jlänner iuie SuBbocf, S^t^Ior, IDlorgan, ü. ^etltoalb, Si^pert u. o.
gel^ören ^iev:^er. Jögl. ö. §eIItDaIb = S5ör, Set oorfsefiJiicöttid^e
mm]ä). 2. 2lut(., Setpäig 1880. — A\ ü. ©d) er 3 er, ®tc ?(nfänge
men|c^Iicf)er ^nbuftrie. Serlin 1883. — 91. ^oU), 2)er UJlcnfc^ üor
ber 3eit ber rnttaüi. Seipsig 1880. — SSgl. quc^ 2ß. ©dEineiber,
S)te 91aturt)öl!er (^aberborn 1885) ©. 413 ff., tto ber extreme @üo=
lutioniämug feine äßiberlegung ftnbet.
3. Urjpr. b. gtgent^umS naä) b. bariri.=joc. ®DoIution§tI^eorie. 215
lagere, ben bie gelet^rte 5ürfd)ung f)ie unb bo etroaS ^u lüften,
nic^t aber ^u entfernen öermöge. ^oc^ tüQ§ fc^abet'S? ^e
bic^ter ber ©d^teier, um [o fü^ner bie prat^iftorifc^e 2öiffen=
fc^oft, um fo freier bie Sa^n für boa fröt)Iid^e (Spiel einer
üppigen ^(jantofie, SBo^Ian, matten wir einen Spaziergang
burcö bie lieblichen 5luen jene» weiten ^or]c^ung§gebiete§ in
^Begleitung eine» 33ertreter§ be§ ejtremen (äöolutionismuä i.
Söir raerben bann bieöeic^t bie ^iftorifc^e SBiffenfc^aft beglücf^
wünfc^cn fönnen, boB fie fid) „feit bem 5Infang ber fedi^iger
^af)re" bem „Sinfluffe ber fünf ^öüd^er 93bfi5" ju entjiefien
Derftanb "-. @in ganj neue» unb glonäenb ^eüe» Sic^t Per=
breitet fid^ ja feit jener !^di über ben Urfprung ber gamitie
unb in 23erbinbung bamit be§ @igent^um§. —
2. 2)Q§ cultur^iftorifd^e Sdiema, meld^eS 5. 58. griebric^
ßngeU im 5(nfc^(uB an Seroi» illorgan auffteüt, lößt ben
OJ^enfc^en burd) bie ^eriobe ber Söilb^eit unb bann ber
33a r bar ei ju berjenigen ber ©iöitifation gelangen, tt)D=
bei bie 2öilbi)eit unb Barbarei mieberum in je eine llnter=,
l"lJitte(= unb Cberftufe verfallen. Snner^atb biefe§ tRa^men§
entroideln fic^ ^^amilie, Staat, @igent[}um.
3n ben „tualburfprünglic^en" 33ert)ältnifjen ber unterflen
Stufe ber Söilb^eit tierrfcbte im ©efd^lecfttsleben abfofute ^rD=
miacuität. ©ann folgte bie ^lut Süerroanbtf d^af t»=
f amilie, ®e)c^Ied)t3üer!e^r smifc^en Srübern unb Sd^roeftern,
(Soufinen unb 33ettern, aber nid^t meör jroifd^en Aftern unb
^inbern. 3)ie @efd)id^te freilid^ raeiß ni(^t§ baDon; allein
5J?organ glaubt au§ bem öerioanbtfc^aftlid^en Softem, mie
^ ©erabc il^re ejtremfte ^Jorm läfet bie ber ^errfd^enben eDo=
lutioniftifc^en Si^eorie überhaupt eigent^ümliti^en geiler am ftarften
^eroortreten.
2 griebri(§ engels, 3)er Urfprung ber fjamilie, be§ 5ßtit)Qt=
eigent^uins; unb beö Staate^ (7. Stufl. , ©tuttgart 1898) ©. xi.
1 ff. 9 ff.
216 ©rittet ßapitel. ®q§ ^riöatetgenti^um qI§ fociole ^nftitutioii.
e§ auf ^amai unb in ^oIi)ne[ien fic^ finben fofl, auf eine
ehemalige @Ei[tenä jener ^amilienfotm fc^Iie^en ju bürfen.
Sn ber jtüeiten gorm ber S^amilie bleibt ber ®e[(i)Iecbt§=
ber!ef)r ber @ef(|tt)i[ter nu§gefd)Io[fen. (5§ i[t bie ®ruppen=
ef)e (f)atT)Qi)d) : ^unalua = ®eno[je), njobei bie «Scömeftevn
äroar gemeinfame ^Jiänner unb bie trüber gemeinfame grauen
^aben, aber sraifcben trübem unb ©ä}tüe[tern feine S3Iut=
bermifc^ung [tattfinbet. gür bie Si'tftens biefer g-amilienform
beruft fid) 5[)Zorgan auf bie Organifation ber 3}erir)anbtfct)aft,
wie fie in 5lmerifa fid) gefunben. ?Iuf ^oicai foü bie ^unQlua=
familie fid) fogar birett nad}meifen (offen. @nget§ glaubt aucb
in bem fogen. ius primae noctis eine Erinnerung nn bie
@ruppenet)e u. f. tv. finben ju tonnen,
2Böt)renb ber ^eriobc ber SBilb^eit, ai% ^^roniiScuitüt,
581ut§öertt)anbten= unb (Sruppenfamitie t)errf(^ten, galt ba§
gjJutterrecbt, ba§ TOatriard)ati. 5M) ber Butter
* ®ngel§ (Urf^jrung ber S^amttie u. f. to. @. xi f.) batirt
„bie ©efd)id)te ber g^amilie" üom ©rftfieinen ßon S3a(f)ofen§
„9}hitterre(^t", al\o Don 1861: „§ier fteCt ber Jßerfafier (Sai^ofen)
bie folgenben SJel^auptungen auf: 1. baß bie 3[Renf(f)en im Stnfange
in f($ranfenIoyem ©ejcöleditäoerfe'^r gelebt, ben er, mit einem fdiiefen
Sluöbrucf, üU §etQriämuö bejeidfinet; 2. ba^ ein foli^er ffierfe^r jebe
fict)ere a5aterfcf)aft ouSfä^Iiefet, bafe baf)er bie Slbftammung nur in ber
toeibüdjen ßinie — naä) SDlutterrec^t — gered^net merben fonnte, unb
ba^ bieä urfprünglid) bei oEen S3ölfern be§ Sütertfjum^ ber S^att
war; 3. ba§ infolge l^ierüon ben iJrauen, aU ben 9Jlüttcrn, ben einjig
fidler befannten ©Itern ber jungem ©eueration, ein f)o^er ©rab öon
2t(i)tung unb Slnfel^en gejotlt tturbe, ber fi($ nod^ SJad^ofenS 3}ot=
[tettung ju einer üoßftänbtgen SDöeibcr^errjdjaft (©t)naifofrQtie) ftei»
gerte; 4. ba^ ber Uebergong jur ©injelebe, tno bie O^rau einem 9}lnnn
auefcf)IiefeUd) geprte , eine SJerle^nng eines uralten 9teIigtDn§gebot§
in fic^ f(^Io6 (b. 1^. tf)atfä(!^Iid^ eine SSerle^ung beS altl)erfömmli(i)en
2tnved)t§ ber übrigen 9Jiänner auf biefelbe 3^rau) , eine 93erte^ung,
bie gcbüfet ober beren 5)u{bung erfauft merben mu^te bnrd) eine
geitlic^ befc^ränfte ^rei§gcbung ber Srau."
3. Urfpr. b. ©tgent^^umö nad) b. btuto.=joc. ©üotutionöll^eone. 217
regelte [icö bie ^Ibftammiuig , benn ber 33ater war ungeiüiB.
2)ie ^ifutter [tanb ba^er oud; a(§ l'aupt ber gamiüe üor,
eben[o bem @e[d)Ied)te, ber gens; biefe tüar ein größerer
^rei§ bon ^öliit^üertüanbten it)et6Iic!)er Sinie. 5(ii§ jenen mQtri=
ord^olen ®e|d)Ierf)tern fe^t \\ä) bie Urgeien|d)Qft äufaminen.
3nnig öerbunben mit bem ge]d)(ed)t(id!en 6Dmmuni§mu§ mar
ber Sommuni§mu§ auf mirtfäiaftlic^em ©ebtete
innevl)al6 ber ^ya^ii^ie ""i^ ^£§ ®el'd){ed)te§. ^ie 2Birt=
läja^t mar §au§mirtfd)att. 2)ie communiftifcfte §au5mirt=
fd^aft unb bie Üßeiberr^errjc^oft im |)au[e [inb nacS ©ngel§
ibentifc^.
2öar bie @ruppenel}e bie (^ara!teri[tijd)e gamilienform in
ber ^eriobe ber 23i(bl)eit, fo i[t bie f^nba§mifc^e ober
^paarungäfamilie ber ^Barbarei eigent^ümtic^. ©ie be=
ginnt jd)on an ber (^renje ^mifdien Sßilb^eit unb 33arborei
ober auf ber Unterftufe ber 33arbarei. 2)er ÜJJann fauft ober
raubt fein 2Beib. 2)ie SSerbinbung bauert , folange e» bem
^aarc gefällt. @in neue» Clement mürbe burd) bie ^aarung§=
e^e in bie gamiUe eingefütirt. DZeben bie leibliche 5}iutter
^atte fie ben beglaubigten leiblidien SSater gefteflt, ber nun
aud) a(§ (Sigentf)ümer ber 3Irbeit§mitteI , ber gerben unb
fpöter ber ©flauen gatt. 3n bem 5ßerl}ültni§, mie bie 9teid^=
t^ümer fic^ met)rten, mucb§ bie Waäjt be§ 33ater§ in ber
gamilie unb beffen 3SerIangen, bie eigenen Äinber nid)t in
bie ®en§ ber 93^utter gelangen ju (äffen, fie bielmefir mit
ifirer 5Irbeit5fraft ^n fid) fiinüberäujieljen , aber bemgemä^
aud) bie l^ergebrodite Erbfolge ^u önbern. '>Raä) ^Jtutterrei^t,
alfo folange bie 5lbftammung nur in meiblic^er Sinie ge=
redinet mürbe, unb nad) bem urfprüngtid^en Srbgebrauc^ in
ber ®en§, erbten anfänglid) bie ©entiloermanbten Don i^ren
berftorbenen ©entilgenoffen. 5)aö 33ermögen mußte in ber @en§
bleiben. 2)ie ^inber beS berftorbenen 9Jianne§ aber getjörten
nid)t feiner @en§ an, fonbern ber i^rer eigenen 5}Jutter; fie
218 S)ritte§ Kapitel. ®a§ ^ßrtöatetgentfium qI§ foctale ^nftitution.
erbten anfangt mit ben übrigen ^Iut§öerroanbten ber ^[llutter,
IpQter bietteic^t in erfter Sinie, bon biefer; aber bon i^rem
aSnter tonnten [ie nicbt erben, tneit fie nid^t §u feiner @en§
getjörten, fein 33ermögen aber biefer bleiben muBte. S)a§ ot(e§
rourbe je^t anber§.
S)er Urnfturj be§ 2Jiutterre(i^t§ aber roar gleid)bebeutenb
mit ber meltgefd)i(f)tlid)en ^iieberlage be§ raeib»
H(f)en ®ef(f)lecbte§. ^er ^Jlann ergriff ba§ ©teuer im
§aufe, bie grau n^urbe entmürbigt, getnecbtet, ©flaöin feiner
8ufl unb bloßes Sßerfjeug ber ^inbererjeugung. Sie erfte
Söirtung ber nun begrünbeten lüeinfjerrfc^aft ber Wdnmx
jeigt fic^ in ber jetjt auftaud)enben S^^ifc^enform: ber paixu
ard^alifc^en f^amilie. SöaS fie l^auptfäd)Ii(^ bejeic^net,
ift ni(ftt fo fe^r bie Sßielroeiberei , alö öielme^r bie Drgani=
fation einer ^Inja^I freier unb unfreier ^ßerfonen ju einer
gamilie unter ber böterlic^en ©emalt be§ gamilien^aupteg.
Sn ber femitif(^en gamilie lebt bie§ gamilienljaupt in 33iel=
meiberei, bie Unfreien lijahtn Beib unb llinber, unb ber
3n)e(f ber ganzen Organifotion ift bie SBartung bon gerben
auf einem abgegrensten ©ebiet. So§ SBefentlic^e ift bie @in=
berteibung bon Unfreien in bie gamilie unb bie bäterlid)e ®e=
tüalt] boüenbeter Sl^puS biefer gamitienform ift bie römift^e
gamilie. 9I(§ wirtfdjaftlidöe eintieit erfcbeint auf biefer Stufe
nic^t bie ßinjelfamilie im mobernen ©inne, fonbern bie „C)au§=
genoffenfdiaft", bie ou§ mehreren (Generationen, bejm. ßinjel^
familien beftefjt. S)ie patriard)alifd)e ^;)au§genoffcnf(ibaft mit
gemeinfamem ©runbbefitj unb gemeinfamer Bebauung ^at bei
ben 6utturbö(!ern unb mandjen anbern 33öltern ber alten
Sßelt eine mid^tige UebergangSroHe gefpielt ätüifc^en ber mutter=
rec^tlidjen unb ber fpätern ßinjclfomilie. 5(ud) mar fie bie
Uebergang§ftufe, au§ ber fid) bie Sorf= ober 5)kr!gemeinbe
mit (Siuäelbebauung unb erft periobifc^er, bann enbgiltiger
'Jluft^eilung bon 5tder= unb SBiefenlanb entn)idelt i)at.
3. \Xx\pt. b. (äigcnt^um^ nac^ b. batui.=foc. ©öolution^f^eorie. 219
^ie monogame t^nmilie enblici^ ent[ief|t au§ ber
^narunqSfamilie, im ©renjjeitolter jtüifci^en ber mittlem unb
obern ©tufe ber SSatborei; \l)x befinitiber ©ieg i[t eine»
ber ^enn^eid^en ber beginnenben ©ibilifatton. @ie i[t ge=
grünbet auf bie §err[cf)aft be§ 9Jlanne§, mit bem au§brücf=
liefen 'Swtd ber ©rjeugung bon ^inbern mit unbeftrittener
53aterfcE)oft; unb bie[e 93ater[döaft föirb erforbert, njeil jene
^inber bereinft a(§ 2eibe§erben in ba§ biiterlii^e SBermögen
eintreten foHen. Sie unterf(^eibet \\d) bon ber ^aarungse^e
burd^ meit gröf^ere ^efligteit be§ ©(jebanbe», ba§ nun ni(|t
met)r nac^ beiber[eitigem ©efallen tö§bar i[t. @§ ift je^t in
ber 9tegel nur nod^ ber ^anw, ber e5 Iö[en unb feine ^rau
berftofjen !ann. 3^ür ben 5}?ann beftefjt ba§ 9ied)t ber ef)e=
lid^en Untreue unb mirb mit fteigenber gefenfrf)aftlid)er @nt=
midftung immer mel)r ausgeübt, ^ie untreue ^rau bagegen
inirb ftrenger beftraft, at§ je borfier, 2)ie 9)?onogamie ift
bie erfte gamilienform, bie ni(^t auf natür(id)e, fonbern auf
öfonomifd^e Söebingungen gegrünbet luar, nämli^ auf ben
©ieg be§ ^ribateigentf)um§ überbau urfprünglic()e
naturn)üc5f ige ©emeineigentljum. 5[RDnDgamie unb
©runbeigent^um bilben nac^ @ngel§ mie nad) ^^ourier bie
.•pauptfennseid^en ber Sibilifation; unb aud) barin flimmt
®nge(§ Courier bei, ba^ er fie einen ^rieg be§ 9iei(^en gegen
ben 5trmen nennt. —
3. gaffen mir fpecielt bie mirtfdiaftlidie @ntmirf=
(ung unb bie @igent^um§bilbung nac^ ber 5luffaffung
ber barminiftifd)=fociaIiftifd)en S^eorie etma§ genauer in§ 3Iuge,
fo berne^men mir, ba^ unfere Ural^nen in ben tropifdien unb
fubtropifcben SBälbern — ber äöiege be§ 5J?enfdbengefc^te(i^te§ —
auf Säumen gelebt, bon f5^iid}ten, ^^lüffen, SSuräeln fid} genarrt
unb bie reid)(ic^ bemeffene freie ^zit jur 5Iu§bi(bung arti!u=
lirter Saute — ber «Sprad^e — bermenbet ^aben. ^aum nod)
erfjob \\d) bama(§ ber 5DZenfd) über ba§ ^öi^ft entmidctte
spefd^, 2i6erali§mu§ jc. II. 2. 3luf(. 11
220 Svitteä .Küptlcl. S:ü3 ^priöateigentldum aU jociale Snftitution.
S^ier. 33on einer probuctiüen Sptigleit in§5efonbere ioar
feine IRebe. Unfere 53DrfaI;ren occupirten in ber ändern, fie
umgebenben 5^atur, n3n§ immer fie Srand()bare§ jur Sefrie»
bigung i^rer ^ebürfniffe fanben; genau fo, tt3ie bie S^fiierc
e§ l^eute no(5 machen. 5Iömä[)(i($ trat bann bie „©ifferenäirung"
ein. ©er TOenfi^ fing an, bon ber 53eftie fid^ ju unterfd)eiben.
Söä^renb bie S^iermelt in iljrer Sebürfnifebefriebigung leine
(Sntnjicftung ju pljerer 5lrt erlebte, njarb ber glücEIidiere SBruber
nad^ unb nac^ auS einem ©flauen ber Dfiatur jum |)errn
berfelben.
2Bir fönnen f)ierbei mehrere gerieben unterf(f)eiben.
Snnerl^alb ber ölteften 2Birtfrf)aft§ftufc burd)ftreiften nnfere
?t^nen ala Säger bie SBälber ober fuc^ten al§^ifd[)er am
Ufer ber ^ylüffe, an ber ^üfte be§ 9}Zeere§ i^re fpärlid^e
9ia^rung. ^ribateigentfjum gab e§ feine§, aufeer an
ben ©enufemitteln, bie ben augenblidflidien Sebarf ftiUen
füllten, mo^t awä) an ben ro^cn SBerfgeugen, an ^eule
unb ©peer, ^ernac^ an Sogen unb ^feil. S)a 3agb unb 5iftä^=
fang feine bauernb fiebern ^lal^rungSqueüen bieten, fo fam auf
biefer Stufe, melc^er l^eutc no(^ bie 3(uftralier unb ^oIt}nefier
angefiören, bie 5)knfd)enfrefferei ni(^t feiten in 53rauc^.
3u§befonbere ber öftüdie kontinent befafe ja^Ireidje jur
3ä^mung tauglid;e Siliere, ^ein Söunber alfo, nienn gerabc
bort, in ben ©ra§ebenen be§ ßup^rat unb 2;igri§, be§ Oju§
unb So^ötteS, bc§ S)on unb S)niepr bie erfte ^erbenbilbung
ftattfanb. DJiit ber 3ö^ii^ung be§ Sie^cä aber beginnt bie 9iotf;«
roenbigfeit, immer neue SBeibepIä^e aufjufudien, ha^) 5^omaben=
leben ber |)irtenöölfer. (Sin ßigent^um an ©runb unb 5öoben
fonnte fjierbei noc& nic^t jur (Sntfte^ung gelangen. 9Zur be=
meglid)e S)inge, inSbefonbere bie |) erben, bilbeten ben bor=
nel^mlid^ften ©egenftanb be§ ^riüateigent^um§ auf biefer ©tufe.
S)ie Sebeuabebingungen be§ |)irtenboIfe§ finb jebenfaHä
befferc al§ bie be§ Söger» unb ^^ifc^eröolfeS. 6ine 9tüdfe^r
3. Urfpr. b. ©igent^umS nac^ b. barto.'foc. ©DoIutionSt^eovte. 221
aua ben gra§tragenben ©tromebenen in bie alten SBalbgefiiete
wax be»^aI6 auSgefc^foffen. 5l6er bie 58eböl!erung bermefjrtc
[ic^. Sie freien Stiften reid^ten balb nid^t mel^r au§ für
attc. Wilan 50g nac^ 5Rorben unb Sßeften, unb ha ber weniger
günftige ^ohzn eine auSreici^enbe ^ial^rung für bie |)erben
ni(^t gelDö^rte, fo fc^ritt man jum ©etreibebau. 5tu§ bem
gutterbebürfnil be» 33ie^e§ entftanb fomit urfprüngtid; bie
^robuctton öon 9?atureräcugniffen burd) menfd^Iidje 5Ir6eit.
Söeil au^er bem §Ieifd^ ber 2;^iere nun auc^ ba§ S3rob jur
93erfügung flanb, öer[c()iüanb naä) unb nad^ bie 5!Jienid&en=
frefferei. 2)ie 5?omoben unb |)irten finb fe^|afte 2Ider=
baut) öl! er geworben.
S)a» lüar ber ^^itpunft, bon bem an ba§ @i gentium
an ©runb unb 53 oben fii^ aümö^Iid^ entmidelte. 33orab
na^m ber ganje ©tamm o(§ folc^er ein ©ebiet für fid^ in 58eft^.
5(u§ bem 6 0 n e c t i b eigentf)um be» ©tamme», ber @en§, ber
|)au§gemeinfc^aft aber bilbete ficb aUmöl^Iid) ba§ ^ribot=
eigentljum ber einzelnen t^amilien unb ^erfonen am 5Ider.
4. SBürbe bie ©id)erl;eit, mit föderier biefe fogen. „feften"
©rgebnifje ber präfjiftorifc^en SBiffenjd^aft borgctragen werben,
einen 53eweia für if;re 3uöerläf[ig!eit bilben, fo wöre jeber
33erfud) einer Prüfung berfelben unerträglid^e 5Inma|ung.
2ßer aber ein wenig fritifc^ Veranlagt ift unb bei jeber Se=
I)auptung nac^ bem ©runbe unb ^eweife ju fragen gewohnt
ifl, ber wirb wol^I aud) bor ber prö^iftorifcben SBiffenfci^aft
nidbt ol^ne weitere» bie 8egel ftreid)en wollen.
Ueberbüdt man bie ©ejdjidbte ber DJknjc^fjeit , fo fpringt
D^ne 3tüeifel fofort bie S^atfac^e einer auffteigenben @nt=
widlung in bie Singen. DZic^t iebe§ einjetne 93o(! t;at (jötjcre
Sulturftufen erftiegen. 5Dknc^e» ift fogar jurüdgefunfen unb
im @lenb bertommen. Slber im allgemeinen jetgt fidb ein
ftctiger gortfdiritt, beffen Sröger halh biefe balb jene 9Jation
ift. ©0 weit ftimmen wir axi^ mit ber prä^iflorifd^en (5bo=
11*
222 ®ritte§ ßapitel. S)aä ^rtöateigentl^um aU fociale Qnftitutiott.
tutionSt^eorie überein. 2öq§ un§ bon ber[eI6en trennt, ba§
finb fülgenbe 5pun!te:
Einmal: ber eigenartige 3tu§gang§]3un!t, ben [ie ber
@nttt)i(f(ung geben möd^te;
f obonn :bie föinfürUdje SSeroUgemeinerung i^re§
(Snttt}i(ftung§[c^ema§. —
®ie @boIution§t^eorie rüfjint [ic^, frei bon oflen „meto«
plj^fifd^en 23orau§)e|ungen" bie ©ntmidlung ber SJienfii^^eit
allein auf ®runb ber pofitiben unb ejacten 2öiffenj(^aften
feftgefteüt ju traben. 5(ber too finb benn bie |)Dfitiben
5In^alt§punfte für jene Seljre? 2ßo finb bie Urtunben, au§
benen bie gefeierten Sßertreter be§ abfoluten @bDlutioni§mu§
gef(i^öpft l^aben? S)en birecten, fiiftorift^en D^adilDeiö für
i^re ^eljauptungen ju liefern, — barauf muffen fie bon born=
tjerein berjiditen. ©o gefte!)t ?^riebrid) (Sngela: „33Dn aÜen
33ölfern, bie innerhalb ber gefc!^id)tli(i^en ^eriobe betannt gc=
föorben, geprte fein ein^igeä me^r biefem Uräuftanb an. @o
lange Safjttaufenbe er aud) gebauert Ijaben mag, fo wenig
tonnen lotr i^n au§ birecten ^ßUQniffen belüeifen; aber bie
5lbftammung be» SJienfcben au§ bem 2;^ierreic^
einmal jugegeben, wirb bie 5tnna^me biefe§ lieber»
gange§ unumgänglicb." ^ ^Hfo bto^ um eine (5d)lu|3foIgerung
au§ einer ^l)potl)efe tjanbelt e§ fid), — au§ einer |)t)potf;efe, bie
^eute bereits bon ben bebeutenbften ^'Jaturforfd^ern berlaffen ift !
S)a bie SSertreter ber prä^iftorifc^en (Sbolution i[)rerfeit§ für
jene „$8orau§fe|ung" einen neuen 23ett)ei§ nicbt liefern, biel=
mel^r fi(ä^ lebiglicd auf barftiniflifd^e SfJaturforfti^er berufen,
fo ber^icbten auc^ mir auf eine SBiberlegung ber §^potf)efe.
2Ber eine foldje it)ünfd)t, finbet biefetbe bei 5af;Ireid)en anti=
barminiftifcä^en 5^aturforfcbern unb ^p^ilofop^en ''^.
* ©ngets a. a. O. ©. 2.
2 9391.3. «8. Siltn. «Pefcl, ®te großen SQielträtfifer IT (2. Sluff.,
fjreiburg 1892), 216 ff.
3. Urfpr. b. ©igentl^uml nad^ b. barto.'foc. ©botutionStl^eoric. 223
^oä) fe()en toir im§ einmal bie onbern „inbirecten"
S3ch)ei[c, mit benen bie tirä^iftorifc^e 2Biffenfd^Qft \i)xt Snt=
tüidtungStljeorie 511 begrünben berfudit, ettt)a§ genauer an.
S)er ertremen (SboIutionS^^pot^efe jufolge ^at ber oben
gejd&ilberte 58iIbung§^roce^ bei ben berfd)iebenen 9taffen unb
33öl!ern nid^t überall ju bemfelben (Srabe ber (Sntwicflung ge=
fü^rt. ©in %^^\l ber ^ölUx fommt in ben Sa^ttaujenben
feiner ©efci^ic^te ni(^t über bie niebrigften ©rabe ber tt)irt=
jd)aftlic^en ©Eiftenj I;inau§. @ie bleiben „9?aturbö(f er".
?(nbere fteigen allmäf)lid) bon ©tufe 5U «Stufe au§ einem ber
t^ierifd^en Sebürfni^befriebigung gleictien 3iiftanbe empor, bi§
fie jene §ö^e ber materiellen ^robuction unb be§ feinern
©enupleben» erreicht I;aben, auf melc^er mir bie l^cutigcn
SuIturböÜer erblicfen. 2BoIIen mir alfo bie niebrigern (Snt=
mi(flung§ftufen fennen lernen, fo braucEien mir nur bie ^eute
noä) jum 2:^ei( bor^anbenen „9laturbölfer" untereinanber unb
mit ben ßulturböüern ju bergleidien. ©§ ift fomit bie fogen.
bergleic^enbe ®ef(^i(i)t§met]^obc, meldte angeblid^ bie
Semeife bafür liefert, ba^ bie 5}^enfd^[)eit auS einem urfprüng^
(ic^ t^ierdtjnlic^en 3^i[^onbe, au§ ber 2Bi(b^eit unb ^Barbarei,
fid^ jur ßibiüfation emporgerungen tjobt.
W\x merben l^ier gar nic^t babei bermeiten, mie bie S8er=
treter ber abfoluten @botution§t^eorie, um „9laturbölfer" auf»
jutreiben, fic^ berge6en§ abmühen, einem 2:f;eil ber heutigen
Semol^ner ©übafien§, Oftafrifa§ unb 5(uftralien§ ^albt^ierifd^e
SBilb^eit anjubid^ten. ©ele^rte ^orfc^ungen ^ ^aben jene Ieid)t=
fertigen Sel^auptungen längft fction in§ redjte Sid^t ge=
ftellt. 2Bir möd^ten aber menigftens erfaljren, mo^er benn bie
1 »gl. 3. 83. ^ef(^el, SSöIferfunbe (2. StufL, ßeipäig 1875)
©. 137ff. — aSgl. e. »Qumftorf, ®te »olfämirtid^aft nat^ 2Kenfd§en=
raffen, SJoÜäftämmen unb SSöIfern (in §ilbebranb§ ^al^rbüd^ern
V, 81 ff.). — S^. 2öai^, ?{nt^ropologie ber 91aturDöIfer. 6 X^eile.
ßeipjig 1859—1872.
224 drittes ßapitel. SDa§ «ßriöateigentl^um aU fociale Sfnftttution.
ßbolutioniften bernommen l^oben, boB bie 5IuftrQ(neger , bic
5polt)ne[ier u. f. it). tüirfüdie „9?aturböl!er" [inb, ba& t^at=
[äd^Iic^ i^re 33er^ältni[fe ben iDo^ren unb allgemeinen Ur=
juftanb ber 9Jienfd^^eit barfteüen? 5tuf biefe ^^rage ttiirb
bie ebolutioniftifd^e 23iffeni'(i^Q[t vooljl öon neuem i^r ©prü(|=
lein jagen: „S)ie 5tb[lammung be§ 93len[d)en au§ bem St)ier=
reidö einmal zugegeben, wirb bie 3Inna!^me biefeS UebergangeS"
Don ben niebern ©tufen ber Shturbölfer ju ben ^ö^ern ber
ßulturbölfer unumgänglich i. 5lun, 'öü?/ ift bie 2ogi! „miffen»
jc^aftüc^er" 33oItigeur§. Sirecte 3eugni[fe für eine millfürli^e
„^nna^me" befi^t man nic^t, unb bie inbirecten Seföcife
[tü^en fidö h)ieberum auf eine „5(nnar)me", auf eine gönslid^
unermiefene, mifjenfc^afKid) abfolut un£)altbare „§t)pot!^efe".
5(ber legen lüir ber bergleid^enben 50^et§obe nicbt aUsuföenig
©emic^t bei? |)at bocb ^reeman in feinem 33ucf)e Com-
parative Politics bie @rfinbung biefer 5[Retf)obe al§ ein fo
bebeutenbe§ (Srgebni^ gepriefen, ba^ fie Jiinreid^e, um unfer
Sa^r^unbert einen ber großen SBenbepunfte in ber ©efdiid^te
ber 5}^enfc^^eit ju nennen. O^ne Stt'ßifel berbanft bie 2öiffen=
fc^aft, fpecieU bie ©praij^forfdiung, ber comparatiben 9JJetf)obe
gar mand^e @r!enntni|, bie auf anberem SSege nic^t ju er=
langen geföefen märe, <Bo Ijai man bermittelft 23ergleicöung bie
23ermanbtf(^aft ber berfc^iebenen 33ö(!erftämme f eftgefteHt : „3)ie
Sautf^mbole, melci^e gegebene ©egenftänbe begeid^nen , " fagt
©tardfe^, „finb faft ganj miüfürlid^ geroä()Ü morben, unb e§
ift bo^er unma^rfcfieinlid), ba^ jemals jmei berfd)iebene 93öl!er
ba§felbe ©Qmbol für benfelben ©egenftanb gebilbet ^aben. 2Bo
* S3gl. 3. 33. ßubtoig S^eHj, ®nttoicf[ung§gefd^icf)te beö ®tgen=
tl)um§. @rfter %i)dl: Ser ®influfe bev 9'latuv auf bie ©ntwicfhmg
be§ gigent^umö (Seipjig 1883) ©. 10 ff. %nä) Vierter %i)nl, erfte
§älfte (1896) ©. 3 f.
* ®te :primitioe fjamilte in tl^rer ©ntftel^ung unb ©nttoicflung
(ßeipäig 1888) ©. 2.
3. Utfpr. b. ©tgentl^utnS nac^ b. barUL^foc, ©öotutionStl^eovie. 225
halber eine [oId)c Uebereinftinimung [tattfinbet, barf man mit
foft untrüglicher ©ic^er^eit [djüe^en, ba^ entmeber bQ§ eine
93oI! ba§ Söort üon bem anbern erborgt, ober bo^ e§ beiben
öon ein unb bemfelben ©tammbolf überfomnien ift. ^yort«
geje^te 5tnalr)[e !ann fomit ben SSortöorrat^ eine» folctien
(5tammboIfe§ fe[l[lellen. S)urc^ ben SBortöorrat^ lernt man
aber, meldte 33or[teIIungen bem 93oI!e jugänglid^ finb, b. ^.
man lernt [einen 6u(tur5uftanb fennen." ©anj rii^tig! §ier
^at bie 93erglei(ftung erfaßbare Cbjecte, :§ier gefjt bie Seroei§=
fü^rung bon [ii^erer ©runblage au§ ! ^ £'eine§tDeg§ aber ift
ba§ ©leic^e ber ^aU ha , xoq bie barn)ini[tif(§=[ociaIi[tif(^e
Sbohitionst^eorie un» mit ben Uräu[iänben ber gongen 5Ken)'d)=
^eit, fpecieü mit ber Urenttt)icf[ung ber gamilie, beäio. be§
(5igent^um§, befannt machen toiK. 2)a fi^Iie^t man !üt)n öon
ben S^er^ältniffen bea einen ober anbern ober auc^ metjrerer
für bie gor)döung erreichbarer ©tamme auf bie Uröer^ältniffe
be§ 2Renf(^engefc^(ec^te§, obmo^I für einen folc^en 3nbu!tion§=
fc!^Iup jebeS ouäreic^enbe t^unbament fe^It, unb bie 33 er»
f Griebenfett ber Sutturentmidlung ber 93ölfer unb «Stämme
eine fjiftorifc^ eoibente S^atfac^e ift. 2Säre bie (Sntmicfhing
eine „naturnot^menbige", felbft bann bürfte man nur fc^IieBen,
ba^ unter benfelben 53ebingungen bie gleichen (Srfdieinungen
äu Soge getreten fein muffen. 2Ber bemeift un§ aber, ha)^
ber eine ©tamm in ber Urjeit unter ben gleichen äußern SSer=
^ältniffen gelebt ^a^t mie ber anbere unb mie bie heutigen
fogen. Sfiaturtiötfer ? '^aiu fommt bann noc^, ba^ bie 5(n=
na^me einer „naturnotfiroenbigen" ©ntmidlung burc^ taufenb
S^atfadien ber ©efc^icJ^te miberlegt, bie gefc^ic^tlii^e mie p^i(o=
fop^ifc^e Unmöglid^feit eine§ eint)eitlicf)en @ntmi(ftung§=
fd^emaS fonnenflar ermiefen ift. 2)a§ gibt ai\6^ ©tarcfe^ in=
^ SGßie jebo(| auc| :^ier 33orfic^t geboten, barüber ogl. j. S9.
©utbcriet, 2IpoIogetif I (2. 2lufr., aJlünfter 1895), 47 f.
2 31. Q. D. 6. 5.
226 ®titte§ flo^jitel. Sa§ !Prit)ateigentl)um aU feciale 3fnftitution.
fofern ju, q(§ er „nur fe^r bebingtermeife" ber ^(nnofjine 6ei=
))f(i(|ten tüiö, bie ^InfanQgjuftünbe feien bei allen ©tünimeu
fo- 5temli(^ gleichartig gett)e[en, unb bie ©ntmidlung Ijabe att=
gemein bie nämlichen ^auptp^afen burcbgema(§t. S[t aber
bie ©leicl) artigfeit ber (Sntroicflung unb i^rer |)auptp^afen
gelüugnet, bann f^ringt ber l;ö(^[t |3roblematifd)e 6l)arafter
einer Schlußfolgerung au» ben ^nfiänben ber ^rofefen u. f. lü.
auf bie Urgefcliid^te ber ^])?enfd}f)eit fofort in bie klugen.
Itnbeftritten ift bie Sljatfadie einer progreffibeu (5ultur=
entmicflung inner^olb ber SJtenfcb^eit; getüiB ift ferner, boß
nid^t ade 33ölfer unb ©tömnie biefe (Snttüicflung in glei(^em
5}Jaße unb in gleicher 2Beife mitgeniacfit ^aben. DJkncbe blieben
äurüd, mandje fielen öon einer ^ö^ern ©tufe toieber tjerab,
wie bie§ fic^ au§ ben ^iftorifc^ controHirbaren S^atfad^en ber
33ölfergef(f)icl)te in öielen fallen erttieifen läßt, ßinselne ?lu=»
toren, ju benen aud) ©tarde geljört, mad)en fid) ba§ billige
33ergnügen, bie S)egrabation§t^eorte, meldte getuiffe @r=
f(|einungen im 2eben ber fogen. „5^aturböl!er" auf Entartung
jurüdfüljrt unb ben 3^'[^i'^'5 ^^r Sßilbljeit al» 33eriüilberung
auffaßt, gänälid) ju mißbeuten. 2)ie 5lnl)änger biefer S^eorie
glauben bur^au§ nic^t, baß 5lbam im 5|3arabiefe eleftrifdje
33eleud)tung unb {ya^rrab jur 33erfügung gehabt tjaht; ber
au§ bem ^arabiefe 33erftoßene, toie feine 5hd)lommen, fanben
feine fertige Sultur bor, fonbern mußten fie erft fc^affen, ttjenn
anä) ber ©eift fie bereits loeit über ba§ S^ier erf)ob unb
if}nen eben bie gäljigfeit jur progreffiüen ßulturentmidlung
Derlie^. SBo „t^ierifc^e äßilbljeit" fi^ angeblid) finben
follte, ba hjöre fie Entartung, unb eg liegt bi§ jur ©tunbc
fein einziger lüiffenfc^aftlidier Seineia bafür bor, baß bie @nt=
midlung ber 5)?enfc^^eit bon fold)en „t§ierä^nlid)en" 3uPöni>en
i^ren Einfang genommen f)aU.
5. 2)ie barminiftifc&4ocialifii]d)e Urgefcf)ici^te ^at übrigens
bereits baS ©diidfal einer großen 3alyi unferer mobernen
3. \\x]px. b. ©igetitliumS nad) b. barUL^foc. @iioIutton§tl^eorie. 227
S^eorien getfieilt. 5(uf bie urfprünglic^e 53cgei[terung il^rer 5In=
I)änger folgte nur ju balb bie (Srnüc^terung, ^'^eute Demerfen
faft alle, lüelc^e qI§ Kenner berUrfamilie gelten, obgefetjen
bon ßof)Ier, bie 9J^orgon=@ngeI§|(|e 2e|re bon bet urfprünglidien
^romi§cuität, bon ber (Brubpenelje u. f. \v. So Söeftermar!,
2)argun, ^ilbebranb, ©rofje, 2;uv!tjeim, Gunotö, ©tarde u. ö.
^uä) ba§ „5}tuttene(i)t" i[t ein aufgegebener Soften ^ nnb
' 959I. 6ntiDidEtun9§9ey(^i(i)te be§ ©igentt)um§ üon 2 u b to i 9
lyeliE. Söierter 2;t)eil, crfte §älfte. ®er ginflufe öon ©toat itnb
ütet^t auf bie ©nttüidfdtng be§ ®igent^um§ (Seipaig 1896) ©. 94,
iro e§ f)t\^t: „©ie öornefimlii^ Don Söacliofen unb SJlorgan auf
©runb öereinjelter, toenngrei»^ 3af)treid)er ©rfcfieiuungen geäußerte
5lnfi(^t ton einer ißeriobe be§ 33]ittterre(|t§ , ber eine g^it tegeUofen
§etäriömu§ öorangcgangen fei (Sa doofen, ®a§ SPtutterredEit [Stutt-
gart 1861] ©. xviii) , tütrb üon ben mciften nta^gebenben neuern
SdjviftfteHern ööüig aufgegeben, unb inöbefonbere bie 5trt, in ber
23a(^ofen jur Unterftü^ung feiner Stnfi^auung m^tl)ifci;e (Srää^Inngen
benu^t, alä lütUf ürlid), untüif f enf ($af tlid) unb bi^te=
rifdier Qnfpiration cntfpringenb bejeitiinet. 3la^ Sernl^öft
(®^e unb (Srbrei^t in ber gried^ifd^en §eroenjeit, 3eitid)i^- f- öergl.
9iedE)tött)tffenf(fjaft XI, 338. 339) War bie Uvfamilie Weber t)aterred)tlic^
no(i) mutterreif)t(i(!ö; fie beftanb au§ 3Dlann, fyrau unb ßinbern, in
einem §au§f)alt Dereinigt. 93gl. §cinri(| ©ruft 3 legt er, Sie
9laturtt)iffenf(^aft unb bie foäialbemofratifd^e Sl^eorie (Stuttgart 1893)
©. 43 f. — Wcstermarl-, The history of human marriage (London
1891) p. 55flf. 117 ff. 538. — %\xi) 0t. §ilbebranb (9ted)t unb
Sitte auf ben öerfd)tcbenen ßulturftufen. Sena 1896) beftreitet, ba^
bie 5prDmi§cuität unb bie §errf(|aft be§ SDlutterrecJiteö ber 2tu§9angä=
punft ber fami(ienre($ttid)en ©ntwicttung getoefen fei, unb ba^ man
auö ber SSeftimmung ber Jßertoanbtfd^aft nad; ber 2Jtutter bei primi-
tioen 93oIfern bie (gjiflenä mutterred)tli(|er 3uftänbe folgern biirfe.
S)ie 2forfd)ungen gunotoö (S)ie SJertoanbtfd^aftäorganifation ber
Sluftralneger. Stuttgart 1894) unb ©roffeö (®ie S^ormen ber %(X'
milie unb bie g-ormen ber Sßirtfdiaft. f^teiburg 1896) fiabcn, toie
aud) ?ftad)faf)I (3a^rb. f. 9btionaIöf. u. Statift. 3. fjolge. «8b. XIX
1900, S. 21) anerfennt, flargefteüt , ha'ii gerabe bei ben je^t am
niebrigften ftel)enben a}öiferfd^aften, ben Stuftrafnegern, bie bater«
11**
228 S)rttte§ ßa^jttcl. ©aä ^ribatetgentfium al§ focialc Sfnftitution.
nid^t beffer fte^t e§ mit benijenigen Steile ber S^eorie, ber
ble urfprüngli^e SBirtfd^aft be^anbelt.
Ober tt)o tüören benn bie SeiDei[e bofür, bo^ alle unfere
mobernen ßulturböüer er^ebem f^if(f)er= ober ^ösetöölfer ge=
toefen? 2ßo finbet man bie 3f"9ni[fe für eine „^asbperiobe"
ber oltorientolifd^en , ber Qltf(a][ifd)en , ber germanifdien , ber
feltifd^en SSöÜer? ©erobe bie älteften ®efd)ic^t§ben!mQler geigen
un§ überall S3ölfer, bie auf einem befonbern Slerritorium
tool^nen unb irenigften§ aud) 3Iderbau treiben. 2)aneben finbet
fid^ bei i^nen ntd)t minber monciberlei ?lrbeit geroerbüi^er 5trt,
ebenfo Soufd) unb ^ouf. ®er Ijiftorifdie @ntn)idlung§gang
meiB md)t§ baüon, boß bei jebem 33oIfe unb bei ber ganzen
5Jienfd)^eit ber Steige na^ auf eine „SSorftufe" ber ^agb unb
be§ gif(i^fange§ eine „^eriobe" ber SSieljjud^t im 9tomoben=
leben, bann be§ 5l(lerbaue§, hierauf be§ ©emerbeS, enbli(^
be§ |)anbela not^ttjenbig fommen muffe ober gefommen wäre.
S)ie ©efc^idite fennt im @egentl)eil in ber 9tegel nur einen
me^r ober minber gleichzeitigen (SntmidlungSgang auf bem
©efamtgebiete ber öerfdiiebenen probuctiüen 3:^ätig!eiten be§
gangen mirtfdiaftlid^en 8eben§ eine§ aSoHeS. S)ie a3ert)oII=
fommnung auf bem einen ©ebiete giel^t immer balb eine aSer«
Uofltommnung auf bem anbern ©ebiete nad) fic^. S)abei ift
freilid^ nid^t auSgefc^Ioffen, ba^ 9?atur ober Sage be§ SanbeS,
bie nationale 5lu§flattung unb @efd)ic^te feiner 33ett)o^ner
biefe§ ober jene§ 2Sott ju einer befonbern ?trt mirtfc^aftlid^er
3:^ätig!eit borjugSmeife berufen unb beföfjigen. 5lber gerabe
biefe aSefonber^eit einzelner SSöIfer burc^brid)t tt)ieberum bon
neuem bie ^iot^menbigfeit unb 5IIIgemein^eit be§ für
xt(S)tliä)t ©injelfamilie l^errfd^t, bafe bie (£^e bei il^nen rcgelmö^ig
monogt)n ift, bafe ferner bie SD'lutterfippe, too fie ^ter üorfommt, nid^t
eine SebenSgemeinfcEiaft , fonbern nur eine 5ft a tn e n § gemeinf(|aft ift,
bereu ))raftif(|e Sebeutung aöein barln beftet)t, ba% fie bie ©ipp«
genoffen in ber SCßal^I ber ©atten befc^ränlt.
E. Utfpr. b. ©igent^umä nQd§ b. bQrtti.=foc. ®öoIutton§t;^eoTte. 229
alle Söl!er gleich angenommenen @nttt)icf{ung§]'i$ema§. Ueber=
bie» finben fic^ bort, too öorjugatDeiie eine beflimmte 5kt
öfonomiic^er Sfjätigfeit in ben 53orbergrunb tritt, bennod) su=
glei(^ auc^ bie anbern ^(rten in irgenb einer entjprec^enben
Sßeife. „(So l^aben Don ben ^Ipnisiern an bi§ auf boS
moberne (Snglanb ^erab bie ,^anbel5bölfer' gleidiseitig eine
Tjerborragenbe (Stellung im ©etüerbebetrieb unb, [omeit e§ bie
Dhtur be§ Soben§ gej'tQttete, aud) im 5(derbau unter ben
übrigen 33ölfern eingenommen; bie itolienifd^en ,^anbe(§[tübte'
waren tro^ be» reid)lid) lof^nenben S^^ildien^anbela bUi^enbe
©etoerbftäbte unb in bem 5(cferbau6etrieb auf i§ren Territorien
hm anbern (Staaten föeit öorau§." ^ —
3^erner abgefe^en babon, ha^ jenes @nth)icflung§fd^ema ^
QU^ ber ©efc^ic^te unben^eiabar i[t, ben ge]c^id)t(id^en 'S^nQ,=
niffen birect toiberftreitet, — ein flüdjtiger 53Iicf auf bie ^eu=
tigen fogen. „Dkturbölfer" genügt, um fofort bie innere
* ßnie§, S)ie )3oIitifcf)e öefonomie (neue Stuft., Sraunfcf^toeig
1883) ©. 366.
2 SJlögen brei, öier, fünf ober nni)v Stufen angenommen, mögen
bie S3ölfer bemgemäß nad^einanber aU fyif(f)er=, 3äger=, 2[cfer£)au=,
3fnbuftrie=, §Qnbet§oö(fer ober mag in onberer Sßeife tl)r Sluffteigen
gu l^ö^erer Suttur begeiiiinet toerben, bas oerfifilägt toenig. ®er ge=
meinfame ^n't^um atler biefer ©tnt^eilungen befte:^t, tote ßorl Änteä
(a. Q. D. ©. 364 ff.) l^erOor^ebt, barin, ba^ man ijkx mit einem
Sd^ema, toelc^eg ber abötracte S^erftanb erfonnen :^at, bie toirfUc^e
©efcf)tcf)te ber 9}ölfer meffeu loifl. 3^if(f;erei, 3agb, 3tcEerbou u. f. m.
finb 3;t)pen , Strten ber toirtfdjaftlic^en Sl^ätigfett t)on oerf(|iebener
SSoüfommenl^eit. ßetnestoeg§ aber toerben baburd) ^ßerioben, l^tftorift^e
©tufen einer t^atfäd^tid^en , no(^ toeniger einer not^toenbigen @nt=
toidtung ber SSöIfer bargeftettt. — Ser .^ortourf trifft mä) iS-xitbxi^
ßift, ber in bem „^Rationalen (St)flem ber politifd^en Cefonomie" (2tu^=
gobe S. §äuffer [©tnttgart^Sübingen 1851] <B. 14 ff.) fünf notf)'
loenbige @ntß)icflungöftufen be§ menfdind^en 2Q3irtic^aft§Ieben§ unler=
f(|eibet: ben toilben 3uftanb, bie ^irtenftufe, bie Slgriculturftufe, bie
2tgricuItur=aJ^anufacturftufe, bie 5lgrtcuItur=$D]anufactur'§anbeI^ftufe.
230 S)rttte§ Kapitel. S)a§ ^riöateigent^um a\§ fociale Snftttution.
U n lü Q ^ r j ^ e i n li (i^ ! e i t eine§ f o gearteten ^^ortf (!^reiten§ jur
Ijöfiern (Sultur barjutfiun, tüoki jebe Elution fuccejfit) ou§
einem Si|^}f^'= o^^^ Sägerbolfe ein 3^omQbenüol!, bann ein
5lderbQubolf u. [. fö. not^roenbig geworben wäre. Sie ^eu=
tigen „^loturböHer" befinben [id) ongeblid) auf einer ©tufe,
welche auc^ für bie mobernen ßuUurböIfer einft ber not!^=
menbige S)urd)gang jur Gitiilifation , eine tt3ir!(id^e 6ntroid=
Iung§p^afe in alten 3eiten gelcejen ift. Snbeffen trägt benn
ber 3uftanb j. S. ber ^nbianer 5tmerifa§ irgenb ettt)a§ an fic^,
was xijm ben 6§ara!ter einer Snttt)id(ung§p[)aje Derlei^en
!önnte? 9lein, ba§ finb, wie ^nie§ mit Sftedit I)erüorl;ebt,
leine „Sägerbölfer", ober beffer gefagt, Säger^orben, bie etwa
in auffteigenber ©ntwidlung fid) befänben. ©ie wollen Säger
fein unb bleiben, auf feine tjö§ere „5i3orflufe" ber mobernen
ßultur übergeljen. „Söäljrenb au§nal;m§weife bie einen !aum
burd) garten 3>^ö"9 ""^ ^^otl) jum bertja^ten ^Iderbau
fiJ^reiten unb fogar tro| 2el)re unb 33orbiIbern bod) auf ber
,'^ö^ern 6ntwidlung§flufe' mel^r unb me^r fid)tlid) bertiimmern,
träumen fic§ bie onbern nac!^ iBerluft i^rer SaQ^i^ebiere lieber
gleid) ju Sobe." ^ —
Sticht nur ()iitorif(^ unbegrünbet, ni(^t blo^ innerlii^ un*
waljr)d)einlid), e§ ift enblid) fogar gerabeju pljl)fifd) unmög=
lic^, ba^ aüe SSöIfer bie „SSorftufe" be§ 3-ifc^er= unb Säger=,
5Zomaben= unb |)irtenleben§ Ijaben burc^taufen muffen, el)e fie
auf eine t^ö^ere ©ulturftufe gelangten. gifd)er= unb Säger*
bölfer fönnen boci^ nur an fif(^rei(i^en ©ewöffern unb nic^t in
wilbarmen ©egenben ej-iftiren. ^^ür weite ©ebiete ber anä)
frütjcr bewoljnten @rboberfIäd)e wären alfo ^•ifd)er= unb 3äger=
bötfer fd)ted)terbing§ bem §ungertobe überliefert gewefen. 2Bo
aber bie gifd}erei auSgiebige 23eute ertjoffcn läfet, betreibt man
fie r^eute wie efjebem. Unb wo bie 3agb lo^nt, wirb e§ nie=
» ßnieS a. 0. D. ©. 364.
3. Urfpr. b. ©tgentl^umS naä) b. barUi.=yoc. ©DoIutionStl^eorie. 231
mala an ^Jimroben fefilen. Wü anbern SBorten: SBiö man
bte ö!ononii|(^e @nttüidf(ung ber 33ö(!er barfteHen, fo barf mon
nid)t oon ben natürli(i^en 95erfcf)ieben^eiten ber 2:erritorien
obötraljiren, tt)o jene ©tömme, fei e§ bon ber grauen 33orjeit
I;er ober nac^ einer Ginmanberung, gewoijnt. ^e waä) ber
58efd)affen!^eit be§ 2:erritorium§ änbert [id) bie 2Birtf(^a[t§=
gejc^ici^te ber Sßölfer. (Sine 5(nffa[fung aI[o, bie ha^ gleid)e
(£tu[enfd)ema ber iDfonomifdjen ßntraidlung für alle JBöIfer
5ur Inmenbung bringt, fe^t Untt)af)re§ unb Unmöglid)e§ al§
inafir unb tnirflii^ borauS, näniU($ entmeber bie attgemeine
@[eid)rjeit ber territorialen 23erf)ältniffe auf ber ganzen be=
iDoljnten @rbe, ober aber bie Unabl}ängig!eit ber lüirtfdjaft^
litten (Sntmidlung ber 33ölfer bon i^ren natürlidjen, terri=
toriolen ©runblagen. 5)?ögen bal^er immerl^in einzelne 5BöI!er
bie berfd^iebenen „@ntroid(ung§ftabien" biellei(|t ber 9ieif)e nad)
burd)(aufen fjaben, juerft Säger= unb Sifc()f^=/ bann ein 4^irten=,
(jierauf ein 5WerbauboI!, fdjIiefjUc^ ein (Setoerbe» unb f)anbel§=
bolf geiüefen fein. 51ber allgemeine, für alle 33ö(!er gel=
tenbe ober gar not^menbige ©tufen ber ©ntmidlung finb
es nidjt, meil eben ni(^t aüe SSöifer bie gleid)e ©ntmidfung
Ijaben fonnten. äBie mandie «Stämme bie l}öd}ften, tt)pifd;en
©tufen niemals erreidjt fiaben, fo fetjlt bei anbern jeber pofi=
tibe, Ijiftorifdie 51nljatt§pun!t, auf ben geftü^t man beljaupten
fönnte, fie feien e£)ebem 5lomaben, gifc^er ober Söger gemefen.
Samit ift aber anä) fd)on bie 33ef}ouptung Ijinfüflig , ba^
überall unb notljmenbig au§ bem urfprünglic^en 3uftanb
ber 6igentl^um§Iofigfeit nur ganj aEmö^Iid) ein ^ribat=
eigentljum an bemeglidjen fingen, fiierauf junödjft ein (SoI=
lectibeigentljum amSanbe unb enblic^ erft ba§ 5]3 r i b a t=
eigent^um ber einzelnen ^erfon an (Srunb unb 93 oben fid)
enttDidelt l)aht. —
6. gür bie ^nna^ime eine§ urfprünglii^en alU
gemeinen ßoHectibeigentt}um§ am Soben traten
232 ®ntte§ Stapittl S)a§ ^riöateigent^um aU fociatc ^nftitutton.
!eine§tDeg§ nur focialbemofratifc^e ober barminiftifd^e @elef)rte
ein. ®. C)anffen ^ l^otte ben ©puren be§ S)Qnen Dluffen fol»
genb \\ä) bereite für bie 5tnnal)me eine§ urfprünglidjen @e[amt=
eigent^um» am ©runb unb S3oben bei ben germanifdien SSöIfern
entfd^ieben, 5(ud) ^ajtfiauien trat biefer Slnfii^t naä) [einer ru[=
[ifc^en 9tei|e (1843) mit Dtütffid^t auf bie ©laben bei. g{of(|er
fprac^ bon einem „attgemeinen focialen ^rincip", bon bem
5Igrarcommuni§mu§ al§ einer ßulturftufe ämifdjen 5bmaben=
tl^um unb fefler 5In[ieb(ung mit ^pribateigent^um. @benfall§
®. be 2abelet)e2, 2etDi§ TloxQün, beffen 2el)ren Angela unb
Sebel pDpuIarifirten, ferner SBioHet, 93laine, ^ofjler, |)erbert
Spencer, ^tnx\) ©eorge, ^er|!a, glürfdieim u. q. fochten für
biefelbe 5(nfici^t 3. 9Za(^ |). 53runner* I)at „bie bergfeic^enbe
9te(^t§n)if|enfd)aft . . . ba§ genoffenft^aftlic^e ©runbeigent^um
als eine urge)'c^ic^t(i(^e ^nflitution bon oügemeiner Sßerbreitung
bargefteflt". 5tIIein ganj rid)tig d;ara!terifirt g^elij 9tad^fa^I^
1 2ln[icf)ten über ba§ Stgrartoefcn ber SJotäeit. 1835/37.
* De la propri^te et de ses formes primitives. 3uetft 5|3ari§
1874. 4. Sluff. bajelbft 1891. ®eutf(^ öon Ä. Sudler unter bem
Sitel: S)o§ Ureigentfium. ßeipäig 1879.
* 9SgI. SSictor Satl^retn, Sie jociale Srage beTeuc^tet burd^
bie „©ttminen qu§ a3]aria=Saa(^" I. Sb., 5. §eft: ®aä ^Prtöatgrunb«
eigent^um unb feine ©egner. f^reiburg 1892. 3. Sluff. 1896.
* S)eutf($e 3ie(i)tägef(^i(^te I (ßeipäig 1887), 63 f.
^ 3af)rb. f. Dlationalöf. unb ©tatift. 3. ^olge. »b. XIX, §ft. 1,
©.2 f. ©peciett leibet mä) giaf^faf)! (a. a. D. ©. 11 f.) bie 16i§
je^t noi5 l^errfcEienbe S^eorie Don ber (Sntfte'^ung be§ ©runbeigen»
tfium§ an unricfitiger 2tntoenbung ber öergteic^enben lület^obe: „Um
jur ©onftatirung allgemein giftiger fogen. .©ntroidEIungSgefe^e' ober
einer ,geje^mäfetgen ©nttoidEtung' ju gelangen, »erben Sicfultate, loeld^e
bie ©efd^id^te eine§ einjelnen 93ülfe§ bietet, öorfc^nell ouf ein
onbere§ übertragen, ^m lDefentIi(|en finb eö Ouetten bon
breterlei Strt, bie unä für bie 9luff)etlung urgefcf)ic^tlic^er Probleme
äu ©ebote ftel^en : cinmol ^tefie früljerer 3uftänbe unb ©inrict)tungen,
bie fici^ bis in bie fpätere 3"t hinein crbaTten l^aben ; fobann fd^rift=
3. Urf:pr. b. (Sigentl^untS nad^ b. borto.=foc. @boIution§tljeorie. 233
bie ©efa^ren unb bie Uttäuberlaffigfeit jener ^rä^iftorifdjen
gorfc^ung, toelcde „in ben Diebel ^ineintaud^t, ber bie ^Infänge
lid^e 2Iuf3eic^nungen au§ ber ^-ibex öon 23eoBac^tern, bie Jöölfern üon
]^ö[)erer ßutturftufe angepren; enblic^ bie S}erf)öltnifje , luie fie no(^
bei ben Dkturbölfern ber ^f^täeit Befielen, ©in fo f)eterogene§
Quellenmaterial erforbert aber bie forgfältigfte unb üorftditigfte Se=
l^anblung. ©einer Dktur nac^ ift e§ öielbeutig, unb be)onber§ ift man
geneigt, au§ ben Duetlen ber erften unb äiueiten ©ruppe a H 3 u ö i e I
l^erQugjuIefen, |ott>ie fie mit (Setoalt|am!eit unb aäJillfür
mit ben oft nur auf lüäenl^of t en unb unjutierläffigen 58e=
obai^tungen beru:^enben 9tefultaten ber ett)nograp^tfd^en 5orfcf)ung
in Uebereinftimmung ju bringen, ©erabe an folc^en 3^ef)Iern
franft bieSl^eorie öon bereut fte^ung beö©runbeigen=
t]^um§ in bieten tl^rer Sl^eile. ©inen SSeleg bafür bieten 3. 23.
bie Srierfil)en ©eböferfci)aften, bie §anffen mit Hnred;t al§ SRefte ber
älteften Slgrarterfaffung auffaßte." Sie ©el^öferfcf^aften finb
ngrarififie ©enoffenfc^aften mit ©efamteigent^um am gan3en SSoben«
beft^ unb, auf ©runb üon 93erIofung, mit abttec^felnber 5Ru^ung ber
ßänbereien. Sefonberä on ber 3)^ofet, aber au(| fonft im 6üben unb
2Beften S)eutfd^Ianb§, fanben ftd^ foM}e ©cpferfd^aften üor. Sampred^t
(S)eutfc^e§ Sßirtfd^aftgleben 1 , 451 f.) toieä nad^ , ba^ bie ©e^öfer=
fd^aften erft im fpätern SJlittelalter entftanbene grunbf)errlid[)e
9leubilbungen feien, toa§ bann §anffen auc§ 3ugeftanb. (33gl.
§anbto. ber ©taatäto. III, 728 f.) „Sfn neuerer 3eit fjat 5mei|en
burd^ ba§ ©tubium ber ©emarfung§f arten ber Slgrargefd^id^te
einen neuen Guellenfrei^ erfd;Ioffen, — ein metl^obifdf)er gortfd^ritt
erften 9lange§. Oft freilidE) ift ber ©rfinber biefeö genialen 2}erfabrenö
in ber SJertoert^ung ber Clueücn biefer Slrt 3U toeit gegangen,
inbem er au§ ii^nen alljuDiel l^erauälefen 3U bürfen glaubte, unb
mit gutem ©runbe f)at ßnapp bagegen ©infprud^ eri^oben, inbem
er bemerfte : ,§alten tcir bie OueHenfreife abgefonbert ! ©emartung§=
!arten jeigen beutlic^ bie Sage ber StedEer, aber bie ßage ber 2Jlenf(|»
l^eit gel^t au§ anbern Urfunben l^eröor.' (ßnapp, ©iebelung unb
Slgraricefen nac^ 2t. aJlei^en , in : ©runb^errfd^aft unb ^Rittergut
[Seip3ig 1897] ©. 112. SSgl. ©. ö. Setom, §ift. 3eitfc|r. LXXVIII,
471 ff.) (£benfo bürfen toir oud^ l^ier , too c§ ftc^ um bie ßöfung
be§ 5ßrobtem§ ber 6ntftef)ung unb ber ätteften ©efd^id^te be§ ©runb=
eigent^umS l^anbelt, ouSrufen: Ratten toir bie öuettenfreife ab«
234 drittes Kapitel. S)a§ ^rbateigentl^um aU focialc ^nftitutioti.
be§ metifdillc^ert 6ulturle6en§ Bebedt , um in bem ungemifjen
©ämmerlid^te einer trüben Ueberl'teferung bie fd^manfenben
Hmriffe ber ölteften 3n[tituttonen in Staat, 9te(|t, ©efeüf^aft
unb 2Birt[{^a[t [icf) abjeid^nen ju fefien". Dt)ne bon einem
öfonomijclen SntroidlungSfdiema \\ä) öoreinne^men unb ju un=
begrünbeten Sßeraögemeinerungen fic^ t^erleiten ju lafjen, fängt
er[l in neuefter 3^^^ ^ie Soi^ftijung an, mit größerer 33or[ic^t
bie 5)3robIeme ber Urgefdjidjte ifirer Söfung entgegenjufü^ren.
2)ie ©efi^idjte ber 5Jlen[(^I}eit beginnt im Orient. 2Bir
be[i|en äuberläii'ige Seric^te über bie älteften S^ftanbe bei ben
3§raeUten, 5(egt)ptern, 5(fjr)riern, ^abl)Ioniern. 9^irgenb§ eine
©pur öon tf)ieräf)nlid)em Urjuftonbe; nirgenb» ein 5tn!^oIt§»
puntt, ha^ jene 33ö{fer juerft mit ber Sagb [ic^ befdjäftigt,
bann a(§ 5bmaben fierumjogen, bi§ [ie enb(id) 5um fe^fjaften
5(derbaubo(te geworben unb bie pfjern ©tufen ber Gultur
emporgeftiegen. 5Iber aud^ nirgenb§ ein 53emei» bafür, ta^i
bor bem ^riöateigent^um an ©runb unb 53oben ober an ben
SBertjeugen ber ^robuction urjprünglic^ unb überall
ein ge[elli'c^aft(i^e§ dollectiöeigent^um beflanben, an^ beffen
5luf(öfung er[t ha^ ^riöoteigentrjum [ic!^ gebilbet fiätte. Sm
©egentt)ei( erjä^It bie 33ibel bereits Don ^ain, ba^ er 5Ider=:
bou getrieben, eben[o öon 5Roe^
3meitou[enb ^otjre Dor 61}ri[tu§ !au[t 5Ibraf)am um ben
^rei§ bon 400 ©etet ©tlber§ bon @pt)ron, bem ©o^ne ©eor»,
eine 5lderflur al§ ©rabftätte^. 2)er ^atriard; ^aloh ermirbt
gejonbert! §üten toir ijn§ Oor itnb ereilt igt er unb übereilter
5lnit)enbinig ber t)erglei(|enben SDlet^obe! 5>or altem aber
ntüffen tüir unfer Slugenmerf barauf rid^ten, bofe loir nic^t bem 5Pro=
bleme felbfi eine allju allgemeine imb aitögebel^nte 3^af jung
geben. Senn in Söat^rl^eit äerfaüt ba§ attgemeine Problem ber @nt=
ftel^ung be§ ©runbetgentl^ums, tocnn anber§ man ju fidjern 9fle|ullaten
gelangen toitl, in eine Unjaf)! üon ©injelproblemen: e§ gilt be=
fonberS für jebe !Raffe, für jebeg SSoIf bie ricf)tige ßöfimg ju finben."
» 1 5mof. 4, 2; 9, 20 « g^j). 23, 15 ff.
3. Ulfpr. b. ©igent^ums nod^ b. baitei.=foc. ©öoIutionötfieoTif. 235
fäuflid^ in ber dUt)z ber ©tabt ©alem um ^unbevt Sommer
ein ^^elb , mo er [eine ^ük auffc^üig i. ®tiüa fünfljiinbert
^a^re fpäter mirb biefer 5lc!er ber ererbte iöefit^ ber 9tad^»
fommeu ^Q!ob§ genannt 2.
lieber 5(egi)pten berietet bie 53ibet, ha^ jur ^t\t
Sofepf)» bie ?Iec3^pter in ber ^ungerSnotl) i()rea priüateu
@runbeigentf}um§ [id) entäußerten unb hin 33oben, ber bi§
batjin ben einzelnen at§ freie» ©igen get}ört ^atte, nunmetjr
öon ^t)arao al§ Se^en jur ^Bebauung erl)ielten^. S;ie be=
beutenbften 5leg^pto(ogen , mie Tix. ^\xä), @b. ^Jce^er, 5)k=
[pero, Senormant u. a. , ftimmen ferner barin überein, baß
um baa Sa^r 3000 üor ßf)ri[tu§ in 5(egl)pten ^riüatgrunb=
eigentfjum im meiteften Umfange beftanben ^aht.
3.Ba§ 5(fft)rien unb 53abl)(onien betrifft, fo betoeifen
bie burd^ ©eorge ©mitf;, Cppert, Saijce, Reifer, ©traß=
maier u. a. mitgett^eilten 5ßerträge, beren Originale im 53ri»
tif d)en 5)^ufeum, im Cabinet des Medailles ju ^ari§ unb
im berliner ^Jlufeum fic^ befinben, für bie älteften 3^iten
beiber 33ölfer ben 33eftanb be§ ^riüateigentljunia, fo jn^ar,
baß überfiaupt gar feine ©pur, gar fein pofitiüer 5(nl;alt§«
punft für bie ^Innaljme eine§ nod) frül}ern 6oIIectiöbefi|e§ an
©runb unb Soben bor^anben ift,
(Sbenfotüenig erfreut fid) bie S3ef)auptung ?(. ü. $ai't=
I)aufen§, bem @mi(e be Saüeteije beipf(id)tet , ber Ijiftorifdien
^ereci^tigung unb Segrünbung: ber tjeutige ruffifc^e Tl'xi
fei ber „Ueberreft eine§ ,altf lobif d^en' 5tgrarcom=
muniSmuö". 2)er ruffifd^e „^iir" ift eine grunbbefi^enbe
©emcinbe. 6» unterliegt nun Ijeutjutage nac!^ grünblid)en
(^orfdjungen, inSbefonbere '^of). b. ^eußlera*, feinem
1 1 mo]. 33, 19. 2 c^o| 24, 32. » j gj^py 47^ ig ff.
* 3ur ©efd^id^te unb firiti! beä bäuerlichen ©emeinbebefiljcä in
ÜlufelQub. 4 58be. D^iga unb St. ^Petersburg 1876—1887. — ^ferner
Stob- 0. ßeu^Ier, S)ev Wix , Slrtifel im ^anbloörterbud) ber
236 Sritteö ^Qpitet. 2)aä ^ßriöateigentl^um aliS feciale ^nftitution.
3tüeifel, ba^ ber ®emeinbe6e[{| be§ W\t erfl im 17. So^t«
l^unbert ent[tanb. 2!ie sum Wix getjörigen SSouern tooren
Seibeigene, ©ie mußten ben SSoben i^re§ ®ut§^enn Befteflen.
S)atieben erhielt ber W\x, gegen befonbere 5lbgQben an ben
f)errn, bon biefem ©tunbftücfe ü6ettt)ie[en, tt^elc^e bon ber ®e=
ineinbe befeffen, unter bie einzelnen niännlicf)en ©lieber ber
©emeinbe ^eriobi[(Jö jum Einbau auf eigene 9te(^nung ber=
t^eilt tourben. 5I(§ nun im ^aljxz 1861 bie Seibeigenf(^oft
anö) für 9iu^(anb befeitigt mürbe, blieb jener bi§ ba^in im
ßoHectibbefi^ be§ W\x befinblic^e Soben biefem nunmeljr al§
freies (gigent^um. 2)ie ©emeinbe aber warb bem ©taate gegen»
über folibarifd^ fiaftbnr für alle öffentIi($=re(^tU(i^en 3fi^fun9en
unb Seiftungen ber ©emeinbeglieber, wie [ie öorbem für bie
grunbf)errlicf)en 5lbgaben folibarifc^ haftbar gemefen ^ Sn ber
3eit bor bem 17. ^a^r^unbert finb in Otu^Ianb nur freie
Säuern unb mirflidjc ©Haben befannt^. „^ie 5ßauern aber,
fomeit fie nid^t auf eigenen ©teilen fa^en, erfc^einen al§
©toatStoiffenfc^aften IV (Qena 1892), 1185 ff. — ©fienbafelBft Slug.
Smei^en, Slttifel „^elbgemeinfc^aft" III (3ena 1892), 370 ff. —
(Sbenfotoenig tote ber ruffif(f)e Wix füf)it fi(| ein in ©ro^ = iPoIeu
öortommenber ©emeinbebefi^ auf bie ftaöifd^e SSoräeit unb urfprüng»
licEieS 6:olIecttöeigentf)um junicf. ^m ©egent^eile entftammt biefc
6inrtcf)tung nad^toeiSbar ber fpätern 3eit. ®er S3oben geprte einem
©runbf)errn , beffen ßeibetgene bie ©emetnbeglieber toaren. ®a bie
©emeinbe atö ©efatnttiett i^rem §errn für bie Stbgaben Ijaftbar toar,
fo üert^eilte fie ben SBoben unter bie einjelnen ©lieber nai^ ber !S(x'iil
be§ 3ii9öic'^6^» über toel($e§ jeber Verfügte, ©ö toar alfo me^^r eine
Saftenüert^eilung je na^ ber £eiftungöfäf)igfeit ber ©emeinbeglieber.
Iteberbieg tourbe nic^t ba§ 6ot(ecttüeigcntl)um ber ©emeinbe, fonbern baS
5Prit)ateigent:^um be§ ©runb^errn öert^eilt. Sßgl. SOtei^en o. a. O.
©. 372. — 5Reuerbtng§ ©tmII§otoitf(§, g^elbgemeinf(iiaft in 9lufe=
lonb. Sfena 1898.
^ Cf. M. F. le Play, La röforme sociale en France III (Tours
1874), 449 sqq.
2 Smeifeen a. a. ß. ©. 371.
3. Urfpr. b. ©tgentl^umS nad^ b. barto.'foc. ®üolutton3tl^eorie. 237
^öd^ter auf ben |)öfen be§ Omaren, ber S^'n^t ober beS
mer§." 1
Steuer als ber rujfifcle W\x — ber 6oflectiübe[i| ber
©emeinbe — i[t ber gamilienBefi^ bei tm ©übf toben, in
«Serbien, Kroatien unb DJiontenegro, baS ©emeineigent^um ber
t^amiUengenoffenft^aften („©abrugQ")2, toelc^e 511=
raeilen mehrere ©enerationen umfaßten. S)ie SSortf^eile einer
gemeinfamen Bewältigung ber 9latur bei ben erften 3fiobungs=
arbeiten, ber größere ©diuf; Dor h)i(ben Spieren unb bor
t^einben mag 5U biefen t^amilicngenoffenl'c^often ben 5tnla|
geboten l^aben. Sennoc^ ^ebt ö. ^eu^Ier ^erbor, ba^ bie
23ebeutung ber „©abruga" als flaöifcber ober toenigftenS als
füb|Iat)i[(!^er nationaler (Sigent^ümlic^feit bielfac^ überfcbä|t
toerbe. „@S i[t biefe burcbauS nic^t bie einzige 3lrt beS 25ei=
fammenlebenS bei biejen 8Söl!ern; benn feit alters befielen
Ijier aucb ©insetfamilien (Snofofd^tina), erft fürälic^ bon 95. S3o=
gifd^itjc^ n)i[fenid)aft(idb burdiforfcbt. (5S fetzten nod) Unter»
fuc^ungen barüber, ob baS 5Intt)ad)[en ber Snotofdjtina, biefeS
(Smbrl)oS ber ©abruga, ober baS be[tänbige 5(uSeinanber=
fallen ber ^^^amilie, fott)ie ber @o^n heiratet 2c., baS ®e*
njöljnlic^fle ift bejtö. toar . . .; immerhin ift eS erliefen,
baß bie (Sinselfamilie nii^t als ^luSnafjme gelten fann unb
feit alters befielt." 3
S)ie Gelten in Stianb lebten bis inS 7. Sa^r^unbert
unferer S^i^^^c^^u^S i" |)irtentt)irtf(^aften bon fe 16 ^a=
milien böüig communiftif(^ Sufammen, 5ns jcbodb bie ^lane
wegen ber waci^fenben 2Sol!Smenge jur feften ?lnfiebelung
f(^reiten mußten, fo geft^al; bieS nicfit etwa in Dörfern, fon=
> gjtei^en a. a. D. 6. 370.
2 @6b. @. 1186. — „©abruga" ift bie namentlid^ in ©erbien
üorfommenbe iJamiliengenDffenfd^aft mit ©etneineigentfium alter fja=
milienglieber am Samilienbefi^.
* §anbtoörterl&ud^ ber ©taatötoiffenfc^aften. 2t. q. D. ©. 1186.
238 S)ntte§ ßat)itel. ®a§ ^riöateigentl^um aU feciale ^nftttution.
bern in ©injel^öfen, ben fogen. Säte», tüeld^e bie SBirt«
f(iÖaft§= unb SJBol^ngebäube nebft ben bnju geprigen Sänbereien
umfaßten. S)a§ inbibibuefle ^priöateigentljum an ©runb unb
S3obcn entftet)t ^ier aI[o fogleid) unb unmittelbar mit bcm
Uebergang bon ber 2Beibett)irt|c^aft jum fe[ten 5Inbau. 2Benn
jenen 3;ate^, bie qI§ gei'd}Io[jene , burc!^ |)eden ober ©röben
begrenzte ©injetbeplungen fic^ barfteüen, übevbie§ no(i^ ge=
mein[ome§ Sonb juftanb, fo lag e§ meift in ben entferntem
©ebirgen unb Sümpfen i.
SJiond^e ^^orfc^er [inb ber 5(nficf)t, auc^ bei ben alten
©ermanen fei ba§ 6oIIectibeigent()um lange ^nt bie au§=
fd^Iie^Iic^e gorm be§ Sobenbefi^eS gemefen. S)tefe 5luffaffung
bebarf jeboi^ einer gemiffen 5öefd)rän!ung unb (Srflärung.
Öin eigentli(^e§ ^ribateigent()um an ber @rbe wirb fid^ Bei
SSanberböüern, b. 1^, jur !^dt ber SSanberungen, ol^ne
3n)eife( nid^t au§bilben fönnen. Solange alfo bie germani=
fc^en 33ö(ter nod^ !eine feften 2ÖDl§nfi^e gewonnen, folange
fic in raf(^em Söed^fel ifjren Stanbort beränberten, gab e§
toeber ein bauernbe§ ©runbeigentljum be§ @tamme§ noc^ ber
©tannngenoffcn. Surcl) gemeinfc^aftüd^en ^ampf bon ber
ganzen 33öl!erfd^aft erobert, gemiffcrmo^en bie ^^rudit gemein«
famer 5Inftrengung , unb immerfort gegen t^-einbe ju ber=
tf;eibigen, blieb tta^ 2anb ungetljeilt. ©o f($ilbcrt nod) ßäfar
bie 2)eutf(^en al§ SBeibenomaben. 2)ie 33orne^men fud)ten
fogar anfangt im Sntereffc ber ^rieg§bereitfd)aft mit ofler
^raft ein iHnföffigmerben ber 2Soll§maffe ^u berljinbern. |)öd^=
ften§ mürben, mie bie§ aud} bei anbern SBeibenomaben ge=
' Serattige gemeinfd^aftlid^ Befeffene aSiefengrünbe ober fpäter
cultiüirte Deblänbereien tourben bann meift in eine !Reif)e einjelner
(Stüdte äerlegt, beren S3efi^ regelmäfeig, 3um S^eit jäl^rlid^ »ed^fclte
(„9lunbalnyt)[tem" ober „3fiunttgf^ftem"). S3gl. ajtei^en a. a. £>.
©. 372. 931atne, ©omme unb ©eeboi^m l^aben fi(^ um bie ®rforfd^ung
be§ 91unrigft)ftemö bemU()t.
3. Uvipr. b. ©igenttjumö naä) b. bartü.=foc. ®DoIutton§tl§eorie. 239
fcfia^, öereinselt 5tecfer befteHt; unb ätüor tüoren e§ nad^
6äfar§ 53erid)t bie Surften, toeld^e 'ba^ fßoü ^ur Ue6ernaf)me
\oi6)tx 5Irbeiten stüangen, ebenfo tüie jum 93erlQffen bea 5ßoben§,
tüenn ein neue§ ©ebiet jum 2öol^nfi^e gett)ä^It mürbe i. 5111ein
auf bie ©Quer fonben bie an 3^^^)^ ttJQci^ienben Stämme bei
bem ^bmobenkben ni(tt genügenbe unb [id^ere 9^Qf)rung.
9J?Qn fd^ritt, jum 2;f}eil Don ber 3^ot^ gejlüungen, jur feften
5In[iebe(ung , bie [ic^ im 5tnf(^Iu^ an bie alte militäri)dje
Organijation ber «Stämme unb i§re (5intf;ei(ung in „^unbert=
fdiaften" öon^og.
2)a§ S)orf bilbet junäc^ft, Dom Eintritt ber ©e^^aftigteit
an, ba» borneljmlid^fte Gentrum be§ 2Birt]d^aft§betriebe» ^. Sn
unmittelbarer 9tä^e be§[e(bcn befinbet [id^ ha?) 5IcEerIanb, weiter
^inau» bie 2BeibepIo^e, meldte aflmä^Iic^ in ben großen 2öalb=
beftonb ber S)orfmar! \\ä) berlaufen ^. 2Ba§ bie (Sigent[}um§=
öerf)äüni|je unter ben beutfc^en 2)orfgeno[]en betrifft, fo finb
hierüber bie 5Infic^ten ber ^^^orfdier getl^eilt. ^ajt^aufen,
9tofd^er unb anbere nehmen für bie erfte 3eit ber 5lnfiebelung
nid)t blo^ (Semeineigent^um an ®runb unb 35oben an,
fonbern überbie» eine periobifd^e 9ieut)ert^eilung be§
2anbe§. ^n biefer 5luffaffung roirb jebem gamiticnbater ou»
ber gelbgemeinfd^aft ein gleiche» 5lcferIo§ jum jeitmeiligen
1 Caesar, De bello C4allico IV, 1 ; VI, 22. „Slrferbou betreiben
fie tüc^t. Sfi^re 5Ra^rung befielet äumeift in 9JliId§, ßäfe unb Ö^leifc^.
i^einer t)at ein beftimmteä SDtafe Sldferlanb ober eigenen ©runbbefiij,
fonbern bie Dbrigfeit unb bie g^ürften tceifen immer auf ein ^a\)V
ben ©tämmen unb ben ©ippfc^aften, bie unter fid^ äufammengefommen
finb, Slderlanb on, foüiel unb mo e§ i^nen gul bünit, unb jtoingcn
fie, ba^ ^a^x banai| Qnbergü3oI)in überjufiebetn."
2 ®. S. ö. SDlaurer, ©ef(^iä)te ber ©orfDerfaffxmg in ©eutfd;»
lanb I (erlangen 1866), 1. 40. 68. — 2t. Söagner, Sel^rbuc^ ber
polit. Cefonomie I (ßeipjig 1886), 13.
äßarlSamprec^t, S)eutf(|e§ Söirifd^aft^Ieben im imitteratter
I (ßeipjig 1886), 13.
240 33rittcS Äapitel. Sag ^ßriöateigentiium aB fociale Stnftitution.
33e[{^ unb jur 53enu|ung übertüiefen. ÜZeben biefem ber
(äinäelnu^ung unb einer gefonberten 53ett)irti(3^aftung ^in=
gegebenen Steile ber 3)Drfmar! blieb bie eigentUd^e 5111=
menbe^ nic^t nur im ©emeineigent^um , fonbern au6) un=
getljeilt in gemeinfamem 53e[t| unb @enu|. @ie beftanb au»
Söeibe unb SBalb, ^Iu$ unb <See, enblici) qui^ au» ben
innerl^alb ber get^eilten DJlar! üegenben ^^etbern, welche un=
angebaut gelaffen n)urben. 5tnfänglicö fanb ein jä^rlic^er
2ißed)fel ber 5{cfer(ofe [tatt. Seber S)orfgenoffe l^atte babei
ätt)ar ben 5lnfpru^ auf gi^t^ei^w^Ö ßine§ gleichen, aber nic^t
eines beftimmten 5l(ferIo[e§, Salb ^ier balb bort tonnte i^m
fein i^elb angeroiefen werben. S)er häufige SBec^fel ber 58e=
fi|er jeboci^ öertrug fid^ wenig mit ben Stnforberungen einer
t)ö^ern 2onbcuItur. 3e mefjr ba^er bic 3Birtfc^aft§tt)ätig!eit
an 33oII!ommen^eit gunimmt, ie ftörfer bie i)erfönli(f)e SIrbeit
bei ^efteüung ber nieder in ben S^orbergrunb tritt unb mit
bem 2öad()§t()um ber Sebötterung an 53ebeutung gewinnt, um
fo not^wenbiger wirb bie bauernbe 9k|ung unb ber bauernbe
58efi^ am 5tcferIofe. @§ mürbe ba^er ber C^of mä) unb nad^
ju einem fetbftänbigen Söirtfc^aftacentrum innerfjalb ber freien
5)orfgemeinbe unb neben ben ^offtätten ber übrigen TlaxU
genoffen. 2)ie 5Irbeit brüctt bem üon je^t an bauernb bon
berfelben Familie befeffenen unb bemirtf^afteten 5(cfer ben
Stempel ber ^nbiöibualität feine§ 53ebauer§ auf, uermäd^ft
immer mel^r mit beffen C>ofe, bi§ bie Sßerbinbung auc^ rec^t=
tid^ al§ eine unlösbare anertannt ift. „5)ie bem ©runb unb
58oben feft unb unberbrüc^lid) eingezeichnete «Sonbernu^ung
ber einjetnen ^JJarfgenoffen (jatte gefiegt."^ SBö^renb an
Söiefe, 2BaIb unb 2Beg nod^ für lange B^it ^ö§ @emein=
* Slttmenbe ober 2l£(manbe, fo genannt, toeil fie al§ ©emeintnarf
atten SJlanncn gefiörte, in aßgemeinem ©igentl^um ftanb.
« ßamprecf^t a. a. D. ®. 285.
ö. Urfpr. b. eii}entr)umö na6) b. bariü.^üc. ßüoIutionStl^eoric. 241
eigent^um fortbeftefjen follte, \üax 'ba?> 3IdferIo§ i 511m (Srbe
ober (Sigen gcirorben.
3)a§ alleä Hingt fe^r plaufibel. 5Iber ba§ Bid^tigfte
fcf}It: eine genügenbe Ijiftorijc^e Unterlage. 5Iu§ bem Um=
[tanbe, baB öieüeic^t in Snbien, ßfjina ober 5Imerifa [id^ 53ei=
fpiele öfjnlic^cr 5(grarDcrfa[fung mit periobi)c^en 5tu»Iofungen
be§ ©emeinbeplea aufraeifen laffen, folgt nD(^ feine§n3eg§, bo^
ein gleiches bei ben (Sermanen [tattgefunben !^at. 5tod) weniger
fann man [ic^ auf bie ©emeinbeöerfaffung be» ru)[if(^en Wix
als ein 5tnaIogon berufen. 5)enn e§ ftanb, mie oben au§=
geführt, ba§ bem 5)?ir geprige Sanb uri'prüngfid) im ©igen»
tfium eine» einjelnen ©runb^errn, bem bie (äemeinbe ata folc^e
für alle 5Ibgaben haftbar mar. S^arum lag e§ fjier benn aut^
im ^ntereffe ber ©emeinbe, eine 33ert^eilung biefe» SSoben§
je nad} ber tred^felnben Seiftungäfü^igteit ber einjclnen gtt=
milien t)on 3^^^ ju 3?^^ borjune^men. Sntfrfieibenb aber ift,
ha^ bie äfteflen bcutfd^en 9^e(^t»queIIen, bie fogen. 33oIf»rec^te,
inabefonbere bie lex Salica, feinen 5(nl)alt»pun!t bieten für
bie 5Innaf)me, iia^ jmifcl^en bem 5?omabent^um unb ber
feften ©iebelung mit ^riüateigent^um am 33Dben bie periobijd^e
9?euöert^eilung be§ Sanbe» eine befonbere Stufe ber ßnttüicf»
(ung öom ©efamteigent^um jum ^riöateigentfjum gebilbet i)ahi.
„^ie 35oIf§gefe|e bejeidinen bie 5(nfiebclungen al» oon @e=
f d^Ie^tagenoffen , bon consanguineis , cognationibus , fara-
mannis, begrünbet unb bemo^nt. <5ie benennen biefe S3e=
n^o^ner auc^ commarcani ober \äcini, laffen erfennen, ba^
beim erbtofen 5lbfterben eine» ber ©enoffen fein @ut ber @e=
noffenfcbaft anheimfällt, fpre(i)en i^nen ha^ 9iec^t ju, bop o^ne
i^re (SinmiHigung feiner ber ©enoffen fein (Sut gonj ober
tljeilmeife einem auswärtigen 3utDanbernben überlaffen barf.
1 aSon biefftn feinem Itrfprung foff ba5 ©igen ben IJiattten „Slllob*
(ein Sog ober Sosgut) bel^aüen I)aben.
242 ®ritte§ Äopiter. S)a§ ^riöatetgent^um aU fociale ^iiftitution.
S)ie ©enoffen 6c[i|en ebenfafl§ gemeinfame SSölber unb SSeiben,
unb e§ gibt 5l(f erfditäge , in lüclc^en mehrere ober aQe ber=
felben mit ©runbpcfen betfjeiligt [inb. Iber ba^ ein t)ou
bem einjetnen 9lact)bar befteötel ©runbpc! nic^t in [einem
[e[ten unb bauernben ^e[i|e [le§e, [onbetn gelegentlid) tüieber
abgetreten merben müfje ober in beftimmten ^erioben neu t)er=
Io[t werbe , baöon [priest !eine§ ber ©efe^e. 5Uid) bei ben
njenigen borouf gebeuteten Stellen lex Salica 27, 15, 17,
23 unb 74 Extrav, i[t bie[e 5luffQffung o^ne 3^^i^n9 "i^ibt
möglicb unb gegenüber ber fonftigen 33el)anblung be§ ®runb=
eigentf)um§ unb feiner 23eräu^erlicf)feit unjuläi'fig." ^
2Bir tüerben alfo annefjmen muffen, ba^ bie (Sermonen
toie fie nod) ®efd)(ed^tern im |)eere georbnet maren, jtüar an^
gefd)(e(^termeife in ben @ouen firf) anfiebelten, boS Sanb ge=
meinfom in 53efi^ nahmen , biefe§ bann aber a(§ba(b , fei e§
burc^ ba§ 2o§ ober auf anbere SBeife, jum großen S^eil
unter bie gamilien bert^eilten. ^ebenfalls befte^t jur 3^1*
ber 33on§red^te bei ben beutfd)en ©tämmen unüerfennbar ein
f(ar ausgeprägtes föigentrjumSredit ber f^amilien am |)ofe mit
bem baju gehörigen 51derlanbe, ber fogen. |)offtötte2. ®a=
neben finbet fid) bonn nod) ba§ ©efamteigent^um ber ^axh
genoffenfdiaft am ©emeinbetanbe ber ©emorfung, bem gegen=
über bie einjelnen nur ein 5?u^ung§red^t befi^en !onnten ^. —
1 2Jlet^en a. a. D. ©. 377.
2 Sßgl. Sfnaina = @ternegg, S)eittf($e Sißtvtycöaftägefd^idjtc 16t§
3um ©cfilufe ber ^arolttigcrperiobe (Seipjig 1879) ©. 92 ff. 100. —
2ßax^, aSerfaffung be§ beutfe^en 35oI!e§ (3. 2Xuf{.) ©. 124.
^ x^nx bie 3Inna^:ne, bofe bei ben alten ©ermatten bie i^elb=
gemeinfcfiaft im tueiteften Umfange, fogar mit periobifc^er 5Reu=
öertl)cifung beä 2lclerlanbe§ , beftanbcn, beruft man ftcf) öielfac^ auf
Tacitus, Germania p. 26. Snbeffen bieten, toie 3Jlei^en (a. a. D.
©. 878) ^eroor^ebt, bie wenigen Sßorte be3 SacituS nur eine ßon«
jectur „ouS einer faum üerftönblic^en Seäart unb enthalten im beften
fjalte eine burd^auä nnbeftimmte 5!lnbeutung". — Sargun (Ur=
3. Uvf^:ir. b. ©igentl^umS nad^ b. barto.=foc. ©üoIutionStl^eonc. 243
7. Ueber ben (SonimuniSmuS älterer @efenfc^aft§ftufen
i[t in neuerer ^nt fo biel gefc^rieben, aber aud) fo biet pt;an=
tafirt tüorben, boB e§ ntd^t feiten fc^lrer Serben nmg, ätt)ifc^en
SÖQ^r^eit unb ^ici^tung auf biefem ©ebiete riditig ju untet=
ft)riing unb @ntUitcEhnig§gefdötd^te be§ @igentl^um§", in ber Seitfi^i^ift
für »erglel(f)enbe IRed^tStoiffenfc^aft 1884 V, 1 ff.) nimmt an, ha^ auf
ben ätteften ß^ulturftufen bereite inbioibuetfe^ ©runbeigentl)um Bc=
ftanben tjobt, unb bafe ba§ üermeintlic^e ®efamteigentf)um in ben
Slnfängen ber ©ntairffung me'Eir eine %xt Bon ©ebietSl^oI^eit ge=
toefen fei. 2Iu(§ §aIBan = 95IumenftodE (Sntfte'^ung be^ beutf($en
3tmmobi(iareigent^um§. 99b. I: ©runbfagen [3nn§16rurf 1894], <B. 4
u. f. ID.) fennt nur eine S3oben!0of)eit be§ 93otfe§ neben bem ^x\=
biötbualeigen; übrigens beftreitet er bie 9JlögIi(^!eit, qu§ ben Oueöen
über ben 6:^Qra!ter beä S3obenre(f)te§ in ber Urjeü eine böüig fitfiere
ßenntni^ ju gewinnen. $Iß. Slöitti(| (3)ie ©runbberrfe^oft in 5Jlorb=
toeftbcutfdirQnb [ßeip^ig 1896] , Slnlage VI : Heber ben ltrf)3rung ber
©ro6grunbl)errf(f)Qft, ©. 104) glaubt annehmen ju bürfen, bafe läjon
in ber Hrjeit in 3)eutf$ranb bie ©runbberrf($aft entftanben fei. ®ie
freien Seutfd^en feien Meine ©runb^^erren getoefen, für toel($e bie
unfreien SBauern bo§ fjelb befteöten. iltiinüä) ift bie Sluffaffung
afiidiarb §ilbebranb§ bejüglid) ber altgermanifd}en ©tönbe= unb
3Igrartierfaffung (9fte$t unb ©itte auf ben öerfcfiiebenen JtiirtfcE)aft=
ti$en ßulturftufen. ^sex\a 1896). ©anj attgemein beftreitet §ilbe=
branb bie §frrf(fiaft be§ communiftif c^en ^ßrincipS im SInfange
ber öfonomifd^en ^ntmictfung. 3lber auä) öon einem priüaten ®runb=
eigent^um fönne ba feine 9tebe fein, fonbern Iebigli(5 Don einem
3lec^t ber (gtamme§genoffen auf ba§: ©ebiet, öon einem 9le(f)te, 35oben
in 93efi^ 5U nefimen unb ^rücfite barau§ ju sieben. DJlan mag ben
©rflörungen unb tiofitiüen S)arlegmigen .^ilbebranbg in Dielen StüdEen
bie 3uftiotmung üerfagen, jebenfaܧ ^ai feine (Sd)rift gur erneuten
Prüfung ber l^errfdfienben , bem ltrcommuni§mu§ günftigen Sfieorie
ongeregt. — 2ßa§ fd^Iiefetic^ 3nama = ©tcrnegg (®eutf(|e 3Birt=
f(^aft§gef(iii(i^te I, 96 f.) unb fünftel be§ ©oulangeä (Hist. des
institutions de l'ancienne France. Tome IV. Paris 1889) betrifft, fo
begnügen biefe fic^ bamit, ba§ ©efamteigentbum bei ben S^ronfen
für bie 3fit nad) ber Sfneafion ©atlien§ 3U läugnen. (S3gl. ijelij
3fiad^fof)I, 3a^rb. f. ^Rationalof. u. ©tatift. 3. g^otge. 23b. XIX,
§eft 1, ©. 12 ff.)
^i\ä), SiberaU§inu§ u. II. 2. Stufl. 12
244 3)ritteä ßapttel. ®a§ ^rtöateigentfium aU jociale ^nftitution.
f(f)eiben. Um fo tüof)It^uenber berührt e», tüetm namhafte
©ele^rte biefen ©egenftonb otjne 95oreingenommen^eit unb mit
ber erforberlidien fcientifi)(f)en 5Iu§rüftung in Eingriff nel^men.
@§ i[t ba^er ni(f)t bloß bie Srgönjung be§ 5U befianbelnben
@toJte§, meiere töir erftreben, fonbern me^r noc^ bie 5(6[ic^t,
an einem concreten 5öeif|)iele §11 jeigen, wie weit man bom
lt)i[fenj(f)nftlic^en ©tanbpunfte au§ ber (SnttDidlungSlel^re ent=
gegenfommen !ann, — inbem mir f)ier 33e5ug nefimen ouf
9lobert ^öf)Imann§ „©efd^ic^te be§ antuen (Kommunismus
unb ©ocialiSmuS".
^öi^IniQnn befd^ränft im er[ten S9u(^c be§ genannten 9Berfe§ feine
Untexiucf)Uiigen auf §ella§. „2Benn felbft bei ben ©ermanen tro^ ber
unfcfiä^barcn $8eri(f)te einc§ Säfar unb Sacituö", fagt er^, „über ba§
§aupt= unb ©runbproblem ber älteften Stgraröerfaffung, über bie i^rage
na^ ber ©ntftel^ung unb Sluöbilbung beä ^riüüteigent^umä an ©runb
unb SSoben, ein f icfiereö ©rgebni^ an§ ben Ouetlen nid^t 3U getninnen
i[t unb üielfac^ ©(^lüffe nai^ ber 2tnaIogie primitioer ©efe[Ifc^aft§=
juftänbe überhaupt bie ftreng ^iftorifcfie 23etoeiöfü^rung erfc^en muffen,
lüie biel mef)r ift bie äufeerfte SSorfic^t ba geboten , too bie gefd^ic^t=
liiS)t lleberlieferung eine fo ungleich jüngere ift." SDlan fann bie 33cr»
mut^nng ttiagen , ba§ bie § e 11 e n e n juerft nomabifierenb in if)re
fpätern 2öol^nfi|e gefommcn finb, t^re erften @inri{^tungen in ber
neuen §eimat ben Sebürfniffen einc§ SCßanberöoIfe^ entfprecfjenb ge=
troffen unb fid^ nur atlmöl^Iit^ 3U bauernber ©ieblung entfd^Ioffen
ftaben. Srifft biefe S3orau§fe|ung 3U , bann lä^t fi(f) au§ bem an=
genommenen nomabifirenben 2Sirtfc^aftöfl}ftem auc^ auf getoiffe ©runb=
formen ber ®igent^umä= unb ©efeflfc^aftgorbnung jurücffifjUe^en. 3u=
näcfift mußten begrenzte Sßeibereüiere gebilbet unb bemgemäB oui^
bie gerben getbeilt loerben. Senn ber SSoben lonnte nur eine be»
ftimmte 3ö^I SJiel^ ernätjren unb aüju grofee §erben ge'^en nt$t ju»
fammen. SBei bem ge](f)loffenen iJamilienleben ber §irtenoötfer ift
anjune^men , ha^ bie SÖeibereüierc nad) O^amilien unb ©ippen t)cr=
ttietit würben, fo ätoar, ba§ je ein 5Heüier at§ gemeinfameö ©igentl^um
be§ ©efd)Ie(5t§0eTbanbe§ galt, ober eä galt, U)enn bie SCÖeibercbiere
' ®ef(i)t(!^te beö antifen ßommuniSmuö unb ©ojioIiiSmuS I
(ÜJlünd^en 1893), 3 ff.
3. Urfpv. b. Sigent^umS nod^ b. barto.»foc. @DoIution§t^eorie. 245
nBttec^yelnb üon ücrfd^iebenen ©efc^Ied^t§t)erbänben in Söenu^ung ge=
nommen tourben, ber ©tanim aU ©igent^ümer beä ganjen ©tamine§=
gebietet. Sie D^atur biefeö 2Sirtfcf)a|t§i^ftem§ liefe ein bouevnbeg
©igentl^um be§ (Sinjelnen am ©runb unb Sßoben inäjt ju. „(Sd)on
Wegen beä unöermeiblii|en aBec^felS ber ©ominer= unb SOöintertoeibe,
meiere bie ©efamtl^eit nötljigt, bie öerfcfiiebenen ©trecfen bc§ ©ebieteg
in feftcr, ber 3fQl^re§3cit angepaßter Drbnnng ju be3ie:^en, unb loegen
ber ganjen 5trt unb SBeife ber 23obenbe[teünng , wie fie eine mitbe,
bie gefamte anbaufähige gflädfie im Sßec^fel ton ©aat unb Söeibe
burd^jiebenbe fyelbgraölpirtji^aft mit ficf) brachte, fonnte man biefe§
iSt)ftem nic^t burc^ ba^ Selieben ber ^nbiüibualmirtfc^aft unb ba§
toiHfürlid^e Umfid^greifen be§ ^rit)ateigent()um§ burdibrec^en lafjen.
®a3u fommcn bie öufeern Sd)n)ierig!eiten , mit benen ba§ 33otf auf
bicfer ßulturftufe ju fämpfen l^atte. ©egenüber ben ©efa'^rcn, bie
^ier Don ber S^latur für bie foftbarfte §abe, ben Söiefiftanb, unb üon
feinbli(^er ©etoalt für ©jiftens unb Sfreibeit bro^t, tonnen §irten=
üblfer bie 8i(^er]^eit i^reä Safein§ nur in ber Sßereinigung ber ©in=
seinen ju einer ftreng organiftrten ©emeinfcf;aft finben, bie fid^ bei
ber ©efc^Ioffen^eit bes ijQmitienlebenö unb bem patriaic^atifd)en 3u=
jc^nitt be^ ganjen S)afeinö überljaupt in ber 9tegel mit einer mcl^r
ober minber communtftif(f)en Sßirtfäiaft öerbinbet. ©emeinfame 95er=
tf)eibigung, gemeinfame SBefabrung ber ©ommer= unb SÖinteriüeiben,
meift audfi communiftifd^er ®rlüerb für bie ©enoffenfd^aft , commu=:
niftifc^e ßeitung burc^ baö ©ef(^Iec§tgober^aupt ober ben ©tammeö=
Ijäuptling finb bie (i^arafteriftif(i)en ^ÜQt ber ©ntwirflungSftufe , auf
ber toir un§ mit l^o^er 2öa:^rfc|einlid)!eit auc^ bie ätteften Hellenen
ju beuten baben. @ine gettiffe communiftifc^e Drganifation , lüenig«
ftenä ba§ ^rincip beö ©efamteigentt)umö am ©runb unb Soben, U)ürbe
baber auc^ für §eCaö alö ber 2tuigang§punft ber focialen @nttt)icf=
lung anjunebmen fein, luenn auc§ bei bem Slnreij, mit bem i^kt
Soben unb ßlima jum bauernben Stnbau locfte, unb bei ben £(|toierig=
feiten, welcfie bem SRaumbebürfnife einer nomabifirenben Sßirtfc^aft
bie orograpbifc^e 3ei-"ftücEeInng bc§ Sanbeö unb bie geringe 2tu§bebnung
feiner Sbenen entgegenfteßte, biefer primitioe guftanb rafcf)er übcr=
luunben inuibe a(§ anberatto. S^reilit^ muffen toir unä bei aüebem ftet§
betoufet bleiben, ha% e§ f\ä) eben biev nur um Söa^rf i5einlid^fcitö=
ergebniffe l^anbeln fann, ba^ bie SSorouäfe^nng, auf ber bie ent=
toidelte ?lnfic£)t berul^t, eine mef)r ober minber 'i}\)poti)tti'\ä)e ift.
Stüerbingä ergibt eine 5öerglei(f)ung be§ ©ried^ifd^en mit ben übrigen
12*
246 ®ritte§ ßapitel. ®a§ ^riüttteigent^um al§ foctate ^nftitution.
inbogermoniii^en Sprachen, ba^ fid^ unter ben urjeitlid^en ^u§brüdfen,
tüeld^e ®igent^utn, ^ati, 9iei(i)tlE)um u. f. U). Bejetd^nen, feiner beftnbet,
tueld^er fic| auf ©runb unb Soben bejöge. Stüein, it)a§ für bie tnbo=
germanifcfie Urjett gilt, brau(i)t ja ni(|t not^loenbig aud) auf bie
^eüenif(f)en ©inaanberer in bie 33aIfan^aI6infet suäutreffen, unb bie
3[RögIi(f)f eit, ba^ bie biö^erige ©prac^forft^ung unb Urgef(|i(^te
eine atläutange g^ortbauer nomabifd^er ober l^albnomabifc^er 3uftänbe
5ei ben cinjelnen inbogermanifc[}en a^ölfern angenommen ^at , ift
toenigftenä nic^t o^ne toeitereg abguletjuen." ' %U fieser jeboi^ gilt
5pöl)lmann2, baß bei ben §etlenen ber Uebergang jur Dollen ©efe=
^aftigleit in genoffenfc^aftlic^er Süßeife erfolgt fei, unb bafe bie enb=
giltige Sefiebelung be§ Sobenä nidjt Sa(^e beS ©injelnen getuefen,
fonbern ber alö ©emeinfc^aften für alle ßebenää»uecEe befte^enben a}er=
bänbe, ber ^Jamilien unb 6ippen. „®iefer urfprünglid^e 3ufttinwen=
l)ang 3lDii(^en ©efdilec^töDerbanb unb bäuerlicher 3lnfieblungagemeinbe
ift bei ben oerfc^iebenften inbogermanifd^cn SJölfern noc^ beutlid^ er=
fennbor, unb loaö insbefonbere bie ältefte griec^ifc^e ®orfgemeinbe be=
trifft, fo ^t f(^on 2lriftoteleö eine urfprünglid^e ^öerlDanbtfc^aft ber
©emeinbegenoffen angenommen, inbeni er fic^ u. a. mit 9le(^t auf bie
me^rfac^ borlommenbe 23eäetd^nung berfelben alä ijioyulay.—q, (DJtil(^=
öettern) beruft ^ Selir treffenb l^at ferner Slriftoteleö im §inblicf
auf btefe urfprünglid^e ^bentität oon ©emeinbe unb ©efc§lec^t§genoffen=
f(|aft ben ©a^ aufgefletlt, ba^ bie SJerfaffung ber ©emeinbe fid) an=
fänglic^ mit berjenigen ber ©efd^led^tägenoffenfc^aft gebedt ^aben muffe,
bci'^ bie ganje ©emeinbeorganifation urfprünglic^ eine rein patriar=
c^alifdje mar. §aben fi(^ bod^ au(^ bie ütec^tsformen bei l^etlenifd^en
Staate^ oon Einfang an fo enge an bie ber ijamilie angeleljnt, bo!^
ber ©ippenüerbanb, ttenn au(^ fpäter in ber ©eftatt eineö lünftlidl^en
©t)ftcm§ fingirtcr ©efd^led^tsüetterfdiaft , fid^ biä tief in bie gef(^id^t=
lic^e 3«it t)inein alä ein toefentlic^er ö«ftor ber politifc^en Drbnung
be^uptete." Später luurbe bann immer me^r bie auf ber ©efdf)led^ter=
oerfaffung beru^enbe Organifation unb ©int^eilung be§ SJolleä burd^
ba§ territoriale ^rincip burd^brocE)en. äöie aber bie ©efc^led^tö=
genoffenfd^aft als bäuerlidbcr Slnfieblunggüerbanb urfprünglid^ bie
Trägerin ber toirtfd^aftlidjen unb focialen Organifation beö fefe^aft
getDorbenen SJolfeS aar, fo ging auc^ üon i^r bie 23eftimmung über
» ^ö^lmann a, a. D. ©. 0 f. ^ ^5^,. (g_ 7 |.
3 5lriftoteleö, ^olitif I, 2, 7. 1252b.
3. Urfpr. b. ©igentl^umä naä) b. barH).=foc. ©ootutionSti^eorie. 247
bie 2lrt ber Slnfieblung unb bie SSertJ^eitung öon ©runö imb Jßoben
aus. „©rl^eblid^e 3iüeifef ergeben fid^ nun aber freilii^ fofort, luenn
toir toeiter fragen, tote unb in toelc^em ©rabe bie ©ebunbenl^eit beö
©injelnen burd) biefe ein^eitUiiie, Don bem ©efül^Ie innigfter ßebenä=
gemeinfc^oft burd^brungene ©enoffenfd^aft in ber @igent:^umä=
orbnung sunt SluöbrndE gefommen ift. §at bie Slgrargetneinbe on
ben gemeinu)irtf(f)aftlic^en ßebengformen ber altern 2öirtfä)aft§ftufe
fo ftrenge feftge^aUen, ba^ fie bie aU ©efamteigent^um occupirte
glur aucO ferner v\oä) aU folc^e be^anbelte? §at fie ni(i)t nur an
SÖßeibe, 2BaIb unb Oeblanb bieä genoffenftfiaftlid^e ©efamteigent^um
behauptet, fonbern aud) am SuUurboben unb bal^er bem ©injelnen
nur ein öorüberge^enbeS — periobifd^ neu geregelte^ — 9tu^ung§red^t
getoäfirt, au§ bem fic^ erft aHmä^Iid^ mit ben ftetgenben Slnforberungen
an bie ;5ntenfität be§ 3lnbaueö unb bim äune^menben (Streben na^
inbioibueüer ®rn)erb§felbftänbig!eit baä ©onbereigent^um berau§=
gebilbet f)at ? 2Bir tonnen biefe S^rage bocf) nidjt o^ne iceitereö mit
ber 3uöerfi(^t bejal)en, loie man e§ nad^ einer tceit oerbreiteten 2tn=
fid^t über bie gefc^id^tli^e ©ntwicflung ber SßirtfdfiaftSformen tl^un
mü&te. ©0 jal^Ireid^ bie communiftifc^en 3üge fein mögen, bie man
in bem Slgrarred^te ber üerjcEiiebenften Siölfer nad^gewiefen |at, fo
genügen fie bod; noc^ ntd)t, um aud^ für Sitten ööHiger ®efe=
l^aftigteit bie Set)auptung ju red^tfertigen, bafe ,ber ©oüectiDbefi^
üon ©runb unb Soben alä eine urgefd&id^ttidje ©rfd^einung Don all=
gemeiner ©eltung angefei^en Serben fönne'', ober — tote ein an=
berer SJertreter berfelben &tic|tung fid^ au^brüdEt- — ba^ toir barin
eine .notl^toenbige @nttoicftungöp:^afe ber ©efeßfdjaft unb eine Strt
üon UniDerfalgefe^ erblicten muffen, toel^e§ in ber S3etoegung ber
®runbetgentl)umöformen toaltet'. ©iefeö ,®efe^' fann al§ ertoiefen nur
infofern anerfannt toerben, al§ mon bobei bie erften Slnfänge toirt=
fc^aftlid)er ©uttoidElung überhaupt — o^ne Ülurffic^t auf bie erreidE)te
©tätigfeit beö Söol^nenS — ober nur einen 2 1^ e i I be§ ©runb unb
5Soben§ im Sluge i^at. 2Benn man bemfelben jebod^ eine allgemeine
©iltigfeit aud^ für bie Seiten OoUer @efeC)aftigfeit jufc^reibt unb 3u=
gleid^ für biefeä fortgefc^rittenere ©tabium o^ne toeitereä bie iJort=
bauer be§ 6oItectioeigentl^um§ auc§ am !PfIugIanb annimmt, fo
* Maine, Lectures on the early history of Institutions p. 1.
2 Lavelei/e, De la propriäte et de ses formes primitives
(1891) p. 2.
248 ©titteä ßopilel. S)o§ ^riöateigentl^um aU Sociale Snftitution.
Berul^t bog tt)of)l auf einer ju frül^cn 9}etaögemetncrung, teie ft« fi(%
ja 6ei ber cinfettigen Slntoenbung be§ bergleiil^enben S3erfaf)rcnö letdEit
einftettt. 2öir üerfennen ben unfc^äparen SBertt) ber üergleici^cnben
101etr)Dbe Ieineött)eg§. ®a§ Sierfa^^ren, tDeI(5c§ auf ftreng inbuctiüem
SÖege bte unbefannten 3"pni5e eine§ SSoIfeg buxä) ^M\ä)lü\\t auä
ben befannten Jßerpltniffen Don ßanbern mit öertuanbter S3et)ölferung
3U erbeüen fuc^t, ftef)t bon öorn^erein tüeit über ber in ber 2l[tcr=
tl^um^lüifienfc^aft ja noc^ immer üerbreiteten 2lrt ber ©ebuction au§
üagen allgemeinen SSorftettungen , bei benen mau bie reote 2lnfd)au=
ung met)r ober minber toermi^t , fomie aucf) über jener äufeerlidf^en
9}erwert^ung ber geftfiriebenen OueHen, beren le|te§ ©rgebnife auf ben
<B(X^ {)inau§!ommt : quod non est in fontibus , non est in mundo.
2Bir finb autf) burdjauä ni($t ber Slnfid^t, bafe ettoa bie Urfpr üng=
Itd^fett beö prioaten @runbeigent|um§ bei ben antifen 3}ölfern
irgenbtüie ertoeiSbar unb bal^er jeber SJerfudf), bie Slnfic^t öon ber
fefunbären @nt[tel)ung beSfelben auö ber oEgemeiuen toirtfc^aftlic^en
Sulturgef (lichte gu begrünben, überflüffig fei. 3Iüein toenn toir unS bie
aSerfd^iebcnartigfeit ber ©rfd^einungen öergegeninärtigen, bie für einen
fold^eu SBerfuc^ ju ©ebote [teilen: bie germanifdje 5elbgemeinf($aft,
bie Slgraroerfaffung ber inbifc^en ®orfgemeinbe, ben ©emeinbecom=
muniämuä ber Dftflaoen (ben ruffif(?^en SQlir), ben i5amiIiencommuni§=
mu§ ber fübflaüifd^en §au§gemeinfc^aft unb ben 6tammcommuniömu§
ber feltif(f)=irifcf)en ßlanüerfaffung — fo toirb man fic^ iDobl faum
ber §offnung Ijingeben, qu^ ber grüüe biefer eigenartigen focialen
©ebilbe eine bei allen inbogermanifc§en Slölfern nat^ iljrer Se§baft=
toerbung gleicEimä^ig auftretenbe Urform ber ©igentbumöorbnung er=
fc^Iie^en ju fönnen. Siefe ^Dlannigfaltigfeit ber ©ntlDidClung geftattet
für SSöIfer, bei benen bie ©puren ber urfprünglic^en 2tgraroerfaffung
fo fel^r öermifd^t finb toie bei ben §etlenen, bo($ gar ju öerft^iebene
9tnnaf)men ! Sie Sßergleii^ung lä§t un§ :^ier einerfeitä im ©unfein
barüber, mit tnelcfier 3^orm ber coüectioen Sobenbenu^ung biefe SJolfer
etma begonnen l^aben mögen, mit bem ©efamteigentl)um beö 3^a=
milten= ober be§ SippenöerbanbeS ; anbererfeitö f(^Iiefet fic bie 9Jiöglic[3=
feit feincäiDcg§ au§, ba^ aucf) t)m fd^on öon bem SJ^omcnt an, »üo bie
perfönlic^en ©ef(^Ied^töDerbänbe gu bingli(i)en DvtSgemeinben tourben,
bie einjelnen ^amilienbäupter ein bauernbeä unb erbli(J)e§ 58efi^=
red^t an einjelnen ©tücfen bes Slcferbobenä jugetoiefen befamen. 3öa§
j. aS. bie ©ermanen betrifft, bei benen toir ben ^rocefe ber ©e6baft=
toerbung nod^ einigermaßen üerfolgen fönnen, fo begegnen toir ^ttiax
2. Urfpr. b. (£t9entl)um§ naä) b. barto.^foc. @üoliitiongtl)eorie. 249
Qud^ l^ier bem ogravifc^en ©offectibeigentl^um, in bcn befannten ©tf|il=
berungen ©äfarä, aber bieje ©d^itberungen bestellen fic^ auf 3"ftänbe,
bie öon einer feften Sefieblung beä ßanbe§ noc^ lueit entfernt »raren.
SOßenige ©enerotionen ]päkx, aU ba§ S}oIf ju größerer ©efe^afttgfeit
gefommen, in ber S^it beä Sacituä, treten unö S3er:^ältniffe entgegen,
bie ganj nnöerfennbar anf ba§ 93orf)anbenfein beftiinmter unb bauernber
S3e[i|red)te ber einjelnen g^amilien {jinmeifen \ 2ÖBä^renb fid) bei bem
flaoifd^en ©emeinbecommuniäinnS ber ßanbantl^eil aüer ©emeinbe=
glieber burc^ periobifcle 91euauftlöeilung immer toieber ber toed^felnben
ß 0 p f laifl cntfprei^enb öeränbert, um bü§ ?Princip ber gleichen toirt=
f($aftli(j^en ®ayeinöbere(f)tigung aller aufred^täuerljalten , toäl^renb
l^ter bemgemä^ ber 2lntt)eil be^ Derftorbenen ©eno|jen an bie ©emeinbe
jurüdfällt, jeber gur ©emeinbe neugeborene ßnabe aber ben Sfieiler
meiert unb gleichen Stnt^eil am üorI)anbenen ßiegenf(^aftöDermögen
forbert, finbet fic§ bei ber germanifd^en S^elbgemeinfd^aft öon aüebem
feine <Bpnx , Weber öon einer periobiftfjen Slenberung ber 3^^^ ""b
©röfee ber §ufen no(j^ auc^ öon einem auf alte 3^ac^geborenen in
glei(f)em 9Jla§e öererbtid^en Stnrec^t am gefamten Slcferlanb, toie
cö bem ^rincip be§ ßommunigmuö atlein entfprod^en l^ätte. S3on
einem (Sommuniämuö im ©inne ber flaötfd)en Slgraröerfaffung ift
alfo l^ier feine IRebe."- 91ad) toelc^em Spflufter folten toir uns nun,
fo fragt ^öt)tmann, ba§ ättefte S^italter ber nationalen SSJirtf(i)aftä=
enttoiölung öorftetlen, nad) germanifd^em ober flaöifdiem ? ^ßötilmann
glaubt: nad) germanifdiem 93iufter. ®od) fügt er bei*: „(£o toaf)r*
fdieinlic^ e§ ift, bafe fd)on bie ältefte t)el(enifc^e 2lgrargemeinbe, ba,
ioo bie SSorauSfe^ungen bafür gegeben tnaren, ben ein«
jelncn ©enoffen ober gamilienl^äupteTn ein getoiffeö 9Jlafe inbiöibueKer
©elbftänbigfeit cinröumte, fo bleibt boi^ anä) 1)kx mieberum bie
offene Sfrage, ob eben jene SBebingungen überall öon Stnfang an öor^
l^anben Ujaren. ©ö ift fel)r mol)l möglid^, bafe ba, too uod) feine ältere
23eöölferung ha^ SSerf ber Sanbeöcultur in 3tngriff genommen , too
ber ^ellenifdie 2lnfiebler ben ungebro^enen ßräften einer n)ilben 91atur
entgegentrat, jener 2;rieb be§ S3olföd)arafter§ (nad) inbiöibueEer ©elb»
ftänbigfeit) burd) baß aSebürfni^ be§ gemeinfamen Kampfes gegen bie
feinblid^en 9J1äc^te ber Uncultur paral^firt ftiurbe unb balier auc^ ba§
gemeinU)irtfd^aftlid)c 5|3rincip fid) ftrenger gcltenb ju madjen öermo(^tc
» SOgl. Germ. c. 20.
2 ipöl)lmanu a. a. D. ©. 9ff. * ©. 13 f.
250 drittes ßapitel. ®o§ ^riöateigent!)um al§ fociale ^nftttution.
oI§ anbcrtoärt§. §tcr, too bie ßtaft be§ ^tnjelnen toeit toemger Bc»
beutete, mag onfänglicf) ni(5t nur ba§ ©efcfiäft be§ ?Roben§ unb ber
©ntfumpfung, ber fünftlic^en Sntitiäfferung unb SBetoäfjerung, fonbern
bieHeid^t quc^ be§ (Säen§ unb (£vnten§, genteinfame <S>aä)i ber 2lgrar=
genoffenfd^öft getnefen fein , mag ber ^tuäelue feinerlet feften S5Dben=
Befi^ aufeer ber Sßo'^nftötte gefiabt liafien. — ®a e§ fi(^ bemna$ '^ter
immer nur um S3)a]ötfd^etnlt(^!eit§ergefiniffe unb um
ßofungen tion relatiöer ©tittgteit l^anbetn fann, fo erfd^etnt e§ bon
t)ornt)erein überaus Bebenfütf) , toenn 9Jlommfen au§ ber bloßen
Sbentität toon ©eftfiledjtSgenofjenjc^aft unb ©emetnbe mit ©ictier^^eit
fc^Iiefeen ju bürfen glaubt, bafe bie beCfenifcfie, toie bie italifdic S)Drf=
marf über all in äüefter Seit ,gtei(^fam aU §auämarf', b. I). naä)
einem ©l)ftem ftrengfter O^elbgemeinfc^aft, Betoirtic^aftet trurbe, aU
beren toefentlidie güge er®emeinfamfeit be§$Beji^e§, ge=
meinyameSeftellung be§5tcferlanbeä unbSBertBeilung
be§ gemeinfam erzeugten @rtroge§ unter bie einseinen bcm
©efc^Iet^te angel^brigen §äufer annimmt ^ 93eüor toir einen fo t)5I=
ligen 6ommuniämu§ im ©runbbefi^ unb 2Irbeit§ertrag unb ^nqUiä)
bie Stügemeinlieit biefer @inriä)tung al§ Sl^atfa^e l^inne^men
fönnten, müßten un§ bod^ noc^ ganj anbere 5ln;^alt§pun!te ju ©ebotc
ftel^en, tüie fie ja [Olommfen felbft toenigften§ für bie altrömif(|e S)orf=
gemeinbe au§ ber römif^en S^ed^tSgefd^icfite gu getoinnen öerfuc^t l^at."
®ie ©ebunbenBeit be§ pribaten ®igent:^um§, bie Scfd^ränlung ber
SSerfügunggfreil^eit be§ ©injelnen, namentli(5 über @rb= unb (&tamm=
guter, loie fie ba§ ältere griecfiifd^e IRed)t auftoeift, ift !eine§tDeg§ ein
S3eh)et§ für einen urfprüngttäien agrarifcE)en ©emeinbecommuni§mu§
unb fü^^rt fi($ burd^au§ ni(i)t notblnenbig auf ba§ ©efamteigentbum
ber Bippi jurüd. Ueberl^au^Jt gefien bie öermögen§recf)tli(fien 2ßir=
fungen ber Söertoanbtfc^aft im gried^iftfien JRed^te au§ ben ^tä)t§=
öerbältniffen be§ §aufe§ , nid^t au§ ber 95erfaffung be§ ©ef(i)le$t§=
bcrbanbe§ '^eroor^. ^uä> ha§ angeblt(f)e 3ufiii""iun9^= unb D'lä^evreäit
ber ©emeinbegenoffen bei 93eräu|erungen betoeift, mie ^ö:^Imann be»
tont, nid^tg für bie früfiere ©jiftenj be5 (Sotfectitobefi|e§ an ©runb
unb Soben^ „®enn ioenn ba§ 5Rec^t ben ©emetnbegenoffen bie 58e=
fugnife einräumte, bie Sluätieferung einer §ufe an einen if)nen un=
tüiHfommenen ^yremben 3U öerl^inbcrn, fo toürbe fii^ ba^ bei bem
» 91. ©. P, 36. 182. 2 $p5{,ij„ann (,d. £). (g. 15.
» aSgt. Laveleye 1. c. p. 381.
3. Urfpr. b. SigentfjumS nac^ b. barlü.'foc. ©üoIution§tf)eotie. 251
ganjen ß^araftet beö ©emeinbeöerbanbeä jur ©enüge qu§ ®efid^t§=
punften erflären, bie Don bem 2igvarre(^te gäuäUd) unabt)ängig finb." '
a}tan l^Qt aud) üerfud^t, aü§, ber Si^ilberung, icelc^e §omer Don
bem patrinrc^aliicfjen §auöf)Qlte am §ofe beö ^Priamuö enttoorfen, auf
einen uriprünglid^en ©ommuniömuö äu |cf)Iiefeen. Ser §of be§ ^riamuS
erfc^eint o^ne Sloeifet aU ein 2tbbilb ber fogen. §ouägemein=
fd^aften, b. 1^. ber „Sßereinigungen üon Slbfömmüngen be^felben
©tammoaterö, Don 23Iut^öertoanbten äloeiten biö brüten ©rabeä, toeld^e
in bemfelben ©e^öfte tDof)nen, ©runb iinb ä^oben gemeinfc^aftltc^ be=
jt^en unb oon bem ©rtrag gemeinfamer Slrbeit gemeinsam leben." "
Slllein ift bamit betoiejen, bafe bie §auögemeinid}aft ^ier mit 9bt:^=
Uienbigfeit al§ ein primitiüeö 3»fiitiü angefel^en toerben mufe ?
@§ gibt eine boppelte 9]föglicf)feit, um bie ©jiftenj ber §auggemein=
f(f)aft 3U erftären. «Sie f a n n baburd) entftanben fein, bafe bie 2icfer=
lofe bei ber urfprünglit^en 5iuft^eilung beg ßanbeö nid^t unter bie
Ginjelnen, fonbern an bie in ^auägemeinfc^aften äufammentebenben
2famtlien üert^eilt tourben. Stnbererfeiti fonnte aud^ jebem ein»
jelnen ©enoffen eine untT) eilbare §ufe als Slnf^eil an ber ge=
meinen O^elbpur jugetoieien »erben, |o baß bei toaci^ienber 58eöölferung
fc^Iiefetid) mehrere Familien äufammen eine §ute beioirtfdinfteten, —
loie eä 3. 58. in ©parta infolge ber UnOeräuBerIid)feit unb Unt^eilbar=
feit be§ xXijpog gefc^ol^ *.
S)er ©inblid, tteld^en ba§ :^omerifd;e ©poö in feiner ©efamtl^eit
in bo§ Seben ber Station getoä^rt, fü^rt ^ö^tmann * 3U bem ©c^Iufje,
bafe fc^on in ber ©ntfte^ung^seit beä ©poö ber bleibenbe perfönlid;e
33efi^ in njeitem Umfange auö bem gemeinfom benu^ten ßanbe auä=
gefc^ieben fein mu^te. „®ie aügemeine SSerbreitung ber eblen, Don
Sefc^affenl^eit unb ©üte ber perfönlid^en 3lrbeit in fjoi^em ©rabe ü^=
gängigen Kulturen, be§ 2jßeinbaueö unb ber SBaumgudit, ift ein untrüg=
Iii^e§ ©^mpton ber uralten © n t n) i cf l u n g b e 0 ^ r i 0 a t e i g e n=
t^um§ am ©runb unb Soben,o]^ne melc^eö biefe .inbioibuellen'
Kulturen nid)t gebeil)en lönnen. Slber aurf) ber Slcferbau toar fid)er=
lic^ im großen unb ganjen ben felbgemeinfdjaftlidjen tJormen ent=
toac^fen. ®ie Stnfprüc^e einer toac^fenben 33ebölferung an bie ^ntenfität
bes Slnbaueä, an bie ^probuctioitftt ber Strbeitsleiftung loaren offenbar
» ^ö^lmann 0. a. D. ©. 16. ^ g^t,_ g, is.
3 Polybius XII, 6. — ^ö^lmann a. a. O. ©. 18.
* dhb. ©. 45 f.
12**
252 S)ritte§ ßapitel. SaS 5Prbateigetitf)um al§ foctale Sfnflitution.
f(i)on 3U ijo'iit, ber Stieb naä) inbiüibuettem ©rtoerb unb felbfiänbigev
SBelDegung ju fe^r enttoidelt , qIö ba% — in ben fortgefc^tittenern
Öanbfifiaften rcenigften§ — eine gemeintuirtfi^aftlitfje Drganifation beu
StdferBauel bem SBebürfnife ber S^^t norf) ju genügen üetmodit !^ätte.
^n ber %i)at ge^^ört natf) ber Slnfc^auung ber O b t) f j e e toenigftenS
ju ben erften Helen men[cf)tic^er 5tnfieblung bie SiuStl^eilung ber
iJIuren, unb gtoar unöer fennbar 3u inbiDibuellem ®igen=
t^um."»
Sat)elet)e ^ beruft f\ä) jum 9iQ(^toei§ einer üerf|ältnifemä§ig langen
S^ortbauer ber 3^etbgemein|c()oft in ber !^eüenifcf)en SBelt auf bie c o nt=
tnuniftifd^e SSerfaffung ber Sipar if cf) en Sfnfeln*, bie um
ba§ ^ai]x 580 ö. S^r. burc^ ^eUenifcfie Siuötoanberer au§ ßnibog unb
at^oboä in ^efi^ genommen tourben. Slllein ber Sommunilmu§ ber
8i|)arer touräelte feine§U)eg§ in ä^nlic^en 3u[iönben toie in if)rer ur=
fprünglidien §eimat. ®ort toar bie Kultur fc^on üiel gu toeit fort=
gefc^ritten , alä ba'Q man für ba§ fec^^te ^al^r^unbert bie ^Jortbauer
ber O^elbgemeinfc^aft üorauäfe^en tonnte. „Qn ber Sl^at", fagt ^öt)(=
mann*, „bebürfen bie gi'flänbe auf ben ßi:t)aren feiner Sfnfnüpfung
an bie beö 3)lutterlanbe§. ©ie erftären fitf) öoUfommen au§ ber be=
fonbern Situation, in ber ficf) bie ^nfulaner befanben. 9)Utten im
frieblofen, öon ben ©rbfeinben ber §eüenen, Don @truöfem unb pu=
nifcf;en ©emiten, bel^errfc^ten 3!Jleere, auf einem ber gefä^rbetften 2lufeen=
po^Un ber ^^eüenifcfjen Sffielt, fortlcäljrenb üon ßataftrop^en bebrol^t,
tüie fie 3. S. im SDlittelalter felbft bag toeitentlegene Qslanb öon
afrifanifi^en ^Piraten erlitt, l^atte bie Seöölferung öon ßipara il^re
ganje @jiften3 auf ben l?am|3f geftellt. ^a eä f))ri(|t aUe^ bafür,
ba& bie ^eüenen fic^ biefer unfein, bie al§ Söarten auf 'ijo'tjtx ©ee
ba§ toeitefte ©efid)töfelb bel^errfcf)ten , Oon Oorn^erein in ber 2lbficf)t
bemäcf;tigten, um oon l^ier auä gegen ®tru§fer unb ßartl^ager ßa=
ptxei 3u treiben, bie ja bamalö auf beiben ©eiten aU ein c^rlid^e§
©eloerbc golt unb für tnelc^e bie ßiparen fo üor3üglic^ geeignet
toaren. §aben wir l^ier aber eine Slrt ßorfarenburg »or un§, fo
tritt bie Iiparifcl)e Jöerfaffnng au§ bem 9tal)men ber allgemeinen
ffiolföenttoicflung DoHfommen ^eran§. ©ie erfc^eint aU ein ebenfo
fingulöreä *p^änomen inie 3. S5. jener tDeftinbifcf)e iJIibuftier=
» Od. VI, 10. — ^bbftnann a. a. D. ©. 45 f.
* L. c. p. 371 sqq. * Diodor V, 9.
* 31. a. O. ©. 49.
3. Itrfpr. b. eige«tf)um§ mä) b. barn).=foc. ®ooIutton§tt)eorie. 253
ftaat ', in tnelrfjem fic^ ja aucf) auf ©runbloge ber Piraterie eine
jlreng milttarifc^e Drgaiüjation mit coinmiuiiftifcf}en ©itirii^tungen
üerbanb." ^
©elbftüerftänblic^ tourbe aud) bie ftaatlicf) ovganifirtc SSürger«
Ipeifung ®parta§ unb ßreta§ aU Ueberreft einer primitiüen
agrarijc^en ©emeinfcfiatt in Slnjprud) genommen^. ®enn toie l^ätte
man bie Srücf)te beö ßanbe§ gemeinfc^aftlid^ üerje^ren fönnen, loemt
man nicf)t uriprünglid) ba§ Sanb al§ gemeini'ame ©tnäl^rerin atler
betracfitete ? „5Dlan mxb nun aüerbingö", fagt 5ßö^Imann *, „bie
SDtög lief; feit einer ftreng gemeintoirtfd^aftlid^en Surrf^gangäp^aje
ber ^eUenifc()en Jöoltöentinidlung nicf)t öon üornl^erein in Stbrebe
fteüen fönnen. Slüein mit blofeen 9JlögIi(^feiten ift f)ier nid)t gebient.
SJielmel^r mufe ber Dlad^ineig erbradjt toerben, ba% ba^ ©l^ffitien»
inftitut (gemeinfc^aftlii^e öffentlid)e 93lat)l3eitcn) feinen anbern Ur=
fprung gehabt baben fann , nur f o in feiner ©ntfieljung öerflänblic^
toirb. 3ft nun biefer 9lücffd)IuB auf bie iJelbgemeinfc^aft toirflic^
* „gübuftier" biegen bie fübnen Seeräuber in ben tceftinbifd^en
©elDäffern (gweite §älfte beä 17. Qabrl^unbertä), bie au§ ben (&tier=
Jägern öon ©. Domingo f)ert)orgegangen loaren.
- ©injelne (Sc^riftfteller (3. 58. VioUet, Laveleye 1. c. p. 372)
l^aben auf bie Eingabe ber neup^t^agoreifdicn unb neuplatonifc^en
ßiteratur bingeteiefen, ha'^ auf ^pi^tbagorae' ©e^ei^ 600 ober 2000 ^^er=
fönen bie ©ütergemeiufd)aft acceptirtcn, unb au§ biefer ^iftorifcb ganj
unbeglaubigten fjabel SfÜidEfd^lüffe auf Spuren be§ 6ommuniö=
muö matten 3U fönnen geglaubt, inbem fie öorauSfe^ten , ba§ jener
älngabe oieüeid^t eine alte mifeüerftanbene Ueberlieferung über bie ®nt=
ftebung einjelner fübitalifd^er ©emeinben ju ©runbe liege. 9}gl. ^öb(=
mann a. a. O. S. 53. So'S ift in ber Sbat fdjon mebr eine Unffen=
f($aftlic^e „Schöpfung" communiftifd)er ©puren! — Söenn 2triftoteIe§
über Sarent berid^tet, bafe bort bie IReic^en ibre ©üter mit ben Slrmen
„gemein machten", inbem fie biefe an ber 9lu^nie§ung tbeilnebmen
lie&en (^olitif [ed. Susemihl] VII, 5, 5. 1320 b.), fo fann ha% nic^t
al§ Ueberreft einer gemeinu)irtf(^aftltd)en ©igentbumsorbnung, fon=
bern nur al§ Seioeiö für „bie Sßirffamfeit eine§ au§gebilbeten focialen
©inneg" gelten, „ber fi(| beinufet ift, baß ha?:, ^ßritateigentbum nid)t
auäfcbüeBlid^ bem Sfnbioibuum, fonbern aud^ bem ^ntereffe ber ©e=
feltfc^aft äu bienen ^ai" (^öl^fmann a. a. D. ©. 54 ff.).
« S3gl. ^öf)Imann a. a. ©. 58ff. * ©bb. ©. 60.
254 drittes ßa^)ttel. ®q§ ^Priüateigent^um al§ foctale ^nftttution.
ein fo ätotngenber?" ^ö:^Imann üernetnt ba§ burij^auS: „SOIan mu^
fid) eben, um bie ^nftituttonen «Spartak unb ßretoä gefdjic^tlicf) ju
berftel^en, in toeit t)ö£)erem aJtafee, da eä getoö^nlid^ gefcf)iel)t, bie
ßeben^bebingungen unb ©onfequenjen be§ ,!rie=
gerifc^en ©efen|c^aft§tt)pu§' öergegentüärtigen , tvie fie
neuerbingS . . . t)on Herbert ©pencer ' analtjfirt tüorben finb. . . . ®a§
Sebürfnil, über bie ganje ßraft jebe§ ©injeluen jeben StugenblicE ber=
fügen gu fönnen, fü^rt ^ier mit innerer 9iot:^lDenbig!eit ju bem @r=
gebnife, bafe bie [treng mililärijc^e Orbnung, baä ,©t)ftem ber ^flegi:
mentation', \iä) \mit über ba§ §eern)efen l^inauö Verbreitete unb aüe
©eiten beö bürgerlicf)en Sebenä bem ftüatlicfien 3tt)ang unb ber ftaat=
Ii(^en 2lufficf)t untertoarf. . . . ®er ©taatsfocialiämuä ift ha§
naturgemäße Sorrelat be§ triegerif(^en®ejenj'cE)aftö=
tt)puö."^ §ierauö erllären fid) alle jene Sl^atjac^en ber fpartanif(i)=
!reti|d)en ©efd^ii^te, o^ne bafe man biefelben irgenbmie auf bie ©up=
pofition eineä Slgrarcommuniämuä ber Urjeit jurüdfü^ren müßte.
„Sie Sorm, in ber fidj biefe jocialiftift^e Stuögeftaltung ber ©efett^
fc^aft tioüäog, toar einfadi baburc^ gegeben, baß man aud) im fji^ieben
mögUd)[t bie Drbnungen be§ f^elblagerö feft()ielt. Unb ber fpred^enbfte
a3ett)ei§ bafür ift eben ba§ ©^ffitieninftitut, bie gemeinfame ©peifung
ber ganjen SSürgerfc^aft , oI§ beren ^\md bie Srabition ba^er mit
3ted)t bie ©r^b^ung ber 30larfd)bereitid)aft unb ©d)Iagfertigfeit be=
3eic^net^ Sie Sßaffenbrüberfi^aften, bie im gelbe äufammenlagerten
unb in ber ©(|Iad)t ^ufammenftanben , beftel^en al§ 2;ifd)genoffen=
fc^aften aud^ im Q^rieben fort*, inobei ber militärifdie ®^ara!ter ber
Jöerbinbung fo ftreng feftgebalten toirb, baß al§ 5tuffii^töbe^örbe über
fie bie ^oIemard)en fungiren unb bie ©enoffen äum gemeinfamen
lüla^Ie fi($ betoaffnet öerfammeln. ?tngefic^tä biefer 2f)atfad)en erfd)eint
bie Slbleitung beä fpartanif(^=Irettfd)en ©i)ffitienU)efen§ auä poIitifdj=
militäriid)en SDIotiüen aU bie ungeäinungenfte unb natürü(i^fte (&x=
Ilärung§tüeife ^ 2ßenigften§ finb n)ir, um ba§ ^nfütut gefd)id)tftd)
gu üerfte^en, in feiner Söeife genötbigt, noc^ irgenbn)eld)e anbere (£nt»
ftel^ungSgrünbe l^eranjuäiel^en, fo baß für eine 2ln!nüpfung an toxxU
5Principien ber ©ociologic. S). 21. III, 669 ff.
^ö^rmann a. a. ö. ©, 60 ff.
Plutarch, Apophthegm. Lac. p. 226 c.
95gl. Dionysius v. Hai. II, 23.
aSgl. audi Flato, Leg. I, 633 a. I, 625 e, unb Herodot I, 65.
3. Urfpr. b. ®igentf)utn'3 micf) b. barUi.=foc. @üoIution§t^eorie. 255
f d^ Q f t li (^ e Jöerpltnifi'e jeber 2ln]^alt§pun!t fe!)It. DIeBen ben Stfd)--
genojjenfc^aften !aiin anä) einmal bie ^Jelbgetneinjclaft beftanben
f)Qben, toie bas SBeifpiel be§ bonft^en ßtpara betoeift; allein biefelben
brand^en teineStnegä immer unb überall in einem urfäc^ litten
3ufammen^ang mit ber ^elbgemeinfc^aft 3U fielen. Sft eö bod^ an=
gefi(^t§ ber ganzen Stellung , toelc^e bie gemeinfame Sßürgerfpeifung
im Drganiömuö be§ borifd^en ßriegerftaateS einnimmt , felbft für
Sipara feine^nieg^ toal)rfd)einlic^ , ba^ bie bortigen @t)ffitien au§=
f c^ I i e fe I i (^ eine Sßirfung ber Srelbgemeinfcfjaft maren. Sie fönnen
ancf) l^ier fel^r wo^^l , wie bie liparijd^e ^yelbgemeinfc{}aft felbft , 3u=
gteid^ atä 5lu§flu6 ber friegerif(^cn Drganifation ber ©emeinbe be=
trac[)tet toerben. — ^a, tocnn bie ©l)ffitien in ber ©eftalt, in ber
fie un§ auf Sipara unb ßreta fotoie in Sparta entgegentreten , eine
allgemein borifc^e ober gar alt:^ellenifcf)e ©inrid^tung überf)aupt
getoefen lüären — mie man feit Dtfrieb 3Dflüüer üielfad^ angenommen
t)at — , bann mürbe man allerbingä berecf^tigt, ja genöt^igt fein, 3u=
mal für bie 2anbf(^aften , bie fid) nic^t in ber 3ttiang§Iage ber ge=
nannten ©emeinben befanben, ein ©nifte^ungSmotit) allgemeinerer 5lrt
jur ®rflärung ]^eran3U3te{)en, tüic e§ eben bie loirtfc^aftlicf^en S3er-
bältniffe barbieten mürben. 2lIIein ift für jene 3tnnal)me auct) nur
ber S (Ratten eines SöetoeifeS erbracf)t?"
Sd)liefelicf) toeift ^ij^lmann aucC) bie Sd^Iüffe, toelcfje manche
iyorfcf)er auö ber ©igenart ber fpartanifc^=fretifc()en ^Igrarüerfaffung
auf ein communiftifc^eä 2lgrartt)efen ber 3Sor3eit machten, al§ un=
begrünbet 3urücf '. ®§ ift inSbefonbere eine , burd^ bie un§ 3U ©e=
böte fte^enben tbatfärfjlicf)en 2lnl^alt§puntte - nidjt geredjtfertigte, Dor=
fdf)neüe Sefjauptung , ba^ bie fpartanifcf)en i^teren (.^offtelten) ficf)
nad£| ben rectitlic^en JBeftimmungen, iceld^e für fie gelten, aU ®taat§=
leiten crmeifen^ 3fn ber mobernen 3tuffaffung beS fpartanifäien
ßönigtbum§ aU eine§ oberften Stegulatorö be§ 2öirtfcf)aftäleben§ er=
blicft ^pöl^Imann * lebiglid) „eine gfortfe^nng ber antifen Segen ben=
bilbung über ben focialen 3[llufterftaat Sparta. 2lud^ ba^j ]§at jene
3tuffaffung mit ber antiten Segenbe gemein, ba'Q fie biefelben 308^
meldte ba^ tjon ber focialen 2;:^eorie gefd^affene Silb eine§ ibealen
Staate^ 3eigt, in ba^ Seben 2lltfparta§ l^ineinträgt. Senn betou^t
ober unbettu^t :^at l^ier ganj unöertennbar ber platonifd^e ©e=
1 «Pbl^tmann a. a. O. 6. 78 ff. 2 g^jj,, @_ ßS f.
ä gbb. S. 93. ■• (&bb. S. 99.
256 3)tttte§ Kapitel. S)a§ ^riüatetgentfium olä fodale 3fnftitutton.
je^eSftaat öorgejc^toeBt, ein ©taat, hex in ber S^at auf bem ^rin=
dpi löeru^t, ba% jeber feiner Sürger, ber am oaterlänbififien SBoben
einen Stntl^eit erl^alten, benfelben aU etttiaS ber ®efamt{)eit ®eprige§
3U betvad)ten I)abe". —
8. t^affen tüir bie grgebniffe unferer S)arlegung in irenigen
©Q|en sufammen:
(Sr[ten§: ^ie Unteridjeibung jtrifc^en ^^ijc^er^, Säger^
|)irten=, 5IcferbQU=, 3nbu[trie= unb i^anbelSöölfern mag tmmer=
^in geeignet fein, bie berfd)iebenartige fpecififd^e 3Soüfommen=
^eit be§ tüirt|d)Q[tIic§en i^ebenS jum 5Iu§brurf ju bringen
unb nac^ ber 5Irt ber ^probuctiongöer^ältniffe eine geiüiffe 5(6=
ftufung ber öfonomifc^en (Sniraidlungagrobe barfteüen. 5IIIein
bie 5tnnQ^me, bop jene Unterfd)eibungen in bem ©inne ^ifio=
rif(i)e 2Birt)d^aft§[tufen be^eic^nen, baß ade 33ölfer biefelben
(Snttt)icflung§[tabien mit 9Zot§iüenbigfeit burd)laufen mußten,
fonn Weber au» birecten 3eugii[jen nod^ burd) bie öergteic^enbe
®efc^id)t§met§obe no6) hnxä) irgenb lüeli^e Sernunftfdilüffe er=
n)iefen tt)erben.
3tt)eiten§: bereits bie ölteflen ge[(^i(^tüc^en 5kd)=
richten weifen auf fefte 51nfiebelung unb 5(derbau ber in ber
Url^eimat be§ DJ?enfü^engefd)Ied)te§ jurüdgebliebenen Sßötfer f)in,
ebenfo wie fie jeigen, ba^ nic^t nur an beweglidien 2)ingen,
fonbcrn auä) am ©runb unb 33üben in ber grauen 23oräeit
5priöateigentf)uni beftanben ^aU. @§ ift alfo Dom f)iftorif(i^en
©tanbpun!t au?) un^uläffig, ha^ ßoHectiöeigent^um al§ eine
@igent^um§form ju bejeic^nen, bie bei allen 33ö(!ern eine
not^wenbige unb lange 3fit bauernbe 2)urd)gang§[tufe jum
inbiöibuellen ^priüateigentljum gebilbet 1:)aU.
drittens: 2Ba§ bie ©tttmme betrifft, welche bie Ur=
^eimat unfere» @efd)Iec^te§ öerließen ober in fpätern 3eitc"
bur(^ 33ölfermanberungen jum ?Iuffu(^en neuer SBo^nfi^e ge=
ätDungen rourben, fo bürfte meift bie erfte Dccupation be»
5infiebe(ung§gebiete§ burd^ 'btn ganjen ©tamm a(§ fol(!^en er=
3. Urfpr. b. ®tgcntliutn§ naä) b. banti.=foc. ©ODlulionetl^eorte. 257
folgt fein. Sn einzelnen fallen mag and) bie f^elbgemein=
fci^oft nod) längere ^t\t naä) ber 5(nfiebetung, mitunter biel=
leicht fogar mit periobifc^er 9?euöert^eilung be§ SanbeS, fDrt=
beftanben fjaben ^. 5iIIein bei einzelnen ^iomabenflämmen jeigt
fidö auä) ba§ ^riöateigent[)um (ber Snbiöibuen ober ^yamilien)
lofort unb unmittelbar, ol^ne Saämifd^entreten eine§ @tamme§=
eigentf)um§, fobalb ber Uebergang bon ber SBeibeiüirtfd^aft
5um feften 5(cferbau fic^ tjoüjiefjt. 5Inbererfeit§ aber löfte fid)
ba§ ßoUectiöeigent^um — mo e§ beftonb — berl)ältnißmä^ig
rafc^ in einen 3ii[if^"^ 'i^it ^ribateigentfjum, menigften§ an
ber |)Dffiätte, ouf.
23ierten§: 2öo immer jeboc^ bos ©emeineigent^um ben
6^ara!ter einer bauernben (äinrid^tung annahm (j. 33. im
inbifdien „günfftromlonbe", im ^anbf^ab), ba föurbc eine
pöere Sulturftufe nic^t erreid^t. ^icfe Sfiati'ac^e, melci^c öon
ben Süolutioniflen nic^t beftritten mirb, legt nun offenbar ben
<Bä)luTi nafje, ba^ gerabe in bem SoHectiüeigent^um ein
^inberni^ ber naturgemö^en (Snttüicflung ju ^öfjerer Kultur
erblicft merben mu$. —
2)a§ fü^rt un§ jur rid^tigen 5(uffaffung bom Urfprung
be§ ^ribateigent^umS ^.
> 3lojd^er (®#em ber »omtoirtfc^aft II, 231) I)ält frciltd^»,
toie bereite gefagt, bie periobifd^e Dleuüertfieilung be§ SanbeS für ein
allgemetneg ^rtncip ber foctalen (SrittoidEIung , für eine befonbere
Sulturftufe jwifc^en htm Jlomabentl^um unb ber feften Slnfiebelung
mit ^riüateigent^um.
2 Stnbere gut Segrünbung be§ ^ribatetgentf)um§ aufgeftettte tl^eils
irrige t^eil§ unsulänglid^e S^eorten fönnen mir ^ier füglid^ über»
gefien, ba fie äum %t)dl burc^ bie Sßiberlegung ber Segal=, Jöertragö-
unb @DoIution§t^eorte mitgetroffen toerben , jum %i}til, tote bie 2t r=
beit§t:^eorie (ßodEe), fpäter berüdEfi(f)ttgt toerben, jum S^^eil enblic^
QUdö D^ne SSiberlegung fofort aU l^infällig fid) ertoeifen. ©o ^t man
3. 93. ba§ ^Priöateigentl^um allein au§ ber 5ßerfönlic[)feit be§ 3[Renf(§en
„natürlid^" ju erllären Derfud^t (^Jicfite, Stat)!, SSIuntfc^ü). S)ie
258 S)rttte§ Kapitel. S)q§ ^riöateigent^um aU fociale Sinftitution.
4. pic f ntfic^ung unb ^cgrunbung bes "^rbafcigenf^tttttö
1. SÖenn 9iobbertu§ Dom «Staate jagt: „9tic^t bie
©(i)öp[ung, fonbern bie ©efc^ic^te t)at i^n gejc^affen" i, fo
!ann man mit bem gleichen 9tedöte unb ber gleichen 53e=
fd^ränfung ba§felbe an6) öon bem f)eutigen ^riDateigent^um
behaupten.
2)oß A jenes ®runb[tücf itnb B bie[e§ ®runb[tüc! aly
fein ©igen befi^t, ha^ ber eine über gro^e 9tei(i^tf)ümer t)er=
fügt, ber anbere nur über wenige S)inge, — ba§ unb ü^n=
Iici)e§ ift o^ne 3ttJeifeI "ii^t unmittelbare^ ^prübuct ber 51atur,
fonbern fü^rt ficb auf |3ofitiöe 3;^atfad)en äurürf.
5Iber nidjt blo^ bie 33erhTÜpfung beflimmter (Sinjelbinge
mit beftimmten einzelnen ^erfonen ift ba§ (Srgebni^ pofitiöer
S^atfac^en, — aud^ ber befonbere ßljaratter ber @igentf)um§=
orbnung, bie befonbere ©eftaltung unb gorm, meldie ba§
(Sigent^um§red)t bei ben berfd^iebenen 33öt!ern unb in 'tun
fid) folgenben ©pod^en ber ©efi^icbtc in ber ®efe|gebung unb
im 2thtn erljält, — ift ^robuct Ijiftorifd^er ©ntraidlung. ^ie
mtnläjüäjt 5PerfönIid^!eit bebürfe 311 if)rer iDirtf(|aftn(|en 33etptigung
einer §errfd^aft über ©ac^güter. 3tf)er mit biefem imöoüftänbigen
mtb ungenauen SBetreife läfet fid^ bie ®igent!öum§inftitution nicf)t gc=
nügenb ftü^en. — ®ie Dccu:t3ation§tf)eorie, toeldie ba§ !prit)at=
eigenttjum auf ben Söiüenäact beffen, ber bie ©a(f;e äuer[t in SBefi^
na^nt, äuvücffü^rt, t)ertoe(f)]'elt ben ©igenf^umSetluerb mit ber @igen=
tt)um§inftitntion. — Sie i)eute beliebte ©rtlärung be§ föigent^umö
au§ ber IReöitäenttoidEIung unb au§ feiner Sloedtnäfeiö^^it (f)iftorifrf)=
5fonomif(f)eS:^eDrte) trifft tl^eiltüeife mit ber im folgenben be=
l^anbelten tt)iffenf(^aftlid)en @üoIution§tf)eorie äufammen, ift aber
5urüdEäuiDeifen , fotoeit fie fic^ auf ben tciffenfc^aftlid) unhaltbaren
^3ofitiöiftif(%en ©tanbpunft beS §iftoriömu3 unb UtiUtariömuS fteüt.
* ©riefe unb focialpolit. Stuffä^e, l^erauögegeben bon Dr. 91. 9Ji e ^ e r
II, 519.
4. 35a8 !prtüateic3entf)mn naä) b. lüifjenfd^. ©öoIutionStl^eorie. 259
römi[(^=re(?^tli(i^e ßigent^umsorbnung Befi^t offenbar ein Qnberc§
©epräge rvk bie beitt|d}=red)tlid)c, unb bie ©igent^umSorbnung
ber 3"^unft iüirb oljne 3^fiffl M) in nmnd^en 5|3unften bon
ber (Sigent()um§Drbnung ber gegenwärtigen (Jpodje nnterfd^eiben.
t^ierin geftef)en toir ber ©efc^ic^te einen fe^r bebeutenben @in=
flufj auf bie 51u§geftaltung ber ßigent^umaber^ältniffe 5U.
^06) met)r! 5(u^ boS ^riüateigentfjum qI§ feciale Sn=
ftitution ifl in tüeitem Umfange ^iftorifi^ geworben, obraof)!
wir nid}t an eine böüig eigent^umSlofe Urjeit ju glauben
Vermögen. Siaß inabefonbere bie 5(u§bi(bung be» ^riüat==
eigentf)um§ am ©runb unb ^ßoben ni(f)t überall gleid^ fd^ncK
fic^ öolläogen, bielme^r oft al» gruc^t einer längern unb
bcrfc^iebenartigen (Sntwidlung erfc^eint, trirb bon un§ burd)au§
nic^t in 5Ibrebe geftellt. 2So immer inSbefonbere ein mirflid^
auSreic^enber 5Beiüei§ für urfprüngtic^e§ (SoKectibeigent^um be§
Stammes u. f. w. am Soben erbrad}t wirb, erfennen wir
ba§felbe ol^nc jcbeä S3eben!en an.
5iIIein wir beftreiten, baß ba§ ^riöateigent(}um, wie feiner
gorm unb ©eftaltung, fo oud) feiner ©riftenj unb feinem
wefentlid^en ^n^alte nad^, lebiglid^ wilüürlidien unb rein
^iftorifd}en Itrfad^en jusufdireiben fei. (5ine @inrid)tung, bie
fid^ auf ber ganjen SÖelt, bei allen 33ö{!ern finbet, bie burd^
feinen 2Bed)fe( ber Seiten unb ber 5Infd)auungen bauernb er=
fc^üttert äu werben üermag, bie überall bei §unef)menber ßultur
tiefere SBurjefn fdilägt, — eine berartige, bauernbe unb aU^^
gemeine ^nflitution fann nic^t in ber SBillfür be§ DJJenfd^en,
in ber äufäüig obfiegenben (Sewalt ober §abfudjt einjelner
ober bieler ifiren ©runb befifeen, nic^t (ebiglid) unb aüein in
ber bloßen I}iflorifd}en ßntwidtung i^re genügenbe @rf(ärung
finben. 2Bir werben bielme^r i^ren tiefften (Srunb in bem
äu fudien ^aben, tüQ§> unter ben bcrfcEiiebenften 33erf)öttniffen
unb in bem SBanbel ber Seiten not^wenbig ift, einzig unb
allein S)auer bcfi^t unb immer unberänbert wir!t. 2)a§ ift
260 S)ntte§ Kapitel. S)a§ ^Priöatetgent^um aU focialc ^uftitution.
ober nic^t§ anbetet al§ bie bernünf tige ^ienfc^ennotur.
66en barum nennen mir bie bon un» bertretene Se^re:
raif jenf(^a[tnd)e @öDlutionÄtf)eorie. 2)enn „äßiifenfdiaft"
i[l bie fictiere (Srlenntni^ ober (SrÜärung ber (Sri'cEieinungen
unb SDinge qu§ ifirem ©runbe. 8ie operirt nid)t mit Srautnen
unb tt)ill!ürlict)en S)eutungen, jonbern mit ermiefenen %^aU
fad^en; fie forfc^t überbie§ nad) ben Urjndjen unb
(Srünben ber t^atfäcblic^en (Srfcbeinungen unb ru^t erft in
ber (SrfenntniB be§ legten unb I;ö duften ®runbe§.
5Dte 33ebürfni[je unb Sriebe ber menfc^Iit^en, inbibibueüen
unb focialen 9lütur, bie ©rforberniffe unb 53ebingungen einer
nuffteigenben (5ulturenttt)icf(ung , bie oüeS biefe§ erfennenbe,
beurt^eilenbe, abwägenbe 3]ernunft, — ba§ finb in ber %^at
©rünbe, meldie e§ erflärcn, ha^ ba§ ^ribateigent^um ben
ßljaratter einer [ociolen @inri(!^tung annafjm unb annef)men
mu^te, ba§ [inb bie t^unbamente ber (5igentf)um§in[titution,
me(d}e biefelbe qI§ eine naturrec()tltd)e, b. i). im 33er=
nunftredite begrünbete, @inridt)tung erfi^einen laffen. 2)enn
alle jene Elemente füljren [id) f^Iie^lid^ auf ben äBiüen beffen
jurüd, ber bie bernünf tige 53^enf^ennatur gefd^affen l)at, mit
ifiren leibüd^en unb geiftigen, inbibibueüen unb jocinlen 33e=
bürfniffen unb 5lnlagen, mit ber gä^igteit unb bem SBerlangen
nadb cultureüer (Sntmidtung. @§ i[t ber bentenbe ®ei[t in
un§, ber in bem Urheber ber menfd)Iid)en 51atur anä) ben
ljöd;[ten @e[e|geber ber menfc^^eitlidjen ßbolution unb in i^r
unb mit i^r ber ©igent^umsinftitution erfennt unb bere^rt ^
' SSgl. iJranä SÖalter, ®a§ ©tgentf^um imd^ ber Se^re beä
1)1. Zijomai Don Slquin unb beä Sociali§mu§. ©etrönte $reiöf(f)rift
(^reiburg 1895) ©. 9: „Qä ift md)t ber 6toat, jücf)t ber 5öertrag
ber auö bem S^aturäuftanbe jur bürgerli(f)en ©efell)d)aft 3ufammen=
getretenen lülenfd^en , ber ba^ (iigent^um jc^afft, jonbern ber SBitte
be§ I)b(|[ten ©efe^geberg." — ©attirein (ÜJtoraIpt)iIofop]^ie
II, 223) nennt bie öon uns Vertretene 3;f)corte bie 5fDnomifd)=
4. ®q8 5prit)ateigentl)um nad^ b. toiffenfd^. ®t)oIutton§tl^eone. 261
2)iefe moralifcfie öerecCitigung unb ^iot^toenbigfeit be§
^^^riüateigent^um§ für ben 53ienfd^en unb ba§ menfd^lidje ©efeü^
fd^aftSleben genauer ju erweifen, föirb unfere nö(|[lc 5tufga6e.
©rünbet fi(^ bie (5igent^um§inftitution in ber %f)üt le^tlic^ auf
bie üernünftige 5JZenfd^ennotur, bann ift fie feine bloße „(Stoppe
ber ^iftorifdien (Sbolution", feine öorübergel^enbe (5nttt)iifhing§=
pfjofe in ber ©efd)i(^te ber 33ölfer. ©ic föirb bielniefir i^rem
lüefentlidjen ^nfjalte nad) bleiben, folange e§ ßulturbölfer
gibt unb folange ber 9]ienfd) feiner bernünftigen 'Tiatur gemä|
o(§ bernünftige§ 2Befen ^onbelt.
2. 8eo XIII. fteüt in ber @nct)f(ifa Rerum novarum
über bie ?lrbeitecfroge ben ©afe auf: Possidere res pri-
vatim ut suas, ius est homini a natura datum — „®a§
Ütedbt 5um 23ef{^e pribaten @igent^um§ ^at ber Wtn\6) öon
ber Dhtur erljalten." ^
O^nc ©d)toiertg!eit föirb man fidb öon ber äöal^r^eit
biefer Se^auptung überjeugen tonnen, trenn man fornoöl
bie 5^atur be§ Dl^enfd^en aU aud) bie natürlichen Söe=
noturred^tltd^e; [te fieJ)t „ba§ 5Prit)ateigcnt!^um tüenigftenS auf
()Df)ern (Sulturftufen unb innei1)atb getolffer ©renjen qI§ not^toenbig
an für bie erforbcrlic^e SntttndEIung foiüo:^! ber einjelnen ^nbiüibuen
unb iJatnilten aU ber ganjen ©efetlfc^aft uub barum aud) , unter
33orau§fe^ung ber SOlenftfien , tüie fie nun einmal finb , aU eine
notl^toenbige 35 ernunf t§orbnung". — ®iefe Sl^eorte unter»
fc^eibet ftrf) alfo toefcntlicf) üon ber „rein ötonomifcficn S^eorte",
uicl(f)e ba§ ?prit)atetgent!^um nid^t al§ notl^tDcnbig, fonbern 161 ofe
aU nü|Itdj unb 3tüedEmäfeig, uub jtüar lebiglic^ aU für bie al&=
fepare 3ufunft nü^Iid) Ijtnftellt. 2t. ti. (Sd}äffle, ber übrigen^
feine Stnfidjteu oft änbert, fann al§ ein 33ertreter le^terer S^eorie
gelten.
» DfficietTe (^crberfd^e) 2Iu§gabe ©. 10 (bejit). <B. 11). — S)ie
ße^re ber großen S^eologen über @igentt)um§red;t turj äufammen=
geftefft finbct fic^ bei ^itje, .Kapital unb 5trbeit («ßaberborn 1880)
®. 133 ff.
262 ®titte§ Äapitel. ©a§ ^riöoteigentl^um aU fociale ^nftitution.
bingimgen, ben notürlid^en ^md be» ge)en]d^Qft(id)en SebenS
in§ 5Iuge fn^t^.
®ie naturrecJ^tlic^c 5ßegtünbung be§ ^ribateigent^um» er=
gibt fid^
@r[ten§: qu§ ben @e[e|en ber menfd^ liefen DZatur,
wie fie logijd^ unb factifd^ bor jeber [taatlid^en ober ©tomme§=
gemeinjc^af t , alfo nuc^ Dov jebem iiofitiöen ®emeineigen=
t^um beflefit unb beftonb. golgt aber qu§ ben ©efe^en ber
inenjd)nd&en 9iatur bie 23ered)tigung be§ ^riDoteigentl^umS, fo
tüürbe bie bauernbe (Sinfüfjrung be§ gefedfc^aftlici^en 6onectiD=
eigent^um§ aU naturraibrig fid) barfleüen, unb gmar um
fo me^r, je tt)eniger boSfelbe geeignet i[t, ben ^tnfprüc^en,
bem Sriebe, betn 35erlQngen ber 9latur 5U genügen. Sorcuä
t). ©tein ^at im -Spinblid auf bie ©ried^en, Stalifer unb ®er=
manen bie ^öemerfung gemacht ^i „3n itinen lebt ein n)unber=
barer Srieb, beffen SBefen e§ ift, ^a^ i^nen niemolS unb auf
feinem ©ebiete if}re§ Men§ ha% genügt t)at, tt)a§ fie l^atten.
©tar! finb fie in ber 33ert^eibigung beffen, tt)a§ fie be=
fi^en; aber raft(o§ flreben fie weiter, Unbefanntem ent=
gegen, ©olange fie eine (Befdbit^te ^aben, ift eS, al§ ob bie
(ärbe fie ni^t ru^en liefje, bi§ fie fie ganj befi|en unb ge=
niefeen. 5Uic^ anbere 58ölter ^aben gro^e SBeÜjüge unb @r=
oberungen oufsumeifen. 5iber jenen toar @ine§ gemein. Sei
i^nen genügte e» nictit, ba^ ber ganje 33oIt§ftamm ein 2anb
gett)ann. <Sie moüten bon bem ©eraonnenen für jeben
©ins einen einen feften ifjm gehörigen ^ntt;eil. ®er
ßinjelne mit feiner ^raft unb feinem ^efi^e föar ba§ 3'^^
be§ ©anjen." @§ mag ha?> Streben nad) inbiöibuetler
@rtt3erb§felbftänbigteit bei ben genannten 33ö(terf (^af ten
* Ucber @tgent:^um unb übernotürlid^e Offenbarung bgl. i5 r a n 3
Söalter. ®a§ gtgent^um (gfreiburg 1895) ©. 29 f.
- 3)te brei fragen beö ©runbbeft^el unb feiner Su-fu^ift (@tutt=
gart 1881) ©. 41.
4. ®a« !prit)atei9entl)uin nad^ b. tüijfenfd^. ®t)oIuttonätl)eoric. 263
in 6e[onbet§ fd^arfer 5tu§prQgung erfcä^einen, im übrigen aber
ift e§ innerfjalb ber redeten ©c^ranfen ein ©emeingut ber
menfci^Iicben Diatiir bon Anfang an gemefen imb l^at balb
[dbneüer, balb in langfamer (Snttüidlung bay ^rioateigent^um
ju einer bauernben @inric!^tung be§ ge[ell[c^aft(i(^en Sebenä
gemacbt.
'^er 9}ien[d) ernennt \\d) ber materiellen 295ett gegenüber
bnrd) ®otte§ 2Öort unb bie i^m Derlierjenen ßigenfdöaften unb
Gräfte ol§ .^errn ber (Srbe. ?l[(e§ in i^m unb um i^n brängt
jur 9teüli[irung biefer §err)df)aft; öor aöem
a) ber 2 rieb unb bie ^füdEit ber ©elb[terf;al=
tung. Um fein Seben §u erl^aUen, bebarf jeber SJienfd) ber
äußern @üter. S[t nun bie @e(b[ter^altung eine natürlicbe
^flic^t für ben 9)^enfd)en, wie niemanb beftreiten fanu, fo
ftef}t ebenfo unäföeifelfjaft jebem ÜJIenfdjen ein natürlid)e§ Dtec^t
auf @r^a(tung§mittel ju. ^enn mo^u ber ^}?enfd^ eine ^\{\ä)t
fjat, baju ^at er aud^ ein 9tedbt. '^k ^flic^t unb ba§ iRed^t
ber ©elbfter^aÜung fd^tie^t barum aud) bie ^flid^t unb bo§
9ied)t, bie notfilüenbigen ©rf^altungsmittel 5U ermerben, ju
befi^en, ju bermenben, in ficb ein. ®iefe ©r^altungSmittet
aber finb äum großen Sf^eil bon einer folgen natürlichen
SBefd^affentjett, ha^ fie nur einem allein unb jmar au§fc^Iie§Iid)
bienen tonnen. <Boii für bie ßr^attung be§ DJ^enf^en in einer
bernünftigen Sßeife gcforgt werben, fo mu^ er alfo audj ba§
äted^t fjoben, anbere bon bem (Sebraud) jener S)inge an^'
5ufd^(ie|en, roe(d)e i^rer 5iatur nad} nur einem allein bienen
tonnen. ^a§ 9tec^t, anbere bon ber <Sac^e au§äufd)(ie^en,
niad^t aber, wie oben au§einanbergefe|t mürbe, gerabe ba§
2Befen, bie ratio formalis, be§ ^ribateigent^umS aw^.
@a folgt fomit unläugbar aus ber DIatur be» 9)?enfd^en
unb ber 9latur ber materiellen 2)inge jugleid^ für ben
5J?enfd^en '^a^ 9ted()t, ^ribateigent^um ju ermerben unb ju
befi^en.
264 S5ritte§ ßapitel. S)a§ «PfiDateigent^um aU fociale Sfnftitutton.
%htx — fo tüenbet man ein — jugegeben anä), ha^ au5
ber ^flici^t unb bem 3te(^t, ju leben, ein @igent^um§re(^t on
jenen 2)ingen folgt, bie if}rer notürlid^en S3e)c^rän!t^eit megen
blo^ einem allein bienen fönnen, mürbe jenem 9ted}t unb
jener ^pflid^t ni(t)t öoüftänbig genügt, menn ber einjehie 5[)?en[cö
\\ä) jebe§mal nur gerabe fo biet aneignen bürfte, aU er im
^ugenblicfe benötf)igte? 2Bo aber finb bie ©rünbe bafür, ha^
ber Tltn\ä) 5ßorrät^e bon ©ütern aufhäuft, öon benfelben
bauernb aUe anbern au§f(^Iie^t, ja fogar ficb ba^u berfteigt,
ben ©runb unb ißoben in 5)3ribateigent()um ju bermonbeln?
tiefem ßinmanbe fommt 2eo XIII. jubor, inbem er
b) au§ ber S3orau§f id)t unb bem 25orbebacf)t, al§
natürlid()en 5ittributen bc§ bernünftigen 5}?enfc^en, bie
5iotf)menbig!eit unb ^Berechtigung bouernben ^ribateigent^um§,
fpecieti auc^ am ©runb unb Soben, T^erleitet:
„@§ tritt, Uiie in anbem S)tngen, fo aud^ l^ierin ein toefenttid^er
Unterfc^teb ätoifdjcn SOtenftf) unb %i)ux t)eröot. S)q§ Sfiier befttmmt
fiiä^ nic^t felbft, fonbern toirb burc^ ben boppelten Snfttnct feiner
S^iatur geleitet. Serfelbe befc|ü^t feine 93ermDgen, er förbert bie ®nt«
ipidffimg ber .Gräfte, er erregt unb beftimmt beren 58etl)ätigung. 3n=
bem ber eine 3rnftinct ba§ Sfjier jur ®elbfterl}altung treibt, befttmmt
eS ber onbcre jur S^ortpftanjung be§ ©efd^tedEitS. gür beibe§ aber
tft e§ auf ben engen 23eretd§ beöjenigen, icaö il^tn gegenwärtig ift,
angeluiefen, eine ©renje, über loetd^e e§ nicC)t l^inougfommt , wetl e§
nur burd^ ha^ finnlid^e 9]ermögen unb burc§ ©inseleinbrüdte be]^errf(|t
luirb. — 2öeit baüon öerfd^teben ift bie Dktur beä SlJlenfc^en. 3fn
tl^m ftnbet fid^ etnerfeit§ boS 2öefen beö Stl^iereö in feiner ©anjl^eit
unb aSoQfominenbeit, unb fo befitjl er toie biefeä bog Sßermögen finn=
liefen ©enuffeg, aber feine Statur 9ef)t ni($t in einer tbierifd^en auf,
mag man fidEi le^tere noi^ fo ocröolltommnet beuten; er erl^ebt fid^
bod^ über bie t^ierifdf}e Seite feiner fetbft unb mad^t biefe fid^ bienft=
bar. 2Ba§ ben SDtenfd^en abelt unb if)n 3U ber tf)m eigenen SGßürbe
erl^ebt, ba§ ift ber Vernünftige ©eift ; biefer Verleibt i^m feinen 6ba=
rafter aU 9Jlenfc^ unb trennt i!()n feiner ganzen Sßefenbeit nac^ vom
S^biere. Sben lueil er aber mit 33ernunft auggeftattet ift, finb tbm bie
irbifd^en ©üter nic^t 3um btofeen ©ebrauc^e anbeimgegeben luie bem
4. S)aö 5PriüateiscutI)um mä) b. toiffenf(|. eüolutioitst^corie. 265
%l)iin, fonbern er t)at ^lerfönlidjeä SSefi^red^t, SSefi^vecfit ni(^t Blofe
auf Singe, bte Beim ©ebrauc^e üerjel^rt toerben, fonbern audf) auf
foIcf)e, toclc^c nac^ bcm ©ebrau($e befleißen bleiben.
Sine tiefere ^Betrachtung ber Dlatur be§ 9Jtenf(f)en Ielf)rt biefeS
ganj ftar. — S)a ber aJtenfd^ mit feinem ®en!en unjätjüge ©egen=
ftänbe umfaßt , anä ben gegentoärtigen bie 3nfünftigen erfd^Iie^t unb
§crr feiner §anblungen ift, fo bcftimmt er unter bem etoigeu ©efe^e
unb unter ber aütüeifen Jöorfe^ung ©otteS fic^ felbft nadt) freiem ©r^
meffen; eö liegt barum in feiner 3D1ac^t, unter ben 2;ingen bie SBa^I
ju treffen, bie er 3U feinem eigenen 2Bof)fe ni(i)t allein für bie ©egcn»
tcart, fonbern aud) für bie gufunft qI'j bie erfpriefelicfiften eracf)tet.
§ieraus folgt, bafe e§ 9ied)te auf f erfönlicEien Sobenbefi^ geben mu^ ;
eg muffen üled^te eriüorben toerben fönnen nici)t blo^ auf ©igentl^um
an ©rjeugniffen beä S3obenö, fonbern aucf) auf ®igent^um am SSoben
fclbft. SGßaö bem 3Jlenfc§en nämlic^ fixere 2tuöficf)t auf fünftigen
Sfortbeftanb feine§ Unterl)altcö üerleii^t, ba§ ift nur ber SBoben mit
feiner ^^ProbuctionSfraft. Sfmmer unterliegt ber 9)ienf(ä) 33ebürfniffen,
fte toedifeln nur i^re ©eftatt; finb bie f)eutigen befriebigt, fo ftetten
morgen anbere if)re Stnforberungen. Sie 9latur mufe bem 2Jienfd^en
bemgemäfe eine bleibenbe, unüerfieglic^e OueÜe jur 23efriebigung biefer
Sebürfniffe angetoiefen f)aben, unb eine foI(f)e Oueüe ift nur ber
SSoben mit ben ©oben, bie er unaufhörlich fpenbet." ^
SBöfirenb bQ§ 2:I)ier mit bem ©enufe gegenmörttger ©üter
iid) begnügen mup, bemi^t ber 9}hn[c^ bie 3ii^unft, beren
i^orberungen unb Sebürfniffe. (Sr mei^, baB er feiner|ett§
auf 5u!iinftige Sebürfnifje 9tü(f[{(i)t nehmen fann. Sa er
erfennt in biefer §Qf)igfeit einen Ijo^en ^ßorjng feiner ber»
nünftigen 9iatur, eine 5leuperung ber menfi^^Iidien SBürbe.
(Sben bie bernünftige ^atur offenbart e§ \i)m ferner al§ eine
{^orberung ber 5?(ugf)eit, bafe er bon jener ^ü^igfeit,
foraeit er !ann, ©ebraud) mü(^e, fein 53efte^en nad) ÜJiögüd)«
feit ntd^t im ungetüiffen laffe. 2)arum fü^It ber Tlm'iä) \\ä)
mächtig bur(!^ feine bernünftige 5^atur gerabeju angetrieben,
feine 3utunft fi^er ju fteüen. 2öie aber foüte er bie§ beffer
> ©nc^üifa über bie Slrbeiterfroge (Officieße Stu^gabe, S^reiburg,
Berber, 1891) ©. 12 f. beäto. ©. 13 f.
266 S)iitte§ ßat)itel. ®a§ 5prit)ateigent^um aU foctole Stnftüution.
löimen qI§ boburci^, bo^ er einen SSötrot^ bon ©ütetn bouernb
mit 3tu§fc()Iu^ anbetet be[i|t? tüie beffet üU getobe bur(|
flabilea @igentt)um am ©tunb unb ©oben? ^aum bebarf
e§ voof)l eine» Semeifeä, bo^ bie 23etnun[t, bie ßlug^ett ben
9)Zenfc^en antreiben muß, nun auci) in bet Sliat für bie
3u!unft in gebat^tet SBeife ^^ürfotge ju tteffen.
23Ii(fen mit nur §in auf ben 2Bed)fe( be§ @Iü(fe§, bem
bet ÜJ^enfii) in feinet <Bd)\oää)t untetliegt. ^tan!(;eit, <Bä)\d=
fatafd^löge mannigfac^et 5ttt fönnen i^n treffen, i|n nieber=
beugen unb ben augenblidlii^en @tmetb bet @t^altung§mittel
fe{)r erfdiroeten, bieüeid^t unmöglich mad)en. 2Sa§ mürbe au§
il}m, menn er ni(|)t bauernbe§ (äigent^um an 2)ingen
ermerben fönnte, bie in ber S^it '^^^ '^oii) i^n am Seben
erf)ielten? 20ßa§ mürbe au§ it)m, menn niemanb fid) biefeä
3fted)te§ erfreute, niemanb über einen SSotratf) bon ©ütern
berfügen bürfte, au» beren Ueberflufj er ben not^Ieibenben
S3rübern ^ilfe ju gemötiren bermöc^te? ^
33Iiden mir I)in auf bie 2Be(t, bie @rbe, bie una als
^eimftütte angemiefen. 9Jkn mag bie 5^atur !arg ober frei=
gebig nennen, jebenfans mec^felt ber 9ietd)tl}um i^rer ^robucte
gar feljr, ift bielfac^en 3u[öüigteiten untermorfen. ©ie bietet
nid^t äu feber 3eit unb an jebem Orte jene f^ülle bon ©ütern
bar, beren mir jur ©rfjaüung unb 5ßerboflfommnung unfere§
Sebena bebürfen. 3n§befonbere bebarf ber ©runb unb SSoben
ber fort gefegten unb ^öd)[t forgfältigen Kultur, menn
anber§ er bie gur bauernben ßrt)altung, ©ic^etung, S5et=
boütommnung be§ 2eben§ not^menbigen ©ütet r)etbDtbtingen
foK. 2öet abet moüte afle jene 9J^üt)cn, jenen fjo^en unb boc^
fo unetlö0lid)en ®tab bon ©otgfaft auf bie Pflege eine§
1 ®er ©iutoanb, baß ein SSorrat!^ im ge jelUc^af tlid^en
©tgentl^um [te{)enber ©üter genüge, toirb fpäter nod^ auöbrüdlid^ burdf)
Surüdtweifung beä ®efeEfc|aftöeigent:^um§ im ©inne be§ ©ommuniä»
mu^ unb (Sociaüömuö erlebigt.
4. 2)aö ^rit)ateigeiitl)um m^ b. toincufd^. ®üoIutioii§tf)eorie. 267
5lc!er§ bermenben, bon bem er tüeiß, bo^ berfelbe in hitäer
3ett bieüeirf)t ifjm genommen merben bürfte? 5iein, o^ne
[tabile» (Sigentfjitm an ^kunb unb 53oben tüirb ber ^en[(§
bem Soben nic^t bie äur (Sultibirung imb Sßerbefferung bc§=
[elben not^menbige (Sorgfalt unb 5RüI)e angebei^en Ia[[en.
O^ne befonbere ©orgfalt unb 9)iü^e aber liefert ber tiefer
!aum ba§ für bie ©egenmart 3^otliit)enbige , gefrfjtüeige benn
jene Ueberfd)ü[fe über ben gegenmärtigen 53ebarf, meldie
gegen 5u!ünftige fyälle ber 5^otf) ©idierfjeit ju gewähren im
ftanbe finb.
2)a§ Sigentr^um an einem bauernben ©üterborratf) , iny=
befonbere ba» ©igent^um am @runb unb 33oben ala einer
beftonbig fließenben ©üterquelle, ift barum ben natürlichen
unb berechtigten 2Bünfd)en unb trieben ber bernünftigen
5J?enfd)ennatur burdiau» entfprecfienb, — bie naturgemäße
unb befte 3^orm, in meld)er ber men[d)Ii(^e ß-rljaltung^trieb
unb Sßerbolüommnungatrieb [ic^ ©eltung berfc^afft. 5)a nun
bon feiten ber materiellen SDinge einer bauernben 51neignung
berfelben nid)t§ im Sßege ftefjt, mirb alfo ber DD^enfd) in bem
53eftreben, burc^ bauernben @igentf)um fein irbifd)e§ ©ofein
ju fid)ern unb ju berboflfommnen, fo lange in ber 5(u§übung
einer uuätüeifeKjaft natürlichen 9iec^t§befugniB fic^ befinben,
ala er baburc^ fein frembe» 'ifttä)t berte|t.
2)a§ gilt aucf) in§befonbere, ttjie gefagt, mit 9?üdfi($t auf
ben ©runb unb Soben, |)at ber 5JJenfc^ ein 9?ecf)t, bie
t^rüci^te be§ S3aume§ für fici^ allein ju ermerben, fo fle(;t \i)m
nidbt minber bie Sefugniß ju, hm Saum ftc^ anjueignen, ber
bie t^rüctite trägt. 2)enn finb \f)m bie t^^rü^te unentbe^rlici), bann
ift e§ nid)t minber ber Saum, ben er pflegen, befdineiben, be=
gießen, gegen bie -^äüe unb gegen bie Sefd^öbigungen burc^ milbe
St^iere fd)ü|en muB, fofern beffen (^rjeugniffe in 3"^"nft fein
Seben erhalten foüen. Sfl aber ber Saum unentbe^rlid^, bann
ebenfalls ba§ ©tücf 8anbe§, in metd^em ber Saum SBurjeln
^tiä), SiberaCtgmuS zc. II. 2. Stufl. 13
268 ®rttte§ Kapitel. ®a§ ^riöateigcntfium aU foctalc ^nftttution.
geld^Iagcn ^at, auf bem er empotblü^t unb gebeizt. ®ie|e§
Sonb mu^ bebaut, Don ©teinen befreit, gebüngt hjerben,
tücnn id) \md) nicEit ber ©efaljr au§[e^en tüiü, ba^ lä) be§
33aume§ unb bamit feiner t$rüd)te berluftig tüerbe.
@D fü^rt alfo not^toenbig ba§ ©treben m6) ©id^erung
feiner ^i'iftens ben '^ytm\ä)tn jur ?Ineignung nic^t blo^ ber
grüc^te ber @rbe, fonbern auä) be§ ©runb unb 5ßoben§ felbft.
SBoüte i^m femanb biefe§ Sfiedit beflreiten, fo rvaxe bie§ gleich«
bebeutenb mit ber 33er!ennung ber natürlid)en 33efugni^ be§
5J?enfc^en, für feine @rf}altung, für feine ©ntmicflung in einer
ber 95ernunft entfprec^enben 2Öeife ju forgen.
c) .»pat aber ber 5)lenfd) fc^on al§ ©njelraefen gum
3tt)ec! ber ©rljaltung unb gorberung ^ be§ 2eben§ ba§ ^^ä)t,
bauernbeS ^^riöateigent^um ün ben grücfiten ber @rbe unb
an biefer felbft 5U ertüerben, fo fteüt fid) jenes 9led)t nod)
beut(i(i^er bar, wenn toir ben 5}ienf(^en in feiner Sejie^ung
jur S^amilie betrad)ten. SSerne^men n)ir, mie fieo XIII. au§
ber natürlichen Siebe ber Altern ju i^ren ^inbern
einen 58en)ei§ für ba§ ^riöateigent^um herleitet.
„3n SSejug auf bte 2öaf)l beö Se'benSftanbeg ift cö ber S^reil^eit
eines jeben an^^etmgegeben , enttoeber ben ^at^ be§ gbttlic^en §errn
jum ent^altfamen ßeben ju Befolgen ober in bte ®^e 31: treten, ßein
ntenfd)ücf)e§ ©efe^ fann bem 5Dtenfcf)en ha^ natürliche unb ur|prüng=
ü(^e '3itä)t auf bie ®^e entäiefjen; feinet fann ben §aupt3U)ecf biefer
burdf) ©otteö fieiüge 5tutorität feit ber grf(^affuug eingefütirten @in=
ricf)tnng irgenbloie einfrf)ränfen. ,SGßad^fet unb me'^ret euc^.' 3[ftit
biefen Sßorten toar bte gamilie gegrünbet. ®ie Familie, bic puä=
lid)e ©efeüfcfiaft , ift eine tDaI)re ©efetlfcfiaft uttt aüen 9ie(f)ten ber«
fclben, fo Hein imtner^in biefe ©efeafcC)aft ftcE) barflcöt; fte ift älter
aU iegli(f)eö anbere ©etneintnefen, unb bcö^atb beft^t fie unabpngig
üom ©taate t^r innetoo^nenbe ffiefugniffe unb ^Pflicfiten. 2Benn nun
jebem SOlenfc^en als ©inseltoefen bie 9tatur ba^ 9fie^t, ®igentf)um ju
1 9}gl. §erberf(^e 2luögabe ber ©ncljfllfa „Rerum novarum"
©. 15, „conservanda" unb „perficienda vita".
4. S)a§ ^riöateigent^um nad^ b. toiffenfc^. ©üolutionstl^eoric. 269
erluerfcen unb ju befi^en, öerliel^en !^at, fo tnufe ftcf; blefeö 9led^t aud^
im 93tenf(|en, infofern er ^aupt einer S^amilie ift, finben ; ja bagfelbe
befi^t im 3familienl^au))te nodf) met)r Energie, toeit ber 2Jtenfc^ jic^
im pu§Ud)en Greife gteicfjfam auäbe^nt. ©in bringenbeä ©efe^ ber
9iatur Derlangt, bafe ber ^Jamilienüater ben ßinbern ben ßebenöunter»
I)alt unb attel 3löt^ige Derfd^affe unb bie Statur leitet il^n an,
aucf) für bie 3"!^""!^ i^ie ßinber ju üerforgen, fie m5glidf)ft fic^er=
3ufteIIen gegen irbifd^e 233ed£)felfätle , fie in ftanb 3u fe^en, fid^ felbft
oor ©lenb ju fd^ü^en; er ift eö ja, ber in ben ßinbern fortlebt unb
fi{§ gleid^fam in il)nen toiebert)oIt. Sßie foll er aber jenen ^ßflidfjten
gegen bie ßtnber na^fommen fönnen, toenn er t^nen nid^t einen Sefi^,
loelc^er frud^tet, alö @rbe ^interlaffen barf ?" »
W\t anbern Sßorten : @§ ift ftrentje unb ^eilige ^flici^t be§
Sßatera, für bie (Sqie^ung feiner ^inber «Sorge ju tragen.
Ue6erbie§ rnirb er bon ber 9?atur angetrieben, ha^ er nod^
ein übrige» für bie ^inber t{)un möchte, inbem er beren 3«=
fünft burd) |)interIoffung einer ©rbfc^oft gegen bie 2Sed^feI=
füQe beS 2eben§ fi^er fteüt. 3>on einer ^flic^t eine§ feben
2Sater§, feinen ^inbern ein @rbe ober gar fpecieü ^Bobenbefi^
erblid) ju überlaffen, ift ba burd^ou§ feine 9tebe. 2eo XIII,
fpricf)t in biefer |)infic^t nur öon bem natürlicfien SSerlangen ^
ber (Altern, melc^eS ebenfo ö e r n ü n f t i g unb b e r e c^ t i g t ift
mie ber SSßunfd^ be§ ^injelnienfc^en , nid}t nur für bie blof^e
augenblicflic^e Sr^oltung, fonbern für bie görberung, 2SerüoII=
fommnung, möglic^fte «Sicherung bca 2eben§ burc^ bauernbeS
(5igentf)um bie fadjlid^en 23ebingungen ju erujerben. ©tef)t ber
Erfüllung beS elterlid^en 3öunfdöe§ fein frembe» Üiec|t im
1 Encycl. ^Reruiii novarum" (Officielle SluSgabe) p. 18 (19).
* Ibid. p. 19 : „Sanctissima naturae lex est, ut victu omnique
cultu paterfamilias tueatur , quos ipse procreavit : idemque illuc
a natura deducüur, ut velit liberis suis , quippe qui pateruam
referunt et quodam modo producunt personara, acquirere et parare,
unde se boneste possint in ancipiti vitae cursu a misera fortuna
defendere. Id vero efficere non alia ratione potest, nisi fructuosarum
possessioue rerum, quas ad liberos hereditate transmittat."
1.3*
270 drittes ßn^Jttel Sa§ ^nt)Qtetgentf)um aU feciale SfnftUution.
SBege, [o wirb alfo aü6) öer ßrtüerB bon ^riboteigentl^um
für bie ^inber ala ber 9latur imb ben natürlid^en S3efug=
niffen ber (SItern entfpred^ienb onerfannt tüerben muffen.
d) Sn ber 5ßorQU§fe|ung , bo^ ber 93lenfc^ überhaupt
ßigentl^um an ben materiellen 2)ingen erwerben borf, finbet
bie (Sered;tig!eit be§ 5]3riöQteigent^um§ eine neue Seftätigung
in bem natürlidjen Utä)tt be§ 50^enf(^en nn ber gruii^t
feiner Slrbeit.
Sßenn ber Wtnlä) fein @igent[jum§red)t an ben grüd)ten
feiner 5Irbeit l^ätte, fo würbe man i^m biefelben gegen feinen
Sßillen entjie^en fönnen, oljne fid) einer Ungeredjtigteit fc^ulbig
§u madien. Unb bod) fagt nnfere 33ernunft un§ !(ar unb
beutüd^, ba^ eine berartige (äntjiefjung erflenS eine 33ergemalti=
gung feiner ^perfon unb zweitens einen 9tQub an bem bc=
beuten mürbe, ma§ er mit 9^ed)t a(§ ha^ „©einige" betradjtet. —
9'?ef)men mir an, ein 9}^enfd(), ber in niemanbeS Sienft fielet,
l^abe einen l^errenlofen ©egcnftanb, 3. 23. einen 5ßaum be§
UrwalbeS, in 23efi^ genommen unb au^ beffen §oIä für fid)
einen ^feit gcfdmi^t. S)a tarne aber ein anberer unb nöl^me
it)m ben 5]3feil ah. (Srtennt nid^t jeber auf ben erften S3Iid,
ba^ bem 58erfertiger be§ 5)3fei(e§ baburcb ein Unred)t jugefügt
mürbe? - — Unb worin befielt benn jene Ungerec^tigfeit ? —
3unäd;ft in einer perfönlidjen ©ewaltt^at gegenüber
ber natürlid^en ^^-reifjcit unb ber inbibibueüen @rwerb§felb=
ftönbigfeit be§ 5}lenfd)en. 2)enn wie \ä) ntemanb otjne 9tecOt§=
titel zwingen !ann, feine Gräfte gegen feinen ^TOiHen im 2)ienfte
eines anbern ^u berwenben, fo würbe audb ein na^folgenber
3wang — weldier burd} wißfürlidie ©ntsietjung ber gerechten
grud)t ober burd^ SSereitcIung be§ bered)tigten 3roede§ meiner
o^ne 95erte|ung fremben 9le(ibte§ boUjogenen 5trbeit mic^ in
bie Sage berfetjt, gegen meinen Wiüm für einen anbern ober
ganj jwedloS gearbeitet ju ^aben — offenbar ber ®cred)tig!eit
in» ®efid)t fd)tagen. ©obonn wöre eS ein @ad)enraub
4. ®a8 ?Prit)Qteigentf)um nad^ b. lüiffenfc^. ®t)oIutionStl^eone. 271
an bem, tüa§ ber Wen\6i mit 9tei^t aU bo» ©einige be=
trachten barf. Seber 5)Zen)c!^ i[t öon 51atur aii§ §err feiner
Gräfte unb t^äl^igfeiten, b. 1^, er fonn biefelben al§ bie feinigen,
für \\ä), ju feinem eigenen SBort^eil bern^enben, ©teljt er alfo
nid^t in einem ®ienftberl}ä(tniffe , burd) meld^eS er fid^ oer=
pflid)tet f)at, für einen nnbern ju arbeiten, fo mirb er anci)
a(f ber natürliche |)err ber ^^rüd^te feiner 5Irbeit gelten muffen.
„3ene§, ioa§ \äi t^ue, ifl ganj in meinen ^önben; benn e»
ift ein 2;f)eil bon mir, meil e§ eine SBirtung öon mir ift unb
bie 2Bir!ung ein S;^eil ber Urfac^e. 5)ie 2Bir!ung ift ja in
ber Urfac^e enthalten, ge^t au§ i^r fjerdor, ^öngt bon itjx ab.
2Ber alfo ^infpruc^ mad^en mürbe auf bie ^yrüd^te meiner 5In»
ftrengung , mürbe mir 'iia^ DJ^einige rauben , unb mürbe e§
rauben, oljne ba§ minbefte Stecht boja ju^aben."^ |)at bal)er
ber 5J?enfd^ on einem (Segenftanbe , auf ben niemonb ein
t|ö^ere§ unb ältere» 9ted)t geltenb mad^en fann, umgeftaltenbe
ober befruc!^tenbe 5trbeit bottjogen, fo forbert bie ©ered^tigfeit,
bafe i^m nunmehr ber ©egenftanb fetbft al§ ©igent^um geljöre,
meil er nur fo im bauernben 5öefi|e unb ©enuffe ber äßirtung
unb grud^t feiner 5lrbeit bleiben fann.
5lu§ biefem urfprünglic^en natürtidE)en 9led^te be§ 53knfd^en
auf bie ^robucte ber Arbeit, bie nic^t in frembem ©ienfte
berriditet mürbe, entnimmt Seo XIII. einen tloren unb über=
jeugenben Semei§ für bie ©ere^tigfeit be§ @igentf)um§ fpecieU
am (Srunb unb Soben.
„Sie @rbc fpenbet ätoar", l)n%t e§ in ber ®nct)IIifa Rerum no-
varum-, „in großer S^üüe alte§, ttaS gut ©rftaltung nnb i^örberung
be§ irbif(|en SajeinS nötl^tg ift; afier fie fann e§ ni($t auö fic^
fpenben, b. f). nic^t ol^ne Bearbeitung unb ^Pflege burä) ben 5Dienfc5en.
Qnbem ber SRenfd) an bie Urfiartna(i)ung bee 23oben§ förperlid^en
Steife unb geiftige ©orge fe|t, maä)t er fic^ ebenbaburdf; ben culti»
inrten Sl^eit ju eigen ; e§ toirb bcmfelBen fojufagen ber ©tempel be§
1 Saparetli a. a. £). I, 167. « @ 15 (iß f.).
272 2)ritte3 ßapitel. S)a^ ^ßriöateigentl^um al§ fociale Sfnftitution.
aSeavBeiterS aufgebrüdt. @§ cntfprid^t alfo burd^au§ ber ©ered^tigfeit,
baf; btefer 2f)eU beä 95oben§ |etn eigen ^ei unb fein 9ted^t barauf
unt)erle|lid^ bleibe.
Sie S3etoei§fraft be§ ©efagten ift fo einleud^tenb, ba'Q e§ nur 3}er=
üjunberung ertoedfen !ann , bie entgegengefe^ten Sf)eorien öortragen
äu Igoren, S^eorien, bie übrigen^ nicf)t neu finb, fonbern bie f(f)on
ba§ 5lltertl^um abgett)ie)en unb ioiberlegt ^at. SÖlon behauptet nämlidf),
eigentlid;e§ Sobeneigent^uni fei gegen bie ©erecfjtigfeit, unb nur bie
3fiu|nie6ung beö S3oben§ ober ber 21^ eile be^felben !önne ben ßinselnen
auflegen; bie ©c^oüe be§ §errn, tr)el(|e feine Einlagen unb Saulid^=
feiten trägt, fei ni(f)t fein eigen, unb ber StdEer, ben ber ßanbtoirt aU
ben feinen bearbeitet, gehöre nid}t il^in. Man toiü nic^t fe^^en, bafe
bie§ ebenfoüiel f)ei§t toie einen Staub auöfüt)ren an bim, niaS legitim
ertoorben föurbe. 3fene§ früi^er teufte ©rbreid) Ijat bod^ burd^ ben
Steife beö erften SebauerS unb burd} feine funbige Sel^anblung bie
©eftalt DöHig üeränbert; e§ ift auö SÖilbnife frucf;tbareä 5tcEerfeIb,
auö ticrtorener Debe ein ergiebiger JBoben getoorben. 2ßa^ bem
5Soben biefe neue ^Jorm üerliel^en, ba^ ift berart mit i()m felbft
eins, bafe e§ grofeentf)eiI§ unmöglid^ Don i^m ju trennen ift. Unb
e§ foH lein SBiberfpruil gegen alle ©erec^tigfeit fein , jenen S3oben
mit ber SSel^auptung , ba% ©tgent^um nicf)t beftel^en bürfe, feinem
58efi^er ju entgie^en unb baSjentge anbern ju überontluorten, toaS
ber SSebauer im Sd^loeifee feine§ 5lngefid;tel gefcfjaffen bat? 9tein,
tt)ie bie 3Q5ir!ung il^rer Itrfai^e folgt, fo folgt bie iJrucf^t ber 9tr=
beit als rec^tmäfeigeä ©igentl^um bemjenigen, ber bie 2lrbeit oolf=
jogen ^at."
2)amit ift nun nid^t gefagt, jeber 6efi|e bon 5^atur au»
bie (Garantie, bafe er burd^ feine ?Irbeit t^atfäd)Iid) ein un=
f)en}e9lirf)e§ ^ßermögen ertnerben toerbe. 5lber föenn e§ il;m
gelingt, o!^ne 3SerIe|ung älterer ober ^öl^erer ^iä)k ein foI(^e§
ju gerainnen, fo tüürbe e§ bem natürlichen Stedite raiberffired^en
unb geraifferma^en eine 33ergeraaltigung feiner freien ^erfönli(]ö=
feit einfc^Iie^en, raoüte man it)n be§ redjtmä^ig ©rraorbenen
berauben. (Btvoa^ anbere§ l^at ber ^o^ft nid;t behaupten
raoüen, raie feine SBorte f(ar unb beutlid^ bejeugen: „Qua ex
re rursus efficitur, privatas possessione.s plane esse
seciindum imturam." „-^ierauS ergibt fid), ha'ji priöater
4. S)a§ ^Priöateigenll^um nac^ b. toifjenfd^. @üoIution§tl^eorie. 273
58efi^ (nad) bem 3u[oinnien^nng : pribote» ßigent^um) boII=
[tänbtg noturgemä^ i[t" \ ber ^ktur entfprid^t.
Unb toer bürfte bie 2Baf)rf)eit bie[er Se^auptung be[treiten
fönnen? 5Iuf meiere anbere 2Bei|e fußte beim aud) ber erfte
Sebauer be§ 33oben§, ber burd) longiö^rige, müfifame 3(rbeit
ben 5tder er[t redit ertragsfäl^ig gemacht f)at, [id) bauernb ber
grüd^te feines @c^tt3ei|e» erfreuen fönnen, wenn i6m nid)t ber
QU§fd)nef3(id)e, bauernbe, bererbbare 33efi| be§ 5Irfer» — dfo
ba§, tt)a§ man nic^t blo^ ber ^^orm, fonbern aud) bem ^nfjalte
naä) al§ ^riüatetgentljum ftet§ beseid^net l)at — ^ugefid^ert
wäre? ^ie Soge be§ 5päd)ter» unterfc^eibet \\ä) tüefentlic^ bon
ber Sage be§ erflen 58ebauer». 3}er ^äd)ter ^aljlt ben ^ad)t=
5in§ für ha§i Stecht ber 33enu^ung eine§ fremben @runbftücfe§.
?lber er tritt niäii in ein perfönlid)e§ ^ienftberljältni^ 5um
(5igentf)ümer. Sarunt bleibt i^m ba§ 9?e(^t auf ba§ ^robuct
ber Slrbeiten, bie er auf ba» ©runbftüd bermenbet. 3^m
geprt bie (Srnte, unb für Sßerbefferungen, 5(uftt)enbungen bon
einem bie ^adjtjeit überbauernben 2Bertf)e ermäd^ft iljm ge=
re($terlT)eife ein Srfa^anfpruc^ bem @igent()ümer gegenüber.
5Inber§ ber erfte 55ebauer. @r fte!^t einem ^errenlofen @runb=
prfe gegenüber, auf loeldieS noc^ niemonb 5(rbeit bermenbet.
SZiemanb braucht er barum aud^ einen ^ad^t^in» ju ^d)kn,
tt)ie anbererfeit» niemanb ba ift, ber i^m (Srfa^ leiftete für
feine ^Of^üf^en unb beren ©rgebniffe. 9iur bo§ @igent^um
an bem bearbeiteten 53oben fid)ert bem erften S3ebauer auf bie
Sauer bie grüdfite feiner ganjen 5lrbeit, ber Urbarmadjung,
SefteHung u. f. ra.
9}}an beadite übrigen» (jierbei, ba^ al§ „gru^t" ber Sfrbeit
nid)t blo^ bie Srnte ju gelten ^at, ba^ bielme^r eben bie 33er=
befferung be§ ^obenS fetbft unb bie bem 5tder bur(^ ©ultur
berlie^enen 6igenfd)aften u. f. m. ba§ unmittelbarfte ^probuct
■• Encycl. „Rerum novarum" p. 15.
274 ®ritteö ,f?a^itel. ®aä ^pviüateigentlfjum alö feciale Önftitutioii.
ber 5trbeit barfteüen. „§at ber Tltnlä)" , [agt S^Q^aveUi^
,M^ 3ie^t ouf feine eigenen 2öer!e, \o bel)nt ba§ (Sigentfjum
an biefen auf natürlidiem SBege feine 9te{f)te auf ben ©runb
unb S3oben au§; benn bie Stecfer bebürfen öon Statur au§
einer beftänbigen 6u(tur, um ba§ menfd^Iidje ®efc^Ie(i)t in
bem ^iif^finöe natürli^er ^ortpflanäung getjörig p berforgen.
^ene, bie mit 5!)?irabeau behaupten, ba^ ,im 5lugenblide, n)o
ber ^enfd) bie grüd)te gefammelt !^at, (Srunb unb 35oben
naturgemäß jum gemeinfctaftlidien Sefi|e äurücfte()ren', muffen
entmeber borau§fe|en, boß ber urbar gemachte Jöoben, bie
^Brunnen, Söafferleitungen unb bgl. in ber natürti(i)en Drb=
nung bem menfdjlidien @efd}Iec()te bei feiner 93erme{)rung nic^t
notfjmenbig feien, ober ta^ e§ feine SBerfe be§ 9}ienfd)en feien,
ober tiü^ ber 9J?enf(^ fie bei ber (Srnte mit fortnefimen fönne,
ober baß anberc ein 3te(^t auf bie 2Berfe be§ erften 33ebauer§
befäßen. ®te erften brei S3el)auptungen finb burd} bie 2:^at=
fad^en Wiberlegt, bie Ie|tere burd) ba§ Oted)t natürüdier Un=
abfiängigfeit, bermöge toetdier urfprünglid) feber nur für fic^
arbeitet. 5Itfo ift ber Srraerb bon ©runbbefi^ bem ^^enfd^eu
natürlich unb entfpringt au§ ben not^menbigen ©efe^en feiner
9iatur im 5(b§tracten betrai^tet, mt au^ benfelben bie 9'?ot^=
toenbigfeit ber menfc^Ud)en ©efeüfd^aft entfpringt." —
3. 2)a§ 9^ec^t be§ S3tenfd)en auf pribaten ®igentt)um§=
erioerb ergibt fi^ inbeffen nid)t blof? au§ ber 23etrad)tung ber
natürlidien Steckte bea 9Jtenfd)en al§ eine» (5inje(ir)efen§ unb
feiner engern 53ejief)ung jur gamitie, fonbern e§ offenbart fid)
bie @igentI}um§inftitution ebenfo flar unb unmiberlegüii^ :
3ir)eiten§: als eine allgemeine gefellfc^af tli(^e
9iot^tt)enbig!eit.
Orbnung, greit)eit, f^riebe, materiefler unb geiftiger gort»
fcbritt bilben bie natürlidien !^kk unb 5(ufgaben be§ gefeH»
2 21. a. D. I, 3lx. 407.
4. ®a§ ^ribateigentl^itm nad) b. tt)iffeiifc^. @üoIution§tt)eovie. 275
fd)aftlid)en 2eben§ [(^ledjt^in. Sn überjeugenber SBeije legt
nun ber I)(. Sl^omoS bon 51 quin bar, mie ofine bie 3n=
[titution be§ ^ribateigentf)um§ jene gefeUji^aftnc^en %ifgaben
nid^t erfüllt tüerbcn fönnen: ^ebermonn i[t ine()r beforgt in
53eäug auf bie 33ertüQltung be[fen, lT)a§ il}m allein ge{)ört,
al§ ma§ ollen ober bieten gemeinfam ift. — 2)ie nienfd)tid)en
5tngelegent)eiten trerben in größerer Orbnung bet}anbelt, wenn
bem (äinjelnen bie perföntidie Obforgc für fein ©ut obtiegt.
— ^ierburd) h)irb enblid) ein frieb(i(§e§ 5ßerl)ättni^ unter ben
^JJienfc^en getoatjrt, inbem ein jcber mit feiner ©ac^e aufrieben
ift. UtngeMjrt fielet man, 'ba^^ unter jenen, bie gemeinfdjaftlid)
unb ungetljeilt elma§ befitjen, tjäufiger ©treit entfletjt ^
' S. Thom. 2, 2, q. 66, a. 2 (corpus artic.) : „Respondeo di-
cendum, quod circa rem exteriorem duo competunt homini, quorum
unum est potestas procurandi et dispensandi, et quantum ad hoc
licitum est, quod liomo propria possideat. Et est etiam neces-
sariuin ad humanam vitam propter tria : Primo quidem, quia magis
solUcitus est unusquisque ad procurandum aliquid, quod sibi soli
competit, quam id, quod est commune omnium vel multorum: quia
unusquisque laborem fugiens, relinquit alteri id, quod pertinet ad
commune, sicut accidit in multitudine ministrorum. Alio modo,
quia ordinatius res humanae tractantur, si singulis immineat
propria cura alicuius rei procurandae : esset autem confusio , si
quilibet indistincte quaelibet procuraret. Tertio, quia per hoc
magis pacifcus Status hominum conservatur, dum unusquisque re
sua contentus est. Unde videmus quod inter eos, qui commuuiter
et ex indiviso aliquid possident, frequentius iurgia oriuntur." —
S)cr ^L 3:{}oma§ l^at bie ©igent^utnSfrage „nur ganj nebenbei auf::
geiuorten ba, too im (Sl)fteme bev fpecietten 9)loral bie ??rage auf
3laub unb ©iebftaf)! fomtnt. 3Dlnn öermifet üotäüglid) ein ®oppeIte§,
einmal bie überaus toiäitige Unterfd^eibung ättifctjen ben ©egenftänben
bei unmittelbaren ©ebrauä)§ unb ben SJlitteln ber JDiTtfc&aftlicfien
^robuction, unb fobann bie gefd^itfjtUd^e ®rgänjung ber gang ah^=
tract gehaltenen Setraditung. ®ie le^tere geigt, ba^ jenen betben
imterfc^iebenen ©ruppen üon ©ütern gegenüber ber (Sigentt)nm§begriff
[\ä) öerjc^ieben entU)idfeIt Ijat" {x>. §ertHng, ^ux ^eantlüovtung
1?) **
276 S)rttte§ ßapttel. ®ü§ ^riöateigentfium aU foctafe Snftttutiort.
2öir fönnen bie[e ©rünbe unter einem bo^Dpelten ©e[ic^t§=
pun!te äufammenfnffen :
S)te @igentf)um§in[titution enthält tt)i(^tige, ja gernbeju
unentBe^rlic^e ^ßorouSfelungen be§ materiellen unb geiftigen
3ortfd)ritte» in ber ©efeüfdjaft.
Dl^ne ba§ ^ßriüateigent^um lüäre e§ fobann um bie gefeH»
fd^aftlid)e Orbnung, ben ^rieben im ©toate, ge[d)e()en.
beginnen mir bamit, bie 9lot§menbigfeit be§ 5pribateigen=
tf)uma für bie geiftige unb nmterieüe ßultur nad^äumeifen.
a) ®er geiftige unb fittli(f)e t?oi^tfd^ritt eine§
58D(fe§ finbet ^yörberung burd^ bie ^nftitution be§ 5priDat=
eigent^um§.
2ßir fönnten un§ f^ierfür aUcin fcEion auf bie I)iftorifd^e
S^atfoc^e berufen, baß jene ^iationen, bei benen bie geiftige
unb fittüdie Sultur geblüht, bie irgenb eine ^ö^ere ©tufe ber
ßiöilifation erreid^t ^aben, ba§ ^t(i)t be§ ^J^enfd^en, bemeg»
lid^eS unb unbemegli(i^e§ @igentf)um ju ermerben, anerfonnt
unb ba§ ermorbene (äigent^um burc^ ©efe^ gefiltert I)aben.
Umgete^rt lefjrt bie ©efdtiidite, baß bei 33ölferf(^aften , bie
ein D^lomabenleben führten unb barum nicf)t §u bauernben
6igent^um§einric^tungen an ben ^robuctiünamitteln gelangen
tonnten, bie geiftige ßultur ftet§ auf einem niebrigen 9iiöeau
öerblieb.
5(ber D^ne ©c^mierig!eit löf^t fid) auc^ birect ber innere 3u=
fammenfjang jmifdjen ßiüilifation unb Sigent^um nac^meifen.
2)ie red)tlic^e SDiöglid^feit , Sigentf^um ju ermerben unb
tia?, ermorbene ju befi^en, regt ju aüen jenen SLugenben an,
D^ne mdd^ie bie ßiöilifation nii^t beftetjen fann.
ber ©öttinger S^ubtläutnSrcbe [SJlünfter unb ^ßaberborn 1887] ©. 16).
— Slud^ fel^It bei Sl^omog eine Definition be§ ©igentl^umSred^teS.
»gl. fjrans SBoIter, S)aS eigentfium (Sveiburg 1895) ©. 6 nebft
3Inmer!ung.
4. ®q3 ^PriDateigent^um naä) b. Juiftenfd^. @üotution§t^eorie. 277
23ermöcje ber 5tu§[i(i)t auf (Sigentt)um§ertt)erb fü^It, föie
mir faf)en, ber 9)ienf(i^ fici^ möcEitig jur 5trbeit angetrieben.
2)ie 5Irbeit aber i[t äugleid) W\tiä unb <Bä)U^ be§ [ittlic^en
2ebena. Sie i[t ein n)ir!|ame§ ^J^ittel jur 2;ugenb, »eil fie
bie @e{bftbel)err[c^ung unb Selbftüberioinbung im 5}^enfci^en
gro^juäiefjen im [tanbe i[t. ©ie i[t ein fefter (5(^u| ber
Sugenb, lueit fie öon ben ©elegenfieiten entfernt, bie bem
fittüc^en Seben ©efa^ren bereiten. SBie bie Srägfjeit ba§ 5t(fer=
felb bem Unfraute preisgibt, fo öpet fie auä) ha^ |)erä bea
5!)?enf(^en jeglid^em Safter. 5(n bie 5lrbeit ift barum nid^t
nur ber mirtfc^aftlic^e 5tuffc^tt)ung , fonbern ebenfofefjr aud)
ber fittlic^e gortfdiritt ber SSöIfer ge!nü^3ft.
Sie ©parfamfeit fobann, ju welcher bie @igentf)nm§=
inftitution anregt, meil fie bie ^rüc^te be§ ©paren§ bem
9Jknfd)en fiebert, ift ni^t minber ein n)id)tiger Factor für
bie fittüdje (5nth)id(ung. Saufenb (Gelegenheiten ber (5dbft=
überminbung unb bamit ber ©elbftbef)errf(^ung fc^minben,
toenn ber DJienfc^ nur über fo biet berfügt, a(a er gerabe
für ben 5lugenblid bebarf.
SDaS @igentt)um, rid)tig berftanben unb ben 5(bfidjten ©otteä
gemäfe bermenbet, ftärtt ferner bie focialen 23anbe, meldte
bie DJ^enfi^en miteinanber berfnüpfen. S)er IReic^e fann unb
foü bon feinem Ueberfluffe ben 5Zotf}leibenben mittf;eilen, fann
Siebe erweifen unb banfbare ©efinnungen im |)erjen ber Firmen
luacbrufen. @§ ift ein unferer (jeutigen focial jerftüfteten SBelt
frembartiger unb barum bod) nic^t weniger magrer (Siebanfe,
boB gerabe ba§ SßerpItniB be§ „5h-beitgeber§" jum „5(rbeit=
nefjmer" eine Cueüe ber innigften unb ebelften ^Be^ie^ungen
tüerben !ann^. Sn einer communiftifcben (Sefeüf^aft aber
fe^It jeglid^eä g^unbament für irgenb meiere freunbfd)aftlici^e
' aSgt. Sirbeitertoof)!. ©rfter :3a^rgQn9, 1. §cft (3. 5luft., ßöln
1881), ©. 41 ff.
278 S)ritte§ Äopüel. 3)a§ ^riöateigentl^um oI§ fociale ^nftitution.
ober gar familiäre Sesie^ungen, tüeil ba§ 5Init eine§ Stuffel^er^
niemals einen öäterlic^en S^arafter anjunefimen im ftanbe ift.
3]iel bitterer unb ge[ä[;r(idKr föirft anbererfeit§ ber 5leib
ätüifc^en ®Ieid^[tefjenben. ^eute beneibet ber 5ir6eiter bielfad^
feinen |)errn. Iber er mu^ bod) aner!ennen, ba^ ber ?{rbeit=
geber fein 33robl^err ift, burd^ feinen 33efi|, feine feciale (5tel=
lung fic^ mirflid) über itjn ert)ebt. ^yöüt ta^ 5]3rioateigentl}um
on ben 5probuction§mitte(n ^inmeg, bann fef)tt für jebe ber=
artige Ueberorbnung bie fad^Iidie Unterlage. Unb ba nun ein=
mal t)oä) eine Ueber= unb Unterorbnung unentbel;rlid) bleibt,
fo werben 5Reib unb 9)ii}3gunft in Diel I}öf;erem ©rabe, in
biel weiterem Umfange bie ^erjen ber QJienfc^en öergiften unb
alle eblern 9tegungen in itjnen erftiden.
^eineSmegS gering gu fd^ä^en ift fobann jene» (Befühl ber
fyreil^eit, ber Unabfiüngigfeit unb <SeIbftad)tung,
welches ber (Sigent()um§befi^ fowo£){ mie bo§ 9ted)t, bie Wog,-
Iid)!eit, burd; eigene ßraft fid) eine beffere fociale ©teHung
erringen ju fönnen, bein DJ?enfd;en ju ber(ei{)en |)f(egt. 2)ie
oüfeitige 3lbl^ängig!eit bon bera äBiden ber „©efamtljeit" ba=
gegen, b. l). tljatfädjlic^ Don bem SBiQen beffen, ben bie @e=
famt^eit bem Sinselnen aU Häuptling Dorgcfe^t, eine 5Ib=
pngigfeit, bie bi§ in ba§ §eiligt^um ber gamilie einbringt,
^giftensmittel unb f^rei^eitSgebraud) unter feber 9tüdfid)t um=
fa^t, Derioanbelt ben freien DJJann in einen ©flaDen ober
Seibeigenen.
^unft unb SBiffenfd^aft enblid^ gebeit)en allein bort,
tüo i()nen bie nötf^ige 5Inregung Don au^en geboten wirb.
§ot ber ^ünftler nur bie 5lu§fid;t auf benfelben 2of;n toie
ber |)anbarbeiter , bann wirb er !aum jenen großen glei^
auf feine 5Iuöbitbung Dermenben, bie i^n erft ju tüchtigen
Seiftungen befäl^igt. 5J^an mu^, if)m alfo meljr bieten, al§
gerabe ju feinem Unterl;a(te notl^ioenbig ift, mit anbern
Sßorten, man mu^ i(}m geftattcn, @igentf)um 5U erwerben
4. S)aS ^riöateigentljum mä) b. iDiffen^d^. ©öolutionstfieorie. 279
unb 5U befilen. So^u fonimt, bafj e§ ber QVOBen ^Jhfje an
ber ri($tigen aöertfjjdjäbung ber ^un[t unb 2Si[jenjd)aft fe^It.
^anm bürfte botum in einer comniuni[tifc^en ®eieafd)nft burd)
We:^rI)eit§k[d)Iu^ für bie Seböuer biefer ]^ö(}crn, 9ei[tit3en
(Sulturgebiete eine beborjugte ©teflung gejdjaffen loerben^
S33o l^ingegen bQ§ 5pribateigentl)um befleljt. wirb flet» unter
ber großen 9}^enge ber 33e[i^enben ber eine ober onbere
5[I^Qcena» \\ä) finben, ber 33er[tänbni^ unb 5D]itte( belitjt, um
tm tüd)tigen unb [trebfornen ^ünpier burd^ rei^(id)e ©penben,
SefteHung größerer ßunftmerfe u. bgl. ju ermuntern.
b) ^loä) beutüd^er erljeüt bie gejellidjafilidie Ülotlraenbig^
feit be§ @igent^um§, tt)enn iüir feine ^öejieljungen jum
materiellen ^^ortfd^ritt in§ 5luge faffen^.
S^er materiede g^ortfc^ritt Ijängt ob : einmal bon ber @nt=
tüidlung unb 33erüolI!Dmmnung ber probuctibcn 5irbeit ; fobann
bon ber ©r^altung unb 33erbefferung ber ^robuctionSmittel.
— 93lan ne^me tia^ ^ribateigentf)um meg, unb biefe bciben
SebenSqueflen ber materiellen ßultur werben alabalb berfiegen.
a. S)a| bie p r o b u c t i b e 51 r b e i t für bie (ärr^attung ber
©efeüfd^aft unentbehrlich fei, wirb bon niemanb beftritten,
ebenfomenig wie ber innere Suf^^^^^en^ang jmifdjen ber @nt=
ibidlung ber probuctiöen 5Irbeit unb ber $Berbefferung ber
materiellen Sebenäbebingungen ber 33öl!er bon irgenb jemanb
» 3n ber %1)at femtt ber 'heutige (£octQli§mu§ in feinen 3ufimft§=
Bitbern !eine ©ele^rten unb ßünftler öon ^profejfion. Slüe foüen fid)
D^ne 2tu§na]^me an ber materiellen Sprobuction ber ©üter tjet^eiligen.
^ernaä) fönnen fie btd^tcn unb muficiren, Joic ja auä) l^eutjutage
jemanb ben Sag über Sd^ufter fein unb am 2lbenb gum Zani auf=
fptelen fann. Oh bei biefem (St)fteme ein ©ante ober ein SSeet^ooen
bie SBelt erfreuen fönntc, ttsirb mancher fieätoeifeln.
2 aSgl. fjranä ©d^auB, ®ie @igent]^umöIet)Te naif) SfjomaS
ßon Stquin unb bem mobernen ©ocialiämu^ (^reiBurg 1898) ©. 269 ff.
283 ff. 286 ff. 298 ff.
280 ®titte§ ßapttel. ®a§ ^Prbatetgent^utn aU fociate ^fnftitutton.
gelöugnet tcerben !ann. 9Iu[ feiten be§ 5Irbeitenben aber finb
e§ namentUd) ätoei Umflänbe, bon benert bie ^^robuctibität
l'einer 5lrbeit§Iei[lung roefentüc^ abfjängt. Einmal, ha^ er in
bem Serufe t§ätig i[t, in tneld^cm feine ]3erfönlid)en g-ä^igfeiten
unb Einlagen bie ^robuctiüfte 33ern3enbung finben fönnen;
fobann mu^ bie 53^öglid)feit ber ^robuctibften S^errtenbung
tl)at\'dä)l\d) reolifirt, bie üorljanbene perfönlidie öefö^igung
luirüid) auägenu^t tüerben.
@ern Wirb öon un§ §ugeftanben, ba^ aud) in einer auf
^riüoteigentfjum gegrünbeten ©efellfdiaftaorbnung nicfit jebe
natürli(i^e Stniage jur öoüen Entfaltung tommt. f^für ben
5)?enfd^en wirfen ba bie äußern 3Ser()äItniffe, in benen er ge=
boren unb erjogen tüurbe, äljnlic^ wie ©türm unb groft auf
bie Slütljen ber 53äume. Wanä)t fd)öne Wxtijt Wirb huxä)
ben groft öernic^tet unb Dom ©türme abgett)c£)t. 5Iber wa»
übrig bleibt, gebeizt unb n)äd)ft erft red)t jur boHen gruc^t
r}eran. @o tnirb auä) nic^t jeber 93^enfc^ alle feine natür=
liefen Einlagen Doli üerwert^en tonnen. SDiejenigcn i5ä(}ig=
feiten unb Gräfte aber, beren er ^u feinem gortfommen be=
barf, finben gerabe in ber Umgebung, in bem beflimmten
^J^amilienfreifc, ferner bei reichlicher, frütj^eitiger unb bauernber
Hebung u. f. w. nicbt immer, aber hoä) mit einer gemiffen
9iegelmä^igfeit, bie günftigften Sebingungen iljrer Entmidlung.
Sft bann "oa^ ^inb ^erangemad)fen, fo öffnet fid) ifjm in hm
weitaus meiften trauen eine noc^ immerhin siemlid^ große
5Serfd)iebenl}eit ber Berufe, jwifcben benen eine freie 2öa§I
nac^ ber perfönlidien 5^eigung mög{i(^ ift. ©erabe bie %n=
lagen, welche für ben ertorenen Seruf erforberlicb finb, t)at
in ber Siegel ber bisl^erige ßebenälauf jur beöorjugten fönt=
widlung gebradit. 2)a^er bie 9?eigung ju jenem 53erufe, ober
wenigften§ bie Srtenntni^, ba^ bort bie t^otfüd)tid) bor=
^anbenen unb jur 58enü^ung fertigen Gräfte i(jre :probuctiüfte
unb barum bort^eilfjoftefte Sßerwenbung finben werben.
4. S)a§ ^rttiateigcnt^um mä) b. totflenfcE). ©Dotutionötfieorie. 281
@e^en wir nun einmal ben t^atl, bo» ge[en)d)aftlic§e
ßigent^um l^abe ba§ ^riboteigentl^iim berbrängt; e§ gäbe
infolgebeffen feine ^Ia[fen= unb ©tanbeSunterfc^iebe me^r;
bie 93knfc^en mären in focialer unb öfonomifcEier 58eäiel)ung
alle gleid^. «Sinb [ie e§ ober bavum and) in natürlicher
^in[ici^t? äöürbc baburd^ bie urfprüngUcf)e natürlicCie 25er=
anlagung auf ein gleici^eS 5Itüeau gebrad^t? ©an^ geraijj
nid)t. Snnner luerben bie 53Jenfc§en mit fel^r berf^iebener
natürlicher 5(u§[tattung in biefe SBelt treten. W\ti aber bie
communiftifd^e ©efeafcljaft bem ^^rincip, baB bie feciale ©teic^-
f)eit mit ber öfonomifd^en @(eid)I)eit nott^nienbig berbunben fei,
boüfornmen getreu bleiben, fo wirb fie alle (Slieber ber ®e=
feüfcfiaft in gleicher Sßeife erjie^en unb auabilben muffen.
2)enn bei berfci)iebener 5Iu§bi(bung lüäre ea gar balb um bie
feciale (Bleic^l^eit gef(f)e^en ^. äöa§ föürbe bie golge jener
gleid^en 5lu§bilbung fein? Offenbar ber materielle Untergang
ber (Sefeüfd^aft. S;enn bie meiftcn ^Berufe erforbern not^=
tüenbig eine ganj fpeciefle, oft langjährige 51u§bilbung unb
SBorbereitung. Opfert aber aud) bie communiftifc^e ©efellfdiaft,
bon ber 5iotf) ge5tt)ungen, mit 9lüdfic^t auf bie 6räiel)ung
i^r grunblegenbe§ ^rincip, lä^t fie bei einem beftimmten 2eben§=
* ®er heutige (&ociaü§mu§ öetfprid^t tüi)n , in ber commu=
niftifd^en ©efe(Ifc^aft§orbnung toerbe bie ©rgiel^ung unb ted^nifdfie 5lu§=
bilbung jeben 3U allen fjunctionen unb ©etoerben befähigen. ®a toirb
aljo !ein Server mefjt ber DJlutter fagen muffen, i^r <Bo^x\. \)aht ätoar
ein gutes §er3, ober toentg Sßerftanb. ®ie Su^unft^ius^n'^ t^nnt ^^"^
UntDerfalgenieö. ®aä ^rincip ber Sluöbilbung: non multa, sed
multum ]^at !eine ©eltung mel^r. Sfeber lernt alle§, jeber fann alle§.
©0 berlangt t'i bie fociate ®Ietd^f)eit. S)em können entfpri(^t bann
natürüt^ auc^ ha^ 2lr6eiten. ^eber loirb in ben toerfcfjiebenften
Srand^en befd^äftigt. S)eg 3Jlorgen§ fegt er bie ßatrinen , be§ 91ad§=
mittags bocirt er bie materialiftifd^e 2öeltanf(|auung , beibeS felbft«
toerftänblid^ aufS öorsügltd^fte. Jögl. 6 a 1 1^ r e i n , ©ocialtStnuö
(6. 2lup., Sreiburg 1892) ©. 160 ff. (7. Slufl., 1898) ©. 205 ff.
282 S)ritte§ Äapitel. ®q§ «pribatetgenttjum aU fociale 3("ftttution.
alter eine berfd)iebenc SSorBilbiing ^Iq^ oteifen tro^ ber
iinöerfennfearen ©efaljten für bie fociale ®(eid}l}eit, jo ent=
[ie^en neue ©cfitrierigteiten. SDie meiften ber comnnuiiftifcf^en
Zöglinge tjaben bie nötfjigen Einlagen für gar niandje 53e=
[(^öftigungen. 2Ber nun mirb barüber entfdieiben , föelci^e
biefer ^^äi)ig!eiten eine fpecielle 5Iu§bi(bung finben foüen? ®a
ein größerer materieller 33ortl}eiI, man mag tljun, wo» man
mü, für ben ©injelnen nirgenb§ in 5(u§fid)t fte^t, fo tcerben
gonj unjtüeifel^aft bie meiften nad^ ben etjrenUoHern unb
leidstem Sefc^äftigungen greifen inoüen. 5Iud) babei tonnte
bie ®efeüfd)aft nid)t beftetjen. @ie bebarf ber getjörigen Se=
fe^ung aller ^Berufe, tuäljrenb bie UeberfüIIung einzelner 33e=
rufe gteid^bebeutenb ift mit unnü|er unb berberblic^er 93er=
geubung probuctiöer 9}Jenfd)enfraft. 53Jan mirb fid^ alfo
fd^Iie^Iid) boja berfie^en, Sern f §510 ang einjuf uferen , ben
einen jur 5tu§6itbung für biefe, ben anbern jur SSorbereitung
auf jene 33ef(^äftigung nötl^igcn muffen. Sßof;! bemertt, nid)t
bie 9Jiad)t, tt)eld)e freute bie ererbten ©tanbegberf^ältniffe über
ben 3!)?enfd)en ausüben, unb an bie er bon Sugenb auf ge=
lüö^nt ift, — nidjt ber morolifdje S^^^^ng be§ eigenen 3nter=
effe§, bie |)offnung, feine llräfte in irgenb einer 23efd^äf=
tigung§art am frudjtbarften bertnenben ju tonnen, — nein,
ein 3ibang ganj anberer 5Irt ift e§, ein S'^'^ttQ» Ö^Ö^" ^^^
ba§ ^nnerfte fid) aufbäumt, ein 3^«"g» öon Wenfdjen geübt,
bie fid) bie ©ematt anmaßen, einen fo mid^tigen unb lt)efent=
Ii(i^en Seftanbt^eil ber menfc^Iidien grei^eit, h3ie bie S3eruf§=
föal}! e§ ift, ben ©tiebern ber (Sefeüfdiaft rauben gu moßen.
äöürbe lüenigftenS ha§) '^hml ber probuctibftcn S3er=
tüenbung ber t)erfönü(§en ^Jäljigteiten aller ©lieber ber ©e=
feüfdiaft burd^ jenen S^^öng erreid)t! 5fiid)t§ meniger al§
ba§. W\t ber ^^rei^eit ber 53eruf»n)a:^I ift bem 5Irbeiter bie
©(!^affen§freubig!eit genommen. @r ift eine me^r ober
minber gefnidte ©i'iftenj, Sie ^[Riüionen, trelci^e mit ben
4. ®o§ 5ßriöatetgcnt^um mä) b. miffenfcf). ®oorution§t^eorie. 283
niebrigen me^aniid^en 35eni(f)tungen Ma\ki [inb, lüerben bie
Ueberäeuguntj nic^t Io§ loerben, baf? man ifineu unredit getljan,
boB i^re nQtürIid)en Einlagen [ie für einen Ieid)tern unb et}ren=
tjolletn 5Seruf befähigt nnb bered)tigt Ijätten.
5)aäu fommt bann nod^, tiü^ mä) 33efeitigung be§ ^ribat=
eigent^uma bie tüidfanifte Sriebfeber fe^It, tDeId)e ben ^enjd)en
baäit bringt, mit ber t)öd)[lmöglicöen ?tn[pannung feiner Gräfte
innerhalb bea Serufe§ t^atig ju fein. ®er SSerboIHomm^
nun g» trieb, ba§ ©treben, feine öfonomifcbe Sage, feine
feciale Stellung ju öerbeffern, finbet feine 5Befriebigung mti)x.
(Sine 23erbelferung ber Sage be§ ßinjelnen ift nur in ber 3Sor=
auSfeljung einer 35erbefferung ber ©efamtlage ber ganjen (S)C=
fellfc^aft mögli($. SSarum atfo foH er in befonberer SBeife
fi(^ anftrengen, tüarum burd) tljatfräftigen unb au§bauernben
gleiB bor anbern fid) auSjeidinen? 3n ber 2:§at, tt)ie bie
5J?enfc^en in ifjrer übertoiegenben 5}te^r^eit finb, regt nid;t§
mel)r ju gefteigerten 5Inflrengungen an, a(§ tia^ @igen=
intereffe, bie Hoffnung auf grl}öl)ung ber äußern materiedcu
unb focialen Sebenabebingungen. 3n Säubern, in weldjen fogar
ba§ 5|5rit3oteigent^um noc^ anerfannt, aber bie allgemeine
Dted)t§ficber^eit eine geringe ift, ober tt)o ein brüdenbe§ (Sc^ulb=
ober ©teuerf^ftem bem SBolfe bie grudit feiner 5trbeit immer
n)ieber raubt, erlahmt erfa^rungagemäfj bie Stjatfraft unb
@d)affen§freubig!eit. Wan nefime aber erft einmal gönsUd)
ba§ gigent^um au§ ber menf^Ii(|eu ©efeüfc^aft ^inföeg, -
unb bie tüunberbaren Sovtfd)ritte, weldie Ijeute bie menfd)Ii(^e
^^trbcit in aUen ^tüeigen be§ ©eroerbefleifeeS unaufhörlich er=
ringt, werben ifjr (Snbe erreidien, bie fruc^tbarften ©egenben
balb nur mel^r ®inöben fein^ —
» Heber ben öiel gepriefenen ruUifiljen „3Jlti" urtf)eUen ßenncr
bei- ruffifd^cn Söer^ältnifte fef)r abfäEiß: „®er xujnf(|e ©emetnbe»
üerbanb mit feinem ©emeinbebefi^ ift ein i^nftitnt, ba§ nid^t nur
284 ®rttte§ ^aljitcl. ®a§ ^riDateigentl^um aU foctate :Snftitution.
@ttt)a§ naiö ift bie 3inna^me, e§ tt)üvbe fic^ in ber com=
muni[tifc|en ©efeUfc^oft eine QU§reid^enbe ?(näa^I bon 5Irbeitern
[inben, bie lebiglid) au§ ©emeinfinn, an^ Siebe gur ®e=
fenfi^Qft ober jum 3tuf)m aöe jene yPäil^m auf [i(^ nehmen,
tt)elc£)e für ben t^ortf(f)ritt ber materiellen Kultur unentbehrlich
finb. ^'iic^t einmal biel möcfitigere ^mpulfe reid)en für fid)
aflein bei ben 9)?enfc§en, mie biefe ber größten 3^^^ "Qc^
t^atfäcf)Iic^ finb, o^ne |)inäutritt eine§ perfönüdien bauernben
@rn)erb§intereffea au§, um ba§ Sßerlangen nac^ 5Jiu^e ju
überiüinben unb fie jur Ueberna^me ber fd^meren, bauernben
5Irbeiten be§ böuerlidien unb gettjerblidien 2e6en§ ju be=
fiimmen. Ser Sanbbau unb bie 2Ber!ftatte gewinnen crft
bann ben t)öc^ften Steij, iDenn bem 5Irbeitenben ber au§f(i)(ie^=
li^c 33efi^ an bem ©egenftanbe unb (Srgebni^ feiner 5trbeit
gefiebert bleibt, menn ber fleißige 5(cfer§mann ober 2öert=
meifter mit ber Heberjeugung bie 5lugen frf)Iie^en fann, bo^
ber ^rei§ feiner 5Jiü^en, bie f^ruc^t feine» ©(f)mei^e§ jenen
ju gute !ommt, metdie feine eigene ^ßerfon in ber ©efetlfdjaft
leinen SCßol^Iftonb ouffornmcn läfet, fonbern auc^ mit betn Sin»
toad^fen ber JBeböüerung not^toenbig jutn IRuin ber 23auern unb
ber ganjen ©emeinbe fü'^Ten nui^, unb gtoor umrben bie 95erl^ältntfje
lüol^l aucE) ni($t günfttger liegen , menn bie aSeoöIferung nicEit ol^ne
jcben Uebergang qu§ ber Seibeigenfc^aft in ben Sefi^ unbefcf)vän!ter
fjreil^eit gelangt unb bamit ber Söerteilberung preisgegeben »orben
tüäre. 3t" anbern Sänbern bermag bei einer iDittjdiaftlid^en
ßrifiö tüenigftenä ein 2:!^eil ber bäuerli(f)en Seüölferung SBiberflanb
ju leiften , loäl^renb ber S3efi| be§ anbern %^ixk^ , toenn aud^ ju
l^erabgeje^ten, ber ©nttoert^ung be§ ©runb unb Sobenä entfpre(|enben
^ßreifen, neue 6igentf)ümer finben fann, bei benen ber e^emalö jelb=
ftänbige 29auer aU ^ä(f)ter ober al§ ^nec^t ein Unterfommen er:^ält.
3tn aiufetanb mufe bie gan^e böuerltc^e Seöötferung allmäbüc^ jum
Proletariat b^i'^bfinten , obgleid) befanntlic^ gerate ber (Semeinbe=
öerbanb nai) ber 2In[i(^t feiner Stnbänger ba§ Gntfteben jeglichen
Proletariates öer^inbern müfete" (21. Söeftlänber, 9tufelanb üor
einem 9flegime=2ßed^fet [Stuttgart 1894] @. 28 f.).
4. S)a§ ^riöateigentfium naS) b. töiijenld^. goolution§t^eorte. 285
fortsufe^en berufen finb. 0(}ne biefe 5tii§[i(i^t trerben [ie tro|
ber '^^eitfi^e bca ßommuniftenfiQUptnngä nur gerabe fo biet
arbeiten, al§ not^raenbig ift, um i^re ougenblidlidien 33e=
bürfniffe ju beden. Ober glaubt man etma, "ba^ jener t^ätige
3Betteifer, ber ^eute Unternehmer unb 5(rbeiter anfpornt,
mit 5(ufbietung aller ^raft immer beffere (Sräeugniffe ju pro=
buciren, burc^ "üa^ Sob bca 5(uffe(;er§, burc^ eine gute 9bte
ober fonftige (5d}ü(erou§5ei(^nungen allgemein unb in feiner
ganzen ©türfe mirb ermatten merben fönnen? 2Beit entfernt!
2)ie 93?enfd^en werben in i^rer großen ^Jhffe forg(o§ unb
träge werben mie bie @!(aöen be» 5Utertf}ums unb mie jene
23ölfer, bei benen niemanb bie ©id^er^eit ^at, bap iöm bie
S-rud)t feiner ^(rbeit berbleibe.
Sß)enben mir unfere 5(ufmer!fam!eit nunmehr ber jlDeiten
öebingung bea materiellen üDi^tf'i)i^itte§ jn.
ß. ®ie materielle Kultur ift mefentUc^ abhängig bon ber
Srfjaltung unb 33erbonfommnung ber ^robuction§=
ober ^IrbeitSmittel, ber Oio^ftoffe, SSerfseuge, 91hfd)inen,
gabriten u. f. m.
5lud^ ber reid^fte f^obrifant mirb fid^ balb mirtfd)aftlid)
ruinirt tjaben o^ne fparfame 23ermertf)ung ber ^rbeit§=
mittel. 2Ba5 ifjn aber baju antreibt, mit ben 5lrbeit»mitteln
f)au§l}ä(terifc^ um^ugeljen, ha?> ift thtn jene gemaltige 9]hd)t
be§ gigenintereffe», ber Srieb ber mirtfd^aftlid^en @elbfterf)at=
tung, bie öoffnung be§ roirtf(^oftIid)en Smporfteigen». 5Ille
biefe Srieblrüfte treten au^er ^ienft, fobalb bie 5lrbeit§mitte(
bcm (Sinsetnen entzogen unb ber ©efeüfc^aft überantwortet
finb. „©efamtgut — berbammt @ut" , fagt ba§ beutfc^e
©prid^mort. @ine 23a^r^eit, bie fd)on 5IriftoteIe» erfonnte:
Amabile bonum, cuique autem proprium. S)a§ @emein=
fame mirb leidit bernac^Iäffigt, ba§ Eigene bagegen eifrigft
beforgt. 2Ba§ allen geljört, gehört eben baburd^ niemanb
met)r. deiner f)üt ein perfönlidje», befonbere» Sntereffe baran.
286 S)ritte§ ßapttel. S)qS ^rtöateigentl^um als fociale Snftitution.
S)ie blutigfle Sljrannei jeI6[t märe botum auf bie Sauer
ni(i^t im [taube, einer aüöemeiuen <5d)Ieubertt)irtf(^aft unb
bamit bem 9tuin ber ©ejeüfc^aft öorsubeugeu.
S)er tt)irt[(!^aftn(^e gortfd}ritt ferner lüirb mitbebingt burd)
einen gcorbneten g^ortfdiritt ber ^robuction, biefer jum S^eil
burd) bie |)er[tellung neuer unb beröntüommneter ^robuction§=
merfäeuge. Sie @infüf)rung üerbefferter ^^robuctionS»
mittel aber bebeutet 5unäd)ft eine nic^t geringe a3ermet)rung
ber Arbeit. „@in SSoIf, melc^eä öornjärtä fommen unb feinen
nationalen gieid)t^um burd) 5Mage don SBerfftätten, gabrüen,
^Sergmerten, ©trafen, Kanälen, (gifcnba^nen k. bermc^ren
min, muf3 fjart arbeiten unb fid; mandie ^ntbet^rungen auf=
erlegen, ebenfo mie ettva ein 5tnfiebler im fernen SGBeflen
fi^toer arbeiten unb mand)e§ entbeljren mu^, menn er nidjt
nur feine laufenben 5trbeiten beforgen, fonbern überbieg etma
eine ©tra^e 'ümä) ben SBalb anlegen miß, bie feine ^arm
mit ber näd)ften Infieblung öerbinben fofl." ^ ^n einer ®e=
feflfdjaft mit ^ribateigent^um an ben ^robuction§mitte(n nun
tüirb bie Uebernatjme biefe§ pu§ bon ^frbeit, meld)e§ mit
ber neuen ßinfüfjrung berbefferter 5Ubeit§= unb a^erW)r§mitteI
berbuuben ift, menig ©d^raierigteiten finben. Ser Unterneljmer
ift feine§ ©eminneö fieser, menn e§ itjm gelingt, mit §ilfe
berbotltommneter ^robuction§mer!seuge neue ©enuBgütcr ju
f($affen ober bie alten, befanntcn (Senufjgüter billiger unb
beffer ^ersufleUen. Sie 5Irbeiter anbererfeitS , bie genöt(;igt
finb, (Srmerb ju fuci^en, merben bie ©etegen^eit, i^re ?lrbeit§=
fräfte IoI)nenb ^u bermertljen, o^ne 3ögern ergreifen. 2öie
aber fteüt fi(| bie Baä)z in ber communiftifdien ©efellfd^aft?
„Sm 6ociatftaate, in tüclc^em bie gefamte ©üterprobuctiou
> ©d^önberg, §anbbud^ bev ^jolit. Defonomie I (2. Sluft.,
Sübingen 1885), 259. (Stuffa^ üon ßleintt)ä(£)ter über bie öolfs^
toirtfcfiattlici^e ^robuction im aUgetnettien.)
4. Sa§ ^PriHatcigcntl^um nü(S) b. toiffenfd^. ©öoIutionStl^eorie. 287
eine gemeinforne imb eine einljeitlidö geregelte n)äre, müjjte
[e(b[tber[tänbli(^ ba§ iä§rlid)e 5Irbeit§pen[um be§ 93oIfe§ bon
ber Stegierung feftge[e|t unb unter bie 58ürger bert^eilt lucrben.
2Benn nun bie Dtcgierung bofelbft bie .^erfteHung irgenb meldier
neuer unb DoHfornnienerer ^robuction^onlagen a(§ tt)ünf(^en§-
lüertl) erfennen mürbe unb bemgemä^ ba» nationale 5Irbeit§=
pcnfum Dcrgröf^crn lüollte, unb wenn ba§ 55oI! — meil e§
bie 33ortI}ei(e ber geplonten SInlagen nicf)t jofort 5U ermeffen
üermog — bie ^erfteüung ber[eiben al§ überpffig anfeilen
unb [id^ weigern würbe, jene t)erme^rte 5(rbeit§Iaft auf fi(^
5U nel^men, fo tjntte bie 9Jegierung gar fein 5DiitteI in ber
§anb, itjren SBiUen gegenüber bem ber 9}kjorität ber 53e=
Döifcrung burc^5u[e|en, unb ber ?^ortfd}ritt nm^te unterbleiben.
W\i einem SBorte, im ©ocialfiaate wäre ein wirtjd)afttid)cr
S^ortfd^ritt immer nur bann möglirf), wenn bie 5Jkjorititt ber
53ebölferung [id; für benfelben ent)döeiben würbe, unb ba» i[t
befanntlii^ ein fe^r langwieriger 2öeg." ^
^ür jeben, ber ru^ig unb üoruutljeifsfrei ade btefe ber=
fi^iebenen ©rünbe erwogen f;at, fteüt fid) fomit bie Snftitution
be§ 5priöateigent^um§ al§ ber gerabeju unerfe^lic^e |)ebel be§
3^ortfdbritta ber ^robuction bar. 2)a» Ütedjt, (Sigentfjum ju
erwerben, bie ©ewifjf^eit, bie ^rüd)te ber eigenen 5(n[trengung
5u genießen, ha^ perfönlidie ^ntereffe am ©rfolge ber 5lrbeit
finb in ber S^at ber macfetigfle ©porn, um bie inten[tt)[te 9ln=
Ipannung ber inbibibueden 5Irbeit§!raft, ein rafttofea ©treben
nac^ 3^erbe[ferungen in ber ^robuction, einen umfiditigen
Söetteifer fjinfid^tlid^ ber bortfjeitfjafteften ©eftaUung unb ber
(Sräielung gröfjtmöglidjer 2'öirtfc^aftlid)feit im ted^nifdjen ^xo=
buctionSprocefje ju erzeugen.
c) ®er p^anta[tif($e, utopiftifcbe ^Ijaratter aücr ganj ober
f)alb communiftifd^en ©l}[teme tritt nodb beutUd^er ju Sage,
' ßleiiilüä&ter 0. a. O. ©. 260.
288 ®ittte§ ßapitel. ®aä *PriDateigent^um aU fociale ^fnftitutton.
toenn tüir ben unläugbaren 3uiai"i"fn^an3 JiDift^en ber gefell'
fd)aftli(^en Orbnung, bem ^rieben bev 9}Jenfd)en untereinanber
unb ber Sn[titution be§ ^pribateigentt^umS ins 5(uge fajfen.
O^ne bie (Sigent^umSeinrid^tung t[t ein frieb(id^e§
unb georbneteS 3uiatnmenleben ber 5D]enfc^en auf
bie 2)auer gerabe^u unmi)glid&.
9lef)men n^ir an, bo» ^riöQteigentf)unt fei kfeitigt. 5In
feine ©teUe tritt bann ber 6ommuni»mua in feinen ber=
fc^iebenen formen i. (Sr ift entmeber negatioer ober pofitiber
(JommuniSmua. „^egatiber", fofern ber ©ebrauc^ unb -
bie Sßerranltung aüer ©üter ber SBiütür eine» jeben offen fte^t,
fein 6eftimmte§ unb bouernbe» @igentf)um§fubject borljanben
ift. „^ofitiber" , nienn irgenb ein ©emeiniüefen a(§ ©ubject
be§ gigent^umS an aüen ©ütern gilt. 3)er pofitibe Som=
nuini§mu§ tt}ei(t fic^ fobann in ben gonjen ober falben 6om=
muni§mu§. Srfterer entgielt aüe ©üter o|ne 5lu§na§me bem
inbibibueKen ^ribateigent^um , (e|terer nur einen Sfjeil ber=
felben, bie ^ßrobuctibgüter (@runb unb ^ßoben, SBertjeuge,
gabrifen u. f. m.), tt)äl)renb er bie fogen. (Senu^güter (9Zq^=
rung, ^Icibung) im ^ribQteigent()um beläßt.
(Selben mir bon aüen 33eri(^iebenf)eiten unb Sefonber^eiten
ob, fo bleiben bie beiben 2;t)pen übrig:
33erneinung febe», oud) be§ gefeüfdioftlii^en 6igent^um§, —
ba§, mna mir negatiben (5ommuni§mu§ nannten ; ober
(SoQectibeigenttjum in irgenb einer gorm unb irgenb einem
Umfange, jebenfaQa Goöectibeigentfjum an ben ^robuctionS=
mittein.
a. Si« Söf'ß i^e^ negatiben ©ütergemeinf c^af t
nun mürbe otjne S^^^f^f ^i^ 2Belt in unauf[)örlid)em ©treit
unb 3roift fi^ berjeljrcn. Um fo bitterer aber unb ber^ecrenber
mü^te ber ^ampf um§ 2)afein fid) geftalten, je bid^ter bie
' ajgl. 6 a t f) r e i n , ©ocialiSmuS ©. 1 ff.
4. $üS ^Priötttcigent^um und) b. unffcnfdj. (?t)oIutioii§tl^corie. 289
Sebölferung , ie lüeniger ja^Ireic^ bie ©üter, btc jur Occiu
pation \\ä) batböten. ä5on einer georbneten ^probuction lönnte
bort feine 9tebe fein. 2)enn teer in aller S3elt roollte no(^
ben tiefer befteüen ober SBerfseuge berfertigen, toenn iebermann
l"id) ber grüdite nnb ber 2öerfäenge bemädjtigcn bürfte? 2Bie
bie ^unbe um ben ^nocEien, fo löürben bie 9Jien[c^en um bie
®üter [treiten. Sie Brutalität bef)errfd}te bie 2Be(t unb bie
)3l)^[if(^e 5]?ad)t, toü^renb ber (5d)tt)ad}e [id; red)tIo§ unb fd)u|=
Io§ bem fölenb preisgegeben fä^e^.
ß. Ser pofitibc (Kommunismus erfennt bie Un=
möglidjfeit ber negotiöen @ütergemeinfd}aft an. (Sr fielet ein,
baß bie überaus mannigfaltigen 33efd)oftigungen beS mirtfcöaft=
lidjen SebenS einer gen3iffen Orbnung fic^ einfügen muffen,
trenn für ade 58ebürfniffe ber 5)?enf(^en geforgt merben fotl.
SDiefe Orbnung glaubt er jebod) nur in ber Söeife IjerfteHen
ju fönncn, bafj bon einer ©entralfteHe auS bie gefamte ^io=
buction geleitet unb bie 33ertl)ei(ung ber 5|3robucte üoOäogen
mürbe. 5((Iein, mag auä) jugegebeu toerben bürfen, ba^ auf
biefe SBeife eine gemiffe Orbnung ber probuctiöen Sljätigfeiten
äu eräielen toäre, fo liegt eS bodj anbererfeits auf ber ^anb,
ba^ bie 5lrt unb SBeife biefer Orbnung in fc^neibenbem @egen=
fa^e äu ben bered)tigteu 5Infprüc^en ber menfc^Iidien 5^atur
fte^t unb barum nottimenbig ju einer nie berfiegenben Oueüc
ber Uuäufriebenl^eit unb beS 3tt?ifteS merbeu mü^te. (Sine
* Lessius, De iustitia et iure, lib. II, c. 5, dub. 2: „Si man-
sissent (res) coramunes, mundus arderet perpetuis contentionibus
et bellis : quia plerumque plures concurrerent ad eandem rem
occupandam , qui se mutuo conareutiir impedire : et potentiores
plerumque omnia raperent. Nee meum et tuum (quae dicuntur
esse potissima causa dissensionum) tunc minus fuissent, quam
modo: quisque enim conatus fuisset rem communem, dum eä
utendum esset, facere suam ; sicque assiduo rixae et pugnae inter
homines exstitissent."
290 S)tittc§ ßa:pitel. S)a§ ?Priöoteigent:^itm al§ fociale S^nftitution.
„Orbnung" ber ^tobuction in biefem ©inne tüürbe, ah'
gelegen bon ber ropiben Sßerringetung be§ 5j3robuction§ertrage§,
an welchem ber (Sinjelne ein unmittelOarea (Sigenintereffe nid)t
i]at, in !üräe[ter 3eit ^ie öoüiommene ^luflöfung ber fo=
cialen Orbnung nad) [ic^ jiefjen. ^q» ift leidit ju begreifen.
Wan hxauä)t nur an bie tief in ber menid)Iid)en 9iatur be=
grünbete Siebe jur <SeI6[länbig!eit unb an ba§ 33erlangen naä)
©erec^tigfeit ju benfen.
Sie öfonomifi^e ©elbftänbig!eit ift ein toefentlici^er
Seftanbtfjeil ber menfd)(id)en f^^reifjeit. 2Baa madjt ben 33e=
wo^nern be§ engli)d)en Söort^oufe i^r 2eben fo fc^toer? Sßarum
rooKen biele ben bitterften DJJangel, ba§ größte (älenb lieber
ertragen, al§ in biefe§ „wo^l organifirte" 5trbeit§f)au§ ein=
treten? (S§ ift bie Siebe jur grei^eit, jur ©elbftänbigfeit,
auf bie ber DJienfd^ ofjne fortgelegten, garten 3tt^ang niemals
beräid^tet. S)arum wirb aud^ ber ®ociaIi§mu§, ber üon aßen
@efetlfd)aft§gtiebern o^ne 5Iu§na^me ben SSer^id^t auf ba§
Sigent^um an ben ^robuctionsmitteln unb bamit ben 33eräid}t
auf bie öfonomifc^e ©elbftänbigfeit forbert, fi(^ Ijarten, äußern
3tt)angeö bebienen muffen, um feine ^(äne burc^fü^ren unb
bie burd)gefül)rten bauernb behaupten ju tonnen. Söer ^eute
feine ^robuctibgüter fein eigen nennen fann, magburd) bie9'iDtr;=
wenbigfeit ju leben nid)t feiten in bittere 3tt5ang§Iagen fommen.
5Iber biefer 3>üang ber öufeern 23er^ältniffe ift bod^ ein ganj
anberer S^^^^G ^i^ ^ß^"» ^*-'" ^«nfd^en über 'Tllzn\ä)m aua=
üben. (SS ift me^r 5lot^rt)enbig!eit Qt§ ^^ong, ein 93hi[fen,
bem man fid^ bieüeid^t mit äßiberftreben beugt, roelc^e» aber
bo§ 58emu^tfein unb ha^ ©efü^t ber perföntid^en greifjeit un»
berülirt lä^t. %\xä) ber ärmfte gabritarbeiter fü^tt fi(| ^eute
ai§) freier 9J?ann, ber bei aller pfli(^tgemäf5en S^rfurc^t bod)
at§ ßontra^ent feinem |)errn gegenüberfte^t. (Sr ^at menigftenä
ba§ 9ted)t unb, menn auc^ bieüeic^t in geringem Umfange,
bie tt}atiäd)(ic^e ÜJiögüd^feit , [eine ©teüe, feine 33efc^äftigung
4. S)a§ ?priüateigent]^UTn nad^ b. toiffentd^. ©üoIutionStl^eoric. 291
ju önbern. 5ine§ biefeS entbeijrt ber 5lrbeiter im commu»
niftifd)en ©taate. (Sr i[t ©flaue ber®efamtf)eit, f)i(flo§
bem Söiüen ber DJ^ajoritöt überantroortet, baju im Qlltä9lid)en
2ihm öon ber 2Bin!ür^errfc()aft feiner unmittelbaren 33or=
gefegten üotlftänbig abl}ängig. grei(td) [tef)t i^m ber üiecurä
an bie l^ö^ern Beamten offen. 5lber mirb er bort ^^ilfe ober
aucb nur ©fauben finben? Unb wenn nic^t, foUte e§ i^m
möglich fein, megen jeber Sefcdmerbe an bie ganje ©efeüfc^aft
ju appeüiren?
9tein, um irgenbmie erträglid) ju fein, fe|t bie coüectiöe
^robuction al§ loefentlidK unb unter atten 3;er^ö(tniffen un=
erlüf3lid)e Sebingung tabeüofe 55orfte(jer Dorau§, bie perfönlid^
jeber @elbftfud)t uuäugänglicb, boü 2Beig§eit unb ^JM^igung,
oI)ne irgenb meldie ^arteilid)feit, mit bem f)eroifd}ften Opfer=
finn bem ©emeinraefen fic^ mibmen — aüe§ ä5orau§fe|ungen,
bie t)ereint !aum je in meitern Greifen bauernbe 33ern)ir!=
Iid)ung finben bürften. Unb bod), of)ne biefe 93ermirflid)ung
im roeiteften Umfang fann unb mufe ber (Jommuniamu§ ju
einer SBiütür^errfc^aft unb 33eamtenti)rannei fül)ren, roie fie
bie ©efdjic^te nod^ niemoI§ gefe^en l}at, unb im 33erg{eic^
mit ber bie berüd)tigtften orientalifdien Despotien ala ein
©Iborabo ber grei^eit erfdjienen. Soll ferner ber comnuu
niftifci^e ©taat nid}t ^u einem ^erb emig gärenber Un=
^ufriebentieit merben, fo müpten bie ©enoffen aUe äufammen
ma^ie (Sngel fein, im ©eifte be§ ©e!^orfam§ gegen bie ^e=
amtenmelt aufrieben, gebulbig, ofine ^(age unb mit opfer=
ftarfer Siebe ^ur ©emeinfci^aft alle 5lrbeiten übernetjmen, meldte
man it)nen jumeift, unb ebenfo gebulbig bie gruc^t i^re§
©c^roei^ea, 'oa?, ^probuct if;rer öänbe, ben „boHen 51rbeit»=
ertrag" in ben 3;afd)en be§ ©taate§, ber ©efellfc^aft Der»
fc^minben fe^en.
2Bie öfonomifd^e ©elbftänbigfeit , fo forbert ber yjltn\6)
für fic^ audö ©ered^tigteit. D^ne ©ered)tig!eit befielt feine
^t\äj, Siberaligmug. IL 2, 3XufI. 14
292 ®nttc§ ßapitel. S)a§ 5priöateigentf)um aU feciale ^nftitution.
©ejeüfdiaft. ®cr <SDciaIi§mu§ ober i[t bermöcje feines 2Befen§
geälüungen, ber ©ereditigfeit in§ ^Ingefic^t ju fd)Iagen.
5Jii(^t iebe§ communiftifdje 2el}rfpftem beru()t auf bem
„^rincip" ber ®Ieid)fjeit aller 9}?enid)en. S)ie altern fran=
jöfifc^en ©ocialiften bebienten fid) aüerbingS begfelben, nm
bie (5)ered)tig!eit ber communiflifd^en (SefeUfdiaftSorbnung baräu=
t^un. 2)er neuere @ocia(i§mu§ bagegen fieljt in ber @(eid)=
l^eit nur ha^ „^id" ber I)iftorifc^en Süolution, bon ber er
alles ertüartet unb mit ber er alleS beiueift. ^arin aber
ftinunen ade überein, ^a^ bie „äufünftige" communiftifd)e ®e=
feüfd)aft auf bem „^rincip" ber ®kid)fieit gegrünbet fein
muffe unb o(}ne biefe (S(eid}§eit jum Unbing tcerbe. 5Run ift
eS aber, h)enn auc^ nid)t p^l}fifc(), fo boc^ moratifd) fd^Ied^ter»
bingS unmöglid), ba^ in ber menft^tid^en ^efeüfc^aft bie Saften
unb 2Bo^ttl)aten gteid) üerttieilt Werben, ^eber berartige ä^er=
fucb müBte in für^efter ^z\t f(i^eitern, »eil nun einmal ber
notürlidien 93erfd)iebenf)eit ber Gräfte unb g^ö^igfetten beS
ilörperS unb be§ @eifte§ eine gleiche $ßertt)eilung ber Saften
fd)nurftrad§ äutriberläuft. Sterben aber bie Saften nid)t g(ei(^
üert^ellt, fo fönnen audj bie SBol^It^aten unmöglid^ gleid) ber=
tt^eilt werben, ^wax üerl^eifeen bie communiftifdien @i)fteme
eine berartige gteidie 23ertl)ei(ung ber 2Bol}(tt)aten. 5lt(ein
gerabe ^ierburci^ betöeifen fie mieberum öon neuem i^re ^h=
furbitüt, inbem fie eine gereditere @efeflfd)aft§orbnung an bie
©teile ber auf ßigenttjum gegrünbeten fe|en lüotlen, jugleicb
jeboc^ ber ©erec^tigfeit in einer SBeife in» (S)efid)t fdilagen,
toic bie elenbefte 6igentt)um§Drbnung e§ !aum fdilimmer t^un
!ann. 9Iuc^ hü^ fd)led)tefte So^nfl^flem läfet boc^ roenigftenS
in irgenb einer SBeife bem begabtem unb tüd)tigern 51rbeiter
ba§ 9led)t unb bie 5}iögUc^!eit, ein feiner Ijö^ern 33efä^igung
unb 5trbeitSleiftung ent|pred)enbe§ f}öl)ere§ (Entgelt ju geioinnen.
2n ber confeguent burd^gefüljrten communiftifdjen ©efeüfc^aft
bagegen üerlü^t ber 5trbeiter ben öffentlichen ^i^^^lltifd) » o§"^
4. S)aö ^Pviöatetgent^um naä) b. loifjenfd^. ©öoluttonötl^eone. 293
ba^ feiner „5Irbeit \i)x Ertrag" ju t^eil gelüorben. Sßeiter
nid)t§ fommt if}m 511 über bo§ ^inau§, tüa§ bie 53eamten jur
S8e[trcitinuj feiner „bernunftgemü^en 33ebürfniffe" gnäbigft i()m
gen)äl)ren, S)enn würbe i^m me^r gegeben, fo fönnte er \a
Ueberfd)üffe bilben unb für \\ä) betüal^ren. S)a§ ^riöotlopital
lüäre bamit wieberljergeftent , bie ^iaffen= unb ©tanbe§unter=
f(i^iebe bon neuem eingefüfjrt, pribate ^ienftberpltniffe tonnten
begrünbet werben u. f. h). 2BiII ber ©omnnmiamuS oI§
foId)er fortbc[te(;en, fo mu^ er olfo not^toenbig ieben über bie
jur 23eftreitung ber ^ebürfniffe erforberlid^en @üter f)inQU§=
reic^cnben '^JZe^rertrag ober 9Jle|rraertl^ bem ^2lrbeiter rauben
unb ber @efaint()eit juweifen. W\t anbern 2Borten: für ben
ßommuniämuä fann gar fein ^rincip be§ 9ted)te§
ober ber 33inig!eit bie SSert^eilung ber ^probucte be=
I)errfd)en. 5?idjt§ anbere§ entfc^eibet l^ierbei al§ ba§ „53ebürfnip"
bc§ einzelnen. „Sebem nad) feinen S3ebürfniffen", b. I). mi)l
bor aüem nad) ber (Srö^e feine§ 5Jlagena ! 2BeId)er 5lbgrunb
bon 6(^nmcö unb @rniebrigung — abgefefjen bon fd)reienbfter
9{ed)t3ber(e^ung — liegt ferner allein in bem Umftanbe, ha^
frcmbe ^erfonen , 33eamte be§ ©taate§, fic^ ein Urti)ei( bQr=
über erlauben bürfen, meldte „33ebürfntffe" ein jeber I)at, ein
jeber befriebigen barf ! ^
Sft e§ nii^t wafjrfjaftig bie boUenbete 2Bieberf)erfteIIung
ber ©flaberei im großen 'Stile, mit unau§roeid)barer 5fJotf)=
menbigteit für einen beftimmten |)errn, bie „©efellfdjaft", fein
gonjeä öeben lang arbeiten ju muffen, nur für biefen einen
^errn arbeiten 5U !önnen, genau nad) 3^^^ ^'"^ ^^"t ^^^ ^^=
fd)äftigung immer ba§ arbeiten p muffen, ma§ btefer eine
|)err befieljlt, — Sag für Sog arbeiten ju muffen ol^ne 9lu§=
* 95on einer aSebürfnipcfriebigung „nad) aSelieben" fann jo
felbflüerflänblic^ niä)t bie Otebe fein, toeil fonft jeber fo öiel an fic^
reißen toürbe, aU er nur Befommen fönnte.
14*
294 ©rittet ßapitel. ®a§ ^ribatcigentfium als joctale ^nftitution.
fic^t auf ben „boHen (ärtrog ber ^Irbeit" , — of)ne 5Iu§[id^t
auf einen geredjten , ber 5kbett§(eiftung entfprec^enben So^n,
aüein gegen eine ©uppenfarte unb einen 5reipla| am üü=
gemeinen ©taatStrog ? ^ —
S)ritten§. (Sine 53eflätigung unferer SenDeife au§ ber
inbiDibueüen unb focialen 5^atur be§ D^?enf(i)en, jugteicf) einen
befonbern 5öeroei§ für bie Dlot^iüenbigfeit unb bie Sere(i)ti=
gung be§ ^riöateigent^umg bilbet, n^ie bereits angebeutet
tüurbe, bie Ue berein [timmung be§ ganzen 91ienid)en=
gefd)Ie(^te§ in 5tnerfennung ber Sigent^umainftitutioni.
Sft e§ bod) offenbar, ha^ eine (Sinric^itung, bie immer, überall,
in aüen @pocf)en unb bon allen 2>ö(fern al§ ber 9tatur ent=
fpred)cnb anertannt mürbe, nid)t im 2öiberfpru(^e mit ber
9Zatur flehen fann. ©onfl göbe e§ für ben 5D?enfc^en über»
^aupt feine 9}Wg(i(^!eit ber SrfenntniB be» 33ernünftigen,
Dlaturgemäßen, @ered)ten. S)iefe nac^ 3^i^^rt unb 3}ölfern
angemeine 5lner!ennung mirb nur bon p^antafieüoüen 25er=
fed)tern .ber ©boIutionSibee beftritten , mä^renb gerabe bie
fjiftorifd^e SBiffenfdiaft fie boüauf beftätigt.
D3kn fann [ic^ bemgegenüber nid)t auf ba§ angebliche
ober mirflic^e „urfprünglic^e" ©ollectibeigent^um einzelner ober
ber meiften 53ö(fcr berufen. S^enn junäc^ft ift ba§ „Ur=
fprünglic^e" feineSmegg immer 'ba^ „9iatürlic§e". ^n 2Bin=
beln eingemidelt ju fein, ift bem 5D?enfd)en „urfprüng(id)",
ober nici^t gerabe fe^r „notürlici^". „5^a§, ioa§ ein Söefen
bei feinem erften Sntftefjen ^at, bitbet ben urfprüngfic^en
3uftanb; mag i^m aber bermöge feiner naturgemäfjen unb
bollfommenen ©ntmidfung jufommt, bilbet ben natürli(!^en
3uftanb."2 ©arum barf man ferner aud) nidjt bo§ „9Zatür=
Iid)e" au§ einem 3uftQnbe erfennen mollen, melc^er bie natur=
' Schiffini 1. c. p. 141 sq.
■ %apaxtin a. a. £). I, 408.
4. ®Q§ ^priöateigentl^um nadf) b. Unfjenfd). ©öolutiongtl^eorte. 295
gemäße ^ßl)t ber (Sntloicflung nod) nid)t borftedt ober bon
berfelben tpieber f;era6geiunfcn ift. ßublicf) äeigen fid) logar
bei ben am tiefften ftel^cnben 3}öIferf(^Qften genügenbe ©puren
unb 5(nfänge be§ (Sigcntl)um§. Solange [ie aU ^Jomaben
leben, gefjören ben einzelnen ^^amilien ober ^nbiuibuen tt)enig=
[ten§ bie ^e^t^- Sagbroerf^euge unb bie |)erben. ^aum aber
l)aben [ie fic^ bouernb niebergelaffen , fo entraicfelt fid^ aud^
jel^r bülb 'i)ü^ ^rioateigent^um am ©runb unb 53Dben. —
3um @d)lui[e nod) eine furje 5ßemerfung. 2Ber unferer
^Berociafü^rung mit 3(ufmerffam!eit gefolgt ift, ber trirb fid)
ber Uebcrjeugung !oum berfdiliefjen fönncn, ba^ bie @igen=
tf}um§inftitution nid)t blofe bem natürlid)en 9f{ed)te gemäf?
ift {secundum legem naturae), fonbern in gemiffem ©inne
al§ eine $ßorfc^rift be§ natürlidjen gied)te§ {de lege
naturae) begeidinet tt)erben mu|. ^
2)amit fott nun aüerbingS nid)t gefagt fein, jeber ein=
3 eine ^^enfd^ ^aht bie ^flid^t, Sigentfjum ju erwerben, fo=
meit nid)t bie ©elbfterfjaltung in unmittelbarer grage ftetjt.
33ielmel)r Ijanbelt e§ fid) um eine generifdie 9lotf)mfnbigfeit,
um eine 9lot^menbig!eit für bie 5Jienfd)en unb bie menf(^lid)e
©efeüfdiaft im allgemeinen, öf^nlic^ tt)ie e§ au(^ für bie
93Jenfd)cn not[)n)enbig ift, bafe @§en gefd)Ioffen tüerben, Db=
h)o^( nic^t jebem einjelnen ^nbibibuum bie 5|3flicj()t obliegt,
ba§ et)elid)e Seben für \\^ ju toö^Ien. ^
' 31. Saft dein S. J. (Le Socialisme et Ie Droit de Propriete
[Bruxelles 1896] p. 511 ss.) fafet bie jiatutrecf}tlic0e SBearünbiing ber
@igentI)innätnftitution unter bem breifai^en ©eftd^t§)junfte sufammen:
3)er SDflenfiJ) ift ein t) e r f ö n li cE) e § , ein ber 3} e r d o 11 ! o tn m n u n g
fät)tge§, ein fociate§ 2Bejen.
2 Schiffini 1. c. p. 146: „Hoc porro accipi debet consimili
plane ratione ac asseruimus agentes de naturali hominis sociabili-
tate. Quemadmodum enim lex naturae, etsi non praecipit siiigulis
hominibus, ut sint membra societatis perfectae sive civitatis, prae-
296 ®ntte§ Kapitel. ®q§ ^riüateigentl^um aU fociole önftitution.
5. jÄffgcmcinc ginwcnbungcn gegen btt$ ^rbateigcttfßuitt.
1. ^ie 53ered)tigung be§ ^tit)ateigent|um§ i[t roieberljolt
auf ba§ leb^aftefte beftritten morben. ©ogar auf bie Sljeologie
unb bie ^eiligen Sßäter ^at man \\ä) berufeu, um bar^uttjun,
bafe bie f§igentf)um§iuftitution ettoa» 5[Ri|bräud)(ic^e§ uub ein
Unglüc! für bie DJknfd}[)eit fei.
Tlan6)z Sfjeologen fefiren, im ^parabiefe mürbe baa falte
DJ^ein unb S)ein feine ©eltung gefiabt I}aben. Sie betrachten
fomit bie 5ef)(er unb <Sd)mäd)en bcr menfct)Iid)en 5Zatur im
gefallenen Suft^"'^ öI§ 9tcd)t§grunb be§ @igent^um§. 5?un
aber fönnen "toä) ^^efiler nicE)t Slcc^tSgrunb fein, am aEer=
menigften ©runb eineä natürlidien 9ted}te§.
2)ieier ^inmanb berufit offenbar auf einem 5[llijiberftünbniB.
3ene Sfjeologen 6etrad)ten bie ^e£)(er unb ©(^mäd)en ber
menfd)(id)en 9iatur jmar al§ @runb, marum bie @igen=
t§um§inftitution notljmenbig fei, !eine§meg§ aber al§3fied)t§=
grunb berfelben. (S§ fann ganj mo^I gef(5ef)en, baJ3 etma§
unter gcmiffen 33orau§fe|ungen ala notf)menbige§ Mittel
jur (Srfiaftung ber natür(id)en O r b n u n g fid) barfteüt,
ma§ unter anbern 2>0rau§fe|ungen bieüeic^t nid)t not^menbig
gemefen märe, ©o jeigen benn anä) jene 2:l)eD[Dgen, ba^
für bie 5}?enfd)en, mie fie ^eute t^otfädind) finb, bie
@igentf)um§inftitutiDn für bie rid)tige ßntroidtung be§ inbit)i=
buellen unb focialen 2eben§ uncntbeljrlic^ ift, mäfjrenb fie
cipit tarnen universe et in genere, ut diversae familiae sufficienter
multiplicatae in unam vel plures societates civiles congregentur :
sie etiam non exigit quidem, ut singuli homines vero aliquo do-
minio proprietatis actu fruantur individuali aut collectivo, exigit
tarnen, ut in praesenti statu humani generis, et in tanta hominum
multitudine, prout nunc existunt, non sit illa bonorum communitas,
quam communistae et socialistae proponunt, sed dominia reruni
uno vel altero modo sint divisa in proprietates diversas, easque
etiam privatas et individuales."
5. SlCgemeine ©inrcenbungcn gegen ha§ ^riüateigenti^uin. 297
annel^men, ba^ bor bem ©ünbenfaHe bie Sfjeilung ber ©üter
ni(^t erforberUt^ gert)efen wäre ^ —
©injelne ber ^eiligen SSäter, [o tüenbet man ferner ein,
j'd)einen ha^ ^riöateigent^um lebiglid) auf ungerec()te ©etüdt
äurücfsufüfjren. ©o fd^reibt ber {)(. 5ImbrD[iu» (1. 1 de offic.
c. 28): Natura omnibus in commune profudit . . .,
* 9iobfieTtu§ = 3fagc^ott) (ügl. 3itr SSeteuc^tung ber fociaten
i^roge [Serlin 1875] ©. 222) , ber im ©sgenfa^e äur (^riftli^en
5Pf)iIo!op:öte ätoifd^en mtx\]ä)liä)n ^latur imb ^ßrtDatetgentfjum an ben
^robuctionSmitteln feinen not^tcenbigen Sufftoxmen^ang anerfennt,
nielmel^r in bem ©runb= unb .ßopitQlcigent^um nur eine öorüBer:
gel^enbe, rein Ijiftorif^e ^^ofe ber inirtfi^afttii^en ©ntloidlung er=
IilidEt, — felbft ütobBertug fpri(f)t Don einer toenigfteng relatiöen
Slot^luenbigfeit beä @igent()um§, b. f). Don einer Dlotljtoenbigfeit „für
bie f)eutige Seit". „3* glaube niäjt," fagt er, „ha^ ber freie SBitle
ber ©efetlfc^aft :^eute ftar! genug ift, um auc^ ben S^^flng jur Slrbeit,
ben jene 3tnftitution (©runb= unb ßapitaleigent^um) oufeerbem no(^
übt, f(f)on unnötl)ig ju mad^cn. . . . ^^ glaube ni(^t, ba% bie ©efeü=
fd^aft il)ren 9Beg biixä) bie Sßüfte fc^on beenbigt l)ot, ba% i^ve fitt=
lid^e firaft fcE)on gro^ genug ift, um baä gelobte Sanb ber ©rlöfung
Don ©runb= unb ßapitaleigentfjum burd) freie Slrbeit erwerben unb
bef)aupten ju fönnen." — 2tu(§ tnir glauben mit manchen ber :^ei=
ligen ^irc^euDäter nicfit an eine nbfolute Dlot^aenbigfeit beö
^riDateigentl')um§. S'oc^ ift ba§ getobte Sanb , in itielc^em ba§ falte
SJlein unb ©ein feine ^iotte fpielte, tDO bie Strbeit fetbft nur Suft
unb fjreube bot, Don aEen Sornen frei, — nacf) ber (|rifttic^en Sef)re
ein bnrd^ bie ©rbfi^ulb längft Dertoreneö ^arabie^, n)äl)renb 9tDb=
bertuä ba§felbe erft in ber 3u'^unft fud^t. 3lnn , bie menfd)(ii^e
9^atur ttiirb fid^ nicfit änbern, toeld^e 2Bege auc^ immer bie f)iftorif($e
®ntttncf(ung einfdfilagen mag. DJlit alten if)ren SSorjügen, aber au(i)
mit aüen ^^toä^m be§ gefatfenen Sufti^n^sö ti^ii'^ f^^ bleiben, toie
fie tjeute ift, — erlöfungSbebürftig, ber ©rlöfung tt^eil^aftig in Sejug
auf ©($ulb unb Strafe, ober bcä ©iabemä ber urfprünglicf)en ®e=
rec^tigfeit tnie beä ^ßarabiefeä für immer Derluftig. — Cf. ScJüffini
1. c. p. 173 sqq. — ®ie @igentt)umöinftitution ift alfo de iure naturae
hjjpotlietico, b. i). ba§ 3taturre(^t forbert fie in ber 3}orauöf e^ung
beä gegenwärtigen, gefallenen 3ul"tß»'^£^ ^^^ 3Jtenf^en.
298 ®titteä ßapitel. S)a§ ^ßrtöateigentl^um aU fociale ^nftttutioti.
usurpatio^ vero fecit privatum. Unb ber ()I. SafiliuS fagt
(Homil. in Luc. 12, 18): Si quis loco in theatro ad
spectaculum occupato deinde ingredientes arceat, id
sui ipsius proprium ratus, quod ad omnium communem
usum proponitur, tales eiusmodi quoque divites sunt.
Nam communia praeoccupantes ea ob praeoccupationem
sibi assumunt.
%\t lieiligen 33ütcr fämpften in i()rer '^zxi gegen ba»
abfohlte Sigent^um unb ben ^artJ^ergigen 9teid)t^um.
Siefem gegenüber l^oben [ie l^eröor, ba^ bie ©üter nid^t gut
©r^aüung einzelner, fonbern oüer 5)?en)dKn beftimmt unb in
biefem ©inne üon 31atur allen gemeinfam feien. 9lur burcE)
ein pofitiDeä, menid)Ii(f)e§ factum tarnen bie ®üter in ben
^efit; be§ einzelnen, unb biefe» factum ne^me geraifferma^en
ben 6()ara!ter einer ©eroaüt^at, eine» Ütaubeö an, wenn
bie 9feid)en in ma|(ofer ^abfudjt ade» an fid) riffen unb ber
auf bem (äigent^um ruf)enben 5pf[id)ten öergäßen. —
93ian ^at ebenfalls bem ^I. Sboma» öon ^Iquin bie
5(nfid)t 5ugeid)rieben , ba» ^riDateigent^um öerbanfe aud) al§
gefeafd)aftlic^e ^nflitution feinen Urfprung lebiglic^ bem
menfd)ü(^en pofitiben Üted^te. 2)a§ ift unrichtig. 3>üar
leljrt St)üma§ -, baß bie distinctio possessionum secundum
humanum condictum fei, quod pertinet ad ius positivum,
ut supra dictum est (q. 57, a. 2 et 3). 2ßenn er bann
q. 57 1. c. fie bem ius gentium 5ut()ei(t, fo ifi i^m biefe§
ius gentium nacö ber einen (Scfläriing aüerbings nic^t
gleid)bebeutenb mit ius naturae, aud) nic^t bie not^roenbige
Folgerung eines (5a|e§ au§ bem ius naturae, fonbern eine
1 2)aä 2JÖort iisurpatio, befjen ficE) ber T)L Stmbrüliuö bebient,
toirb übrigens in ber lateinii'dien ©pradie auä) öon ber legitimen
OcculDation gebraudit. SSgt. ©atrjrein, aJloralpbiMo^J^ie H, 4. 23uc^,
§ 5 (3. 2lutl.), 312 ff.
2 2, 2, q. 66, a. 2 ad 1.
5. Slffgemetne ©intcenbungen gegen bog ^riöoteigent^um. 299
burd^ bie menfd^Iic^e grcifjeit ^injutretenbe recS^tlid&e 5Se[lim=
mung. S)ie fonftigen (jpöter bon un§ angefüfirtcn) ^euBc=
rungen be§ I}L SJ)oma§ laffen aber feinen SttJeifel barüber
be[te()en, bo^ ber englifrfie Seljrer bie distinctio possessionum
ber 53er|3flicötung naä) — be^üglic^ be§ großen ©onjen
ber 93?enfd^I}eit — qI§ im ^ioturredjt begrünbet auffoBt unb
nur ber 5Iu§fü^rung na^ pofitiöen 9ie(i)te§ fein läßt. —
Sincr anbern Srüärung zufolge berftel^t ber f)I, %i)oma^ unter
ius naturale allein bie unmittelbar eöibenten ©runbiä^e be§
9?ed)t§, n)ü[)renb er ius gentium bieSc^Iu^foIgerungcn
nennt, welche [icf) mit ^^Dttjmenbigfeit qu§ jenen oberften
(Srunbfä^en ergeben unb ba^er auc^ tfiatföd^Iid) na^e^u all=
gemein bei allen 23öl!ern 5Iner!ennung genießen, ©o rechnet
ber 1^1. 2:f)oma§ j. 33. ben @a^: „S)u foUft bie Sßerträge
J)alten" , ober: „®u foüft nid)t ftef)Ien" , jum ius gentium,
obmol)! niemanb jroeifelt, boB biefe (5ö|e jum ius naturale
im heutigen unb im ariftotelifcfeen ©innc ju rechnen [inb.
3)er englifdie 2ef)rer beftreitet aI[o ni6t, fonbern be[)au|3tet
fogor bie naturrec^tlic^e 33egrünbung be§ @igent^um§, inbem
er baSfelbe bem ius gentium 5utt}eilt ^.
1 S8gr. S. Th. 1, 2, q. 95, a. 2. — ©benfatt§ bie übrigen
Sd^olafttfer ()abcn bte 91 o t :^ m e n b x g f e i t oDer eine ber 9totf)nienbig=
feit gleic^tommenbe 2lngemeffenf)eit be§ 5priüatetgentf)um§ anerfonnt,
toenn fie auc£) über bie 31 rt unb 2öeifc be§ SßoIIjngg ber 9?er=
t^^eilung üerfc^iebener SJleinung uiaren. So glauben g. 58. SDloIina
(De iustitia et iure I, tract. 1, disp. 4, n. 8) unb ©uareg (De
legibus lib. 2, c. 14, n. 13; c. 17 sqq.) of|ne ®Q3toifd}entreten beö
Jjofitiöen 9te(f)te§ ober eine§ S>ertrQgeö bie urfprünglii^e 9}ertr)eitung
ber ©üter niäit erllären ju tonnen. ©Icit^geitig geben fie ober gu,
bQ§ bie meni(f)Ii(^e Slatur unb baljer 'ba^j natürliche 3iecf)t irgenb eine
aSertbeilung forbere. ©ie beftritten alfo feineötnegS bie natur=
re(i)tlt(i)e SBegrünbung ber ®igent;^uin§inftitutton. {Gi. L. Mo-
lina, De iustitia et iure I, tract. 2, disp. 20. — Fr. Suarez, De
opere sex dierum 1. 5, c. 7, n. 17). Cf. Lehmkuhl, Theologia
14**
300 S)titte§ ßapitel. S)a§ ^riöQtetgentf)um als fociale ^nftitution.
5(uc5 5)? a £ ^J^ n u r e n 6 r e d) e r 1 gibt ju , ba^ in bev
33eurt^ei(um3 ber bie§6eäüglic^en Seigre be§ 5Iquinaten „bie
fat^olifc^en S^orfd^er ber äöa^r^eit bebeutenb nä^er gefommen
finb, a(§ if)re ebangelifc^en (Segner. 2)enn t^atfäd^Iid) finben
fi(^ ©teilen, an benen Sf^oma^ ba§ (Sigentf)um§re^t, n)enn
oudö ni(^t bem ,9iaturrec£)te* im eigentHdien ©inne be§ SBorte§,
]o immer(}in nod) bem ,natürlid)en 9ted)te' unterfteHt. 2öir
f)Qben . . . gefe^en, ba^ er bie|e§ ,nQtürIid)e 9ted}t' in jmei
Stjeile ä^rlegt, Don benen einer bie an fic^ natürlichen, ber
anbere bie um gemiffer folgen toiüen natürlichen 9ie(^t§ber=
{)ö(tniffe umfaßt 2: jenen nennt er ba§ ,9]aturrecbt' im engern
Sinne, biefen ba§ 33ö(ferred)t ; jene» i[t allen lebenben SBefen,
biefeS nur aßen ^JJenfc^en gemeinsam; jenes beruht auf ben
angeborenen, me^r in[tinctiben trieben, biefe§ i[t ein (5r=
jeugni^ ber allgemeinen men[d}Ud)en 33ernunft ; beibe ^ufammen
fteljen aber a(a ,natürlid)e§ ütec^t' in bem ©inne, mie 5Irifto«=
tele§3 tia^ SBort gebrandet ^atte, bem t)ofitit)en ®e[e|e§red)te
gegenüber, ^lut biefem »natürlichen 9ted)te' ru^t nun nad)
2;^Dma§ aud) ha^ ©igentljum. Sa§ ,9laturre(^t' im engern
©inne freilid^ ^at nid)t§ bamit ^u tl)un; benn an fic^ liegt
!ein ©runb bor, marum 5. 53. ein 5lder biefem unb nid)t
einem anbern get)ören füllte: ,an fid) gefjören alle Singe
gemeinfam', mie er an einer anbern ©teile* fagt. 5lber
um geiüxffer folgen tüiüen . . . ift e§ boc^ ,natürlid/, ha^
moralis I, n. 906. 9SgI. ©ati^vein, 3D'loraIpr)ilDfopf)ie I. %i)i'd,
8. ^uä), § 2 (3. StufL), 479 ff.; IL %i)äl, 1. Slbt^., 4. Sud^, § 5
(3. 2lufl.), 315 ff.
1 Sfjomaä üon 2Iquino§ ©tellung 3um äßittfcfiaftäleben feiner
Seit (ßeipätg 1898) ©. 113. 117. — »gl. anä) granä ©d^aub,
Sie @igentf)umöW)re naä) Stomas öon Slqutn unb ber moberne
©odaIt§mu§ (OfreiBurg 1898) ©. 259 ff.
2 S. Th. 2, 2, q. 57, a. 3 c.
3 Sögt. Com. in Eth. V, lect. 12 b.
* Sögt. De sortibus c. 2. S. Th. 2, 2, q. 66, a. 2 ad 2.
5. 5lQ9emetne ©intoenbungen gegen ba§ ^riüatetgentl^um. 301
bei* 5(dfcr einen be[tinimten 33e[i|er (}ak; unb barum gehört
ba§ (Sigentf)uni§red)t 5U jenem sroeiten 21)eile be§ ,nQtürIi^en
9{edöte§', bem ,5Böl{erre(i)te'. 3)em entipri(^t burd)QUa jene . . .
^Infc^auung , ha^ ha^ ^rioatetgentljum eine Stgänjung ju
bem ,5?aturred)t' im engern Sinne be§ Söorte§ i[t, weil [a
'i)a^ ,93ölferred)t' gerabe bQ§ eigentlid^e ,3Sernunftrec3^t' i[t."
S)ie ©teüe, anf meiere 5[Ranrenbre($er hierbei Sejug nimmt
(Com. in Eth. V, lect. 12b), lautet: „5«aturrec^t i[t bQ§=
jenige, moäu bie Üiatur ben 9J?enfc^en hinneigt. 9?un !ann
man aber eine boppelte Statur im 5[Renfc§en unterjd^eiben, eine
animalifcf)e, meiere i[}m mit ben Spieren gemeinfam ifi, unb
eine menfi^Iic^e, meldie if)m a(§ 9Jienfd)en eigen i[t, b. 'i).
infofern er mit feiner 33ernunft (Sd)änblid)e§ unb (S^rbare»
unter[d)eibet. ®ie ^uriften aber nennen 5laturred)t nur ba§,
ma» fid) au§ ber 3^eigung ber dlatux ergibt, bie bem ^knj(^en
mit ben Spieren gemeinfam ift, mie bie SSerbinbung öon 93knn
unb Sßeib, bie (Sr^ie^ung ber .^inber u. a. dasjenige 9ted)t
aber, ba§ au§ ber eigentlid) menfi^Iidien 9?atur folgt, infomeit
ber D}^enfc^ öernünftig ift, nennen bie ^utiften ius gentium,
meil e§ bei aüm 3Sö(fern in ©ebraud) ift, loie 3. $8. ba^
man 33erträge I}alten muffe u. f. tu."
@§ ift fomit erfid)tli^, toie irrig bie 33e:^au|3tung mar,
Stomas l^abe an einen urfprünglid^en ßommuniSmug geglaubt
ober biefen, nic^t aber ba§ ^ribateigentr^um, al§ eine natürliche
Snftitution anerfannt 1.
1 Sie falf($e Deutung, toelcfie «ßrof. 3(Ibett 9ttt|($t ber ße^re
beä f)I. Sfjomaä gab (S^eftrebe jur freier be§ ISOjäfirigen ScfteljenS
ber Hniüerfität ©ottingen. 1887) luurbe surüdfgetriiefcn bitrc^ ^rof.
D. .'pcrtling (3ur SSeanttoortung ber ©ßttinger ^it^^ilcumsrebe.
[DJlünfter unb ^aberborn 1887] ®. 9 ff. »gl. aiiä) ^ertling,
kleine ©d^riften jur SntQt\ä)iä)ti unb 5poUtif [iJretburg 1897]
©. 135 ff.). ebenfarfS ßut^arbt, ©ottf(§icI, 2Benbt finben
bei Sljomae 5ln!Iänge an ben ßommuniöniuä. Slnbere ^Proteftanten
302 ®rttte§ ^apittl ®a§ ^rtöateigentl^um aU foctale 3fnftttution.
2. ©e^r gerne tüeifen focialifttfcöe ©c^riftfteHer ober 5IgitQ=
toten ju @iin[ten be§ Kommunismus auf ba§ 53eifpiel ber
erflen (S^riften unb ber ^löfter ^in.
|)eute unterliegt e§ nun naä) bem 3eu9"iffe ber beften
5lutoren feinem Smeifel me^r i, „bafe e§ bei ben er[ten 6t)ri[len
feinen eigentlici^en Kommunismus gab. 3Iuc^ in ber
©emeinbe bon ^erufolem fonn 5U feiner 3eit t3on einem tt)irf=
lid^en Kommunismus bie 5Rebe fein, fonbern nur bon einer
f)oä) entmicfelten ^Armenpflege (Organifation ber SSer=
t^eifung), bie fo fefir bem ^beole einer folc^en entfprad), bo^
feiner 5}?QngeI litt unb jeber Üteic^e feinen 53efi| gleic^fam alS
Kigent^um oller be^anbelte. So^ biefer guftanb fid) tf)QtfQd)ric&
mie eine ©ütergemeinfc^oft ausnahm, tjatk feinen ©runb in
mehreren Umftönben: 1. mar bie Doüenbete 33ruberlicbe, mit
ber \\ä) QÖe ©lieber ber ©emeinbe, arme unb reid)e, gegen=
feitig umfaßten, ber ©runb für bie großartige greigebigfeit.
5Ipg. 4, 32 leitet gerabeju bie ©d^ilberung ber ^rmcn|)flege
ein mit ber S3emerfung, baß alle ,ein |)er3 unb eine <2eele'
gemefen feien; 2. lebten biefe K^riften in engfter SSerbinbung
miteinanbcr in einem faft familien^aften 3«fommenI)ange,
ttiorauS fid) bon felbft ergab, baß t^atföcblic^ unb maS bie
SBermenbung anging, feiner me^r feinen SBefi^ als eigentlic!^
bagegcn, tote f). ^Ritter, §. Sonden, 3ff)eTtng, 2tfr)Ie^,
ßt^jpert, unb bann, tote toir fal)en, 9Jiaj 9JIq urertbreifier,
jpred^en ben Slqutnaten ton ber 3ln!Iagc coinmuniftiydEier Slenben3en
frei. — 939I. nod} au§ ber fotfjoltfdien Stterotur: ?yran3 aßalter,
®Q§ (Sigenltium naä) ber Sefire be§ 1)1. S;f)onia§ nnb be§ (SocialtömuS
(S^reiburg 1895). — S^rans ©djaub, Sie ®igentf}um§re^re nodö
Stomas üon ?lquin unb bem mobernen SocioIiSmuS (Q^retburg 1898).
1 35gr. Dr. ©eorg 31 biet, ©ef(f)tcf)te be§ ©03tQlt§mu§ itnb
-^OTnmuni§tnu§. Seip3tg 1899. (g^ranfenfteinfd^cS §anb= ttnb ßei^r=
hnä) ber StaatStoiffenfdjQft. 1. 3lbt()., a3b. III, ®. 69 ff. — gingel^enb
bef)anbelt biefe ^rage aud) Sin Ringer, ©efd)ic^te ber ürd^ltdien
5trmenpfregc. 2. Sluff. 1. 3lufr. (1868) 6. 15 f.
5. Slttgememe ©intoenbungen gegen ba§ ^rtöateigentl^uin. 303
per|önli(^e§ Sigcnt^um ju betrad^ten fd)ien. S)orum I)ebt
?Ipg. 2, 44 auc^ ^erbor: ,Qne tüoren beifornmen unb fjatten
(bc§[)alb) aUea gemcinfc^oftlid)' ; 3. mu^ bie .^irc^e bon ^etu=
falem eine ungeroöfinlicf) gro^c ^(nja^I bon Irmen ge^äf)It
l^aben. '^pauIuS [ieljt fic^ toiebcrljolt beranlaBt, in feinen ®e=
meinben Soüecten für fie abl^nlten ju laffen (1 .^or. 16,
1. 3. 2 .^or. 8; 9, 1. Wöm. 15, 26). ^q in bem 33er=
trage, ben bie (5äuIen=5IpofteI auf bem fogen. (Soncil bon
Serufalem mit ^aulu§ über bie S^eilung ber SJ^iffion« arbeit
fc^Ioffen, bet)ielten [ie fici) bor, baB ber ^eibenapoftel jum
3eid)en feine? fortbauernben 3ufömmen{)ange§ mit ber jübifc^en
93Jutteriird)e ber Firmen bon ^erufatem ftet§ gebenten raerbe
(@a(. 2, 10). S)ie 3lrmen|)flege muß alfo eine [länbige unb
fdimere ©orge für bie Seiter biefer ©emeinbe geioefen fein. —
^afjt man ane§ jufammen, bann erklären ficb bie communiflifc^
üingenben Senbungen ber ?tpDfteIgef(^id)te. ^afe biefe in ber
Söat nid}t§ anbere§ fagen tüotlten, al§ baß in boüenbetem
'iDlaße bie ?trmenpflege geübt worben fei, gef)t au§ ber 23e=
mcrtung 41, 34 ^erbor: Neque enim quisquam egens
erat inter illos, tt)a§ al§ ha% (SrgebniB ber bermeintlicben
©ütergemeinfc^aft Ijingefteüt mirb. S)iefe Söorte entl^alten aber
eine fel}r beftimmte 5lnfpielung auf 5 Tlo]. 15, 4: Et om-
nino indigens et mendicus non erit inter vos. S)ie
bort gegebene altteftamentlii^e 33orfd)rift über bie tr)erftl)ätige
5Md)ftenIiebe gipfelt in biefem ©a^e. Sie 5Ipoftelgefcöid)te
vo'iti burd) ^Ineignung jener Borte jeigen, t)a\^ unter ben
(S^riften bie boüfommene ßrfüüung jener altteftamentlicben
3?orfc^rift erreicht morben fei, I)at fomit ebenfomenig (5Dm=
muni§mu§ im ?Iuge, mie ^J^ofe«. gerner lüfet fid) qu§ eben
ber ?Ipofte(gefc^id)te geigen, bafe t^atfäc^licö einzelne unb gerabe
^erborragenbe ©lieber ber ©emcinbe ^ribateigentl^um f)atten.
12, 12 tt)irb ba§ C^au§ ber 5}kria, ber 5Jiutter be§ SoIjanneS
5Diarcu§, erwäl^nt. (S§ war in diriftüdiem 33efi|; bcnn ^ier
304 S)ritte§ ^apM. S)a§ 5Prit)Qteigentf|unt aU focide Snftttutton.
roaren bie ©laubigen lüäljrenb ber a^erfolgung äum ©ebete
üerfammelt , mib ^ier^in lenüe 5|3etrii§ nod) ber Befreiung
fofort feinen ©diritt aU 511 einem fidlem 3uPii<^t§D^te." 1
9?euere ©ocialiflen geben ju, bnfe in ber erflen djriftlidjen
©emeinbe jioar !ein @e)amteigent!)uni an bcn eigentlichen ^ro=
buction§mitteIn beftanben 'i^abt, tt)D^( aber ein 6ommuni§mu§
be§ ©enießenS unb ©ebraucfteng, namentlid) im ^in=
blicf auf bie Lebensmittel 2. 5l[Iein ebenfomenig mie bie
©emeinbe al§ 9tedjt§)ubject ber 5)3robuction§mitteI erfcbeint,
mar fte 9ted)t§fubject be§ (Sigent^umS an ben ©enu^mitteln.
@in SSergleic^ ber l^ierljin gehörigen Sejte^ bemeift bi§ gur
ßbibenj, ^ü'^ afie§ ?J?ittf)eiIen auf bie ^^f(id)t ber d)riftlid)en
5^äd}ftenliebe jurüdgefütjrt mirb. Man foü mittljeilen, aber
„ein jeglid)er, mie er e§ beftimmt ^at in feinem ^erjen,
nid)t in Sraurigfeit ober 3tüang; benn einen fröpd)en ©eber
^at ©Ott lieb."* —
Unb nun ber „ß'ommuniämuS" ber ßtöfter! @r
berufit äunöd)ft für jeben einjelnen auf einem freien @nt=
fd)IuB, auf bem freien, au§ ^öl^erem S3emeggrunbe gemoüten
Opfer ber perfönlid^en ©elbftänbig!eit unb be§ 23eft|e§. @r
fe|t ferner eine fortgefe|te ©elbfibe^mingung, eine
5öe(jerrfd)ung aller natür(id)en Sriebe unb 9ieigungen, einen
nie erfterbenben Opfergeift, eine l^olje fittlid)e Ä'raft jur (Snt=
fagung tJorauS, bon ber bie gro^e DJ? äffe ber ÜJ^enfc^en feine
5l^nung fjat. S)ie gan^e 2BeIt, ein ganjeS 23oIf läf^t fid^
' Kölner ßorrefponbenä für bie geifll. $räfibe§. herausgegeben
bon Dr. ^. Dberbörffer. 6. afaljrg. (1893) ©. 163 f.
2 aSgl. Sernftein unb ^autSf^, ®efd()id^te beö ©octaliöinu^
I, 26 f.
3 möm. 12, 10; 13, 20. 1 ßor. 6, 1 ff.; 7, 30; 11, 20. 2 ßor.
8, 3; 9, 7. 1 Stjeff. 4, 6. 9 ff.; 2 Sfieff. 3, 8. 10. 12. ©pf). 4,
28. 32. 1 Sim. 6, 17 f.
* Sögt. ?l. Sötnterftein, ®te ä^riftlid^e Sef^re Dom grbengut
main^ 1898) ©. 116 ff. 136 ff.
5. Stilgemeine ©intDenbungen gegen bü§ ^rtöateigentl^um. 305
nun einmal mä)t in eine religiöfe @eno[]enfd)aft umroanbeln.
©old^e eelbfilofigfeit, tt)ie ber Crbenö[tanb [ie bürauSi'e^t,
wirb üielme^r [tet§ unb überall nur in einem !I einem
^"reife, bei einer üerl^ältnißmäßig geringen ^fnja^l öon
^Uenfc^en [id) finben, benen ©ott bie außerorbentüdie ©nobe
be§ 58er ufe§ ju biefem ©tonbe berliefien. ^
3. 3n ber 3?orau»fe^ung, ba^ @igentf}um, namentlid) am
©runb unb Soben, befteljt, tnirb not^wenbig eine große Un=
gleic^^eit in 33eäug auf bie materielle Sage unter ben DJ^eufdien
entfielen. 2)a§ aber miberfpridit ber natürlichen @Ieid)=
^eit ber 5)ien)d)en.
@§ i[t ein alter, oft miberlegter ^rrt^um, bem biefe @in=
roenbung entftammt.
2Benn icb öom „^lenfdien" im allgemeinen unb abStract
rebe, Dom D3ienid)en al§ einem nur mit hm 5um Segriffe
„5J?enf(^" mefentücben ßigenfdjaften begabten SBefen, Dom
93knfcöen al§ einem SBefen aua ©eift unb Körper ^ufammen^
gefegt, fo finb aUerbing» bie ilfenfc^en untereinanber gleii^,
n)eil bei allen fid^ bie abatracte „^iJenfc^tjeit" , 'ba^ 5)Jen)d)=
fein, ba§ SBefen be§ SD^nfd^en borfinbet. 5(ber — reo ift
biefer DJienfd) im ?lb§tracten? ^ Sßetracbtet man bie 5}ienfd)en,
mt fie mirfücb eiiftiren, im concreten, in if)rer ^nbiüibuali=
firung, öerglei(^t man Stiter mit 5IIter, latente mit 2;alenten,
^örperflörfe mit ^örperftärfe, fo jeigen fie ade eine bebeutenbe
1 Cf. Card, de Lugo, De iustitia et iure d. 6, n. 1. Slai^bem
Sugo bie feciale Dlot^tnenbigfeit beä ^priöateigenttjumö bargelegt, |äf)rt
er fort: „Cum tarnen hoc stat, quod in aliqua bonorum congre-
gatione utile sit ad pacem , nihil proprium habere singulos , ubi
nimirum 2^^'opter singuloruin perfectionem et animoruni concordiam
haec omnia inconvenientia facile vitantur, deputatis aliquibus, qui
res communes administrent et singulis necessaria provideant, prout
fit in coetihus religiosis. In tanta vero hominum multitudine modus
ille vivendi utilis non esset, quia perfectio apud^awcos reperitur."
2 TaparelU 1. c. u. 355.
306 ®rttte§ RapiUl. ®a§ «priootetgcnt^nm al§ fociale 3fnftitution.
Unglei(iö^eit. „Unb, ti)Q§ voo^i ju bemerfen ifi, eine Ungleidö=
l^eit, bie bon ber ^Qtur fommt ; benn bie ^iotur ift es, tüelc^e
bie Snbibibuen bilbet wie bie ©ottungen. So, um nod^ beut=
lieber ju fptec^en, bie 5RQtur bilbet bie ^nbiöibuen, ber TOenfd^
entnimmt qu§ ifinen bie ©attung. Ser (gc^IuB i[l alfo ganj
Tti^tig, ha^ aüe menfcblic^en Snbibibuen unter fid) bon 9iQtur
au§ ungleich finb, infofern mir auf bie ^nbibibnolität
9tüc![icöt nef)men, mie fie in Setrac^t ber ©ottung bon
5Ratur qu§ gfeic^ finb." S)ie UngIei(f)I)eit im 58e[i^e entj'pric^t
fomit ber natürlidjen, inbibibuellen Ungleic^fieit
ber 5!)tenjc^en, @e^r treffenb bemerft Qud) SiberatDre^:
„®a§ @igent^um (fpecieE am ©runb unb SSobcn) bringt
Unglei(^f)eit unter bie 5!Renf(^en in berfelben 5Irt, mie [ie ba§
©emerbe, ber ipanbel unb jebe mit @in[id)t unb Energie an=
gemenbete (Sntfaltung ber 5t{)Qtigteit mit [icb bringt. SOßer
me[)r arbeitet, mer finbiger i[t, mer \\ä) beffer ju Reifen roei^,
gerainnt me[}r. Unb mef)r geminnenb, !ann er, menn er mäßig,
e()rlic^, berftänbig ift, met)r Srfparungen macben unb fic^ ein
Sßermögen bilben, bQ§ jur QueQe neuer 5Reid)tI)ümer mirb . . .
2[Ba§ merben mir aI[o t^un? Sterben mir qu§ Siebe jur
©Ieid^f)eit bie (Srfparnife, ben (Sifer, bie 9J^äBig!eit, bie @itten=
reinbeit Qb)d)atfen? — ^a§ (5igentpmlic^[te i[t, bafj bie SScr=
t^eibiger ber ©leic^fieit gleicbjeitig bie ^^rei^eit greifen. Unb
fie begreifen nii^t, bofe fyrei^eit unb ©Ieid)be4t ficb
gegen feitig befämpfen. 3^"^^ lebenbe Söefen tonnten
liöi nid^t Qudb nur einen Sag gleid) erholten, "^^xt f)anb=
lungen mürben, eben meil fie frei finb, berfd}ieben fein
unb mürben ju 33erfd)iebenbeitcn in ben barau§ folgenben
SBirfungen, fei e§ auf bem ©ebiete ber 5JioraI, bc§ $Red)te§
ober ber 2Birtfd)oft fübren."
1 ©runbfä^c ber 9}oIfött)trtfd^aft (beutfd^ 3nn§brucf 1891)
©. 186 f.
6. Slüaemcine ©intoenbungen gegen baö 5ßrtüotetgentt)um. 307
Ütebet man Don ber „Ungleicfi^eit", tüeldöe biircf) ba^ ©igen»
t()um beroirft roerbe, fo |at man enbli(^ bielfac^ einen 3u[tanb
üor 5Iugen, wo rie[engtoBe SSermögen ber na^eju bollftänbigen
Entblößung gegenüber[tel)en. (Siner ber artigen Ungleid)l}eit,
bie au§ gefeüfc^aftlic^en DJ^i^berljältniffen Ijerrü^rt, woüen mir
nic^t \)a^ Söort reben. „S)a§ trifft aber nici^t bie Unglet(!^=
Ijeit al§ folctie. Siefe i[t nid)t bloß fein Uebelftanb, fon=
bern eine SBo^Ü^at für bie ©efeüfcEiaft. Söären nidit bie
einen reid)er an seitlii^en ©ütern unb ba()cr in it)rer griJBei^n
Unbef)i(flici)!eit unb güüe öon 33ebürfniffen meJir auf bie
S^ienfte öieler angemiefen, bie anbern ärmer an irbijc^em 33e=
fit^e unb glücflid)er mit förperlidjer unb meift auä) mit geiftiger
^raft au§geftattet, fo lüöre ein focialeö Seben unb eine roaljre
Einheit unter ben DJienfcfien fdjtüer benf bar ; biefe ^ilfsbebürf=
tigfeit aber, ber aüe unterliegen, unb gerabe bie ©roßten unb
5Reid)ften am meiften, mal)nt fie, ha^ fie tro| afler üuf^erlid^en
Unterfd^iebe n3efentUd) gleich, bafe fie aüe aufeinanber an=
geroiefen, ha^ fie afle öerpflidjtet finb, fid^ gegenfeitig jum
DZu|en be§ ©anjen bie §änbe 5U reidjen. S)aa ift ba§ ^rincip
ber ©olibarität, auf tt)elciöe§ bie ©efeüfc^aft öon ©ott
gebaut ift. Seber ift jebem öerbunben, unb bie @efamtl;eit
fetbft muß einfielen für alle iljre ©lieber." ^
4. ülennen wir bie Snftitution be§ ^ribateigentl)um§ eine
fociale D^otliitienbigfeit, bann bejeldinet bie ©ocialbemofratie
baafelbe als bie ©r unb quelle aller focialen Uebel.
©eis, 33erf(^tüenbung , 9leib, ^abfuc^t, Ueppigfeit, 5Iu§=
beutung, 5^iebfla^l — aüeä muffe aufl)ören, wenn einmal
tiü^ 5pribateigentl)um befeitigt märe.
«Sollte man mirflic^ baran smeifeln fönnen, ha^ anä) o^ne
ba§ 5j3rit3ateigentl}um bie 5lnlöffe ^um $Berbred^en nod^ in ^ülle
1 P. 9t. ajl. SCßeife 0. Pr., ©octale Sroge unb fociale Drbnung
ober Snftitutionen ber ©eieüfiiiaftölefire II (3. Stufl., Sreiburg
1896), 618.
308 ®ritte§ ßapitel. ®a§ 5Priöatetgentf)um al§ foctale SfnftUution.
unb S^üHe übrig bleiben lüerben? ©elb[l (Beij, W\h, ^abfudit
tDÜrben ganj getüi^ mit ber 5(uf^ebung be§ ^riboteigent^umS
nid^t nu§ ber Söelt f(f)tDinben. 2Ber DIeigung ju biefen Saftern
l)at unb fie nic^t bon innen ijerau§ betämpft, ber n)irb i^nen oud)
unter ber |)erric^aft be§ 6omniuni§mUö frö^nen tonnen. ®r wirb
geilen an ber 53e[riebigung feiner Sebürfniffe unb ba§ fo (Sr=
geiäte im füllen anhäufen. (Sr volxh au§ bem @emeinbebefi|e fic^
anzueignen fudben, foöiel er bermog, unb menn er e§ nic^t ber=
merttien tann, fo fann er e§ hoä) befi^en. ®a§ ift jo gerabe bie
?Jiatur be§ ©eijeg, "Da^ er nid^t an ber 33ertt)ert^ung ber (Süter,
fonbern an bem Sefi|e berfelben feine g^reube tjat. @§ ttjerben
alfo bie 2Serbred)en nii^t auffiören, nid)t einmal bie @igent^um§=
berbred}en unb um fo menigcr bie 53erbred)en anberer 5lrt.
•^aS @igentf)um mag ferner aüerbingS ben 5(ntaf5 bieten
ju bieten 23erbreiten unb Saftern; aber ber @runb Ijierbon
liegt nidit im (Sigent^um, fonbern in ben Seibenfcljaften ber
menfd)(id)en 9iatur. ®ar mandje in fid) gute ßinrii^tung
föirb burd) bie ©dbutb ber 5!}?enfd)en berborben. Bo ber^ält
e§ fid) benn aud) mit bem ^ribateigent^um. 3n fid) felbft,
at§ 9ted)t, ift ba§ (Sigent^um etroaS fe^r @ute§ für ben
5J?enfd)en unb für bie (Befeüfdjaft unentbel^rlid). 2tber ber
freie ^enfd) fann bon bem in ficb mo^tt^ätigen Oiedjte einen
Übeln ©ebraud^ mad^en, berart, bafe gluc^ ftatt ©egen an
bie ®igent§um§inftitution fid) anfc^IieBt. 2)a§ ift gerabe unfere
heutige Sage. (S§ fehlte lange "^nt unb e§ fef)(t otjne 3tbeifel
(}eute noc^ eine au§rei(^enbe gefe|{id)e ©d)u|mauer gegen ben
TOi^braud) be§ (äigentf)um» unb ber in ifjm liegenben
'^laäjt. (äbenfotüenig aber, mz man einen brauten tobt
fc^Iögt, um itm ju beilen, ebenioroenig mirb man bie @igen=
ttiumSinftitution befeitigen bürfen, mo btofj eine bem ®e=
meinmol)Ie entfpred^enbe 6igentf)um§orbnung fef)It. ^
Cf. Theodor Meyer S. J., Institutiones iuris naturalis I, n. 475.
6. ©intocnb. geg. b. naturred^tl. SSegrünbung b. ©runbeigentf). 309
6. ^nwenbungcn gegen btc natnxxet^ftx^c ^cgtrunbitug
bcö ^i'ttttbetflcttffjttwö.
1. 9ti(J^t bQ§ ^ribatelgent^um an ben ^tobuctionSmitteln
f(i)Ie(f)tl)in, fonbern fpecieü boä ^ßriöoteigentl^um am ®runb
unb 33 oben i[t bem ametifani]d)en ©Dcialreformer |)enr9
©eorge^ äufolge bie eigentlidie Urfadje bev fortfdjreitenbcn
ßioncentration be§ Se[i|e» eincr)eit§ unb ber [tet» loac^jenbeu
' §enrt) ©eorge betra(^tete bie foctale Srrage nic^t aU ^xo=
biictioit6= , fonbern aU 33cvt^eiIung§protiIcm , fo gtoar , ba^ feine fo=
ctaliftifcf)e ©tunbrententljeorie in bem <Sn^e gipfelte : „S)ie aümäl)Ii($e
5lbf(f)affung be§ ^riüatgrunbeigcntfiumS tnufe burcC) ©rpropriotion
beste, ©onfiöcation ber ©runbrenten errei($t toerben." ©urd^ biefeö
^rincip meinte ©eorge im ftanbe gu fein, boS fociale ©lenb qu§ ber
SBett äu fd}Qffen, unb barin nnterf(|ieb er ficf) öon ben Sljeorettferu
ber ©ocialbemofralie ber Sitten SBelt. §enrt) ©eorge, ber nur ein
Sllter ton 58 Satiren erreid^t l^at (er toar am 2. «September 1839
3U 5p:^ilabelpl^ia geboren unb ftorb am 30. Dctober 1897) , :^atte
einen fe^r betoegten ßebenälauf. ©r begann al^ Suc^brudEer, icurbe
bann ©olbgräber in Kalifornien , arbeitete alö 6e^er in einigen
3eitunggofficinen öon 6an fjranciöco, reifte naä) ^nbien unb fÄjrieb
fdEllieBlid) für bie „©an iJranciSco Simes" onont)me Stvtifel, bie ein
geü)ifie§ Sluffel^en erregten, ßaum toar feine Slutorfdiaft be!annt ge=
loorbeit, aU xi)n anä) fd^on ber ©igentljümer be§ S5latte§ gum 3te=
bacteur unb balb barauf jum ©befiebacteur biefer ^^itiuiQ mad^te.
®oc^ fd)on im ^atjxt 1867 gab er biefe Stellung auf, um nüd)=
einanber ben „§erQlb" unb bie „©oening ^ßoft" ju rebigiren. ^n=
3totfdien toar er ©aäinfpector unb S5ibliot]^el§uorftanb in 3^ranci§co,
bereifte ©roßbritannien , too er al§ ein „üerbä($tigeä Qnbiütbuum"
eine 3fitIong unter poligeilidier Sßetoac^ung ftanb , ftubirte bie 2lr=
beiteroerijältniffe l^üben unb brüben unb grünbete fdiliei^Iid; im
Saljre 1887 in 3teto 3)orl, too er fid) niebertiefe , bie 2Bod)enfdnift
„Stanbarb", in ber er guerft feine eigentljümlidjen focialpolitifi^en
S^eorien nieberlegte. 2lm meiften Sluffeljen erregten unb mad}ten it}n
in toeitetn Greifen befannt feine beiben Söerle „fjorifd^ritt unb
Slrmut" unb „Sociale ^Probleme", öon benen ba^ erfte in beutfd^er
Ueberfe^ung fünf unb haä ätteite brei 2luflagen erlebte.
310 ®titte§ ßa^jüel. ®a§ ^ribateigent^um al§ foctale StiftUutton.
Sßerarmung Qnberetfeit§. ^ein Söunber bo^er, tüenu bie @n=
qllxia 2eo§ XIII., über bie 5ltbeiter[rage bei |)enr^ ©eorge
tüenig 33eifQn erntete, ^n einem „Offenen 53riefe an @e. ^t\l\^=
!eit ^Qpft 8eo XIII. i üerjui^te er bie bon bem OberI)QUpte
ber ^ird)e ju ©unften be§ ^riöQteigentI)um§ borgebrodjten
naturrec^tlic^en @rünbe ju entfröften.
„<Siefagen," rebet (Seorge ben ^eiligen 33Qter an: „,ba§,
tt)a§ mit ret^tmöBigem Sigentfjum gefauft mnrbe,
i[t redfitmäfeigeS (5igentf|um' 2. ^auf unb 5ßer!auf
allein !ann aber fein @igent^nm§re(|)t geben, fonbern baSfelbe
nur übertragen. (Sigentljum, ba§ in [id) felbft feine moralifdie
^ered)tigung t)at, fann eine JDW)e baburd), bafe e§ oon bem SSer=
fäufer an ben Käufer übergebt, nod) lange nic()t betommen.''^
@i, mie mirb ber ^ap[t bantbar fein muffen für bie fo
mertfjbolle S3ele:^rung, ba^ ttier 5, 53. öon einem 2)iebe ge=
fto^Icne <Sad)en fauft, fein (Sigent[)um an benfelben ermirbt!
2öei^ la bod) ber ^apft offenbar nidjt, lüa§ alle 9}JoraIiften
unb Suriften ü&ereinfiimmenb lefiren, bafj beim beribatiöen
(Srmerb nur baSjenige ermorben merben fann, maS ber Ueber=
tragenbe factifc^ unb red)tlid^ befa^. Nemo dat, quod non
habet. Unbefannt finb 8eo XIII. ferner bie ©runbfätje unb
Seflimmungen be§ canonifdjen 9{ed)te§ über bie bona fides,
ben guten ©louben be§ 53efi|er§, — ©runbfä|e, bie an
(Strenge alle anbern (Sefe^gebungen übertreffen. 2Bie fönnte
er fonjl flipp unb flar beljaupten: „Sa§, h)a§ mit red)t=
mäßigem (Sigenttjum gefauft mürbe, ift red)tmüBige§ @igen=
t^um"? S^aU id) nur felbft nidjt bü§ ®elb geftoljlen, mit
bem id) eine geflofjlene ©ai^e faufe, fo ermerbe id) „red)t=
mü^ige§" (äigentljum an bem getauften Objcct.
* 3ur ©rlöfung au§ focialer S^iotl^ (The condition of labour),
beutf(| öon 93. ©ulenftein. a9erlin 1893.
2 SSgl. @nct)flifa Rerum novarum (^erberfc^e SluSgabe) ©. 10 (11).
" Offener 23tief ©. 22.
6. (Sintoenb. geg. b. naturvetfitl. SBegrünbung b. ©runbeigentl). 311
S)ie ©Qd^e i[t jofort flar, wenn tt)ir bie bon (SeorQe an=
gefod^tene ©tefle in if)rem Siif^ninienfiQnge betrachten. S)er
^ap[t beflagt bie fd^iüeren Uebelftänbe ber heutigen 3eit. 51ber
er weift bQ§ ij)eihnitte( jurüd, welches bie ©ocialiftcn in einer
©emeinfd)aft ber (^üter gefunben ^n Traben it)ät)nen. %U er[len
©runb gegen bie focialiftifdjen ^(äne fü^rt Seo XIII. an, ha'^
boburd^ gerabe bie arbeitenben klaffen feI6[t fd)iDer gef(i)äbigt
lüürben. jDie§ begrünbet nun ber ^ap[t in folgenber 2Bei]e:
„SSor atlem liegt flar auf ber ipanb, hQ\i bie 5l6fi4)t, weldie
ben 5lr6eiter bei ber Ueberna^me feiner 5}iüt)e leitet, feine
anbere al§ bie ift, baß er burd) ben So^n ^u irgenb einem
perfönlic^en (Sigent^um gelange. Snbem er Gräfte unb g-Ieiß
einem anbern k\l)t, tüiU er für feinen eigenen 5öebarf 'tiü?i
5Zöt!^ige erringen ; unb er erwirbt fid) ein tt)al)re§ unb eigent=
Ii(^e§ 9ted)t nid)t blof, ouf bie 3a'^^i^ng be§ Sol^neS, fonbern
auä) auf freie S^erwenbung be§felben. ©efe^t, er Ijabe burd)
@infd)rünfung ©rfparniffe gemadit unb fie ber ©ici^erung f)alber
5um 5(n!auf eine§ ©runbftüdeg berwenbet, fo ift bo§ ®rnnb=
flüd eben ber it)m gehörige 5trbeit§Io()n, nur in anberer gorm ;
e§ bleibt in feiner ©eroalt unb 35erfügung, nid)t minber qI§
ber erworbene 8oI)n. 5lber gerabe Ijierin befteljt offenbar ba§
©igent^umSrec^t an beweglii^em wie unbeweglidjem 53efi|e.
2Benn atfo bie «Sociatiften bn^in ftreben, allen (Sonberbefi|
in (Semeingut umjuwanbeln, fo ift flar, wie fie baburc^ bie
Sage ber arbeitenben l^laffen nur ungünftiger mad^en. ©ie
entstehen benfelben ja mit bem (Sigentl)um§red)te bie 93oC(=
mac^t, i^ren erworbenen 8o^n nad^ @utbün!en anjutegen; fie
rauben i^nen eben baburd; 5Iu§fid^t unb gäfjigteit, i|r !Ieine§
33ermögen ju üergrö^ern unb ficb burd) glei^ ju einer beffern
©teüung emporjuringen." 3)er ^apft bebucirt alfo ^ier
!eine§weg§, wie ©eorge annimmt, au§ ber bloßen 2;t)atfad^e
be§ c^aufe§ bie ©erecbtigteit be§ 5prit)ateigent()um§ am @runb
unb Soben f4llec^tt)in , fonbern biefe öorau§gefe|t, be=
312 SvitteS ßapitel. 3)a§ «priöateigent^um al§ fociale afnftitutton.
geidjnet er e§ qI§ ein üted^t be§ 5Irbeiter§, feinen So^n gut
fäuflic^en (ärmerbung eines ©runbftüdeS ju bertoenben. ®ie
S3ett)ei§füf)rung für bie @ered)tig!eit be§ ^ßnöateigentr^nrnS
im allgemeinen unb beS @igentf;um§ am ®runb unb S3oben
im 6e[onbern mirb bom ^opfte an anberer ©teUe ent=
micfelt.
Sod) für ©eorge mar e§ bereits eine ausgemachte <Büä)Q,
ba^ am ©runb unb Soeben ein gered)tea ^riöateigent^um
unmöglid^ fei unb barum auc^ burd^ ^auf nic^t ermorben
werben fönne. ^n biefem SSorurttjeile befangen glaubte er
fogar, ber (SJebanfengang be§ pö|3fllid;en Stunbfd^reibenS mürbe
ben (Sigent()um§ermerb am ©flaben nid^t minber ju red^t^
fertigen im ftanbe fein, al§ ben (SigenttjumSermerb am Soben:
„Um bieS ju erproben," fagt ©eorge, „braucht man nur in
S^rer SemeiSfübrung ba§ Sffiort ,2anb' bur^ ba§ Söort
,8!laöe' ju erfe^en. S)iefelbe mürbe alsbann folgenbermafeen
lauten: ,'^ox allem liegt nämlicb !(ar auf ber .^anb, bafj
bie 5lbfid)t, meldbe ben Arbeiter bei ber Ueberna^me feiner
5Jiü§e leitet, feine anbere ift als bie, ba^ er burdö ben So^n
ju irgenb einem perfönlidien ©igentt)um gelange; inbem er
Gräfte unb ^yleiß einem anbern lei^t, miU er für feinen eigenen
5ßebarf baS 9lötl}ige erringen, unb er crmirbt fid) ein mal^reS
unb eigentlidjeS 9iec^t nid}t nur auf bie Söe^a^lung, fonbern
aud) auf bie freie 33ermenbung berfelben. ©cfe^t, er liabe burdb
6infd)rän!ung ©rfparniffe gemad)t unb fie ber @id)er|eit t}alber
jum einlaufe eines , ©flauen' berroenbet, fo ift ber ,@flabe'
eben ber iljm gel)örige 5lrbcitSlD^n , nur ii^ anberer gorm;
er bleibt in feiner ©emalt unb Sßerfügung uid)t minber als
ber ermorbene So^n." ^
2Beld)e 9laibetät ! 5lBürbe ber ©runb unb iöoben ebenfD=
menig im ^ribateigent^um ftel^en fönnen mie ber ©flabe,
^ Offener Srief ©. 22.
6. eimoenb. geg. b. natuvred^tl. Säegrünbung b. ©runbetgent^. 313
fo f)ätte bie 3:rQöe[tie, bie ©eoröe mit bcu SBorten ber (Sn=
ct)Ma öorninimt, einigen ©inn unb 53er[lanb. 9iun aber ift
ea bodö einleuc^tenb , ba^ ber ©flabe ein Tlzn^ö) ift, unb
bnj3 ber 9}?enf(^ aU fold^er nicfit ©egenftanb eineä bing=
ticken 9ie(^tes fein !ann, föcfd^eä einer @ad}e getjcnüber
ganä tt)o^I äuläffig erjd^eint. ©eorge bagegcn [teilt ©ftnberei
unb ©runbeigent^um auf biefetbe ©tufe. @ä finb if)in
nur ä^ei berjdjieöene gormen einer unb berfetben „Ütäuberei",
3tt)illing§niaBregeIn , burd) tt}eld)e ber berberbte menfdjlid^e
©c^arffinn e» bem 'Starten ober bem <Sd)tauen ermöglicht,
(Sotte§ ©ebote jur 5(rbeit ju umgeben, inbem er anbere 5tt)ingt,
für if}n ju arbeiten. „5]?adjt e§ einen Unterf(^ieb, ob id) nur
ba§ 8anb, ouf welcbem ein anberer Wm]^ leben mui^, ober
ob id) ben ^DfJenf d)en felbft a(§ @igentt)um befi^e? 53in id)
nicibt ebenfort)D^l fein |)err in bem einen toie in bem anbern
gaü? ^ann id) i^n nic^t gmingen, für mid) ju arbeiten?
^ann id) nid^t fo diel bon feinen ?Irbeit§früc^ten nefjmen,
mie feine S^ätigfeit erlaubt? ^aht id) nid)t 9Jk(^t über
Seben unb Sob? ^enn einem illenft^en ben (Srunb unb
S3obcn entstehen, l^eißt i^n ebenfo fieser tobten, a(§ wenn i^m
'aa^ 5B(ut burd) 5Iber(af5 ober bie Suft burd) einen ©trid um
ben §al§ entjogen mürbe." ^ 3n 2öirt(id)feit mad)t e§ affer=
bingS einen fe^r großen Unterfcbieb, ob id) nur ba§ 8anb
befi|e ober ben 5[llenfd)en felbft al§ mein (Sigent^um betradjten
!ann. S« bem le^tern "^-alk loirb bie ^^erfon für mid) jur
©ad^e, bie boüftänbig meinem 33e(ieben an()eimgegeben ift. ^m
erftern ^yaüe ftei)t ber 9J?enfcb, ber auf meinem 23oben ar=
beitet, mir ai§ ßontra^ent, al§ freie» 2Sefen, nicbt nur feiner
5latur nad), fonbern auc^ factifd) unb praftifd) frei gegenüber,
©olange nid)t ein einjelner alle§ 8anb allein befi^t, folange
in ber @efellfd)aft nid)t ieber, ber feinen St)eil be§ 23oben§
' Otfener Säricf ©. 23.
314 ®ritteö ßapitel, S)a§ «Ptiöateigcnt^um al§ joctale Sfnftitution.
fein eigen nennt, Sanbarbeiter gu raerben broncfit, bleibt bie
9)Jö9lic^!eit, hen iperrn 311 tpec^feln, auf biefem ober jenem
5|3robuctiDn§gebiete t^ätig p fein, eine offene. ^6) tonn alfo
niemanben „jiningen", für mid) jn arbeiten, ©benfomenig
befi^e ic^ öermöge be» (SrunbeigentfjumS 53k(^t über Seben
unb Sob. 2)enn in einer tt)o§I organifirten unb burd) geredjte
©efe^e be^errfc^ten @efellfd)aft tDirb e§ bem (Srunbeigentl)ümer
Weber erlaubt fein, über bie 33ertt)enbiing be§ 53Dbeng unb
bie für ben 53ebarf ber @efelIfd)oft§glieber notljmenbigen ^ro=
bucte ganj nad) 33elieben ju öerfügen, no(^ einen ^rei§ ju
forbern, n)e(d)er bem 2öertf)e ber (Srjeugniffe nidjt entiprid)t,
nod) enö(id) bem auf feinem ^oben befd)öftigten ^^Irbeiter hm
geredeten Sofjn Dorjuentfiolten. —
2. 2)a§ päpftlic^e 9tunbfd)reiben behauptet: „®er Ur=
fprung be§ ^rii3ateigentt)um§ am ©runb unb 53Dben fei
bie menfdjtii^e 2)ernunft." demgegenüber erfeunt ©eorge
an, t>a^ ^Bernunft unb $Borbebad)t Attribute be§ SJ'icnfdien
finb, bie il}n über bo§ Sfjier erljeben, il}m ben ©tempel ber
®ottäfin(id)teit üuförüden. (Sr beftreitet auc^ nid^t, ha^ biefe
(^aU ber 33ernunft ju ber ^Jiotl)tt)enbigfeit eine§ 9tec^te§ auf
^ril)ateigentt)um on allem fül}rt, mo§ burd^ 33ernunft unb
33orbebai^t fomot}!, al§ maa burd) p^i)fifd}e 5lrbeit gef (Raffen
mürbe: „®a§ 9ied)t auf ^-prtDateigcntljum befielt unbeftreitbar
an aQen S)ingen, für mcldje menfd)Ii(^e 33ernunft unb
SBorbebad)t geforgt fiaben. ?tber e§ fann nid^t für ©(emente
gelten, me(d)e mir ber 3}ernunft unb bem S>orbebad)t ©otteS
öerban!en." ^
§ötte ©eorge bamit nur fagen moHen, ba^ ber 5}?enfc^
(Sott gegenüber nid)t a(§ (Sigent^ümer, fonbern ül§> ein Der=
antmortlidier SSermalter gelte, fo läge fein 5lnla^ bor, i^m
äu tt)iberfpred)en. 9Iber aud) bem 9J?enfd}en gegenüber lößt
1 offener Srief ©. 25.
6. Siiiuicitb. gcij. b. iuUiuied)tI. Jöcgriinbung b. ©runbeigcnl'^. 315
ber oinerifaui[(I)e 5lgrQrcommuni[l ein 5]ßriöQteigent^um am
©ruitb unb 5ßoben nid)t ju. gür iljn ift ba§ @igcnt()imi
fein fociaIc§ 3n[tttut jur ätegeluug be§ SSerfjQltnifjea ber
SDfienfc^en jur inaterieHen 2öe(t innerhalb be§ gefeüfc^oftüd^en
Seben§ unb 23crM)r§, fonbern 9iaub an einer @ottc§=
gäbe, bic für alle unb nic()t für einige lüenige befliunnt
mar. „Um bie§ näfjer ju erläutern, moKen mir annefjmen,
eine ©efeUfd^aft manbere burd) bie SBüfte, ungefaljr fo, mic
bie Israeliten au§ 3leg^pten famen. S)iejenigen üon ifjuen,
meiere bie 33orfi(f)t Ratten, fid) mit trügen boH äöaffer ju
berfe^en, mürben ein recf)tmä^ige§ 6igent^um§redjt an bem fo
mitgefü^rten Söaffer ^aben, unb inmitten ber mafferlofen Söüfte
fönnten bie dürftigen, meld}e bie§ berfäumt Ijätten, moljt
2öaffer bon ben anbern al§ eine ©eföHigfeit , aber nid)t al§>
ein ^cd)t bertangen. Dbgleid) ba§ Sßaffer an ficb ber 23or=
fefjung ©Dtte§ ju banten ift, fo ift ba§ ^ßorfjanbenfein be§
233affer§ in ben trügen unb in jener ©egenb nur buri^ bie
53orforge einiger 9)?enfc^en, bie e» mitbrad}ten, möglid) ge=
mefen: barum ^aben biefc ein au§f(^(ie|tid)e§ 9^cd)t borauf.
— 5Iber nefimen mir an, anbere feien in ber 5lbfid)t borau§=
geeilt, bie OueHen ber Oafen al§ @igentf)um in Sefitj gu
nehmen, unb fte mürben iljre fpater nad)tonnnenben (Sefäljrten
nur gegen 53eäaI)Iung bon bem SBaffer trinten laffen. könnte
biefe 5trt 33orbeba($t ein (^igent^umsredjt geben 'r' SöoHten
mir bo§f)aft fein, fo mürben mir bie ©efinnungSgenoffcu
@eorge§ bitten, un§ ben mefentli(^en Unterfc^ieb auäugeben,
meld)er ^mifcben ber „5Irbeit" be§ „33Drau§Iaufen§" in ber
Söüfie unb be§ 3Baffertragen§ beftefjt. ^lllein mir mödjten
bie ^ointe ber 33emei§fü[}rung nid}t berfd^ieben. 9?od) ©eorge
ift ba§ 2ßaffer in ber Quelle eine freie ©otteägabe für
aüe 9}knfd)en. Sobalb aber jemanb ba§fetbe feinem natür=
ticken Seplter entnimmt unb in bie Sßüfte trägt, getjt e§ in
ha^ rechtmäßige ©gentljum be§ (Sinäelnen über, meil ber @in=
!}}efc§, ßi6erari§muä 2C. II. 2. Slufl, 15
316 2)ritte§ ßapitel. S)aö ^riöateigentl^um aU fociale Stnftitution.
äelnc bQ§ 2Bajfer hmä) OrtSöeränberung bort loieber „pxo=
bucirt". 3n ber SOßüfte i[t bo§ bort^in überführte SBaffer
!einc blo^e (SotteSgabe, fonberii „^probuct menf(i^nd^er
5lrbeit". 5JJan tüirb nun !^umau genug fein, nic^t bon
un§ äu berlangen, ba^ tüir jeben Strunf SBofferä üorerft in
bie (Samara trogen, um it)n als unfer (äigent^um genießen
5U tonnen. SBenn wir (Seorge redjt berfte^en, genügt e§
üielmel^r fc§on, bü§ Söoffer überhaupt au§ ber QueÜe ge-
fd)öpft äu ^aben, um fc^on ü(§ „^robucent" be§[elben
äu gelten.
S)oc^ mos foü ber ganje 3SergIei(i^? Söelc^en ©ebonten
brücft er au§? S)ie probuctiöe 5lrbeit be§ 5D^en[(i^en bilbet
nac^ ©eorge ben einzigen 9Jcdjtagrunb be§ (5igent^um§, mobei
„probuctiö" im roeiteften ©inne genommen mirb, bie bto|e
OrtSöeronberung mit einfc^Iie^enb. ®a^er gibt e§ benn oud^
fein Sigentl^um, au^er an bem ^probucte men|cb=
lidier 5trbeit. Sa§ i[t bie ©runbibee, auf meld^er aKe
anbern 5lu§füt)rungen berufien, ber leitenbe ©ebante, auf ben
©eorge immer töieber jurürffommt. ©eorge felbft formulirt
biefen ©ebanten in folgenber Söeife: „"Sie al§ (Sinäelmefen mit
inbiöibueüen SBünfd^en unb t^ätiigfeiten erfcbaffenen ^JJenfd^en
finb perföntic^ bere^tigt, i^re Talente auSjunü^en unb fid)
be§ ganjen (Srtrage§ if)rer Sptigfeit ju erfreuen. @§ ergibt
fidb fomit ein (Sigent^um§redjt auf foI(^e 2)inge, bie burci^
Slrbeit erjeugt mürben; ein Sfie^t, ba§ feine ©iltigteit m^
ben 5Jiaturgefe|en ableitet unb metd)e§ älter ift a(§ bie ©efe^e
ber 9JJenfd^en; ein @igent^um§rec^t, mel(^e§ ber Sefi^er über=
tragen mag; i^m bie§ Oied)t aber nehmen, 'ba^ ift — 2)ieb=
ftaf)I." 33i§ ^ier^in ftimmen mir mit ©eorge überein. 5tber
er gel)t meiter, inbem er bel^auptet: „SDiefea Siecht auf
(5igentt)um, meld^eS bon bem 9fiecbte be§ ^nbibibuumä auf
feine ^^erfon ftammt, ift ba§ einjige boögiltige @igen=
t^umärec^t; e§ gilt für alle bnrd) Slrbeit erjeugten ©üter, e§
6. ©inlDetib. geg. b. naturred^tt. SScgrünbung b. ©vunbeigenf^. 317
fann aber nici^t ebenso füx Elemente gelten, tt)el(|e @ott er=
f(f)Q[fen ^at."i
®eorge§ 3IuffQ|]ung ift eine offenbar irrt^ümlic^e, toie [ie
aud^ bie 2Bürbe unb ^crr[(3()aft§gett)alt be§ 5}lenfcf)en über bie
materielle 2öelt ni(i)t in ifjrer ganzen Siefe unb ^{u§be!^nung
erfaßt, ©einer S^efe fteHen mir eine anbere gegenüber: S)ie
(Srscugung burd^ menfd^üci^e 5trbeit ift fd^on barum niii^t
bcr einjige 9ted^t§grunb be§ @igent()uinä, föeil biefer 9ted^t§=
grunb felbft lieber notfjtnenbig einen anbern unb f)öl)ern
9tec^t§grunb borau§fe^t.
a) 5tac^ einem allgemein aner!annten pt}iIofoi3^ifc^en (Srunb=
fa|e ge^t bo§ ©ein bem ^anbeln boraua. 2öenn ba'^er be=
reit§ au§ bem ©ein be§ 93^enf^en ein genereller tRe(!^t§grunb
be§ ^rit)ateigentf)um§ folgt, fo mirb biefer 9ie(^tsgrunb ol^ne
3n3eife( jebem anbern 9led()t§grunbe öorauSge^en muffen, ber
fid^ an ha^ §anbeln be§ 5J?enfc^en anfc^Iie^t. 9?un aber be=
!unbet in ber 3;f)at fdion ba§ ©ein be» 5D?enfc^en, feine ^er=
fönlic^feit, fein ©elbftbemu^tfein, feine grei(;eit, bie afle» be=
^errfc^enbe äBeltfteHung, bie ©ott i^m fid)erte, al§ er i^n in
ben Sefi| biefer @rbe einlT)ie§ unb jugleid) 'btn 2)ingen (5igen=
fc^aften berlie!^, mie fie ben menfd^Iid^en Sebürfniffen ent=
fpre^en, ferner bie natürlid&e ^fiotljtoenbigfeit unb ^fIicE)t, t)er=
möge bereu ber 9)^enfc^ fid^ ber äupern ©üter bebienen mup,
um feine ^ifienj ju erhalten, feine gäf^igfeiten ju cutmidetn,
fein 3i^f S^i erreichen, — all biel betunbet ^ur ©enüge ba§
jeber probuctiben S^tigfeit borauSge^eube 3tec()t be§ Königs
ber ©c^öpfung, an^ bem ©üterborrat^e ber ßrbe fic^ anäu=
eignen, weffen er bebarf. 5J?ag bal^er immerhin ba§ „Sfted^t be§
9J?enfc^en auf feine ^erfon", bon bem (Seorge rebet, b. I). ba§
ütec^t auf bie gäfjigfeiten unb bie 3^rüd)te i^rer ^Bettjätigung,
in ber S^at einen allgemeinen ab§tracten 9te(!^t§grunb pr
' Offener Srief 6. 2 f.
15*
318 S)ritte§ ßapitel. Saö ^viDateigentl^um qI§ feciale 3nflitution.
23et3rünbimg ber 5iott)iüenbig!eit be§ ^riboteigent^umS nl§
Siiftitution bilben. ^eine§tDeg§ aber ift e§ ber le^te inib
tieffte 9{ed)t§grunb. 2)er ^enfc^ Ijai aU mtn]ä) bQ§ Stecht,
'^^ribatdgentfjum 51t erwerben, el}e er e§ qI§ ^robucent
für \\ä) in 5Infprud^ nehmen !ann.
b) |)ätte er nämlid) bie[e 23efu9ni^ nicfit a(§ 5Dkn[c5, fo
mürbe er fie ouc^ nid^t qI§ ^robucent {)aben. SBarum? ^enrl)
©eorge roar Derftänbig genng, einjugefte^en, tta^ ha, wo ber
@e(tenbnia(f)ung be§ au§ ber ^robuction [;ergeleiteten 9ie(^te§
ein ältere§ Stedit an ber concreten ©injelfad^e gegenüberftef)t,
bie 5trbeit nicf)t 9fie(|t§= unb (£rit)er6§titel fein fann. 5tnbern=
fan§ tüäre jeber S)iebfla^I ein ©rmerbstitel, ba ber SDieb eine
beireglidie <Bad)i au§ frembem ©eiüa^rfam entfernt, foniit
lüenigftenS „^robucent" einer „OrtSberänberung" ber ©ad^e
ift. 2BeiI nun afle S)inge im ßigentfiunie @Dtte§ ftet;en, |o
mürbe ber 5}?cnfc^ fein materielle§ ®ut a[§ „iyru(^t feiner
^^trbeit" ermerben bürfen, menn e§ nic^t ber Don ®ott ge=
iDüöte 3*0^0! ber (Se[({)ö|)fe luäre, bem 9Jtenfd}en ju bienen,
toenn ber 9J?en|d) nic^t bie ^errfd^aft ber Sßelt, üennöge
biefer §errfd)aft aber bon @ott felbft bo§ 9ted)t, [ic^ ber
fto[fIid)en ©üter für feine Qmdt ju bebienen, unb fomit ha^)
3?ec^t jur 33efi|ergreifung im borauS erljolten fjütte,
@§ fann alfo and) be§^alb ha^ 9ted;t auf bie ^^rüc^te ber
53et^ätigung perfönlidier Prüfte nid)t ber einzige unb le^tc
9?ed)t§grunb be§ 5prii)ateigentf)um§ fein, raeil er, um ©eltung
5u fjabcn, einen onbern, (}ö^ern, bem göttlichen Sßiüen, bem
perfönlici^en 3)afein be§ 9JJenfc^en, ber menfc^li^en ©riftenj
unb 5iatur entnommenen, not^menbig i)orau»fe|t.
Unfere ©ebuction berfennt übrigens bie allgemeine ^flid^t
äur 5lr6eit feine§lt)eg§. %Vi6) ber tieffte unb Ie|te Oted)t§=
grunb bc§ ^riDateigentI)um§ fditie^t ja bie ^iotl^menbigfeit ber
^.Jtrbeit nid)t aua. ^nx actuellen ®eltenbmad)ung be§ C)err=
fd)aft§ved)tcö unb barum 5ur erften 53egrünbung eine» bing=
6. ©intuenb. geg. b. naturrecfitt. SSegriinbimg b. ©runbetgctitl^. 319
i'\ä)tn 9^ec^te§ an einer concrcten @Q(i6e ift immer 5Irbeit,
menig[ten§ bie 2Ir6eit ber SBep^ergrcifung , erforberli^. 5l6er
bie blofee, nadte %'i)ai\aä)t ber 5Irbeit für [id} aüein ge=
nommcn fd^afft nid)t boS (Sigentl)um, [onbern bie 5.(rbeit, in=
fofcrn [ie ber äßeg ober bo§ DJIittel i[t jur 5(uaü0ung eine§
p er jö nützen 9ted)te»: fei e§ ber allgemeinen |)errf(i^aft§=
befugnifj be§ 5)Zenfd;en über bie 51u^entt)clt, fei e§ ber ^err=
fdiaftsbefugni^ über bie eigenen gäl)ig!eiten , beren 5Icte
unb ^rüc^te.
c) ©eorge erfennt ein (äigent()umyre(^t an allen burd)
5(rbeit erjeugten ©ütern an. @r beflreitet e§ besüglid)
ber Urpoffe, bie ©ott erfd)offen I}at, ber Staturgaben, bie
ütjne menf(i^U(^e 5lrbcit erzeugt lüurben. Um nid)t fofort in
aBiberfprüdie fic^ ju berftriden, erweitert er jebod) ben 33egriff
ber „probuctiöen" 5lrbeit, fo jtüar, bafj er auä) bie blofje
33efii3ergreifung in bemfelben einfd)lie|t. „Benn jemanb einen
g^ifcb im Dccan fängt, bann I}at er ein @igent()um§recbt am
gifd^e."! Söenn jemanb 2Baffer an ber CueHe fd)öpft, fo
ermirbt er ein @igent^um§red)t an bem SÖaffer. 2©arum?
Söeil bo§ äßaffer fidj je^t burii^ menf^Iid^e ?(rbeit in bem
©efü^e befinbet, — meil ber 53?enf(f) eine DrtSUeränberung
mit i^m Dorgenommen I^at^, 5IIIein biefe Sriüeiterung be§
33egrip ber „probuctiöen" 5lrbeit nü^t §errn ©eorgc fel^r
lüenig, beiüeift üielmeljr gerabe bie Unljaltbarleit feiner 5Iuf=
fteUungen. 58(eibt e§ ja bod) offenbar, ba^ in ben genannten
gälten ber Mzniä) lebiglid) bie OrtSüeränberung r)erbor=
gebrad)t I)at, mäl)renb ba§ @igentt)um fid^ gerabe auf bie
©ubftans be§ ^^-ifd^eS, be§ 2Baffer§ erftredt, mld)t ber
5J?enfd^ nid^t „erjeugt" tjat. §ätten mir bemnad) at§ 5)Jenfd)en
nid^t ein 9teci^t, „^lotur gaben" un§ onsueignen, fo mürbe
bon einem (Sigentl)um überl^aupt feine 9tebe fein fönnen.
' Offener Srief ©. 3. ^ gf,t,. g. 26.
320 Stitteä ßapttel. ®a§ 5pttöatet3ent:^um aU focialc Snftttution.
©eorge [jatte bie ^raft biefer (Sintüenbung roo^I erfannt.
^nx [uc^te er [i(| in einer SBeife berfelben ju entjie^en, bie
feinem ©d;Qrf[inn ni(i^t gerobe jur @|re gereici^t. SSerne^men
mx \i)n felb[t: „(5§ mag ber 5JJü^e mertö fein, jene Sente
äu iDiberlegen, toelc^e ha fagen, menn ^ribateigenti^um am
ßrbboben nngerec^t fei, bann fei aud; ^riöateigent^um an
ben 5Irbeit§probucten ungeredjt, h)eil ber Urfloff jn allen
(Sr^eugniffen ebenfalls au§ bem (Srbboben !omme. @§ tt)irb
\\ä) inbeffen bei nö^erer 58etrad)tung jeigen, ba^ afle menfd)=
Iid)e ^probuction bem SBaffertragen analog ift. 3nbem ber
5Kenfd) (Setreibe fät, 9}?etaIIe f(^mi(jt, Käufer baut, «Stoffe
mebt ober irgcnb eine ^jrobuctiue 2;I}ätigfeit ausübt, t^ut er
bod) im ©runbe meiter nichts al§ ben Ort unb bie ^orm
fdjon Uor^anbener Stoffe beränbern. 5n§ ^robucent ift ber
53?enfd} nur Umformer, nid^t «Sdjöpfer. ©ott aüein erfc^afft.
®a nun aber bie Umformung, au§ todä)tx bie ^Probuction
be5 5Jcenf(^en eigent(id) befteljt, bem ©toffe anl^aftet, folongc
bie gorm bauert, fo öerfc^miljt ba§ Siedet auf 5prit)ateigen=
tf)um bie gorm mit bem ©toff unb gibt fomit audj ein
@igentf}um§red)t an bem 9Zaturftoff, in meldjem fii^ bie \no=
buctiüc 5lrbeit berlörpctt Ijat." ^
©ans rid)tig. 5Iber ha^ gilt bod^ offenbar in ber ä5or=
au&fe^ung, ha^ ber DJienfd^ am 5latur ft o f f e , an einer
?Ratur= ober @otte§gabe, bie er nid)t felbft erjeugt ^at, über=
t)aupt @igent()um ermerben fann, — eine 35orau§fe^ung, toeldie
ber Sef;re, ba^ ©igentfjum nur an bem bom 9}ienfd)en @r=
zeugten red^tlid) äulüffig fei, f(i^nurftrarf§ äumiberläuft.
90ian barf anneljuien, ba^ ©eorge bie (5nct}!Iifa Rerum no-
varum mit 5Iufmerffamfeit gelefcn Ijatte. Um fo me^r aber
mu^ e§ ba auffallen, wie i^m entgef)en fonnte, ha^ Seo XIII.
fic^ eines ä^nlic^en ©ebanfengangeS mie er bebient, um mit
' Offener S3vief ©. 26.
6. ©intoenb. geg. b. iiatitrrcd^tl. JBegrünbuug b. ©vunbeigent^. 321
überjeugenber ^roft gerabe ba» ^riüQtgrunbeigentfjum
ju betoeifen, tt)eld)e§ ©eorge befanipft: „^nbeni ber ?OJeufd)
an bie Urbarmachung be» 33oben§ förperlid^en glei^ unb
gei[tige @orge fe^t," ^ei^t e§ in ber ^nct)Ma^, „mad)t er
\\ä) eben baburd) ben cnitiüirten S^eil ju eigen; e§ tt)irb
bemfelben [oäufagen ber ©tempel be§ Searbeiterä aufgebrüdft.
(5ä entfpric^t oljo burd^au» ber @ered^tig!eit, bo^ bie[er S^eil
be§ ^öoben» fein eigen fei unb fein Üted^t barauf unüerle^Ut^
bleibe." Unb furj nad^^er fagt ber ^at)ft: „3ene§ früher
raufte ©rbreic^ f^at hoä) hnxä) ben fjlei^ be§ erflen 33ebauer§
unb burd) feine funbige Ser^anblung bie ©eftalt döüig ber=
änbert; e§ ift ou§ Sßilbni^ fruchtbares 5Icferfelb, au§ öer=
lorener Oebe ein ergiebiger Soben geraorben. SBaS bem
JBoben biefe neue gorm berliel^en, bQ§ ift berart mit itjm
felbft eine», 'ba^ e» gro^ent^eilS unmögüi^ öon i^m 5U
trennen ift. Unb e§ foH !ein Söiberfpruc^ gegen ade ®e=
rec^tigfeit fein, ienen $oben mit ber Se^auptung, baf3 (Sigen=
t^um nid^t beftefien bürfe, feinem Sofiaer ju entjieljen unb
baSjenige anbern ju überantraorten , raa§ ber Sebnucr im
©c^roeiBe feines ^IngefidötcS gefi^affen I)at? 9iein; raie bie
i'Öirtung if)rer Urfac^e folgt, fo folgt bie grud)t ber 3(rbeit
als red)tmäf3ige§ @igentl)um bemjenigen, ber bie 5Irbeit boU=
jogen l^at." Solange alfo nic^t beftritten raerben fann, bo^
bie Gultiuirung unb Sobenöerbcffcrung „^robuct" ber
3trbeit, Dom 9)ienfd()en erjeugt ift, rairb e§ ebenfalls un=
möglich fein, blo^ bie grüd)te ber ^obenöerbefferung bem
^Jienfd^en äu^ufprecben. DJian mu^ öielmef)r biefe felbft
i()m äufprecibcn unb fomit aud^ baS ®i gentium am @runb
unb 33oben principiell anertennen. Sft baS \a bod; eine 6on=
fequenj beS ©afeeS, ben ©eorge aufftellt, raenn er fagt: „Sa
bie Umformung, auS raeld)er bie ^robuction beS 9Jienfd)en
1 DfficielTe 2lu§gabe 6. 14 (15) unb 16 (17).
322 ®rittc§ ßo^itel. ®a§ ^rtöateigent^um aU foctale Sfnftttution.
eigentlid) be[tel^t, bem ©toffe anhaftet, lolange bie gorm
bauert, fo öetfc^milät ba§ 9te(i)t auf ^ribateigent^um bie
gorm mitbem ©toff unb gibt fomit auci^ ein @igent^um§=
xtä)t an bem 9tatur[to[[, in rteldiem [ic^ bie probuctiöe 5lrBeit
berförpert ^ot." ^ SBeit bie ßultibirung bem 58 oben an=
haftet, fo berfdimilät ba§ Üte^t auf ^pribateigent^um bie
„f^orm" mit bem „©toffe" unb gibt fomit aurf) ein (5igcn=
tf)um§re(i^t an bem S3oben, in meldiem fid) bie probuctibe
5Irbeit berförpert I)at.
S)od^ ©eorge berfudit fid} bon neuem biefer @(^IufefDtge=
rung ju entjieljen, inbem er einen Unterf(j^ieb mac^t ^mifdien
bem übturftoffe, melc^er in ben menfdilic^en ^robucten ent=
!^alten ift, unb bem @rbboben: „Söenn auä) ber SDiJenfc^ ben
(Stoff Qu^ ber 3.^orrat^§!ammer ber 'iRahix nehmen unb beffen
Ort ober ^orm je nad) 2Bunfc§ berönbern !ann, fo flrebt
ber ©toff bon bem 9)?oment an, ba er genommen mirb, ben=
nod) mieber surüd nad) ber 2Sorrat^§!ammer. ^olj berfault,
Sifen berroftet, ©tein bermittert, mäljrenb bon ben bergäng=
lid^ern ^robuctcn einige \\ä) nur ein paai 'Tftonak, anbere
nur ein paar Sage Italien unb mieber anbere fofort beim
33erbraud} ber)d)minben. Obg(eid) , fomeit mir fe§en , ber
©toff emig ift unb bie lt\-aft für immer befielt, obgleid) mir
anä) ba» lleinfte im ©onnenftral^l fc^mebenbe 5ltom meber
bernid)tcn nod) erfi^affen fönnen, fo berfdiminbet bennod} fDrt=
ma^reub alle§ bemegcnbc ober bcrbinbenbe 53Jcnf(^enmer! in
ben uuauf§örlid)en Ummätäungen ber 3^atur. 5tIfo bie 3(n=
erlennung eine§ 6igentl)um§red)tey an bem Urftoff, mefdier
in menfc^Iidien ^rbeit§probucten berförpcrt ift, bebeutet nie
meljr a(§ ^eitmeiligen 33efitj, fie beeiuträdjtigt nie ben für
olle beftimmten SSorratf). . . . 2)a^er ftimmen mir S^nen gerne
bei, menn ©ie fagen: Sie menft^Iidie 33ernunft gibt bem
Offener 5övief ©. 26.
6. Stntoenb. geg. b. notuvred)tI. SJegrünbiing b. ©runbeigentf). 323
©tnjelnen ein 9ted^t, nid)t nur jofort ju berbtaudienbe Singe,
[onbern aud) bie für langtüäljrenbe unb jutünftige 23enu^ung
6e[timmten ©iiter bauernb ju befi^en. <Bk l^aben redit, fü=
fern ©ie foM^e ©üter, wie ©ebäube, tceldie bei 3nftanb=
(;altung 9J^enfd;enüIter Überbauern fönnen, ebenfo einbegreifen
njie 5ia^rung§mittel ober Srenn(;oIä, loeldie fofort öerjetjrt
luerben. 5lber menn ©ie baraua folgern, bof; ber SJienfc^
ein ^riöQteigent^umSrec^t an titn feit ©lüigfeit üorfjanbenen
unb etoig iüä()renben Dhturelementen , auf loeld^e aüe an=
geiüiefen finb, I;aben fönne, bann finb ©ie entfdjieben im
Unred)t. 2)er 2)ienfd) mag mol)! ein 5|3rioateigentfjum»red)t
an ben burc^ feine 5(rbeit erzeugten grüd)ten be§ (Srb=
bübenä fjaben, ha biefe mit ber S^'ü ibre bon ber 5Jrbeit
empfangene gorm berlieren unb in bie 93orratf;§!ammer ber
5catur jurüdfinfen, tüo^er fie famen, unb »eil ein (Sigen=
t^umgrec^t an fold^en ©ütern anbere nic^t fc^äbigt; aber er
barf bie @rbe felbft fo nid^t eignen; benn fie ift ha^ gro^e
Sagerl^au», au§ föeldjem nid)t nur fortroäfjrenb ber ^rDbuc=
tion§floff, ol;ne tüeld^en bie ilhnfc^en nid^t» anfertigen fönnen,
fonbern au^ i^r eigenes förpertic^e» Safein entnommen mirb." ^
©eorge l^at eine Söa^r^eit bon größter Sragmeitc an=
gebeutet, menn er fagt, ber 5)Jenfd) bürfe ben @rbboben nic^t
fo eignen mie eine ©ad^e, bie burd) htn erften ©ebraud} äer=
ftört toirb, 5. 33. ba§ ©tüd ^ßrob, meld)e§ ber DJJenfd^ ber=
äeljrt. 3n ber Stfjat ift ja, mie 2eo XIII. betont, bie Srbe
bie „bleibenbe, unberfieglidie Duelle" '^, aua meld)er aße fc^öpfen
muffen. 5lber e§ war nid^t f^ön, ha^ ©eorge biefe für bie ©ociaI=
reform unb 3Sirtf(i^aft§po(itif fo miditige Söa^rf^eit benutz, um
bie Slöpe 5U berbeden, bie er fidj unftreitig gegeben ^attc.
©eine ^öe^auptung ging nämlicb bal;in, ber 5)knfd) fönne nur
' Offener «Brief ©. 26 f.
" ©nc^tUfa Rerum uovarum ©. 14 (15).
15**
324 ®titte§ ßajjitcl. ®o§ ^priöatcigentftum aU fociole 3fnftitutton.
an bem bon i^m Srseugtcn ein ^riboteigent^um eriüetben.
Unb Qt§ man i^n batauf aufmerfjam mad)te, ba^ mit biefer
Seigre jebe§ Sigent^um im 2Biberfpruc^e ftef^e, weil ber
©toff, bie ©ufiftanj aUer fogen. ^robucte Statur gäbe,
Don ©Ott, ober nidit bon bem 5)?enf(f)en erzeugt fei, ha m\ä)t
er au§. @t fogt: „.^ol^ betfault, ®i[en berroflet, ©tein ber=
tüittert." Sene ©ubftans, jener ^Jtoturftoff bleibt nicfet lange
im Sigent^um, mäljrenb ber ßrbboben, feiner 5?atur nad^, bem
(5igent|um§red}te feine beftimmten S^itö^ettjen jie^t. 5Iber
ba§ ift eine ganj anbere f^^rage al§ bie umftrittene. Ober
fann ni(f)t bie Sauer be§ (Sigent^um§ bermöge ber ^Ratur
be§ 6igentf)um§objecte§ eine begrenjte fein unb bennoc^ an
biefem ©egenflanbe tt)a()re§ @igentl)um beftefjen? ©eorge ber=
weci^ielt 9t e c^ t unb Sauer be§ ©igentljum» miteinanber.
Sarum ift feine Sett)ei§fü{)rung fjinfällig. Selbft inenn bie
golbenen <S(f)ä|e unferer 5JtiIIionäre in „ba§ gro^e SagerfjauS
ber 9tatur" surüdffe^rten, tt)a§ mürbe barau§ folgen? Offenbar
nur bic§ eine: baß fein ©igentfjum emig bauert, aber
nid)t, ba^ fein Sigent^um an bem Staturftoff ju Stecht be=
fielen fönne.
3. @eDrge§ Eingriffe gegen bie päpftliii^e Sncpftifa f)aben
bisher menig Erfolg gefjabt. SßieKeidit ift ein anbere§ 33e=
beuten bon größerer SSebeutung: „'^l)xt eigene ?Iu§fage, ba^
ber @runb unb SSoben bie unerfdiöpflidie SSorratfiSfammer fei,
meiere ©ott bem 5}Jenfd)en fd)ulbet, mufe ein unbequemes 58e=
beuten bei @m. |)eilig!eit bejüglid) feiner 5Ineignung al?>
^ribateigent^um f^erborgerufen ^aben. Senn al§ ob «Sie fici^
felbft berutjigen moHten, beljaupten @ie ferner, ba^ ba§ ©igen«
tf)um§rec^t einjetner bie '3itä)tt anberer nici^t
fc^äbige. ©ie fagen: bie Srbe l)öre nid^t auf, bie 33ebürf=
niffe atler ju befriebigen, auö) tütnn biefelbe unter ^ribat=
eigentpmer bert^eilt fei , ttieil biejenigen, toeld^e feinen 33oben
befi^en, burd^ ben SBerfauf i^rer Arbeit 5Bobenprobucte al»
6. ©inttienb. geg. b. natuvvecf)tl. Söegrünbung b. ©vunbeigentl). 325
3a^Iung empfangen, eingenommen, jemanb [teilte 6m. ^^t\üq=
feit al§ 9lic^ter ber Word bie folgenbe ®emifjen§[rage : ,"^6)
bin einer bon mefireren Sritbern, roelci^en nn[er 3}ater ein
Canbgut fjinterlaffen fiot, baS ju unferem SebenSunterljalt aii^'
reicht. 2)a er fein ©tücf babon für irgenb einen bon un§
6efonber§ beftimmt fjai unb un§ bie S^eilung an^eimftellte,
fo no^m \ä) aU 51eltefter bQ§ ganje Sanbgut in S3efi|, Seboci^
l^obe ic^ baburd^ meinen 58rübern i^ren 2eben§unter()Qlt nic^t
entjogen ; benn id^ Ijaht biefelben auf meinem Sonbe für mic^
arbeiten laffen, unb \^ jaulte i^nen aus ben ^probucten einen
ebenfo ^ol^en So^n, mie icf) i^n fremben 5frbeitern !^Qtte jafjicn
muffen, ^ann alfo mein ©eroiffen nic^t böüig beruhigt fein?
— 2öa§ mürben ©ie antmorten? 2Bürben <&ic i^m nici^t
fagen, ba^ er eine Sobfünbe begangen t)aU, unb ba^ feine
©ntfd^ulbigung fein 2Serbred)eu bergrö^ere? Sßürben ©ie if)n
nid^t feinen S3rübern (Srfo^ leiften loffen unb ifjm S3u^e auf=
erlegen?"!
C^ne 3i^eifff mürbe ber ^apft gan^ in bemfelben (Sinne
entfd^ieiben. Unb ber ©runb ber Sntfc^eibung liegt auf ber
|)onb. SBenn nömlid^ ber fj^amitienbater qI§ ©rblaffer auä)
feine 3Sert^eiIung be§ 5Sermögen§ unter feine t^inber bor=
genommen, b. ^. bem A nic^t biefe§ unb bem B nic^t jene§
inbibibueUe 33ermögen§flü(f jugemiefen l]üt, fo ^aben bodö bie
^inber, fobalb i^nen bie ©rbfd^aft beferirt ift, im 5tugenblirfe
be§ SobeS be§ (ärblaffer§, ein 9ftecE)t auf eine beftimmte
unb smar gleid^e Cuote biefer beftimmten, concreten @rb»
maffe bereits ermorben. stimmt ber 2(eltefte bie ganje
(Jrbfd^aft al§ ßigent^um für fic^ in 5lnfprud^, fo beraubt
er feine ©efd^mifter i^re§ mo|Iermorbenen 9{ec()te§, mac^t fid^
be§f)alb einer ©ünbe fd^ulbig unb fabet bie 9teftitution§pfIic|t
fid^ auf. 9!un ift e§ aber etma§ burd)au§ SSerfc^iebene§,
» Offener JBrief ©. 28 f.
326 3)titte§ ÄQt)iteI. S)a§ ^rtöateigent^um aU feciale ^nftitution.
wenn ein t^omilienöater [einen ^inbern eine ßrbfc^aft f)inter=
iü^t, unb tt)enn ®ott ber ^^zn bem 5[)hnjc^en ba§ 9tec^t über=
trägt, ou§ bcn ©ütern bie[er Srbe feinen 2e6en§unter^a(t burd^
?trbeit ju entnel^men. 5)er Unterfc^ieb lä^t [ic^ auf imi
5pun!te äurüdfü^ren.
a) S)ie allgemeine (Sintoeifung be§ 93tenj(^en9efc^le(j^te§ in
ben Se[i| ber @rbe überträgt bem einjelnen 5}?enfc§en meber
ein birectea 5tnred^t auf irgenb eine inbitiibuelle Baä^t
noä) einen 3led^töOnf|3ru(i^ auf eine beftimmte Quote ber
9iaturgaben. «Sie bilbet ben oberften 9tec^t§grunb be§
5pribateigent|um§ in abstracto, aber nid^t beffen 9ied()t§=
t i t e I in concreto. W\t anbern Söorten : bermöge jener ®in=
meifung befi|t ber Tltn\ä) baa 9tec^t, (äigent^um ju er=
m erben, aber nid)t ein ern)orbene§ (Sigent^um§red)t an
irgenb einer beftimmten einzelnen Badjt ober Quote, nod)
eine ^tnmartfc^aft auf ein beftimmte§ Qb ject, eine be=
ftimmte Quote. ®er |)eiüge 33ater ^at biefer SBa^rl^eit in
ftarer, faum mifjberftänblidier SBeife 5tu§bruc! berlie^en, föenn
er fagt: „S)a^ ®ott ber §err bie ©rbe bem ganjen 5!}?enfc^en=
gefd)(e^t jur 5lu|nieBung übergeben Ijat, bie§ fte^t nii^t bem
©onberbefi^e entgegen. Senn ®ott I;at bie @rbe nic^t in
bem ©inne ber ®efamtt)eit überlaffen, al§ foHten aUe
oljue Unterfctiieb ^^nxm über biefelbe fein, fonbern infofern,
al§ er felbft feinem SiJienfd^en einen befonbern SL^eil ber=
felben jum 33efi|e angeföiefen, bielme^r bem ^^lei^e ber
DJ^enfcben unb ben bon ben SSöIfern ju treffenben 6inrid^=
tun gen bie ?tbgren5ung unb 33ertl)eitung be§ 5]8ribatbefi^e§
antjeimgegeben l^at.''^ @§ ift alfo in§befonbere ber ^U\^ beS
DJienfc^en, feine 5Irbeit -— e§ finb bie gefe^Iic^en ©inrii^tungen
ber Sßölfer, meldte ben nod^i ju boHsie'^enben Srwerb be§
eigent^um§ an irgenb welchen inbibibueHen Singen beftimmen
®ncl;!UIa Rerum novarum 6. 14 (15).
6. ©imüenb. geij. b. naturicrfjtL Segrünbung b. ©runbeigentl). 327
unb regeln füllen. 5lnber§ im ^oHe ber eröffneten (Srbfc^aft.
3)en ^inbern be§ grblaffer» ftel}t nicfit Uo^ ta^ 9fted)t ju,
irgenb ettt)a§ ju ertcerben. ©ie berfügen bielmel^r über ein
bereits erworbene» 9ied}t auf einen quantitatib, menn quc^
\\\6)t in individuo beftimmten S^eil, auf eine Quote biefer
concreten Srbmaffe. ^ie Srbeinfe^ung ober bo§ Snteftat=
erbrecht ift baffer für fie fein ab§tracter 9teci)t§ g r u n b , fon=
bern ein concreter 9te(i)t§ t i t e I , ber ifjnen eine re(f)t(id)e ^err=
fd^aft geiDäl^rt über bie Srbmaffe, je nad^ il}rem 5(ntf;eil an
berfelben. S)aäu tommt
b) ein tüefentli($er Hnterfd^ieb äiüif(|en ber @Ieic^bere(^=
tigung ber jur (Srbf(f)aft bea SSoter§ berufenen Äinber unb
ber @Ieid)bere($tigung ber 53ienfc^en, au§ ber aügemeinen 93or=
rat^§!ammer ber 9latur ©ütcr 5U erwerben. ,/i((§ gleiche
©efd)öpfe be§ ^Idmäd^tigen gleid)bered^tigt , unter feiner 3}Dr=
fe^ung i^r Seben au§äu(eben unb i^re ^ebürfniffe ju befrie=
bigen" — fogt @eorge ^ — , „finb bie 5[)lenf(^en alfo aud^
g(eic^bered)tigt bei ber 9iu^nie^ung an ©runb unb S3oben."
Söürbe i^enri) ©eorge jene „©leid^be red) tigung bei ber 9Zu^»
nie^ung an (SJrunb unb 33oben" ebenfo berftanben l^aben, tt)ie
bie @Ieid)!^eit ber 5Jienfd)en berftanben Werben mufj — alä
eine abstracte, ber fpecififd) gleidjeu 9ktur folgenbc, aber
i^rem concret fid) geftaltenben Suijalte nad) ebenfo berf^iebene
53ered)tigung , wie aud^ bie inbibibuelle 5Ratur ber 9JJenfd^en
in Dielgeftaltiger $8erf(^iebenf)eit erfc^eint, — wat^rl^aftig, feine
äßorte wären ber 2BeiSf}eit boU gewefen. ßr ^ätte bann aber
unmijglidf) noc^ bie ^araüete jwifc^en bem ßrbred^t ber ^inber
unb bein 9ted)te be§ ^Jienfc^en, bie (Srbengüter ju genießen,
aufrecht galten fönnen. Ober bürften wir benn annehmen, e§
fei i^m berborgen geblieben, bafj bie jur (^rbfd^aft berufenen
ßinber uic^t blop ein gleid^eä Üted)t, fonbern überbieä ein
Offener 23vief ©. 2.
328 ®ritte§ ßopitel. 2)a§ ißnöateigent^um al§ fociale g(nftttutton.
9te(i)t auf ha^ (BU\ä)t, auf ben gleichen 5lntl^ei( i^r
eigen nennen? S)Dd^ nein, er ^at biefen Umftanb feine§n)eg§
überfeinen. @§ lö^t il)n bielme^r bie ^Innal^me, ©ott l^abc
jebem ^üJenfc^en in gleicher SBeife ba§ giec^t berliel^en, (Sigen=
t^um ju erföerben, unbefriebigt. @r motzte gerabe behaupten,
bon 9iatur qu§, bermöge be§ göttlichen äBiUcnS, al§ ^inb
®Dtte§ befi^e aud) jeber bo§ gjed^t auf einen „gleichen
5tntl)eir'i an bem ©enufe bon ©rbengütern: eine ^t^aup»
tung, bie er merfwürbigermeife allerbing§ nur auf ben ©runb
unb Soben ju begießen fd^eint. S)arum föill er mit ben öltern
unb neuern 33obenbefi|reformern ha^ Sanb „nationalifiren",
b. f). in ta§> ©efamteigent^um bc§ @taate§ überfüfjren. 2Iuf
biefe Söeife ^offt er ba§ 9ted^t atler am ©runb unb 23oben
fidlem ju fönnen, mä^renb er gleid()äeitig ber Q^ortbauer be§
5pribatbeft|e§ am 2anbe, unb smar be§ nad^ ©rö^e unb llm=
fong berf{f)icbenen ^ribatbefi|e§, au§ meljrfad^en ©rünben fein
^inberni^ in ben Sffieg legen will.
5lflein e§ möchte un§ fc^einen, al§ ob ©eorge mit ber
S3ef)auptung , bo^ oße 9}?enfcf)en al§ gleid^e ©efc^ö^jfe auä)
böüig gleidibered^tigt bei ber tt)irtlid)en 91u|nie^ung an ©runb
unb 33oben feien, feiner eigenen Se^re miberfprecbe. 6r for=
bert, tü^ „alten 9Jtenf(iben ber gleicine 5(nt[;eil an ben
33ortt)eiIen ber ^flaturfcbä^e unfereS göttlid^en SSater§ gefiebert
merbe" ^. S)a berfte^en mx e§ benn burd)üu§ nid)t me^r,
mie er ba§ boc^ für aUe 5JJenf(^en „gleid)e ?tnrecbt" auf ben
©runb unb 33oben be§ Sßaterlanbc§" ^ bef darauf en fann.
©eorge fannte bietteidbt ba§ gürftent^um 2ippe=2)etmoIb. S)a§
„3SaterIanb" ber 2ippe=^etmoIber ift fe^r eng, unb menn mir
borau§fe|en, ba§ bort ober in ber freien ^onfeftabt Hamburg
alte einen gleichen ^Int^eil am ©runb unb Soben be§ Sßoter«
» Offener »rief 6. 4. ^ @(,5^
» efeb. ©. 6.
6. ©tntocnb. qeg. b. noturred^tl. Segrünbung b. ©rutibeigentl}. 329
lanbe» beanfprud^en bürfen, fo loirb ber Slntl^eil iebe§ 6in=
seinen jebenfaUS biel ftetner auffallen al§ ber 5(nt]^eil ber
!öett)o^ner eine§ großem SanbeS mit njeniger bid^ter 58et)öt=
ferung. 9iun, tt)D bleibt benn ba jene (SleicS^^eit, bon ber
©eorge rebet, tt)el(^e er be§f)alb forbert, lüeil mir 9)ienf(i^en
alle gleich geliebte ^inber be§[elben göttlid)en SSaterS finb?
2Bo bleibt bie ©leid^l^eit, föenn biefer ^immlifd^e 23ater einem
2;^eil feiner .Qinber nur einen 5Int^eiI an 2ippe=2)etmoIb,
ben anbern bagegen biel größere 2i)alb= unb Sanbgebiete in
örafiüen ober in 5lfrifa ongemiefen l^at? 2öie ftimmt "ba^i
mit ber fo beftimmt borgetragenen Seigre, bo§ „aüen 5!)^enf(i^en"
— alfo an6) ben 2ippe=2)etmDlbern — „ber gleiche 5Intl}eiI
an ben 35ortf)eiIen ber ^Raturfc^öle unfere§ göttlid^en 95ater§
gcfi(|ert" »erben muffe? ferner mit feiner 33e^ouptung, ba§
bei ber 25ert^eilung be§ (SrbbobenS geltenbe ^rincip fei „ba§
gleii^e ttjie in bem i^-aü, mo ein menfc^Ii^er Sßater fein
ßigent^um ju glei(!^en Sf^eilen einer ^Injal)! ^inber hinter»
löfet"?!
|)enrQ (Seorge mar freilief) bcrftönbig genug, einjufe^en,
baB ein ®efamteigentt}um ber ganjen 9JJenfc^f)eit am @runb
unb 33oben t^eoretifdf) unb pra!tif(^ ber 5tbfurbitäten boü ift.
2)arum gerabe fe|te er an bie ©teile ber 5)knfc^§eit bie ein=
seine DZation, ben ©tamm, ben ©taat. SlHein e§ burfte i^m
boc^ nid)t berborgen bleiben, ha^ er babei feinen eigenen
©runbfä^en miberfpraiiö. 2)enn menn ber Sinjelne gegenüber
ber 5[)^enfc^^eit — b. i. ber ©efamttjeit ber gleid^beret^tigten
i?inber be§felben ^immlifc^en Sßater§ — baburti^ ein Unred^t
begebt, 'na^ er einen S^eil be§ 2anbe§ al§ ^pribateigent^um
ertüirbt, bann werben ganj in berfelben Seife aud^ ber
©taat, bie ^^iation fi^ berfel^Ien, fofern fie ein beftimmteS
Territorium mit 5tu§fd^Iu^ anberer ^Kationen al§ i^r eigen be=
Offener Stief ©. 4.
330 ®ritte§ ßa)3ttel. ®a§ ^riöateigent^um aU fociole Sfnftitution.
trachten 1. 5IIfo entraeber ©efomteigent^um ber gonsen 2)Jenjd^=
f)eit an ber gangen @rbe — ober 5]ßnbateigent^um ber ein=
feinen ^JZenfcfjen an ben 2:^eilen be§ S3oben§! gür bQ§
(^DÜectiöeigent^um einer 5Zation an ifjrem Territorium mit
5Iu§fc[)Iu^ anberer Aktionen fe^tt jebe principicüe Unter=
tage. —
4. §enrQ ©eorge jie^t aber in bem ^riüQtgrunbeigentfmm
nirf)t bloB eine 33erle|ung ber ©leic^berec^tigung ber 3Jienfc!^en,
fonbern überbieS eine bödige 2lu§f(%ne^ung ber 5Ric^tetgen=
t^ümer bom gemeinsamen (Srbe. S)ie gegentl^eilige ^Bel^auptung
[teilt ^ap[t 2eo XIII. auf: „3Bie immer unter bie einzelnen ber»
t^eitt, {)ört ber Srbboben nid^t auf, ber ©efamt^eit jubienen;
benn es gibt feinen Wtn]ä)m, ber nid)t bon feinem (Srträgni^
lebte. 2ßer o^ne Sefi| ift, ber ^at bafür bie 5(r6eit, unb
man !ann fagen: Stüe ^Rafjrungaquetlen gelten äule^t §urü(f
entmeber auf bie ^Bearbeitung be§ S3oben§ ober auf 3Irbeit
in irgenb einem anbern ®rn)erb§jmeige, beffen Sol^n nur bon
ber S^ruc^t ber Grbe fommt unb mit ber t^rud)t ber Srbe
bertauf(^t föirb." ^ S)a§ DJiipe^agen an biefen äBorten f^eint
bei ^^errn ©eorge nic^t gering gewefen ju fein. 2)ie§ geigt
^ Cf. B. J. Holaind S. J. , Ownership aud Natural Right
(Baltimore and New York 1877) p. 87 f. : "Either land belongs to
the whole species, er it does not ; if the fonner be true, then we
can have no exclusive ownership : exclusive ownership of a nation
makes the wrong national instead of indivkluaJ ; that 's all. If it
does not belong to the whole race collectively , then any one
not debarred by preexisting rights, can appropriate. There is no
foundation whatever for the exclusive ownership of a nation, as
separated either from the coUective ownership of the race, er the
individual ownership of the Citizen. If one has not the right to
appropriate land, how many will it take to make a full-fledged
right? Would not their collective ownerslüp look very much like
an addition of zeroes?"
* ©nc^ftüa Rerum novarum 6. 14 (15).
6. ©iniöcnb. geg. b. iiatimcd)tl. Segrünbung b. ©runbcigentl). 331
bic ettoa§ unbebad^tfnme 5lrt imb 2Beife, tuie er feine @nt»
gegnung formulirte: „eingenommen, @tt). -'peiligfeit mären
al§ meltlic^er gürft ber S3ef)errf(f)er eine§ regenIo[en ßanbe§
mie 5(egl)pten, in bem e§ mebcr Quellen nod) 33äd)e gibt
unb biia bon einem [o munberbaren g-Iuffe mie ber Tai mit
äBaffer berjorgt mürbe, eingenommen, <5ie fjötten eine 5tn=
jafil S^rer Untert^anen au§ge[anbt, bay Öanb nnjubauen,
unb i^nen 2Bo^IergeI}en münjcEienb, nocf) befonberS gere(f)te§
.•panbeln gegeneinanber anempfo'^Ien. Salb aber mürbe man
Sinnen mitt^eilen, ba^ einige ein @igent^um§recf)t nn ben
glu^ geltenb gemad)t Ijätten, ben anbern ieben Sropfen Söaffer
borentfialtenb, ben fie i^nen ni(f)t abfauften, fo bafj bie g(u)V
eigent^ümer auf biefe SBeife o^ne ?trbeit reid) gemorben feien,
mät)renb bie anbern trD| !f)arter eirbcit burd) bie erjmungene
^olje 3ö^)f"Ji9 füi: SBaffer fo berarmt feien, ba^ fie !aum
noc^ i^r Seben friften fönnten. SBürben ©ie nidjt auf ha^
pd)fte entrüftet fein? eingenommen, bie ^-lußeisent^ümer
mürben ^t}nen alöbann bie folgenbe (Sntfdbulbigung jufenben:
jäBie immer unter bie etnäelnen bert^eilt, fjört ber giu| nid)t
auf, ber ©efamt^eit ju bienen; benn tia ift fein Würfliger,
ber nic^t bon bem glufimaffer trinlt. diejenigen, meiere fein
glu^maffer befi^en, ^aben bafür bie 3lrbeit, um e§ ju er=
langen, fo ba^ man fagen fann : eiUeS SSaffer mirb entmeber
bem eigenen g-fu^ entnommen ober au§ ber eirbeit in irgenb
einem anbern (Srmerbäjmeige, meld)c entmeber mit Söaffer ober
mit etma§ anberem befallt mirb, momtt man SBaffer ein=
taufc^en fann.' SBürbe bie ©ntrüftung gm. ^eiligfeit nad)=
laffen? 5}]üJ3te biefelbe nic^t nod) ftärfer merben raegen ber
58eleibigung ^ijxn Suteüigenj, me(d)e in biefer @nt)d)ulbigung
liegt? 2ä) braud^e (5m. ^eiligfeit nicbt noc^ ou§fü()rIi(^er
barjut^un, ba^ einem ?[Renfcben gegenüber jmifdien ber ah=
fohlten 33ermeigerung ber (Sotte§gaben unb ber äBeigerung,
i§m biefe ©aben anber§ al§ burci^ ^auf ^u überlaffen, blo^
332 ®ritte§ ßapttel. ©aö ^riüatcigentfiutn oB foctole Snftttution.
ein Unterfc^ieb , loie ätoifc^en bem 9täuber, ber [ein Opfer
fterben lä^t, unb bem JRöuber, mlä)ix für bQ§ feinige Sfe=
gelb öerlangt, befielt." ^ Sie ^emeiäfü^rung @eorge§ ift cou=
lont. ©c^abe nnr, bap fie aU öerfe^It bejeidinet tüerben mu^.
©ie leibet:
a) an einer falfcf)en ^luffoffung ber erften i8efi^=
ergreifnng, ber 5trt itjreä SSoIIjugS, ber SDauer i^rer 2Bir=
fung. SBenn man ©eorge glauben bürfte, fo lüören e§ nur
einige menige ^erfonen, tt)eld)e, ben anbern öorauSeilenb,
bie gange (5rbe für fic^ in 33efi^ normen unb allen
übrigen ba§ 9la(^fe;^en lieBen. Sa et beliebte biefe feine
^uffaffung zuweilen in rec^t braftifd^er SBeife jum 5Iu§bru(f
äu bringen: „51I§ ^ain unb 5I6eI bie einzigen SJienfc^en auf
(Srben waren, ftanb e» i^nen frei, burd) ein He6erein!ommen
bie @rbe unter fi(^ ju tt)eilen."2 2Bir wollen nid)t einmal
baran erinnern, 'oa'^ ^ain unb 5tbel niemals oüein auf ber
Sßelt gemefen. (S§ genügt un§, ju conftotiren, tia^ ©eorge
eine Occupation ber gangen 6rbe burc^ gtüei 9!}ienf(^en für
mögli(i^ ^ält. S)a§ ftimmt überein mit ber 5luffaffung, toelt^e
bereits früher bon i^m probucirten Seifpielen ju ©runbe liegt:
„SQai ber juerft erf^ienene ©oft baS 9ted)t, bie ^öefeljung aller
©tü^le ju üerljinbern unb ju fürbern, ha^ niemanb an
bem Mü^k tl)eil^abe, ber fid^ nid)t auf bie bon i^m bor=
gefc^riebenen ^öebingungen einlaffen wiU? |)at ber erftc, ber
am S^ore beä 2;l)eater» eine (äintrittSfarte borweift unb guerfl
I)ineinge^t, baS Stecht, al§ ber 3uetflge!ommene bie Sljüre
ju fd^liefeen unb allein ber ^Borftellung beiäumofjnen?" ^ §ier
finb e§ nic^t einmal glüei, ^ier ift e» nur einer, ber M^
©ange für fic^ in ?lnfpruc^ niunnt. ßat^rein* §at fc^on
» Offener Srief ©. 29 f. ^ gjjjj, @. 4 ^
' Progress and Poverty p. 247 f.
* §ett 5 be§ I. Sanbe§ ber „©ocialen gfroge" (fjreiburg 1892).
3. 5tufl. 1896.
G. ®imucnb. geg. b. natutrcd^tt. Scgtünbung b. ©runbeigentf). 333
barauf aufmer!fam gemacht, ba^ 6ereit§ Gicero ^ unb 2;l)oma§
Don ^Iqutn - folciie (Sintüenbungen longft loiberlegt ^aben. 2öer
äuerft im Sfjeater erfc^dnt, l^ot nic^t bie ^ßefugni^, olle onbern
au§5u[(3ö(ie^en. ^6er i^m [te^t ha^ ^^tä)i 5U, \\6) einen ^la^
äu iDQ^Ien unb üon biefem feinem ^latje jeben ju ejchibircn.
©0 berlölt e§ [ic^ anä) mit ber 5öe[i|ergtei[ung biefer (Srbe.
SQßer 5uer[t fommt, fann fici^ eine ©teUc für feinen SBol^nort
mö^Ien. @r barf fein '^tlh umhegen, fein S^an% bauen unb
beibe» fein eigen nennen. 5)ie ©päterfommenben mögen fein
58eifpie( nac^a^men. 5(ber fie l^aben !ein 9ted)t, ben S^tx\U
gefommenen feine» @igent^um§ mieber ju berauben. @§
l^aben in ber S^at aud^ nid)t etwa ein ober jmei ^erfonen,
fonbern 53^enf(^en in unbered^enbarer 3^^^ 2anb=
eigentfjum ermerben fönnen. 2iegt \a fogar ^eute nod) ber
3eitpunft feljr ferne, mo bie hjeiten ©treclen 5(frifa§, 3(fien§,
5luftralien§ böHig aufgetl^eilt fein merben.
S)ie Quelle be§ 3rrtl)um§, bem ©eorge jum Cpfer ge=
fallen, ift unfere§ ©rad^ten» bie falf^e 33orau§fe^ung, ala ob
burd) bie rein innere 2:[)otfad)e eine» bloßen 2Binen§acteS
ober burd^ beffen münblic^e 2>cr!ünbigung bie Dccupation
fic^ Don5ief)en !önne, 2)arum nimmt er an, 5{bel unb ^ain
Ratten bie ganje (Srbe unter fic^ tt)ei(en unb jebem neuen 5tn=
fömmUng bie 33ebingungen tiorfdjreiben bürfen, unter meieren
i|m ber ©enuß ber 23obenfrü(^te jugeftauben trerben foQte.
2ßäre biefe 33orau§fet;ung rid)tig, fo ftaube nid)t§ im SIßege,
auc^ ben ÜJ^onb in 53efi| ju nefjiuen, unb ben Ferren 5tmty=
ridjtern ttJürben fd^on längft Oted)t§ftreitigfeiten jur Sntfc^eibung
borgetegen l^aben, tner unter mehreren ^erfonen juerft ben
animus possidendi bejüglid^ ber lunarifc^en ©efilbe getjobt.
Sod) ßjeorgea 5Innaf;me ift eine irrige. 3tt)ei 9)?omente ge=
I)ören jum Sefilermerb. Adipiscimur possessionem cor-
» De finibus c. 20. * S. th. 2, 2, q. 66, a. 2 ad 2.
334 Stitteö ßapitel. ®a§ «Pciüatetgent^um aU feciale ^nftitution.
pore et miimo. @§ genügt nid)t ber blo^e Söillc. '^n bem=
[elben mu| ba§ äiiB erlief) erfennbare 3>erfjältni^ ber t^at=
[äc^Iid^en Snne^abung fiinjutreten , ber animus pos-
sidendi ntu^ in ben äußern 3Serpltnif|en irgenbtoie berförpert
fein. 2)Qrum voai e§ p^t)[i)'(^ unmöglid}, ba| ?(6e( unb .^ain
bie ganje (Srbe unter [id) t^eitten, meit eben nur ein S^eil
ber @rbe bie @inrt)ir!ung berfetben auf fic^ geftattete, nur ein
Stieil für fie erreidjbar loar.
2Bic über bie 91 rt unb äßeife ber Occupation, fo
tQufd)t fid^ ©eorge ferner f)infid)tlid) ber 2) au er be§ au§
berfelben ermac^fenen 9te(^te§, 2Öer ®eorge§ ©d)i(berungen
lieft, iDirb ücranla^t äu gtnuben, biefelben ^erfonen, lüetdje
bie erfte Sefi^ergreifung üoUäogen, fä|en Ijeute nod) auf itjrer
©djolle, bi§ an bie 3öl}ne bemapet, um il^ren „Staub" gegen
bie „nöd)ftgebornen DJ^enfc^en" ju befjaupten. ^lüein ba§ ent=
fpric^t benn boc^ nid^t ber 2ßir!ti(i^feit. @§ fommt ber 2;ob
für jeben unb mit i|m bie ßonfi§cotion aller biSl^er befeffenen
@üter. ^ie „nädjftgebornen 9J^enfd)en", fofcrn fie 2eibe§erben
finb über bielleid)t im 2;eftament a\^ (ärben eingefetjt h3urben,
treten an bie ©teile be§ @rblaffer§, beffen (Sigentt)um§re(^t
mit bem Sebcn jugleid) erlDfd)en ift. S)er Sled)t§titet aber,
auf ©runb beffen bie folgenbe ©cneration '^a^ ßigenttjum cr=
tt)irbt, ift md)t metjr bie Dccupation, fonbern i^r eigenes (5rb=
rec^t. hinfällig ift barum ©eorgea ^ebcnten, iDenn er fagt:
„^er seittidje 58orrang ber 33efitjergreifung foü einen au§=
fd^tiefi(id)en, eiuigen 9te(^t§tite( auf bie (Srboberflädje geben,
auf ber nad) ber natürlichen Orbnung unsäljügc @efd)Ied)ter
einanber folgen follen? §atte benn bie borberfte (Generation
ein beffere» 9ied)t auf biefc Erbe al§ lüir? ober bie 5}^enf(i()en
t)or tjunbert Sflf)ven? ober Don taufenb 3a{}ren jubor?" ^
1 Cf. Progress and Poverty p. 247. fö o t f) r e i n o. a. D.
S. 66.
6. ©inlüenb. geg. b. noturred^tl. 23egrünbuiig b. ©vunbeigenti). 335
darüber burfte ©eorge Jid) Beruhigen! @r t}atte baS gleidje
ateci^t , (Sigent^um 511 ei;it3er6en , folange er lebte , tnie jene.
5lber oud^ an feiner 3:^üre flopfte ber Sob an. Diid)t für
„etüig" bermoc^te er bie lonnnenben @efc^(ed)ter Don bem
,"panfc au§äufd)Iie^en, in bem er tooljnte. 5Inbere Generationen
erfrenen fic^ be§felben, nad)bem feine (SigenifjuniSredile er=
(ofd^en finb. —
ßa möchte una fobann fdieinen, al§ ob \\(^
b) eine gänslid) folfdie 5Iuffaifung über ba§ SSerfjältni^
ber ®runbbcfi|er ju ben übrigen ©liebern ber ©efcflfcbaft
fotüie über ba§ äöefen ber arbeitst ^eiligen ©efell^
fd)a[t bei ©eorge geltenb \r\aä)k. Sn einei^ arbeit§t|ei(igen
©efeöfd^aft !önnen unb werben nid)t aüe ^Bürger mit ber 5Be=
ftellnng be§ ^der§ fid^ befdjäftigen. S)ie einen treiben biefe§,
bie anbern jencS ©ef^äft. <Sinb bie ©enjerbSleute abf)ängig
Don bem 53auernftanbe , ber if^nen bie 5la^rung be» 2eibc§
fpenbet, fo ift ber Sauer abl)ängig Don ber ^nbufirie, bem
Ä^anbmert, bem §anbet, oI;ne meldie biele feiner Sebürfniffe
feine Sefriebigung finben mürben. 3Ber (Selb in ber 2;afd)e
^at, ber ift bem @runbeigent(}ümer gegenüber weber ©üaöe
nod^ Sributör. §at ber Sauer mc(}r l^orn probucirt, al§
er felbft tserjefiren !ann, fo ift er Don ben übrigen bürgern
fo abijängig, ha^ er ofine ben SiifP^u^^) ^f^' ßonfumenten
nid^t einmal feine 5probuction§foften bcden fönnte. Sßir geben
allerbinga gerne ju, ba^, mer ©runb unb Soben aU (Sigen=
t^um befi^t, in gemiffem ©inne einer beffern Sage fi($ erfreut
at§ berjenige, ber folc^en (äigentl)ume§ bar ift. Slüein bie
Siebe, meiere ©ott für alte ^^Ihnfi^en cmpfinbet, ^at ja aud)
itjn nid)t abgebalten, bem einen biefe, bem anbern jene gäf)ig=
feiten unb ©elegenl^eiten ju berleifjen, fo t)a^ faum ein 9}ienfd)
bem anbern in feiner natürlidien 5Iu§ftattung gteicb ift, in
einer gteicb guten Sage fid) befinbet. 3ebenfaII§ entfpricibt e§
gar menig ben objectiöen Serpltuiffen, lueun bie bon ©eorge
336 ®ritte§ ßa^Jttel. S)a§ ^riüatetgentl^um qI§ fociate Qnftttution.
getüä^Iten Seijpiele bie ©runbbe[i|er immer al§ Seute 6e=
äeid)nen, bie anbern üoraiiSgeeilt, um einen „5Iu|" , eine
„Duette", n)el(i)e 6e[tänbig fliegt, für [ic^ ju occupiren. @i|t
benn 5. 33. unfer heutiger Souernftanb ba, ben ^ror^n in
ber |)Qnb, um au§ bem t^oB ber ^iatur bemienigen einen
labenben Srun! ju fpenben, ber bie „(Brunbrente" jQ^It?
®ie D^atur bleibt larg, unb i()re probuctiben Gräfte muffen
in ber Siegel erft mit bem ©c^mei^ be§ 2anbmanne§ befruchtet
toerben. „®ie (Srbe ift bie 5}iutter, bie 5Irbeit ber Später",
fagte 5|3ettt), unb er |at rec^t gehabt mit biefem Sßort. bitter»
bing§ beabfiditigt ©eorge nur mit ben bon i§m gemä^Iten
53eifpiden mögli^ft prägnant bie Sßol^r^eit f;erüoräu£)cben, ba^
im ^reia ber ^robucte oud) eine „ütente" für bie natürlid^c
5ru(!^tbnr!eit be§ Soben§ entgolten fei, eine Üiente, bie mit
äunef)menber 2)i(^tigteit ber Sebölterung fteigt, inbem ber
5prei§ ber ^robucte unb bamit auä) ber ^rei§ be§ 5Joben§
fic^ er^öfit. jDennod) leiben feine 5öeifpiele on einer fo ftarten
Uebertreibung, ba^ man berfud)t märe äu glauben, er f)ätte
feine Seigren in ben «Sternen gelefen, ni(^t au§ ber Seoba^=
tung be§ menfcf)Ii(i)en 2eben§ gefd^öpft. Wan blide nur auf
bie 2BeIt, mie fie in 2i3irnid)teit ift, mau gef)e nad) 2)eutfd)(anb,
naä) Italien, unb man mirb eifennen, ba^ I)ier mie bort
gerabe ber 5öauer, ber nod) auf „eigener" ©ci^otte fi^t, t)iel=
fad) sum Sributär be» mobilen .Kapitals gemorben ift. S)er
3iu§, ben ber ©runbetgentpmer bem Kapital ju jatilen l^ot,
ift oft größer aU bie Stente, bie ber Sanbmann für bie
gruc^tbarfeit feines ?Ider§ bejiel^t. §ierouf möd^ten mir
bie 5Iufmerffam!eit aüer 9teformer teufen, biefen ^unft
itjrem ©tubium empfehlen. Sann mirb man nidit mefjr bie
tapitaliftifdien 5Jiittionäre barbenb an ber %^üxt ber Saueru=
()ütte ftel^en fel)en, um einen Srun! 2ßaffer§ bittenb, etma§
Äorn unb SBeijen erfletjenb, i^ren J^unger ju ftitteu, mä^renb
fie gleich jeitig tl^ränenbeu 5tuge§ ben „Svibut" nieberlegen,
6. ©inujenb. geg. b. naturted^tl. S3egrünbung b. ©vunbeigent!^. 337
lueld^en ber räuberifd^c Sauer i^nen auferlegt f^at. 9Jhn
tüirb bielme^r erfennen, ba^ ber fapitali[tifc^e Liberalismus
ber geinb bes 2Bo^I[tanbe§ ber i^ölfer ift, er, ber burc^ bie
usura vorax [id^ mäflet, ber bem 33auern fein 5lderfelb ent=
lüinbet, bie ^^einiftätte raubt, auf ber bie Altern fofeen unb bic
^inber il;re Dkfirung in S^ren finben füllten. ?Dkn wirb ein»
feigen, baB nid)t ba§ (Srunbeigent^uni, fonbern ber ll^ißbrauci^
bc» Sigentfjumä fc^ulb ift an ben gemeinfd)äblidjen 53oben=
fpeculationen unb an fo dieleni, maS ben 9iuin ber 23ölfer be=
fd^Ieunigt. 2)iefer SOJiBbraud^ öerfc^ulbete bie 93eröbung ber
einft fruchtbaren Gampagna, bie ^ntüölterung unb Sntneröung
Italien», tt)el(^e hm ©oten unb SSanbalen bie Söege bal^nte, bo§
römifcfie S3ritannien an bie 93eref}rer Obina unb S^or» au§=
lieferte. DZic^t ha^ (Sigentl}um mar fc^ulb baran, 'üa^ in ben e^e=
bcm reidien unb bebölferten ^^^rDDinsen be§ OftenS bie gelicbteten
9teil)en ber Segionen bon bem ^rummfäbel ber mo^ammebani=
fi^en Sorben bernic^tet mürben, hü^ auf bem ^eiligen @rabe
fomie auf ber ©op^ienfird)e ba§ ^reuj ^erabgeftopen unb ber
^albmonb aufgepflanzt mürbe. dl\ä)t baS ßigent^um über»
meift in (gc^ottlanb frudjtbare gelber milben Spieren jum
5tufent§alt, bermanbelt fie in Sirlanb in Söeiben für ha^ 35ie£|,
lä^t in (Snglanb, in 5luftralien baä 2anb hxaä) liegen. 5lid^t
iiü^ Gigent^um barf man auflagen megen aller biefer be=
flagensmertlien , für ha^ ©cmeinmolil ber 33ölfer bcrl)ängniB=
boKen S^atfac^en, — bie @igentl)ümer finb bie S(^ul=
bigen; — jene |)abfuc()t, meiere nac^ bem SBort beS ^rop^eten
bie SRenfd^en antreibt, g-elb an ö^lb gu reifjen, al§ ob fie allein
auf ber 6rbe molinten, — jene unjureic^enbe, ben Dieditcn ber
©efamt^eit nid^t entfprec^enbe Sigent^uniaorbnung, bie mancher»
ort» aua bem ^ribateigentl)um am Sanbe ein pribates 9}?onopol
für menige gefc^affen, — ber Siberaliamuä mit feiner grei=
mirtfd^aft, — ha^ finb bie ^Jeinbe, meldte mit bem ©dlimeifie,
bem Slute be§ Sßolfeä i^re beboten ^partifane fo lange nö^ren
338 S)Titteö ßa^jüel. S)a§ ^nt)ateigentf)um aU fociale Stiftituttott.
fonnten, bi§ bic 9^Qtionen enbüd) fid) ermannten, um bie
brücfenben Letten ju jerrei^en. %uä) ©eorge fjot bie @lgen=
t^iimginfütution mit ber ßigenttjumsorbnung t)ertt)ed)[elt, ba§
(Sigentt}um beS^alb bermorfen, meil er bon ber irrigen 23orau§=
fe^ung ausging, e§ gebe nur ein einjigeä ©gentium, — ba§
abfolutc, — nur eine einzige (5igentI)um§orbnung , bie bem
(Sigcnttjiimer bie [c^ranfenloS freie 33enu|ung feiner @üter über=
Iä|t. ©Dtüeit er ein (Sigent^um anerfennt, an ben i5^w<^ten
ber 5trbeit, nennt er ja bie[e§ Stecht ein „unbefd^rönÜeS,
ausgenommen foldie ^üKe, in meieren bie ^flidjt ber <SeIbft=
er^attung alle onbern 9ffec^te auffjebt" i. —
5. S)ie übrigen (Sinmenbungen, meldie ©eorge gegen bic
S3emeiSfü^rung ber päpfllid^en (£ncl)!Iifa mad)t, bieten menig
5^eueS unb [inb in bem bi§f)er ®e[agteu jur (Genüge tüiber='
legt. ©0 5. 53. bermirft ©eorge bie 33ef)auptung be§ ^ap[te§,
„ba^ bie auf ben Soben bermenbete ?Irbeit ein @igent^um§=
red)t an t)a§i Sanb fetbft gäbe" ^.
S)er @inn ber SBorte be» |)ei(igen SSaterS ift bereits früher
bon uns bargelegt morben. Seo XIII. fagt nid)t, bie 5lrbeit
als bloße S()atfad)e gemä^re ein @igent^umSred)t am
SSoben. 3)amit überhaupt eine S^atfadie 3ted^tStiteI beS con=
treten @rn}erbeS fein fönne, mu^ fie auf einen 9ted^t§grunb
fic^ jurüdfüfjren laffen, ber gonj aftgemein bie Sefugni^ beS
@igentf}umSertrerbeS entl}ölt. 9hir infofern unb fomeit bie
concrete (5inäelt{}atfad)c fid) unter biefen allgemeinen unb aM^
tracten 9tecbtSgrunb fubfumirt, mirb fie für ben inbibibuellen
gall jum red)tlid)en ©rmerbStitel. 5ttlgemeiner 9ted)tSgrunb
nun für ben Srmerb beS @igentt)umS an ben materiellen
Singen ift aud^ baS ®igentl}um§red}t, mld)t^ ber DJJenfd^ an
feinen 2:t)ätig!eiten unb bereu f^i^üc^ten I^at. 5lber eS ift uid)t
ber letjte, aflgemeinfte unb I}öd}fte 9Jed)tSgrunb, fe^t bielme^r
' Offener Jöiicf S. 4. " (Sbb. S. 31.
6. ©imuenb. Qcg. b. naturrecfjtl. Segrünbiing b. ©ruubeigeiit^. 339
feinerfeit§ bie Gintüeifung be§ 5}?enf(!^en in bicfe 2Be(t unb
ba» öon ©Ott Derlle^ene 9ted^t, bie (Srbe [ic^ bien[t6nr ju
niadjen, qI§ l^ö^crn ütedjtstjninb not^itienbig öoraii». — 6ben=
foiüenig behauptet ber ^apft, bap jebe auf bcn 23Dben ber=
roenbete 5trbeit ßigent^uni^rerfit an bem[et6en berlei^e. 6r=
fennt bo^ ber ^eilige 5öater ba§ SofjnDer^äUni^, bei welchem
ber im ®ien[te eine§ anbern [tetjenbe 5Irbeiter fein ©igent^um
am ^robuct eriüirbt, aU ju Siedet beftef^enb an. 3n ber
anbern $ßorau§i"e|ung n)ürbe ü6erbie§ bie 5tr6eit jum 93er=
berben ber 51rbeit werben, ba jeber beliebige frembe» (Sigen=
t^uni rauben !i)nnte, inbeni er baa)elbe blo^ 5um ©egcnftanb
feiner 5(rbcit ju machen 6rou(j^te. Söobon ber ^ap[t rebet,
ba§ i[t bem un^tüeibeutigcn 2ßort(aute nac^ — tt)ie auä) ©eorge
annimmt^ — lebiglid^ ber urfprün gliche Grioerb be§
@igent!)um§ an einem <Btüd 2anb, ha^i bisher nod) niemanb
gehört f)at. §ier aber i[t in ber %l)at bie 5lrbeit äfec^tStitel
be§ @igent(}um§ertt)erbe§. 5(nbcrn[aII§ tDÜrbe ber erfte Se=
bauer be§ 5(cfer§ bie grud)t feiner 5lrbeit nic^t fein eigen
nennen fönnen. 5)enn raa§ ift bie grudjt ber 5lrbeit?
S)er Sßeiäen, ber au\ bem urbar gemad)ten g-elbe müd^ft?
O^ne 3n32ifel; aber ha^ ift bie mittelbare grud^t. Ser un=
mittelbare Effect ber cultiüirenben Strbeit, if)re unmittel=
bare „^-rud^t" ift bie Sobenöerbefferung fetbft, ber
berbefferte 33oben. 3*^^^^ ^i^b ber 53oben ebenfottjenig feiner
©ubftanj nad) non bem DJienfc^en erjeu^t mie ber 9iod, ben
ber ©dineiber anfertigt. ?lber bie ^Jorm be§ cultibirten
53oben§ ^at er burd) menfditidjc 9Irbeit erl^alten, unb biefe
^orm fann infofern Dom Sanbe nic^t getrennt n^erben, al§ fie
für fid^ aQein fein ©cgenftanb be§ @igent^um§ ju fein bermog.
2)ie 33erlegen^eit , in meldier ©eorge fi^ biefer 5trgu=
mentation gegenüber befanb, öeranta^te itju, no^ mehrere
1 Offener SJuef ©. 31.
^t]ä), SibcraligmuS it. U. 2. Slufl. 16
340 S)Titte§ ßa^Jttel. S)a§ ^riDoteigenf^um aU feciale Sinftitutton.
(^intüenbungen aneinanber ju reiben, o^ne bo^ jebDc^ bie
@(^tt)ä(^e ber einzelnen fiierburii^ üöertounben tüerben fönnte:
1) @e[e|t, bie 5Ir6eit recf)tfertigc auc^ ben urfprüng=
Ii(^en @rtDerb be§ @igent^um§ am ©runb unb Soben, fo
tüürbe [ic bo(^ nic^t ba§ ^riöateigent^um am 2anbe, „tt)ie
c§ (}eute befielt", ju red)tfertigen im ftnnbe fein ^ 5tber
öom fjeutigen @igentf)um unb ben einjelnen l^eutigen (Sigen^-
t^ümern rebet ja ber 5|3ap[l äunüd)[t nicfit. @r entmidelt bie
naturrec^tlici^e ©runblage be§ ^ribateigentl^umS im alU
gemeinen. Söill jemanb bie 9te(f)t§titel ber inbibibueßen
^riöateigent^ümer bon ^eute prüfen, fo mirb Seo XIII. i^n
nic^t ^inbern, biejenigen ju bertrerfen, bie „in ©emalt unb
23etrug i^ren Ursprung l^aben" 2.
2) ÖJeorge fragt: meun bie geleiftete ^Irbeit ein (Sigcn=
tfjum§reci)t an ©runb unb ^öoben gebe, mo bann bie (Srensen
biefea (Sigentl)um§re(f)te§ feien, ob j. 53, biefeS @igent^um§=
red}t feine Geltung bema^re, fobalb e§ \\ä) ^erauSfteHe , ta^
ber 33oben reiche Wmtn entljalte u. bgl. ^ ?(ber maS foH
biefe§ 53ebenfen? — (S§ genügt, baß bie naturrei^tlid^e 58e=
trac^tung mit ^tot^menbigfeit jur 9(nna!)me eine§ (Sigen=
t!§um§ an ber ©rboberfläc^e fül)rt. 5tlle weitem t^ragen
fönnen ben |)Dfitib=red)tIi(^en ^eftimmungen überlaffen bleiben.
®a§ römifcftc 9^ed)t läfjt "iia^ ©igent^um an ©runb unb Soben
bi§ in bie ungemeffene 2:iefe unb |)ö^e geljen. 2)ie in bem
SSoben befinblid^en ^Rineralien gelten i^m a(§ 58eftanbt^ei(e
be§ @runbfiüc!e§, bemgemö^ a(§ ber 2)i§pofition be§ @runb=
eigentt)ümer§ unterfleüt. ^a§ beutf(f)e ^tä)t bagegen befianbclt
bie 5J?ineraIien u. bgl. a(a %aturfd)ä|e unb nimmt an, ba^
fie ^errento§ finb, folange feine Occupation burd) ^Bergbau
ftattgefunben ^at. 5)a§ 9fied)t ber Occupation mar jebod^ in
» Offener Srtef 6. 31. 2 g^^,. @. 31.
3 ebb. 6. 32.
6. ©inioenb. geg. b. naturied^tl. Jöegrünbung b. ®runbeigent^. 341
bell ä(tern 3^'^^!^ •■^ijf "^i^ (Sigentpmer öer @rboberfIüc^e be=
jd^ränft. 5Iuf ^riüütgrunbftüiteii fonuten bie ^-Priüaten, üü\
bei (Semeinbemar! bie 5Jkrfgeno[jeu, auf ^errenlojein ^obeu
ein jeber bauen, ©püter na^m ber ©taat ha^ Oiedjt ber
OccupQtion ala Sergregal für [id^ in 5(n[pru(l^. Sn ber
neuern 3^^^ ^\^ ^'^^ Sergregal loieberum aufgeljoben, ber
53ergbau aber im öffentürf)en ^ntereffe burd^ befonbere ^or=
jc^riften bej'c^ränft. @» fönnen alfo, raie biefe» 53eijpiel jeigt,
bie ^(nfic^ten unb ^tuffoffungen über „bie ©renken be§ 6igen=
t()um§rec^te§" fogar innerhalb beafeiben 2anbe§ lüec^i'eln, ol^ne
'Oü^ bie Seredjtigung be» ^riüatgrunbeigent^um» irgeubiuie
baburc^ in i^roge ge[tellt würbe. —
3) ©eringen Sinbrucf mac^t e§, roenn ©eorge fobann in
folgenber SBeij'e argumentirt: „®ie auf ©runb unb S3oben
öerroenbete 5lrbeit ergibt nur ein @igentl)um»rec^t an bie
grüc^te be» gleite», aber nic^t an ben 33üben jelbft, ebenjo
Xök bie 5lrbeit auf bem Ocean ein Ütec^t auf ben S3efi^ be§
(yi)c^e§, aber fein 6igentbum»rec^t an ben Ocean."^ 3n
ü^nlit^er Üöeife ^atte er bereit! bie geiftreic^e 23emer!ung ge=
mad)t, tuenn jemanb betreibe baut, „fo erwirbt er baburdj
ein (5igent[;umare(^t an "ba^ (betreibe, ha^ er erntet; aber er
fann fein gleid^e» @igentf)umarec^t an bie Sonne geltenb
machen, bie e§ jum Dteifen brad)te, noc^ an htn 33oben, auf
lüeld^em e§ geiüad^fen ift" ■^. 2öat)r^aft fuperb! ©eit loann
lüirb benn bie ©onne üün bem DJhnfc^en bebaut raie ber
steter? Seit mann erpit ba§ 9Jieer eine neue gorm burd^
ben 3^if(^fang, mie ber SBoben, meld)en ber 5Renfdö cuItiDirte?
2)ie ©onne jc^mebt ju f)od) über un». Sa ift ein mirflid^er
58efi^ unb barum auc^ ein @igent{)um für ben ^Jtenfd^en un=
mögUd^. 2öir mürben un§ \a woiji anä) bie Ringer öer=
brennen, menu mir biefen gemaltigen geuerförper 5U occupiren
' Offener SBrief ©. 32. ^ g^t,. g. 3,
lö*
342 S)Tttte§ ßat)itel. S)a§ ^rit)atetgentf)um als fociale Siiftitutton.
öerfuc^ten. 2)aS 9J?eer ober in Sefi^ ju nehmen, l^ot feine
^ebeutung. S^er fyifc^fang insbejünbere föürbe burd) 5Ip=
propriotion be§ 9^kere§ um nid^t§ eintröglidjer werben ^
n^öljrenb bog 53ebür[niB einer intenfiüen Kultur be§ 33oben§ [id;
ftetS mit bem ^priüateigent^um an bemfelben üerbunben Ijat.
4) (So erregt ©eorgea ©ntrüftung, ha^ ber 58Dbeneigen=
ti;ümer bie SBertljfteigerung, meiere am Soben infolge
Don Sebölferung§äunal^me unb burc^ 33erbefferungen feiten§
be» ©taatea ober ber ©emeinbe, öffentlidie 6inrid)tungen u. bgl.
entfte^t, o^ne meitereä ein[treic^t. 2Bir begnügen un§, bem=
gegenüber baran ju erinnern, ba^ meber bie 33ebö(ferung§=
5una^me auf eine Slrbeit be§ @taate§ ober ber (Semeinbe fic^
jurüdfüfjrt, noi^ bie ^ierburi^ uamentlid) in ben ©tobten
bemirtte Steigerung be§ ®runbtt)ert§e§ im tuatiren ©inne bes
2Borte§ a(§ „^robuct" ber 53ebölferung§äuna^me bejeicbnet
toerben tonn, ©ie ift eine ^olge ber größern Sic^tigfeit
ber 53ebölferung, trie [ie aud) a(a eine ^^olge, aber nid)t al»
^robuct, ber burd^ ©taat ober ©emeinbe bemirtten 93er=
befferungen [id) barfteüt. ®eorge§ eigene Stieorie aber ge=
mä^rt jenmnb ßigent^uniarec^t nur am eigentlidien unb un=
mittelbaren ^probucte, an bem bon i^m „ßräeugten". W\t
meldiem Siechte fpridjt er alfo bem ©taate ober ber ©emeinbe
ba§ ^igentfjum an 2ßertt)[teigerungen, an neuen SBert^en ju,
metciöe burc^aus nii^t ^robuct ber ftaattid^en, ber gemeinb=
Iid)en ?lrbeit finb? Unb miH er etma ferner mirllid^ ben ©a|
auffteHen: ''Mi^, ma§ infolge meiner |)anblung an a>or=
t^eit einem anbern erh3öc^ft, fäüt in mein 6igentt)um? S)a
tt)ürbe eines Sage§ aud^ eine amerifanifdie ^riöatgefeüfd^aft,
meld)e in ber 9löt;e unfcrer Käufer einen i3ffentlic^en ^rad)t5ou
aufführt, 5. S. ein ©tationSgebäube, bie ^ierburd) bemirfte
Sßert^fteigerung ber ©runbftüde mit bemfelbcn Steinte für
' Jßgl. m 9f{üf (^er, (Svunblagen ber 5)kttonalö!onoinie I, § 87.
6. ©intoenb. geg. b. naturrec^tl. Segrünbung b. ©runbeigent^. 343
fid) in 5tnfprud) nel}inen föinien, tüie ©eorge berarticje, burc^
[taatüdje ober gemetnblid^e 5trbctt mittelbar betnirfte Wünil)^
erl^öl^iingen bcm ©taate juäutljeilcn bereit tuar. —
6, 5Iber (SJeorge i[t nodj nid)t fertig. @r öerneint bie
33e^auptung be§ ^Qp[te§, „bafe ba§ ^riöQteigentfjum an
©runb unb Soben Don ber öffentlid^en 9]i einung gut=
gel^eiBen tüerbe, haVi (t?i jur Stufje unb 5 um gerieben bei=
getragen f)abe unb 'i)a^ e» burd; ein gi)ttnc^e§ ©ebot
getjeiligt fei." ^
5Ilfo 5unäd)ft fott ba§ ^rinatgrunbeigentl}um nid)t burd^
bie öffentüd)e DJkinung gutgefjeifjen fein: „iSelbft mcnn e§
ma^r märe, baj^ bie öffentüdie 53?cinung ba§ ^riöateigentljum
an ©runb unb 23oben anerkenne, fo märe bamit ebenfomenig
feine @ered)tig!eit ermiefen, a(§ bie einft uniüerfeüe 5(nerfcnnung
ber ©ftaberei biefelbe ju einer gered)ten (Sinrid^tung madbte."^
5tflerbing§, mürbe ba§ ^riüateigentljum an ©runb unb ^^oben
nur einer einselnen ^^eriobe, ber einen ober anbern (Spodje
angel;ören mie bie Sflaüerei, fo fjätte ber ©inmanb ß)eorge§
feine Berechtigung. 5IIIein 2eo XIII. beruft fid^ auf bie
öffentlidie ü)?einung nid^t einer @pod}e, fonbern aller 3^itc'i
unb aller 5>ö(fer, bie an ber auffleigenben ßntmidlung
ber (Jibiüfation unb Kultur 5{nt[)ei( genommen. SBenn aber
(George bemgegenüber auf ben angcblid) „urfprünglid^en" 6om=
muni§mu§ aller ''Mikx fjinmeift, mcnn er bom (äigenttjum
bel)auptet: „(5§ fam in bicfe moberne 2i3clt burd) Sf)re 2Sor=
fahren, bie iRömer, bereu ßiöiUfation e§ corrumpirte unb
bereu 9teid) e§ jerftörte" ^ — fo nimmt er bamit einen freute
miffenfd)aft(idb bereite übermunbencn ©tanbpuntt ein.
Unter ben bieten ©rünben ju ©unften be§ ^rioateigen=
tf)um§ füljrt 2eo XIII. aud) ben an, ba^ bie 9:i?enfd)|eit
„burd) i(}re praftifc&e ^(nertennung ja()rtjunberte(ang ba§ @igen=
' Offener Svief ©. 35. 2 (&bb. ^ gbb. 6. 3G.
344 Sritteö ßapitel. ®aö ^ßrioateigent^um alö fociole 3tnftitution.
t|um§red)t fDjufagen gel^eiügt ^obe a(§ einen 5lu§f(u^ ber
SBeÜorbnung unb ül§ eine ©rnnbbebingung be§ frieb=
H d) e n 3 " [ ^ m m e n l e b e n §" i. S)iefe 53emer!ung ticktet [i<^
jiiiiäc^ft nur gegen bie im boöen ©inne be§ Söorteä com=
niuniftijc^en unb focialiftifd^en (5t)fteme. S^nen gegenüber
ober i[t ber angeführte SetoeiSgrunb öon burt^fdilagenber
^raft. S)er '^ap\i mü. babei nic^t in 5lbrebe [teilen, ba^ man
irgenb roetdje ©t)[teme auSbenfen tonnte, in lüeldien, wenigftenS
fd)einbar, äl)ul\ä) für Drbnung unb ^rieben geforgt wäre, tt)ie
in einer auf 5prioateigentl)um begrünbeten ©efeüfcbaft. 2Ba§
er behauptet, i[t lebiglic^ bie offenfunbige 2;|atfad)e, bie
5}knfd)^eit ^aht ja^rf)unbertelang im ^riüateigentfjum eine
naturgemäße ©runbbebingung be§ frieblidien 3ufömmenleben§
erblidt.
©el)r [onberbar nimmt e§ fid) au§, wenn @eorge bem
^ap\t nun noc^ eine ejegetifd^e SSorlefung ju Italien \\ä) erlaubt.
„(Sm. |)eilig!eit beuten an, ein (Sebot ©otte§ Ijeilige
ba§ 5pribateigent^um§red)t an (Srunb unb Soben, inbem <Bk
au§ bem fünften 5ßud)e 3D?ofcö' ben folgenben <Sa| anfüt^ren :
2)u foüft nicbt begef;ren beine§ ^^Jäd^ften Sßeib, |)au§, 5lder,
^ned)t, 5Kagb, Odß, (5fel unb aüeS, n)a§ fein ift. Sßenn
ßtt). i^eiligteit meinen, ha'i!, ba» 2Bort ,5ider' f)ier al§ eine
Heiligung be§ priüaten ®runbeigent^um§, wie e» (jeute befteljt,
gelten foll, bann tonnten wir mit weit größerem 9ted)te folgern,
baß bie SBorte ,^lned)t' unb ,5JJagb' Ijier eine Heiligung ber
5[){enfd)enf!(aüerei bebeuten; benn e§ ergibt fid^ flar au§ anbern
33eftimmungen beSfetben (Sefe|bud)e§, baß fid) biefe 5lu§brüde
ebenfowot)! auf bie seitweilig Seibeigenen alä aucb auf bie
©ftaberei beäieljen. 5tber ba§ SBort ,5tder' bedt fi^ I)ier mit
bem S3egriff ber 53obenbenu|iung unb ber 93obent)erbefferung,
auf \vdd)t ein 53efi^= unb ein Sigentl^uniSreci^t gittig ift, otine
©nc^tlita Herum iiovarum <B. 16 (17).
6. (Sintüenb. geg. b. naturred^tl. JBegrttnbung b. ©runbeigentf). 345
5lner!ennung eine§ @igent!^um§re(i)te§ an bem (Briinb iinb
Soben felb[t. S)q^ biefe Sejugna^me auf ben ?(rfer feine
|)etligung be§ ^Dttöaten 2anbeigentf}um§, tüte e§ l^cute befielt,
fein !ann, ba§ beföeift ber Weitere ©afe im mofaifdien ®efe|=
bud^, tt)eld)er au§brüdlid) biefe§ @igentf)um§red^t ala ungerecht
unb ungeeignet berneint. ,®iefe @rbe', fagt ^e^oba^, JoK
nic^t auf immer berfauft werben, meit fie mir gef)ört unb
tt)eil i^r grembe barauf feib, benen id) fie bermietfje', unb
e» mar bementfpred^enb borgefd)rieben, ba^ ba§ Sanb aöe
fünfjig Sa^te an ben urfprünglit^en (äigentfiümer ober beffen
Grben jurücffallen foUe, moburc^, in einer ben bamaligen ein=
fadien guftönben be§ (Srmerb§(eben§ entfpredienben äßeife, e§
unmöglici^ gemaci^t toerben foHte, ben DJJenfd^en i^ren ^Ia|
auf ®otte§ (Srbboben bauernb boräuent^alten." ^ gangen mir
mit bem legten an ! @§ ift unmal)r, ba^ ^eljoba^S 2Bort ba§
6igent^um§re^t am ^ßoben aU ungerecht unb ungeeignet ber=
neint. 5tIIerbing§ erfci^eint bie @rbe al§ eine freimiöige (^aU
®otte§ an ben 9J?enf($en, al§ ein 2anb, „melc^eä ber |)err,
bein ©ott, bir gefd^enlt". 5I6er ergibt \\ä) barau§, boB ber
SRenfd) bem 9J^enfd)en gegenüber fein (SigentfiumSreci^t geltenb
matten fönne, menn er auct) ©ott gegenüber nur aU 5Jiiet^er
ober 5ßermalter erf(f)eint? 33eftätigen fobann ni(^t gerabe bie
Sßerorbnungen beS mofaifdien @efe|e§, bie Seftimmung, ba^
aöe fünfzig ^a^re ba§ 2anb an ben urfprünglicfeen @igen=
t^ümer ober beffen @rben äurücffaüen foKe, — ein fe^r ftabileS
ßigent^um, melc^eS burc^ SSerfd^uIbung feinem rechtmäßigen
4^errn nic^t bauernb entriffen merben foQte? 2Bo in aller
SBelt fte^t ferner gefc^rieben, baß ber «Staat t)tn ©runb unb
S3oben an bie ©efeUfc^aftSglieber ju bermietl^en l^abe? Ober
ibentificirte etma ©eorge ben ©taat mit Se^oöa^ unb leitete
au§ 3e]^oba!§§ meltumfaffenbem (Sigent^um baa @taat§eigen=
» Offener »rief 6. 39.
346 S)titteö ßapitel. ®a§ ^riöatetgcnt^um al§ focialc Sfnftilution.
t^um q6? ®ie 6rbe gel^ört mir, fagt 3ef)Dba^, — nic!^t:
bem «Staate. „3d)" betmiet^e fie, — nidit ber Staat. W\z
tann alfo ©eorge in ben Borten ber ^eiligen <Bä)x\\t eine
23e[tätigung feiner Stjeorie finben hjotlcn? ©erabeju abjurb
i[t e§ enbtid), n^enn (Seorge bel^auptetc, ba§ ©ebot: „2)u foüft
nid)t begef)ren beine§ 9^äd;[ten SBeib, 4^au§, ^(der, ^neci^t,
^Jiagb, Od)§, ßfel nnb alle§, iüa§ fein i[t", bürfe nnr bann
jum Sd;n^ be§ 6igent^um§ am 5t(fer angerufen werben, menn
man e§ ebenfalls al§ eine S3eftätigung be§ (5igent(}um§ an
^ned)t nnb 5}?agb auffaffen molle. @i, worum nii^t gar
üuä) a(§ eine ^ßeftätigung be» (Sigent^umS an ber grau ®e=
ma^Iin? ®a§ ©ebot miH ba§ 3fted)t be§ mä)\kn felbft gegen»
über ber 33egierbe f(^ü|en. Ob biefe§ 3fied)t (5igent'^um§=
rec^t fei ober nic^t, baöon fagt ba§ ©ebot al§ foI(!^e§ nid)t§,
bebient fid) bielmebr be§ aögemeinern 5(u§brud§ „aüeS, mü§
fein ift". 2)er Oc^§ unb 6fel ebenfo mie ber 5tder ftanben
bamal§ im boüen ^ribateigentfjum , unb auc^ biefe§ ^rtöat.
eigentt)um wirb alfo burd) ba§ göttlid)e ©ebot gefd)ü|t. —
7. „Sie fagen weiter," rebet ©eorge ben ^apft an, „ba^
bie S5äter für i^re ^Mnber forgen foHten unb ba|
ba» 5]3ri Datei gentium an ©runb unb 33 oben baju
nötl^ig fei, um itmen biefe SSorforgc ju ermöglici^en. . . .^
5nfo @m. ^eiligteit glauben, e§ fei eine ^flid)t ber Später,
t)tn ^linbern nufebringenbe» ©igentljum ^u l)interlaff en,
ba§ fie bor ^Rot^ unb ©lenb in ben 2öed;felfällen biefe§
irbifcben 2eben§ fd)ü|en foa."^ 5Berg!eid)en wir bamit bie
äßorte 2eo§ XIII: „Sn SSejug auf bie Söaljl be§ 2eben§=
ftanbe§ ift e§ ber t^reif)eit eines jeben anl}eimgegeben, entweber
ben 9latt) bei göttlichen |)errn jum ent^altfamen Seben ju
befolgen ober in bie @f)e ^u treten, ^ein menfd)Iid}e§ ®efe^
!ann bem 5Jien)d}en ha^ natürlid^e unb urfprünglid)e 9te(|t
Offener »rief ©. 39. ^ @f,t,, g. 40.
6. Sinmenb. geg. b. naturrec^tl. Segrünbung b. ©runbeigentt). 347
auf bie @^e entjie^en; feine» tami ben ^auptjiüec! biejev
burd^ ®Dtte§ ^eilige ^lutoritöt feit ber (Srfdiaffung eiii9efül)vteu
(Jinrid^tung irgenbiuie einfdjronfen. ,2ßad)fet unb meieret eu^.'
W\t biefen Söorten voax bie gamilie gegrünbet. ^ie ö^amilie,
bie Ijüullid^e @efeüfrf)Qft, ift eine Kialjxt ©efedfd^aft mit ollen
Ütetiiten berfelben, fo flein immerl^in biefe ©efeüfc^aft \\ä) bor»
ftellt ; fie ift älter q(§ jegliciie» anbere ©emeinroefcn, unb beS«
fialb befi|t fie unobpngig üom ©taate i()r innemoljnenbe
23efugntffe unb ^flid)ten. 2Benn nun jebem 93^enfd)eu al§
ßinjelttjefen bie dlatux boä Siecht, (äigenttjum ju enoerben
unb 5U befi^cn, bedienen Ijat, fo nm& \iä) biefe§ ^Ked)t aud)
im 3)teufd)en, infofern er §Qupt einer g^mnilie ift, finben;
ja baafelbe befi^t im gamilienltiaupte nod) me^r Energie, meti
ber 5Jtenfd) fi(^ im IjäuSüt^en Greife gleid}fam ou§be()nt. (Sin
bringenbe§ Öiefe^ ber 5^atur derlangt, bafÄ ber Q^amitienöater
ben .Qinbern ben 2eben§unterl;alt unb allc§ Diöt^ige Dcrfd)affe,
unb bie Statur leitet i^n on, aud^ für bie 3ufunft bie litinber
äu berforgen, fie möglic^ft fic^ersuftetten gegen irbif^e 2öed^fel=
fäQe, fie in ftanb ju fe^cn, \\d) fclbft bor (älenb jn fd)ü^en;
er ift ea [a, ber in 'iitn ^inbern fortlebt unb fid^ glei(^fam
in il^nen miebertjolt. 2Bie foH er aber jenen 5pf(id)ten gegen
bie 5?inber nad^fommen fönnen, menn er iljnen nid()t einen
Sefi|, tt)etd)er frud^tet, al§ (Srbe Ijinterlaffen barf ?" ^ ^Dreierlei
behauptet ber ^apft:
1) S)er gamiüenoater Ijat al§ foldjer ha?i 9t e d) t , (Sigen=
t^um äu erwerben unb ju befi^en;
2) e§ liegt i()m bie ^flidbt ob, feinen ^inbern ben 2eben§=
unterhalt unb jegtidie Pflege ju berfd)affen (ut victu omnique
ciiltu tueatur, quos ipse procreavit).
3) bie Statur leitet il)n überbie§ an (a natura ipsa
deducitur), ju tuollen (ut velit), ba^ er ba§ jenige erwerbe,
6ncl)fti{a Rerum novarura ©. 18 (19).
16^
348 Sritteg ßopitel. ®a§ ^Prtbatctgent^um aU focialc ^nftitution.
tüobur(^ bie ^inber gegen irbifc^e äBe^felfäHe [id)erge[tent
mürben. S)a§ fönne ober nur huxä) ben 58e[i| frudittragenber
©Qd^en (fructuosarum rerum possessione) gefd^e^en. 5}?ag
bann ouc^ ^ranfljeit u. bgl. bie ^inber an ber förperli^en
ober geiftigen Arbeit bef;inbern, fie [inb burd^ t)zn 23efi^ ge=
fd)ü^t unb nid^t Quf boS 5lImofen anberer ober be§ ©taoteS
angetüiejen.
äßirb bamit nun gefagt, jeber einzelne 5ßater ^aU bie
^fnd)t, [einen ^Inbern ©runbflüdfe ju I)interlafjen? äßer
nid)t§ l^at, ber !ann eben auä) nid)t§ Ijinterlaffen. 9lnbere
werben ifiren ^inbern Kapitalien, anbere @runb[tüde über=
geben. 33ieIIeid)t bie mei[ten SSäter muffen fic^ im tüefentüdöen
barauf befd)ränfen, bie Kinber gro^jujieljen , ol^ne iJire 3"=
fünft anber§ al§ burdb eine gute 5lu§bilbung fi(i^erfieC(en ju
tonnen. 5lber ba§ I^inbert nicbt, ha^ ba§ Slß ollen unb ba§
33eftreben ber JBäter, il^ren Kinbern aud) (äigentt)um ju
^interlaffen, burd)au§ gered)t, naturgemäß fei, unb 'öa^
eine ©efeüfd^aftSorbnung, weld^e burd) 9lbfd)affung be§ 6igen=
t§uni§ biefe erbli(i^e Ueberlaffung uumög(id) mad)te, in 2Biber=
fprud) ju ben naturgemäßen unb gereiften 2Bünfd)en be§
3Saterf)eräen§ treten würbe. S)urd)au§ gegenftanb§Io§ ift e§
barum, wenn ©eorge bem ^apfte t)or(;äIt: „^ie ^flici^t be§
Sßaterä gegen fein Kinb tonn bod^ nur eine alten SSätern
mögli(^e ^pflic^t fein." ^ 2eo XITI. Verlangt <i'bm nicbt, baß
jeber 53ater ©runbeigentljum ^iutertaffe, fonbern nur, baß
jeber 25ater je nac^ feinen 35cr()ältniffen für bie Sit'fn^ft ^^^
Kinber ©orge trage. —
8. 6)eorge wenbet ferner ein: „@ie finb aucb ber SOieinung,
'ba^ hü^ 5priüateigent^um§red)t an ©runb unb 33Dben ba§ @r=
tt)crb§tcben anrege, ben äßotjlflanb berme^re, bie
aJienfc^en fcß^aft mocbe unb ba§ §eimat§gefü^(
' Offener »rief @. 42.
6. eintoenb. geg. b. natiured^tl. Scgvünbung b. ©runbeigent^. 349
'türfe."! ©aß in bem ^riüüteigent()um ein möci^tiger ©pom
)e§ @rtt)erb§Ie6en§ liegt, tragt (Seorge ni(iöt ju beftceiten. (Sr
ij)erge[)t bie)en ^un!t mit ©tiüfc^weigen unb bc[trebt fid) nnt
bcr^utfiun, ba^ e§ auä) in feinem ©pflem an 5(nregungen
niii^t fel^Ien mürbe. 2)en ^aupt[äd)U(f)[ten antrieb ju einer
inenfiuen Bearbeitung be§ 58oben§ erbUdt nömlid) ©eorge in
ber ©id)erf)eit, bie grüc!^te ber 5trbeit, bie SlrbeitSerjeugniffe,
ernten ju tonnen. S)iefe ©id)erl;eit aber glaubt er f)inreic^enb
gemat,rt, fofern bem Sebauer bea 2anbe§ nur ein bauernbe§
Sefi^rjc^t, ofjne ©igent^um, garantirt fei. „Sm ro^en Ur=
5u[tanbt ber menfc^Iidien ©efeüfd^aft , mo bie ganje S^ötig^
feit fiel auf Sagb, gifc^fang unb auf ba§ ^pflücten milb=
mad)fenber grüd^te bef(|rän!t, ift ein ^ribatbefi| an ©runb
unb 33oben nid)t notfimenbig. ©obalb aber bie 93tenf(|en
anfangen, ben 58oben 5U bebauen, fomie fie ifjre 5trbeit auf
bauernbe, am Soben I^aftenbe SBerte üermenben, bann mirb
ein 5|3riöat b e f i ^ on 2onb notI;menbig, um ba§ @igentt;um»=
red)t an ben 5lrbeit§eräeugniffen ju fiebern. 2)enn mer möchte
fäen, ofjue be§ ausfd)(ie^Iic^en S3efi^e§ be§ SobenS, ber jum
Srnten nöttjig ift, gemip ju fein? SBer mürbe foftbare 5Bau=
merfe errid^ten oljne ouafd)Iiepd)e§ 33efi|rec^t am Saugruub,
meld)e§ aüein i(;m ermöglid)t, ben 9iu|en au§ feiner 5(vbeit
unb feiner Kapitalanlage ju sieben?" 2 StIIein (Seorge meint,
bie burc^ ben ^rioatbefi^ gemalerte ©id^erfjeit be§ i5rud)t=
ermerbe» genüge, ja fie fei eine größere al§ beim Tjeutigen
5pac^tfl)ftem 3. — 2Bir moöen nic^t barüber flreiten, ob bie
@id)er^eit be§ 5|3ä^ter§ größer mirb, menn ber gigentl^ümer
be» 33oben§ fein ^priüatmann , fonbern ber ©taat iji. Un§
genügt ba§ ftiüfi^meigenbe 3u9efiün'^"i& / ^^B [iß menigflena
geringer ift al§ bie B\ä)ixl)^\t, meli^e ber tieutige ^riöat=
eigentpmer be» 5ßoben» |at. „Unb in ber Zljat", fagt mit
1 Offener «Brief ©. 44. 2 ^55, (g_ 4. s g^^,. ©. 44.
350 ®ritte§ ßapttel. ®a§ ^rittotetgent^um alä fociale ^nflttution.
^iä^t Dr. @ugen Säger, „irenn bie 33obenbeft^refDrmet
glauben, mit ber bloßen SBerpacfitung ^ be§ S3Dben§ au§=
äufommen, fo bo^ ber ©taot getüiffermoBen nur bie ©runb-
rente belöge unb bieje bann jugleid) bie alleinige ©teutr
(singie tax) roäre, tt)ä()renb ber ganje 53h£)rbetrag in bm
^änben ber ^ribattt}irt)d)a[ter bliebe, [o würben fie mit i^ter
©ocialreform balb ebenfo [cbeitern, tt)te bie @DciaIbeniDh**tie
mit if;rer communiftifdien @inrid)tung öon ^robuction unb
ß^onfumtion. S)er 5|3ä(5ter, ber ni(|t \\ä)tx ift, ha^ er unb
feine @rben ben ®runbbe[i| bauernb behalten tonnen (ein
33ef(i^Iu^ ber 9Jegierung, ein ,®efe|' tonnte it)n ja be§ ißriöat=
befi|c§ berauben), mxh fd^tnerlii^ geneigt fein, ?tr6eit ober
gar Kapital in nennen§mertf}em 5[RaBe bem Soben einäuöer=
leiben, um fo Ueberfc^üffe an ^robucten ju errieten, bereu
meitere nutzbare unb bauernbe SSermert^ung ifim ja faft
unmögtid) gemad^t mürbe. ^u6) f)kx mu^ fe^r balb ein
5tbft erben ber tüirt[ct)aftlid)en ^ntenfitöt ein=
treten." ^
58e!(agt |)enrt) ©eorge bie unnatürlichen unb barbarifd)
elenben Sßo^nungSöerl^ältniffe ber großen ©täbte, meift er
mit gerechter @ntrüftung barauf fjin, bafe äa^IIofe 2eute in
if)rem 33atertanbe !ein ^eim befi^en, menn er in^bejonbere
für ha^ heutige Stoßen bie Sßorte be§ SiberiuS @racd)u§
miebertiolt: „3iömer! Wan nennt euc^ bie |)erren ber Bett,
unb bennod) ^abt i^r fein 9ted)t auf einen gupreit it)re§
33Dben§! Sie milben Spiere ^aben itire Wien, aber bie
1 (S§ bcrfc^lägt ni(|t§, bafe ©corge bie Seiftung ber ©runbliefi^cr
an ben ©taot ni(5t aU „^ad)t3in§", fonbern aU „©teuer" beäeic^net
totfjen UnCf. ®qö SSerfiältnife äluifdEien ©taat unb ^priüotbefi^er hkibt
boä) ein ber ^ad^t analoges.
2 Sentfc^rift über bie ßage ber ßoubtoirtfc^aft für ben VI. 5(u§=
]ä)\x^ ber i?amtner ber 3lbgeorbneten. Beilage 375 ^u ben 3)er^anb=
langen bcv Kammer ber ^Ibgeovbnctcn, TI (SlJlünc^cn 1894), 1292.
6. Simoenb. gecj. b. natun-ei^tl. Scgrünbung b. ©rimbeigentf). 351
5?rieger Sta(ien5 6e[i^en nur SBoffet unb 2uft!" fo [inben
bte[e ^lag,m im ^^n^m SeoS XIII. geroi^ ben Iebl)afte[teu
SBiber^aü. 5t6er nid)t boy (Sigent^um an [id), fonbern
^lüßbraud^ öielfoc^er 5Irt berfd)ulbet aud) jene 5lott), ein
ÜJii^braud}, ber feinearoeg» an bie Sn[titution be§ ^riliat=
eitjentl^uma gefnüpft i[t, ein ü;)?i^brauc^, ber am aüerroenigften
babitrc^ befeitigt tücrben !ann, tiü^ nun allen 'ba^ eigene
§eim im 23ater(anbe genommen luirb.
9. ?(ud) ber Ie|te (Sinroanb, ben ©eorge gegen bie 33e=
meiäfüfjrung 2eo§ XIII. ergebt, bringt nur neue 93?iBöer[tänb=
niffe 5U Sage: „©d)(ieBüdö finb @ie nod) ber 5(n[td)t, ba§
9{ed;t auf Se[i^ Don ^riöateigentf}um an ©runb unb 23oben
fei ein natürüdbeS unb fomme nidbt Dom 53?enfd)en;
ber Staat ^aht fein 9{ed}t, e§ ab^ufdbaffen ; ben 23übenmertt)
burd) eine ©teuer ju ncf)tnen, mürbe ungered)t unb graufam
gegen bie ^riDateigentfjümer [ein." ^
@» toiö un§ fd)einen, ha}^ @eorge nidbt mu^te, maä man
unter „natürlid)em Steinte" Dcr[iet}t. ^InbernfaQS mürbe er
fc^merlic^, nai^bem er früher bereit» be[tritten, bü^ „ber Ur=
iprung be§ 5priDateigentf)um§ am ©rnnb unb Soben bie
menfcblid^e SSernunft" fei, in einem neuen, gefonberten ^^untte
abermata bie naturrec^tlicbe 53egrüubung be§ 5priDat(anbeigen=
tt)um§ in 5(brebe fietlen tonnen.
Sa» 9]aturred)t fommt Don (Sott a(§ bem fiödbften ®e=
fe^geber. 5tber ber öerolb biefeS ©efe^geberS, ba§ 93kni=
feftatiDprincip be§ natürlii^en Ütec^teS, ift bie menfd)Iid^e 93 e r=
nunft. SBiberftrebt alfo ba» ^liDatcigenttjum am 23obcn
ber menfd}(id)en 93ernunft, fo fte[}t e§ ebenfo im ^ffiiberfprud)
mit bem 5hiturgefe|e ©otte». (Srfc^eint e§ bagegen al§ eine
gorberung ber menfcblic^en 93ernunft, mie Seo XIII. in über=
jeugenber SBeife bartegt, fo mürbe ber Sßerfudb feiner 53e»
' £;ifeuet äJrief S. 45.
352 ®vttte§ Kapitel ®q§ ^^riboteigcnt^um afs fociale Snftitution.
[eitigung ä^S^ßi*^ ^i^^ Uebertretung be§ notürlidien Üie(j^te§,
ber bon @ott für ben 5JJenj(|)en unb bie menfd}üd)e ®efeü=
[c^oft geraoüten Orbnung, einfcfilieBen. S)Qa 5?aturte(i)t, tüie
bie SSernunft e§ berüinbigt , enthält lebiglid) bie allgemeinen
9ted)t§grünbe be§ ^riöateigent^um§ , üer(eif)t nic^t burci^ \\i)
felbft bie befonbern 9?ed)t§titet in concreto. ^\t anbern
SBorten: ba§ natürliii^e 9ted)t le^rt bie SSered^tigung unb
5?Dt^iüenbig!eit be§ 5|3riöQteigent{jum§ qI§ Snftitution unb
bamit ba§ 9ied)t be§ 5!)?enid)en, auf biefe ober jene juribifd)
unb moralifc^ sulaffige äöeife @igeutf)um ^u erwerben. 5lber
ba§ 9?aturred^t fteüt nic^t felbft bie concrete Öejieljung einer
einjelnen Büä)<t ju einer einzelnen ^erfon Ijer, überlast biefeS
bielme^r ber Sl^ätigfeit be§ 5J?enfd}en. Unb 1)oä) fc^eint gerabe
ba§ ©eorgea luffaffung bön ber „naturred^tüc^en" Segrünbung
be§ ^riboteigentl)um§ ju fein. Ober njürbe er fonft folgenbe
Söorte ^oben nieberfd)reiben fönnen: „2öer föirb e§ tnagen,
ba§ perfönlid)e ©igenttjumSrec^t an ©runb unb S3oben auf
eine unmittelbare 23ett}inigung bom ©c^öpfer be§ ßrbbobenS
äurüdjufüljren? Sn melc^er äBeife gibt bie ^iatur ein foIc^e§
@igent§um§red)t'? (ärtennt fie e§ in irgenb einer Söeife an?
^ann irgenb jemanb burd) hen Unterfd^ieb im 2Bud;§, im
(^efid^t, in ©tatur ober |)autfarbe, buri^ Section it)rer 2eid>
name ober burd) eine 5tnalQfe i^rer Gräfte unb 23ebürfniffe
nac^meifen, ba^ ber eine 5.Uen)d) jum ©runbeigentpmer, ber
anbere äum ^üd^ter bon ber Statur borI}erbeftinnnt ift?" ^
'StflerbingS liefert bie ^fjpfiologie, (5I)emie ober 5lnatomie feine
9ted^t§titel be§ 6igentf)um§. Sie 33eäeid)nung be§ inbibibueüen
@igent£)ümerä boUjie^t fid) auf anbere äBeife, burd^ feine eigene
%i)üt, feine 3lrbeit, ben grucbtermerb u. f. m. Unb ha^ biefe
St^atfadben in concreto für biefe ^erfon ein @igcntf;um§redöt
an biefer ^üä)^ begrünben, - - ba§ Iel)rt auc^ bie Sßernunft,
Offener JBrief @. 46.
6. (Sintoenb. geg. b". naturred^tt. S9egtünbung b. ©runbeigentl). 353
t>ü^ natürlii^e Ütec^t, meiere» jene 2:f)Qtfaci)en mit i^rer 9te(i)t§=
loirfung küeibet. —
10. 5ciir nod) ein SBort jum ©(i)(n^. George glaubte,
ber ©tnat ^abe bie Sefugni^, ha^ ^riDateigentfjum an ©runb
unb Öoben abäufd) äffen , ba er e§ geföefen, toetc^cr bo^felbe
eingeführt. Unb er berargte e§ bem ^popfle, bop er bie ent=
gegengefe^te 5infic^t bertritt. @§ ift ba§ um fo auffaüenber,
ha ©eorge bordier bereit» einen jeben 5lbfoIuti§mu§ in ber
SBurjel bernid^tenben 5üi§fprud) be» ^apfte§ boHnuf gebilligt
^ati. SBir meinen ha^ 2Öort ber QnqMa: „®er 9)ienfdö
ift älter aU ber 6taat, unb er befa^ t)a§> ÜJec^t auf ®r=
Haltung feine» förperlic^en Safein», ef}e e» einen Staot ge=
geben." 2 ^ft ber 53?enfc§ alter al§ ber ©taat, roa§> befugt
bann ben «Staat, jene urfprüngli(^en 9fed^te ben ^nbibibuen unb
gamilien ju rauben? Sft er etwa ju biefem 3tt3edte gegrünbet
tDorben? §aben bie DJIenfd^en fid) ju ftaatlid^en ©emeinfc^aften
bereinigt, um e§ fcbled^ter ju ^aben al» jubor? Ober ift e»
nic^t gerabe eine ber mefenttidien 5(ufgaben be§ @taate§, bie
äeitlid) unb Iogi](^ friitjern ^i6)k ber Bürger gu fd)ü^en? 5luf
meldten Xitel foH ficb benn ha§> @igentf)um be§ «Staate^ am
©runb unb Soben fluten? Wü^tt e§ bal^er m6)t at§ eine
©ett)alttr;at fonbergleidien erfd^einen, ttjenn ber «Staat ettoa,
n)ie ©eorge e§ trollte, burc^ eine einjige bie ©runbrente böüig
abforbirenbe ©teuer „ben gangen SBertf) be§ @runbeigentt)um§=
rechte» ju ©unften ber Sßotfägemeinfcbaft tüegnäf^me" ?3 2Bir
geben ju, bap bie fortfd^reitenbe Goncentration be§ @runb=
befi^e§ in ben fiatifunbienlänbern nid^t ol^ne „9iäubereien"
im engern unb lüeitern Sinne be§ SBorteS fid) boüsog unb
boüjie^t. 5Iber ba§ ift a(Ie§ ja bod^ nur ein ^inberfpiet
Offener Srief ©. 7.
@ncl)flifa Rerum novarum ©. 14 (15).
Offener SBrief <B. 47.
354 S)ritte§ ßa^iitel. ®q§ ^rbateigentfium aU jociale :?i;iftitutton.
gegen ben granbiofen „9tQub", ben ©eorge borsuf (plagen ben
2)?ut§ ^atte. —
ÜEßir i)ahtn üieUeid^t Qu§fül)rlid)er über ©eorge gefproc^en,
al§ beffen jocialpolitifc^öe ^ebeutung er^eifdit. 5IEein e§ tuor
ja ni(^t ber ©ociolreformer ©eorge, bet uufere 5Iufmer!=
famfeit in ^nfprud^ na^m, fonbern ber ^ritifer be§ pQp[t=
lid^en 9tunbf(^reiben§ Rerum novarum unb ber ©egner
einer naturrei^tüt^en 33egrünbuug be§ ^priüateigent^um» am
33oben. ©eorge gilt überbie§ al§ ber f(^arf[innig[te unb
geroanbtefte unter ben niobernen 5tgrar[ociali[ten ; eben borum
niufjte feinen ©inmenbungen größere 5(ufmerf|amfeit ge[(i)enft
werben.
1. Unfere bi§[}erigen Erörterungen befdiäftigten [ic^ mit
bem Ursprung unb ben naturrec^tlic^en ©runblagen ber @igen=
tf)um§in[titution im allgemeinen.
@§ erübrigt bie §rage: 5tuf \miä)t Söeife ent[tel)t ta^i
©tgent^um im befonbern, b. (). ba§ ©igent^um einer p^^fifc^en
ober moraIifd)en ^erfon an einer concreten ^adjt'i 2Bie
mirb ba§ @igent{)um§recöt an einem (Jinjelbinge für
jemanb ober bon jemanb ermorben?
Seber 5}ien[c^ I)at t)on 5Zatur au§ ba§ Stecht, (Sigent^um
ju ermerben unb p befi^en. 2)a§ folgt au§ unfern 53eit)eifen
für bie DIotfjmenbigfeit unb 33ere(^tigung ber 5|3riöateigen=
t^um§inflitution. S)enn jeber 9J?enf(^ l^at üon Diotur au§
ha^ unäWeifelEiafte 9te(f)t, fein Seben ^n ertjalten, t)ernunft=
gemäß für bie 3u^unft 5U \\d)ixn unb ju berbontommnen.
3ebem flefit ba§ Süe^t ju, eine gamilie ju grünben unb
für biefe bauernb ju forgen. 3eber ^at enblic^ ba§ 'Siiä)t,
bie i^rü(!^te feine§ gleif^eS ju genießen, mögen biefe grüßte
pt)l)fifd}e ^robucte ber 5(rbeit ober 2oI)n für eine in frembem
2)icnfte öolljogene 5lrbeit fein.
7. S)ic ©merbung be§ ©igcntl^umS. 355
2;ie 5^Qtur fefbft ^at jebod^ nienionb ein QctueQe§ (Sigen-
ti)mn an irgeub lüeleden ©egenflänben berlte^cn, — nid^t ben
einselnen ^nbioibiien; lüer roollte behaupten, bcr A befi^e
ienea |)au§, ber B jenen 5Icfer nnmittelbar Don ber Diatur?
?(ucö nid^t ber gansen ^JJenfd^f^eit im coflectiDen ©inne. ^ätte
nämüd^ bon ?)iatur au§> ein berortige» pofitibe§ unb actuefle§
ßollectibcigentfjum beftanben, fo tüürbc ber einzelne bei bem
©rttjerbe unb bem ©ebraudie ber ®üter ftet§ bon bem Söillen,
ber ©inroifligung aller übrigen DJ?en[rf)en al§ ber ur)prüng=
(itj^en 2)?iteigentf)ümer abfiängig fein. 9?un aber !ann un=
möglich ein 9tecf)t, ba3 unmittelbar an^ bcr Dcatnr, mie [ie
in jebem einzelnen ^."iknidien ganj unb bolltommen [icb bor=
finbet, lerborquiüt, bon ber Söillfür anberer 5|3erfonen böflig
abhängig [ein. 9(()"o n)iberiprid)t bie 5(nna!^me eine» natür=
lidjen, pofitiben Ö'oKectibeigent^umS ber S^ernunft ebenfo)cI)r
roie ben älteften ^h^meifen ber @ef(^i(^te ^
2, |)Qt aber bie D^atur niemanb ein actueüea Sigent^um
berlteJjen, fo fann id) gan^ rii^tig fagen : 33on 9ktur au§ i[t
allea allen gemein, aber:
©rften»: nidit im pofitiben, [onbern im negatiben @inne
gemein, meil bie ©üter niemanb actueH, bagegen aüen poten=
tieü gehören. (S» [inb res nullius, unb meber ein einzelner
!D?enfc^ nod) bie ganje 5)Jenicf)§eit I)at ba§ 9ted}t, irgenb
jemanb bon ifjrem (Srmerbe, tfirem ©ebraudie au§äuid}Iie|en '■^.
tiefer fogen. „negatiben ©ütergemeinfd^aft" geijörten 5u allen
1 SSgt. unsere frü{)crn 3Ui öf ül^rungen ©. 213 ff.
- 5tttcrbtng'3 enl^^ält bie urfptüngüc^e conmiimio bonorum neben
bem negatioen 93lomente (bafe bie Statur feine Sfieilung ber ©fiter
bolljog) auc^ ein )jüfitioe§ DJloment, infofern nämlicf) baö natür=
lic^e Siedet aßen bie Sefugnife berlie^ , jebe SacEie ju gebraui^en
unb qI§ 6igent{)um ju erirerben, — jotangc fie nod^ nid^t Don
einem onbern occupirt toav. Cf. Lessius, De iustitia et iure lib. 2,
c. 5, n. 4.
356 ®titte§ ßa^itet. ®a§ ^rtt)ateigentt)um ot§ focialc ^nftttution.
3eiten unb gef)ören aud) ^eute no^ biejenigen ©üter an,
welche res nullius tüoren ober gefclicben [inb.
3tDeiten§: nid^t im coKectiöen ©inne, al§ tüenn alle
^enfdien 5u[ammen, tüie bic ©lieber einer ®efen|(^aft, bon
!Rntiir Qu§i ein gemeinf(|)aftlid)e§ potentielle^ ober actneüeS
Öigcnt|um an ben (Bnttxn biefer (Srbe befö^en, — fonbern
im biStributiöen «Sinne, ba jeber einzelne bon 9^atur
aus ätüor fein actueüeS, aber boc^ ein potentielles @igen=
tl^umSrec^t Ijat, b. I). ba§ Stecht, bie ©üter ju ermerben. 33on
5Zatur aü% geijören bie einjelnen ©üter bem einen nid^t mel^r
tüie bem anbern, fönnen baljer entmeber bon bem einen ober
bem anbern ober auc^ bon bielen ju[ammen ermorben merben.
©er ®rh)erb be§ actuetlen @igentf)um§ an einer <Baä)t ift
bat)er ein bisjunctiber.
3. Söeil bie 9iatur niemanb ba§ actueüe (5igent^um§re(^t
on einer concreten @a(^e berlei^t, fo bebarf e§ irgenb einer
menfc^Iic^en Sfjatfac^e, burd^ beren SSermitthmg ba§
(Sigent()um an einem beflimmten (äinjelbinge, fei e§ bon einer
einzelnen ^erfon, fei e§ bon einer (Öefamt^eit bon 5]ßerfonen,
ertoorben mirb.
S)em gegenüber ^at man eingemenbet, eine blo^e %f)aU
\aä)t !önne bod; unmöglich ein Ü^ec^t begrünben, baju ein
9ted^t, meld^eS ba§ potentielle ©igentfjumSred^t aöer anbern
^Jienfc^en an ber in i^xaQC ftel^enben @ac^e aufgebe, ©erabc
barum glaubte ^ufenborf jur rec^tlidien 93egrünbung be»
@igent^um§ ber 5tnnaf)me einer ©inmißigung ber übrigen
^enfd^en nid^t entrat^en ju fönnen 2. 5ltlein ^ufenborf über=
1 ®amit töirb fetneStoegS fieftrittea, bo^ bie Dccupation nid^t
16Io^ öon bem einjelnen , distributive , fonbern auc^ tion öielen 3U=
fammen (einem ©tamm u. bgl.) , collective, ge|d)el)en fonnte. OB,
tüo unb iüielDcit bieö in Söirflid^feit gefd^al^, — ba§ ift eine rein
l^iftori^c^e CJrage.
2 »9I. oben ©. 210 ff.
7. S)ie ©riuerbung beö ©igent^umä. 357
\a^, ha^ nid^t bie Sl^atfadje für fic!^ allein ha^i concrete
(5igentf)um§re(^t begrünbet, fonbevn bie S^ntfadie in a3er=
binbung mit einem 9ted)t§]alje, nu§ bem [ie if)re juri=
bifd^e ^raft entlehnt. Cl^ne einen berartigen rechtlichen
(SrioerbStitel gibt e§ feinen red()tmä|igen, b. i. bem 9ied)t
gemäßen ©rirerb.
4. 3tt'£i DJ^omente gef)ören namlid) ju einem fogen.
„Stei^töti t el" be§ (Sigent^um§ermerbe§ : ein aügemeiner
Üted)t§fa^ nnb eine %'i)at]aä)t, burc^ föelc^e jener
Ütec^tSl'Q^ auf einen fpecieHen gaU angemenbet niirb.
©0 iDore 5. S. fo(genbe§ allgemeine ^rincip ein 9tec^t»=
fa^: „@in jeber, ber burc^ red)tmä^igen ^auf ober reci^t^
müßige ©dienfung eine ©oc^e für fid) ermorben T^at, befi^t
@igent[}um§red^t an biefer <Bad)t." ^n ber $ßorau»[e^ung
ber Dtid^tigfeit unb juribifc^en äDirtfamfeit jene» allgemeinen
^rincipS müpte nun offenbar eine beftimmte ^perfon al§
(Sigentf)ümerin einer concreten ©adje anerfannt werben, fo^
fern fie nur bie Sljatfac^e ber ©i^enfung ober be» ^aufe§
nad^iüeifen tonnte.
„^Jkn fann beSfjalb", fagt ßatfjrein^ „bie 9ied^t§=
befugniß al§ eine 5trt menigfteng oirtueller ©djtu^folgerung
au§ einem ©t)Ilogi»muä anfc^en, beffen Oberfa| ein aü=
gemeiner Üted^tSfa^, ber llnterfa^ aber eine beftimmte concrete
S^atfac^e ift" :
SlÖer red^tmä^ig einen ©egenftanb fauft, ermirbt (5igen=
tt)um an bemfelben. (9te(i^t§fa|.)
Dhn aber ^at A jenen ©egenftanb redjtmä^ig gefauft.
( 2 tj a t f a ^ e.)
5IIfo ift er ber gigentijümer beäfelben. (9t e d^ t § b e f u g n i p.)
2)er 9ted)t§)a^ allein ober in 33erbinbung mit ber S^at»
fad^e ift in 2Ba§rrjeit ber eigentlid^e titulus iuris, ^tüein
' aJloralp^üoiopfjie I (3. Slup.), 490 f-
358 ©ritteä ^apikl ®q§ ^prionteigent^itm aU Sociale ^nftttution.
nad) bem juribifdjen <5pra(^gebrauc^e luirb geroötjtüid) bie
%i)üt\a^^, ber ^anf, bie <Bä)mim\Q u. f. tu. a(§ 9ie(^t§titel
be5ei(^net, tüeil man ben allgemeinen 9ie(i)t§fü^ al§ ielb[t=
Uer[tänbli(^ fliüjc^föeigenb üorouSfe^.
5. @§ fragt [ic^ nun: 3BeI(^e§ finb bie iRed)t»titeI für
bie Erwerbung be§ @igent[}um», ober wie man auä) \\ä) qu§=
brüdt, bie rec^tlid^en @rtt)erb§tite( be§ @igent^um§?
9Jkn unterfdieibet natürlid^e unb t)ofitibe 9te(^t§=
ober SrlüerbStitet, je nai^bem fie i§re ^raft au§ bem natür=
(idien ober pofitiben 9ted)te (jerleiten. ß§ fann 3. 23. burd) flaat=
lic^e» @efe^ ^erfonen ein Srbrec^t berUe[)en werben, n}e(d)e§
im natürlichen 9led)te eine üore unb beftimmte 23egrünbung
nici^t befi|t. Gbenfo !ann 5. 58. ber Stid^ter im jlf)ei(ung§=
berfatjren burd) adiudicatio @igentf;um begrünben.
(Sine anbere Gintl}eilung unterfdieibet ätt^ijdjen originären
unb beribatiben, urfprünglid^en unb abgeleiteten @r=
luerbStitetn. S)ie „urfprünglidien", „originären" (Srwerbätitel
finb fold^e, welche ha^ (5igent{)um an einer ^aä^t gemöf^ren,
an welcher bi§()er ein @igent^um§re(|t nid^t beftonben ^attc.
„2)erioatlD" , „abgeleitet" bagegcn t^eifeen jene ©rmerbstitel,
bermöge bereu ein bereits beflcl}enbe§ (Sigeut(jum§rec^t bon
einer ^erfon auf bie anbere übertragen loirb.
2Bir !)anbeln l^ier bon ben natürlidjen, unb 5iüar an
erfter ©teile bon hcn originären (Srlüerb§titelu.
6. 2)er urfprünglic^cn (Srmerbatitel gibt e§ brei:
Occupatio, 5öefi^ergreifung ; — Accessio, !^nttiad)?)] —
Industria ober Labor, 9(rbeit. — Seginneit mir mit
ber Occupatio , 23 e f i | e r g r e i f u n g 1. S)er ©runb,
toarum fie al» @rmerb§titel gelten mu|, ift leidet ju erfennen.
' ®ie ©djiuierigfeit , icelÄje lütr foeben 16efpradf)eii , ba^ nämlid)
eine Sljatfac^c nidE)t JRecItSgriinb beä 6igent()um§ fein föniie, loft
ßibetatore (©runbiäl^e bev «orf^tDirtfdjQft [3n"§brucf 1891]
7. ^ie @rtt>ert)ung be§ StgcntlöurnS. 359
Sebcr Wicniö) i)at bn§ Steci^t iinb bie ^fli^t, [ein 2thtn 511
erhalten. S^aju kborf er ber materiellen (Süter. @r Ijat dfo
nuc^ ein 9tcd)t, bie]e S^inge ju gebrauten. 5hm aber
fetjt ber Giebraud^ einer ©ad^e beren 33efi|i üorau». S;er
53e[i^ ferner an einem S;inge, inelc^eS nod) niemanb gefjört,
lüirb ^ergefteüt burd} bie 53ef i Vergreif un g. 5tlfo |at jeber
DJJenft^ bie red)tlid)e ^ßefugniß, materielle ©inge, bie in nie=
manbc§ ßigenttjum [tel)en, b. i. ^errenlofe ©üter, in 33e[i|
5U nel^men, 5U Dccu|jiren.
©. 183) bejüglid^ ber Cccupotion , tnbem er 3mif(f)en bcm b e ft i m=
menbcn iinb Ib erecf; tigenben ^rincip beö @i9entf)uiitö initer=
fc^eibet, in fotgenber SBeife: „®a§ beredjtigenbe ^rincip bcö @igen=
tl^umS ift bie Slatur, toeli^e bem 9)Uni)c^en bie §crrydE)Qft über bie
geringem, für it)n gefifiaffenen Singe gegeben nnb i^n nDrfer)enb unb
gefetlfcEiaftlid^ nnb folglicf) ^um banernben Sigentlöitni^ftefi^ geeignet
gemad^t f)ai. Siir(| bie Dccupation gejc^ie^t nic^t§ anbere§, aU ba%
ein foläier SBefi^ mit Sejug auf Singe, bie feinem anbern gcl^ören,
unb bie man baf)er nel^men fonn, oftne irgcnb jemanb ju nar)e ju
treten, feft beftimmt toirb. Unb eö ift eine (vigenfcf)aft jebca SÄed^teä,
luelc^eö aus ber 9btur in unbeftimmter unb abstracter Söeife ent=
ipringt, ba^ e§ nur burc| eine 3;f)atfa$e concret unb inbiüibuell
n^erben fann. Sie 3u[timmung ber Seeleute ift eine Sfjatjacfje ; nicOtö=
beftotoeniger beftimmt fie concreterUieife ba^ ef)elic|e Diedjt. Sie 3?»=
gung ift eine Stjatfai^e; gleid^ujol^l beftimmt fie im befonbern baä
äJaterredöt. 3tef)nli{j§eä ge|c^ie:^t t)ier: bie Cccupation ift eine St)ot=
fad^e, aber fie ift eine fold^e, tüeli^e baju bient, ein üon ber 91atur
bem SJknfcfien unbeftimmt gegebene^ üiec^t ju beftimmen." — Ser
gröBern ßrar()eit luegen unterfc^eiben ttir ein boppe(tc§ „bered)tigenbe§
^^rincip" : 1. ben 3tecf;tögruub bev (Sigentl^umö i n ft i t u t i o n , lueli^er
mit ben für bie 9^Dtf)U)enbigteit unb ^Berechtigung beö ßigent:^umä
Dorgebrac^ten ©runben gegeben ift; 2. ben IRcdjtsfa^, toelrijer geiüiffc
Strien öon S^^atfad^en im allgemeinen alä naturredjtlid^ ge=
eignet erflärt, concreteS ®igentf)um ju enuerben. Unb bamit be=
fdfläftigen Ujir unö an biefer Stelle, Wo ber 9}ac^U}eig erbrad;t toirb,
bafe bie Dccupation, 2trbeit u. f. w. bcravtige 3;f)atfQd)en feien unb
barum baä fac^Iid» unbeftimmte Siedet, @igentt)um ju erwerben, in ein
fas^Iic^ beftimmteä 9iec^t umtoanbeln lönnen.
360 S)ritteö Äopitel. Sa§ ^ßriöateigeittl^um alö fociate Snftitution.
äöäre bie ^efilergreifung ^errenlofer ©üter bem SDJenfd^en
Derroel^rt, jo föürbe ^ierburd^ btt§ i|m öerliel^ene 9ted^t, (Sigeiu
t^um äu eriüerben, bebeutung§Io§ gemacht, S)a§ erfte @igen=
t(jum fonnte jebenfallä nid)t anber§ ola burd) Occupation
ertüorben tüerben.
Sümit bie S3e[i^ergreifung für ben Dccupanten ßigentfjum
ermerbe, muffen jebod} meljrere 53ebingungen erfüöt tüerben.
5Uif feiten be§ ObjecteS tt)irb üorouagefe^t, büji biefe»
^errenIo§ fei. Senn bie Occupation erwirbt bQ§ @igentf)um,
ober e§ jerflört baSfelbe ntd}t. ©inb bie S)ingc bereite üon
jemonb eriüorben, fo Ijot ber rechtmäßige ßigent^ümer ba§
9te(j^t, bie ©adje Qi§ bie feinige jn betrad^ten unb jeben Don
berfelben ou§äufd)ließen. S^on abermaliger Occnpation einer
bereits im Sigentljum befinblic^en ^aäjt tann alfo feine 9tebe
fein. 2)ie S)inge fetbft finb enblic^ Don 9Zatur au§ meift fo
geartet, baß fie nnmöglic^ ben Sebürfniffen mefjrerer ^erfonen
äug(ei(i^ biencn fönnen^.
5(uf feiten beS 53efi|ergreif er§ muffen ^mei SOiomente
äufannnentreffen : ber SBiöe, bie ©ad^e qI§ ^igent^um ju er=
merben {anhnus rem slbi habendi). S)enn bie 5lbfid)t, eine
©ad}e jn befi^en, ift nic^t ibentifdj mit bem SBiÜen, bie ©ac^e
al§ ©igentljum ju befi^en. ?lud) ber 3nt}aber einc§ S)e|}0=
1 Slud^ l^eute gibt c§ no(| i^erventofe ©egenftänbe, an bencn bev
Ülec[)tötitcl bei- Dccupation jut ©eüiing fommen fann, 3. 33. baä Sßilb
beä gelbeg unb 2öalbe§, ber SSogel in ber Suft, bie S^ifiiie ber großen
tylüffe unb beö 3Jleereö, lüilb iua(i)jenbe ^-i'üiälte u. bgl. — ©benfatlö
recf)net bie 3iurispruben3 ^ier^er res derelictae, 6ad)en, bie Don bem
biöl)erigen @igeut()ümer preiögegefien finb mit ber 2tbfi(|t, ba§ @igen=
tf)um nidE)t nuijx l)al)en ju tnotten. (®ie blofee Slufgabe beä S3efi^e§
ol^ne jene 5lb)idf)t ift nod^ fein 3tufgeben beö @igentt)um§. SJlan btnU
3. S3. an bie Sparen, bie auö bem ©(f;iff getoorfen icerbeu, um baö=
jelbe 3U erteiltem.) (Jbenfatlö lüirb ber ©c^a^ l^ierf)er gered^net,
U)eld)er fo lange i)ert)orgen luuv, bü^ niemanb fic^ meljr als ®igen=
t^ümer auöioeifen tann.
7. S)ie ©vtrierlning be§ eigentl)unt§. 361
[itiima 5. 2?. kfibt ba§ Object, aber er roiü e§ ni4)t be[i|en
a(§ (5igentf)ünier. ©obann i[t erforbert öie äußere t'^enn=
jeit^nung be» bodjogenen (Sigcnt^um§erit)erbe§. jDa bem üteci^tc
be§ einen immer unb toefentlicib eine ^flid)t be§ anbern ent=
fprid^t, fo nuif^ bei ber 58egrünbung be» erften @igent^um§
an einer 'Baä)z ber öoüäogene (äigent^um§erit»erb burc^ beut=
{\ä)t ^t\ä)m erfennbor gemadbt werben. (Sine ^flicbt, bic
nid)t erfnnnt merben !ann, i[t eben feine 5|3fli(i^t. 51I§ ^enn=
jeic^en aber gelten 3. 33. bei ber Sagb, bem ^ifdbfang bie
t^atfädblicbe ©rgreifung be§ Objectea ; beim ©runb unb Soben
[eine ßultiöirung, 23eadEerung, Um^egung u. bgl. ^
(5§ bürfte jemanb eintoenben: Söenn burcE) bie Occu^jation ba§
@igent^um an ben concreten ®in3clbingen begrünbet toirb unb ur=
fprünglid^ begrünbet toerben tnu^te, jo l^ängt ja bie ©infüfjrung ber
ganzen @igentf)umgin[titution öon ber Occupation ah. 9hin tft alber
bie DccupQtton ein freier 2Ict beö 9Jlenf(^en. Stlfo fann auä) bie
©tgentl^umSinftitution niciit üU eine natürnd)e bejeic^net toerben,
tteil baä 9latürlid^e niemals üon ber freien Söitifür beö SOlenfc^en
abfängt.
S)iefem SSebenfen fteüt Sa^jarelü* ein onbere§, glei(f)tt>ertl)igel
gegenüber: „Tlan fage mir juerft: ift ba§ g^actum ber ®^e ein bem
5Qhnfd^en freier 5lct? ©anj geioife. SUfo loerben anäj bie e^elid^en
1 Sögt. 2t. m. Söeife 0. Pr., ©octale fjrage unb fociate Drb=
nung I (3. 5tuf(.) , 371. „?tuc^ bie fogen. erfte SSefi^ergreifung tft
nid^t eine blo^e Sßittenöerflörung, fonbern eine lüirtlid^e Stntoenbung
ber förperlii^cn unb geiftigen il^räfte. S)te 93orfteÜung ber ©ocialiften,
als rüf)re ber 33efi^ öon einer mü^^etofen SBiüenöertfärung, Iiö({)ftcn§
lion einer geric^tlid^en Hrtunbe ^er, ift in t)o:§em (Srabe ftnbifd^ unb
fcfimedCt me^r naä) ©tubengelefjrtentoi^ , qIö man bei t^nen fud^en
fotite. aJtan möi^te beuten, it)uen bürfte e§ am e^eften ttar fein, bafe
bie erfte Urbarmacfiung be§ Sßobenö ober bie Stbteufung eineö Serg=
tterteö nitfit fo gans o^ne 5tnftrengung ber §änbe unb o'^ne ernftlid^e
geiftige 5Jlu^e Don ftatten get)e, unb ba'Q biefe 2trbeit nur bie 93or=
läuferin uon taufenb Useitern ift."
2 2t. a. O. I, 3lx. 409. — %I. auc!^ Sat^rein, 5moraIpl)ifo=
fopt)te II (8. 2tuft.), 292.
362 Sritteö Kapitel. ®a§ ^Priöateigcnt^um olö fociale ^inftitutiüu.
unb elterltdöen Steckte leine natütlid^e ©tnnd^tung tein?" ^ibn trirb
au§ biefem SSeifpicIe mit Seid^tigfett bie Söfung be§ S3eben!en§ ent=
infamen fönnen. ®ic Occupation ift für ben einäeluen SUlenfdjen unb
im einzelnen Spalte ein fi-eier 5lct, genau jo tüie bie @{)ef(f)Iie^ung.
S3etrQ(f)te id^ aber bie 9Jlenf(f)^eit im groBen unb ganjen, jo tcerben
ftetS üiele, ja bie meiften unb gttiQx unter bem ®inf(ufe unb SIntrieb
ber Pernünftigen 9'iatnr biefen freien 3lct üottgieben. ®§ mögen ein=
3elne au§ :^öf)ern Seweggrünben auf bie @f)e Hersi^ten. 91ie tnirb
e§ bie ganje 9)tenfc^f)eit t:^un. 2öer WoUtt nun aber be§f)ar6 , toeit
feine ben einjelnen ättiingenbe 9lotl^tt)enbigfeit öorliegt, bie 6^e aU
eine toitlfürlid^e Sinrid^tung be§ 931enfcI)engefcf)Ie($teä bejeid^nen?'
7. S)er ätoeite urfprünglicfie (Srraer6§tUeI i[l bie Accessio,
ber ^ntüa^^. ®er 3utt)a(i)§ iann auf boppette SBeife er=
folgen: einmol burc^ bie 9iatur mit i^ren Gräften. S)ie
natürlichen ^robuctc einer mir gcijörigcn ©ac^e fallen in
mein @igentf;um. @lne berartige 33erbe[ferung ober 93er=
meljrung ift ebenfo mie bie entgegengefe^te 5[RögIid)!eit ber
93ericf)(ed)terung eine g^olge ber natürlichen ©igenfd^aften ber
©adien. 2öer biefe oI§ (Sigentfmm ermorben fjotte, loollte
[ie l^aben, mie fie finb, unb jenen 9lu^en barau§ gießen, ben
fie i!^rer 9?atur nad) ^ert)or6ringen ^. ©obann !ann burc^
» 93gl. oben <B. 295 ncbft Stnm. 2. Tlan beaöite, luie unfere
Semeife für bie ^riDoteigent{}um§inftituttDn too^I unterfc^icben stuifcitien
natürlicfier S3ere(i)tigung , ftabile§ ©igentljum ju erioerben, bie für
ben einjelneu SJtcnfcljen gilt, unb anbererfeitä natürlicher Dlot^luenbig»
feit beö (iigent]^um§, melct)e für bie gonje ©efetlfd^aft bel^auptet unb
crwiefen luurbe.
- Saparelli a. a. D. I, 9h-. 412. — ©benfo entfprid^t e§ ber
SSernunft , bafe , iüüä aU Sf)eil mit einem mir gehörigen ®inge ficf)
toerbinbct, aui^ toenn eä nicf)t ^ßrobuct meines ®igcntt)um§ ift, bennod^
in mein Sigentbum falle, fofern e§ im 93erbättni& ju bem mir ge=
börigen S)inge alä Dlebenjai^e betrai^tet merben fann. .Accessorium
sequitur principale." iJür fdtimierigere Statte luirb baö pofitiDe ©efe^
beftimmen muffen, loaS al§ §auptfad^e 3U gelten f)at, toie überl)aupt
bie nät)ern a3eftimmuugen über ®igentbumöenuerb burd^ alluvio, com-
mixtio u. f. ID. gact)e beS pofitiüen 9ted^te§ ift.
7. ®ie ©rtoerbima bc§ ©igcnt^umö. 363
bic gefeüfd^aftlicj^en 23er^ältnijfe ein 3uii^tii)§ ^e^
2öertf)ey, ein „5)?ef)rtt)ertf)" be§ mir gehörigen ObiectcS jur
@nt[le^ung gelangen, ©o erfolgt j. 53. bei gefteigerter 9iad)=
frage ein 2Bertljsutt3ac()§ meiner Söaren, bei Srtocitcrung bcr
©tabt ein Steigen be§ 2Bert^e§ meines ©rnnbftüdeg u. bgl. ^
2Ber 6igentf)ümer ber <Baä-)t bor ©ntfle^nng i^re§ 5)?e{)r=
tt)ertf)e§ mar, bleibt ebenfalls il)r ©igent^ümer naä) ßntfte^nng
bcSfelben. 2)er neu entftanbene 2öert!^ füUt bafjer in ha^
(Sigentfjnm be§ bisherigen |)errn ber ^Baä^t, mit iüeld)er eben
iener 2Bertt) berbunben ift.
8. 2)er britte uriprüngtici^e (5riDerb§titeI ift bie 5lrbeit,
indtistria ober labor'^. S)er 9)lenfcE) [)at fein @igentf)um
an ber eigenen ^erfönlic^teit, loeit er nid)t fein eigenes 3'^^
unb nid)t fein eigener .^")err fein fann. 5(ber er barf feine
Gräfte wie bie feinigen benu|en, ^ot an benfetben ein 5tu^=
eigent^um unb barum ein öoHeS (Sigent{)uni an hm 5(cten
feiner ^^äljigfeiten unb bereu grüdjten. 2)amit nun ein (5igen=
t^um an ben grüditen ber 5Irbeit |)raftif(^ überfiaupt mö(i(i(^
fei, ift e§ not^roenbia, bafj bie (SigentüiumSinftitution — fo
folgerten mir oben^ — in ber @efellfd)aft ju 9ted)t beftef}e. 9In
biefer «Stelle ^anbelt eS fi^ nii^t mef)r um bie @igent^um§=
inflitution im allgemeinen, fonbern um bie (ärmerbung be§ con»
creten @igent()um§ an einer einzelnen ©ai^e. (&§> fragt fid)
alfo, ob unb unter mel(^en SSorauSfe^ungen bie 5lrbeit (Sr=
roerbStitel toerben tonne, SBir betjaupten nun:
(5rften§: Sie 5Irbeit ift mir flicke r ©rmerbStitel. ®enn
ber 5)tenfc^ Ijat unbeftreitbar ein 5Red)t auf bie grüdjte feiner
5lrbeit. 2)iefe fatlen ba^er in fein @igentt)um.
> aSgl. „Kölner ßorrefponbenj", ficraugöegeben Don Dr. ^. Ober»
börffer, 7. ^a^rgong, §eft 2/3, 6. 38.
- 3lber nicf;t ber einsige ©rtoerbgtitel. S)te ©ociaüften leljren,
liberalen !P^iIofo|)^en unb Oefonoinen folgenb: jeber l^abe nur auf
bo§ ^robuct feinet ?Irbeit 9tnfl3rud^. * aJgl. ©. 270 ff.
■^t]äi, Siberalilinug k. II. 2. 5lufl. 17
364 SrittcS ßa^jttel. S)a§ ^riüatcigentl^um aU foctale 3tnftitutton.
3tociten§: S)ie 5tr6eit i[t ein urfprünglicfier (5rh)erb§=
titel. SDenn bie gruc^t ber 5trbeit t[t ettüaS 9leue§, \üa§> burd)
bie 5trbeit entfielet unb bo^er noc^ nic^t im (Sigent^ume je=
ntanbe§ geftonben ^at, bon bem ber 5lr6eiter fein (5igent{)um§=
xtä)t ableiten mü^te.
S)ritten§: 5iber bie ^Arbeit fonn nic^t ber urf|3rüng=
Ii(^[te @rlt)erb§titel [ein. 2Bürbe ber ^J^enfd^ eine (Sodie
burd) feine 5Irbeit erfc^affeni fönnen, bann mü^te bie
'^xud)t einer foc^en S^ätigfeit unbebingt bem (Sigenttjum be3
3lrbeiter§ sufaHen. '^06) ber 5}^enfc^ fonn nichts erfd^affen.
«Seine Sljätigfeit ^at [teta eine bereite öorliegenbe DJJaterie
äum ©egenftanbe, ben 33oben, ben er bearbeitet, ben «Stoff,
bem er eine neue ©eftalt unb g^orm berlei^t. 5}?it biefer
borliegenben 9Jiaterie nun ift ba§ burd) menfc^lid^e 5(rbeit
(Srjeugte in ber Siegel auf§ engfte berbunben. «Soll alfo ber
3Dtenf(ib bie Umönberung be§ ©toffe§, bie neue gorm, bie
neuen (S^genfc^aften unb OT^Q^^iten, tüetc^e allein ba§ bon
ber 5irbeit ©rjeugte, ba§ eigentliche ^robuct, bie unmittelbare
gruc^t ber 5Jrbeit barflellen, aU ©igent^um geioinnen, fo
mu^ er jugleid) auä) (Sigentpmer be§ ©toffe§ felbft fein,
meldier burc^ bie 5lrbeit ^um Sräger ber neuen f^orm, ber
neuen ©igenfc^aften gemorben ift.
2ßar nun ber ^^robucent felbft bereite bor ber
^robuction (5igentt)ümer be§ SSobenS, be§ ©toffe§, fo
fäÜt oI)ne tt)eitere§ aud) ba§ ^robuct, ba» (Srjeugte, in ba§
@igentf)um be§ ^robucenten.
^anbelt e§ fi(5^ bagegen um ^errentofe (Sachen, föeld^c
äum ©egenftanbe ber probuctiben 2;^ätigfeit gemacht werben.
' ®te ©rfd^affung ift ^productio rei ex nihilo siii et ex nihilo
siihiecW; ,ex nihilo «»i", b. i. e§ mufe ein ©ttüaö fein, bo^ tiorf)er
ntd^t bo war; „ex nihilo subiecti" : biefeö @tttaä barf nt(f)t blofe
eine neue S^ovm, bie Umgeftaltung einer bereite öorliegenben 9[)ta=
teric fein.
7. Sie ©rloerbung bc§ @tgent^um§. 365
fo eririrbt ber 53earbeiter aiic^ ba§ Sigenttjuin om ©toffe,
iinb 5it)ar bea^alb, tüeil bie Arbeit in biefem gaße bie Occiu
pntion öorouSfe^t, ja gemtlferma^en [clb[t qI§ eine quQli=
ficirte Occupation bejeidinet roerben fnnn. — ßat^rein ^ jelgt
in überäcucjenber Sßeife, tüarum I)iet bie 3Irbeit nid)t ber
ur[prünglic§fte Srtüerbstitel fei: „5Ze^men lüir an, jemanb
I)abe ein Stücf i^olj ober einen 5}?armDrbIücf gefunben unb
trage i^n in fein -f)au», um i^n gelegentlich) ju einem 2:ifc^
ober ju einer ©tatue umzuarbeiten. 2)arf nun etwa jeber
^Beliebige fommen unb il^m ba§ Bind ^olj bor ^Beginn ber
3trbeit megnet^men? ®ett3i^ nidbt. (Sbenforoenig, a(§ man einem
anbern bie gifci^e ober ba§ 2ßi(b megne^men bürfte, bie er
oieüeidbi mü^e(o§ in feine (^ttoalt gebradjt. i^kn entgegne
nic^t, ba^ ha^ Spangen ober heimtragen an6) eine 5(rbeit fei.
Senn romn bie 5(rbeit im ®egenfa| jur bloßen 5ßefi|=
ergreifung a(§ urfprüngüc^er Srmerbötttel be^eii^net mirb, fo
oerftefjt man barunter bie 5trbeit, meldbe auf bie Umgeftal»
tung unb 33erbefferung ber Singe üermenbet mirb. Cljne jebe
menf(^(ic^e Setf)ätigung ift allerbing§ ein urfprünglidjer @igen=
tf^umaermerb unmöglich). 5Iuc^ bie 33efi|ergreifung ift eine
S^ätigfeit. 5(ber felbft in ben ^yätfen, mo biefelbe üicie 9}?üf)e
foftet, mie 3. 33, lange» 5Iuffud)en unb a>erfo(gen be§ 2öilbe§,
ift ber eigentli($e SrroerbStitel nid^t biefe borauage^enbe 9}tu^e,
fonbern ber 5tct ber eigentlichen ^cfi^nafjme, 5. 33. ber glücf=
lidje @c^u^ ober 3öurf. Cljue biefen 5Ict mirb tro^ aller
DJKi^e fein Sigent^um ermorben."
|)at enbtid) jemanb einen <Stoff, ber bereits in frembem
6i gentium fte^t, ^um ©egenftanbe feiner 5Irbeit getoä^tt,
fo fäüt bie neue fyorm, bie llmgeftaüung unb 23erbefferung,
mel^e ba§ 5ßrobuct ber 5lrbeit barfteflt, an unb für \\ä) in
ba§ Öigent^um beffen, bem ber ©toff gehört. Ser ©runb
ÜJloralpljirofop^te II (3. SlufT.), 303.
17 =
366 ®iitte§ ßttpitel. Sa§ ^riöateigent^utn al§ fociale Snftitutton,
Ijierfür liegt auf ber ^anb. 3)le neue g-oriu, bie neuen 6igen=
jc^iaften, bie $ßerbe[ferungen bilben einen %l)t\i be§ ©toffeo
unb folgen al§ 3:^ei( bem @igent^um be§ ©anjen. S)ie
t^rüd^te, bie infolge ber ^Bearbeitung be§ S3oben§ qu§ biejeni
entfielen, finb überbie§ tfieilweife ein natürlicher ^imaö)^
(accessio), infofern an i^rer |)erborbringung aud) unb jttjar
unmittelbar bie natürlichen Gräfte unb ©igenfc^aften be§
5Wer§ initgert)ir!t l^aben. S)ie Umgeftaltung aber, rüdä^t ein
©toff, 5. S. ber 3)?armor, bo§ |)olj, gefunben ^at, ift jmar
ein blo^ fünftUcfier Sii^jad^S unb fü^rt fid) auf bie 5Irbeit
allein ala principale SBirfurfad^e ber SSeranberung jurücf.
©leic^ttjo^l erniirbt bie Strbeit §ier \\\ä)t ba§ 6igentl;um be§
©toffeS, toeil fie bom ©tanbpunfte be§ ^laturred^teS au§ be=
trachtet fein 9le(^t§titel jur 3^1^ [Körung be§ (Sigent!^um§,
fonbern lebigtic^ 5um ßrraerb be§ ©igent^um» ift, felbft=
Derftänbli(i^ nur bort, tt)o biefer ßrföerb |3^t)fif(^ unb red)tlic^
niöglic!^ ift.
dJlan wirb Ijier jebod) ä\r)i[d)en einer breifaci^en 93orau§»
fe|ung unterfcbeiben muffen:
Semanb f^at o^ne Söiffen unb SÖillen be§ @igentl;ümer§
einen (Segenftanb bearbeitet ober verarbeitet mit bem 33ett)u^t=
fein, ba| biefer ©egenftanb frembeS ßigent^um fei. (S§ ift
ber t^aU ber mala fides. 9iiemanb h)irb eine fo(d)e 5lrbeit
al§ 9{ed)t§titel be§ (Sigent^um§ertoerbe§ anerfennen, er mü^te
benn ber ^ieinung fein, ba^ bie Ungere(i^tig!eit felbft, bie
5ßerle|ung fremben IRed^teS, im ftanbe märe, ein 9tedbt, b. i.
eine moralifd^e ^ßefugni^, für ben SBoUjie^er ber 9ted)t§t)er=
te|ung ju begrünben.
3'iel}mcn mir ben anbern ^aü. Senianb l^at im ©ienfte
eine§ anbern beffen 5Ider befteüt, beffen 9toI}ftoffe ber=
arbeitet. — Söejiel^ungen, bie Don ber 5ktur felbft nid)t un»
mittelbar gefc^affen finb, fönnen unb bürfen in bieten Sötten
burc^ ben freien äöitten ber 93ienfd^en eingefüf^rt merben.
7. Sie ®rtticrbung be§ ©igcntlf)uin§. 367
60 [iefjt 5. 53. nid)t§ im SBege, baß jemanb feine ^^-üliiöteiten
unb Gräfte in ben ®ien[t eine» anberu [teilt. Snt ®egentt}ei(
bilbet bicfe ?ttt ber Sßerfügung fogor einen 53e[tanbttjei( be§
9^ed^tc§, bermöge beffen ber Wtn\ä) über feine Strafte aU
ettt)Q§ if)m ®e^örige§ biSponiren borf. 5yiiemal§ ^wax wirb
e§ geflattet fein, bie eigene ^erfönüd^feit mie eine ©arfie bem
anbern ju übergeben. ©tet§ befi|t unb beiüal^rt anä) ber
niebrigfte ^x\cä)t in (Sott-bQ§ Iet;te unb !)öd)fte 3iel feine§
2eben§ unb ©treben§, l^iermit jngleid) unberäuf3erlid)e Üted)t§=:
Qnfprü(^e auf alle§, lt)a§ jur waljren 9!}?enf(^enn)ürbe geijört.
9lber ber ^J^enfc^enmürbe miberfpridjt e§ feine§n)eg§, bo^ ber
eine bem anbern bient. W\d)i fetten fogar wirb ber ^^}m\ä)
in einem folc^en 5tbt;ängig!eit§üerl^ältni^ eine beffere unb
fid)crere ©cwä^r feiner (Sjiftenj unb ber baju notljtüenbigen
9}littel finben, at§ wenn er ganj auf fic^ felbft geftetlt wäre.
Ueberatl nun, wo an ©teHe ber urfprünglid)en Unabl}ängig=
feit ein fotd^eS pofitiDeS Sienftberljättnifi getreten ift, ba l^ört
bie 5Ir6eit auf, (5rwerb§titel be§ @igent§um§ am unmittel=
baren, pt)t)fifd)en ^robucte ber 5lrbeit ju fein, weil — ah^
gefel)en Don aöem anbern — \6)on in l^raft be§ rec^tlid^en
S)ienftber§üttniffeö ba§ ^Mobuct für ben §errn IjergefteHt
Wirb^. 2)ie „^^rud^t ber 5lrbeit", ber „(Srtrag ber wirbelt"
' yjtau fnae iüä)t, ßeo XIII. (jaBe mit bem ©a^e: „2öie bie
äüivfiing i^rer Urfadje folflt, fo folöt bie Orrudjt ber 5lvbett al§ re(i)t=
mäfeigeö ©tgentl^um bemienigen, ber bie 5Xrbeit üolf^ogeii l^nt" (©ncljU.
S. 17), etlua in einem getoifjen jocialiftifd^en (Sinne baö (5igentl)um
am 2lrbeit§probucte anä) bem in frembem S)ienfte [iel^enben Slrbeitev
juerfennen iDoHen. S)ie Stnnaljme wäre benn bo($ ju naiü. S)er
^Qpft l^ätte bann in gletdjem Slttjcrnjuge bem erften @vn.ierber einer
©ad}e baä auäjd^IiefelicOe unb bauernbe ©igcnt^umsred^t an berfelben
3uertannt — ein 3ReÄ}t, öon bem ßeo XIII. fagt, ba| niemanb e§
„in irgenb einer Söeife" tcrle^en bürfe — unb äus^fit^ ^od) lieber
geftattet, ba§ Dbject burd^ Slufteenbung uon Strbeit unb al§ Sru(|t
berjelben bem ved)tmä^igen @igentt)ümer 3u enttoinben. — UebevbieS
368 ®tttte§ Kapitel. S)q§ ^riüatetgentl)itm qI§ foctale Snftitution.
für benjenigen aber, ber feine Gräfte in ben ^ienft eine§
onbern gefteUt ^nt, ifl §ier ber gerechte So^n, ber auf ©runb
jener Sienfileiftnngen bem ^Irbeitenben getüä^rt toerben mu^.
®ie britte 93orau§fe|ung lüäre: Senianb l^at hona fiele,
b. ^. oljne i\\ tüiffen, \iCi.)^ ber ©toff, 'litn er sum ©egenftanb
feiner 5irbeit nmi^t, einem anbern gef)ört, biefen fremben
©toff bearbeitet ober berarbeitet. — %n biefem ^alle ent=
fprid^t e§, wenn (X\\<i) nic^t ben gorberungen be§ flrengen
9ted)te§, fo boci) ber ^öiüigfeit, ba^ unter geraiffen 33orau§=
fetjungen ba§ (Sigenttjum an bem fremben Stoffe bem 5]3ro=
bncenten jufalle, wobei berfelbe ben bisherigen ©igentljümer
be§ @toffe§ entfc^äbigen mu^. ®aa l^ofitine Wec^t tjat barum
aud) bielfad) in biefem ©inne entfd)ieben. @o 3. 53. tid^
römifc^e ütec^t^ in feinen ©runbfä|en über „Specification",
b. i. SIeugeftaltung einer ^a<i]t burc^ 5(rbeit. SQöer einen
fremben ©toff bergeftalt berarbeitet, ba^ er al§ eine neue
©a(^e erf^eint, ^at an biefer neuen ©ad)e unb fomit aud^
am ©toffe ba§ Sigent^um ermorben. ®ie Umgeftaltung mu^
alfo eine burcEigreifenbe fein, fo ^a'^ bie frütjere (Seftalt nid)t
mieberl^ergeftellt werben fann, unb bie ©ac^e nad) ben 33e=
griffen be§ 33crtef)re§ a(§ eine anbere, neue er[d^eint. Slo^eS
3erftören ober Starben 5. 33. mürbe bafjer nid)t genügen,
erleiuit bie (£nct)tlifa nneber^olt ba§ ßul^nüerl^ättnife au ficf) o.U ber
©ereditigfeit entfpredjenb an. — ®er ^apft liüU eben mit bem ©a^e:
„2ßie bie SBirfung i^rer Urfad^e folgt, \o folgt bie %x\x^i ber Slrbeit
0.U rechtmäßiges 6tgentt)um bem, ber bie Arbeit tottäogen ^at" —
lebtgtiä) princtpiett unb abstract bie @igentf)umsinftitutiou recl)t=
fertigen. 6r abstra£)ivt babei üon ben acceffovifci^en 23erl)ältnifjen,
bie burdj Sontroct entfte^^en, unb Don ben rec^tlid)en fyolgen berfeI5en.
Sßo er üom Soi^nberpttniß rebet, ift bie „iJrud^t ber Slrbeit" im
juribifd^en ©inne aud^ 2eo XIII. äufolge ber ßol^n.
» Cf. 1. 7, § 7 ; 1. 9, § 1 ; 1. 26, § 3, Dig. de acquirendo rerum
dorainio 41, 1. — L. 13; 1. 14, Dig. de cond. furtiva 13, 1 ; 1. 12,
Dig. ad exhibeud. 10, 4.
7. ®te ©rttiertung be§ ©igentf)umS. 369
eBenfo ni$t boa 5tu§bref(f)en be§ ©etreibeS. SOßenn jugleid^
eigener unb frember ©toff beriüenbet tüurbe, bnnn cnrorb
ber 5trbeiter naä) römifdiem Siedete boS ©igent^um an ber
gangen, nenen <BaäK and) für hcn gaU, ba^ bieüeid^t bic
alte ©eftalt tüieber^crgeftellt werben fonnte. — Sßeiter al§
ha?) römi)c^e Diec^t ging ba§ beutfc^e 9{ed)t be§ 5J?itte(aIter§,
inbem e§ ben ©runbfa^ auffteHte, ba^ jur Si^^itiifl "^^^
f^rüd^te berienige berecfitigt fei, ber fie „berbiente", b. ^. ber
bie 5ur 3i'^§"^9 nöt^ige 5lr6eit berriditete i. 2)iefer @runb=
fa^ fom ju ftatten: 1) bemjenigen, ber jur 3^1^ ^cr 5lr6eit
ha^ 9^e($t be» gruditgenuffeS 6efa§, beffen 9tec^t aber enbigte,
e^e bie t^rud^t einge^eimft föar; 2) bemjenigen, ber in gutem
©tauben, au§ Strt^um ein frembe§ ©runbftüc! befteßt l^atte.
S)urd^ bie Dteception be§ römifdien 9tecf)te§ lüurbe biefer ®runb=
fa^ im allgemeinen befeitigt. 33eiber;alten bücb er im 8e^en=
xe6)ti^ unb in einigen ^particularrec^ten , 3. 33. in @ad)fen
unb t^eilttieife im preußifdien ßanbred^te.
9. 2öir unterfc^ieben borfjin strifc^en urfprünglid^en unb
abgeleiteten ©rtüerbytiteln. 9!Rit te^tern f)aben mx un§ nod^
äu befd^äftigen.
S)er abgeleiteten ßrmcrbSarten unb @rföerb§titet ober
gibt e§ ^wei: (Erbfolge unb 33ertrag.
Sei ber Erbfolge unterfd)eibet man bie ^nteftaterbfolge
unb bie teftamentarifd)e Erbfolge,
jDie 33ere(^tigung be§ (5igentf)um§ beruht auf feinem ^\v(ä.
S)Oö @igent^um foQ aber — • lüie wir oben auöfüfjrten —
aud^ unb ganj befonberä ben 3*üecfen ber f^amitie bienen.
^ie Stüzdt ber gamilie fterben nun nid^t mit bem t5^ami(ien=
l^aupte ober bem eiuäetnen ^^^amiliengliebe. ©ie bauern fort
loie bie gamilie felbft. „2)a bie gamilie nid^t beftimmt i|t.
' Sögt, bagegen 1. 25, § 1, Dig. de usiiris 22, 1.
2 II Feud. § 3.
370 2)ritteö Kapitel. ®q§ ^riöateigentl^mn qIq foctole Önftttutton.
Mo§ eine ©eneration jit bauern", fagt 6^arle§ ^ertnS
„foubern ha fie in i^ren folgenben ©enerationen alle focialen
Sugenben unb Srabitionen, beten 2:räger fie felbft i[t, fort»
pflonjcn foll, fo mu^ nud) ha^ (Sigent^um fortbauern unb
Dom 53atcr auf biejenigcn ü6erget)en fönnen, toeld^e feinen
5kmen tragen unb feine ^erfon fDrtfe|en. ®urd() ba§ ($rb=
rec^t muß ha^ moralifi^e Sßefen, tüelc^e§ jebe gamilie bilbet,
fid^ erhalten unb nac^ 35erbienft weiter ausbe^nen fönnen.
§ierau§ i[t ha^ 9iec^t ber ^eerbung entftanben unb ^at bie»
felbe ©anction erhalten toie ha^ 9ted)t be§ @igent^um§ in
aden htn ©efeöfdjaften, in welchen bie natürlidien ©efe^e be§
menf^Iirf)en Seben» in ?l(^tung ftef)en." @o tjoben alfo bie
S^amilienange^örigen, abgefe^en bon ädern Seftament, ein natür=
n(^e§ 9ted)t auf bie Grbfotge, trenn biefe§ 9ted)t aui) in
niannigfa(^er ^Bejic^ung ber nähern 53efttnimung burd) bie
ijofitibe ©efe^gebung bebatf^.
* 6^rtftUd)e ^olitif. (irfte §älfte (greiburg 1876), ©. 202.
2 Sie btegbejügliifie Seigre beä 1^1. S^l^omaS bon 21 quin ögl.
in g^rana Straub, gigent^umSle^re (Sfreiburg 1898) ©. 302 f.
374 ff. — Sluntfci^a (©taatgtoorterbuc^ [1858] ®. 821) fagt: „®q§
®rbre(f)t eri^ält ba§ ©igentfjum unb üerebelt e§. ®ie (irnmgenfdfiaft
ber S3orfa^ren totrb burtf) baä (Bxbxtä)t ben 9kd)fommen überliefert,
unb ber fjleife be§ 93aterä gefteigert burc^ bie 31usficf)t, bnfe berfelbe
nocf) feinen fiinbern gum S^Ju^en ger