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Seantfeit und Beipzig,
und in bee Schwanifchen Hofſbuchhand
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1785
Historisches Institut der ——
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1.
Eharakteriftifche Züge
aus bem Leben
Fuͤrſten Wolfgang
zu Anbalt,
Seh. 2. Hug. 1492, gefl. 23. Matt. 1566,
A2
Lo
— Ar. 1500, im achten Sabre feed
PT 2 Alters, wart er nach Leid:ig
geſchickt, allda ;u futires. In
Jahren hielt er fi) mehrmalen bei feinem Vet⸗
ter, Türk Abolfen, Bifchefen zu Merſe⸗
burg, auf, tem er einſt auf bie Frage: ob
er auch gedaͤchte, in Himmel zu Toms
men? die nad;denflihe Antwort gab: Ja
traun, aber, ob Bett will, noch zur
Zeit nicht, denn darum bin id) ge
muft, daß ich im Zimmel leben ſoll,
aber ih Hoffe noch eine Zeitlang all
- bier auf Erden zu ſeyn, und bei Bott
avig 33 bleiben.
Az
4
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J
6 Chbarakt.Lebens⸗Zuͤge
Die Sorge um ſeiner Seelen Heil wurde
in ihm fruͤhzeitig durch die Beiſpiele und Er⸗
mahnungen ſeiner Frau Mutter und dreien
Vettern, Fuͤrſten Adolfs, Magnus und Wils
helms, hauptſaͤchlich and) durch zwo Begeben⸗
heiler erwegfet, Die einen tiefen Eindruck in ihm
zuruͤckgelaſſen. Ein gewiffer Baron von Sterns
berg hatte zu Weimar einem großen Vanquet
und ritterlichen Uebungen beigewohnet, den ans
dern Morgen früh gieng er in den Saal, bie
leeren Wände und Tafelu, und Die berrichende
Todten⸗Stille übernahmen fein ganzes Gemuͤth
mit einem fo lebhaften Gefühle von der Vers
-
gaͤnglichkeit aller irrdiſchen Freuden, daß er uns -
verzüglich mit feinen Dienern fic) zu Pferd fezte,
nach Arnſtadt vor das Kloſter ritt, nnd feinen
Dienern fagtes Er fähe, wie vergaͤnglich die
weltliche Freude fei, er wolle ſich deßwegen um
dad Eroige befümmern, und ftelle jedem unter
ihnen frei, wer mit ihm an biefem Orte fein Les
ben im Dienſte Gottes zubringen wolle, wer aber
nicht wolle,der foll in Gotted Namen feinen Weg
zuruͤcknehmen, und das Pferd behalten; worauf
Einer bei ihm geblieben, und die andern fortges
Fuͤrſt Wolfgangs zu Anhalt. 7
ritten; welche Seſchichte der ſelige Herzog noch
in feinem hoher Alter nie ohne Gemuͤths⸗Bewe⸗
gung und Weinen erzählen koͤnnen. Die andere
Beranlaffung fei geweſen eine Rede Kurfürft
Sohannfen zu Sachſen, welcher als ein noch
junger Herr zu Imufprud am Hofe Kaifer
Marimiliand II etlihe Tage mit Rennen,
Stehen, Zurnieren, Springen, Tanzen und
andern Ergözungen zugebracht, jeboch noch
nad) ber Zeit, fo oft er baran gedacht, bie
Rebe geführte: Er wüßte mit Wahrbeit
zu fagen, daß ihm auch derfelben Freu⸗
densTage Feiner jemals ohne eine fon»
derliche Traurigkeit und Herzeleid vers
flofien wäre.
An. 1530 309 er mit Kurfürften efobannfen
von Sachſen auf den Reichstag nad) Augfpurg,
allwo er das Evangeliiche Glaubens » Bekänuts
niß mit unterfchrieb, und Kaiſer Karl V übers
geben half, bei weldher Gelegenheit er das
chriſtlich⸗ heroifche Zeugniß ablegte: Ich Habe:
manchen ſchoͤnen Ritt andern 3u Ber
fellen getan, warum follte ich dann
nicht, wenn e8 vonnöthen wire, auch
A4
8 Charakt. Lebens - Züge
meinem Herrn und Erlöfer, Chrifto Je⸗
fü, zu Ehren und Behorfam mein Pferd
fetteln, und mit Darſezung meines
Beibes und Lebens zu dem ewigen
Ehren: Kränzlein im Dimmlijchen Les
ben eilen.
Als währenden Meichätages einsmals von
Beſtaͤndigkeit ber Evangeliſchen Religion geres
bet ward, fprad) er mit ebler Freimütbigkeit:
Er wolle lieber einem dafür die Stifel
auswiſchen, und fich Land und Leute
verzeihen, und an einem Sieden das
von gehen, dann daß er follte eine ans
dere Lehre annehmen.
Als auch Kurfuͤrſt Sohannfen zu Gachfen
auf dieſem Reichstage eine Formul, von ber
Evangeliſchen Lehre abzutreten, angetragen
ward, dieſer aber geantwortet: Gott hat mich
zum Kurfuͤrſten des Reichs gemacht,
deß ich mein Lebtag. nicht werth bin
worden, will.er mich nun ferner zum
Rurfürften Haben, fo wird cr ed wohl
ſchicken, wo nicht, fo mache er aus mir,
|
Fuͤrſt Wolfgang: zu Anhalt. 9
and der Roͤmiſche Kenig Ferdirand ſolches der⸗
maſſen übel genommen , daß, ba ter Kaiſer
ihm, wie andern Fuͤrſten des Reichö, bie Hand
geboten, ter König das nicht geftatten wellen,
fontern ibm aus Zorn die Hand wieter zuruͤck⸗
gezogen, ber Kaiſer aber fid) dadurch doch nicht
bewegen laſſen: fo tras Fuͤrſt Wolfgang mit
Marggraf Georgen- ans dem Mittel hervor ,
and tragen dem Kaifer ihre Dienfle mit Leib
un Blat an, jedoch mit dem Anhange: Geis
ge Raiferl. Majeſtaͤt wollten fie bei
der befannten Religion gnädigft Iafs
fen, würden ſich auch gegen Diefelr
ben in aller ‚Unterthänigkeit verhal⸗
ten, jedennoch, ebe fie ihren Bott und
deſſen Evangelium verläugnen woll⸗
ten, fo wollten fie ihnen lieber die
Köpfe abichlagen laſſen; worauf ber Kai⸗
fer ganz guäbig geantwortet: Lieben Oh⸗
men, nit Kop ab, nit Kor ab, fo iſt
es nit gemeint.
Als auch D. Eck einsmals mit Heftigfeit
herausfuhr, daß ihn wundere, wie die Luthe⸗
/ A 5
ıo Charakt. Lebens ‚ Züge: |
riſchen fo wider ben Strom firebten, indem fie
‚nicht gedenken follten, daß ihre Sachen Beftanb
haben, und fie alfo einmal nirgend würden bleis -
ben koͤnnen, antwortete ihm Fürft Wolfgang:
Meinet dann ihr, daß eure Sache eis
nen Beftand haben koͤme? unfere Sar
che ift gut, und ift Botted Sache, dem.
trauen wir, der wird fie auch wohl
erhalten; das follt ihr aber wiffen ,
Serr Doktor, prakticitt ihr einen Krieg,
fo. werdet ihr auf diefer Seite auch
Leute finden.
Im Jahre 15 3 1 unterfchrieb er den Schmals
kaldiſchen Bund , und erhielt in eben biefem
Jahre ein Schreiben von Herzog Albrecht in
Preußen, worinn er ihm wegen feiner Befläns
digkeit in Glaubens⸗Sachen in folgenden herz⸗
lichen Ausdruͤcken Gluͤck wuͤnſchet: „Ich bans
ke Gott dem Vater in Chriſto Jeſu, der Ew.
Liebden durch Eingebung des heiligen Geiſtes,
den Mund ſeiner Wahrheit, das reine lautere
Wort feines heiligen Evaugelii, welches Wort
Sort felbften iſt, und Fleifch worden, zu uns
ferer Exlöfung eröfnet, und dag Ew. Liebden
‘
| Fuͤrſt Wolfgangs zu Anhalt. 11
| ſolches ohne alle Schen vor den Menſchen oͤf⸗
fentlich zu befennen feine Gnad verliehen hat;
derſelbige allmaͤchtige barmherzige Gott wolle
Ew. Lobden und und alle in feinem gnadenrei⸗
hen Wort erhalten, fhüzen,, firmen, und,
weiter vor allem Uebel behüten. Umen ! So
danke ich darneben dem lieben Gott, daß er
mic) armen Sünder aus bem Machen des Zeus
feld erlöfet , and mir ans lauter Gnade und
Barmherzigkeit, der ic) dem Teufel ganz ers
geben war , fein göttliches Wort auch mitges
theilt ꝛc,, Endlich befchließt er: „Wuͤnſche
Ew. Lbden hiemit, von Gott dem Vater und
unſerm Herrn Jeſu Chriſto, der ſich fuͤr unſere
Suͤnde gegeben hat, auf daß er und errettete
von diefer gegenwärtigen argen Welt, Gnade,
Friede und Barmherzigkeit, den gütigen Bas
ter unfer aller in fiarfem Glauben und fefter
Zuverſicht bittende, weil er Em. Lbden und uns
bei ſolchem erhalten, wolle ferner der falfchen,
argen, vergänglichen, nichtigen Welt diefes
Fammerthals nah feinem gnädigen Willen
wehren, und und das Eleine Häuflein vor als
Im Uebel behüten, fein goͤttlich Wort mehren
12 Charakt. Lebens⸗Zuͤge
and zunehmen, und die gute Frucht in uns
erwachfen laflen zc.,,
An. 1546 befand er fidy mit zu Eisleben,
und bei der Handlung zwifchen den Grafen von
Manndfeld, deren andy Luther beiwohnte, bes
huͤlflich zu ſeyn. Er hatte daſelbſt den Schmer;
des tödtlichen Hinganges bed von ihm fo ges
Tiebten und hochgeſchaͤzten Luthers, den er noch
in der Nacht um vier Uhr befuchte, aber fchon
todt antraf.
Gaoott hatte biefen feinen trenen Diener ,
nach feinem fehnlihen Wunſche und Hoffnung,
aus dieſer Zeitlichkeit entruͤckt, ehe noch in dies
fem Jahre der unglüdlide Schmalfaldifche
Krieg ausbrach. Fuͤrſt Wolfgang ward in das
Schickſal feiner Bundedgenoffen mit verflod»
ten, and fin Jaͤnner 1547 vom Kaifer in die
Acht und feiner Lande verluftig erklaͤrt. Er
mußte fich bei dieſen Umſtaͤnden mit der Flucht
retten , fein Muth und Vertrauen auf Gott
blieb aber unter all dieſen Stuͤrmen anerfchüts
tert, und als er des Nachts von Bernburg
wegritt, fung er noch auf dem Markte mit
heller Stimme dad Lied: Ein fefle Burg iſt
Fuͤrſt Wolfgangs zu Anhalt, 13
fer Gott ꝛc. Er mußte fi in dem Kits
tl eined Müllers eine Zeitlang auf der
Mühle zu Köran verborgen halten, begab
fi) darauf auf den Harz, wo er bei guten
Freunden ſich verbarg, bis die erfle Hize vors
über feyn würde.
ImSahre 1548 wurde der VöhmiſcheObriſt⸗
Kanzler, Henrich von Plauen, Burggraf von
Meißen, mit ben confifeirten Landen vom
Kaifer belehnt, Fuͤrſt Wolfgangd alter guter
Freund, Herzog Franz von Braunfchweig,fchrieb
ihm aber um dieſe Zeit folgenden herzruͤhrenden,
troͤſtenden und getroflen Brief:
„Hochgebohrner Fuͤrſt, freundlicher Lieber
Oheim nnd Schwager!
So es Euch wohl gienge, hörete ichs gers
ne, bitte, Ihr wollet mir ſchreiben, ob Ihr
vertragen ober nicht? mit mir flehetd noch,
wie ed lang geflanden hat, und man hat mir
andere neue Wege fürgefchlagen, ich wills aber
nicht annehmen , und will meine Sache Gott
den Allmaͤchtigen heimſtellen, and ben ließen
x
14 Charakt. Lebens-⸗Zuͤge
Gott nicht verlaͤugnen, ſondern bei ſeinem lie⸗
ben Wort bleiben, es gehe daruͤber, was Gott
verhaͤnget. Die Stätte allhier halten noch al»
le, Gott Lob! fefte bei Gott und feinem Wort,
und auch alle die See » Stätte. Der König
"in Dännemark wird auch bei Gott und feinem
Wort bleiben, und follte er auch darüber bet⸗
teln gehen. Gott flärke ihn, es wird nun
heißen, dad Krenz beweifen mit der That, doch
verſehe ich mich, Ihr werdet auch bei dem lies
beu Gott bleiben, und fo Ihr allda verfelget,
und zu mir kommet, fo will ich mit Euch theis
len, als Lange ich einen Biſſen Brods habe,
denn wir find alte Gefellen, und gefchieht bils
lich, was ich mich erbiethe, Gott flärfe Euch,
und habt einen guten Muth, Gott wird wohl
helfen, wenns Zeit ifl. Hoffe aber zu Gott,
der Teufel wird fo ſchwarz nicht ſeyn, ald man
ihn machet. Lieber Schwager, laßt nur Gott
wolten, und bitten durch Chriſtum, er wird
helfen, und fic) gewiß fehen Laffen durch Bitte
der armen Chriften. Es iſt viel beffer , das
Zeitliche hintangefezt, ald das Ewige, Thue
Eudy hiemit Gott dem Allmächtigen befehlen,
Fuͤrſt Wolfgangs zu Anhalt. 15
Ä nd bin Euer armer Kuscht. Eilende u Si .
pern, Mittwoch nad Egibü 1548.,,
An. 1550 fand er Karfuͤrſt Morizen zu
Sachſen in ber Belagerung und nachhero Ver⸗
handlung mit der Stadt Magdeburg bei, und
ließ fh zum Statthalter allda beſtellen. Ende
lich wurde er in Folge bed Paſſauer Friedens
nebſt andern Fürflen der Acht entbunden, und
in feine Lande wieber eingefezt. Seine neue
Regierung war mit vielen loͤblichen Thaten
aut Aufalterı bezeichnet, im Fahre 1562 aber
übergab er feine Lande feinen Vettern, um
nach erlebtem 7ojährigen Alter feine noch
übrigen Tage ruhiger zuzubringen. Cr behielt
fh une dad Schloß Kopwi zur Wohnung,
and ein fehr mäßiged Depntat an Gelb bes
vor, machte aber die Verfügung , ba er alle
Tage eine Predigt hören könnte, theils in feis
wem Schloße, theils in Zerbſt, wohin er noch
ia kinem hoben Alter alle Woche einmal ritt,
fand ſich auch alle drei, vier Wochen beim heit,
Albendmahle ein.
Sm Sahre 1565 machte er im September
kin Teſtament, warb aber noch in eben dem
14 Charakt. Lebens⸗Zuͤge
Gott nicht verlaͤugnen, ſondern bei ſeinem lie⸗
ben Wort bleiben, es gehe darüber, was Gott
verhänget. Die Stätte allbier halten noch als
le, Gott Lob! fefle bei Gott und feinem Wort,
und auch alle die See » Stätte. Der König
in Dännemark wird auch bei Gott und feinem
Wort bleiben, und follte er auch darüber bets
Nteln gehen. Gott flärke ihn, es wird nun
heißen, dad Krenz bemeifen mit der That, doch
verſehe ich mich, Ihr werdet auch bei dem lies
beu Gott bleiben, und fo Ihr allda verfolget,
and zu mir kommet, fo will ich mit Euch theis
len, als lange ich einen Biſſen Brods habe,
denn wir find alte Gefellen, und geſchieht bils
lich, was ic; mich erbiethe, Gott flärfe Euch,
und habt einen guten Much, Gott wird wohl
helfen , wenns Zeit iſt. Hoffe aber zu Gott,
der Teufel wird fo ſchwarz nicht ſeyn, ald man
ihn mache. Lieber Schwager, laßt nur Gott
walten, und bitten durch Chriflum , er wird
helfen, und ſich gewiß fehen Laffen durch Bitte
der armen Chriſten. Es iſt viel beffer , dad
Zeitliche hintangefezt, ald das Ewige, Thue
Euch hiemit Gott dem Allmächtigen befehlen,
Fuͤrſt Wolfgangs zu Anhalt. 15
nnd bin Ener armer Kuecht. Eilends zu Giff
horn, Mittwoch nach Egidii 15487,
Un. 1550 ſtund er Kurfuͤrſt Morizen zu
Sachſen in ber Belagerung und nachhero Vers
handlung mit der Stadt Magdeburg bei, und
ließ ſich zum Statthalter allda beſtellen. Ends .
lid) wurde er in Folge bes Paſſauer Friedens
nebſt andern Fuͤrſten der Acht entbunden, und
in feine Lande wieder eingefezt, Seine nene
Regierung war mit vielen loͤblichen Thaten
unt Auflalten bezeichnet, im Jahre 1562 aber
übergab er feine Lande feinen Vettern, um
za erlebtem Tojährigen Alter feine noch
übrigen Tage ruhiger zuzubringen. Er behielt
fh une das Schloß Koßwick zur Wohnung,
und ein ſehr maͤßiges Deputat an Geld bes
vor, machte aber die Verfügung , daß er alle‘
Rage eine Predigt böven Eönnte, theils in feis
nem Schloße, theils in Zerbſt, wohin er noch
in ſeinem hohen Alter alle Woche einmal ritt,
hab ſich auch alle drei, vier Wochen beim heil.
Abendmahle ein.
Im Jahre 1565 machte er im September
fin Teſtament, ward aber noch in ehen dem
3
N
16 6Charakt. Lebens⸗Zuͤge
Monate von einem mit vielen Bangigkeiten be⸗
gleiteten Fieber heimgeſucht, ſo daß er ſich ge⸗
gen feinen Prediger Ulrich beklagte: daß ihm
aller Troſt aus dem Herzen weichen wolle;
worauf ihm diefer zugefprochen: Er habe Gots
ted Wort und Verheißung vor fi, wäre auch
dein Herrn Ehrifto viel zu fauer worden, als
daß er ihn verlaffen follte. Ex erbolte fid) aber
wieder fo, daß er auch zu feinem angefariges
nen Kirchenbau reuten kounte, davon er fags
te: Ich will, ob Gott will , diefen Vogels
bauer vollends bauen helfen, ehe ich ſterbe,
Gott wolle hernach gute Sangs Vögel darein
befcheren. |
Sm folgenden Sahre uͤberkam er die vos
rige Schwachheit, er ließ ſich alfo feinen Sterbs
Kittel machen und zuvecht legen, und befahl,
wenn ihn Gott abfordern würde, ihn nicht
andzuziehen, noch zu entblößen,, Taufte alles
zu feinem Leich⸗Begaͤngniß und Trauer ges
hoͤrige ſelbſt ein, und beſchaͤftigte ſich mit taͤg⸗
licher Anhörung der Predigten und erbauli⸗
chen Betrachtungen, betruͤbte ſich auch ſehr,
daß er wegen des zunehmenden Huſtens und
Erbrecheus
|
|
Für Wolfgangs zu Anhalt. 17
}
f
Erbrechend das heilige Abendmahl nicht mehr
genießen konnte, er dankte Gott ſehr demuͤ⸗
tig für die Erkenntniß der Evangeliſchen
Mahrheit, nnd als ihm den Tag vor feinem
Ableben der Spruch aus dem 118 Pfalm ans
geführt wurde : Ich werde nicht flerben, fons
bern leben; fezte er hinzu? Ich werde ſchla⸗
fen; und fo entfchlief ex auch folgenden Tages
in dem Glauben, dem er beLanut, und mit feis
ver Wahlfpruche: Chriftus fpes una falutis,
verſiegelt hatte.
Eine befondere Freude ward ihm noch auf
feinem Krankenbette zu Theil, ba er gelegens
heitlich gegen den Prediger Ulrich feines (wie
er ihn nannte) alten Herrn, bes Erzbifchofs
Eruft von Magdeburg ermehnte, und von ihm
ruͤhmte: daß er gottesfürdhtig, weife, fchleche
und gerecht, auch wohlthätig geweſen, viel ges
banet, und einen flatslihen Hof, auch vice
Fürften und Herren baran gehalten, und gleiche
wohl mit Schazungen feine Unterthauen nicht
beſchweret habe. Pfarrer Ulrich fagte darauft
Euer Gnaden laffen bad Beßte außen, er if
auch wohl geſtorben. Ach das wollte ih, er⸗
patr. Archiv, In Che, 8
es
18 Charakt. Leb. Zage F. Wolfg. ec.
wiederte Fuͤrſt Wolfgang, Ihm gerne, gerne goͤn⸗
nen, Kan aber wohl denken, wie ed zu der Zeit |
zugegangen. Der Pfarrer verfezte darauf: Er
bat ein vecht Evangeliſch Ende genommen, denn
da ihm anf feinem Todbette zween Mönche alle
ihre und ihres ganzen Ordens gute Werke zum
Pfande ſeiner Seligkeit angeboten, hat er ih⸗
” nen geantwortet: Klein traun, ich begehrte
eure Werke nirgend zu, meines Serrn
Jeſu Chrifti Werte die muͤſſens alleine
thun. Worauf ſich der alte kranke Herr von
Herzen erfreuet und gefpröchen: Wohlen, Hat
er das bereits zur ſelben Zeit geſpro⸗
- hen „fo ift es wahrlich viel, fo werden,
‚ob Bott will, Herr und Knecht bald
wiederum beifammen feyn.bei unſerm
Tieben Herrn Chriſto. |
.
CHR
[1 * *
⁊
De
I.
Leben
Herzog Cherhard Ludwigs
zu Wuͤrtemberg. |
Geb. den 18. Sept. 16776, geſt. den 31. Det.
1733.
.
2*
=. — — einen = - a
em 0 Ss ar
— N —
Nr kurze, aber gebrängte Lebend-Befchreis
bung Herzog Eberhard Ludwigs zu Würtents
berg iſt aus eben dem fchriftlichen Aufſaze bes
verſtorbenen Geheimen Rache Herz genoms
men, von weldyem im erſten Theile dieſes Werkes
©. 107 Rechenſchaft gegelen worben.
Freilich lieſet fi die Spittlerifche Res
Verungs⸗Geſchichte Diefes zürflen ungemein an⸗
genehmer; ald Lebrusizuf, und in Hiuſicht anf
Zhatfachen iſt und Meibt aber jene immer
brauchbar und ſchaͤzbar, nud iſt dabei nicht zu
vergefien , daß ber ganze Aufſaz nicht fürs
Publikum, fondern zum PrivatsUnterricht eis
ned jungen Fuͤrſten gefchrieben war, wobei der
mündliche Vortrag vieles ergänzen und berichs
tigen konnte. Auch ift für ben unpartheiifchen
aufmerkſamen Lefer immer was werth, eine und
eben diefelbe Geſchichte von einem befoldesen ehr⸗
lichen Fürftendiener einerfeits, und daun aud)
don einem philofophifchen Kopfe und freidenken⸗
den Manne erzählt und beurtheilt zu leſen.
B 3
22 Leben
“ * |
Herzog Eberhard Ludwig war ber zehnte
Herzog von Würtemberg, einiger Sohn feines
Worfahrers, Herzog Wilhelm Ludwigs. Cr
war gebohren den ı fen Geptemb. 1676, und
noch Fein völliges Jahr alt, als fein Herr Was
ter ſtarb; daher fiel das Herzogthum unter eine
Adminiſtration.
Ueber dieſe entſtunden große Sreetigfeiten
zwifchen dev Frau Mutter, des Herrn Vaters
Bruder Herzog Friderich Karl, und des Großs
herrn Vaters Bruder Herzog Friderich von
Neuenſtatt. Jene berufte fih auf die gemeinen
Rechte und ihre Ehepakten, welche ihr die Vor⸗
mundſchaft zulegten. Herzog Friderich Karl
wollte zwar die Frau Mutter von der Vor⸗
mundſchaft uͤber die Herzogliche Jugend nicht
ausſchließen, die Landes-Adminiſtration aber
allein haben, und berufte ſich hierunter auf das
Herkommen des Herzoglichen Hauſes und das
Teſtamentum Eberhardinum. Herzog Fri⸗
derich von Neuenſtatt machte wider bie Frau
Mutter gemeinſchaftliche Sache, wollte aber
den Herzog Friderich Karl der Urſache wegen .
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 23
serbringen , weil diefer ſelbſt noch nicht 25 Jahr
alt, felglich felbft noch minderjährig, und die
Adminiſtration zu führen unfähig fei.
Die Sache wurde am KRaiferlichen Hofe ans
bängig gemacht, wohin ſich gleichbald Merzog
Friderih Karl in Perfon begab, und vorderſt
‚ben einen Kompetenten, Herzog Friderich von
Meuenflatt, dadurch vom Hals brachte, daß
er die Sache fo viele Monate trainixte, als
ihm zur völligen Majorennität annoch abgien⸗
gen. Zwiſchen der Frau Mutter aber und ihm
wurde die Sache ferner in Schriften verhans
beit, und biß auf den Spruch getrieben, ends
Iih aber unter Kaiferlicher Vermiltelung im
Sahre 1678 ein Vergleich getroffen, kraft deſ⸗
fen die Vormundſchaft gemeinfchaftlih , bie .
Adminiſtrativn aber, nach der Obſervanz des
Herzoglichen Hauſes, von dem Herzoge allein
gefuͤhret, jedoch in beiden das Geheime Raths⸗
Kollegium, nach Vorſchrift des Eberhardini⸗
ſchen Teſtamentes, als Mit⸗Vormuͤnder ads
mittirt, auch der Frau Mutter auf Verlangen
von den wichtigſten Angelegenheiten Nachricht
gegeben werden ſoll. | |
Bu
4 Reben
Die Herzogin war alfo von der Landes⸗
Adminiftration fo ganz ausgeſchloſſen, daß,
als fie währender Gefangenfchaft des Herrn
Adminiſtrators ſich derfelben nur etlichermaſſen
unter ihrem eigenen Namen unterzogen, der
junge Herzogliche Herr Bruder ſich am Kaiſer⸗
lichen Hofe darüber beſchwerte, und vom Kaifer
Leopold ein befonderes Salvations⸗Dekret hers
and brachte, daß ſolcher von der Frau Herzogin
vorgenommene Aktus dem Herzoglichen Haufe
und deſſen Herkommen zu keinem Praͤjudiz ge⸗
reichen ſoll.
Der Herr Adminiſtrator führte bie Regie⸗
rung von An. 1078 bis 1092 mit vieler Wuͤr⸗
de, mittler Zeit er auch in ſeiner Ordnung zum
Kaiſerlichen Generals Feldmarſchall ernennet
worden.
Nur erweckten die angeſtellten Werbungen
zu Venetianifchen Dienſten im Lande einiges
Mißvergnägen, und wegen der Feſtungsbau⸗
Gelder wurbe er von ber Landſchaft beim Kais
ſer verklägt:
Unter ihm wurde, aus Gelegenheit einer
Reichs⸗Defenſiond⸗Verfaſſung, der Grund zu
%
H. Eberh. Audw. zu Würtemb. 25
ter Kreis Militar: Eoucurten; gelegt, unb
turch den großen Anslhuß > Tags » Abjchieh‘
vom Sabre 1081 auf zwei Kompagnien zu.
Pferd à 100, mb vier Kompaguien ;u Fuß ä
200 Maum geſezt.
Die Concurrenz des geiſtlichen Gutes zu
den Landes⸗ Praeftandis wurde bei allen Gele⸗
genheiten von ber Laͤndſchaft ſtark urgirt, aud
jeterzeit auf Abſchlag etwas geliefert, die volls
Iommene Herſtellung des dritten Theiles aber
von nem Convent zum audern vegihoben,
Uster feinen rühmlichen Verrichtumgen vers
dient die Erbau⸗ und Stiftung bed Ötuttgarder
Oymnafii auch einen Plaz. «
Er hatte zu feiner Appanage die Gefälle
zu Winnenthal erhalten, wovon.er nad) abges
legter Abminiftration mit feiner zahlreichen Fa⸗
milie ſubſiſtiren muͤßen; hatte aber doch fo gut
hansgehalten, daß er ein namhaftes Kapital
zurüdgelaffen, und mit einem Fideicommiß bes
legt hat. |
An. 1684 fielen die Sranzofen ind Land,
und befeztem Tübingen, Stuttgard und Afperg,
welch lezteres fie beim Abzuge geſprengt. |
5
—
ET Reben
An. 1689 wurde der Herr Adminiſtratoe
bei Drtiöheim nach einer unglüdlichen Rencons
tre von ben Franzofen gefangen, und nad) Pas
ris geführt. Der König ſchenkte ihm aber gleich
bei der erfien Audienz die Freiheit, und geflats
tete ihm, in feiner, des Königs, Gegenwart den
Aut anfzufezen, welches bei den Franzoſen nicht
geringe Jalouſie erwedte.
Bon biefer feiner Ubwefenheit and Fata⸗
Iität wußte man zu profttiren , und bei Dem
Kaiferlihen Hofe für den inzwifchen in bag
ı7te Sahr getvetenen Prinzen veniam ztatis
"herauszubringen. E8 verdroß folched den Herrn
Adminiſtrator, und begab fich derowegen ſelbft
nach Wien „beſchwerte ſich, daß man ihn hin⸗
tergangen, vornehmlich aber über das üble
Nachreben, ald ob er mit Frankreid in ein
Verſtaͤndniß eingetreten, weßwegen er Satis⸗
faction forderte. |
In feinem HauptsGefuche, daß nämlich die
Venia ætatis wieder aufgehoben, und er aufs
neue, wieber in bie Adminiſtration eingeſezet
| werben möchte, konnte er zwar nicht reißiren,
doch ertheilte ihm der Kaiſer ein Dekret, daß
s.Cberh.2ubw. zu Wärtemb. =;
tiefer Borgang Um am feuer Hirten Res
putation umnachtheilig , auch Ser Drriog Eters
hard Ladwig amgerrichen fern i:T, fh iz zrüche
tigen Sachen feine? guten Ratbes ;u keiienen.
Er lebte aber hierauf wide mehr lange, ſtarb
den zofte Dec. 1698 mit Dinterlsneng vier
Söhne zub einer Prinzefin,, welche ſich am
ten Morggrafen son Brandenburg⸗ Asſpach
dermaͤblt.
Der auf ſolche Weiſe ſelbſt regierente Her⸗
vꝗ Sechard Ladwig num hatte waͤbrender
Misterjibrigfeit bei tem An. 1688 erfelgten
Eiefalle der Franzoſen in feinen Larten ſich
nah Regenfpurg retirirt, uud An. 1690 bed
Rimiihen Königs Joſephs L Krönung in Aays
fpurg beigewohnet.
Der Antritt feiner Regierung war unges
mein beſchwerlich, indem er in das 1693ſte
Sahr einfiel, barinnen dad Herzogthum durch
bie Franzöfijchen Snvaftonen feyr ruinirt, im
Sontribution gefezt, und dadurch große Noth
und Theurung verurſacht wurbe. Er blieb defs
fen ohngeachtet bem Kaifer und Reiche treu, ließ
fine Truppen bei ber Reichs-Armee fechten,
sg geben
uud that bieſer allen nur erfinnlichen Vorſchub
wohnte auch den geſammten Feldzuͤgen in eige
ner Perfon bei,
In dem nämlihen Jahre, da der Trieb
gu Ryßwick gefchloflen wurde, vermäblte «ı
fi) mit Johanna Eliſabeth, einer Prinzeßir
von Baden⸗Durlach.
Zu gleicher Zeit ordnete er eine Geſand
ſchaft am ben Kaiſerlichen Hof ab, welche bai
dem Herzoglichen Haufe zuftehende Erb⸗ Pan
niers Amt, oder Erz⸗Faͤhndrichs⸗Amt, geger
Kurs Braunfdmweig verfechten, mud die Der
ſtellung eines Voti In dem Reichs » Fuͤrſten
Rath wegen bed Herzogthums Ted nachſucher
mußte. Jenes betreffend exrhiele die Gefand
(haft, alled gegenfeitigen Widerſpruched unge
achtet, im Jahre 1699 ein favorables Raifer
liches Dekret, welches, als die Sache An. 171:
wieder in Bewegung Fam, nochmald beflätti
get, und dadurch das für Kurs Braunfcdiweii
projektirte Erz » Faͤhndrichs⸗Amt rüdgängii
wurbe. Wegen bed Teckiſchen Voti ſuchte maı
die ſchon An. 1690 ertheilte Ratferliche Verſi
cherung, daß, fobald der Reichs⸗Fuͤrſten⸗Rat
u
H.Cherh. Ludw. zu Würtemb. 29
m eig Katholiſches Votum vermehrt würbe,
aledann Würtemberg auch confolirt werden
ſollte, nunmehr, nachdem An. 1694 Pfalzs
Sulzbach introbucirt , und die Landgrafſchaft
Kleggan in ein Fuͤrſtenthum erhoben worden,
folglich die gefezte Bedingung geboppelt erfülle
war, zur wirklichen Vollziehung zu bringen,
konnte aber wegen vieler Widerſpruͤche und ans
derwärtiger gleichmäßiger Prätenfionen nicht
veäfiren. |
An. 1700 that der Herzog eine Reife durch
bie geſammten Niederlande , Engelland und
Frankreich , allwo er ben Hof Incognito befab.
Bald darauf gieng der Spanifche Succefe
ſions⸗Krieg an, ba ſich, dann der Herzog durch
keinerlei Verſprechungen oder Drohungen von
feiner Treue gegen ben Kailer, das Reich und
bad Erzhaus Deflerreich ableiten ließ. Viel⸗
mehr brachte er es bei dem Schwäbifchen Kreiſe
dahin, daß fich derfelbe mit den benachbarten
vier Kreifen afjoclirte, und nachher An. 170%
in die große Allianz zum Vortheil des Hauſed
Oeſterreich eintrat. Es war dieſes viel gewagt,
da Rurs Baiern auf bie Franzoͤſiſche Seite ges
f
"30 . Reben
treten war, folglich dad Herzogthum feiner 8:
ge nach auf beiden Seiten zwo maͤchtigen Feiı
den offen fund. Inzwiſchen verließ fich de
Herzog auf die gute Sache, und bie von be
Alliirten erhaltenen Verfiherungen, fezte fic
in gute Pofitur, and) die Kreiss Miliz auf ei
nen guten Fuß, und wohnte allen Feldzuͤger
ſelbſt beiz wie er baun der Belagerung LZandaı
zweimal, nämlid) An, 1702 und 1704, in
gleichen den Schlachten bei Dietfurt, Schellen:
berg und Hoͤchſtaͤdt An. 1703 und 1704 mil
feinen Trouppen beigervohnet , und befonders
in der lezten große Tapferkeit gezeigt. Vor⸗
nehmlich aber that er. den Engelländern und
Holländern mit Succurs aus feinen Landen
großen Vorſchub, und half dadurch den Sieg
bei Hoͤchſtaͤdt merklich befördern. Auf folche
Decifi» Schlacht wurde ganz Deutfchland, vors
nehmlich aber der Schwaͤbiſche Kreis und das
Herzogthum Wuͤrtemberg von dem bevorges
fiandenen aͤußerſten Rain und Sklaverei errets
tet. Es half auch ferner der Herzog die Fran⸗
zoſen und Baiern vertreiben, wo ſie noch Pole
gefaßt hatten,
mo — re mu
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb, 31
Dieſe vielfachen Perdienſte wurden von dem
Kaiſer und Reich, auch geſammter Generali⸗
tät, mittelſt der verbindlichſten Dankſagung er⸗
kanns. Nachdem hierauf ganz Baiern einges
nommen, unb von ſolchen dem Reiche heimges
fallenen Landen verfihiebenen Ständen zu einis
ger Indemniſation der erlittenen Schäden und
Koſten ein» und anderes zugetheilt worden, fo
erhtele Würtemberg die ihm fo mohlgelegene
Herrſchaft Wiefenfleig , allwo bie Huldigung
wirklich eingenommen wurde. Als aber die
Baieriſchen Bauern zu Gunſten ihres vertrie⸗
benen Kurfuͤrſten wider die Kaiſerliche Apmis
niſtration einen Aufſtand erregten, ſtillte der
Herzog das ſich gefaͤhrlich angelaſſene Feuer
durch ſeine in der Eile dahin abgeordneten Troup⸗
pen, wobei daun freilich ben Bauern nicht zum
Beßten gewartet wurde.
Wie nun durch dieſes Betragen des Her⸗
pogo die Feinde in große Wuth gegen ihn geſezt
warden, alfo ließen fie ſolche im Fahre 1707
durch einen Einfall in das Herzogthum, bei
damals geſchwaͤchter Reichs⸗Armee, heftig aus,
Um den angefangenen Brennen und Plüudern
42 Leben
gu ſteliern, mußte man ſich zu einer Contribu⸗
von 1200, ooo Gulden verſtehen, und haste
das Herzogthum, uͤber die zum Beßten des
Reiches aufgewandten Kriegskoſten, bei benen
ſonſt fo gluͤcklichen Waffen der Alliirten, gleich⸗
ſam allein das Ungluͤck, deren Feindſeligkeiten
erfahren zu muͤßen. Hernach aber wurden theils
am Rheine gute Auſtalten, theils anderwaͤrts
den Franzofen fo viel zu ſchaffen gemacht, daß
den ganzen noch gewährten Krieg über bas Laud
gegen feruere feindliche Einfälle gedect geblie⸗
ben. ‘
Ingleihen hatte der Herzog feine in 5000
Dann beſtandene Hands Trouppen durch einen
befondern Traktat in Hollaͤndiſchen Gold übers
Yaffen. Diefe haben den vielen ruhmvollen
| Feldzuͤgen in den Miederlanden und beneu ba
und dort vorgefallenen merkwürdigen Schlache
ven und Belagerungen beigewohnet, und dem
Wuͤrtembergiſchen Namen viel Ruhm erwors
ben.
Als An. 1709 bie Friedenn⸗Traktaten an⸗
gefangen wurden, beſchickte der Herzog ebenfalls
ben Congreß zu Gertruydenberg, and ließ auf
Suderhnifation
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 33
Fademniſation des von den Franzofen erlittenen
sub auf 15 Millionen berechneten Schadens
dringen. Die Zraktaten zerfäylugen ſich aber,
und der Krieg gieng von nenem anz und weil
| der Herzog inzwifchen vom Kaifer und Reiche,
als auch vorhin vom Schwaͤbiſchen Kreife zum
Gen⸗ ral⸗Feldmarſchall erklaͤrt worden, fo wurs
de ihm im Sabre 1711 und 1712 die Reichs⸗
Armee am Rheine en Chef zu commandiren
auvertraut. Man gieng aber damals nur de⸗
fenſive, und als nach geſchloſſenem Utrechter
Frieden Un. 1713 bie Franzoͤſiſche Armee an
den Rhein 309, fo mußte auch der Kaiſer alle
fine Force daſelbiſt fammeln, worüber der Prinz
Eugenins von Savoyen das Commando führte,
Diefer konnte aber nicht hindern, daß Die Frans
zofen nicht Landau und Freiburg hinweg nah⸗
men, und mußte deßwegen auf fchledhte Bedin⸗
gungen Frieden madıen.
Durdy dieſen Frieden mußte Würtemberg,
auftatt verhoffter mehrerer Gatisfaction, fogar
das erhaltene Wieſenſteig an Kur⸗Baiern wies
der abtreten.
patr. Archiv, III. Theil. c
34. Keben
Nun hoffte das Land von den fo viele Fahre
hindurch audgeflandenen Kriegs s Erpreflungen
und dadurch veranlaßten vielen Anlagen befreiet
zu werben; ed wollte aber der Herzog bie Haus⸗
Zronppen nicht abdanken, und deßwegen bie
von der Landfhaft bisher zu Kriegäzeiten vers
willigten Kriegs⸗Stenern fortfegen. Die Lands
ſchaft fuchte fich diefelbe zu verbitten, und vers
meinte, kraft des Tuͤbenger Vertrags, zu Un⸗
terhaltung einiger Miliz bei Friedenszeiten
nicht gehalten zu ſeyn; der Herzog aber gab
nicht nach, und mußte daher die Landſchaft ihm
hierinn zu Willen werden. Damit aber die⸗
ſe nicht um ihre Privilegien gebracht wuͤrde,
wurde das Temperament getroffen, daß ſo⸗
thane Unterhaltung nur auf einige Jahre, und
zwar ſalvis Compactatis verwilliget werden
ſollte.
Alſo hatte das Land von ben fo langen Fries
denszeiten fchlechte Erleichterungen , indem die
Unterthanen die Unlagen, wie zu Rriegdzeiten,
_ fortreichen mußten. Denn obfchon die Manns
(haft nicht ſtark war, fo befand fie fid) doch
anf einen fo koſtbaren Fuß, und mit fo vie⸗
H. Eberh. Ludw. zu Wuͤrtemb. 35
len Offiziers verſehen, daß um ein gleiches
Geld eine viel ſtaͤrkere Miliz haͤtte unterhal⸗
ten werden koͤnnen. Abſonderlich hatte der
Herzog eine ungemein koſtbare Garde zu
Pferd, welche fo viel ald ein ganzes Regiment
koſtete.
Von An. 1708 an hatte er eine von Graͤ⸗
veniz zur offentlihen Maitreſſe angenommen,
welche ihm der Fuͤrſt von Hohenzollern⸗Hechin⸗
geu recommendirt, und zwar mit Verlaſſung
feiner Semahlin. Diefe führte hieräber Klage
am Kaiſerlichen Hofe, und erhielt ein Refcript:
daß jene aus dem Lande mußte, Sie war aber
kaum fort, fo vitt ihr der Herzog nad), und hielt
fih einige Zeit bei ihr mit großen Koflen zu
Geneve auf. Man fuchte allerlei Gelegenheit,
an die Herzogin zu fommen, es wollte fi aber
nichts finden. Weil nun der Derzog von ber
Graͤveniz durchaus nicht laſſen mollte, fo wurde
die Auskunft getroffen, daß man ihr einen ges,
wiſſen Grafen von Wuͤrben zum Mann gab,
flbigen zum Land⸗Hofmeiſter declarirte, zugleich
aber.mit einer Penfion von 5000 Gulden außer
Raub ſchickte. Da hieß es dann: der Raifer
ea
36 Reben _
koͤnne einem Reichsfuͤrſten nicht vermehren, Die
Frau von feinem vornehmflen Minifler an feis
nem Hofe zu haben, ba doch der Herzog heim⸗
Lich mit ihr getrauet war. Im der That melirte
ſich auch der Kaiferliche Hof nicht mehr fonders
lich in diefe Sache ; vielmehr wurbe bie von
Gräveniz mit ihrem inzwifchen herbeigezoges
nen, vom Hauptmann zum Premier » Minis
fler und Ober» Hofmarfhall avancirten Brus
der von bem Kaifer in ben Meichds Orafens Ä
fland erhoben.
Sie wußte ben Herzog alfo zu gouverniren,
daß bei Hof und im Miniſterio alle. Perfonen,
die ſich nach ihrem Willen nicht accommobiren
wollten, wenn fie and) ſonſten des Herzogs Herz
befeffen, fort. mußten. Sie formirte darauf ein
Kabinet, oder Geheimes Conferenz⸗Miniſte⸗
rium, barinn fie felbft, nebft ihrem Bruder und
Bruderd Sohn faß. Durch diefes Kabinet wurs
den alle Affairen traktirt, und weil man nicht
fo viel audarbeiten Eonnte, ald man aus interefs
firten Abſichten an ſich zog, fo blieb unendlich
viel liegen, und wurde alles, zum großen Senf
zen ber Unterthanen, verjögert.
H. Eberh. Lubv. zu Wärtemb. 37
Ihr einiges Dichten und Trachten war, fi
zn bereichern, befwegen allerhand Mittel uud
Wege erſomen worden, bie Unterthauen ums
Geld zu bringen. Bornehmlic, bradhte fie auf
die Bahn, alle Aemter und Dienfle um Sch
zu verfaufen, und zwar ohne Unterſchiebd, es
mochten Herrſchaſtliche, oder Commun > Dienfle
feyn; da doch leztere von den Communen za
vergeben flehen, und folche alfo um ihr Mahle
Rede gebracht wurden. Außer biefem
Chatoslls Gelde mußten die Beamte noch zu
verſchiebenenmalen flarfe Aulehnungen an bie
Herzogliche Kammer than , and) wurden fie
gensthiget, ihre Amts⸗Cautionen baar zu ers
legen.
Weil nun durch dieſe dreifache Veſchwer⸗
den von Chatoull⸗Gelde, Anlehnungen und
Esution die Land⸗Dienſte fehr hoch zu ſtehen
Iomen , fo entſtund für bad Land ein gebops
peltes Unheil, daß einedtheils eine Menge ums
tihtiger Beamten im Lande angeflellt , ans
herutheild aber diefelbe verankaffet wurden, ihr
ansgelegte® Geld auf allerhand ungerechte Art
son bes a Unterthauen „ oft auch mit großem
e3
36 Leben F
koͤnne einem Reichs fuͤrſten nicht verwehren, die
Frau von ſeinem vornehmſten Miniſter an ſei⸗
nem Hofe zu haben, da doch der Herzog heim⸗
lich mit ihr getrauet war. In der That melirte
ſich auch der Kaiſerliche Hof nicht mehr ſonder⸗
lich in dieſe Sache; vielmehr wurde die von
Gräveniz mit ihrem inzwiſchen herbeigezoge⸗
nen, vom- Hauptmann zum Premier » Minis
ſter und Ober» Hofmarfhall avancirten Bru⸗
der von bem Kaifer in ben Meichds Grafens
fland erhoben.
Sie wußte ben Herzog alfo zu gonverniren, .
dag bei Hof und im Miniſterio alle. Perfonen,
die ſich nach ihrem Willen nicht accommodiren
wollten, wenn fie auch fonften des Herzogs Herz
befeffen, fort mußten. Sie formirte darauf ein B
Kabinet, oder Geheimes Conferenz» Miniftes .
rium, darinn fie ſelbſt, nebft ihrem Bruder und |
Bruders Sohn faß. Durch dieſes Rabinet wurs
den alle Affairen sraktire, und weil man nicht ı
fo viel andarbeiten Eonnte, ald man and interefs
firten Abſichten an ſich zog, fo blieb unendlich
viel liegen, und wurbe alles, zum großen Senfs ;
zen ber Unterthanen, verjögert.
in
!
5. Eberh. Ludw. zu Würtemb, 37
Ihr einiges Dichten und Trachten war, fi
zu bereichern, deßwegen allerhand Mittel und
Bege erſonnen worden, bie Unterthanen umd
Geld zu bringen. Vornehmlich brachte fie auf
die Bahn, alle Aemter und Dienſte um Gelb
m verkaufen, und zwar ohne Unterfchied , es
| mohten Derrichaftliche, oder Commaun » Dienfle
ſeyn; ba doch Teztere von den Communen zu
vergeben ſtehen, und folche alfo um ihr Wahls
Recht gebracht wurden. Außer dieſem
Lhatoull⸗Gelde mußten die Beamte noch zu
verfchiebenenmalen flarfe Unlehnungen an bie
Herzogliche Kammer thun , auch wurden fie
genoͤthiget, ihre Amtes Cautionen baar zu ers
legen.
Weil nun burch bieſe dreifache Veſchwer⸗
den von Chatoull⸗Gelde, Anlehnungen und
Caution die Land⸗Dienſte ſehr hoch zu ſtehen
kamen, fo entſtund für das Land ein gebops
yeltes Unheil, daß einedtheils eine Menge uns
tihtiger Beamten im Lande angeftellt , ans
berntheils aber diefelbe verankaſſet wurden, ihr
wsgelegted Geld auf allerhand ungerechte Ars
mm dem 2 Unterthauen ‚ oft auch mit großem
e3
2 Reben
Schaden ber Herrſchaft, wieber inſammen zu
ſcharren.
Es wollte aber alles biefeb, was fie und
bie Ihrigen an ſich gezogen, zu dem Ueber⸗
maafe der Depenfen gleidywohl nicht hinreichen.
Der Herzog hatte einen überaus koſtbaren Stall,
gu befien Unterhaltung man nicht Fourage ges
nug auftreiben Eonnte. Er hatte uuch einige
Jahre hindurch die Parforces Jagd geliebet, die
ebenfalld viel Geld koſtete.
Zu allem dieſem kam der Refivenz Bau
zu Ludwigsburg, welder dem Lande auf vie⸗
lerlei Weiſe hoͤchſt ſchaͤdlich geweſen. Anfangs
ſollte es zwar nur ein Luſt⸗ und Jagd⸗ Haus
werden, um aus Verbin gegen die Frau
Gemahlin ſich allda aufzuhalten. Es gieng
aber nach und nach weiter, und weil der Ders
zog gegen Stuttgard, ald den Aufenthalt der
Gemahlin , immer mehr Widerwillen und
Ubneigung bekam, fo verfiel er endlich dar⸗ |
auf, eine ganz neue Mefidenz aufzuführen. Es
wurde daher nicht unr ein ungemein koſtbares
Schloß gebauet, und zwar größtentheild von
dern geiſtlichen Gute, welches dadurch in eine
H.Eberh. Ludw. zu Wurtemb. 39
seße Schalbenlaft verfenft warte , foubern
man wollte auch fchledhterbings eine Stadt has
ben, und vermeinfe , durch erteilte Privile⸗
gien und zwanzig > bis Beeifig » jährige Be⸗
freinng bie Zente herbei zu locken. Weil bes
Bauen aber dennoch, nicht allzuhäufig werten
wollte, fo noͤthigte man bie Städte und Aem⸗
ter, eigene Hänufer allda zu erbauen, nachdem
fie aber erbanet waren, verſchenkte fie ber Her⸗
309, oder diſponirte fonfl darüber, als mit feis
wen Cigenthume.
Gewifchen wurbe nicht uur ber Hof nach
Labwigoburg verlegt, fonbern nad; und nach
ach alle Kollegin. Gleichwie aber weder
das Herzogliche Archiv, noch auch die zur Res
gierung gehörige fogenannte obere Regiſtra⸗
fur trandportirt werben konnten, alfo muß⸗
fen die Gefchäfte dadurch fehr beſchwerlich,
und für dad Herrſchaftliche Jutereſſe mißlich
werben.
Stuttgard wurde dadurch in üble Umfläns
be gefezt, weil der Bürgerfchaft fafl alle Nahe
zung entgieng. Weil auch Ludwigsburg bie
dritte Hauptſtadt des Landes ſeyn ſollte, ſo
| *
4 Leben
mußte fie auch zum Raubflande werben, und
ihren Buͤrgermeiſter in dem engern Ausſchuße
haben , ohngeachtet fie dem Lande noch nicht
incorporirt war. Iugleichen nıpßte fie auch
ein Amt haben, beßwegen von ben beuachbar⸗
sen Aemtern viele Flecken abgeriffen, und zu
Ludwigsburg gefchlagen worden, woraus abers
mal viel Unordnungen entfianden.
Meil es bei folher Haushaltung und dem
koſtbaren Hofe befländig au Gelde mangelte,
fo mußte man aufnehmen, wo man nur fonns
te, und wurden manche Revenuͤen verfezet „
dadurch dad Kamerals Wefen fo entkräfter
wurde, daß man viele Sahre ber Dieners
ſchaft nicht einmal ihre Vefoldungen reichen
konnte.
Den Herzog wußte die Maitreße mit be⸗
ſtaͤndig abwechſelnden Ergoͤzlichkeiten alſo zu
unterhalten, daß er von dem ſchlechten Zu⸗
ſtande feines Landes und Finanz⸗Weſens ent⸗
weder nichts erfahren, ober es doch nicht zu
Herzen genommen.
Der Herzogin that man binnen ſolcher Zeit
alles Herzeleid an, und ſie hatte nur kuͤm⸗
H. Eberh. udw. zu Wärtemb. gr
zerlic, ihre Subfifienz ; es buufie am, oe
ne in bie duferfle Ungwabe zu fallen, miss
mand zu ihr geben, welches be ale mit Ges
duld ertrug. Auch der einzige Erb⸗ Prinz
ſelbſt, ohngeachtet er bercits jeit 1717 wen
mählt war , wurde fehr Fur; gebalsen,, mub
durfte die Frau Muster kaum damz aut maus
feben.
Gleih vom Anſange hatte fih wider bie
Maitreffe unb ben Fürfien von Dohenzollerus
Keihingen eine Comfpiratige augeipounen, weis
de auf dem Schoͤubuch anf einer Tagb Ihren
Ausbrudy Härte nehmen follen, fo aber entdeckt,
berihiebene Perfonen in Berhaft genommen, _
zud peinlich prozeßirt, meiſtentheils aber deö
Landes verwiefen worben.
Der Hof s Diarfhall von Forfiner, ein
siljähriger Favorit des Herzogs, konnte ſich
nit der Maitreſſe nicht flellen, und mußte
bewegen fort 5 als er darauf verſchiedene
Briefe ind Land erloffen , und bie Maitreſſe
mit ihrem Anhange mit lebendigen Farben abs
gemahlt, befonderd aber ihr vormals geführs
€ 5
42 Reben
tes Leben befchrieben hatte, fo wurbe ein Kris
minal.⸗ Prozeß gegen ihm angeflellt, und er
condemnirt: in effigie gehenkt zu werben,
Mie nun diefes für mängiglich ein Zeugniß von
bem tachgierigen Charakter der Maitreſſe abs
. geben mußte, alſo getrauie fi fih auch niemand
mehr , ſich ihren Unternehmungen zu wibers
fen
Sie brachte ben Herzog dahin, daß er
über alles Gelb und koſtbaren Geſchmuck ihr
noch verſchiedene Güter, ald Stetten, Welz⸗
beim und Gochäheim , ihrem Bruder aber
Heimfen und Marſchalkenzimmern verehrte ,
wozu bie drei nächflen Herzoglichen Agnaten ih⸗
zen Sonfend zu geben auf allerlei‘ Urt ı verans
laſſet wurden.
Sie und ihr Bruder fuchten auf der Fräns
Eifchen Grafen⸗ Bank Siz und Stimme, ers
hielten auch folcyes mit vielee Mühe, Hatten
fic aber bei biefer Gelegenheit entzweiet, daß
beinahe der Bruder geflürzt worden.
Als diefes Weiber Regiment aufs hoͤchſte
gekommen war, und uͤber zwanzig Jahre ge⸗
H.Cberh.Lubtv. zu Würtemb. 43
währt hatte, emtleibete dem Herzog enblich ſo⸗
Herrſchſacht biefer Maitreffe „ und badıte bas
ber auf ermflliche Mittel, ihrer los zu wers
den. Es kamen tefiwegen auch viele Vor⸗
ſchlaͤge zur Ausſohnung mit der Herzogin auf
die Bahn, welche endlich nad) vielen Schwie⸗
tigfeiten , unter der mit eingemengten Hoffe
sung einer ſernern Succeßion, Eingang ges
fanden.
Es wurde die Sache alfo eingeleitet, daß
die Maitreſſe während einer Reife bed Her⸗
03 an ben Berliner Hof Au. 1731 fid) von
Hofe wegbegeben fol. Sie fezte ſich nach ihe
zer gewöhnlichen Meiſterloſigkeit heftig bages
gen, und ließ es auf bie lezten Tage der Zus
ruͤkkuuft des Herzogs anfommen. Doch gieng
fie endlich nach Stetten, und der Herzog in den
Deinach, allwo im Julio 1731 fi aud bie
Fran Merzogin eingefunden , und, zu mäns '
niglichens großen "Dergnügen, die Ausföhnung
geſchehen. |
>
4°. Reben
Nah ber Zuruͤckkunft auf Ludwigsburg
wollte man die Maitreffe nicht in der Nähe
haben, und wurde ihr befwegen bebeutet, ſich
von Stetten hinweg zu begeben. Auf vieles
Zureben that fie ed endlich, doch gieng fie nicht
weiter, als anf dad von ihr erkaufte Freu⸗
denthal. Um ſolches ihre Trozes willen,
und weildem Herzoge bie Augen immer mehr
aufgiengen, ließ. er fie durch ein Mlilitars
Commando abholen, und auf Urach in Arreſt
fegen. Es war aber ihr Bruder gleichwohl
noch immer in Gnaden, durch deſſen Wermitts
Yang und Unserhaublung fie mittelſt eined Vers
gleiches unb Abtrettung der vom Lande erhals
tenen Güter gegen ein Stuͤck Geld, wieder
los kam.
Die Frende über obgedachte Ausſoͤhnung
wurde durch den im October 1731 erfolgten
Tod des Erbprinzen ungemein gemaͤßiget, wel⸗
cher dem Herzoge um ſo naͤher zu Herzen gieng,
als nach dem An. 1718 geſchehenen Abſterben
ſeines einigen Enkels keine maͤnnliche Deſcen⸗
denz mehr vorhanden wär. u
5. Geh. Suite. u Birtenf. 15
Es wruime zw tie Genre eins
Eimanırıhlaajk za verizunn , zunbe am vom
Schumeishliere im üZhrer Ordemma al tekirier,
NE man im allen Sruben des Some Dad zes
wöbulidhe Geber verriäum. Es murte ter
nichts taramd, amt man mujte felbed im ciffs
As ım Zahre 1707 das Kaiferliche Kımmers
Gericht in Kraft eines Reihas Schlußes viſi⸗
firt worben , wurde Burtembera and) dazu
deputirt, und ſchickte Daher einen Rath dabin
ab, der bis 1713 daſelbſt verblieb, und den
Viſitations⸗ Receß errichten helfen.
Als die meiſten großen Fürftlichen Haͤuſer
das ihnen zuſtehende Poft»Regal vinbicirten,
führte mann auch in dem Herzogthume eigene
Poſten ein 5 weil man aber badurch mit dem
Kaiſerlichen Hofe und dem Fuͤrſtlichen Kaufe
46 Eeben
Taxis in Streit verfiel, fo nahm man Gelb,
und verglich ſich dahin, daß falvo jure von
Taxis die Poften zwar beftellt, doch aber Feine
anbere als Sanbedslinterthanen Dabei gebraucht
werben follen.
Denen fo ſehr überhand nehmenden Meichös
Ritterſchaftlichen Eingriffen zu begegnen, wur
de Un. 1718 zwiſchen Kur» Pfalz, Würz
burg, Brandenburgs Anfpah und Bayreuth,
Heſſen⸗Darmſtadt und Würtemberg eine Union
errichtet. Es, bezeugte aber der Kaiferliche
Koffein Mißfallen daruͤber, Kur s Pfalz trat
zuruͤck, aubere verglichen fich mit der Ritters
ſchaft, und fo wurde aus beim ganzen Werke
nichts. |
Es Fam andy zwifchen ben alt» Fürftlichen
Haͤuſern, zu Erhaltung ihrer Würde und Praͤ⸗
rogativen, eine Union aufs Tapet, woran Würs
temberg großen Theil hatte; fie mißfiel aber
gleichfalls dem Kaiferlihen Hofe, und geriech
daher ins Stecken.
Auf dem Kreis⸗Tage entſtunden An. 1718
mit Koſtanz weitausſehende Irrungen, dabei
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 47
ber Herzog dad feinem Hauſe privative zufles
bende Diredorium mit Nachdrucke und gutem
Erfolge vindicirte, bald aber mit Eoftanz wies
der in guted Bernehmen Fam, und ſolches bes
ſtaͤndig continnirte.
An. 1705 fiel durch Abgang ber Wuaͤrtem⸗
berg⸗Weiltingiſchen Linie dieſe Herrſchaft nebſt
Brenz, mittelſt Vergleich, an bad regierende
Haus.
An, 1723 ſtarb der lezte Herzog von Wuͤr⸗
temberg zn Moͤmpelgard, und die Lande deſ⸗
felben kamen ebenfalld an das regierende Haus,
Es entfiunben aber große Streitigkeiten bare
über, deren Ende ber Herzog nicht ganz er.
Unter andern Acquiſitionen hatte der Her⸗
305 von einem von Gülflingen die Orte Pfefs
fingen und Zeufringen erkauft, wurbe aber
mit der don Guͤltlingiſchen Familie und ber
Reichs » Ritterfchaft darüber in einen Prozeß
verwickelt.
Als An. 1733 die Franzöftfchen Troup⸗
pen den Rhein paßirten, und Kehl belagerten,
48 Leben H. Eberh. Rudi. zu Wuͤrt.
wußte man fih Würtembergifher Seits we⸗
gen ermangelnder Gegen s Berfaffung weder zu
rathen, noch zu helfen; es fand ſich daher der
Herzog genöthiget , fo ungerne er auch daran
am, ſich neutral zu erklären.
Mittler Zeit verfiel der Herzog in die vos
rige Bruſt⸗Krankheit, daran er auch den Zr.
Det. 1733 geftorben, nachdem er 57 Sabre ges
lebt, und 40 regiert hatte.
Er hat ein Teſtament gemacht, und darinn
nebſt verfchiebenen Legaten den ihm in ber Mes
gierung gefolgten Herzog Karl Alexander zum
Aniverfals Erben, die Prinzeßin Louiſe hinges
ger in den ihr gebührenben Plichi— Antheil
eingeſezt.
—
u. Teſtament
IL
Zeftament
Herzog Eberhard Ludwigs
| zu Württemberg
som 11. Gebruer 1732
formt deijen Eobicillen ;
nnd
hetzog Karl Aleranders
zu Würtemberg
Commifforium
zu Prüfung beffen Rechts⸗Beſtaͤndigkeit
vom 9. März 1736.
. . .
Aus beglaubten Handſchriſten.
Patr. Archiv, III. Theil. O
82 Teſtament
Eberhardi III. legibus Patriæ fundamen-
E ‚talibus adnumeranda funt.
Das Hauptſaͤchlichſte aber, was die Lands
Stände au dem Teflamente Herzog Eberhard
Ludwigs audzufezen gefunden haben, mögen
wohl diejenigen Stellen feyn, welche die Refls
denz Ludwigsburg und die geiftliche Kammer
betreffen, als welche allerdings nicht mit ber
ältern und bis jezo erhaltenen Landes⸗ Verſaſ⸗
fung uͤbereinkommen.
Die beeden Anhaͤnge beſagen, wellcher Ber
denken der Landes » Nachfolger, Herzog Karl
.Alexander, gehabt habe, bad Teflament fo
ſchlechterdings anzuerkennen, und mie dieſer
. Herr über Schulden, Allodium und. Reiche⸗
Juſtiz gedacht habe.
*
Im Namen der heiligen amd hochgelobten Dreis
einigkeit, Gottes des Vaters‘, Gottes des
Sohnes, und Gottes’ ded ‚heiligen Geiſtes,
der bie Meuſchen laͤßt ſterben, und ſpricht:
Kommet wieder Menſchen⸗Kinder.
Von Gottes SnadenWir Eberhard Luds
u , Herzog za Wuͤrtemberg und Teck, Graf
H. Eberh. udw. zu Würtemb. 33
za Mömpelgarb „ Herr zu Heidenheim ıc.
Ihro Roͤm. Kaiferl. Majeſtaͤt, tes 9. Roͤm.
Reichs, und des Loͤbl. Schwaͤbiſchen Kreiſes
Gereral⸗ Feldmarſchall, auch Obrifler ſowohl
über ein Kaiſerl. Dragoner⸗ als Schwaͤbiſche
Kreide Regiment zu Fuß ꝛc. Urkunden und
bekennen hiemit und in Kraft biefes: Demnach
Wir nicht nur bereitd Anno Chrifti 169 1, be
ger Oct. in Chriſtlicher Erinnerung Unferer
Sterblichkeit, und in Erwägung, wie ungewiß
Ver Tag und die Stunde, Zeit Unferer damalen
uch fürgewährten Dlinberjährigfeit , fondern
«ac in den Sahren ı 698, 1703 und 1705 vers
ſchiedene lezte Willens » Berorbnungen, Teſta-
menta und Codicillos errichtet, weldye zwar
ale Wir den 22ien San. Anno Chrifti 1722
tafgehoben, annullixt und widerrufen, dahin⸗
gegen aber unter obigem Dato felbigen Jahres,
iin anberwärtiged Teſtament and lezte Wils
Imd » Bexorbnung.. verfertigen , felbiged auch
der Roͤm. Kaiſerl. Mojeflde zu Allerhoͤchſtde⸗
roſelben Manutenenz und bereinfligen Execu⸗
tion, durch Unſere in andern Geſchaͤften nad
Bir abgefcgisfte, and hierzu fpecialiter bes
| D3
54 Zeflament- : --
fehligte Geſanbſchaft allerunterthaͤnigſt ͤberreẽ⸗
chen laſſen: Und aber nunmehro es dem Aller⸗
hoͤchſten gefallen, Uns ſamt Unferm Fuͤrſtlichen
Haufe empfindlich heimzufuchen , und Unfer&
Sohnes Liebden, den weiland Durchlanchti g⸗
ſten Fuͤrſten Friderich Ludwigen, Herzogen zu
Wuͤrteinberg und Ted, Grafen zu Moͤmpel⸗
Hard „ Beten‘ zu Heidenheim ꝛc. nach ſeine n
heiligen Rathe und Willen in die ſelige Ewig⸗
keit abzufordern, und dadurch in Unſerm gan⸗
zen Staate eine merkliche Veränderung zu tref⸗
fen ; Als' haben Wir aus dieſen und andern
wichtigen Beweg⸗Gruͤnden, Uns nach reifli⸗
cher Ueberlegung, zu dorher gepflogenem Rathe,
mit gutem Vorbedachte und rechtem Wiſſen,
bei annoch,, Gott Lob! fuͤrwaͤhrender guter Ges
fundheit/ Gemaͤths⸗ und Leibed⸗Kraͤften, ohn⸗
gezwungen und ungedrungen, freiwillig, von
Niemanden im mindeſten dazu verleitet und
uͤberrebet, wiffenilih und wohlbebächtlid enis
fhloffen, eine andere lezte Willens s Verorbs
nung in vim- perpetuo valiturse fandtionis,
legis & ftatuti pragmatici hiemit und in
Kraft biefed aufzurichten und zu verfertigen,
H.Eberh. Lubiw. zu Wuͤrtemb. 35
web bieferwegen fowohl bad erwähnte vom 22.
San. 1722, als and) alle übrige Unſere Te-
flamenta , Codicillos und Difpofitiones hie-
mit zu wiberruffen, zu annulliren, zu entkraͤf⸗
ten, zu kaſſiren und gänzlic) aufzuheben, thun
das auch gegenwärtig iu ber allerbuͤndigſten,
beften und befländigfien Form und Weiſe, wie
Wir ſolches nicht nur in allen Unſern vorhin
errichteten teflamentlichen Difpofitionen , und
befonders andy in ber vom 22ien Jan. 1722
auf das feierlichfle ſolchermaßen Uns reſervirt
Yaben, daß wir allezeit freie Hände, Macht
and Gewalt Uns vorbehalten wollten, felbige
gu verändern und zu vermehren, viel ober wes
sig zu ändern , gänzlid oder zum Theil abs
zuhun, und Unfern Fürfllichen lezten Willen
enberwärtig zu beclariren, fondern Wir auch,
wenn ſolches gleich nicht wäre, dazu gemeinen
Recht und Gerechtigkeit. wegen, auch vermög
der einem: frrien Deutſchen Reichs s Sürfien
hierunter befonderd zuſtehenden Prärogativen
befugt ſeyn, alfo auch bergeftalt, daß alle ſolche
teflamentarifche Difpofitiones und Codicilli,
wie fie Namen haben, ober gensunt. werben
D 4
6 . Xeflament : -
mögen, welche Wir vor dieſer gegeuwaͤrtigen,
Unſerer einzigen und wahren lezten Willens⸗
Meinung verfertiget und unterſchrieben, ſie
feien gemacht, wenn, wie, mo und. auf welche
Art fie wollen, fie finden fih in Privat a oder
hoͤhern Haͤnden, in Archivis publicis, oder.
andern Orten, ſie ſeien confirmirt, ober nicht
eonfirmirt, ohne Auſsnahm von nut an für un⸗
gültig, nichtig, kraftlos, ohnbändig, und als
nie errichtet zu achten, auf felbige ſowohl inn⸗
‚als außerhalb Rechtens die mindefle Meflerivn
nicht zu machen, ſondern einig und allein diefe
gegenwärtige, von Uns verfertigte,, unterfchries
bene und zulezt befiegelte Willens » Meinnng,
als wozu Wir mit reifer Ueberlegung wiſſent⸗
lich und wohlbedaͤchtlich gefchritteu,,. fuͤr Unſere
einzige, wahre und endliche teſtamentariſche
Diſpoſition und lezte Willens⸗Verordnung zu
halten, anzuſehen, darauf zu urtheilen, zu ſpre⸗
chen und zu erkennen, auch Unſere Nachkom⸗
men und Regenten des Hauſes Wuͤrtemberg,
dieſelbe in allen deren Punkten, Artickeln, Clau⸗
ſulen, Gehalt und Stuͤcken zu erfuͤllen, ſchul⸗
big und. verbunden ſeyn ſollen. Wie Wir dam
⸗
Eherh. Wärtemb. 37
[
aa ae
— —*
Dintrüse
nörfeligen
runde Unferer Seelen bemäthigs
erflatten, heiligen
had baf er nad) feiner —
een Ehriſt⸗ Fuͤrſtlichen aa
* 2 und in der un
2* lim ion nub feiner —
7 auferziehen laſſen,
* uͤber ſo auſehnliche oe
uhr Zanbfchaften zu eine
—
sg Teſtament
Herrn geſezt, und Uns ſo viel Land und !nte
päterlich anvertranet, ſondern auch Unfere Lau⸗
de ſowohl, ald Unſere eigene Fuͤrſtliche Perfon;
ohnerachtet Wir dieſelbe mit Geringſchaͤzung
Unſeres Blutes und Lebens fuͤr Unſere Unter⸗
thanen und dad ganze Relch fo oft hintangeſezt,
dennoch unter fo ſchweren Kriegs s und ander
©rfährlickeiten , vor fehr augenfcheinlih bes‘
vorgeſtandenem Unheile in öfterer Leib» und
Lebens» Gefahr bis hieher vaͤterlich bewahret,
mächtig geſchuͤzet, und gnaͤdig erhalten hatz
Alſo reſigniren Wir auch Unſere Seele in die
gnabenreichen Haͤnde und In bie Blufigen Wun⸗
den Unſers Erldſers, Herrn und Heilandes
Jeſu Chriſti, in deſſen vollguͤltiges alleiniges
Verdienſt und Leiden Wir fie hiemit in chriſt⸗
licher "Vorbereitung und wahren Glauben vers
ſenden.
Befehlen, verordnen, ſezen und wollen demnach
Erſtlich, daß, wenn nach verfloſſenem Un⸗
ſerem beſtimmten Lebensziele dem großen Gott
uͤber Uns zu gebieten, Unſere durch das Blut
feines. Sohnes thener erkaufte Seele aus die⸗
fer Zeitlichkeit zu entlaffen, und nad) feinem
H.Eberh. zu Wärtemb. 59
kiligen Rathe vub Willen in bie feige Ewige
kit diefelbe zu ſich zu uehmen gefallen fellte,
der verblicheme Leichnam fobann nach Ehrifls
Zurftlicdyem , jebod, militarifchem , unt Unferen
guten Theil im Kriege und Felbzügen erzeigs
ten Applicationen gemäfenen Gebraudye zur
Erde beflattes, und in tie Gruft allhier zu Lud⸗
wigäburg in ber Hofs Kapelle (ald welches Uns
fer Refidenz Schloß Wir zu Unſerem Gedaͤcht⸗
wit erbauen, und nad) Unferem Namen bes
nennen laſſen, auch Unſers in Gott feligen Erb⸗
yrin:en Liebden allbereits darian ruhen) vers
feufet, und darauf gleich folgenden Tages nach
Unjerer Beerdigung denen Hausarmen unb
jreßhaften Leuten iu Unfern Reſideuz⸗EStaͤdten
und Aemtern Ludwigsburg, Stuttgard und
Zaͤbingen jedweden Orts 150 Gulden, in Stadt
und Amt Urach und Schorndorf jebweden Orts
100 Gulden, in den uͤbrigen aber Uns gleich⸗
mäßig zugehoͤrenden Städten und Aemtern aber
jedweden Orts 50 Gulden zu einem Allmoſen
ausgetheilet, und Dazu bie eine Hälfte von Uns
free Weltlichen, die andere aber von Unſerer
Geifilichen Kammer ſofort · dargereicht und he⸗
6. .. Teftament
ſtritten werben ſollen. Nachbem Uns aber Der
Allerhoͤchſte, nach feinem helligen and uner⸗
forſchlichen Willen, Unſern einigen Sohn und
männlichen Leibeſs⸗Erben entriſſen, und es au⸗
noch bei ſeiner weiſen Vorſehung ſtehet, ob er
Uns und Unſere Lande mit einem ober mehrexn
- Söhnen erfreuen wolle:
Als fegen und verorbuen Wir Ä
Zweitens, daß, wenn Gott Uns an
Unfere Lande in Zukunft mit einem ober meh
männlichen XeibessErben zu beguadigen wieder
gefallen follte, es fobann bei dem Rechte ber
Erſtgeburt und ber bei Unſerm Fuͤrſtlichen
Hauſe uralt hergebrachten Succeßion verblei⸗
ben, und Unſer aͤlteſter Prinz der alleinige
UniverfalsErbe von all Unfern Herzogthuͤmern,
Graf⸗ und Herrfchaften,, Land. und Leuten,
Lehen, Rechten und. Mannſchaften, Refidenzs
and andern Städts und Aemtern, Märkten,
Dörfern, Flecken, Weilern, Höfen, Vorwerkern,
Schloͤbern, Feſtungen, ſamt allem ihrem zus
gehörigen Bettwerke, Küchen, Kellern, Wein,
Getraide und anderem Vorrathe, Mobilien und
Motiven, Ban» und andern Materialien,
H. Eberh. Audw. zu Würtemb, 61
Beſchʒ, Rüftungen und Munition, Pferden,
Schiff und Seſchirr, Vieh, Schäfers und Mel⸗
tereieu, Unterthanen, Dienflen, Steuren, Tags
den, Gehölzern, Zeichen, Wafern und Fluͤſſen,
Floz⸗ und aubern Gerechtigkeiten, Zeug» und
Jagd⸗ Däufern,, Kellereien, Mühlen, Berg⸗
werten, Gärten, Kunfllammer, Bibliothek,
Golbs Silber: Ziuns und anderem Geſchirre,
Stamm s Hleinsdien und Geſchmeide, Kapita⸗
Ten, Briefichaften, und etwa noch ausſtehende
Schalden, Pfandſchaften, Zoͤllen Geleiten,
Biberlouf, Anruͤck⸗ und Hinfällen, Lehen
uud Eigenthum, was Wir jezo haben und bes
fen, oder Fünftig durch Gottes Segen erlans
gen und acquiriren möchten; beweglich und nue
beweglich, mit allen‘ Hoheiten, Redyten und
Gerchtigfeiten, Muzungen, Juribus, Freibeis
ten und Privilegien, wie folche nicht allein in
Eredione Ducatus und andern Kaiſerlichen
Diplomatibus und Lehen Briefen begriffen,
fonbern auch guten Theils von Uns uud Unfern
Borfahren am Regiment jure Allodii vel
Feudi acquirirt worden, ſamt aller. andern
Unfers Hab amd Büsern, liegend und fahrend,
64 Zeflament
wieder zurückfallen, acquirirt und demfelgen
einverleibet werben, apanagiren und abfertigert,
fondern vielmehr foldde den Legibus fund a-
mentalibus, Pactis & Difpofitionibüs Majo-
zum & Eredtioni Ducatus gemäß, zur Auf
nahme, Splendeur und Difkinction -Unfers
Fuͤrſtlichen Hanſes ewiglich unzertrennt Taffen,,
bie davon gekommenen und alienirten Städte
wieder ‚herbei zu bringen trachten, feine nach⸗
folgenden Brüder aber, nad) obgemeldter Ebers
bardinifchen Diſpoſition, mit Geld, guten Ka⸗
pitalien ober Gefällen nad) ihrem Fuͤrſtlichen
Stande apanagiren fol. Dafenabr
- Diertend der allmächtige und gütige Gott
wider Verhoffen Uns ohne alle männliche Fuͤrſt⸗
liche Leibed⸗ Erben felig dahin fcheiben laſſen,
und fo mithin Unfere Fürfllihe Stamm» Linie
mit Uns befchließen wollte: So berufen Wir
folchenfalld hiemit zur Succeßion Unferer Ders
zogthuͤmer und Landen, Würden, Regalien,
Recht » und Gerechtigkeiten , Anforderungen
mb Prätenfionen, und was noch mehr einem
regierenden Herrn bed Haufe Würtemberg ans
gehoͤret, Lehen »Stuͤcke und Allodialien, in
ſoweit
L)
* ®
H. Eberh. Rubw. zu Wuͤrtemb. 65
mit Wir dieſe leztere nicht anderwaͤrtd legi⸗
tn ober verſchaffen werden, mit aller ihrer Zu⸗
gehoͤrde, Unſere Fuͤrſtliche Agnatos, und dar⸗
unter den naͤchſten, wie naͤmlich derſelbe ſo⸗
candum Rrectionem Ducatus, nad) den Pa-
&is & Difpofitionibus Majorum , bevorab
nah dem Mechte ber Erſtgeburt, ſamt ihren
maͤnnlichen Fuͤrſtlichen Leibes⸗ and Lehens⸗Er⸗
ben Uns in der Regierung nachfolgen koͤnnen
zub mögen; in welcher Abgang Wir ihnen und
ügrer Fürfllichen Deſcendenz, Eraft des Min⸗
finzifchen Vertrages und Erection dieſes Her⸗
zogfhums, and) anderer teſtamentlichen Wers
orbhnungen, bie Abrige.zu dev Erbfolge nächfle
berechtigte. Fürften ded Stanimes und Namens
don Wuͤrtemberg, jedoch folhergeflalt und mit
biefem. expreffen Anhange hiemit fubflituiven,
daß Wir Uns zu ihnen allen und beſonders
ben jeberzeitigen Regenten Unfers Fuͤrſtlichen
Hanfes nicht anders, als der genaueſten Feſt⸗
haltung und vollkommenen Erfüllung dieſes ges
genwärtigen Unſers unverbruͤchlichen lezten
Willens freundvetterlich verſehen, im unver⸗
befften Uebertretungs⸗Falle aber ihn und. alle
Patr. Archiv, II Theil. €
6 Teſtament
Diejenigen, welche felbigen anf einigerldi Ars
und Weiſe, oder in einem einigen deſſen Pauls
ten, Junhalt und Stuͤcken zu contraveniren,
und zu wiberfezen ſich unterfangen follten, vorae
Genuſſe alles. veöjenigen, was ihnen über. Die
Pa&a Domus und Unfers Färfilihen Haufe
bergebrachte Gewohnheit aus biefer Unſerer ges
genwaͤrtigen tefiamentlichen Difpofition zufiel,
völlig excludiren, ausſchließen und erhärebiven,
mit Unſerm Unfegen hiedurch belegen, und bin
gegen dem folgenden Agnato, ber ob ben Pa-
- &is Domus auud biefem Unferm legten Willen
fteif , feft und heilig zu halten erboͤthig ſeyn
wird, völliges Hecht und Gewalt ertheilen,
fi) als obigs erwaͤhntes quocunque modo zu
bemächtigen 5 allermaffen Wir beufelben auf
ſolchen unverhofften Fall in befimöglichfler und
buͤndigſter Form Rechtens zu fol serwähnter
Unſerer Succeßion berufen, und pro haerede
fuftituirt, auch allen zu des contravenirenden
Agnaten Faveur und Nuzen von Unfern in
Gott rubenden Vorfahren im Regiment vers
faßten: Difpofitionen, in ſoweit Wir nur ims
mer bevechtiges ſeyn koͤnnen, namentlich und
h. Eberh. Ladw. zn Würtemb, 67
adruckentlich derogiret haben wolkn Da
aber
Simftend nad Unſerem feligen Hiuſchel⸗
den ed fich ereignen würde, daß Unfere Nach»
folger im Regiment , oder beffen maͤnnliche
Färflliche Leibes⸗ vber Lehens⸗ Erben der Roͤ⸗
miſch⸗ Katholiſchen Religion beigethan waͤren,
und Wir Zeit Unſerer Regierung und Lebens
ün8 der leidigen Erfahrung haben, auch an fi)
Weit» und Reicho⸗ kuͤndig iſt, was für großer
wurdiederbr inglicher Schaden ſowohl dem Staa⸗
n ſelbſt, als andy den Unterthanen zuwaͤchſt,
Den in dem anf bie Reichs⸗ Friebens und
Religions » Schlüße ſich gründenden Kirchen
Weſen eine Abänderung vorgenommen , und
bie Gewiſſens⸗Freihelt damit gekraͤnkt wird;
Als find Mir der Urſachen dieſem Uebel und
Gewiſſens⸗ Zwange, fo viel durch menſchliche
Sorgfalt verhuͤtet werden kan, in Zeiten vor⸗
zubengen, amd bie reine, in Unſerm Herzog⸗
thnme und Landen hergebrachte Evangeliſch⸗
Lutheriſche Religion durch gegenwärdge Unſere
lezte Willens » Verordnung zu ewigen Zeiten
ſicher und feſt zu ſtellen eruſtlich hlerdurch ges
E2
68 Teftament
meinet; Sezen demnach, verordnen und wollen,
daß fuͤrderſamſt |
Der Religions s und Weftphälifhe Frieden,
ſamt allen andern das Meligionds Wefen cons
cernirenden Reichds GrundsÖefezen,, ſodann
die in Unſerm Fuͤrſtlichen Haufe hergebrachten
echte, Gerechtigkeiten, Landes⸗ Compactata,
Erb s Berbrüberungen und Verträge, wie nicht
weniger die Difpofitiones, und weiland Her⸗
zog Chriſtophs, Herzog Ludwigs und Herzog
Eberhards, Unferer in Gott felig ruhenden
Regimentd Vorfahren, endlich aber und vor»
nehmlich dieſe gegenwärtige in vim ftatuti
Gentiliti perpetuo valituri von Uns errichs
tete einzige wahre, lezte Willens » Verordnung
von allen Regenten im Herzogthume Wuͤrtem⸗
berg zur Baſis, Norma, Grund und Richt⸗
ſchnur diefer Unferer Erbfolge und ihrer ganzen
Regierung geleget, darüber unverbruͤchlich ges
halten, davon in feinem Stuͤcke abgewichen,
and weder vor ihm ſelbſt fub prætextu Juris
territorialis, no unter dem Vorwande des
ihnen vermeintlich competivenden Juris refor-
mandi, ald welches wider alle Reichs⸗Con -
5. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 69
fitationes und Friedens» Schlüße nicht felten
sorgefchüzer zu werben pfleget, in der ganzen
Religions Verfaffung Unferer gefamten Lande,
Lehen und Erbflüde, in ber gefürfteten Grafe
haft Mömpelgard fomohl, als allen andern
Unferm Herzogthume incorporirten Landen „
weder im Confiltorio , unoch andern Collegüis,
Kirchen, Schulen, Armen» und Waiſenhaͤu⸗
fern, Univerſitaͤt Tübingen, Gymnafio zu
Stuttgarb, Klöflern, Stipendien milden und
andern Stiftungen, ober wie ed fonften Nas
men haben mag, und hernach folget, bie allers
minbefte Abaͤnderung gemacht, noch vielmenis
ger andern geflattet werden ſoll, daß in ber
reinen Evangelifch s Lutherifchen Religion, auch
der ſowohl An. 1530 auf offeutlichem Meichds
tage zu Augſpurg, ale auch insbefondere vom
Serzoge Chriſtoph, hoͤchſtſeligen Ungedentens,
An. 1552 auf dem Eoncilio zu Trient für ſich
und feine fämtlihe Unterthanen übergebenen
Eonfeßion , welche Unfere in Gott felig ruhende
Vorfahren mit fo vielem Blute nieder erwors
ben, Wir fortgepflanzet, und fams ihnen bid⸗
ber verfochten und conſervirt haben, Unfere
-
f
7
70 Teſtament
Unterthanen und Lande, 44 fei nun durch Ges
walt und Verfolgung, durch ſchmeichelnde Ver⸗
führuugen und Promeffen, ober durch audere
Maximen, neque per direftum, neque per
indirettum,, im allermindeflen gefränfet, bes
unruhiget, bekümmert „ ‚befchweret „ geſtoͤret
und. verhindert, fondern biefelbe jederzeit iz
ihren Gemwiffenda Freiheit gefhüzet, und alles
in dem Zuſtande, wie ſolches yon ber Zeit ber
Reformation Unferer Lande bis hieher gewefen,
und Wir hierinnen verordnet, ruhig und una
verruͤckt gekaffen werben mögen, angefehen ſonſt
‚ein jeder Regierer Unſerer zu binserlaflenden
Herzogthuͤmer und Lande ohnfehlbar zu. gewar⸗
ten bat, daß, dafern er in puncto Religio-
nis einige Veräuderung vornehmen, und nicht
alles durchaus in ber gegenwärsigen Verfaſ⸗
ſung und fo mithin einen jeden bei feinex Ges
wiſſens⸗Freiheit laſſen wuͤrde, nicht nur bera
ſelbe große Verwirrung und Unruhe im Res
gimente zu feinem unb des Landes Ruin era
fahren. , ſondern auch feldfk die Hand Gosseg
über ſich fühlen werben
H. Eberh. udw. zu Würtemb. 7x
In diefer generalen Berfägung nun vers
erbuen und diſponiren Bir bigmit weiter und
inäbefonbere :
ztens: Daß der icbergeitigeRegierer in Wuͤr⸗
temberg, nach Maßgabe der Compactatorum,
Teftamentorum & Diſpoſitionum Majorum,
vornehmlich aber nach diefer erläuterten Unſe⸗
ver lezten Willend » Verorbnung, als des Lan⸗
bed inviolablen Grund sGefezen „ in die ganze
Fuͤrſtliche Kanzlei, das Kabinet, Geheime
Ratha⸗Collegium und Regierung, Geiſt⸗ und
Weltliche Kammer, auch alle andere Balleien,
Kollegien und Rath⸗Haͤuſer, Stadt⸗ und Lands
Bebienungen, mit keinen andern, als ber Evan⸗
geliſch⸗ Lutheriſchen Religion zugetbanenen Sub-
eis, ſowohl allhier zu Lubwigäburg, ald im
dem ganzen Lande befezen, und Feine Roͤmiſch⸗
Ratholifche , weber unter den Vorwande ber
Landesherrlichen Obrigkeit, noch unter allerlei
Scheine in folche wirkliche und weſentliche Bea
. Denungen aufnehmen, beſtallen, tecipixen und
introdnciren laſſen, vielmeniger aber gar nene
Romiſch⸗ Katholiſche Kanzleien, Kollegien ,
Stabt⸗ ober andere Gerichte, ſie haben Na⸗
eg
Re: "7;
men und Schein, wie fie wollen, gelſilich ober
weltlich, nenexlich aufrichten fol, immaſſen
Wir auch hiemit, zu Verhütung vieled zu be=-
forgenden Mebeld und Sonfeguentien, diejenige |
wirkliche und weſentliche Raͤthe, Kanzlei» und |
andere Bediente, welche die Euaugelifhe Re⸗
ligion changiren würden, ihrer Chargen. für
ohnfähig erklaͤren, und-fie in ſelbigem Koller
gio weber durch Gewalt , noch durch Reverfe
und Pacta nicht ferner geduldet wiſſen wollen.
gtend, Soll er das Confiftorium , vach
Innhalt der wom Herzoge Ludwig verfaßten
großen Kirchens Ordnung, pag. 417 & feq.
bei feinem Anſehen, Actipitaͤt und Kräften
durchaus ungekränft und unbekuͤmmert erhal⸗
sen, und fo. mithin ſelbiges mit einem gewiſſen⸗
baften Direltore, dreien Theologis ‚einem
‚KichensRaftens Advocate, einem Secretario
und Ranzelliffen, alleſamt ber Evangeliſch⸗Lu⸗
theriſchen Religion zugethan, befesen, welches
Collegium daun alles Kircheu⸗ uud Religionds
Weſen, und was bieher einfchlägt „ in allen
Unfern Landen, wie bisher, auch nad) Unſerm
Abſterben dirigiren, über die ungeänhexte
a‘
.
H. Eberh. LZubiw. zu Würtemb._ 73
Erangelifche Religion Augfpurgifcher Confeßion
ſtandhaft halten, dagegen nichts gefchehen laſ⸗
fen, bie Kirchen⸗ Mängel verbeffern, fomithin
ſowohl die Prälaten, Generals und Specials
Ouperintenbeuten, Gtadts und andere Pfar⸗
rer, Diaconos, Vicarios, Profeflores, Klo⸗
ſter⸗ und andere Praeceptores, Schnlmeiſter
und alle diejenige Perfonen, welche zum Kir⸗
chen⸗ und Schulwefen gehören, mit Vorwiſſen
des jeberzeitigen Megenten in Würtemberg,
(weläer aber über Unfere ber Rurrenterei we⸗
gen masirte Refcripta umverbeüchlich zu hal⸗
ten, und davon keineswegs und unter Feinerlei
Vorwande abzumeichen bat). voeiren, inveflis
sen, conftrmiren und intrebuciren,, ald auch
Biefelbige „ wenn: fie fi) in Minifterialibus &€
cieca oflicia etwas zu Schulden kommen laſ⸗
fen, befixaffen , fulpendiven und degradiren,
was aber in Adta realia-und criminalia ein
fülägt, ber hoben Landes⸗Obrigkeit überlaffen,
beſonders aber gute Kirschen « Difcipkin und
Ordnung NH befleißen „ und dieſerwegon deu
jährlich zu haltenden Synodum, welchen Hera
909 Shriftonh feinem Augapfel, * er de
. ä
74 Zeftament
ganzen Landed Zuſtand einfehen Tonne, genemmr,
nicht außer Acht laſſen, fondern felbiged alle
Sabre einmal , und bei beffen jährlihen Er⸗
Sfnung eine Predigt in Unferer Schloß, Has
pelle allhier in Ludwigsburg gehalten werben
fol ; wie baum auch Unſere Succeflores ine
Regimente
gtens: vornehmlich dahin zu ſchen haben,
daß die in Unſern auf ihnen zugeſtammten
Landen nach ben Landes⸗Compactatis und
großer Kirchen⸗ Ordnung fecularifirte , ober
vielmehr eingezogene fimtlihe Manns» und
Frouens Klöfter kelnen Roͤmiſch⸗Katholiſchen
geift « ober mweltlihen Perfonen „ männlichen
oder weiblichen Geſchlecht, uun und nimmer⸗
mehr wieder eingeräumet, noch jemand, dieſer
Religion zugethan, darinn aufgenommen, alle
mentirt, ober zu einer Bedienung gebraucht,
fonbern vielmehr biefelbe, ald ein großes und
importantes Stuͤck Unferer Lande, ber Kammer
einverleibet, und als Pflanzgaͤrten ber Edau⸗
geliſch⸗Lutheriſchen Religion im beſtaͤndigen
Flore und Aufnehmen erhalten werden moͤgen;
doch laſſen Wir Unſern Succeſſoren freie und
amgebuubene Hände, mit ben übrigen Reve⸗
nuͤen, bie zu der Klöfler, Kirchen und Schu⸗
len Conſervation, Bejoldang der Geiſtlichen,
von dem erſten an bis zu dem lezten, ober ans
dern dergleichen Ausgaben nicht erforderlich ,
wach Belieben zu handeln, und ad alios ufus,
infofern fie zu des Landes Beſten gereichen,
und der Evangeliſch⸗ Lutheriſchen Kirche nicht
praͤjndiciren, ſelbige zu verwenden. Sn ala
len Kirchen und Schulen Uufers Landes folk
ferun 0 —
gest Allein die Coaugekifch‘« Lutherifche
Religion gelehret , feine Gewiffens = Freiheit
einem jeben unbefchwers und ungekraͤnkt gelafe
fen, nirgenb ein Simultaneum eingeführet ,
Teine Katholiſche Kirchen, Schulen, Stiftung
gen, Kloͤſter, Kapellen, Altaͤre und Erucifixe,
sder andere begleichen öffentliche Statuen und
Bilder, weber in Städten, Schlößern, Dörfern,
Höfen und Weilern, noch an der Straffe in
Feldern, Wäldern und Gebirgen, noch fonflen
irgendwo errichtet „ Feine Wallfahrten „ oder
andere Kasholifche Prozeßionen, weder am
Fronleichnams ⸗ noch andern Taͤgen geſtattet,
76 | Teſtament
angeſtellt und gehalten, das ſogenannte Ven e-
rabile weber bei Providirung der Kranken
noch andern Faͤllen nicht offentlich getragen,
noch dad Gloͤcklein gelaͤutet, und uͤberhaupt
nicht der allergeringſte Actus eines offentlichen
GSottesdienſtes in ganzen Laude nicht exercirt,
am allerwenigſten aber Unſern Evangeliſch⸗
Lutheriſchen Unterthauen ihre Kirchen, Kloͤſter
and Schulen, und dad freie Exercitium Re-
Yigionis entzogen , fondern alles in feiner ges
genwärtigen Verfaflung nad biefer Unſerer
ernfllichen Difpofition ohnveränbert allflets ges
Yaffen- werde. Damit aber auch
ziens: In dem bermaligen Statu Unferer
Fuͤrſtl. Evangeliſchen Univerfität Tübingen ,
Tamt dem baffgen fogenannten Collegio illuftri,.
dem Stipendio Theologico, ben andern daſelbſt
befindlichen, von Unſern Vorfahren, oder
Privat⸗Perſonen verliehenen, und zum Behuf
der ſtudirenden Jugend angeordneten Stiffuns
gen oder Stipendien, wie nicht weniger auch
in dem Gymnaſio zu Stuttgard nach Unſerm
ſeligen Hinſcheiden keine Aenderung vorgenom⸗
men, und nicht von den Roͤmiſch⸗Katholiſchen,
H. Everh. Ludw. zu Würtemb, 77
geiſt⸗ oder weltlichen Perfouen, zum Nachtheil
der Evangelifch s Zutherifchen Kirche und Relis
gion etwad verfügt werden möge: Go ift hies
mit Unfer ernfilicher lezter Wille, daß ſowohl
das Collegium illuftre und Fürftliche Sti-
pendium, ald auch die ganze Univerfität nich
nur in ber theologifchen,, juritifchen, medicini⸗
fen und philofophifhen Facultät , fondern
auch in allen andern Wiffenfchaften und Exer-
citiis mit feinen andern, ald Evangeliſch⸗ Lu⸗
theriſchen Profefforen und Leuten verfehen, nies
mal hingegen bafelbft fowehl, als in dem Stutt⸗
gardiſchen Gymnaſio weber mit Gewalt, no
per Pacta und Reverfa eine Stelle mit einem
Roͤmiſch⸗ Katholifhen Profeflore vel Præ-
ceptore befezet, als aud) Fein Studiofus von
diefer Religion; der nicht zu der Evangeliſch⸗
Lutherifchen Kirche ſich befennet, in das Sti-
pendium Theologicum aufgenommen, noch
außer bemfelben und den ſaͤmtlichen Kiöftern
ihnen andere Präbenden, Pfründen und- Be-
neficia, fie haben Namen, wie fie wollen, von
Iren Einkünften und Revenuͤen, oder auch von
andern Gefällen fub quocunque przetextu
78 Teſtament
ertheilet , vielweniger ihnen verflattet werben
ſoll, eine wene Schule, Profeffur, Stipen-
dium, Kirchen, Gymnafium, Kloͤſter ober
Auditorium , ihre Lehre offentli oder pri⸗
vatim zu Profitiven, ober zu bociren, daſelbſt
und nirgend im ganzen Lande aufzurichten und
au erbauen. Wannenhero Wir auch hiemit
otens: Unſerer getrenen Landſchaft uud
Ständen gnaͤdigſt, jedoch ernſtlich und aus⸗
druͤcklich befehlen, fuͤr die beſtaͤndige Aufrecht⸗
erhaltung der gegenwaͤrtigen Verfaſſung des
Kirchen⸗ und Religions⸗Weſens Unſerer Lande
in ohnermuͤdeter Sorgfalt bei ihren ſchweren
Pflichten ohnaufhoͤrlich zu vigiliren, und daher
unter ſich weder in dem engern, noch groͤßern
Ausſchuße jemanden, ber der Evangeliſch⸗Lu⸗
therifchen Religion nicht zugethan , aufzuneh⸗
men, fi aufs und einbringen gu laſſen, ober
zu toferiren; immaffen Wir dann berfelben zu
bem Ende alle ihre Rechte und Gerechtigkeiten
anf bad bäudigfte befräftigen, beſtaͤttigen, ers
nenern und confirmiren. . (Ferner ſollen
„tens? Alle übrige pia Corpora , Hoſpl⸗
täler, Lazarethe, Armen⸗ und Siehens Hi
KH Eberh. udw. zu Würtemb. 70
fer, vornehmlich aber auch das von Uns erbaute
Waiſenhaus zu Stuttgarb , ohnveraͤndert im
Ihrem Eſſe verbleiben, ihnen Feine andere, dam
Evdangeliſche Pfarrer, Vorſteher, Lehrer ud
Praeceptores geſezet, und weder ein Romiſch⸗
Katholiſcher Religion Verwandter dazu, noch
Noͤmiſch⸗ Ratholifche Kinder in das Waiſen⸗
haus angenommen and zecipirt werben, So
viel aber
Bess: Unſere HofsRapelle allhier zu Lade
wigdburg anlanget, an welche vielleicht ein
Roͤmiſch⸗ Rasholifcher Regent Auſprache neh⸗
zum doͤrfte, fo iſt dieſerhalb Unfere ernſtlicht
Meinnung und unverbruͤchlicher Wille, daß
dieſelbe nicht nur, weil die jaͤhrige Synodal⸗
Predigt darinn zu halten, ſondern auch, weil
Wir fie ſelbſt zu Unferm Gedaͤchtniße erbauen
laſſen, zudem Unfers Sohnes und Erbprinzens
Lebden allbereits darin ruhen, and Wir ends
lich felsft Unfern nach Gottes heiligem Willen
verblichenen Leichnam darinn verſenket wiſſen
wollen, den Roͤmiſch⸗Katholiſchen Religions⸗
Verwandten nicht eingeraͤumet, darinn keine
andere, als die Edangeliſch⸗Lutheriſche Religion
Bo | Teſtament
gelehret und geprediget, kein Simultaneum
verſtattet, und dieſelbige von Unſern Succeſſo-
ribus am Regimente weder aufgehoben, noch
beſchraͤnket, fondern da ohnehin noch viele Fürs
fien des Stammes und Namens von Wuͤrtem⸗
berg , der .Evangelifchen Religion zugethan ,
‚vorhanden , welche etwa Eünftighin Admini-
ftrationes führen , oder fonft am. Hofe fich
aufhalten dürften, biefelbige in derjenigen Vers
faſſung, wie Wir fie hinterlaffen , ewiglich
gelaffen, in banlihem Stande und Weſen
erhalten, mit Evangeliſchen Prebigern zu allen
Beiten verfehen, in dem Gottesdienſte die mins
deſte Aenderung wicht gemacht, und barinn
weber Biel, noch Maaß, weber Zeit, noch
Stunde gefezet-und vorgefchrieben, auch nicht
geſtattet werden foll, daß von ihren Meligionde
Verwandten ber geringfle Anlaß deßhalb zu
einiger Befhwerung gegeben werden möge. Da
hingegen Wir ihnen an deren Statt erlaubet
haben wollen, daß fie allhier zu Ludwigsburg
eine andere Hof⸗ Kapelle für ſich erbauen Tafın
mögen; ; außer welcher aber
gtens
H. Eherd.2ubw. zu Würtemb. 81
gend: Dem Rbwmiſch⸗Katholiſchen Relis
gions⸗ Verwandten is allen Unſern Landen au
dienſt unter keinerlei Scheine niemal zugelaſſen,
deßpwegen auch das Exercitium Religionis,
ſo ihnen bisher des Schloßes Erbauung halber
indulgiret worben, ceſſiren, ihnen keine feruere
Privilegia, fie beſtehen, worinn fie wollen,
in Religions⸗Sachen, zum Praͤjudiz der Evan⸗
geliſch⸗Lutheriſchen Unterthauen, dem Religions⸗
and Weſtphaͤliſchen Frieden, ten Pactis Do-
mus, Difpofitionibus Majorum, und dieſer
Unferer legten Willens s Berorbnung zuwider
ertheilt, beſonders ein wachfames Auge darob
sehalten werben fol, daß nicht durch Connivenz
uud Nachlaͤßigkeit biefelbe in die Rollegia, ober
pouſten im Lande neuerlich einſchleichen mögen
Wobei gleichwohl
ofend; Einem jeden Megierer in Win
temberg ohnbenommen ſeyn fcH, an feinem Hofe
und um feine-Perfon folche Leute ohne Unters
ſchied der Meligion zu nehmen, welde nad)
dem in fie gefezten Vertrauen ihm belieben
werben.
Pate. Mrchlv, Ui. Theil, 8
ı
82. Teſtament
Sechſtens: Obwohl Wir dermal von
Gott mit keiner Fuͤrſtlichen Tochter und Prin⸗
zeßin geſegnet, ſolcher Segen aber noch in der
Hand Gottes ſtehet, fo wollen Wir auf fols
den Fall fie nach Unfers Fürfllichen Hanfes
Gewohnheit und infonderheis in Gott hochſel.
zuhenden Groß⸗Gerrn Waters, Herzog Eber⸗
hards Gnaden Difpofition und Teſtament es
traktirt, gehalten und verſorgt wiſſen; daſern
aber dem Allerhoͤchſten mit Fuͤrſtlicher Prin⸗
zeßin Uns kuͤnſtig zu erfrenen nicht gefallen
wuͤrde, ſo wollen Wir hiemit Unſers ſeligen
Erbprinzen hinterlaſſene Prinzeßin, Louiſe
Friderique, an deren Stelle geſezet, und der⸗
geſtalt adoptirt haben, daß ſie gleich als Unſere
leibliche Tochter angeſehen, und nach obgedach⸗
tem Eberhardiniſchen Teſtamente erzogen, do⸗
tirt und gehalten, und ihr weder an der ihr
gebührenben Legitima , noch an allem , was
Mir außer derfelben ihr annoch ſchenken, vers
ſchaffen, oder von Unferer Frau Gemahlin
Liebden ihr zufallen würde, Abbruch gethan,
fondern ihr auch noch über dieſes ein ſchoͤnes
filberne® Service gegeben werden fol; wie Wir,
j
,
H.Eberh. Ludw. zu Würtemb. 83
dann Unſerm Machfolger am MRegimente, «6
ki nun ein von Uns ſelbſt, oder ex linea
collaterali abflammender Prinz, vaͤterlich und
reſp. freunbvetterlih hiemit erinnert und ers
ſucht haben wollen, daß er ihr zeitliches Wohl
alles Fleißes beforgen, im der Evangeliſch⸗
Lutheriſchen Religion dieſelbe Chriſt⸗Fuͤrſtlich
erziehen, und in Anſehung, daß ſie die leztere
von Unſerer Branche, ihr alle erſinnliche Freund⸗
(haft jederzeit zugehen laſſen wolle; inbeffen
Wir jidoch, fo Lange Uns Gott das Leben
gbunet, hiexinn ein Weiteres zu bifponiren, ex-
preſſe Uns reſerviren. Was
Siebentens: Die Durchlauchtigſte Fürs
fin, Gran Johannen Eliſabethen, Herzogin
zu Würtemberg ꝛc. gebohrne Mlarggräfin zu
Baden ze, Unferer berzgeliebteflen Frau Ges
mahlin Liebden anbelangt; fo wollen Wir ders
felben ans befonderer für fie begenden Eſtime
und zärtlicher Liebe, wie and) wegen ber aufs
tihtigen Hochachtung uhd Sorgfalt, welche
Ihro Liebden auf eine fehr sendre Art fir Uns ⸗
fere Perſon und Geſundheit tragen, nicht nur
dasjenige, was in den mit Ihro aufgerichteten
| 52
‘
.
34 Teſtament
Ehe⸗ Pactis und durch andere befonbere Do-
nationes, wie nicht weniger, was in Un. 1698,
1705 in Unfern lezten Willens Verordnungen
ihr von Uns zugeſagt, verfchaft, gegeben, vers
ordnet und zugeeignet worden, hiemit auf das
buͤndigſte in befler Form Rechtens nochmal
befräftigen, befefligen und confirmiren 5: fons
deru Wir verorbnen auch noch über dieſes, und
wollen, daß Ihro Liebden, im Falle Wir kei⸗
nen männlichen Leibes⸗Erben hinterlaffen, und
die Regierung auf Unfere Fürflliche Agnaten
verfallen würde , nach Unferm feligen Hin⸗
fheiden , jedoch mit Worbehalt der Unſerer
Niece Prinzeßin Louiſe Friderique Liebden allen
Rechten gemaͤß competirenden, and oben Art. 6
ihr reſervirten Legitima, ald tworien Wir fie
titulo haeredis in befter Form Rechtens biemit
inflitniren, noch weiters empfangen foll Unfere
ganze Chatoulle, und was darinn an Gold
und Silber Münze ſich befindet , nicht wenis
ger alle Unfere ausſtehende Uctiv » Schulden
und Kapitalien , fo dahin gehören, ſonderlich
Unfere etwa noch in Ausſtand haftende Feld⸗
,marſchalls⸗ und Regiments⸗Gagen, ingleichen
®.
*
H· Cberh. Ludw. zu Würtemb, 85
alle Pierreries, und Kleinodien, und Geſchmuck,
wovon Wir nur immer zu tefliren berechtiget
feyu mögen, (außer den Haus⸗Jubelen,
Stamm s Kleinotien, wozu Wir aud den Pid's
ſtein, welchen Unferer in Gott rahenden Fran
Muster Liebden zum Fuͤrſtlichen Hanfe vers
macht, und wenn ſolcher davon entriffen wer⸗
den ſollte, den contravenirenden Theil mit ei⸗
nem Fluche belegt, gerechnet haben wollen;
wicht weniger anßer dem Dänifchen Elephantens
zb Prenpifchen Adlerorden, welche beide nach
Dänemark und Preußen zu remittiren find).
Ferner legiren Wir Fhro Liebben alles Gold»
and Silber s Service, fo mit Littera G. bes
zeichnet, in Unferem Schlafgemache und Gars
derobbe vorhauden ſeyn wird, und was zu Un⸗
ſerer Garderobbe gehoͤret. Nach ſeligem Ab⸗
leiben Unſerer Frau Gemahlin Liebden_ aber
wollen Wir hierinn deroſelben Unſere Niece
Prinzeßin Louiſe Friderique Liebben dergeſtalt
fubſtitnirt haben, daß Unſere Fran Gemahlig
Liebben über alled obige, von Uns dieſes Un⸗
ſers lezten Willens herruͤhrende, fernerweit kel⸗
wi weder teſtiren, noch davon vel inter
ds
86 Taeſtament
vivos, vel mortis cauſa diſponiren, foldjes
nicht alienixen, fondern vielmehr alles der Prins
zeßin Lonife Friderique Liebden, im Fall bins
‚gegen auch biefe, vermählt oder ohuvermaͤhlt,
ohne Kinder mit Tod abgehen mürbe, dem
Megeuten in Würtemberg allein anheim fallen,
und bei Uuferm Fuͤrſtlichen Hauſe aliftets vers |
bleiben ſoll. ur |
Meiten confirnixen und beſtaͤttigen Br |
Unferer Frau Gemahlin Liebden hiemig ihren
Witthum mis allen Appertinentien, Reden
and Gerechtigkeiten, und wollen „ daß, was |
Mir noch Eünftig Ihro Liebden ſchenken, geben,
oder verfchaffen würden, jest ala dann, and
dann als jest, eben fo Fräftig und bündig ſeyn
und gehalten werben. foll, ald ob es in dieſem
Unſerm Haupt⸗ Teſtamente und einiger wahren |
lezten Willens⸗Verordnung mit begriffen, und
derſelben von Wort zu Wort einuerleiber und
inſerirt wäre. Womit Wir dann zugleich Uns
fere Nachfolger. am Regimente ernſtlich und
reſp. freundvetterlich eriunert and erſucht haben
wollen, dagegen in keinerlei Wege zu: baw
deln, ſondern vielmehr obgedachter Unſerer
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 87
herzgeliebteſten Frau Gemahlin Liebden bei
ſolchem allem mit Nachdrucke zu mainteniren,
za fhüzen , und fie inn⸗ nnd außerhalb Rech⸗
tens Dabei zu handhaben, wider alle Bekraͤn⸗
tungen zu protegiren, zu vertreten, und fie
deßhalb von niemanden weber direkte, noch in-
directe beeinträchtigen zu. laffen.
Alldieweil Wir aber auch das Luſtre Uns
ferd regierenden Hauſes zu erhalten, und zu
vergrößern hiedurch gemeinet ſind; fo verorbs
wen und wollen Wir, daß der Marflall allhier
ie Ladwigsburg, zum Stuttgard und auderswo,
ingleichen die Stuttereten, Equipage, Schiffe
und Geſchirre, Jagdzeug, Tafel⸗ und Werts
gewand, Tapeten und andere Menublen, Ge⸗
wehr, und was Wir oben Art. 2 verordnet,
mit einem Worte, benanutes und unbenanntes,
und alle übrige Argenterien, Mobilien und
Proventien, fie haben Namen, wie fie wollen,
bier und auf Unfern aber Schlößern, wor⸗
über Wir nicht exprefle teflirg haben , ober
weh teſtiren werben, bem alsbaun zegierenben
Herzoge in Wuͤrtemberg, (body daß er dage⸗
gen Unferer Niece Prinzepin Loniſe Friderique
d4
88 Teſtament
Liebden ein anderwaͤrtiges Douceur und Sr⸗
kaͤnntlichkeit, fo Wir feiner Generoſitaͤt uͤber⸗
laſſen, erweiſe) anheim fallen, bie Argenterie
aber und alle Praͤtioſa in vim Fideicommifli
bet · Unſerm Fürftlihen Haufe allſtets verbleis
ben, zu den Haus⸗Sachen hinkünftig gerechnet,
‚und bavon, wie nicht weniger von allem, was
zum Fuͤrſtlichen Haufe gerechnet, ein Inventa-
rium ersichter werden folk, -
Damit. aber auch der Status peoliticus
Unſerer Lande nad) Unſerm feligen Ableiben
Ishlich und wohl verfaffet, and eingerichses ſeyn
uud verbleiben möges fo befehlen , verordnen
and wollen, auch roſp. erfachen Wir hiemit die
einfligen Regierer in Wärtenberg
Achtens: Daß Unſer herzgeliebteſter Sohn.
dafern Wir nach Gottes Willen einen nach ind
serlaffen wärben, im anders Falle aber Unſere
Fuͤrſtliche Agnaten , und Darunter ber jebeszeit
zegierende Herzog Yu Wuͤrtemberg, nicht bald
ohne erhebliche Urſache zu Abänderung und
Dimittirung Unferer dermaligen Räthe und
Bedienten ſchreiten, fondern eingebenf ſeyn
moͤge, daß Wir ihre Treue zu des Staated,
an ben ihm zugelegten * fürehin noch zu
conferirenden Sratialien und Wohlthaten ents
zogen , ober fonfl im einige Wege befränfet,
vielmehr aber ein jeber babei vertbeitiget und
wanuesirt werben möge. Dafern aber gleich⸗
wohl Unfere Nachfolger am Regimente reles
vaonse Urfache hätten, warum er einen ober
tes audern in Dienflen nicht Linger behalten
unse, fo ſoll ſolches in Gmaben geſchehen, den
Dimittendis aber eine haltjährige Wefolbung
nachgetzagen werben. Wir wollen auch, daß
Uafere kuͤnftige Succeflores, berfelben Tuto-
res unb Curatores Unfere KRütbe und Diener
in ben Kanzleien, zu Dof ul® auf bem Lande,
fo in geiſt⸗ als weltlichen Aemtern, bevorab
Unfere Geneime Kabinetss Diinifler und Ges
hime Raͤthe, famt'Ullen andern Unſern ver
fautefiou Dienern, wegen Unferer Regierung,
85
90 Tellament
Thun und Laffen, Ein» und Aufnehmens, auch
Ausgebens, Begnadigungen und anderer Ur⸗
ſachen, ſo bei Unſern Lebzeiten in publicis &
privatis, mit Unſerm Vorwiſſen, Willen,
Beſehl und beglaubter Genehmhaltung geſche⸗
ben, daruͤber auch Unſer Fuͤrſtliches Handzei⸗
chen und Secret⸗Inſiegel zugegen, keineswegs
zu einer Mechtfertigung ziehen, angreifen, oder
zur Rebe oder Verantwortung ſtollen follen,
was Wir bei Unferm Leben nicht ſelbſt gemus
eher, ober zur Unterſuchung ziehen zu laſſen
angefangen, folglich vielmehr mit Unſerm Tode
anberweit genehm gehalten haben, .
Im Fall: aber unſere kuͤnftige Fuͤrſtliche
Succeſſores je dafür halten ſollten, fie haͤtten
wider einen ober deu andern gewiſſe, gründliche
und erhebliche Klagen, wozu ihnen nach Unſerm
feligen Ableben nenerlih Aulaß gegeben wor⸗
den; fo iſt unſer endlicher Wille uud ernfiliche
Meinung , daß Rhro Liebden und die Vor⸗
mundſchaft auf ſolchen Fall nicht via facti,
ſondern nach Anleitung, Herzog Ludwigs hoch⸗
ſeligen Angedenkens in hos paſſu vorhandener
Fuͤrſtloͤblicher Willen Verordnung, de dato
H. Eberh. udw. zu Würtemb. gr »
Stuttgarb, deu 1 aten Jul. 1592, und dariun
beihriebener forma procedendi rechtlich Hero
fahren, über jenes auch ex ſpeciali concef-
fione ihnen alddann die fonft in ihrem Staate
unterfagte Beneficia provocationis & appel-
lationis an die hoͤchſten Reihös Gerichte auf
ſolche Fälle in extenfo vorbehalten und verglis
Gen ſeyn follen. Dafern aber ein oder anderer -
son Unfern Pehienten mit Tod abgehen, und
dadurch deſſen 4 vacant werden wuͤrde;
pp
tens: Wenn es einer von Unſern derma⸗
ligen Geheimen Raͤthen iſt, deſſen Stelle nicht
wieder erſezet, ſondern die Zahl des Kollegi big
auf fünf veducirt merben.
„tend: Aber in Exfezung ber vacant wer⸗
denden Stellen zwar auf eingebohrne tuͤchtige
Landeskinder Reflection gemacht werden, als
leine gleichwohl einem jeden Regierer in Wuͤr⸗
kemberg unbenommen feyn, nach Art und Ges
nohnheit auderer Regenten, fo viel ed bie Be⸗
ſhaffenheit ſeines Staates erheiſcht, auch ande
Undiſche qualificirte und dem Staate nüzliche
Leute, welche zu Fuͤhrung bes Regiments, ſo
|
093 Teſtament
Bor andern dienlich erachtet, nad) ſeinem Be⸗
Vieben und Gutfinden, jedoch folhergeflalt Time
Dieuſte anzunehmen, daß ſie alleſamt der Evans
geliſch⸗Lutheriſchen Religion zugethan ſeyn und
verbleiben. Und weil Wir auch
ztens: Zeit Unſerer Regierung zum oͤftern
wahrnehmen muͤßen, wie die unmittelbare
Reichs⸗Ritterſchaft die Jura Prinoipis mit
Worfhüzang ihrer Privilegierum anzufechten
und anzuſchmaͤlern gefuchtt fo ermahnen Wir
hiemit Unfere Nachfolger am Negimente, im
Annehmung dergleichen Ravaliers in bie Kols
legia forglich zu geben, und alfo auf folche das
vornehmſte Augenmerk zu nehmen, deren Ins
tereffe mit des Fuͤrſtlichen Hauſes Jurlbus
wicht ſtreitet.
So erinnern und erſuchen Wir and; hiemit
- Kleuntens: Unfere Erben und Rachkom⸗
men Im Regimente, der Roͤmiſch⸗Kaiferlichen
Majeſtaͤt, ald bes heiligen Reichs allerhoͤchſtem
Oberhaupte, allen ſchuldigſten Reichs⸗geſez⸗
maͤßigen Reſpekt und Gehorſam allezeit zu be⸗
zeugen, des heiligen Roͤmiſchen Reichs, wie
auch bed Loͤblichen Schwaͤbiſchen Kreiſes ger
H. Eberh. Ludw. zu Mürtemb. 99
weinfamen Nuzen, Aufnehmen und Wohlfahrt,
da ed vonnmöthen, and) mit Wagen und Dars
fredung Leibes und Lebens, Gutes und Blu⸗
teö, nach Unferermeigenen Exempel, ohnnach⸗
läßig zu befördern, und mit Erwägung, mit
mas für Treue und patriotifhen Eifer Wir
in den langwierigen und bintigen Kriegen bad
Jntereſſe Kaiſerlicher Majeſtaͤt, und die Wohls
fahrt des ganzen heiligen Reiches, aller Leibes⸗
uud Lebens» Gefahr ohnerachtet, nach all» Line
ferem Vermögen verfochten, und auch baffelbe
in Friedens s Zeiten zum Augenmerk Unferes
Regierung gefezet, Uns hierinn ruͤhmlich nach⸗
zufolgen,, zu Kaiſerlicher Majeſtaͤt und des heis
ligen Reiches Dienften fih gänzlich zu devovi⸗
ven, dahero mit allen Benachbarten, ſo viel
möglich , in gutem Frieten, Verſtaͤndniß,
Freundſchaft und- Harmonie zu leben, und
durchaus nicht zu geflatten, baß durch hizige
Confilia die nachbarliche Vertraulichkeit gehem⸗
met werben möge, fondern vielmehr zu Befoͤr⸗
berung und mehrerer Befefligung derſelben das
hin zu trachten, damit, fo viel immer möglich
ſeyn wird, die mit eins und andern Unfern,
94 Zeflament
mehrensheils fehr mächtigen Wenachbarten ete
. wa alsdann noch objchwebende Gränzs Turids
dictions⸗ und andere Differenzien durch guͤtliche
Eonferenzen auf eine dem Ruheflande Unferer
zu binterlaffenden Lande und Unterthanen ers
ſprießliche Weife erörtert, und benenfelben abs
helfliche Maaſe gegeben werben möge, Wobei
pornehmlich zu beobachten, daß Unfere Suc-
ceflores am Regimente fi wegen der gefährs
lichen Situation. Unferer Lande in Leine aus⸗
wärtige gefährliche Buͤndniße fich verwickeln,
fonbern vielmehr ſich dahin bearbeiten, daß fie
die allgemeine Ruhe im ganzen Reiche ſowohl,
als ihren Landen erhalten, und deffen gemein⸗
famer Nuzen mit Nachdrude verfochten wers
ben wmooͤge. 0 |
‚Dahingegen die jebeömaligen Megenten,
wenn man ihnen wider Recht und Willigkeit
etwas zumuthen, aufbürben und dringen würs
de, dadurch Land und Leute verringert, ober
die Befnaniffe, hohe Prärogativen , Freiheiten,
Regalien und Prätenfionen ded Hauſes Wuͤr⸗
temberg verringert, gekraͤnket, geſchmaͤlert,
ober bekuͤmmert werben koͤnuten, ſelbigen aͤuſ⸗
un
H. Eberh. Ludw. zu Wuͤrtemb. 95
ſerſt widerſtehen, und ſolchen Præjudicũs quo-
cunque modo vorbengen, nicht weniger andy
za ihr und ihrer Unterthanen Defenſion des
Yandes Ertraͤglichkeit nach, fo viel möglich iſt,
einen folchen militarifhen Fuß, nebfl einer
ziemlichen Garde du Corps zu Pferd und zu
Fuß halten follen, ber fie vor andern geringen
Reichsfuͤrſten zu diſtingniren, und in Conſide⸗
zation ſezen koͤnne; wie fie denn in diefer Abs
ſicht nicht allein die anfehnliche Feſtung Ho⸗
hentweil als ein Kleinod des Landes und ſichere
Retirade, ſondern uuch alle andere Berg⸗
ſchloͤßer und Feſtungen im Lande zu deſſen Bes
ſchuͤzung jederzeit conſerviren, repariren, in
behoͤrigen Defenſions⸗Stand ſezen, und in ſon⸗
derbarem Werthe, Sorgfalt und Obacht halten
ſellen und mögen. Und gleichwie
Zehntens: Uns und Unferm Fürftlichen
Haufe merklich daran gelegen, daß für bie Ems
yerhaltung des Wohls und Ruheſtandes bes
Loͤblichen Schwaͤbiſchen Kreifes auf alle Welfe
anermäbese Sorge getragen werbe: fo ermah⸗
nn Wir Unferd berzgeliebteflen Sohnes Lieb⸗
den eventualiter, bafern Wir noch einen ers
96 Zeftament .
zeugen und binterlaffen würden, ober In beffen
Abgang alle übrige Succeflores am Regi⸗
wente, Tutores und Curatores, mit patrios
tiſchem Eifer ihres Dres alles moͤgliche vorzu⸗
Kehren, daß dem gemeinen Weſen zum Beßterz
unter Fuͤrſten und Ständen befagten Loͤblichen
Schwaͤbiſchen Kreifes jedesmal ein gutes Wers
ſtaͤndniß und Vertrauen gefliftet , cultiviret
und erhalten > allen ſchaͤndlichen Xreanungen
und Diffidien forgfältig vorgebenget, und fols
chergeſtalt in allen Worfallenbeiten. das Werk
in die Wege eingeleitet werde, damit in guter
Einigkeit und Harmonie mit zufammen gefez«
ten Kräften das allgemeine Beßte und bie
Wohlfahrt des Kreifes beſorgt werben möge 5
uebft dieſem aber haben dieſelbe allezeit ein
wachfames Auge zu haben, daß Unfere wohls
bergebrachte ſowohl Kreis » Uusfchreibamtlicye,
. ald. Directorials Gerechtfane, die Uns compes
tirende Succeßions⸗Befugniße, das Unſerem
Fuͤrſtlichen Haufe zuſtehende, und mit vieler
Sorgfalt vindicirte Reiches Pannier , nebſt dem
Herzoglich⸗ Teckiſchen Reichſs⸗Voto, nicht
minder die Privilegia de non appellando,
nec
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb, 97
necevocando, welde Wir mit deu Kurfuͤr⸗
fen gemein haben, und dahero nicht zum ges
ringen Luſtre Unferd Fürfllichen Hanf ges
rrichen, um beßwillen auch Unfer Dber s Hofs
Gericht zu Zübingen, wie audy das Benefi-
cium Auftregarum, und alle andere Uufere
| Gerechtigkeiten, Rechte, Privilegien, Hohei⸗
ten, Befugniße nad Anforderungen zu allen
Zeiten nachdruͤcklich gehandhabet Pin ſalvo ers
halten und ausgefuͤhrt, allen Zudringlichkeiten
uud Beeintraͤchtigungen dagegen mit Stand⸗
baftigfeit gebührend begegnet, und barnuter
alles, wad zu Unferm und Unfers Fuͤrſtlichen
Hauſes Präjudiz und Nachtheil gereichen Kan,
der Sachen Wichtigkeit nah, mit Nachdruck
abgewandt, kei ſolchen and andern dergleichen
Erheblichkeiten aber vorderſt dahin gefchen were
ten, daß foidye mit gewiflenhaften , fapiern,
gelehrten , verfländigen , der Reichs⸗ Kreise
Landes⸗ und Kriegd» Sachen wohl erfahren
nad geubten Miniflern, Raͤthen und Genes
ralen reiflich "vorher in Ueberlegung gezogen,
berathſchlaget, und mit beufelben deßhalb ſiche⸗
ve Mefures gefaßt , nicht aber mit berjelben
Patr. Archiv, UL THE. ©
ı
98 Teftament
Kintanfezung folcherlei Gefchafte von Hof⸗
Schmeichlern oder andern unerfahrnen Leuten
und Webienten verrichtet ,„ ober dergleichen
wichtige Zandeös Angelegenheiten mit ihnen in
Berathſchlagung gezogen werden moͤgen. Und
weil
Eilftens: Unſer wohlgemeinter und lezter
Wille iſt, daß, ſo Gott Uns kuͤnftig mit einem
Landes: Erbe in abſteigender Linie annoch ers
freuen würbe, derjelbige, oder auch auf ben
wibrigen Fall, alle Unfere Nachfolger am Res
gimente fich nebſt ben Regterungs » Sefhäften
auch auf das Militare, und die einem vegies
renden. Herzoge zu Würtemberg fo gloriens, als
wohlanftändige, auch wegen des Herzogthumes
mißlihen Gelegenheit nüzlihen Kriegs » Yes
bungen appliciren, und darunter Unferm Exem⸗
pel und Wege, den Wir ihnen darinn gebahs
net, rühmlichflermaffen folgen : fo haben fie
ſich nach Unſerm ſeligen Hinſc cheiden alles Fleißes
dahin zu beſtreben, daß ſie bei dem Loͤblichen
Schwaͤbiſchen Kreiſe mittelſt Gewinnung des
Vertrauens der Loͤblichen Mitſtaͤnde das Ge⸗
neral⸗ Feldmarſchall⸗Amt auf ſich trausſeriren,
H. Eberh. Ludw. zu Mürtemb. 99
and dadurch ſich in Stand ſezen moͤgen, ſowohl
in Friedens⸗ als Kriegs⸗Zeiten bei gefährlichen
Vorkommenheiten wohlbeſagtem Loͤbl. Schwaͤ⸗
biſchen Kreiſe mit Glorie, Diſtinction und Nach⸗
drucke zu Befoͤrderung des allgemeinen Weſens,
Beßtens und Sicherheit erſprießliche und nuͤzli⸗
che Dienſte leiſten zu koͤnnen, mitfolglich auch
in dieſem Stuͤcke in Unſere Fußſtapfen zu tre⸗
ten. Nachdem baun
Zwoͤlftens: durch die Fuͤgung des Hoͤch⸗
fen und nicht geringe Unſere Sorgfalt, Koſten
and Mühe ed dahin gebiehen, daß die gefürs
ſtete Grafſchaft Moͤmpelgard, Weiltingen und
Brenz, als importante Stuͤcke Unſerer Lande,
an Unſer regierendes Fuͤrſtliches Haus wieder
gebracht worden, ingleichen auch, wiewohl nach
goͤttlicher Direction, es das Anſehen gewinnet,
daß die Appanage Neuenſtadt cum apperti-
nentiis ebenmaͤßig anhero wieder zuruͤck fallen
dörfte: fo ſezen, verordnen und wollen Wir
biemit, daß Unfere Nachfolger im Regimente,
jederzeit vegierenbe Herzoge zu MWürtemberg,
ſorgfaͤltig darob halten, und alles Eruſtes das
bin fehen wollen, daß in allen biefen Landen
G 2
(
|
J -
| 100 Teſtament
ed in der Religions⸗ Verfaſſung nicht anders,
als nach obig⸗ Unferer Verorduung Art. 5 ges
halten, und weber diefe, noch andere Stüde
des Landes Eünftighin wieber zu Appanagen
ertheilt, noch auf andere Weiſe veräußert, und
vadurch die Macht, Anſehen und Force des
regierenden Hauſes verringert und geſchwaͤcht
werden möge; immaſſen Wir dann die gefuͤr⸗
fiete Grafſchaſft Moͤmpelgard ſowohl, als
Neuenſtadt, und alles, was Unſerm Fuͤrſtli⸗
chen Hauſe etwa noch auheim fallen, oder dazu
acquiriret werben moͤchte, Unſerm Herzog⸗
thume und Landen hiemit nochmalen in beſter
Form Rechtens unzertrennlich incorporiren, und
alles, was hierwider geſchaͤhe, für null, nichtig
und nufräftig erklären und beclariren, wegen
Weiltingen und Brenz aber, ingleichen wenn
bie Herrſchaften Harburg und Reichenweiher
wieder zu Mömpelgard gezogen werden follten,
und von allen andern Allodial» Stüden bie Fa-
cultatem teftandi & difponendi feierlichſt
Uns reſerviren. Im übrigen, und weil
Dreizehntens: es fich Zeit Unferer Fuͤrſt⸗
lichen Regierung geäußert, daß Unfere Foͤrſte
&
H.Eberb. Ludw. zu Würtemb. roır
uud Waldungen hin und wieder in, ziemlichen
Abgang gerathen, ſonderheitlich aber dad gott⸗
Iofe Wilderer⸗Geſind, occafione der hin und
her fowohl in Unſern Landen, ald außerhalb
terfelben angemaßten freien Pürfc und Jagd⸗
barkeit, {ehr überhand genommen, und die Wilde
fuhren verderbt, und wohl gar an verfchiebes
nen Orten Raub, Mord und Todſchlag ver.
über, fo daß Wir derowegen zu Verhütung
größern Uebels den Mißbrauch ber freien Jagd⸗
barkeit in Unfern Landen abzuſchaffen, hinges
gen Unſere Unterthanen zu ihrer ehrlichen Nah⸗
zung, Hauses und Feld » Sefhhäften zu vers
weifen bewogen worden : fo wollen auch Unfere
Succeflores diefe Unfere Lande s väterliche
Veranſtaltung ſich gleichfalls gefallen, darüber
beftändig halten, Feine Aenderung darinu vors
nehmen, und die Förfle möglichft zu conferriven
ſich angelegen feyn laſſen. Vornehmlich aber,
und weil Wir -
Dierzehntens: aus befonderer Liebe und
Inseigung, welche Unfere Vorfahrer ſowohl,
alz Wir zur Tägerei zu allen Zeiten getragen,
einen ſolennen Jaͤger⸗Orden mit befonderk
63
[4
102 Zetament
Reguln und Statuten aufgerichtet , benfefben |
auch viele Fuͤrſtliche, Graͤfliche und andere ho⸗
be Standes⸗Perſonen von Und erbeten und
empfangen, weldyer dann zu nicht geringem
Luſtre Unfers Fuͤrſtlichen Hauſes gereichet ,
“mithin deflelben uraltes hergebrachtes Reichs⸗
Ober⸗Jaͤgermeiſter⸗Amt in erneuerte Obſervanz
ſezet; Als ſollen und werden Unſere Fuͤrſtliche
Regierungs⸗Nachſolger ſich nicht weniger ange⸗
legen ſeyn laſſen, ſothanen Orden jederzeit zu
ihrem ſonderbaren Anſehen in ſeinem Flor und
Eſſe zu conſerviren, zu dem Ende auch das
jaͤhrlich gewöhnliche Otdend⸗Feſt am Tage ©.
Huberti zu begehen, die hergebrachten und in
Druck verfertigten Gewohnheiten, Statuten und
Ordnungen ohnabfaͤllig beobachten, und dawider
keineswegs zu thun, oder zu thun geſtatten.
Wie Wir dann auch inſonderheit verordnen
und wollen, daß alle bei Unſerm Abſterben
vorhandene alte und meritirte Jagd⸗Bediente
nah Möglichkeit in ihren Aemtern beibehals
ten, jebod dabei alle nörhige Menage wohl
obſervirt werde. Dice Ordens halber Wir
dann
H.Eberh. Lubw. zu Würtemb. 103
Sünfzehntens : nod) ferner wollen, sub
ellen Unfern Sdccelloribus nachdrucklich aufs
erlegen, baß fie bie von Uns zu Unſers Na⸗
mens Gebächtuiß mit großen Koſten, Mühe
und Sorgfalt erbaute Reſidenz allhier zu Labs
wigäburg nicht nur Teinedwegd ohnandgebamt
liegen laſſen, fonbern vielmehr dieſelbe allein,
zu Uufern und des Ötifters und Teſtatoris
Chren, bie beflänbige Refibenz aller regierens
den Herzoge zu Würtemberg feyn und verbleis
ben , alle Rollegien und Balleien , ald deren
Menbra, weil fie fich nunmehr allhier meh⸗
rentheild völlig etablirs, wibrigenfalld größten»
theild ihren gänzlichen Ruin zufamt der armen
Bürgerfcjaft , deren Nahrung ebenfalls dar:
nieder liegen wuͤrde, obnfehlbar leiden müßs
ten, niemals heraudgezogen, und anderswohin
ttanslocirs, fondern vielmehr Die Stabt fowohl,
ed auch dad Schloß, nad) dem gemachten Deſ⸗
kin, Mobell und Riß, bis zu deren völligen
Derfectionirung zu bauen Conflituirt, dazu jährs
lich ein ergiebiges angewendet, uub beren fers
us Wachſthum, und Flor und Aufnehmen
4
104 Teſtament N
in allen Städen befördert, gleichwohl abex
‘weder alldier , nod) in dem ganzen Lande feine
mehrere Römifch-Ratholifche Bürger anf un
angenommen werben follen. Und weil
Sechzehntens: bekannt, daß Wir au
die Stadt Ulm eine gerechte Praͤtenſion wegen
des Uns und Unſern getreuen Unterthanen bei
der Baieriſchen Invaſion zugefuͤgten ſehr großen
Schadens zu machen haben; als wollen Unſere
Regiments» Nachfolger, nachdem ed die Con⸗
juncturen , ſolche dermal andzuführen, Uns
nicht erlauben, von felbiger nicht ablaffen, fons
dern jederzeit dahin bebacht fenn, wie fie dero⸗
wegen zu billiger Setisfaction gelangen mögen.
Nachdem aud)
Siebenzehntens: durch Commerzien
und Mauufacturen Unſerer Rande Wohl, Auf⸗
nehmen. und Flor gar ſehr befoͤrdert werben
kan, darinn auch die Seele einer wohlgeorbnes
ten Landes Berfaffung beftehet, und Wir zu
dem Ende einen befondern Commerziens Rath
allbereits etablixt, und dabei zerfchiebenes theils
in Vorſchlag bringen, und theild nach Thun⸗
lichkeit dee Sachen allſchon bewirken laffen :
®
A. Ederh.2Zuben. zu Wuͤrtemb. 108
Als wollen Wir, daß Usufere Nachfolger ia
Unjerm Herzogthume und Landen Unfere heil⸗
ſame unb Laubesssäterliche Tuteutionen befls
möglich in die Erfüllung fegen, und dadarch
ihre Puifauce ſowohl, als die Wohlfahrt. he
zer Unterthauen verflärken, befördern, und im
Aafuehmen bringen ſollen. Erdlich fo find
Wir and
Adytzehntens : hiemit und in Kraft bies
(ed gewiller, ſowohl zu Stiftung eines gütigen
Angetenfens , als guäbigfier Crfenuung der
Uns gleifteten treuen Dienfle , einige Legata
zu verordnen, zu hinterlaffen und zu verfchaffen,
Legiren demnach und verfchreiben Unferer Grau
Tochter und Erbprinzeßin Liebden zu ihrer beſ⸗
ferer Subſiſtenz über ihren Witthum, und was
ihr fonflen gebühret , alljährlich Zwei taufenb
Gulden, als welde ihr, dafern und fo lange
fie anverructen Wittwenftuhles bleiben wird,
biemit zugelegt , und ohnverweigerlich richtig
abgereichet werden ſollen. |
Unfern dreien Vettern, Prinz Karl les
sanderd, Deinvich Friderichs und Ludwigs Lieb⸗
den, Liebbden, Ztebden, legiren Wir einem jeden
| 63
100 Reflament
son ihnen Ein tanfend Lonisb’or, nebfl einem
mit Sattel nnd Zeuge verfehenen guten Reit⸗
pferd, den allein auögenommen, welcher, falls
>. Wir ohne männliche LeibessErben mit Tod
abgehen follten, die Regierung antreten wirb,
ald welcher fobann ohnehin der Univerfals Erbe
iſt, und au die audern überlebenden fothane
ihnen verfchafte Legata abzureichen hat.
Dem Graf Friderih Wilhelm von Gräs
veniz, Unferm Premiers Dlinifler, vermachen
Mir aus befonderer zu ihm tragenber Neigung,
und wegen feiner am Unfere Fürftliche Perfon
und ganzes Fuͤrſtliches Hans vielfältig erwors
bene Meriten Ein taufend Lonisb’or , melde
ihm ohne. allen Widerfprudy und Gefährbe aus
Unferer Kammerſchreiberei richtig follen abges
tragen werden. Dem Ober s Stallmeifter vers
‚ machen Wir zmei Pferde mit Sattel und
Zeug. Dem Unter» Stallmeifter ein Pferd mit
Sattel und Zeug. |
Unſerm Hofprediger, welcher tempore mor-
tis noſtræ in Dienflen feyn wich, verfchaffen Wir
Ein hundert Dukaten, ſo ihm aus der Vifitation
(Geiſtl. Kammer) abgereicht werben ſollen.
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 107
Bon Unfern Kammer⸗ auch Jagd⸗ und
Rt» Pagen fol ein jeder Drei huntert Gulden,
von ben auberu aber ein jeder Hundert Gulden.
Die Kammer s Diener, fo alsdann bei Uns
ſerm feligen Ableiben in Dienften feyn werben,
ſollen Unfere ganze Garderobbe haben, doch
wären alle Praͤtioſa, and alles darinn befind⸗
lihe Silber und Gold, ed habe Namen, wie ed
wolle, zu diflinguiren, als welches Wir oben
Unfern Frau. Gemahlin vermacht.
Den Kammer⸗Laquaien und Kammer⸗Por⸗
tieren foll jedem Ein hundert Reichsthaler ge⸗
geben werden.
Die Laquaien, Heyducken und Soallknechte
ſollen uͤberhaupt Zwei tauſend Gulden haben,
und ſolche unter ihnen in gleichen Ratis diſtri⸗
buirt werben.
Mit dem Schiff und Geſchirre, Equipage,
Pferden zc. aber iſt es ſecundum art. 7 dieſer
Unferer Verordnung zu halten.
Weil aber obgebachter Unferer Kammer,
ald woraus dieſe Regata zu entrichten, bie Aus⸗ |
zahlung derſelben fchwer fallen doͤrfte; ald folk
108 Teſtament
bie Viſitation und Kirchenkaſtens⸗ Verwaltuns
(die Generals Kafe von ber Geifllihen Kam
mer) von allen diefen Affignationen den drit:
ten Theil zu bezahlen fofort davon übernehmen,
fomithin die fonflen in fpecie alfo nominirte
Kammer damit um fo mehr fubleviren, als es
mehrentheils bene meritos berrift, die fi) um
Uns, dad gemeine Wefen, die Religion und
bes Kirchen Staatd Erhaltung fehr wohl vers
bient gemacht, alfo und dergeſtalt, daß eine
biefer dreien Kammern für alle, und alle für
eine haften, und dafür mit der Sahlung vepons
biren follen.
Uebrigens find nicht weniger ſogleich nach
- Muferm felgen Abſcheiden allen Unfern Raͤ⸗
cthen und Dienern Ihre rüdfländige Beſoldun⸗
gen vorderſamſt zu entrichten, wie Wir dann
biezu, und zu den jeztbefagten Legatis, auch
allem übrigen, was in ſaͤmtlich den prämittirs
sen Punkten und Artikeln enthalten iſt, Uns
fern Nachfolger im Regimente, jederzeit Nes
genten in Würtemberg , väterli und refp,
freundvetterlich auf das Fräftigfle hiemit vers
bunden haben, und fie auf deu unverhofften
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 109
lebertretungd» Tall nicht nur von Unſerer ſaͤmt⸗
ihen Altodial: Erpfchaft, in fo weis Wir nur
inmer Tönnen und mögen, gänzlich ausſchließen
mb exhaͤrediren wollen , fondern fie auch mit
Unferm Unfegen hiemit belegen.
Damit Aber biefer einiger Unfer uuvers
bruͤchlich⸗ lezter Wille als ein ewiges inviolables
Landes⸗Grund⸗Geſez beſtehen, gelten, anges
ſchen, und darnach in allen darinn begriffenen
Faͤllen einig und allein geurtheilt werden moͤ⸗
ge, p wollen Wir forhane teflamentliche Difpos
fition auf das bündigfle hiemit authorifiren,,
than auch das in Kraft biefes in der allerbeflen
Form und Weiſe, wie ed zu Recht am befläns
digſten beſtehen, und gelten Fan ober mag,
alfo und dergeſtalt, daß alle kuͤnftige Regen⸗
ten in Würtemberg, nad) zurüdgelegter ihrer
Minnoremmität, über biefer Unferer Anords
nung fleif und und unverbrüdhlih zu halten
einen eiblihen Meverd und Verfiheruug vor
Autretung ihrer Regierung von fih fielen
ſollen.
Und hiemit ſchließen Wir dieſen Unſern
einigen wahren liebſten und lezten Willen;
110. Teſtament
koͤnnte und möchte aber derſelbe als ein foleı
nes und zierliches Teſtament nicht gelten, auıı
follte nad) Spizfindigkeit der Rechte extrim
fice oder intrinfice etwas daran ermangelu
fo füppliren,, ergänzen und erflatten Wir bie
mit ben Abgang, als wäre alles auf daß ge:
naueſte babei beobachtet worden, und wollen,
daß ed wenigſtens ald ein Teftamentum mi-
nus folenne, Codicill, Fideicommiß, Schens
kung von Todes wegen, oder anderer de fim-
plicitate Juris Gentilitii ſubſiſtirender ohn⸗
zierlicher lezter Wille, mie folher von einem
Deutfchen freien Reichsfürften am allerverkinds
lichſten gemacht und errichtet werben fan, auch
in geiſt⸗ und weltligen Rechten, nach ben
Vorrechten und Prärogativen der Fuͤrſtlichen
lezten Willend- Meinungen anı. allerbeften Bes
fand. haben mag, inn» und außer Gericht
quocüungue modo am allerbeften gelten und
fabfiftiren möge. |
Wir behalten Und aber gleichwohl dabei
deutlich und ausdruͤcklich bevor, dieſe Unſere
teſtamentliche Diſpoſition, wie Wir ohnehin
gemeinen Rechtens und Gewohnheits wegen,
H. Eherb. Abw. zu Würtemb. 111
sach der einem Deutſchen freien Reichöfärfien
hierunter zuſtehenden Defnguiffen bereditiget
find, zu mindern, zu mehren, ;u fapplirem,
viel oder wenig daran zu ändern, foldyen gaͤmz⸗
ih, ober zum Theil abzuthun, zu Faflirem,
and durch ein ober mehr Eobicille , eingelegte
Zettel, Annotationed, ober ſonſt ein Weiteres
ju verorbnen, zu vermachen, und zu verkhafs
fen, welches alled nicht weniger dann als jest,
and jest ala bann Fräftig und bündig ſeyn, und
gehalten werben foll, ald wenn eö diefem Uns
ferm Haupt Teflamente von Wort zu Wort
einverleibt und inferirt wäre.
Auf daß Wir aber der geuaneflen Feſt⸗
halt⸗ und Erfüllung diefer Unferer Difpofition
and lezten Willens» Verordnung als eines ewi⸗
gen Land⸗Grund⸗Geſezes nach Unſerm ſeli⸗
gen Hiuſcheiden deſto mehr verſichert und ver⸗
gewiſſert ſeyn moͤgen: So erſuchen und bitten
Wir den Allerdurchlauchtigſten, Großmaͤchtig⸗
ſten und Unuͤberwindlichſten Fuͤrſten und Herrn,
Herrn Carolum den Sechſten, erwaͤhlten Roͤ⸗
miſchen Kaiſer, auch zu Hiſpanien, Ungarn
und Böhmen König ec. Erzherzogen zu Oeſter⸗
112 Zeflament
veich, Unſern Allergnädigfien Deren, famt
allen deffen Nachfolgern im Reihe, Roͤmiſche
Kaifer und Könige; wie nicht weniger ben
Durchlauchtigſten, Großmaͤchtigſten Fuͤrſten
und Herrn, Herrn Georg II, König in Groß⸗
brittanien, und Herrn Friderich Wilhelmen,
Koͤnig in Preußen und Marggrafen zu Bran⸗
benburg, beede des heiligen Römifchen Reichs
Aurfürften ‚und relp. Erzſchazmeiſter und
Erzkaͤmmerer, Unfere hochgeehrteſte Herren
Vetter, und alle dero Durchlauchtigſte Kron⸗
md Kur⸗Erben, and beſonderer in Allerhoͤchſt⸗
und Hoͤchſtdieſelbe ſezenden allerunterthaͤuigſten
und ergebenſten Devotion und gutemVertrauen,
zu Executoren dieſer Unferer lezten Willenb⸗
Meiuung, uud erſuchen demnach Allerhoͤchſt⸗
und Hoͤchſtdieſelbe reſp. allerunterthaͤnigſt, als
lergehorſamſt und auf das allerangelegentlich⸗
ſte, daß ſie dieſes Unſer einig und leztes Te⸗
ſtament ſogleich nach Unferm ſeligen Hinuſchei⸗
den durch ihre vortrefliche Geſandſchaften ſamt
amd ſonders allhier in Ludwigsburg publiciren
und exequiren, auch jede dariun bemerkte Per⸗
ſonen auf alle Weiſe und Wege bei denen von
| Uns
H. Sberh. Ludw. zu Würtemb. 113
Uns ihnen darinn zugebachten Gnaben auf
das allernachbruͤcklichſte ſchuͤzen und fchire
men, dem leibenden Theile jederzeit ſchleunige
und genugſame Satisfaction verſchaffen, und |
nicht geflatten wollen, daß wider biefe Uufere
lezte Verordnung bermalen gehandelt werben
möge.
Dieſem nun, nud bad Wir zu dieſer Dis
ſpoſition von Niemanden beweget, bereder oder
verleitet worden , za wahren Urkund haben
Wir feben gleichlautende Exemplarien anf
Papier mit einer geld s und ſchwarz > gemengs
ten feibenen Schnure eingeheftet verfertigen
laſſen, ſelbige darauf felbft wieberum überles
fen, nochmalen veiflich überlegt, und Unſerm
Willen gänzlich gemäß befunden , deromegen
auch auf allen Blättern mit Unferer eigenhäns
digen Unterfchrift und mit Unſerm Gecrere
Inſiegel am Enbe bekraͤftiget, und unten bes
namſte ſieben Bengen dazu requirirt, und ein
Eremplar Ihrv Roͤm. Kaiſerl. Majeſtaͤt, das
andere Ihrv Koͤnigl. Majeſtaͤt in Engelland,
das dritte Ihro Koͤnigl. Majeſtaͤt in Preußen
reſp. allerunterthaͤnigſt und allergehorſamſt
Patr. Archiv, IL. Theil.
114 Teflament
einhänbigen, dad vierte bei Unferer ren = ge-
horſamſten Univerſitaͤt Tübingen, dad fünfee
in Unferm Fürfllihen Archiv verwahrlich auf⸗
behalten laſſen; das fechfle haben Wir Unufes
rer berzgeliebteflen Frau Gemahlin Liebden
zugeftellt, und das fiebente felöft bei Handen
behalten, deren jedes, ob auch die andern vers
Iohren gegangen wären, oder fonft Schaden
gelitten hätten, völligen Glauben und Kraft
behalten und haben follen.
So gefchehen in Unferer Fuͤrſtlichen Haupt⸗
and Refidenz Stadt Ludwigsburg, ben eilften
Februarii im Jahre Ehrifli Eintaufend Sieben⸗
hundert und Zwei und. breißig. |
a S.) Eberhard Ludwig, Herzog zu
| Würtemberg.
Und wir Endeöbenannte bezengen hiemit,
kraft beigefuͤgter Unſerer Namens⸗Unterſchrift
und Pettſchaft, daß der Durchlauchtigſte Fuͤrſt
und Herr, Herr Eberhard Ludwig, Herzog
zu Würtemberg und Te, Graf zu Mömpels
gard, Unfer gnädigfter Fuͤrſt und Herr, Uns
vor fich erfordert , and mit einigen Worten
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. rı5
mädigft zu erkennen gegeben , welchergeſtalt
gegenwärtiged obſtehendes Teſtament dero
wohlüberlegte lezte Willens > Verordnung fey.
Daunenbero deſto mehrer derfelben Kraft Joro
Hochfürſtliche Durchlaucht Uns als Zeugen
exprefle ad hunc adum reguiritt, und Uns
ferer Pflichten entlaſſen. Worauf Wir folches
obberührtermaffen eigenhändig und unico actu
unterfchrieben , und mit unfern gewöhnlichen
Pertihaften gefiegelt. So geſchehen Ludwigs⸗
burg, ben zıteh Febr. Un, 1732,
(LS) Ludewig Dietrich von Pfuhl.
(L.S.) Ulrich de Negendanck.
(L.S.) Chriſtian Heinrich Geyer von
| Geyersberg.
(L.S.) Friderich Auguſt von Hardenberg,
(1.5.73 Sileins Kart von Frankenberg.
(1.8.) Chriſtoph Ernſt von Veulwiz.
(L.5.) Ferdinand von Wallbrunn.
H a
116 zeflament _
Im Namen der heiligen, hochaelobuen Drei
einigkeit. Amen.
Bon Gottes Gnaden, Wir Eberhard Lud
wig, Herzog zu Wuͤrtemberg und Teck, Gra
zu Moͤmpelgard, Herr zu Heidenheim ıc. Shre
Rom. Kaiſerl. Majeflät, des Heil. Römifchen
Reichs, wie auch des Loͤblichen Schwäbifchen
Kreijes Generals Feldinarfhall und Obrifter
ſowohl über ein Kaiſerl. Dragoner s ald Schwäs
biſches Kreiss Regimens zu Fuß. | |
Thun Eund, und befennen hiemit und in
Kraft dieſes gegen Jedermaͤnniglich, fonderlich
aber, denen bavan gelegen. Nachdem Witx in
Unferer, unter dem heutigen Dato aufgerich⸗
teten teffamentlichen Difpofition Uns dahin ers
klaͤret, und ausdrüdlid) vorbehalten, folche Uns
fere Semüchd: Meinung und lezten Willen nad)
Uufern Belieben und Öntbefinden zu mindern
und zu vermehren, ‚viel oder wenig zu ändern,
zu verbeffern , und derfelben ein Codicill oder
andere MebensDifpofition aunoch beizufügen,
‘und aber Und erinnern , wie bei Fürftlichen
und andern hohen Käufern mehrmalen gefches
H. Cberh. Ludw. zu Würtemb. 117
kn, baß berfelben Regenten einige ihrer Mi-
ufrorum , Diener , Civil s und Militars Pers
fnen mit abfonberlicyen Legatis und Vermaͤcht⸗
uifen in Gnaden bedacht, und damit ihre trene
Dienffe remunerirs haben : So find auch Wir
in Kraft dieſes eutſchloſſen, angeregtem ters
ſelben ruͤhmlichen Exempel zu folgen, und für
einige Und ermwiefene nicht geringe Dienfle Uns
kre Gegen-Erfänutniß gnädiglich zu erweiier;
Bir haben deromegen in gnaͤdigſte Erwägung
gegen die ſowohl kefondere Treue, nüzlide
und angenehme Dienfte, weldye Und und Uns
fern Fürfilichen Haufe der Hoch und Wohls
gebchrne Rubwig Alexauder, Graf zu Sayn
ud Wittgenſtein, Unfer General» Major ,
Stifter über ein Megiment Dragoner, umb
Drervegt bee Nemter Leonberg , Bietigheim
and Sachſenheim zc. viele Fahre im⸗ nnd anf
ferhalb Deutfchlandes Unferm Herzogthume
and Landen gethan hat, mod) täglich thut, auch
in Eünftigen Zeiten wohl thun Fan, mag und
Fl, als andy den unermübeten Fleiß, Mühe,
Sorgfalt and Application, womit Uns deſſen
Gemahlin Friderique Wilhelmine, Gräfin zu
95
18 Xeflament
Sayn und Wittgenflein, gebohrne Frelin vo *
Wendeſſen, in dem Reconcilistious » Werke
zwifchen Und und Unſerer Grau Gemahlin mis
großer Treue und Vernunft affiffire, und Dafa
felbe eifrigft mit bewirken, auch endlich zu Un⸗
ſerm größten Vergnügen gluͤcklich hat aus fuͤh⸗
ren helſen, und ſind deßwegen ſolche hiemit in
Guaden anzuſehen, und einigermaffen zu res
compenfiren gewillet. Wir Tegiven: demnach,
vermachen, verorbnen „ verfchreiben ihm „- bes |
nanuten Herrn Grafen nicht weniger, ald deſ⸗
fen Frau Gemahlin, and eigenen Beweguiſſen,
wohlbedachtem Rathe und rechten Willen, bei
annoch, Gott Lob! fürwährender guter Geſund⸗
beit, Gemuͤths⸗ und Reibeds Kräften, in beſter
Form Rechtens, wie das aufs Fräftigfle und
buͤndigſte geichehen kan und mag, freiwillig, und
ohne die mindefle Perfuafion ein Kapital von
Fünfzig Tauſend Gulden,
den Gulden zu 15 Bazen oder 60 Krenzer ger
rechnet, und wollen, daß, im Fall Wir nad
Gottes Willen einen männlichen Fürftlichen
Leibess Erben annoch erzeugen und hinterlaffen.
wuͤrden, derſelbe, widrigenfalld aber Unſere
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 119
übrige Succeflores am Regimente benenfelben,
ober wenn eines von ihnen nach göttlihen Wils
Im vor Uns mit Tod abgehen follte, dem übers
lebenden Xiheile , im Abgange aber beider Gräfs
liher Ehegatten ihren Rindern, deren Erben,
Erbnehmen und Nadyeommen,, männlich s und
weiblichen Geſchlechts in abfleigender Linie ,
voofern deren einige vorhanden, ſolche ohne Wis
derſpruch nach Unſerm feligen Hinfcheiben wis
verfahren, angedeihen und zugehen laſſen fols
Ien, wie Wir dann alle jederzeitige Regenten
in Wuͤrtemberg biemit refp. väterlih und
freuudvetterlich erinnern und erfuchen , diefer
Unferer gnaͤdigſten Difpofition, unverbruͤchli⸗
hen Testen Willen gehorfamfte und willigſte
Folge, ohne Anſtand, Verſaͤumniß und Wis
derfpruch zu leiflen, und fo mithin dem Gras
fen, feiner Gemahlin, Kindern und deren Ers
ben gedachtes Kapital bei Uuferer Kammer⸗
ſchreiberei fogleich ficher zu affigniren,, immaffen
Wir dann diefelbe hiemit zum voraus obligirs
tee Poften wegen, und was die Abführung der
Zinfe davon betrift, cum omni effectu juris
brevi manu dahin einweifen ,.immittiren unb
24
-» 120 Teitament
aſſigniren. Damit aber gleichwohl bemeldtes
Kapital der Fünfzig tanfend Gulden nicht dis
ſtrahirt oder veräußert werden „ vielweniger
aber auf fremde Familien fallen „ fondern viele
mehr ein ewiges Deukmaal Unferer Gnade und
Zuneigung zu ihm, Unferm Generals Diajor,
und feiner Gräflihen Familie fomohl, als feis
ner Frau Gemahlin verbleiben möge, fo fezen,
ordten und wollen Wir hiemit ernfls und gnds
diglich, daß biefes Kapital mit einen perpe-
tuo Fideicommiffo Familie ohnaufhoͤrlich
beſchweret bleiben fol 5; immaſſen Wir dann
folches damit , kraft habender freien Macht und
Difpofltion, uud zwar ſolchergeſtalt kraͤftiglich
hierdurch belegen und oneriren, daß
Erſtlich: Graf Ludwig Alexander zu Sayn
and Wittgenſtein, und feine Fran Gemahlin,
ober, wenn eines von beeden Chegatten mit Tod
abgehen ſollte, ſodaunn der überlebende Theil
alleine, nad) gleichem Abſterben aber deffen, ihre
« ebeliche Kinder und deren Erben und Nach⸗
kommen in abſteigender Linie von demſelben
nur allein deu ufumfructum , oder die Nuz⸗
nießung mit fünf vom Hundert, alfo jaͤhrlich
H. Eberh. Adw. zu Würtemb, 121
Zwei tauſend fünfhuutert Gulden zu erheben
und zu gewießen, über das Fideicommiß⸗ Ras
pital ſelbſt aber iu keinerlei Wege, neque per
teftamentum, neque inter vivos, noch auf
einige andere Weiſe das geringfle zu diſponi⸗
ven , ſolches anzugreifen , zu veräußern, zu
diſtrahiren, zu alieniren, zu verſchenken, hius
weg zugeben, zu verleihen, zu beſchweren, zu
verpfänden, oder darunter zu deſſen Deterios
ration und Verminderung, zum Nachtheil dee
Kinter und Erben, maͤnn⸗ und weiblichen Ges
ſchlechts abfleigender Linie, bas allermindefte
zu verfügen nicht Macht, noch Gewalt haben,
fondern vielmehr |
Zweitens : beſtmoͤglichſten und forgfäls
figfien Fleißes dahin trachten ſollen, wie folches
Fideicommiß⸗Kapital, Unferer gnaͤdigſten Ins
tention gemäß, unbefümmert, ungefränft cons
ſervirt und erhalten werden möge; immaſſen
Drittens: alles, was hierwiber befchähe,
ald null, nichtig nad unkraͤftig, hiemit kaſſirt,
aufgehoben, getoͤdtet, und dergeſtalt annullirt
wird, daß beede vermeintliche Contrahenten,
Kaͤuſer und Verkäufer, Creditor und Debi-
25
122 Teſtament
tor &c. role bie Namen haben mögen, in kei⸗
nen, zumalen aber auch an ben höchfien
Reichs » Gerichten nicht gehört , fondern als
menn nicht unter ilmen abgehandelt wäre,
fimpliciter abgewiefen werben, babingegen bie
felbe vlelmehr
Diertend: ſchuldig und verbunden feyn
ſollen, diefes Fibeicommißs Kapital frei, ohne
Schulden, oder einige andere Befchwerniß, auf
dero Ehe s Kinder , Erben und Erbuehmen ,
männlichen ober weiblichen Gefchlechtes , jedoch
mit diefem Unterſchiede zu devolviren und zu
vererben , daß zuerfi ber Manns» Stamme
Graͤflich⸗Wittgenſteiniſchen Schilded, Namens
und Wappens, und zwar aus dieſem jederzeit
der aͤlteſte in abſteigender Linie, von ihm Graf
Ludwig Alexander und ſeiner Gemahlin Fri⸗
derica Wilhelmina in recta linea abſtammend,
ſolches, wie bereits oben gemeldet, A 5 pro
Cento nuznießen ſoll, fo, daß nach feligem
bleiben beeder Sräflichen Ehegatten berfelben
ältefter Sohn , und nach dieſes Tode wieder
deffen ältefter Sohn, und fo ferner in abſtei⸗
gender Linie von einer Generaffon zur andern
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb, 123
allezeit der Altefte Sohn deſſen gaudiren folle
und möge, welches auch, baferm biefes Gräflis
de Haus in abfleigender Linie in mehrere
Brandes fich theilen würde, vou einer Genes
ration zur andern zu ewigen Zeiten alfo gehals
ten werben, und nad) Abgang einer Linie bie
folgende, und fo ferner in dem Geuuße diefes
Tideiommißs Kapitals fo lange fuccediren fol,
bis der männliche Stamme in linea defcen-
denti nach goͤttlichem Willen ganz und gar abs
geliorben 5; nach welchem Wir daun
Fuͤnftens: auch dad weibliche Geſchlecht
in abſteigender Linie auf beſchriebene Art, und
zwar ſolchergeſtalt in Guaden dazu admittirt
wiſſen wollen, daß es damit in ordine ſuc-
ceſſionis, wie bei der maͤnnlichen Linie, ge⸗
halten werden, die uͤbrigen beederſeitigen Agna⸗
ten hingegen, Collaterales, und wie ſie genen⸗
net werden moͤgen, ſamt ihrer Deſcendenz, an
dieſem Fideicommiß⸗Kapital nun und zu ewi⸗
gen Zeiten keinen Theil, Recht oder Auſpruch
haben, ſondern davon ein» für allemal, in Kraft
dieſes, audgefchloffen feyn und verbleiben follen ;
allermaſſen, dafern | |
124 Teſtament
Sechſtens: es ſich ereignen würde, daß
ſowohl von dem weiblichen, als männlichen
Stamme der Grafen von Sayn und Wittgen⸗
fein, aus oftgenannten beiden Gräflihen Ches
gatten gebohren, nientand mehr im Leben vor⸗
handen wäre; fo fezen und ordnen Wir fobanız
biemit weiter, und wollen, daß foldyes Fidei⸗
commißs Kapital an Unfer Fuͤrſtliches Haus
wiber zurüdfallen, und daher
Siebentend: bei demſelben beftäubig fies
ben bleiben, und davon zu ewigen Zeiten nies
malen abgelöfet werden file Wir befeblen
demnach, fezen, ordnen und wollen aus väter
licher Macht und Wohlmeinenheit, daß Unfere
Nachfolger am Megimente diefen Unfern ans
verbruͤchlichen lezten Willen nach allen deſſen
Innhalt und Stüden gehorfamlid, und refp.
freundvetterlich erfüllen, und ihm, Grafen Luds
wig Alexander, feiner Gemahlin Friderica
Wilhelmina, ehelichen Kindern, Erben und
Erbens⸗Erben, maͤnnlichen und weiblichen Ges
ſcchlechts in abfleigender Linie, benanntes ihnen
propter fingularia utriusque partis bene
merita legirted Kapital der Fuͤnfzig taufenb
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 125
Gulden Rheinifc von der Kammerſchreiberei,
oder dafern ſolche nicht hinlaͤnglich, von Unſern
Kammer s und Bifitations s Gefällen, jedoch
nur in Subfidium , und fo viel hiezu vonnoͤ⸗
then, ergänzet und verzinfet werben follen, je⸗
boch diefes alles in der gnaͤdigſten Zuverſicht,
er, Graf Ludwig Wlerauder von Sayn und
Wittgenflein, und feine Deſcendenz, werden ges .
gen Und und Unfere Nachfolger am Regi⸗
meute ihre fernere Devotion mit obliegender
Trene und Sorgfalt beharrlich continniren ,
als er, der Graf, und nicht weniger deſſen Ges
mahlin, bis daher bei Uns mic Ruhm zu Uns
ferm mohlgefälligen gnaͤdigſten Vergnügen ges
than haben.
Und damit ſolche Unfere wohlbedaͤchtlich⸗
onädigfle Difpofition nach allen deren Sunhale . -
und Stuͤcken nad Unferm feligen Hinfcheiden
rechtlich vollzogen werde, fo erfuchen Wir hies
mit ben jededmaligen Megensen Unſers Fuͤrſt⸗
fihen Haufe , damwider in keine Wege zu
thun, ober zu thun geſtatten; Im Fall aber
derfelbe oftgebachtem Grafen, feiner Gemahs
fin, Kindern und Erben nicht genugſamlich
120. Xeftament
Aſſſiſtenz leiſten, oder gar ſelbſt, wie Wir
gleihwohl nicht hoffen wollen, ihnen einige
KHinderniß forhanen Legati und Geſchenkes mas
den wuͤrde, fo erfuhen Wir die in Unferm
Haupt⸗Teſtamente refp. alleruntersthänigft und
allergehorfanft erbetene Executores, die Rö⸗-
mifchr Raiferliche Majeſtaͤt, Unfern allerguds
bigften Herrn, wie nicht weniger die Darch>
lauchtigſten, Großmaͤchtigſten Fürften und
Herren, Herren, Georg den Andern, Koͤnig
‚in Großbrittanien, und Herrn Friderich Wil⸗
helmen, Koͤnig in Preußen, beede des Heil.
Noͤmiſchen Reichs Kurfuͤrſten, auch reſp. Erz⸗
ſchazmeiſter und Erzkaͤmmerer, ſamt allen
dero Durchlauchtigſten Kron⸗ und Kur⸗Erben,
hiemit allerunterthaͤnigſt und allergehorſamſt,
es wollen Allerhoͤchſt⸗ und Hoͤchſtdieſelben dies
fe Unſere aufgerichtete lezte Willens⸗ Werords
nung von Punkt zu Punkt durchaus exequiren
und handhaben, daruͤber ſteif und feſt halten,
und mithin nicht verſtatten, daß der Graf,
ſeine Gemahlin, Kinder, Soͤhne, Toͤchter,
und dero Erben und Erbnehmen, maͤnnlichen
und weiblichen Geſchlechts in abſteigender Linie,
5. Eberh. Ludw. zu Würtemb, 137
in dem Genuffe dieſes Fideicommiß⸗ Kapitals
weder direkte „ noch indirekte. geflöret, oder
ſolches ihnen gar’ entzogen werden möge; Mir
haben audy, baß diefe Unſere
Nota. In meiner Eopie ift das lezte Blatt abs
geriffen, und hört mit obigem Worte auf;
der Eingang aber giebt ſchon, daß biefe
Difpofition den zıten Febr. 1732 gemacht
worden, und ed erhellet foldhes auch aus
der nachfolgenden Schedula,
Von Sereniflimo Defundo mit eigenen
Handen gefchrieben.
Mir von Gottes Gnaden, Eberharb Ludwig,
Herzog von MWürttenberg und Toͤck ꝛc. geben
biemit von Unferer Sammerfchreiberey-alljährs
lich an die Gräfin Friderica Wilhelmina von
Sayn und Wittgenflein, gebohrne von Wenfen,
8000 fl. Rhein. zu vier Quartal eingerichtet,
fo lange die Graͤfin leben würd, von Unferer
Sammerfchreiberey abgefolgt werben folle, ohne
alle hindernus und Schicane, Sie mögen auch
namen haben, wie Sie wollen und koͤnnen, hies
128 Teſtament
mit bekraͤfftigen, auch dieſes in ben Codicill,
fo bey Unferm Teflament ligt, nicht burch die ſes
auffgehoben werben folle, auch durch Unſern bes
ſten Willens Verordnung und Fürfll, wahren
Wortten, hiemit und nochmalen durch diefes bes
ſtaͤttiget und bekraͤfftiget würd, und ohnveraͤu⸗
berlich bleiben folle in allen Pancten, auch die
gooo fl. Rheiniſch alljährlichen ver Griffin Fri⸗
derica Wilhelmina von Sayn und Wittgenſtein
zu eigenen Haͤnden quartaliter eingeluͤffert wer⸗
den ſolte, auch dieſes und dem in dem Regiment
und Regierung hiernechſt folgen moͤchte, dato
auch feſt zu halten haben wuͤrd, bey Vetluſt
Gottes Zorn und Straffe, and des ewigen Fluchs,
fo nicht auff dieſem fell halten würd. Zu Urkund
dieſes haben Wir Uns Eigenhaͤndig underſchrie⸗
Yen, and Unfer Fuͤrſil. Inſtegel dato beygetruckt,
md noch einmahl diefes befräfftigen Go ges
geben in Unferer Reſidenz Ludwigäburg, den
zıten Gebr, 1732»
| Eberhard Ludwig H. z. W. |
(L. 5.)
Ben
KH. Eerh. Ludw. zu Würtemb, 129
er.
Bon Serenifimo Defuncto mit eigenen
Handen geſchrieben.
Wir von Gottes Gnaden, Eberhard Lud⸗
wig, Herzog zu Mürttenberg und Toͤck ꝛc.
geben dir hirmit den Befehl außtrudentlich,
ohn alle Wiederrede und außfluͤchten, fie moͤ⸗
gen auch nahmen haben, wie ſie wollen und
Tome, von Unſerer Kammerſchreiberey all⸗
fh 3000 Rhein. an die Gräfin Fribe⸗
rica Wilhelmina von Sayn und Wittgeuſtein,
gebohrne von Wenfen, zu vier Quartal vicha
tig zu ihren aigenen Händen einzuhaͤudigen WM
ſo lang Sie die Graͤffin das Leben haben wuͤrd,
darnach dus dich zu richten wiſſen wirſt, und die⸗
jerigen, fo die fit deinem Ambt nachfolgen
werben, bey Verluſt Gostes Gnade und dep:
Ewigen Fluchs zu befahren.haben wuͤrſt, So
bu dich nicht wach Unſorm lezten Willens Ver⸗
ordnung verhalten wuͤrſt, So befehlen Wir
dir hirmit in allem dieſem ſtriſte nachzukom⸗
Patr. Archiv, III. Teil J
130°. Xeflament
men und zu leben, So gegeben in Unfes
er MRefidenz Ludwigsburg, ben zıt m Febr.
1732»
Eberhard Ludwig H. 3. W.
(LS)
*
* me
Im Namen der heiligen Dreieinigkeit.
Dafern es dem Allerhoͤchſten gefallen ſollte,
Uns und Unſere Lande mit einem oder mehrern
Fuͤrſtlichen maͤnnlichen Leibes⸗ und Leheus⸗
Erben annoch zu erfreuen: So ſezen, derord⸗
nen und wollen Wir hiemit, daß, im Fall
Wir vor deren erlangter Majorennität, nad)
göttlichen Willen, felig dahin fcheiden follten,
ſodann Unferer herzgelicbteflen Frau Gemah⸗
lin Lieben, fofern dieſelbe annoch im Leben,
und neben derofelben Unſer naͤchſter Fürfilicher
Agnatus, gufamt dem geheimen Raths⸗Kol⸗
legio, auf ben Fuß, wie Unferer in Gost rus
}
H. Eberh. Ludw. zu Würtemb. zzr
benden Fran Mutter Gnaden über Uns die
Tutel und Curatel geführt, über den oder dies
felben die Vormundſchaft führen, uud ihre vor⸗
nehmſte Abſicht dahin richten mögen , daß er,
ober fie, in allen Chriſtfuͤrſtlichen Tugenden,
gumalen aber der wahren Evangelifchen Luthes
riſchen Religion, erzogen werden, |
Und weil auch die Umflände des Prinzen
Karl Chriſtian Erdmanns von Würtembergs
Sels, Unfers Vetters, folchergeflalten befchafs
fen, daß derfelbe allerdings fernerer Huͤlfe vons
noͤthen haben börfte: So erſuchen Wir zugleich
Unfere Fuͤrſtl. Regiments⸗Nachfolger, zu deſſen
Conſolation ſowohl, als auch zum Anſehen
Unſers Fuͤrſtlichen Hauſes, demſelben weiter
unter die Arme zu greifen, und ihm alle freund⸗
vetterliche Neigung, in ſolang er ſolche mit
ſchuldiger Dankbarkeit erkennen wird, jederzeit
zugehen zu laſſen, die vornehmſte Sorge aber
dahin zu tragen, daß er gleichfalls in allen
einem Fuͤrſten wohlanſtaͤndigen Tugenden, ſon⸗
derheitlich aber in der wahren Evangeliſchen
| 9
132 Zeftament
Chriſtlichen Religion noch ferner erzogen wer⸗
den möge. Deffen zu Urkund haben Wir diefe
Schedulam teftamentariam Unſerm Haupt⸗
Teſtamente beigefügt, ald ob ſie demfelben von
Wort zu Wort einverleibet und inferirt wäre.
3u den Ende Wir diefelbe mit Unferer eigens
händigen Unterfchrift und beigedruckten Secret⸗
Inſiegel bekraͤftiget haben. Ludwigeburg, den
11. Febr. 1732.
(L. S) Eberhard Ludwig, Herzog je
Wuͤrtemberg.
v
-
' *
5. Eberh. Ludw. zu Würtemb. 133
Anbaung.
I.
Von Gottes Gnaden, Karl Alerander, Hers
zog zu Würtemberg und Ted, Graf zu Möms
pelgard, Kerr zu Heidenheim ꝛc.
Unfern Gruß zuvor, Wohlgebohrner, Ve⸗
her, Hochgelehrter, Liebe Gerrene!
Demnach Wir gnaͤdigſt entfchloffen find,
das biähero ohnerledigt geflandene, von Unferm
leztern hochfeligen Regiments s Vorfahren hers
ruͤhrende Erbſchafts⸗Werk in feine dereinflige
‚Richtigkeit dergeflalten zu fezen, Daß anvorderſt
nach dern Und ex pacto & providentia Majo-
rum angeflammten Fuͤrſtlichen Succeßions⸗
Rechte, und denen übrigen dahin einfchlagenden
Prärogativen und Vefugniffen , fodann aber
auch zu billigmäßiger Satiöfacirung derer übris
gen Fürftlichen Exrbs » Sutereffenten,, in fo viel
die vorhandenen.alts Fürftlichen Verträge, Pa-
&a Domus, und Land⸗Rechte es zulaffen, dars
unser die endliche Auskunft verfchaft, zumalen
53
134 Teſtament ——
und vornehmlich aber von der hiemit in der
Perſon Eurer, Unſers Geheimen Raths, Ba⸗
ron von Schuͤz, ingleichen auch Eurer, Unſers
Geheimen Rath Schaͤffers, und Regierungs⸗
Rath Georgii gnaͤdigſt angeordneten eigenen
Commißion, das von des abgelebten leztern
Herzogs Liebden hinterlaſſene Teſtament vor⸗
gaͤngig, wohlbedaͤchtlich und genau eingeſehen,
und ſowohl nach den Formalibus, als Eſſen-
tialibus dergeſtalten erwogen und gepruͤft wer⸗
de: Ob ſolches zu Recht beſtehen, oder
aber nach jenen Præmiſſis, vor vitios, ohn⸗
guͤltig oder null gehalten werden koͤnne
und möge?! Als iſt Unfer gnaͤdigſtes Ges
finnen hiemit au Euch, Ihr wollet Uns Eure
gutachtliche und rechtliche Meinung, und zwar
durch kurze, nervoſe und ſchriftlich abgeſaßte
ſingula Vota vorderlichſt und dergeſtalt eroͤf⸗
nen, wie Ihr ſolches vor Gott, dem Kaiſer,
den Roͤmiſchen Reiche, und gegen Uns in
Eurem Gewiflen dermaleins zu verantworten
gedenket.
Im Fall aber das Teſtamentum quæ-
flionis vorerwaͤhntermaſſen zu Recht wicht ber
„
H. Eberh. Ludw. zu Wuͤrtemb. 135
fiehen koͤnnte; fo wollen Wir, daß alsbann
hiebei anf das Euch Unferm Geheimen Rath,
Baron von Schäz, zugeſtellte, von und nies
bergefchriebene eigenhändige Billet, ald worinn
Mir ein und anders pro regulativo feflgefer
zet, das Augenmerk gerichtet, in dem übrigen
aber bad weiters Behnfige dabei bergeflalt abs
ſtruirt und beobachtet werbe, was nad, Maßs
gabe der Pactorum Familie und vorgefchries
benen Rechte, ald fonften zu Unſerm Vor⸗
ſtande und Intereſſe dienſllich und erſprießlich
ſeyn mag.
Wenn nun darunter das Erforderliche von
Euch praͤparirt, und bad von Euch verlangte
raͤthliche Gutachten erflattet , und von Uns
eingefehen worben, aud) bad Nähere barob abs
gefhloffen feyn wird; So wollen Wir alds
dann gefchehen laſſen, daß nach vorgängig zu
ertheilender Notiz an bie Fürftliche Allodials
Intereffenten, von dieſen Ihre Bevollmaͤchtig⸗
te zu der weitern Verhandlung und ſchiedll⸗
hen gaͤnzlichen Auseinanderſezung inſtruirt
und abgeordnet werden moͤgen. Melden Wir
iu Guaden, womit Wir Euch ſtets wohl bei⸗
34
\
136 Ä Zeftament
N oethan verbleiben, Ludwigsburg ‚den gten
Mart. 173 6.
Karl Alexander H. z. W.
Beiſaz von Sereniſſimi eigener Hand.
Auch hauptſaͤchlich unterſuchen, wie und
auff was Artt, die Inventur beſchehen, ins
deme vieled inventiret, welches nimmeltmehr
| zum Allodiale gehörig war, ba ift infondere
heit der Caſtellan Veiel darüber zu vernens
men,
Ueberſchrift.
Denen Wohlgebehrnen, Velten, Hochge⸗
lehrten, Unſern Geheimen⸗-Raͤthen, wie auch
Megierungs: Rath und Kammer⸗ Procuratori
and Lieben Getreuen, Andreas Henrich, Frey⸗
herrn von Schuͤtz, Johann Theodoro Schaͤffern
und Johaun Eberhard Georgii.
Stuttgard.
H. Eberb. LZudw. zu Wuͤrtemb. 137
2r
| Billet von Sereniflimi eigener Hand, an den
Geheimen Rath, Baron von Schuß.
Den 3. Febr. 1736.
Mit dem Erbfchafft Werfen hätte ich gar
gene Eine Endſchafft, damit aber ber Herr
Meine Intention vorhero recht weißt, fo fage
ih Ihme, daß ich nichts vor Allodial erkenne,
alß was der Herzog feel, ſelbſt an ſich erkauft
bat, gang nicht, was Er yon dem Herzog
Wilhelm Ludwig Seinem Hrn. Vattern als
regierendem Herzogen ererbt hatt, noch wenis
ger wad vom Herzog Eberhard ald meinem
Groß Vatter herkomt, welches alles ſchon
zum Land gehöhrer hatt, und Fein Allodial
mehr Können geheifen werden, Was aber der
legt verflorbene Herzog von Seiner Chatoull
an Guͤtter uud Meublen erfauft, ſolches Fan
Allodial ſeyn, und gehöret eben nicht zum
"Sand ,. alles andere difputire ich , und haben
die Herren „ fo die Commißion gehabt, fehr
grob gefehlet, warum Sie andere Sachen bars
33
*
138 Teſt. H. Eberh. Ludw. zu Wuͤrt.
under gemenget; dieſes dem Herrn zu Seiner
Direction. Ob nun die Erben viele Schulden
damit abzahlen werden , da mögen Sie zufes
ben, danu von dieſem Principio gehe ich nicht
ab, und wird der Proceß mohl etlich
hundert Jahre dauren, dann id) in der
Poſſeßion gar wohl zufehen Fan. 9
Karl Uerander H. z. W.
*) Fuͤrſten⸗Gewiſſen und Fürftens Glaube alter und
neuer Zeiten, bie fich vortreflich mit Dem Zide reis
men, den man einen Kaifer wegen reiner und ſchleu⸗
niger Rechtshuͤlfe ſchwoͤren urkcht.
W.
Koͤniglicher
Kehinets-⸗Juſtiz⸗Mord,
vom Sabre 173%
Wan wir von dem Bethlehemitiſchen Kin⸗
ders Mord, von dem Kammer⸗ Ball der He⸗
rodias, die Dad Haupt Johannis herunter tanzs
n, und andern ähnlichen Scenen der alten Welt
atenmäßige Nachrichten hätten, fo würden fie
zur Theorie und Gefchichte ber Kabinets⸗Ju⸗
ſig betraͤchtliche Beitraͤge liefern, und etwa
Winke enthalten: ob denn Herodes lauter ſtum⸗
me Hunde um ſich gehabt? oder ſich noch hie
und da eine leiſe Stimme zum Abbitten und
Vorbitten gefunden habe? da ber gleichwohl
widrige Erfolg noch nicht das Gegentheil, ſon⸗
dern nur ſo viel beweiſet, daß es nichts gehol⸗
ſen habe.
Die Faͤlle, wo fo vor lieber langer Weile,
imer Buhlerin zu gefallen, ober in einer bloſſen
üblen Laune die Köpfe herunter gefäbele wors
ben, find freilich feltens vielmehr bemeifet bie
Geſchichte aller gefltteten Europaͤiſchen Völker;
daß die ſchlimmſten Tyrannen, die feinſten Des
roten, die ungerechteſten Richter, die verwor⸗
2143 Königlicher -
Fenfien Juſtiz⸗NMaͤckler zugleich die größten
Sormaliften gewefen. Wenn der Kopf her:
unter follte, wurbe er vorerfl herunter demon⸗
ftrirt,, und hiezu fanden fid überall und zu als
len Seiten Leute, bie fi) baranf verfichen, und
Dazu gebrauchen laſſen.
Keiner ſage: wir find über biefe Zeiten
hinaus! Wir find indeffen Chriften, aber um
‚nichts befier geworben. Wie bie Neronen ihre
Sklaven⸗ Senate, die Juden ihre Synedrien
hatten, fo haben wir unfere Parlamente, großen
und Fleinen Math, unfere Regierungen unb Ges
zichtähöfe, unfere Schöppenflühle, Juriſten⸗
Fakultäten, Obers uud Unter » Fifcale, Com-
miſſiones ex fpeciali mandato, u. ſ. w.
Der erſte und befle aller Menſchen iſt ala
ein Betrüger, Gotteöläfterer und WVerführer
des Volkes gerichtlich angeklagt, durch falfche
Zeugen gerichtliche Beweiſe gegen ihn ges
führt, und folder gerichtlich) zum Tode vers
urtheilt, Jeſus Chriſtus, unfer Her, iſt
nach allen Formalitaͤten der Geſeze gekreu⸗
ziget, Stephanus erſt nad) Zeugen» Verhoͤ⸗
sen und Stimmen⸗GSammlung per eminenter
Kabimeis-sufiz-: Mord. 243
majora gefteiniget, Suß wad) laugen pros
_ tollarifchen Werhanblungen eines ganzen Cons
ciliums verbrannt worden, und bieß wird
hi zum lezten Maͤrthrer und Zengen ber Wahr⸗
keit fo fortgehen bis and Ende ber Tage.
Darchgehet man die Reihen ber Staats⸗
Wörtyrer „ fo if kein Jahrbundert, kein
Reid, kein Fuͤrſtenthum, Feine Republik und
Statt, die nicht ihren de Thon, ihren Olden⸗
dameveld, ihren Goerz, ihren Erell, u. ſ. w.
auizuweifen haben, benen, ehe fie noch ihr Ges
fingsiß betreten, der Tod fchon zugedacht
mar, ver Kopf aber erfi in forma artis Juſtiz⸗
mäßig herunter gebrehet worden; und, wo e&
nicht auf Tod und Leben, aber auf dad, was
wandern Lieber dann Gut uud Leben iſt, auf
Ehre und guten Namen geht, welche Juſtiz⸗
"Morde werben noch immer in allen chriftlis
Gen Landen begangen? bed tödtenden Bratens
am langſamen Teuer , bed lebentigen Wera
ſhmachtens am Spieße der Termine, und ans
derer Qualen der alten Ehebrecherin, ber ſo⸗
Zruen heiligen Juſtiz, nicht zu geden⸗
aa
144 Königlicher
Das für aller Wels Suͤnden vergoffene Blu
Chriſti hat insbefondere auch für die Sünden:
der Gerichtsſtuͤhle, der Urtheilöfprecher, und
bes ganzen Juriſten⸗Volkes fließen, und ex, bee
Gerechte und Unſchuldige, für die Juſtiz⸗
Sünden aller Welt buͤßen muͤßen. Es fan
and, Suriften, innigſt beſchaͤmen und beugen,
nicht nur, daß wir Menfchen und Sünder
überhaupt find, fondern daß wir Juriſten find,
and wir haben, fo lieb und unſere Seele ſeyn
fol, für unfere Megierungen, Gefeje, Ges
richte, Akten und ganze Suflis » Pflege bie
Beſprengung des Blutes Chriſti täglich zu ers
bitten.
Denn — frei vom Herzen weg ed-gefagt,
Geſeze und Ordnungen find nicht nur ‘eine
ſchwache Schuzmwehre gegen Ungerechtigkeiten,
fondern fie find juſt oft das Mittel und Vehi⸗
kel, die greulichſten und vorfezlichften Haͤrtig⸗
Zeiten und Ungerechtigkeiten nur mit deſto dreis
ſterer Frechheit zu begehen. Auch mag Mon⸗
tesquieu inimer prebigen: Ein König foll
nicht felbft ſtrafen, foll nur die Geſeze firafen
laſſen; wie viele Fälle finden fich nicht immer
und
Kabinets⸗Juſtiz⸗ Mor. 145°
and überall, welche von den Gefezen gar nicht
geneunet, ober doc) unbeſtimmt enrichieben wers
ben. In folchen uud andern Fällen bebt der
sehrfhjaffene, gewiffenhafte Masn in fich felcf,
am zwifchen der wahren oder ſcheinbaren Ötrens
ge ber Gefeze sind den Gefühlen des Midleides,
ber Billigkeit, ber Meufhlichkeit und Wiens
(denliebe den untadelhaften Mittelweg zu fins
den, in allen ſolchen aber bat ein harter, ges
waltshätiger , zorniger , eigenfinuiger,, von Lei⸗
tafhaften tyrannifirter Fuͤrſt, und ein unges
nechter, eigenmüziger, partheilfcher, paßionirter,
buch Menſchen⸗Furcht oder Menfchen, Gefäls
Ügfeit geleiteter Lohn⸗Kuecht vom Richter offes
nes Geld, und für feine und feines Fuͤrſten Abe
fihten gewonnenes Spiel.
In jedem einzelnen Kalle haben wir Gife
lig die Hand auf den Mund zu legen, und in
der Unbetung der Gerichte Gottes. ruhig zu
bleiben, weil Gottes Bulaffang heilig ift, wenn
fie zur Kerumbolang, Demäthigung uud Er⸗
tettang eines fich felbft uͤberhebenden in fein
wem Stolze und Eitelkeit unbeilbar gewordenen
Menihen, und zur Warnung vieler anderer,
Patr. Archiv, III. Theil. K
146 ° Königlichen.
harte Mittel gebraucden, und, um bie Seele
zu erhalten, das Leibes⸗Leben abfchneiden nınp.
Wie mancher ift feliger enthanptet nnd gevier⸗
theilt worben, als er.ohne diefe gewalstfame Kur
begraben worben wäre. Der Schaͤchers⸗Prozeß
in Dännemarf der Grafen von Struenfee und
Brand Fan bavon das neuefle und noch ange
gefegnese-Veifpiel liefern.
Wozu’ alfo, möchte man einwenden, Uns
führung von Beifpielen, wem folche gleichwohl
in einzelnen ähnlichen Fällen zu nichts Lies
nen, dem Leidenden zu nichts helfen ? Ob fie
zu gar nichts dienen, Fan der allwiffende Hers
zend-Kündige allein wiffen, die Gefchichte bes
wahret und wenigſtens noch aus dem. jezigen
Jahrhunderte dad Bekaͤnntniß eined großen Koͤ⸗
niges, was ein zu rechter Zeit ihm vor Augen
geftellter Spiegel geholfen haben würde. Der
Ritter von Rohan ward ber Theilnehmung
an einer Staats⸗Verſchwoͤrung (fo hieß man
die gegen den Kardinal Minifler zufammen ges
tretene Parthie) beſchuldiget, und ihm dad Les
ben abgeſprochen. Am Abende bes Tages, an
welchem ber muglädliche Mann den Kopf vers
|
|
|
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 147
lohr, warb auf dem Theater zu Verfailles die
Tragoͤdie Cinna vor dem großen Dichter Cor⸗
neille aufgeführt. Ludwig XIV warb durch
die darinn enthaltenen Gefinnungen ber Großs
math gegen Feinde fo gerührt, daß er nachher
bekannte : daß, wenn in biefem Augenblicke
jemand zu Gunflen des Staats» Verbrechers
gefprochen hätte, er alles, warnın man ihn
gebeten, bewilliget haben würde *), Können -
wir, meine Lefer und ich, wiffen: (unb wels
er würde die Möglichkeit zu verneinen' ges
trauen?) ob nicht nach vierzig, fünfzig, hundert
Fahren eine ſolche Erzählung in die Hände eis.
ned fünftigen Koͤniges oder Erbfuͤrſten geriich,
and in feinem Herzen einen fo tiefen Eindruck
and Abſcheu zuruͤcklaͤßt, der einem Unfchuldis
gen das Leben rettet, ober ihn fonfl vor übers
eilten und gemaltthätigen Entfchließungen und
Ungerechtigfeiten bewahrt? Bei unfern ben Des
ſpotismud nicht mehr in bloffe Temperamentss
Hize, fondern auf Grundſaͤze bringenden Zeis
2
®) Anecdotes literaires Tom. II. pag. 9.
=
148 Koͤniglicher
ten muß durch Lehre ſowohl, als Beiſpiele da⸗
gegen geſtritten werben, und leztere wirken ofe
ſtaͤrker, dann dieſe.
Hauptſaͤchlich aber gilt ed allen zur Wars
nung, die mit Suftiz, Sachen aller Gattung zus
thun haben, und noch nicht entfchloffene Juſtiz⸗
und Seelen s Verkäufer geworden find, um in
Gemüthern, den Eindruͤcken von Religion und
Menſchenliebe noch offen, die heilige Schen _
vor Gott und bie ſich ſelbſt ſchuldige Achtung
zu erweden , zu begruͤnden und zu befefligen,
baß fie den feften Vorfaz faflen, unter keinem
Vorwande, auf keine menſchliche Autoritaͤt,
um keines Gewinns oder Schadens willen ſich
zu Dienern ber Ungerechtigkeit, zu Werkzeu⸗
gen des Zorns und der Leideuſchaſten gebrau⸗
chen zu laſſen, um aus der zum Leben und Ge⸗
ſundheit der Menſchen beſtimmten Arzuei ber
Geſeze und fogenaunten Rechtes ein Gift zum
Ungluͤck irgend eined Menfchen zu bereiten ,
und ihn am Leben. oder Ehre geſezmaͤßig
umzubringen.
Gott Lob! und zur Ehre der Menſchheit
- giebt ed auch noch ſolche Männer, einzeln und
Kabinets: Fuftiz: Mord. 149
in mehrerer Zahl, welde HZorazens Lob vers
dienen : |
Juftum & tenacem propofiti viram,
Non civium ardor prava fubentium,
Non vultus inftantis tyranni
Mente quatit folida;
und Ihre zeitliche Belohnung ifl, neben em
ftolzen Seelen: Frieden ihres eigenen Gewiſſens,
noch immer der gewefen, daß neben ben Nas
men und Gefchichte ber Märtyrer aud) ihre, ber
aiht Einfliimmenden, theure Namen mit ges
vennet, und zur dankbaren Verehrung ber
Nachwelt anfbehalten worden, wohingegen oft
die Namen der aͤrgſten Feinde, Verfolger ,
Anfifter und Aufhezer zur gerechten Strafe
ihres Unwerths ind Meer der Vergeſſenheit
verſenket, nicht einmal genennet worben, bamit
ihr Gedaͤchtniß vergehe.
Sn der Geſchichte bes erſten Blutzeugens
der chriſtlichen Religion, Stephani, iſt Ga⸗
maliels Name und ſein weiſer toleranter bil⸗
liger Rath allein genennet, und wird bis ans
Ende der Tage genennet und geprieſen werden,
von dem Namen des Praͤſidenten bes Blutge⸗
83
*
150 Koͤniglicher
richtes und allen demſelben beigeſeſſenen Hohen⸗
prieſtern und Schriftgelehrten wiſſen wir nichts;
welches, wenn ed mich nicht zu febr vom Zwe⸗
de abführte, aus der Geſchichte aller Europaͤi⸗
ſchen Staaten in ähnlichen Fällen noch weiters
belegt werben koͤnnte.
Es mag dann aber an biefen wenigen vor⸗
gängigen Bemerkungen oder Winfen genug
ſeyn; nachfolgende Gefchichte flellt und ein ers
ſchreckliches Beiſpiel eines im hoͤchſten Zorne
aufgebrachten und unverföhnlich erbitterten Koͤ⸗
niges einerfeitd, und andererfeitö ein Beifpiel
der Maͤßigung von Männern dar, bie ſich nicht
dazu erniebriget haben, Del ind Teuer zu giefs
fen, die vielmehr zur Milde, flatt Strenge, ans
gerathen, bamit zwar nichtd ausgerichtet, hins
gegen ihr Gewiffen von Blut-Schulden frei ges
halten, und die Verantwortung, da fie ſich der
Gewalt nicht wiberfezen konnten, blos ihres
Deren Deren überlaffen haben.
' *
* *
Das Wichtigfte bei biefer ganzen traurigen
Geſchichte ift die Frage: ob ein Regent, König,
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 151
Fuͤrſt, oder wie er heiße, der eine peinlich ers
ahtete Sache dem dazu unter feiner Auctoritaͤt
bereitd vorhandenen, ober eigends niebergefezten
Gerichte zur genaueſten Unterſuchung, gewiſ⸗
ſenhaften Pruͤfung und gerechten Entſchei⸗
dung uͤbergeben hat, und dieſes Gericht das
nach beßtem Wiſſen und Gewiſſen gefaßte Ur⸗
til dem Fuͤrſten, als Herrn uͤber zeitliches
Leben und Tod, zur Beſtaͤttigung vorlegt, ob
en folder Herr die gerichtlich zuerkaunte
Strafe nicht mildern , fondern, weil ihm die
Geſeze nicht feharf genug, oder deren Anwen⸗
dung nicht fireng genug ſcheinen, erfchweren,
bis zum hoͤchſten Grade deflen, mas ein Menſch
zu leiden ober zu verliehren hat, fhärfen und
eiöweren Eönne?
.".
Diefe Frage iſt und wird je Yänger, je mehr,
son großer Wichtigkeit, je mehr unfere Könige
und Fuͤrſten ſich an Gefeze nichtsgebunden, über
Geſeze erhaben, fich allein und perfönlich
Geſezgeber zu ſeyn waͤhnen, und daher Stra⸗
fen anſezen, von deren Gefahr der Verbrecher
| R:g
152 Ä Königlicher
Ä |
aichts gewußt, fondern im Fall ſolchen Willens |
dad Verbrechen nicht begangen hätte, welche
die Allmacht ihres Willens, ihren Zorn, Groll
und Leidenihaften, Temperaments⸗Hize und
Herzens» Härtigkeit zur alleinigen Norm von
Strafe und Behandlung ihrer Diener und Uns
sertbanen annehmen , und andere dadurch zu
einem gleichmaͤßig harten und geſezwidrigen
Verfahren verleiten, noͤthigen und verführen.
Sie verdiente, dieſe Frage, von einem chriſt⸗
lich⸗ philoſophiſchen Kopfe bearbeitet, und mit
anſchaulichen Beiſpielen beleget zu werden, um
mit der eruſtlichſten Liebe und eindringendſten
Berebſamkeit den Göttern der Erde alle bie
ſchreckliche Folgen begreiflih und glanben zu
machen, denen fie ſich felbfl, die innere Rube
ihrer Staaten, und bie Sicherheit ihrer Herr⸗
ſchaft durch ſolche Grundſaͤze und Handelsweiſen
einer ungebundenen und willkuͤhrlichen Ju⸗
ſtiz⸗ Verwaltung ausſezen, bie ſich (nur hie
and da früher oder fpäter) ſchlechterdingd nicht
anders, ald mit innerer Zerrüttung der politia
ſchen Verfaſſung und offentlihem Aufruhr en⸗
digen Eau; und wo e& auch nicht jo weit reicht,
|
Kabinets Juſuz ⸗Mord. 153
und die Schrecken der militariſchen Gewalt dem
Ausbruche der Klagen, des Murrens und ber
Geufzer die Wage hält, den Regenten doch
vicht mehr fuͤrchten und lieben, ſondern haſſen,
and ben ſchmaͤhlichſten Flecken in dem Rubhme
ſeines Namens und Regierung macht.
.” E |
Doch! was fage ich von einer einzelnen Ab⸗
Watlangz alle redliche, einfehende ‚ für Men⸗
ſchen⸗Wohl und Würde gefühloolle Männer
folten gemeine Sache machen, jenen ungebeus.
u Ölauben anzugreifen, und in Kehren und
Schriften, von Kanzeln und Kathedern offent ⸗·
lich zu beſtreiten; weil es Beduͤrfniß unſerer
Zeiten, namentlich und vorzuͤglich auch in
Dentſchland, il. Um fi) davon zu übers
senden, bedarf ed nur Mugen, am zu ſehen und’
zu leſen, wohl dem, der nur Ohren hat, um:
#000 ferne zu hoͤren.
*
ze
Die Urfachen bavon Liegen ganz nahe. Kd⸗
uig Georg I in Engellaud naunte feinen Schwas
| 8; u
154 Koͤniglicher
ger, König Friderich Wilhelmen in Prengen =
Mein Bruder, der Sergeant; und wenn
diefer von Georgen ſprach, fagte e: Mein
Bruder, der Komödiant *). Leider! bes
kommen wir an unfern Deutfchen Fürflen und
Fürften » Söhnen nur allzuoft den Korporal
und Komöbianten in Einer Perfon beifammen;
and kein Wunder, weil von ber erſten Bils
bung und Erziehung an baranf gearbeitet wird.
Sonft mußten die Fürften» Söhne, vornehms
lich die Eünftigen Exbfolger, Ternen, wie jes
bed Bürgerd-Kind zu feiner Kunſt oder Hands
werk unterrichtet wird, und es iſt in ben Lebens⸗
Geſchichten unferer alten Deutſchen Fürften
vielmals forgfältig angemerkt, daß fie das bürs
erliche Recht, das. peinliche Recht, ihr Lands
Recht, u. d. g. fludiren müßen, wie jeder ans
derer, ber davon einft feine Nahrung zu haben
gebenfet. Sie mußten bei reifern Jahren die
Kollegien beſuchen und wahrſchauen, wie Recht
und Gerechtigkeit gehandhabet, und uͤber Leben,
*) Memoires pour ſervir à l'hiſt. de Brandebourg
T. U. p. 137. dee Ausgabe in 4
Kabinets- Zufliz- Mord. 155
Ehre, Hab und Gut der Unterthanen , über
ihre Rechte und Freiheiten, nach abgemeſſenen
Berhältniffen und bedächtlicher Vorſicht, ges
bandelt werden, und in weldhen Gränzen ſich
Gewalt und Recht des Landesherrn enthalten
müße. Der Unterricht wurde Landes Einges
bohruen, oder doc) guten biederu Deutfchen,
and die Ober⸗Aufſicht Männern anvertrauet,
deren Patriotismus und Erfahrung bie Rechts
ſchaſſenheĩt ihres Charakters und Srundfäze vers
bürgee. Und nun! — wie viele Deutſche Prins
zen find noch übrig , bie man nicht in Unis
forme, mit dem Sponton in der Hand unb
einer Komödie, wo nicht gar ihrer eigenen zu
erlernenten Rolle, in der Taſche antrift? wie
viele find ihrer, die man auf dad natärlice,
bürgerliche und Landrecht eraminiren dörfte ?
wie viele, Die nur einmal, weil ihnen doch vor.
allem Deutichen fo leicht edelt, einen Mon-
tesquieu, ober Duguet, ober den Contraft
focial eined Roufleau gelefen haben und vers
fiehen ? die Zumuthung, ben jungen Herrn auf
die Regierung, ober in ein Hofgericht zu fchis
den, würde mit Mohngelächter beantwortet
1530 Königlicher
werben; höchflens und bieß noch, wo ed recht
gut geht, in den geheimen Rath, damit er ja
geitig genug befehlen lerne. Wie viele Deutfche
Kürften find, die jemals ihre eigene Landes⸗
Gefeze und Rechte, die Verträge mit ihren
Landfländen, bie Teflamente ihrer Voreltern
gefehen , ober nur zu fehen verlangt haben 2
die nur einen deutlichen, hellen, überzeugenden
Begriff davon haben, daß ihr Wollen und
Nichtwollen gewiſſen Regeln und Gefezen uns
tergeordnet, und nicht nur dad Werk des blofs
ſen Inſtinkts oder eines flachen Raifonnement
ſei. Wer follte ihnen auch biefe Ueberzeugung
beigebracht haben? der Franzöfifche Hofmeifter
gewiß nicht, und ber Franzöfifche Schweizer,
der nur feine bedungene Jahre anshält, um.
bie verfprochene lebenslängliche Penfion zu vers
dienen, eben fo wenig. So koͤnnten's dann
die Eingebohrnen thun; ſie koͤnnten es, wenn
ſie wollten, wenn nicht Eigennuz und Trachten
nach Fuͤrſten⸗Gunſt fie zu Heuchlern und
Schmeichlern machten, wenn nicht die Grunds
ſaͤze ſchon ſo vergiftet wären, daß es Muͤhe
bat, noch einen Reinen unter den Marelnen zu
|
Kabinets⸗ Juſtiz ⸗ Mord. 157
ſinden, mern wicht auch Deutſche Verraͤther ih⸗
rer eigenen Sache und ihrer Kompatrioten waͤ⸗
sen, uub ed nicht fafl überall fo gieng, wie bei
Sofeph II, dem ala Römifchen Könige zween
Hof⸗Raͤthe die beſchworne Wahl⸗ Kapitulas
tion erklaͤren ſollten, und ihm bei jedem Pa⸗
ragraphen vordemonftrirten: daß, uud warum
er ihn nicht halten koͤnne und doͤrfe?
So zubereitet, mit ſo tiefer Unwiſſenheit
emer⸗ und mit ſolchem Selbſtgefuͤhle anderers
Fetsg, nur von dem blinden Gehorſam ihrer
Diener und Unterthanen uud ihrer eigenen
Machtvolllommenheit überzeugt und durchs
drangen, treten fie dann gemöhnlichermaffen
einſt die Megierung ihrer Lande an. Kan man
aladann nod) fragen, fich ed noch befremden
laſſen: warum die Rechte der Menfchheit
militarifch, und die Beichäfte der Regie⸗
rung nur fpielend behandelt werden ? —
Nicht überall, aber doch häufig; — heut zu
Tage mehr, ald ſonſt; nicht nur von Königen,
auch von Fuͤrſten, und von biefen voch mehr,
ald von jenen, nicht nur, weil ed mehr Fürs
ſten als Könige giebt, fondern weil jene ſchlechter
1588 KXöniglicher -
dann biefe erzogen, und von einer Generation
zur andern Defpotiämus und Ungebunbendeit,
verknüpft mit Unglauben, Leichtfinn und Ders
berbniß der Sitten, unter ihnen Immer allges
meiner , mithin auch ihre Grundſaͤze immer
verdorbener werben.
Wie gerne möthte ich mur {oben ‚ wenn
ich ed mit gutem Gewiſſen koͤnnte, wenn mir
Wahrheit nit über alles heilig wäre? mie
gerne wollte ich fehweigen, wenn nur recht viele
andere vebeten , reden möchten und dörften?
Um ben Preis, welcher mir zu reden erlaube,
wird mich wenigſtens Feiner beneiden, Fuͤrſten
und Fuͤrſten⸗Schmeichler bedienen fidy aber das
gegen gleichfalls ihres alt» herkommlichen Rech—
tes, der kurzen Abfertigung:
Und wenn wir dich auch hoͤren ſollen,
Wir thun darnach doch, was wir wollen.
%
* %
Ich nähere mic, der Geſchichte ſelbſt. Es
iſt allgemein bekannt, daß der jeztregierende
RKoͤnig in Preußen im Jahre 1730, ohne Vor⸗
voiffen feines. Deren Vaters, König Friderich
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 159
Wilhelms , verreifes, um, wie ed hieß, in
Abſicht einer VBermählung mit einer Königl.
Prinzepin nach Engellaud zu gehen, daß Ihro
Majeſtaͤt aber noch eingeholet, und nad) Cuͤſtrin
in einen langen und engen Arreſt gebracht wor⸗
ben. Es iſt ferner befannt, und in offentli⸗
den Staatöfchriften davon Erwähnung gefches
ben, baß ber zornige König feine Baters Rechte
bis auf das Leben biefes feines Thronerben ers
firedden wollen, und baß nur eine von bem das
waligen Raiferlichen Gefanbten in Berlin, Felbs
markhall Grafen von Sedendorf, im Namen
Kaiſer Karls VI gethane fehr nachdruͤckliche
Borfiellung das Leben des Kronprinzend ges
rettet habe. . Defien Gefangenfhaft und dis
Unguade des Koͤnigs dauerte aber noch lange,
und er war bis an fein Ende fo fireng ald Va⸗
ter, ald ex ein harter und firenger König war.
So ſchildern ihn die Memoires de Brande-
bourg *) ſelbſt in ven Worten: Auftere dans
fes meurs, rigoureux fur celle des autres,
fevere obfervateur de la difcipline mili-
*) T.1I. p- 175. der Ausgabe in 4. von 1767,
160 Koͤniglicher
taire; ; gonvernant fon Etat par les memes
loix, que fon armee; i préſumoit fi bien
de ’humanite, qu’il pretendoit , que. fes
fujets fuflent aufli floiques, qu'il Petoit.
Bon jener Geſchichte ift in den Memeoires
nichts erwähnt, ‚fonbern nur mit ben wenigen
Worten baranf gedeutet: Nous avons pafle
fous filence les chagrins domefliques de
ce grand Prince, mit ben ganz nicht zu ers
wartenden Unhange : On doit avoir quel-
que indulgence pour la faute des enfans
en faveur des vertus d’un tel Pere. Die
Wariante dieſes Textes möchte wohl im kom⸗
menden Jahrhunderte fo lauten :: H faut par-
donner la feverite du Pere en faveur des
vertus. d’un tel fils,
*
* s
Der Kronprinz hatte zum Begleiter einen
bei ihm fehr beliebten jungen a2jährigen Liens
tenant von der Leibgarde der Gens d’armes,
von Katt, mitgenommen, beffen Vater und
Großvater noch lebten, und jener ald General,
dieſer aber ald Generals Feldmarſchall in des
Königs
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 161
Königs wirklichen Dienflen ſtunden. Als die
Reiſenden wieder zurüdgebracht waren, warb
ber von Katt in Arreſt, und ein Kriegs⸗Gericht
über ihn niebergefest.
Es wäre zu wünfchen, daß das von dieſem
Gerichte an den König erflastete gutachtlice
Vedenken zur Ehre deſſen Verfaffer und ber
Menſchlichkeit einſt vollſtaͤndig bekannt gemacht
wuͤrde, noch zur Zeit wiſſen wir davon nur fo
viel: daß von ben Richtern wegen Beſtrafung
de jungen Mannes anf ben Feſtungs ⸗Bau
angettagen worden.
Fade‘
Damit war dem zornigen Könige nicht ges
dient, der fich freilich ſelbſt ſagen konnte und
mußte: daß er flerblich fei, und ber von Kart
ihn gemächlich überleben, mithin die erleidende
deflungsban » Strafe von dem Thronfolger, un
den er litt, mit reicher Gnade vergütet werben
wirde. König Friderich Wilhelm änderte aus
eigener Diachtvolllommenheit ben m Aueſpruch in
folgendes Urtheil abs
Patr. Archiv, III. Theil. 8
162 Koͤnigliche
„Urtheil des Lieutenant von Katt.
Sn Inquiſitions⸗Sachen des Lies
tenant von Katt hat ein Koͤnigliches
Kriegsrecht ihm, da er confeſſus & con-
victus, den Feſtungs, Bau zuerkannt.
Ihro Majeſtaͤt aber ſehen nicht ab,
warum ſolche Sentenz ſo gar gelinde
in »nſehung ſolches ſchweren Verbre⸗
chens abgefaſſet; dahero Sie ſich ins⸗
Fünftige auf Ihrer Offiziers und Raͤthe
Treue wenig oder ger nicht zu
verlaſſen haben. Ihro Majeſtaͤt aber
ſind auch die Schule durchgegangen,
und das Spruͤchwort gelernet: Fiat ju-
ftitia, & pereat mundus! damit nun nies
mand fi) ferner dergleichen unterftes
ben , und leicht fid) darauf berufen
maoͤchte; weil es diefem fo Dingegangen,
koͤnne e8 mehr fo gefchehen: Als finden
ſich Ihro Koͤnigliche Majeſtaͤt sent
*) So heißt es bei allen Defpsten, Treue,. wenn man
biindlings ihren Leidenfchaften gehorcht.
Kabinets:Fuftizs Mord. 163
get, jelbft das Recht zu fprecdhen,
und Exemplum Juftitie zu ftstuiren. Da
ihm nun nichts zu viel gefchäbe, wenn
er als ein foldher , der ein Crimen læſæ
Majeftatis *) begangen, auch, weil er
ein Dffizier von der Armee, die Jhrd
Majeſtaͤt alle getreu ſeyn follten, befons
derö von dem Corps des Gens d’armes,
deme die Aufjicht über Ihro Majeſtaͤt
Seib und Samilte anvertrauer, mit
glüenden Zangen zerriſſen und aufge
ungen würde : So haben Ihro Maje⸗
ſtaͤt dennoch im Abfehen feiner Samilie
ſolches Urtheil mitigiret, und erkennen
von Rechtswegen: daß er mit dem
Schwerdte vom Ceben zum Tod gebracht
werde. Berlin, den 2. Nov. 1730.
Friderich Wilhelm. „
82
sy Nicht dach, Ungehorſam im Dienite, jugendlicher
Leichtſinn und Ehrgeiz war ed, nicht mehr, no
peuiger. |
n
1644 Königlider
® * »
» Die Koͤnigin, das Königliche Haus, bie
tiefgebeugten Eltern, der auf der Grube gehende
Großs Vater, und mehrere, thaten bie rührends
ſten und wehmüthigflen Vorfprachen und Vor⸗
fielungen, ber firenge König blieb aber uner«
bittlich, und erwieberte fogar, der Sage nad),
ben Fußfall einer hohen Dame mit einem Fuß⸗
tritt, an⸗welchem fie ihr ganzes Leben zu lei⸗
den hatte. Das Urtheil ward in dem Gouver⸗
nements⸗Hofe zu Cuͤſtrin den zen Nov. wirk⸗
lich vollzogen. Dad Blutgeruͤſt ward unter
den Zimmern, welche ber Kronprinz bewohnte,
aufgefhlagen, und ber König trieb die Härte
fo weit, feinen Sohn zu zwingen, daß er die.
Hinrichtung mit anfehen mußte. Vielleicht
hofte ber Kronprinz noch immer Gnade für feis
nen armen Katt. Als aber der toͤdtende Streich
wirklich geſchah, fiel er in Ohnmacht.
%*
( » * \
Der ungluͤckliche junge Mann hatte waͤh⸗
rend feiner Gefangenfhaft folgendes herzrühs '
Kabinets/Juſtiz ⸗Mord. 16
rende Schreiben an den unbarmherzigen Koͤnig
erlaſſen:
Allerdurchlanchtigſter ꝛc.
Nicht, mich zu rechtfertigen, nicht meine
bisherige Aufführung zu eutſchuldigen, noch
durch viele Rechts⸗ Gründe meine Unfchuld zu
zeigen, nein, fontern bie wahre Meue und
Keid in aller Unterthänigkeit Derofelben zu
Fuͤßen zu legen. Meine Jugend, Irrthum,
Sqwachheit, Unbedachtſamkeit, mein nicht 658
meinender Sinn, mein durch Liebe und Mits
liden eingenommenes Herz , ein eitler. Wahn
der Tugend, ber Feine Tuͤcke im Schilde fühs
re, find ed, mein König !, die demüthig um
Gnade und Erbarmang, Mitleiven, Barm⸗
herzigkeit und Erhoͤrung bitten und flehen.
Sort, ald der König aller Rönige und Herr
aller Herren, läßt Gnade für Recht ergehen, .
and bringet durch Erbarmung und Gnade ben
auf irrenden Wegen gehenden Suͤnder und
Mißethaͤter wieder zu ſeiner Pflicht. O! ſo,
mein Koͤnig! Sie, als ein Gott auf Erden,
laſſen mir doch dieſelbige Guade ‚ als einem
23
166 Koͤniglicher
gegen Euer Koͤnigliche Majeſtaͤt handelnden
Suͤnder und Mißethaͤter zufließen. Die Hoff⸗
nung der Erholung ſchonet noch der verdorr⸗
ten Baͤume, und erhaͤlt ſie vor der Glut des
Feuers. Warum ſoll denn ein Baum, der
ſchon wieder neue Knoſpen neuer Treue und
Unterthaͤnigkeit wirft, nicht Guade vor Euer
Koͤniglichen Majeſtaͤt Augen finden? warum
ſoll er ſich dann in ſeiner Bluͤthe neigen, und
nicht noch vorher zeigen, was Gnade und
Barmherzigkeit für unverfaͤlſchte Treue und
Gehorfam, wirfet ? Sch habe gefehlet,, mein
König! O! verzeih es dem redlichen Geſte⸗
ber, und gewähre mir, was auch Gott dem
größten Sünder nicht verfaget! Manaffes vers
mehrte ja , fo gottlos er auch geweſen, bie
Zahl der frommen Fuͤrſten. Saul Eonnte
nicht fo fehr in Unglüd fallen, noch David
nad) Unrecht dürften, als aufrihtig ihre Be⸗
kehruug war. So viele Tropfen Blutes im
meinen Adern fließen , fo viel follen Zeugen
feyn der neuen Treue und Gehorfamd , die
Dero Gnade und Huld in mir erwecket. Got⸗
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 167
ib Liebe und Gnade laſſen mich ja Erbarmung
finden. Sch flehe und bitte, als
° Em. Königl. Majeſtaͤt
ungehorſam geweſener, nunmehro aber
durch herzliche Neue und Leid wieder
zu ſeiner Pflicht getriebener Vaſall,
von Katt. |
2%
% *
Der Gefangene begleitete dieſe wehmuͤthige
Bitte an den Koͤnig mit folgendem an ſeinen
Großvater gerichteten Schreiben:
Guädiger Groß: Papa!
Mit was für Betruͤbniß und Gemürhds
Bewegung ich anjezo bie Feder anfeze, ift wohl
(dwerlich mit Worten genugfam auszubrüden.
Ich, der nicht die wenigfte Sorge Ihres Les
bens gemacht, um aus mir ein rechtſchaffen
Werkzeug zu machen, Gott, ber Welt und .
meinem Nächflen rechtfhaffen dienen zu füns
nen, dahero auch niemals’ von Ihnen gegans
gen, ohne heilſame Lehre und Ermahnung
x 4
168 Koͤniglicher
empfangen zu haben ; Sch, ber bie Goffung |
Ihres Alters feyn follte, muß leider! anjezo
das MWiederfpiel feyn, und lauter Gramm und
Herzeleid verurſachen; ja ich muß, anſtatt
‚eine freudige und gute Zeitung zu berichten, ein
Zranerbote feyn, und ſelbſt bad Todes » Urs
theil, fo über mid) ergangen, andeuten. Laſ⸗
fen Sie fi foldyes, mein gnaͤdiger Groß⸗
Papa, nicht fo fehr zu Herzen gehen. Got⸗
tes Schickung muß man mit gebuldigem Ges
muͤthe annehmen. Schicket er einem ein Uns
glück zu, fo wird er and) Gnade geben, fols
- bed mit flandhaften Gemüthe zu ertragen,
und zu überwinden. Ihm iſt nichts unmögs
lich, es find ihm auch Mittel genug befanns,
. zu belfen, dem, wen er will. Meine Hoffs
nung ſtehet feft auf ihn: Er kan das Herz
bed Königed noch lenken und regieren, daß es
ſich fo zur Gnade lenket, ald es zur Schärfe
bewegt. Iſt ed fein Wille nicht, fo fei Er
euch um deßwillen gelobet. Denn er kan ed
nicht anders ald gut mit und meinen. Darum
geb ich mich in die Gebuld, und erwarte, mas
Dero und anderer Borfprache bei Ihro Koͤn,
| SKabinets:Suftiz:Miord. 169
Najeſtaͤt für Wirkung thun werden: bitte ins
heſen tauſendmal um. Vergebung aller meiner
begaugenen Fehler, und hoffe, da Gott fols
ches dem größten Sünder nicht verfaget, alfo
werben Sie auch ſolches nicht thun au demjenis -
gen, der da bittet, als
Gnaͤdiger Großs Papa
Dero unterthänigfl »gehorfamfler
Sohn,
von Katt.
x a
3 *
Die aus tiefem Briefe aunoch hervorbli⸗
dende Hoffnung des Lebens war nun gänzlich
verſchwunden, der König war und blieb ans
verſoͤhnlich und unerbittlich, deſto kraͤftiger ſeg⸗
nete aber Gott die Zeit der Gefangenſchaft an
der Seele des jungen Mannes, der mit de⸗
müthigs freudigem Glauben ſeinem Tode ent⸗
gegen gieng. Die Geſchichte ſeiner lezten Le⸗
benss Tage iſt ſchon anderwaͤrts gedruckt, ich
erinnere mich wenigſtens fie bereits vor vielen
dahren geleſen zu haben, ohne mich der eigent⸗
x 5
170 Königlicher
uüchen Schrift, welche ſolche enthalten, mehr
entſinnen zu koͤnnen, auch wuͤrde ſie, als oh⸗
nehin zu weitlaͤuftig, in dieſer Sammlung
nicht Plaz gefunden haben. Zum Beweis aber
des oben geſagten, wie Gott ben Zorn und
Ungerechtigkeiten dev Könige und Fürften gleiche
wohl zum größern und ewigen Beßten derer,
ben fie treffen, zu lenken weiß, nnd ald eine
wichtige Urkunde von ber Kraft dev Religion
im Tode füge ich noch daB von dem feligen
Katt an feinen Vater alaſſene Abſchieds⸗
Schrelben bei;
„In Thränen möchte mein Herz ‚zerfliefs -
fen , mein Vater, wenn ich daran gedenke,
daß dieſes Blast Ihnen die größte Betruͤbniß,
forein trened Vaterherz empfinden Fan, vers
urfachen foll ; daß bie gehabte Hoffnung mei⸗
ner zeitlichen Wohlfahrt und Ihres Troſtes im
Alter auf einmal ’verfchtwinden muß; daß
Shre angewandte Mühe und Fleiß in meiner
Erziehung zu ber Reife des mir gewünfchten
Gluͤckes fo gar umſonſt gewefen, ja daß ich
ſchon in der Bluͤthe meiner Fahre mid) neigen
muß, ohne vorher Ihnen und der Welt bie
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. —
Feuͤchte Ihrer Ermahnungen und meiner ers
Iangten. Wiſſenſchaften zeigen zu koͤnnen. Wie
dachte ich mich in der Welt empor zu bringen,
and Ihrer gefaßten Hoffnung ein Genuͤgen zu
tun ? wie glaubte ich nicht, baß es mir an
meinem zeitlihen Gluͤcke und Wohlfahrt fehs
len koͤnnte? wie war. ich nicht eingenommen
von der Gewißheit eines großen Unfehens ?
aber alles umfonft! Wie nichtig find dev Mens
(deu Gedanken? auf einmal fällt alles übern
Haufen; und wie traurig endiget ſich nicht bie
Scene meined Lebens, und wie gar unters
fhieden iſt mein jeziger Zufland von dem, wos
mit meine Gedanken ſchwanger gegangen? Ich
muß, anflast den Weg der Ehre und Anſe⸗
hens, den Weg der Schmach und eines ſchaͤnd⸗
Iihen Todes wandern. Über, wie unbegreiflicy,
o Herr ! find deine Wege, und unerforfchlich
beine Gerichte! wohl recht heißet es: Gottes
Wege find nicht der Menſchen Wege, und der
Menſchen Wege find nicht Gottes Wege. Wirs
de ich nicht etwa in der Sicherheit feyu forts
gegangen, und bei alle dem Gluͤcke und Wohls
leben Gottes vergeffen , und ihn hintangefezet
9
\
172 Königlicher _
haben? wuͤrde ich nicht vielmehr bei guten Ta
gen ben Weg bes Fleiſches, der Sünde, unl
—* dem Wege Gottes vorgezogen ha⸗
"ben ? Ja gewiß, es haͤtte mich folches viels
mehr von Gott abs als zu ihm geführer. Die
verdammte Ambition, bie.einem von ber Kinds
beit an, ohne ben rechten Begriff davon zu
geben, eingeflößet wird, würde immer weiter
gegangen ſeyn, und zulest bem eigenen Ber
ſtande zugeeignet haben, was doch einzig und
allein von Gott koͤmmt. Solchem Bat ver ger
rechte und gütige Gott wollen zuvor kommen,
‚ and, ba ich feinen oͤſtern und vielfältigen Ro
gungen nicht Gehör gegeben, auf ſolche Art
mid) faflen müßen, auf daß ich mich nicht weis
ter in dad Verderben flärzte, und mir gar die
ervige Verdammniß zuzoͤge. Darım fei Er
and) dafür gelobet ! Faſſen Sie ſich demnach,
mein Vater, und glauben ſicherlich, daß Gott
mit im Spiele. Ohne deffen Willen Fan ja
nichts gefchehen , auch nicht einmal ein Oper
ling auf. die Erbe fallen. Er iſt es ja, ber
alles regieret und leiter durch fein heiliges Wort,
darum koͤmmt auch dieſes mein n Verhaͤnguiß
Kabinets⸗Juſtiz⸗Mord. 173
vn ihm her. Iſt gleich die Art meines Todes
bite und herbe, fo iſt doch bie Hoffnung und
Omipheit ber ewigen Seligkeit deſto ſicherer
ud angenehmer. Iſt fie gleich mit Schimpf
ud Schmach verknüpft, iſt ed doch nichts in
Vergleich der Eünftigen Herrlichkeit. Tröflen
Se fih, mein Water! hat Ihnen doch Gott
mehr Söhne befcheret, denen er auch vielleicht
mehr Gluͤck in der Welt zuwenden wird, und
Str, mein Water, die Freude au ihnen erles
ben laſen, die Sie vergeblich) an mir gehoffer,
welhes ich Shnen von Grund der Seelen wüns
(de. Unterdefien baute ich mit Finblichem Res
peft für alle mir erwieſene Vaters Trene von ”
meiner Kindheit an bis zur jezigen Stunde.
Ent der Allerhoͤchſte vergelte Ihnen tauſend⸗ -
ſuh die mix erzeigte Liebe, und erfeze Ihnen
durch meine Bruͤder, was bei mir zuruͤckge⸗
blichen. Er erhalte und bewahre Sie bis in
Ir hohes graues Alter‘, ex fpeife Sie mit
Wohlergehen, und tränfe Sie mit der Gnade
kind Geiftes. Für allen Ihnen jemals erwies
kuen Unwillen, Ungehorſam and Widerſpen⸗
figkeit bitte ich im aller Unterthaͤnigkeit am
74. Königlider 7
Bergebung', und da es das lezte iſt, was ück
Sie, mein Vater, in dieſem Leben bitten wer:
de, fo hoffe ih, Sie werben mir ſolches nicht
verfagen,, da ich folches von Gott gewiß verfüs
hert biv. Nun iſt nichts mehr übrig, ald daß
ich mie diefem Troſte ſchließe: Haben Sie
gleih, mein Vater, nichts hohes und vornehs
mes an mir in biefer Welt erlebet, o fo ſeyn
Sie verfichert, daß Sie deflo höher im Hims
mel finden werden
Ihren bis in den Tod getrenen Sohn,
v. K.
P.S. Was fol ih Ihnen aber ſagen, lieb⸗
wertheſte Diana, die ich fo fehr, als und das
Band ber Natur verbunden, geliebet, und
euch, liebſte Geſchwiſter! wie foll ich mein
Anbenken bei euch fliften? Mein Zuſtand läßt
nicht zu, alles, was ich anf dem Herzen babe,
euch vorzuſtellen. Sch fiche vor ber Pforte
bed Todes, und muß alfo bedacht ſeyn, mit eis
ner geheiligten und gexeinigten Seele einzuges
ben, kan alſo Eeine Zeit verſaͤumen; laffe euch
demnach nur ben Spruch zum Andenken,
J Kabinets ⸗ Juſtiz⸗ Mord. 175
1.B. Moſ. 17, 1. da Gott zum Abraham
fat: Ich Bin der allmaͤchtige Gott, wandle
por mir, unb fei fromm.
is
* “*
König Friderich IL fuchte bei feiner Gelan⸗
gung auf deu Thron Un. 1740 den gebeugten
Vater damit offentlich zu ehren, daß er ihn
in ben Preußiſchen Grafen⸗Stand erhob, zum
General⸗Feldmarſchall ernannte, und ihm ben
ſchwarzen Adler s Orden ertheilte,
Es iſt gerne zu glauben, daß bie reine Liebe
jur bürgerlichen Gerechtigkeit , welche einen
Hauptzug in dem Charakter diefes großen Koͤ⸗
nigs, und bje portrefliche Juſtiz Verfaffung,
tie einen fo leuchtenden und entſchiedenen Vor⸗
sg der Preußifchen Regierung macht, fich in
ihren Anfängen und Dauer noch von den ſchwe⸗
tm Tagen ber datire, ba ber König in der
Schule der Anfechtung die Schreden einer blog
deſpotiſchen Juſtiz zu erfahren und zu überdens
Im Gelegenheit hatte
176 Kön. Rabinets-Tuftiz: Mor,
Ä »
| ”
Der du, weichherziger Leſer, bei Leſung
dieſer tragiſchen Geſchichte eine Mitleids⸗Thraͤ⸗
ue dem Andenken des gefallenen edlen Jungs
lings weineſt, ſchicke doc) zugleich einen erhoͤr⸗
lichen Seufzer zu Gott fuͤr dich, fuͤr mich, fuͤr
nuſer Vaterland, und für die , fo nach uns
fommen :
: Bor zornigen Koͤrigen und Fürflen,
Vor leichtſinniger und leichtfertiger Juſtiz⸗
Pflege,
Vor dem hoͤchſten Recht ohne Billigkeit,
Vor geriffenlofen Juriſten,
Vor hartherzigen Richtern und Raͤthen,
Vor allem Deſpotismo,
Wehe und lieber Herre Gott!
*
⸗
V. Politiſcher
vv
politifcher Charakter
Herrn
HPhilipp Wilhelms Grafens
von Boineburg, -
der Erzſtifter Mainz und Trier Seuiors und
Ober⸗Chor⸗Biſchofs, Kaiferlichen und
Kur⸗Mainziſchen Geheimen Raths,
als
Statthalters zu Erfurt.
. *4
Gebohren 1056, geſtorben 1717.
Pate. Archiv, I. Theil. M
zagekommen:
„Eegenwaͤrtig iſt in Erfurt ein Mann, der
Boineburgs Verdienſte gehoͤrig zu ſchaͤ⸗
in im Stande iſt, befchäftiger, fein Les
ben ausführlich zu befehreiben, Nur mans
gelt es ihm an Datis, beſonders zu der
frühern Epoche feines Lebens. Wenn Je⸗
mand ſolche ſchaffen koͤnnte, ſo wuͤrde er
bei dem Schriftſteller und in der Folge
gewiß auch bei dem Publiko vielen Dank
derdienen. Pe ,
Wenn der Herr Verfaffer für gut finden
hl, ih mir 3U erkennen zu geben, fo würde
5 auf dieſe Spur zu verhelfen vielleicht im
de ſeyn. Einsmeilen bemerfe nur, dag
kin Gauhens Adels⸗Lexicon J. Th. S. 188
Mliche Nachricht: ‚rbaß der beruͤhmte G.C.
hennis zu Zweibruͤcken An. 1732 das Leben
noßen Voineburg (Varers des Statthal⸗
DM 2 |
go oleiicher Charakter
ters) vollſtaͤndig beſchrieben, und dem Tomoll.
des Spicilegii tabularum literarumque ve-
terum inferiret habe;, völlig ungegründet ſei,
indem jedermaun bekannt iſt, Daß von dieſem
Spicilegio nie mehr, ald der erfte Band im
Sahre 1724 heraudgelommen. — er weiß,
in welchen Winkel eined flillen Gelehrten Boi
neburgs Lebens⸗Beſchreibung modert? moͤch
te ſie nur erſt zu entdecken ſeyn, ſo ſoll er dod
noch ſeine ſtandesmaͤßige Beſtattung, und nebf
feinem würbigen Sohne ein feinen großer Der
dienſten angemeflene® Denkmaal erhalten; un
wenn das Gemählde von Boineburgd, be
ungern , Leben und Thaten fo mufter»
meiflermäßig, als dieſer Umriß von feinem pr
litiſchen Charakter, ausgefuͤhret wird, fol
man fich In bie Seele jeden großen , guten, 1
feine Zeit und Vaterland verdienten Mann!
feenen, daß auch ihm einſt ein ſeiner wuͤrdig
Biograph werde zu Theil werden.
ti.
Dieſe ‚ganze Zeichnung verraͤth Welt⸗ u
Maenſchen Kenntniß, richtigen Beobachtun
—
Ph. Wil. Sr. v. Boineburg. 181
Gall, ſteten, feſten Blick in die Kunſt und
das Weſen einer gefunden. Staats⸗ Verwal⸗
tung; fie riecht nicht nach der Schule, es
müßte denn Schule der Weisheit und Erfah⸗
rung fenn 5 und dann iſt ed immer noch Ehre
genug , eined Aubens und Raphaels beß⸗
ter Schüler zu feyn 5 dann darf man immer
noch wünfchen, den entfchleierten Verfaſſer zu
keiner Zeit auch nach Perfon und Namen tens‘
men zu lernen. '
Die Farben dieſes Bildes find ſehr friſch
und bluͤhend aufgetragen, und bie Proſe wird
zuweilen Poeſie; doch — nubeſchadet ber
Wahrheit; denn auch die Fehler des wuͤrdigen
Mannes, die zum Theil Folgen ſeines ſeuri⸗
gen Temperamentes, theild des Coſtüme und
der Denkungsatt feiner Zeit waren, (ind nicht.
verdeckt, noch verſchwiegen.
Ein weſentlicher Mangel ſchlen mir noch
dab gaͤnzliche Stillſchweigen uͤber den Charak⸗
ter des Fuͤrſten, dein Boineburg diente‘, der
in das Gluͤck der Handlungen kined mine
einen fo weſentlichen Einfluß hat. Der das
malige Kurfuͤrſt zu Mainz war Preharins
M3
Tu
«
u
182 Plitiſcher Charakter
Franz, ans ben Haufe Schönborn, ber ben
ten Mai 1695 zur Kurwuͤrde erwählt wors
ben, und im SSahre 1729 feinen Lauf befchloß.
Dieſer war es alfo, der Boineburgs Verdienſt
und Talent zu prüfen und zu ſchaͤzen verflund,
ihm diefen wichtigen Poflen anvertraute, und
ihn dabei Tieß und ſchuͤzte. Wohlbedaͤcht⸗
lich gefogt: ließ und ſchuzte. Es iſt an als
* Ien großen Höfen eine gewöhnliche Handels⸗
mweife, einen Mann von anßerordentlichen Geis
fles s Kräften aus Eiferfucht in eine Provinz
zu verfhiden, nnd großmäthig s neidifch das
feloßt zu laſſen; das ift nnter manchen Ums
ſtaͤnden ungefähr fo, ald wenn man die Son⸗
ne in ein Ofenloch ſperrte. Dieß konnte nicht‘
wohl der Fall weder vom Kurfürflen Lotha⸗
rind Franz, noch vom Örafen von Boineburg
feyn. Der KRurfürft iſt als einer der weifes
fien Megenten feiner Zeit bekannt, und bie
Umflände tm Deutſchland, . insbefondere in
Sachſen, waren bamals fo gethan , daß bie
Statthafterfchaft zu Erfurt eisen geuͤbten, thaͤ⸗
tigen und gewandten Mann erforderte. Es
war alle, überdachte forgfältige Wahl, die
Ph. Wilh. Gr. v. Boineburg. 183
Wineburgen in dieſen Poſten flelltee Dieſer
Umſtand iſt für den Biographen von Wichtig⸗
keit. Ein phlegmatiſcher Mann wuͤrde in je⸗
der Sielle unthaͤtig ſeyn, wuͤrde ſelbſt beim
Lobgeſauge der himmliſchen Heere einſchlafen.
Wenn aber ein Dann von Geiſt und Thaͤtig⸗
kit Gouverneur eines entfernten Landes Ten,
ud alles das shun foll, was er gerne thun
möhte, fo muß fein Fürft entweder ein fehr
guter and einfältiger,, oder ein fehr aufgeklaͤr⸗
tee, wohldenkender Herr feyn, fonft haͤlts jes
ser nicht and, fonbern ſchreibt, zappelt und
örgert füch zu Tode, ober Iäßt endlich, wenn
er ed nicht ändern kan, alled liegen , fichen
und gehen, und verfaulen. Die Schilderung
von Boineburgs Erfurter Leben beweiſet genug,
daß er das Gluͤck gehabt, einen erleuchteten
Fuͤrſten zum Deren zu haben, und dieſor ihn
kei feinen Unternehmungen unterflüzet und ges
fhüset habe.
Denn — obgleich auch davon in dieſem
Auſſaze kein Wort enthalten iſt, laͤßt ſich es
wohl gedenken: daß ein ſolcher Mann keine
Feinde, Neider, Haſſer, Verlaͤumder, Gifts
.M 4
—
=
184 Politifcher Charakter
baucher und ander Ungeziefer um und gegen
ſich gehabt habe ? daß er ſich nie über heim li⸗
he und offenslihe Klagen, Veſchwerden und
Beſchuldigungen verantworten, über gute Ab⸗
fihten und Vorſchlaͤge fich nie mit Sgnorans
sen und Meidern feines Ruhmes herumzanken,
auch wohl mit-feinem eigenen gnaͤdigſten Herrn
Theſed wechfeln muͤßen? und fich vielfältig in
der. Lage befunden habe, wo nur bas Macht⸗
wort und Schuz des Herrn einen guten Plen
durchſezen Eonnte ?
| Wenn eine Bitte an den anonymen Herrn
Verfaſſer von Boineburgs Leben was vermag,
fo wuͤnſchte ih, daß bei der weitlaͤuftigern
Ausführung eine genane Rüdficht hierauf ges
nommen werben möchte, meil in Abwiegung
and Beflimmung feines Verdienſtes und Wars
dierung feiner wirklichen Xhaten fehr vieles
daranf ankoͤmmt: welches waren die Graͤnzen
feiner Gewalt ? die Grabe feiner Statthalte⸗
riſchen Auctorität ? was Tonnte and burfte ex
ſelbſt thun ? allein thun ? ober worinn hat er
blos ex Mandato handeln, anfragen, Gut⸗
achten erflasten, ſich mit andern herum bifpus
Ph. Wilh. Sr.v.Bolneburg. 185
fin, es vordemonſtriren und vorcalculiren
muͤßen? .
Denn, was ein großer Dann nicht ge
than hat, weil er es nicht thun koͤnnen und
doͤrfen, iſt, nad) innerm Werthe, oft mehr,
als das, was er wirklich gethan hat, iſt oft jnſt
der groͤßte und wichtigſte Zug in feinen sorgen
Leben und Charakter. Zu
Ein großer Mann Fan felten fe viel has,
ald er thun möchte, und je größer der. Hof,
je ein größeres Genie fein Sonverain iſt, je
weniger fan er es; wer daran zweifelt, frage
Kauniz und Herzberg. - Wenn aber ein
dirigirender Mann in einer Fleinern Sphäre
nicht alles ihm mögliche thut, fo iſt er entwes
der ſchwach, ober boͤs, ober faul, ober’ alles
zuſammen; ober, wen er von: all diefem das
Gegentheil ift , fo haftet ed an feinem Herrn
und deſſen Mlinifierio, und erfl alsdaun iſt _
entſchuldiget, und früher ober fpäter' gerecht⸗
fertiget. |
Ich kenne feldft einen Mann, ven fein
Monarch vor zwölf Jahren in-eine Eleine, aber
bis in Grund verwilderte und zerrüttete Pros
Ms; *
186 Politiſcher Charakter
vinz zum Aufräumen und Umſchaffen ſchickte.
Der Monarch Eannte diefen feinen Diener als
einen ſehr beeiferten, treuen, aber zugleich ra⸗
fen und fenrigen Mann. Es wurde ihn alfe
nicht nur ein ihn. fehr beſchraͤnkender Foliane
son Jnſtruction mit auf den Weg gegeben, fons
. dern, ma ihn ja ſcharf in ber Trenſe zu halten,
am Schluße berfelben die erbauliche Clauſul
angehängt:
‚- „So verfehen Wir Und, daß derſelbe in
allen andern hier nicht bemerkten, und
keinen Verzug leidenden Faͤllen ſich der⸗
geſtalten betragen werde, mie es einem
redlichen, geſchickten und beeiferten Die
ner zuſtehet, und Wir zu ſeiner Devo⸗
tion und Treue dad gnaͤdigſte Vertrauen
hegen, er werde ſeines Herrn Nuzen
beſſer, als ſeinen eigenen, befoͤrdern, und
um ſo ehender allen Schaden vorzuͤglich
abwehren; in zweifelhaften, hier
nicht entſchiedenen, durch den Ver⸗
zug keiner Gefahr unterworfenen
Faͤllen aber viel lieber Unſere al
lerhoͤchſte Befehle abwarten, als
— —
Ph. Wilh. Gr. v. Boineburg. 187
feinen wohlmeinenden, und für
Unſer Beptes beſorgten Kifer nur
der geringſten vVerantwortung aude
fezen wocllen.
Weil ed nun mir Beflimmung ber auf tem:
Verzuge haftenten Gefahr ungeiähr eben bie
Beſchaffenheit hat, wie mit Eutſcheidung des
Cafus foederis unter den Böllern, wobei ber
Stärkere immer Recht, unb ber Schwaͤchert
Unrecht has, fo erwählte dieſer Mann dad
Sichere, and ſchickte nicht nur alle Quartale
fäntlihe in Civil» Kameral s Polizei s Kirs
cheu⸗ und bergleihen Sachen gehaltene Prote-
Ile, ala Eontrolle feines ganzen Dienſibe⸗
trages, ein, fonbern erlaubte ſich auch bei deu
vielen neuen Anftalten und Verordnungen kei⸗
u von irgend einigem Welang , ohne vorerſt
anufragen. Der Mann, fo bei den Sou⸗
verain ben Vortrag über IR Angelegenheiten
dieſed Laͤndgens hatte, war ein treflicher Cal⸗
culator und Wirthſchaft⸗ Werwalten ,.: haste
aber in feinem Leben Fein Dorf, geſchweigt ein
Land, regiert, noch auch nur in irgend einem
Landes s Kollegio gefeffen ; aus fcjiefen Ein⸗
88 Politiſcher Charakter:
ſichten erfolgten alſo ſchiefe Vortraͤge, und aus
dieſen nnvollkommene, widerſprechende und al
Yen Muth darnieder ſchlagende Eutſchließun⸗
gen. Er, bei den wochentlichen Vortrag thun
ſollte, wurbe des Lefens, Ertrahirens und
Meferivend am: erfien müde: ‚, meint dann
C fagte er einft in Ungebuld ) ber * *, daß
wir hier nichtd zu thun haben, als feine Bes
richte zu leſen?, Diefe blieben alfo in mehs
veren wichtigen Angelegenheiten unvorgetra⸗
gen, mithin auch unreſolvirt; der rafche Mann,
ber mit halben Sachen nichts zu thun haben,
fondern aus einer Wüfle einen Garten machen
wollte, ward einer Lage überdrüßig , bie ihn
tief unter die Unctorität eines guten Ober⸗
Schultheißen erniedrigte; er gieng, und nach
ſeinem Weggange fielen die Sachen wieder in
diejenige Unordnung zuruͤck, woriun fie feit
fechzig Jahren geiftfen waren 5 bad Laͤndgen
und bie Unterthanen giengen zwar dabei im⸗
mer mehr zu Örunde ; dem Meferendas
rius warb aber doch fein Referat ſehr erleich⸗
tert; und ber Herr! — ei nun, ber hatte
Ph. Wilh. Gr. v. Beineburg. 189
freilich größere Gegenftaͤnde and Eutwuͤrfe, als
ſich um Eierſchalen zu bekuͤmmern.
In der ausfuͤhrlichern Biographie börfen
wir alſo auch nähere Belehrung erwarten :
wie fah es in Erfurt aus, ehe Boineburg bins:
fam? und wie blieb’3 und warb es, da er mit
Tod abgieng?
%
= ” ,
Nun wollen wir deu Parentator bes een
Nannes ſelbſt anhoͤrun. |
—
ign Politiſccher Charakter
DREE Ze
Uner ben, Stoatömäunern find einige ‚ bie
über, die gefellichaftfiche Verbindung der Men⸗
fihen nene Wahrheiten entdecket, und neue Ges
fihtspuntte ‚angegeben babe. Die andere
Klaffe machen die Männer aus, welche bie bes.
kannten Wahrheiten und Negeln auf den ges
genwärtigen Zuſtand der Menſchen anwen⸗
den. Dieß find die eigentlichen Geſchaͤfts⸗
Maͤnnger.
Unter dieſen behauptet werhalmißmaͤgig
eine der erſten Stellen der 1717 als Statt⸗
halter in Erfurt verſtorbene Graf von Bots
neburg. Selten has wohl je ein Daun feis
ne Stelle fo vollkommen audgefüllet , und in
feinem vorgefchriebenen Zirkel fo viel gemwirs
tet, als er.
Bon feinen frühern Gefäjäften, ‚ feinen
wichtigen Geſandtſchaften am Kaiferlichen Dos
fe, und von biefem and an den Mlaiuzifchen,
Trieriſchen und Sähfifhen, von feinem Aufs
enthalte bei Karl dem Zmölften, ber ihn vors
züglich ſchaͤzte, bat er häufige Papiere und
Wild. Gr.v. Boineburg. 191
Nemoirs hinterlaſſen; aber alle ſind fuͤr uns
ach bis anf die ſe Stunde verlohren; und wir
haben von feiner politifhen Laufbahn keine
‚andere Nachrichten, ald die, die feine Statts
halierſchaft in Erfurt betreffen. Vielleicht
| heines Diefer Wirkungds Kreis zu Fein, um
harand fein Talent beurtheilen zu Tonnen. Al⸗
kinder Geift des wahrhaft großen Gefchäftse
Maunes zeige fih in der Verwaltung auch
von wenig Aemtern. Won ben, was er bier
geihan hat, fchließt man auf dad, was er im,
einem größern Wirkung s Kreife, hätte leiſten
lkoͤnnen.
erfolge u man Boinebung i in biefem Ges
(häfte, fo zeigt ſich ald der erfle Hauptzug
ſeines politifchen Charakters eine weit umfafs
me Thätigkeit. So, wie er in Erfurt
ankam, griff er alle Theile der Berfaffung
an, unterſuchte fie „ brachte in alle wichtige
Verbeſſerungen, und führte dieſe alle zugleich,
und mit gleichem Nachdrucke fort. Auch die
wichtigſten auswärtigen Gefchäfte hinderten
ihn nicht daran Er machte Polizei» Vers
192 Politiſcher Charatter-
orbunngen zu eben ber Zeit, da er in Alt
‚ Ranflade bei ‚Karl dem Zwoͤlften nego—
cite |
Seine Einrichtungen folgten fich alle Schlag
auf Schlag, Wenn fie durch widrige Um⸗
fände in einem Jahre aufgehalten wurben, wie
1706. burd) den Morbifchen Krieg, fo verbops
pelten fie fih In dem folgenden.
Er gieng bei allen feinen Anftalten fehr
ins Detail, befümmerte ſich felbft um die
Ausfuͤhrung, aber er beforgte nie einen Theil
‚auf Unkoſten des andern, und noch weniger auf
Koſten des allgememen Verhaͤltniſſes.
Alle ſeine Anſtalten trugen das Gepraͤge
eines reiflich uͤberdachten Planes. Alle ſei⸗
ve Maasregeln zur Ausführung waren wer
mäßig, Feine überflüßig.
Seinen Plan befolgte er mit anunterbror
Heer Aufmerkſamkeit, und mit ver groͤß⸗
ten Standhaftigkeit; was er einmal anges
fangen hatte, das führte ex gewiß aus.
| Er
|
|
|
Ph. IB. Gr.n. Boineburg 1
Er draug tief im jedes Seſchaͤſt ein; cal⸗
liste zuvor genau alle Umſtaͤnde, hatte er
sber einmal beſchloſſen und auögeführet „ fo
gieng er nie zurüd. Wiele.son feinen Auſtal⸗
ton befichen noch bid af dem heutigen Tag, und
| bie, welche eingegaugen ſind, ſucht man größe
tentheils wieber bervor.
Wenn er gefüet hatte, fo wußte er ruhig
bie Erude abzuwarten ; alle Umſlaͤnde konnten
deſe nur verſchieben, nicht vereiteln. |
Sein Blick in Staats » Sefchiften war
er groß, immer auf die HZauptſache. Die
feinen Neben⸗ Formalitäten , bie für manche
ſo wichtig find, vernachlaͤßigte er.
Dieß war ſein Gang in den Verhaͤltniſſen
wit ben MNachbaru.und:mit ben Proteſtauten
in Erfurt. „Seine Toleranz gegen beide gab
ihm freien Raum zu Teinen eigen wichtigen
Unternehmungen -
Dabei vernachläßigte er die Reste feines
Randesheern uub ber Unterthanen wide. Ex
vertheidigte beibe.mit der größten Unerſchro⸗
ckenheit und mit dem edlen Stolze, ber
Patr. Archiv, III. Theii.
N
»
194 Politiſcher Eharakter
ein weſentlicher Zug ſeines Eharakters war,
felbſt in dem gefährlichen Jahre 1706, wo fein
Landgen bon Schwediſchen und Saͤchſiſchen
Trouppen uͤberſchwemmet war.
Sein Bang war in allen feinen Unterneh⸗
mungen gerade, offen und beftimmt. Er
. bediente fich keiner Umwege, fonbern kuͤndigte
gleich am Anfange jeder Unternehmung au, wo
ex eigentlich hinwollte. Jndeſſen wußte er die
Umſtaͤnde mit Klugheit zu nuͤzen. Er ges
.brauchte bie Gunſt Karls des Zwoͤlften mis
vieler Geſchicklichkeit zum Vortheil ſeines Lau⸗
des. Aber auch dieſe hatte ex fich nicht. durch
Seitenwege, ſondern durch das Aſcendaut ſei⸗
ner Verdienſte erworben. Karl der Zwoͤlfte
ſchaͤzte ihn wirklich mit einer Art von Bewun⸗
derung. Da man ihn uͤber die Etiquette be⸗
fragte, die man gegen Boineburg (der nicht
eigentlich bei ihm Geſandter war) beobachten
follte, fo fagte u: Dem Manne koͤnne man
nicht Ehre genug erzeigen. Er pried ben
Kurfuͤrſten von Mainz gluͤcklich, fol einen
Drinifter zu haben. |
Pb. Wilh. Gr.v. Boineburg. 195
Die Benge wihtiger Dinge, die er in Zeit
Bei feiner großen Entfchloffenheit war er
body weder beftig, noch hart. Er war einer
trenen Freundſchaft und befländigen Zuneigung
fähig. Er war fireng, aber auch väterfich ge⸗
finnet gegen feine Leute, wohlthaͤtig gegen Noth⸗
leitende. Er betrieb in Erfurt kaum ein Ger
fhöft mit mehr Nachdruck, als die Errichtung
einer Irmen-Anftelt. Sie kam noch unter
ihm zu Stand, und erifliret noch.
Er hatte Geſchmack, das zeigen feine of⸗
fentliche Werke, die alle etwas großes und
ſhones an ſich haben. Er liebte das Ver⸗
gnuͤgen, und theilte ed gerne andern mit. Er
legte für feine Erfurter Promenaben an, gab
in feinem Hauſe Feſtind und Bälle, bei denen
aller Zwang und Unterfchied der Stände vers
bannt war. Die Einwohner liebten ihn, und
Ma
196 Politiſcher Charakter
ſein Andenken iſt in Erfurt noch bis anf-diefe
Stunde gefegnet.
Er liebte und fihäzte bie wiffenfchaften,
feine Bibliothek vermachte er ber. Univerſitaͤt
au Erfurt, und fliftete bei derſelben eine, von
feinem Vater ſchon projektirte Profeffur des
Deutſchen Staatsrechtes, oder, mit den Wor⸗
ten ſeines Teſtaments zu reden : „Eine auf
„Katholiſchen Univerſitaͤten bisher ſehr negli⸗
„girte, doch ſebr noͤthige Profefluram Hiſto-
„riarum & Philoſophisæ practicæ, quo no-
„mine antiquitates mediæ &.recentis Hi-
„Rori&, Ecclefaftice & fecularis, Ethi-
„ces & Juris publici, & fi id genus alia
„ad cultiorem illam & in luce verfantem
'„literaturam fpeötant, continentur. ,, Man
erkennet hierinn den Geiſt, ber in Conring
und dem alten Minifter Boineburg herrſch⸗
te, einen Geiſt, ber wirklich über fein Zeit
alter hinweg ſchaute. Auch hatte er ben Ge⸗
danken gefaßt, eine Akademie ber Wiſſenſchaf⸗
ten in Erfurt zu arxichten; aber der Tod bam
ihm zuvor.
Ph. Wilh. Gr.v. Boineburg. 197 |
Boineburgs Haupt⸗Wiſſenſchaſt war in
ven die Regierungs⸗Kunſt, und fein groſ⸗
(ed Talent, die Menſchen zu leiten, und nad
feinen Zwecken zu bilden. Er mußte, da er
nah Erfurt Fam, in feinen Räthen und Uns
ter Bebienten die durch eine nachlaͤßige Regie⸗
rang beinahe erflorbene Thaͤtigkeit wieder anfs
win. Sein Mittel war: Ohne durch Präs
- zarationen und grabnelle Anleitung Zeit zu
verlieren, feste ex fie fogleich mitten in die Ar⸗
bit, Gleich nad; feiner Ankunft und in der
Folge am Anfange jeden Jahres ließ er fämts
Ihe Inſtruktionen, die feinigen zuerfl, verles
ſen. Auf dieſe hielt er num unverbruͤchlich.
Gleich darauf bekamen alle Stellen Fragen
über die intereſſanteſten Gegenſtaͤnde ihres Des
partement zu beantworten. Dabei mußten,
wo es zutraͤglich war, Verbeſſerungen vorges
ſchlagen werden. Dieſe wurden unterſucht, wach
Befinden ſogleich eingefuͤhret, und genau auf
deren Beobachtung geracht. In biefer Abſicht
ordnete Boineburg in den unsern Stellen Vi⸗
ſiallonen, and in den Kollegien eigene Cenſo⸗
| —
108. | Politiſcher Charakter
zen über die Execution der Verordnungen. So
fezte er all feine Stellen gleich in dem erfien
Sabre in Gang, und hielt fie beſtaͤndig darinu.
Immer wurbe an neuen Einrichtungen und
Verbeſſerungen gearbeitet; wenn er verreifete,
verlangte er immer, daß auf feine Zuruͤckkuuft
neue Vorfchläge gefammelt werben follten. Bei
der Ausführung war er überall ſelbſt zugegen,
and führte und theilte die Arbeit. Kein Feh⸗
ter in der Admiuiſtration gieng ungeahnder
vorüber. Er Eaflirte eine ganze Kommerz⸗
Deputätion, bie er ſelbſt errichtet hatte, weil
fie ihre aufgetragene Pflicht nicht erfüllte. Aber
er belobte und belohnte auch dad Verbieuft, und
den Dienfleifer ; vahm ſich der Rollegien mit
Wärme, felbfl gegen ven Landesherrn, on.
So bildete er ſich vortrefliche Räthe, ‚die ihm
ganz ergeben waren, und, ganz von feinem
Geiſte belebt , in jeder Gelegenheit zu feinen
Abſichten treulich mitarbeiteten.
Sein Geſichtspunkt in dee Adminiſtra⸗
tion war innerliche Ordnung und Berei⸗
derung des Staats. ‚Für das erſte forgte
⸗
Ph. Wilh. Gr. v. Boineburg. 199
a durch Polizei⸗Geſeze uub Auſtalten, Feuers
Admungen, Baus Orbnuugen Geſeze über
Vagabunden, Eamen gleich im erſten Jahre
heraus. Zu Beförderung ber Ruhe verlegte
er die Garnifon in Safernen. Er fleuerte bem
Straffen » Bettel, aber verforgte auch die
Armen; die ſchon exifiirenden milden Stifs
tungen erbielt er mit vieler Sorgfalt, bie
übrigen Arınen murben unter ber Aufſicht eis
wr eigenen ZlrmensLommißion, durch Ab⸗
an von der Dienerfhaft, und durch freimwils
lige Eollecten von den Einwohnern uuterflüzt.
Seine gedruckten Auſchlaͤge über diefen Gegen»
fand find fehr fehönz; bloße Ermahnungen obs
ve Zwang, wozu er doch fonfk feiner großen
Zhätigleit und der bamaligen Denkungsart ges
mög fehr geneigt war. Außer dem ſammelte
er fein ganzes Leben hindurch an einem eigenen
Fond zur Errichtung eines Arbeitshauſes.
Dieſes fchien feine Favorit⸗Kaſſe zu feyn, wo⸗
bin er alle zufällige Einkünfte, Straf⸗Diſpen⸗
fationd s Gelder, u. ſ. w. wandte. Cr bezengte
beſondere Ruͤckſicht denjenigen, welche fveiwil⸗
N4
200 Poolitiſcher Chärakter
Yig dazu beitrugen. Auch errichtete er eine bes
fondere Kommißion, bei der jeder Bürger fein
Anliegen vorbringen,, und, nad) feinem vers
haͤltnißmaͤßigen Beduͤrfniß, Rath oder Unter⸗
ſtuͤzung erhalten koͤnnte.
Er fuh beſonders auf die Erbauung
neuer Zaͤuſer in der Stadt und auf dem
Lande, und füchte fie theils durch Ban Freis
heiten, theild durch ungänflige Geſeze gegen die
Beſizer oͤder Bauflelleu zu befördern.
Er gieng die Candes⸗Geſeze durch, anf
verbeſſerte fie in wichtigen Artikeln.
Er Tieß auf dem Lande eine neue Vers
meffung vornehmen, und ein neues Urbarium
einrichten. Ueberhaupt änderte er auf dem
Lande manches in der Verfaffung, gab Lan⸗
des⸗Ordnungen, ſowohl uͤber die Land⸗Oeko⸗
nomie, als beſonders uͤber eingeriſſene koſtſpie⸗
lige Gewohnheiten und Mißbraͤuche; errichtete
Hypothecken⸗Buͤcher; ſezte eigene Amtleute,
da bisher die Adminiſtration auf dem Lande
durch Staͤdtiſche Dikaſterien gefuͤhrt worden
war. Die gute Ordnung, die Sorgfalt fuͤr
Ph. Wilh. Gr.v. Boineburg. aor
di Freiheit und dad Eigenthum der Einwoh⸗
u, die er in alle Theilung der Verwaltung
hrahte, trugen vieles zu dem blühenden Zus
fand des Landes bei.
Sür die Gewerbe und ben Zandel hat:
er fehr viel geleiftet. Erfurt hatte, da er aus
Im, Mangel aud) an den nöthigften Hand⸗
werkern, und faft Eeine Fabriken, als etwas
Strumpfwuͤrkerei, und einige Hengmacher. So
wit war bie fonfl blühende Stadt durch wies’
Il Ungluͤcksfaͤlle, und befonders durch eine
ſchreckliche Peſt, die in den Jahren 1683 und |
1684 gegen zehntaufend Mlenfchen tweggeraft:
batte, zuruͤckgegangen. Den Mangel an Hands
werkern erſezte er gleich in den erfien Jah—
m, Indem er die Muth⸗Jahre und andere
Handwerks » Einfähränfungen auf einige Zeit .
einſtellte. Und da er ſtarb, war Erfurt volk
berrächtlicher Sabriken aller Arten. Zuden
meiflen noch exiſtirenden iſt in feiner Admini⸗
ſtration ber Grund gelegt worden. In dieſem
Gegenſtande befolgte es die Grimbfäze Cole
berts. Er war tief-in dieß Syſtem ringe⸗
N
—
*
202 Politiſcher Charakter
drungen, und führte ed mit wielem Nachbruck
ganz im Geifte Colberts, aber freilich in der
weisefien Ausdehnung, ein. Ex machte den
Anfang mit Errichtung einer Commerz ⸗De⸗
putation, wozu Kaufleute gezogen wurden,
theils am neue Einrichtungen in Handels⸗ und
Gewerb⸗Sachen zu treffen, theils alg ein ſum⸗
marifches Handels » Bericht.
Durch diefes Kollegium machte er. viele
Einrichtungen. zur VBefdrderung und Bervolls
kommnung der Fabrikation. Er verwendete
Unterflüzungen , Belehrung , offentlihe Ans
flalten.. So errichtete er auf Kerrichaftliche
Koften eine offentlihe Schoͤnfaͤrberei, die auf
einige Jahre ein Zwang⸗ Recht hatte; nachher
aber , da biefe Art zu färben bekannter war,
„verkaufte er fie als ein bloßes Privat» Werk.
Auch gab er Verbote, Waaren, die and) in
Erfurt gefertiget wurden, von fremden Orten
einzuführen , ober fezte Eingangs » Impoflen
darauf. Er unterfagte die Ausfuhs gewiſſer
roher oder halb » verarbeiteter Fabrik » Mates
rialien, z. B. ber Garne. Cr biels fireng
Ph.Wilh. Gr. v. Boineburg. 203
über bie aus ſchließenden Zunfts Geſeze, führte
Shane der Erfurter und ber freuten Waa⸗
mein. Allen Zwang, der wohl nirgends, am
allerwenigſten aber für eine gauz von fremden
Laͤndern umzingelte Stabs, bie ihren Hanpt⸗Ab⸗
fa} eben bei biefen Fremden fuchen mußte, zus
traͤglich ſeyn Eounte, verbammte er. Boineburg
fühlte bisweilen ſelbſt den Nachtheil diefer Eins
tihtangen,, gieng auch wohl anf einen Augen⸗
bil davon ab, aber das allgemeine Syſtem
uch das Geſchrei der Fabrikanten brachten ihn
wieder zuruͤck ins alte Glais. Doc waren
ſeine Berbots s Gefeze immer billiger, als mans
' denemere „ denn fie betraffen nur die Waa⸗
tm, die der Einwohner in ber Stadt ſelbſt
gut und um einen leiblichen Preis haben
Tonne, Ä
Vorzüglich ſuchte er Verleger der Sa»
brikationen und neue Sabrifanten nad
Erfſurt zu ziehen. Diefen machte er viele Vor⸗
theile, bewilligte ihnen Vorſchuͤße, Freiheiten
und andere Annehmlichkeiten. Hieruͤber iſt
beſonders merkwuͤrdig ein gedrucktes Patent,
— —
202 Politiſcher Charakter
drungen, und führte ed mit wielem Nachdruck,
ganz im Geifte Colberts , aber freilich in der
weitefien Ausdehnung, ein. Er machte den
Anfang mit Errichtung einer Commerz ⸗De⸗
putation, wozu Kaufleute gezogen wurden,
theils um neue Einrichtungen in Handels⸗ und
Gewerb⸗Sachen zu treffen, theils al ein ſum⸗
marifches Dandeld » Gericht. j
Durch diefes Kollegium machte er. viele
Einrichtungen. zur Befoͤrderung und Vervoll⸗
Tommnung ber Fabrikation. Cr verwendete
Unterfläzungen , Belehrung , offentlihe An⸗
flalten.. So errichtete er auf Kerrfcaftliche
Koften eine offentlihe Schöufärherei, die auf
einige Jahre ein Bwangs Recht hatte; nachher
aber, da dieſe Urt zu färben bekannter war,
verkaufte er fie ald ein bloßes Privat» Werk.
Auch gab er Verbote, Waaren, die auch in
Erfurt gefertiget wurden, von fremden Orten
einzuführen , ober fezte Singangs » Impoften
darauf. Er unterfagte die Ausfuhr gewifler
zober ober halb » verarbeiteten Fabrik s Mates
rialien, z. B. ber Garne. Er hielt fireng
—
Ph. Wilh. Gr. v. Boineburg. 203
über bie aus ſchließenden Zunfts Gefeze, führte
Shane ber Erfurter und der fremten Waa⸗
ven ein. Allen Zwang, der wohl nirgends, am
allerwenigſten aber für eine ganz von fremden
Ländern umzingelte Stabs, die ihren Hanpt⸗Ab⸗
ſaz eben bei bielen Fremden ſuchen mußte, zus»
träglich feyn Eonnte, verbannte er. Boineburg
fühlte bisweilen felbfl den Nachtheil diefer Ein⸗
richtungen, ging auch wohl anf einen Augen⸗
blid davon ab, aber das allgemeine Syſtem
and das Gefchrei der Fabrikanten brachten ihn
wieder zurück ins alte Glais. Doch waren
feine Verbots⸗Geſeze immer billiger, ald mans
he neuere , denn fie betraffen nur die Waa⸗
sen, die ber Einwohner in der Stadt felbft
gut und um einen leiblichen Preis haben
konnte.
Vorzuͤglich ſuchte er Verleger der Fa⸗
brikationen und neue Fabrikanten nad
Erfurt zu ziehen. Dieſen machte er viele Vor⸗
theile, bewilligte ihnen Vorſchuͤße, Freiheiten
und andere Annehmlichkeiten. Hieruͤber if
beſonders merkwuͤrdig ein gedrucktes Patent,
Politiſcher Charakter
dad er 1715 burch ganz Deutſchland verbreis
ten ließ, und worinn er fremden Fabrikanten
and Kauflenten, wenn fie nah Erfurt ziehen
wollten , zehenjährige Freiheit von allen Abs
gaben, nachher gelinde Auflagen, Wechfels
Recht, Vorfchuß à 6 vom Hundert, (der das
mals in Exfurt gewöhnliche Curs) and fogar,
wenn fie allenfalls nad zehn Fahren wieber
binmweg ziehen wollten, Abzugs» Freiheit vers
ſprach. Dadurch z0g er wirklich vermögende
ind induſtrioſe Leute in die Stadt, die noch
bis anf diefe Stunde die beften Folgen davor
empfindet. Monopolten hat er, p viel ich
weiß, nie zugeflanden. Ä |
Die innlaͤndiſchen koſtbaren Produktionen;
Wein, Saflor, Anis, Waid, fachte er auf
verſchiedene Art zu beſoͤrdern, durch Verbote
fremder Weine, Aufhebung der Ausfuhr⸗Zoͤl⸗
Ve, Anweiſung zu befferer Behandlung diefer
Produkte. So ermunterte er and) bie Uns
yflanzung fruchtbarer Bäume, Allein fein
Haupt » Augenmerk gieng auf die Städtifchen
Gewerbe. Diefe betrieb er durch Geld, Freis
Ph.Wilh. Gr. v. Boineburg. 205
kim, alle Arten Aufmunterung; bie Laud⸗
Seöufirie blos durch Befehle Man kan ig
gar, wie Eolbert, vorwerfen, daß er das
Sand der Stadt aufgeopfert hat. Um
den Sewerben in der, Stadt einen Bortheil zu
verfhaffen, fchloß er ben Landmann ganz, oder
zum Theil von dergleichen Arbeiten aus. Dieß
war um. fo härter, da diefe in ber Stadt durch
eine beträchtliche Acciſe vertheuert waren. Die -
toflbarften Produkte des Landes durften grofe
In Theils nur in Die Stadt verkauft werben,
und nur, wenn fie dort nicht abgieugen, au
Fremde. Um bie Lebensmittel in der Stadt
wohlfeil zu erhalten, erregte er eine gezwun⸗
gene Concuryenz gegen ben. benachbarten Rande
mann, indem ex die Staͤdtiſchen Victnaljen⸗
Händler zwang, ihre Waaren alle außer dem
Erfurter Gebiet einzulaufen. Durch fol4
Einrichtung kan man freilich auf der einen
Site gewinnen; aber man pezliert eben, fosigl
auf der andern. So waren auch feine Tags
Ordnungen für Wirthöhäufer, für Victua⸗
len und für den Taglohn. Reeller noch, und
206 Politiſcher Charakter
anf der Stelle fühlbarer war der Schaden, da
er eine kurz vor ihm eingeführte Auflage auf
das in Erfurt zu Markte gebrachte Getraibe
nicht aufbob. Denn ein Zheil des Getraide⸗
Handels, der: bis dahin eine Art natürlichen
Monopols für Erfart war, 308 ſich in die bes
nachbarten Städte, .
Sehr vortheilhaft hingegen für Gewerbe
and Handlung war unſtreitig bie Errichtung
einer Credit⸗Kaſſe, die den geringen Buͤr⸗
gern in Meinen Summen zu zwanzig bis fuͤn fe
zig Thalern, zu fünf vom Hundert, Vorſchuß
that. Eben fo formitte er eine ſogenannte Des
»olttensKaffe, bie noch exiſtirt, und die eis
gentlich ein Fond zu größern Unternehmungen
zum Beßten des Landes if.
Die Finanzen verwaltete er mit großer Ord⸗
nung und Geſchicklichkeit. Bei al dem Uns
gluͤck der bamaligen Beit erhub er doc, größere
Auflagen, ald je ein Statthalter vor ihm, und
man hoͤrte eben nicht viele Klagen darüber ;
ein Beweis, daß das Land bei Kräften war.
Statt der. {ehr erhöhten Grund « und Haus⸗
DH. Wilh. Gr. v. Boinebura. 207
Eimern führte er ſtarke Acciſe ein; eine Auf⸗
lage, die eben nicht leichter war, als die, wel⸗
he ſie erſezte, aber weniger bemerkt wurde.
Eine feiner großen Huͤlfs⸗Quellen war die
(aducirung der in voriger Zeit unzechtmäßig
erlangten Grundſtuͤcke. Gie war wirklich ges
|
|
|
recht, aber druͤckend, und erregte viele Kla⸗
gen. | Ä
Dieß ungefähr waren die Maasregeln, die .
Boineburg anmandte, um feinem fo fehr ges
fnulenen Gonvernement wieber anfzubelfen.
Er übernahm es 1703 in ben elendeflen Um⸗
finden, die Nahrung gefunfen , die Stadt
vol ͤder Wrandflästen, elende offentliche Gen
baͤnde, viele Schulden, das Laub erfchöpft,
die Polizei in Umorbuung, und’ (wie ein Auf⸗
ſaz der damaligen Zeit) fogar das Cammer-
cum humanum geflört. Bei feinem Tode
1717 hinterließ er die Stade voll Fabriken,
mit einem blühenden Gewerbe, durch neue of⸗
fentliche und Privat⸗Gebaͤude perfhönert, befs
I fer befefliget, ihre Armen verforgt, ihre Pos
lizei in gutem Stande ‚ alles voll Leben und
208 Polit. Char. P. W. Gr.v. Boin.
Zufriedenheit. Offentliche Anſtalten mit be⸗
traͤchtlichen Fonds waren geſtiftet, bie Kaſſen
alle angefuͤllt, das Land wohlhabend, und eine
große Summe alter Schulden abgeſtoſſen. Diefe
Veraͤndernug Eonute eine kluge Regierung in |
vierzehn Jahren hervorbringen.
Mad Kirchen⸗Liſten biefer Zeit waren
1703 gel. geb. getr.
Stadt: 335. 483. . 138.
Land: 364. 683. : 191.
Zuſammen? 702. 1106. 329.
u mo
1717: gef geb. getr.
: Stadt 478. 561. 211.
| Tandı 655. 875. 267.
: Bufammen:1133. 1439. 478. |
folglich hat ſich in dem vierzehn Fahren die Ver
voͤlkerung ungefähr um + vermehrt,
VL
Kurzer Lebenslauf
Herre
Rochus Friderich Grafens
zu Lynar,
Königl. Daͤniſchen Geheimen Conferenz⸗Ratho,
Ritters des Clephanten » Ordens, geweſenen
Geſandtens in Schweden und Rußland, und
Statthalters in Oldenburg und
Delmeühorfl.
Beh. der 16. Dec. 1708. gefl. den 13. Nov. 1781.
er \
Aus denen bei der Gedaͤchtniß⸗ Predigt des Hru. Dbew
Pfatrer Zenichen in ber Stadtkirche zu Luͤbdenau verier
fenen, und zu Reipzig bei Cruſius in 8v0. 1782.
gedrudten Perfonalien.
Patr. Archiv, III. Theil. O
"a
Wir haben bie Welanntmahung biefer. kurzen, ader
(Häzbaren Nachricht von dem in mannidfaltigem
Betrachte merkwuͤrdigen Leben eines großen Mannes
deſſen wuͤrdigen Sohne, Herrn Grafen Caſimir zu
Lynar, zu verdanken, und es iſt Pflicht der Vereh⸗
rung gegen den ſeligen Grafen, dieſes fliegende
Blatt in dieſet Sammlung aufzubewahren , dis die
gemachte Hoffnung einer ausführlichen Lebonsbe⸗
ſchreibung erfuͤllet werden Fan und wird.
Pd
eis 0 2IE ,
Dorerinnerung
Ir achflehenber kurzer Rebenslanf meines felis
gen Vaters würbe nicht gedruckt worden ſeyn,
wenn wicht ungewöhnlich häufige Nachfragen,
and die Unmöglichkeit , jedermann durch Ab⸗
ſchriften zu befriedigen, es fat zur Nothwen⸗
digkeit gemacht bitten. |
Er fland in fo vielen Verbindungen, und
feine Bekanntſchaften waren fo auögebreitet,
daß man, wenn er auch nicht berähme gewe⸗
fen wäre, zuverläßig hoffen Eönnte , fein Les
ben, und befonders feine lezten Aeußerungen,
würden einen beträchtlichen Theil des Publi⸗
kams intereßiren.
Sein in der politiſchen und gelehrten
Welt bekannter Rame vermehret dieſe Hoff⸗
nung.
O 2
\
213 Kurzer Lebenslauf
Ich gedenke, wenn es die Umſtaͤnde er⸗
lauben, dasjenige, was das Publikum von
ſeinem Staats⸗ Gelehrten⸗ und Privars Les
ben intereſſiren koͤnnte, ausfuͤhrlicher aufzu⸗
ſezen und drucken zu laſſen. Uebrigens ver⸗
ſichere ich, daß im gegenwaͤrtigen kurzen Les
bendlaufe feine lezten Tage und Stunden ges
rade fo befchrieben worden find, wie fie
"waren. Man ift immer bei der fixengflen
Wahrheit geblieben, und alles flieht fo ba,
wie es der Selige gefagt bat. Nicht das Ges
ringſte iſt etwa anders eingekleidet worben.
Das bezeuge ich offentlich als ein Augen⸗ und
Dprens Zeuge,
Gott wolle bie chriftlichen Aeußerungen
dieſes groffen Mannes bei vielen einen heilfas
men Eindrud machen, und fie an biefem neuen
Beiſpiele feben laſſen, wie heiter das geglaubs
te underfahrne Evangelium den Autgers
aus der Welt mache.
m | Sanuar 1782.
Caſimir, Graf zn Cynar.
a
Rochus Frid. Gr. zu Lynar. 213
u
%* #*
Ua hochfeliger, anvergeßlicher Herr, warb_
auf dem biefigen Hochgraͤflichen Schloße am
zöten December 1708 gebohren.
Sein Herr Vater, Friderich Cafimir, bes
ſaß glänzende und ſchaͤzbare Eigenfchaften. Sei⸗
ne Talente ſchimmerten unter andern Perfonen
feines Standes auf eine allsgezeichnete Art.
Sein richtiger, und alles mit einer gewiſſen
Anmuth wuͤrzender Verſtand war durch die
Wiſſenſchaften angebauet, und ſein Gedaͤchtniß
durch die Kenntniß verſchiedener, ſonderlich le⸗
bender Sprachen bereichert. Schon fein fanfs
tes, und dem Genuſſe der Freude offenſteheũ⸗
des Temperament ſtimmte ihn zu derjenigen
Gattung von milder Guͤte, welche ihm die Her⸗
zen feiner Unterthanen erwarb, und jedermann
feffelte, der dad Glüd feiner genauen Bekannt⸗
[haft genoß. |
Seine Gemahlin, die Frau Mutter uns -
ſers hochfeligen Herrn‘, eine gebohrne Graͤfin
von Windiſchgraͤz, war eine fo ehrwuͤrdige
Frau, daß ihr bloßer Name bei denen, bie fie
| | 23
214 Kurzer Lebenslauf
gekannt , ober richtig ſchildern gehört haben,
Empfindungen zärtlicher Ehrerbietung erwecken
wird. Der Mauptzug ihres Charakterd war,
alles , was man fich bei einer treuen, weiſen
and Liebenden Hausmutter zu benfen pflegt,
und (welches noch ehrwuͤrdiger iſt) bie herr⸗
fchenbe Liebe zu Gott, ihrem Erlöfer, und zu
denen, bie fie ald treue Anhänger diefes bei ihr
alles uͤberwiegenden göttlichen Freundes erfanns
tee Diefer bewies ihr, und durch fie andern,
auch in den legten Stunden ihres Lebens, wie
klug und gut man wähle, wenn man zum Wahl⸗
ſpruch hat: „Der Herr iſt mein Theil, fpriche
meine Seele. ,, |
Die engen Schranken ber Zeit verbieten
mir, den Groß⸗Herrn Bater bed Hochſeligen,
Siegmund Caſimir, zu ſchildern, auch einen
voonrtreflichen Herrn, der vor feinem Ende bes
nu geugte: „So wahr Gott Gott fei, fo wahr
wohne er in feinem Herzen;, und mit bem
Ausrufe aus der Welt gieng: Herr Jeſu! bleis
be in mir, und ich will in bir bleiben. Da id
wicht einmal folche Züge ansmahlen Fan: fo
N verzeihe man mir, wenn id; von bem Alter
Rochus Krid. Or. zu Lynar. 215
und Glanze des vornehmen Gefchlechtes des
Hochſeligen, von den berühmten Thaten feiner
Borfahren im Kriege und Frieden, und von
ihren firahlenden Eigenfchaften an biefer,, der
Erbauung geweiheten Stätte, ſchweige. Die
Jahrbuͤcher der Gefchichte haben fie verewiget,
and der Hocfelige borgte feinen Stanz nicht
von feinen Ahnen.
Sm Sahre 1716 verlohe er fchon feinen
Herrn Vater, und ward von feiner Frau Mut⸗
ter bis 1724 hier erzogen. Alsdann Fam ex
nah Koͤſtriz im Reußiſchen Voigtlande, and
ber. durch feine ruͤhmlichen Eigenfchaften und
ungefaͤrbte Gottſeligkeit nicht nur in Deutſch⸗
Ind, ſondern auch in einem großen Theile von
Europa berühmte Herr, Heinrich der 24ſte
Reuß, Graf und Herr von Plauen, nachhes
tiger Schwieger Herr Vater unſers hochfeligen
Herrn, warb durch ben Auftrag der Fran
Mutter deffelben, die mit dem Haufe Köftriz
fhon Lange in gefegneter Bekanntſchaft fland,
und.durch feine ausnehmende Sorgfalt, fein
zweiter Vaters; und feine Gemahlin , eben»
fols eine große und feltene Frau, theilte dieſe
| 4
!
ı N
216 Kurzer Lebenslauf
vortrefliche Sorgfalt mit Ihrem , im Gutes⸗
Thun, wie in feinem Elemente, Icbenden Ges
wahl.
Der hochſelige Herr bezog 7726 die Uni⸗
verſi taͤt in Jena, und 1729 in Halle, und leg⸗
te da den Grund ber bewundernswuͤrdigen, und
bei ihrem großen Umfange dennoch gründlichen
Wiſſenſchaft, die er eingefammelt hatte. Im
Fahre 1730 gieng er durch Daͤnnemark nach
Schweden, wo im folgenden ein Reichötag ges
balten wurde. 1731 begab er fi) auf Reifen,
in Sefellfhaft Sr. Excellenz , feines noch lebens
ben Heren Schwagers, bed Grafen Hrn. Hein⸗
rich des Vlten Reuß, und fie genoflen den Vor⸗
theil, zu ihrem Führer ben fehr gelehrten und
rechtſchaffenen Graͤftich⸗ Reußiſchen Rath und
Hofmeiſter von Geuſau zu haben. Sie reiſeten
an verſchiedene Deutſche Hoͤfe, giengen nach
Holland, und durch die Oeſterreichiſchen Nie⸗
derlande nach Frankreich, 1732 aber nach Eng⸗
land, darauf wieder nach Frankreich, und durch
Locthringen nach Destſchland zuruͤck.
Unſer hochſeliger Herr begab ſich hierauf
nach Daͤunemark; ward 1733 Koͤniglicher
| Rochus Frid. Gr. zu 2ynar. 217
| Sammer » Ber, erkeitete im ber Dentfihen
Kanzlei mis eiferzer Getulb, and einem feis
am Dbern Srfiaunen erregenden Fleiße; er
kam in Dad Departement ber innlänbifchen, und
mechher aud) der onslänbifhen Angelegenheis
ten; 1754 reifete er in Geſchaͤſten des Könts
ges, feines Deren, nach Oſtfrießland. Das
Jahr daranf warb berfelbe ala aufßerortentlis
her Abgeſandter au ben Königlich s Schwebis
(hen Hof geſchickt. In Schweden erhielt er
auch ten Königlich s Dänifchen Dannebrogs Or⸗
ben, als eine Belohnung feiner Verdienſte,
wurde 1740 zurüdberufen, und bei dem Obers -
Gerichte in Schleswig angeflellt; im Sabre
1742 aber ihm dad Amt Steinburg, und kurz
nachher die Stelle eines Kanzlers im Herzogs
Ham Holſtein auvertranetz 1746 erhob ihn
der König zum wirklichen Geheimen Rath z
und 1749 gieng er ald bevollmächtigter Minis
ſlier beffelben au ben Kaiferl. Rußiſchen Hof
1750 ernannte ihn ber König von Daͤnnemark
zum Miniſter ded Confeild und Staats Ges
cretate der auslaͤndiſchen Angelegenheiten, ein
weites, und eined fo großen Geifles wuͤrdiges
O 5
218g Kurzer Lebenslauf
Feld! Unfer hochſeliger Herr aber, der ge⸗
wiſſer wichtiger Angelegenheiten halber ſeine
Anweſenheit am Rußiſchen Hofe dem Dienſte
des Koͤniges fuͤr zutraͤglicher hielt, machte da⸗
von ſogleich keinen Gebrauch, wurde indeſſen
Geheimer Conferenz⸗Miniſter, und als er
1752 aud Rußland zuruͤck kam, Statthalter
ber damaligen Grafſchaften Oldenburg und Dels
menhorft , welches ſeitdem in ein Herzogthum
vermanbelt worden, und bekam nachher dem
Elephanten⸗Orden, ein in Daͤnnemark ben
hoͤchſten Rang gebendes Ehrenzeichen, welches
bie erhabenen Eigenſchaſten bed hochfeligen
Herrn, ber großen Menge, bie mehr nach finus
lichem Glanze, ald nach einem fittlihen Maas⸗
ſtabe die Größe der Menſchen abmipt, gleichfam-
anfchanend machte,
Ald in dem vorlezten fiebenjährigen Kriege
ber König von Dännemark eine Mittelds Pers
fon zwiſchen ben Friegführenden Mächten abzus
geben fich bewogen fand, fo wußte nan zu dies
fer .Eritifchen und wichtigen Unterhanblung Feis
nen tächtigern und weifern Minifter, ald uns
fern hochfeligen Herrn, der 1757 den berühms
Rochus Frid. Sr. zu Lynar. 219
ten Vaffenſtillſtand der Franzöfihen und Dam
noͤreriſchen Armeen zu Klofler Zeven auf eine
An bewirkte, welche bewies, daß man ſich im
der Wahl nicht geirret hatte, und er bad Zus
hauen feines Monarchen verdiente, weldyes er
meinem fo hohen Grade genoß, daß er unein»
geſchraͤnkte Vollmacht befam, und man die Mits
kl, zu dieſem wichtigen Zwede zu gelangen,
finer Weisheit überließ. Er wurde aud) außer,
dem vielfältig in wichtigen Staats » Angelegen»
beiten gebrandht.
1766 , ald König Friderich V von Däns
nemark flarb, verließ berfelbe die Dänifchen
Dienſte, und zog auf bie, feinem Altern Herrn
Bruder gehörige hiefige Herrſchaft, welche ihm
1768, als lezterer ohne Kinder verflarb, erbs
lich zufiel.
Schon im Jahre 1735 hatte ſich unſer
hochſelige Herr mit der hochgebohrnen Reichs⸗
Graͤn, Sophia Maria Helena Reußin, Graͤ⸗
fn und Herrin von Plauen, aus dem Hauſe
Koͤſtriz, der aͤlteſten Gräfin Tochter feiner
würdigen Pfleges Eltern, zu Koͤſtriz vermaͤh⸗
It, Beinahe 46 Jahre dauerte biefe verguügte
220 Kurzer Lebenslauf
Ehe, deren Zufriedenheit fi anf wehcſelleitig
Hochachtung und Liebe gruͤndete, und ward in
Februar des gegenwärtigen, durch bie ſelig
Vollendung unſrer verewigten und verehrungs
würdigen Gräfin in ihrem é9ſten Fahre be:
ſchloſſen. Ihre vortreflihen Eigenfchaften fint
tief in unſere Herzen gegraben, und ihr Uns
denken ifl durch die Zeit andertilgbar, und uns
auf ewig heilig.
Sie gebahr dem Hochſeligen zwoͤlf Kinder,
bavon fünf Herren Söhne, und drei Gräfianen
Töchter noch am Leben find.
Sechs Enkel erlebte der hochfelige Kerr;
davon zween ihm in bie ewigen Freunden voran
gegangen find. Eine Enkelin iſt einige Tage
- nad) feinem feligen Dintritte zur Welt geboh⸗
ven worden. |
Während ber fünfzehnjährigen ruͤhmlichen
Muße von Sffentlihen Staats s Gefchäften ,
welche ber hochfelige Herr in unferer Mitte ges
noß, befchäftigten ihn immerfort theild Lan⸗
des s Angelegenheiten , theild die auf bie
Wohlfahrt und Gluͤckſeligkeit feiner geliebs
sen Unterthanen abzwedenden Bemühungen,
Rochns Krib. Gr. zu Eymar. 221
Shriftfiellerifche Urteisen, melde feinen Ras
Sıhrhunbertes noch uufern Rahlommen glaͤn⸗
‚m wird, auch in ber gelehrien Geſchichte
deſſelben verewiget haben , ein nüzlicher uud
ı auögebreiseser Briefwechſel, mebfl ber Leſung
berſchiedener feinen Verſtand und fein Herz
naͤhrender Schriften fülleteg feine Reben: Stuns
den ans. Cr war ein guter Baum, ber reiche
Fruͤchte trug, und feine Blaͤtter werben, mit
ben Palmiſten zu reben, nicht verwelfen.
Der Dodgfelige genoß, ind Ganze genom⸗
men, das feltene und ſchaͤzbare Gluͤck eines
nn
— —
von ben gewöhnlichen Beſchwerlichkeiten freien
Alters, und durch druͤckende Zufälle unverbit⸗
terten Vergnuͤgens, erfreuende Blicke auf die
lange firablenvolle Laufbahn zurüd zu werfen,
deren Ziele er ſich, wie wir nicht ohne ſchauer⸗
volle Ahndung benerkten, mis fchnellen Schrits
ten näherte. nn
Die Lafl eines beinahe 73jährigen Alters,
die vielen, flarken und ununterbrochenen An⸗
frengungen feines Geiſtes, die damit vers
tnüpfte ſizende Lebens >» Urt, eine überhand
222 . Kurzer Rebenslauf
genommene Schwäche der Gefäße, und Schär:
fe der Säfte, bereiteten allmählig ben trau
rigen Stoff zu, woraus bie zerflörende Krauk⸗
heit entſtand, welche und unfern geliebtere
Herrn ranbte. Eine unheilbare Bruflwaffers
ſucht fehnitt uns feit einigen Monaten alle Hoff⸗
nung ab, ihn. noch lange Zeit zu behalten.
Die Tage, die Gott auf fein Buch gefchrieben
hatte, waren vollendet; ber Herr rief ihn ab,
"und verpflanzte ihn in ein beffered Leben, in
welches er am 13ten November dieſes Jahres,
fruͤh zwiſchen 3 und 4 Uhr, eintrat, bewun⸗
dert von der Welt, geliebet und beweint von
feiner Familie, feinen Unterthanen und feinen
Freunden , empfangen von feinen. Erlöfer ,
der feine Seele fegnend aufnahm , begleitet
von ben feligen Geiflern , ausgeſandt zum
Dienfle derer , welche die ewige Seligkeit ers
erben follen.
Die. Geduld des Hochfeligen in feiner zwar
von keinen eigentlihen Schmerzen begleiteten,
aber doch mis drädenden Beſchwerlichkeiten
verknüpften langwierigen Krankheit, war mus
flerhaft, erbaulih , ausharrend, und, wenn
Rochus Frid, Sr. zu Lunar. 223
man bie Lebhaftigkeit feines Geiſtes, dem Thaͤ⸗
tufeit zue andern Natur geworden war, und
die bei allen angewandten Bemühungen feiner
lebenden Kinder dennoch unvermeidliche Lange
weiligkeit eines ſolchen Krankenlagers bedens
It, fo mußte man biefelbe aus einer höhern
Quelle herleiten, ald aus dem feſten Entfchluffe
ind ſtarken Geiſtes, und blos philofophifchen
Stunden.
Der Gott alled Troſtes unterflägte ihn ſt cht⸗
bar, und der Herr erquickte nach ſeiner Ver⸗
beifung den Wohlthaͤter feiner Kinder, um
mid der Schrift Worte zu bedienen, auf feinem
ich» Bette.
Ein paar Wochen vor feiner ſeligen Auf⸗
lͤſung genoß er da8 heilige Abendmahl, und
ward dadurch ſichtbar im Tebendigen Glauben
an den, deſſen Fleiſch ex gegeffen , und beffen
Blut er getrunken hatte, geſtaͤrket. Die lez⸗
ten Tage feiner Wallfahrt waren die heiterfien
and geſegneteſten. Weß das Merz voll war,
don gieng der flerbende Mund über. 3%
finem zweiten Herrn Sohne fagte der Hoch⸗
Ielige, nachdem ex ihm feinen nahen Abſchied
224 Kurzer Lebenslauf
ans diefer Wels mit zufriebener Miene, un!
bewundernswürbiger Heiterkeit angelündiger
folgendes: Mein lieber Sohn, laß bein Zaun
ein Haus feyn, dad dem Herrn dienet, fi
wird dird wohl gehen, und ber Segen Gots
tes, mein, beiner Mutter und Großs Eltern
Segen wird aufbir ruhen, und bu wirft gluͤck⸗
lich ſeyn.
Meine Sache babe ich mit Gott ausge⸗
macht; ich gehe auf das Verdienſt Jeſu Chriſti
aus ber Welt. Zu feinem Herrn Sohne, dem
Grafen Eafimir, fagte der bochfelige Herr ein
paar Tage vor feinem Ableben:
Mein lieber Sohn ! wenn ich auch gleich
wicht viel davon rede, daß ich num bald in bie
Ewigkeit gehen werde, fo denke ich doch bes.
fländig daran. Meine Krankheit muß ſich
ann bald endigen; entweber per füflocatio-
nem; denn ed Fan fehr leicht ein Stedfluß
dazu kommen, ober durch einen Schlagflug,
ober durch eine langſame Entkraͤftung, und
‚bergleihen. Was ift wohl das Beßte? hier
lächelte ber durch bie Innern Troͤſtungen Gottes
gegen bie Schrecken der Ehrperlichen Zerſtoͤrnug
geſtaͤhlte
Rochus Srid. Sr. zu Lynar. 225
„fühlte ehrwuͤrdige Greis dem biefen Blick
wit unnennbarem Gefühle empfindenben Soh⸗
se hold entgegen, und fuhr fort: Ich weiß
nicht , was das Beßte iſt; aber ich verlaffe
mich allein auf den Heiland, dem ic) mich em⸗
pfohlen habe. Er wirb mich wohl verſor⸗
gen; biefe Worte s: wohl veriorgen , wies
derholte er mit Ruͤhrung und troſtvoller Zus
verſicht. Sa, fuhr er fort, ich werde ihm
uch danken, daß er meines Angeſichts Huͤlfe,
und mein Bott iſt; diefe Worte: mein
Bott, waren ihm. befonders lebhaft in bie
Seele gebrüct. Als fein Herr Sohn erwie⸗
derte, baß alles darauf ankomme, daß man
wife, was für einen unausſprechlich treuen
Herrn man am Heilande habe, der fein Blue
für uns vergoflen, und gewiß alles wohl ma⸗
hen werbe 5 ſagte der Hochſelige: Sa wohl;
se wird alles wohl, vecht fehr wohl machen,
das wirft du fehen. Ich weiß, er iſt mein,
und ich bin fein; er wird mich wohl verſorgen.
Sch gebe bir noch zulezt bie Ermahnung, baß,
wenn man, mit Gott etwas auszumachen hat,
man es ja nicht verfchieben müße, denn, wenn
Date. Archiv, UL. The, 9
Kurzer Lebenslauf
einander , in einem Giun , und. in einerlei
Meinung. Sie find dad Salz ber Erbe,
bad Salz muß aber nicht tumm, ober nutauıge
lich werden, wie ber Heiland einmal fagt, ſonſt
hilft ed nichts. Da iſt nun das beßte Mittel,
"wenn man fich zufammen hält, und vor allen
Dingen recht feft am Heilande hängt. Ich
gehe zu ihm, ex ifl Horangegangen , mir bie
"Stätte zu bereiten; — wir find ſinnliche Men⸗
fchen, und koͤnnen von dem, was kuͤnftig mit
und vorgehen wird, keine anſchauende Begriffe
haben, dad iſt nicht moͤglich, alſo weiß ich
auch nicht, wie mir eigentlich ſeyn wird, aber
ſo viel weiß ich doch, (nun ſprach er mit freu⸗
digem Nachdruck): Er wird mir das Leben
geben, und volle Gnuͤge. Gott Lob! daß es
auch hier noch Leute giebt, die ſich nicht ſchaͤ⸗
men, zu bekennen, daß der Herr ſein Blut fuͤr
ſie vergoſſen habe. Ich nehme vielen Antheil
an der Ausbreitung des Reiches Chriſti in der
Welt, und liebe alle, die ihn lieben. Zu ei⸗
nem ihn beſuchenden Freunde ſagte er, auf
das nahe Ende ſeiner Wallfahrt in bildlichen
Ausdruͤcken deutend: ‚Die Akten find geſchloſ⸗
Rochus Frid. Gr. zu Lynar. 229
fen , die Juſtification iſt eingereicht , dad Urs
theil geſprochen, die Vollziehung ſteht in Got⸗
tes Hand. Mehreren feiner anweſenden Hoch⸗
graͤflichen Kinder bezeugte er, wie gern und
frendig er dieſe Welt verlaſſe, welche er, (ed
find feine Worte) ohnedem nicht mehr recht
fehen koͤnne, denn ‚feine Augen waren. ſehr
ſchwach. Er tröflere fi mit den Worten:
„In meined Waters Haufe find viele. Woh⸗
„nungen., Ferner: „Wo ich bin, da foll
„mein Diener auch ſeyn., Auch lieh
ber Hochſelige den lezten Werd aus dem Liebes
Sollte ih meinem Gott nicht fingen zc.. Bl
denn weder Ziel noch Ende, ſich in Gottes
Liebe finde 2c. von einigen feiner Hochgräflichen
Kinder vorfingen, und war über ben. Inhok
ſchr geruͤhrt.
Unter ſolchen Betrachtungen ſchlug pie von
Gott beflimmte Stunde, und nachdem er kurz.
vor feinem Verſcheiden zu feinen beiden Alten
fin herbeigerufenen Gräfinnen Töchtern das
kurze, aber vielſagende lezte Ermahnungs⸗
Wort, betot! ausgeſprochen, ſo verſchied er,
73 Jahre, weniger. 5 Wochen, alt, aufs fanfs
P3
230° Kurzer Lebenslauf
teſte, und die Vorbothen des. herannahenden
großen Augenblicks waren für diefe Umflänbe
nicht aͤngſtlich, fondern ſchraͤukten ſich faſt
blos auf das Auſſenbleiben bed Pulſes und
Odthems ein.
So ließ der Herr unfern Herrn, feinen
. Diener, in Frieden fahren, und nun ifl er,
wo Jeſus CEhriſtus iſt, auf deffen Stimme der
entfelte Leichnam in feiner Gruft wartet, wels
her ihn verklaͤren, und feinem: verklärten Leibe
ähnlich machen wird, uch der Wirkung , das
mit ˖er kan auch alle Dinge ihm unterthänig
machen. -
Unſer bodefiger Here war ein wahrhafs
sig großer Mann; — duch, er hat ausbrüds
kich alle vobſprich verbeten, uud fein Wunſch
iſt uns heilig. Ex führte alles Gute, das
an ihm, und durch ihn gefhehen war, ins Lob
Gm, und dad wollen wir. and, Gun.
De Se, der mit Blut unfee Seelen er⸗
worben,
‚Da gen, ber and Liebe für und fr ges
| florbeg,
l
Rochus Frid. Gr. zu 2ynar. 231
SR’: ewiglih wärtig, bemfelken zu Che
ven,
Sprech alles Belt Amen! und lobe deu
Herren. Amen!
Gebet
vor der Beifesug in die Gruft.
Herr Sefa! deine Augen fehen, mit welchen
gerührten und bewegten Derzen wir jejt vor
dein heiliges Autliz treten. Hier liegt bie ents
ſeelte Hülle unſers geliebten, wahrhaftig grofs
fen, ehrwuͤrdigen und undergeßlichen Deren,
deines Knechtes, vor und. Sei im Staube
angebetet für die Barmherzigkeit ohne Zahl,
die du ihm von feinem erſten Werden an bis
zn feinem lezten Seufzer erzeigt haſt! Er
batte von die , treuer Schöpfer , einen Geifl
befommen , ber fih von unzähligen andern
Menfchen auszeichnete; burchdringenden Scharſ⸗
Sinn, and viele andere ſchaͤzbare Geiſtes⸗Faͤ⸗
higkeiten, nebſt ſo manden vorzäglichen Eis
Pp4
- 232 Kurzer Lebenslauf
genſchaften dev Seele, des Leibes, und Vor⸗
theilen der aͤußern Umſtaͤnde, hatteſt du ihm
verliehen, lauter Wohlthaten! denn alles Gu⸗
te koͤmmt von dir herab, und dir ſind wir den
Dank ſchuldig. Durch ein langes, Geſchaͤft⸗
volles, zum Theil auch Dornen⸗ volles Leben,
leitete ihn beine allmächtige guädige Hand; im
einer dich großentheild verfennenden, verfühs
reriſchen Welt gabfl du dich ihm zu erfens
nen; beine ewige Liebe fuchte die Mittel, aller
Schwierigkeiten ungeachtet, feine theure Sees
Ie, die dir bein Blut gekoſtet, zu reiten, und
beine göttliche Weisheit fand. fie, dieſe Mits
tel; fo, daß wir bir nun fröhlich danken koͤn⸗
nen jür die größte aller Wohlthaten, daß er
felig geworden if, Nun iſt er bei dir, nun
liegt er zu deinen Füßen, Herr Jeſu! nun
ſtimmt er in die Lobgefänge ein, welche bie
son der Schaar deiner Erloͤſten ertöunen Wo
du biſt, da follte dein Diener auch ſeyn, Wors
se, die dein göttliher Mund ſprach, uud die
fein flerbeuder Mund mit fröhlidem Blicke
und unvergeflicher Heiterkeit wieberholte. Mun
bat ex die Stätte eingenommen „ die bp ihm
v.
Rochus Srid. Sr. zu eynar. 233
bereiteteſt; nun hat er eine der ſeligen Woh⸗
nungen bezogen, die in deines Vaters Hauſe
find! Jezt finget er mit Gotteös Heer: heilig,
beilig iſt Gott der Herr, und fchauet dich von
Angeficht in ewiger Freud nnd feligem Licht.
Ad, Kerr! was würden ihm alle Vorzüge,
fein Ruhm , feine Ehrena Stellen, fein Vera
ſtand, feine Gelehrſamkeit, ja was würde ihm
bee Gewinſt der ganzen Welt jezt helfen‘,
wenn er dich nicht hätte! Aber, Gott Lob!
er bat dich , uud du haft ihn, wer will ihm
von dir fheiden ! Herr Sefu, wir alle, keinen
ausgenommen , find auch bein, denn bu biſt
für und geflorben. Lehre uns durch biefed
große Beiſpiel, daß alle Vorzüge ohne ih
nichts helfen , und daß, wenn man dich hat,
fo hat man wohl, was und ewig. erfreuen
fol. Allerheiligſter Hoherprieſter und Fürs
fprecher , hebe in diefen feierlichen Augenblis
en deine feguenden Hände über dieſe Vers
fommlung auf, und uberfchütte fie mit dem
Zrofte des heiligen Geiftes! Nichte befonders
die betrübten Merzen der Leibtragenden Eräfs
tig auf, und Laß es und nie vergefen, was
5
234 Lebensl. R. F. Gr. zu Lynar.
wir empfanden, was wir von dir erbaten, als
wir um den Sarg unſers bei dir verklaͤrten
Herrn und Vaters verſammelt waren. Amen!
Kerr Jeſu! Amen!
Und bu, entfeelter Leichnam ! ruhe, bis
dich Jeſus Chriſtus mit SchöpferdsKRraft wies
der beleben , und- mit dem Geifle vereinigen
wird, ber jezt bei ihm iſt. Dazu fegne ich
dich in dem allerheiligften Namen Gottes des
Baters, und des Sohnes , uud bed beiligen |
Geiſes. Amen!
N
—tt
VI.
Geſinnungs⸗Aehnlichkeit
| in Religions: Soden
Kaiſer Marimilians des IL.
Kaiſer Joſerh dem IL
| *
| » »
| & vier eigenhändigen Schreiben beffelben an
Herzog Chriſtoph von Wuͤrtemberg, von
den Jahren 1557 und 1558.
N
|
*
* =
WEHR. R. Sattlers Geſchichte des Herzogthums
Wuͤrtemberg, IV. Th. Beil. 41, 45, 46 und 49.
Kae Marimilian II war zu der Zeit, als
— — —
er dieſe Briefe ſchrieb, nur noch König in Boͤh⸗
men, und fein Here Vater, Kaiſer Ferdinand I,
noch im Leben, welcher Umſtand verfhiedene
Stellen ind Klare fest,
Sein Herz und feine Gefinnung find unvers
gleihlih, feine Orthographie iſt aber fchlechtere
dings nicht zu genießen, und würbe vielen Les
fern ganz und gar unverflänblich geweſen feyn,
um beren Gemaͤchlichkeit willen folche alfo, jee__-
doch ohne mindeſte Uenderung der Worte mo⸗
derniſirt worden. |
Herzog Chriſtoph hatte ſich in feinen ; jüns
gern Jahren währendem Ungluͤck feines Waters,
9. Ulrichs, auch nachher mehrmalen, am Hofe
8. Ferdinands aufgehalten , wodurch die vers
trauliche Freundſchaft mit K. Marimilion ents
fanden, die durdy den Hang biefed Herrn zur
Evangelifchen Lehre noch mehrers befeſtiget |
worden.
Innhalt und Unmendung wird der verfläne |
dige Lefer ſelbſt zu erklären wiſſen.
—
138 Aehnlichkeit zwiſchen
Er vn
\
I.
Docchiauchtigſter, Hochgebohrner Fuͤrſt,
freundlicher lieber Vetter und Gevatter. Sch
hab E. L. Schreiben, dad Sie mir mit eiges
ner Hand gethan, empfangen, bed ih mich
gegen berielben ganz bienfllich bebanden thue,
hätt E. L. auch gleich gern alsbald daranf ges
antwort , fo hat mid) body der RK. Mt. Auf⸗
bruch von binnen auf Prag zu verhindert, bitt
derhalben, E. 8. wöll es nit zu ungutem. vers
merken, und hab fürwahr faſt ungern vers
nommen,.daß dad Colloquium *) alfo ohn
Frucht abgehen foll, wiewohl mir nit
zweifelt, daß ihrer viel Teufels⸗Knech⸗
te feynd, die es gar wohl leiden. moͤ⸗
*).C8 war das im Sept. 1557 zu Worms eröfnete
Meligiong s Gefpräh, wobei im Namen des Kaifers
der Biſchof von Naumburg, Julius Pflug, zugegen
war, der die Kunft verftund und übte, bie Evans
gelifhen unter fi zufammen zu hezen, welches, zur
Schaude beider Theile, die Trennung, fo Kaifer
Ferbinaud heimlich wuͤnſchte, vefoͤrderte.
Katf. Mar. II. u. Joſeph I. 239
ı gen, und ifl dem alſo, wie E. 2. vermels
‚ ben, baß mans an die Ka. Mſt. gelangen bat
laſſen, weß fie fi) weiter verhalten follen ,
darauf Ihr K. M. geantwortt, daß fie nichts
liebers fähen, als daß das Colloquium forts
gieng , und den Praͤſidenten vermahnt , daß
er allen Fleiß fuͤrwenden wolle, damit es fein
Vortgang hab, wo aber nit, fo wiſſen ihme
Ihr K. M. kein andern Beſcheid zu’ geben,
bann fie follen ſich des Abſchieds zn Megenss
burg gemäß verhalten. Dann fo viel ich merck,
ſo wollt Ihr Maj. die Sad) gern von ſich ſchie⸗
ben, wiewohl, im Bertrauen za melden,
fo glaub ich, man möge wohl Teiden, .
daß es alſo zugehe. Gott gebe, daß es
in die Harr ein gutes Ende nehnie. Weiter
Im ih E. L. nit bergen, daß das erbar
herz ber Babſt einen Notari zu Ihr K. M.
geſandt bat, fich zu congratuliren des Fridens
zwiſchen Shme und Engelland, und ermahnt
Ihr Maj. daß Sie wollen guter Fuͤrderer
ſeyn, damit auch ein Fried moͤchte getroffen
werben zwiſchen Engelland und Franckreich,
welches daun ich für ein gar wüzlich werck hielt,
240 Aehnlichkeit zwiſchen
und befind die K. Maj. ſolches zu promobiren
ganz geneigt, ſo will ichs auch an Vermah⸗
nen, und ſo viel an mir ſeyn wird, nicht er⸗
winden laſſen. Darnach hat er vermeldt, daß
. fein Herr vernommen hab, wie dad Conſi-
lium impiorum Wormatiæ durch ihr eis»
gene Zwifpaltung zerrüttet werde, darum
er Bott dem Almächtigen Lob und
Danck fage, er zweifle auch nit, Ihr
Moj. als ein gehorfamer Sohn der Kirchen,
die werden folches treulich gefürdert
heben, darum er dann a Deo immarcefci-
bilem coronam erlangen werde, und Ihr
Dia. ermahnt, daß Sie ſolches Werd wolle
helfen zerflören, und Germaniam ifta pefte
liberare, und daß Ihr Wit. hinfüran
folche Colloquia und Conventicula. nims
mer molle zugeben , wie Sein Heiligkeit
dann nit zweifeln, Ihr Maj. die wären fols
ches unbeſchwert feyn zu thun, tanquam bo-
nus filius fedis apoftoliee. Das ift uns
gefaͤhr feine erbare, oder, auf Deutich
gefagt , Teuflifche Werbung gervefen,
meldet ich E. L. gatherziger Meinung nie hab
wollen
Kaiſ. Max. I. u. Joſeph IL. 24:
wollen verhalten, wiewohl man mich ſelten zu
dergleichen Sachen fordert, daun ich propter
veritatem ſaſpectus fum, und thue mid) bies
mit S. L. ganz freundlich Befehlen, ber ich zu
dienen allzeit willig. Geben gu Wien ben zo,
Decembrid. (1537.)
gutwilliger Vetter und Gevatter
Maximilian.
2
Durchtenchtiger N Hochgebohrner Faͤrſt Bo.
freundlicher. lieber Herr Vetter und Gevatter.
Ic hab E. L. Schreiben famt dem Büchlein
die Paͤbſtiſch Meß betreffend empfangen, und)
barand E. L. gutherzigs Gemuͤth gegen mir
geſpuͤrt, deß ich dann mich gegen derſelben
ganz freundlich auch dienſtlich bedancken thue,
und wo ich ſolches um ©, L. weiß zu verdie⸗
nen, follen Sie mid) jeberzeit ganz willig bes
finden, wie billig, Hab auch ben Abſchied zu
Franckfurt betreffend die Religion empfangen,
welches mich nit wenig erfreut bat, dann
einmahl Bein beflerer Weg vorhanden,
Patr. Archiv, II]. Theil. Q
]
⸗
242 Aeyhnlichkeit zwiſchen
allein (als) die Vergleichung der Reli⸗
gion,'will auch derhalben E. L. dienſtlich ers
mant haben, damit fie wollen daranf bedacht
feyn, und Keinen Fleiß fparen, dann durch
diefen Weg der Vergleichung ftiht mean
dem Pabſt den Hals gar ab, darumen
nit wenig daran gelegen. Zweifelt mir
auch gar nit, E. L. werden ed an berfelben
Fleiß nie erwinden laffen. Sonſt weiß ich
E. 8% diefer Zeit nichts fonderd zu ſchreiben,
allein daß die Kay. May. zimlich ſchwach ift
geweſen an dem brittaglihen Fieber, aber
Gott dem Herrn fen Lob! fo feyud Sie fchon
ans aller Gefahr, und thue mich hiemit E. L.
ganz freundlich und bienfllich befehlen, denen
ich zu dienen ganz willig, Geben zu Wien den
22. Junii (1558.)
E. L.
gutwilliger Vetter und Gefatter
Maximilian.
Dorchlenchtiger „Hochgebohrner Fuͤrſt,
freundlicher lieber Herr Vetter und Gefatter.
|
|
|
——
Kaiſ. Max. II. u Joſeph I. 243
Ih hab E. 8. Schreiben mit eigener Hand gen
than empfangen ſamt den Zeitung Und anderm,
fo darbey iſt gelegen, deß id) mid) dann gegen
E. L. ganz freundlich und dienſtlich bebanden
thne, and ſpuͤr auch ans E. L. Schreiben ben
guten Willen und Neigung, fo Sie zu der Eis
nigleit ber Meligion haben, und war wohl uns
vomoihen, daß ich E. L. viel daran ermahnet,
dieweil aber ſo viel daran gelegen ift,
md man der andern Parthey nit baß
inter das Leben tan kommen, fo bitt
Ihnocymals auf dad hoͤchſt E. T. welle
dahin bedacht feyn und Steig haben, da⸗
- _ — —
mit ſo vielerley Opinionen nit gedul⸗
det werden, ſondern daß man ſich ſa⸗
mentlich Einer vergleich, und darob
bleib und halte, dann ſonſt gibt man
dem Seind das Schwerdt in die Hand.
Wann man ſich aber verglich, fo möcht man
clͤdann deſto baß fehen, wie man ben Sachen
thaͤt, und bit E. L. Sie wolle fol) von mie '
hit anders als srener Meinung verfichen, dann
nit einmahl bey folcher Spaltung bie weillang
IE, und moͤchte mit ber Zeit nicht guts draus
— | N 2
244 Aehnlichkeit zwiſchen
werden, ſondern unſere Feind geſtaͤrkt, und wir
geſchwaͤcht, wiewohl ich zu Bott meinem
Herrn verhoff, er werde e8 darzu nit
kommen laſſen, fondern uns alle bei fei»
nem Wort erbalten, aber wir muͤßen
das unſer auch darzu thun. Von Zeitung
weiß ih E. L. diſer Zeit nichts ſonders zu ſchrei⸗
ben, allein daß Ihr Kay. May. Gott Lob! wie⸗
derum wohl zu paß ſind und zimlich wieder zu⸗
nehmen, zu dem fo iſt man Öuzmanns täglich
von Rom gewärtig, welder, wie ich vernimm,
mit Spott dort iſt gewefen, und alfo kommt,
aber Ihr ray. die wollen nit glauben,
wann Sie ſchon oft fehen, aber es ift
Ihrer Way. recht gefchehen, Bott wolle,
daß es was wuͤrke. Hiemit thue ich mich
ES. L. ganz dienſtlich befehlen, dero ich zu dies
nen ganz willig bin. Geben zu Wien den 29.
Suhl (1558)
E-L.
guetwilliger Vetter und Gefatter
Maximilian.
\
Kaiſ. May. IL u. Joſeph II. 245
a
* *
Antwort Herzog Chriflophs.
ꝛc. Gabiger Herr. Euer Kuͤn. W. gnaͤdigs
Schreiben mit Dero eigenen Handen hab ich
mit gebuͤhrender Reverenz empfangen, daraus
dienſtlichen vernommen, Ew. Kuͤn. W. eifri⸗
ges Gemuͤth zu der wahren Religion; Gott
unfer himmliſcher Vater ver wolle Eur Kuͤn.
W. darzu fein Gnad verleihen, daß diefelbige
bie Creuz und Unfechtungen , fo Sie darum
haben und tragen müßen, gebultig leiden thun.
Was ic dann immer zu Befürderung ber Eis
nigfeit der Religion handeln kan, das will id)
mit allem aͤußerſten treuen Fleiß gern thun,
kan aber Eur Kuͤn. W. vergmwiffen, daß der
Magiftrat von Churfuͤrſten, Fürften, Grafen,
Herrn und Stätten, fo dem Reich unterwors
fen, alle einig der Lehr und Glaubens halber
feyen, allein was etliche unftellige ufgeblaſene
Köpf vorhaben, daß man dad peccavi ihnen
follte fingen, fo doch fie in ber Lehr durchaus
mit und ſonſten eins ſind.
Q3
\
246 Aehnlichkeit zwiſchen
Daß die Roͤm. Kayſ. May. wiederum wohl
uf ſehen, hoͤre ich wahrlichen gern, Gott ber
Herr wolle Ihr May. in beſtaͤndiger Geſund⸗
heit zu ſeiner Glori und Ehr erhalten. Mit
des Martin Guzmanntz Wiederkunft von Rom
wollen viel vermuthen, der Babſt mache Ihr
May. nur fonflen ein Spiegelfeht ,„ damit,
wann er alsdann den Conſens gebe, Ihr Mayt.
Ihm defta mehr verbunden ſeyn müßte, Wann
ich ein unfchuldiger Rath follte feyn,
wollte ich Ihr Ray. May. rathen, Sie
fehen den Babſt nit en, Tießen ihne zu
Kom mit feinem Geſchwuͤrm fizen und
belieben und trachteten die Concordia
im Reich zu befürdern,
Em, Kür, W. ſchicke ich Zeitungen was
mir die Tag aus Franckreich zukommen iſt,
der Koͤnig ſehe fuͤr, daß nit ein Aufſtand oder
Abfall erſolge. Welches alles Eur Kuͤn. W.
Ich dienſtlicher Wohlmeinung vermelden ſol⸗
len, und deren zu dienen haben Euer Kuͤn. W.
wich willig und bereit, Euer Kuͤn. W. mich
Kaiſ. Max. II. u. Joſeph II. 247
zu Gnaden thun befehlend. Geben zu Urach
Den 13. Auguſti Anno zc. 58.
Euer Kuͤn. W.
Diienſtwilliger
Chriſtoff Herzog zu Wuͤrtemberg.
|
Durhleuchtiger ‚ Hochgebohrner Fuͤrſt,
freundlich lieb Herr Vetter und Gefatter. Ich
hab E. L. Schreiben empfangen, und mit her⸗⸗
lichen Freuden daraus E. L. chriſtlich Gemuͤth
vernommen, denn ed wahrlich der Haupt⸗
Punkt iſt, ne inter nos diſſentiamus, und
man ber Gegen. Parthey Fein groͤßern Abbruch
thun Tan. Zweifelt mir auch nicht, ©. 8.
werben an ihrem getreuen Fleiß, wie Sie ed
dann vermelden , nit erwinden Yaffen. Gott
der Herr wirds E. L. auch reichlich belohnen.
So viel Guzmanns Ausrichtung bey dem Babſt
betrifft, weiß nit, was ich fchreiben folle, dann
—f
man ſelzam dieſe Sache meines Erachtens an⸗
gegriffen hat. Aber wie der Welſche ein
94
| |
245 Aehn. zw. 8. Mar. II.u. Sof IL.
Spruͤchwort bat: Qui cufi vol cuſi habbia,
zu dem braucht man mich wenig zu ſolchen hei⸗
ligen Handeln, dann ih ſuſpectus bin, frag
aber wenig darnach, Ihr May. werden ihme
obn Zweifel wohl wiflen zu thun, aber She
May. fehe denacht wohl auf, wie Sie mit dem
Sachen umgehen. Und thue mich hiemit ER.
ganz freundlich und dienfllich befehlen. Geben
au Graz den 6. Sept. (1558.)
E. 2,
guetwilliger Vetter unb
Gefatter
Maximillan.
Se
VII. ”
W i e n,
wie es
vor hundert Jahren: war.
Ans einer Schrift, betitelt:
Itinerarium Germaniae politicum, mo- '
dernum praecipuarum aularum Im-
perii faciem repraefentans. . -
Cofinopoli ; in den Jahren 1680. |
—0 A 251
N: Briefe eines reifenden Franzoſen.
Friedels Briefe aus Wien an einen‘
Steund in Berlin, und Nicolai's Reifes
Beichreibung find nun in aller Deutfchen
Händen, und fo ziemlich hinreichend, von Le⸗
ben, Sitten, Denkungsart und Verfaffung der
jesigen Wiener Welt, ihres Beherrſchers,
feiner Raͤthe, Diener und Einwohner einen
deutlichen Begriff zu gebenz und wie vieles iſt
ach zuruͤck, dad wir zwar wiſſen, bad aber
erſt unfere Nachkommen gedruckt zu leſen bes
lommen werben ? |
Bor hundert Jahren hat auch ein ehrlicher
Mann in Deutſchland herumgereiſet, iſt auch
in Wien geweſen, hat zwei Augen im Kopf
gehabt, und ſeinem Herzen Luft gemacht, um
dad zu ſagen, mad er nicht für ſich allein geſe⸗
ben haben wollte. Seine Erzählung iſt zwar
in fleifem Latein, dag Colorit feiner Schilde⸗
rungen wenig verarbeitet, und ihre Miſchung
hart und ungefaͤllig; man bemerkt auch eine
S
252 Wien, wie es
gewiſſe Schüchternheit, wo er ganz nach beim
Beben zeichnen wollte, es ift aber body ein treues
Bild der Zeit und der Menfchen, mworinn und
mit denen ex lebte, und man fühlt juſt dem we⸗
nigen Aufwand von Kunft bie Wahrheit feiner
Zeichnungen ab.
Die äußere Auffchrift dieſes fehr feltenen
Büchlein iſt vorhin bemerkt, ber vollftänbige
Titel aber heißt:
_Conftantini Germanici ad Juftum Sin-
cerum Epiftola 'politica de Peregri-
nationibus Germanorum recte & rite
juxta interforem civilem prudentiam
inftituendis, in qua depinguntur Ger-
manix Principum mores, doftrina,
inclinationes , vota, ſpes, & metus
fecreti magis, quam profefli, exhi-
_ bentur item eorum Aula, Judicia ,
Miniftri aulici, juridici & belliei: qua
occafione politici flores ubique infe-
Yuntur, notabilesque hiſtoriæ referun-
tur, ita ut inftar Itinerarii politiciGer-
manis infervire queat.Cofmopoliapud
LevinumErneftam von ber Linden. inı2.
y
vor hundert Jahren war. 233
Alte Semähldte, Münzen, Bücher und
Gemmen haben immer auch nur darum · noch
ihren Werth, um anſchaulich zu machen, daß
wir's alles noch viel ſchoͤner und beffer machen,
und ganz andere Leute find, mit denen fich die
Alten zu meffen nicht gefrauen würden; zumels
Ien irift fich auch dad Gegentheil, und endlich
findet fi and) manchmalen, daß alles jufl
noch fo gut, oder fo ſchlecht iſt, wie vor Zeis
ten. Die Vergleichung hat immer was, das
entweber unferer Eigenliebe fchmeichelt , oder
unſern Stolz demüthiget.
Wenn dieg in Werken der Kunfl und des
Geiſtes ſtatt finden Ean, fo iſt Gegeneinander⸗
haltung von Menſchen, Sitten und Denkungs⸗
art nicht minder belehrend und angenehm. Um
ind alte Wien fein Gluͤck gegen das neue
serfuchen zu laſſen, babe ich die zu meinem
Zwecke dienlihe Artikel aus diefer politifchen
ReifesBefchreibung ausgehoben,, und um leiche
teren Weberficht willen unter befondere Mubris
Ten geordnet, welche dann hiemit folgen. Bei
den meiſten wirb dad alte Wien zu kurz
Tommen , unb man darf dazu ſagen: Gott
1)
254 Mien, wie es
Rob! Hingegen bar nen Wien and Erfcheis
‚ Rungen;, über welche ber Conſtantinus vor
Freuben und vor Schrecken in Ohnmacht ges
fallen feyn wurde,
—W
Kaiſer Ceopold.
Leeopotdus, femper venerabilis, Princeps
eft & humanus, & literatus, & literato-
zum mzcenas , confilio & induftria cla-
rifimus; natus An. 1640. Imperium ex
voto omnium regeret, fi modo Jefuitica
diaboli progenies hune pium -Principem
indies non obfideret, ac veluti circumval«
laret. Habent hi cor Cæſaris indies ma-
nu & nutu fuo, adeo ut optimus Impera-
tor.nec in prandio, nec in cœna ab ho-
zum teterrimorum fociorum afpeätu fe li-
berare queat. Mällerum & Boccabellam,
ilius Lojolitice Societatis Patres acerri=
rimos obfervatores & veluti cuftodes Im«
perialis capitis Angli, Hollandi & alil,
Qui extrinfecus Imperii nævos infpiciunt,
/
vor hundert Jahren war. ass.
palam profitentur. Facetum fane eft, quod
Imperator Leopoldus vivente Ferdinando
Il. Imp. quum in aulam ingredientes vi-
deret duos Jefuitas, Patres Gans & Vogel,
qui Cxefaris confcientie praefuerunt , die
xecerit: weldye zwei ehrliche Wögel kommen
doch daher gegangen? quum propterea cafti-
gandum cenferet filium Imperator, hie
segeflit ; ber eine heiße ja Gans, der andere
Vogel. Caefarque in rifum folutus, fillum
ab ejusmodi jocis in pofterum abitinere
haft
deutſche Steiheit.
Triumpbat jam ferio Germaniæ liber.
tas, dum fextennalem fub ejus S. Impe-
ri minifterio adfpicimus diætam Ratisbo-
nenfem ,„ quod nunquam antea contigit,
multi fibi Jam perfuafum habent, &, quod
ultimum folatium in politicis turbis, tan»
tum non defperant, navem Imperii hadte-
' mus tempeftatibus in alto agitatam in por«
tum nunc deductam iri; alii tamen ad
Calendas Græcas id futurum fallo autu-
Mant,
256 Wien, wie es
ö Des Kaiſers Jagd» Luft.
Munus fupremi Venatienis Magiltri ,
ber oberfte Jaͤgermeiſter, gerebat Comes de
Sinzendorff , Imperatori, ad venationes
valde inclinanti, cariflimus, qui etiam fae=
penumero magnifica & optima xenia ab
Imperatore accipit. Nimirum magni Prin«
_ eipes tempora curarum , remiflionumque
dividere obleftamentis ac voluptatibus ,
moeftam vigilantiam & malas curas ex-
ercere debent ; nafcitur enim ea aflidui-
tate Jaborum animorum quædam hebeta-
tio & languor; & non improbari poflunt
in Principibus ejusmodi remifliones , fi
voluptate concefla conftent , & -laetitise
magis, quam lafcivise dentur, pr&fertim
quum ex Imperatore, Rege & Principe
non fit difcipulus faciendus, qui citra pæ-
dagogi conceflionem Iyceo exire pro reli-
- giofo habet. . Commodiffimum autem cu-
tarım & periculorum delinimentum cre-
ditur efle venatio. — Non tamen ex ni-
miis venationibus iflis. gerendis rebus
| impedimentum
vor hundert Sahren war. 257
impedimentum fubnafci , ac gubernacula _
reipublicee plane deferi ac pro derelicto
haberi oportet. -— An Imperator nofter
in venationibus modum teneat, nec ne,
qui aimium curiofus eft, Viennæ inqui»
tere poterit, ubi audiet, quibus illecebris
Sinzendorfius utatur,, ut Cxfarem Vien-
na Laxenburgum , quod duobus milliari=
bus Vienna diftat, ad ardeas venandas
& aliorfum ad feras infequendas invitet,
item , annon publica Imperii & Auftria-
carum provinciarum negotia inde ſæpe-
numero detrimentum capiant, nec ne ?
. Ibidem , quis indagare poterit, mihi in
ika inquirere volupe non erat, audivi ta-
men Vienn®, Aulicis in eo effe omnia,
ut Imperatorem femper venationibus &
aliis deliciis ab aula diftrahant, quo ipfi,
abfente Domino, chartas Imperii & zegi-
Minis politicas in manu retineant.
Res, quæ Imperium conceraunt, illes
expediuntur Vienne in judicio Aulico
Patr. Archiv, U. Theil. R
258 Wien, wie es |
Cxfareo. Conſtat illud in Prefide, Vite-
Cancellario & octodecim Confiliariis, qui
in Camera Spirenfi Afleflores dicuntur.
Pr&fes tum erat Dominus Erneftus, Co-
mes Oettingenfis , lines Wallenfteinia-
næe, qui in tarda feneÄtute fua, quantum
viribus eniti poteft, juftitiam labentem &
ibidem non raro flexibilem dexterrime
promovet. Vice-Cancellarii Imperii mu-
nus eodem tempore gerebat Dominus
Wallerdorff , qui a. Moguntino Imperii
Archi-Cancellario dependet. Inter Con-
filiarios Judicii hujus mihi laudabantur
Comes de Nothaflt, & Comes Gottlieb
de Windifchgräz , juftitise antiftes fortif-
, fimus, Evangelic® religioni‘ addictus,
cui Imperator aureos montes pollicitus ,
fi Evangelicam .religiinem cum Pontifi-
cia commutare non erubefceret. — Sen-
- tentie, fi qu& in hoc Judicio publican-
‚ tur, ftatim janux Dicafterii afliguntur.
Uti Spire lente feflinant Judices , ita
Vienne®, fi proverbium hoc ad fummum
iftud Imperii judicium accommodare li-
vor hundert Jahren war. 259
cet, canis nimis feltinans coecos non ra-
so parit catulos- ı Qui Referentem ſuum
hic inaurat, & aureis catenis alligat, ci-
to citius in arcem cauſæ ſuæ invadere
poteft. Quod fi cauſæ Catholicis favora- ’
biles agitantur, Evangelici affeffores per
commifliones folent alio ablegari, de quo
Proteftantes non femel conquefti funt, —
Quodfi in judicio Aulico fertur fententia °
magni momenti , folet Imperator inde
Ada poftulare, & in Confilio fecretiore
juxta flatus rationem omnia juxta femun-
cias & drachmas .( hei Lorh und Quint⸗
fin) trutinare, &, prout utile vide-
tur , fententie executionem vel matura-
te, vel differre, prout factum in caufa
Braunfchweig contra Braunſchweig, das Fuͤr⸗
ſtenthum Grubenhagen betreffend; in cauſa
Heſſen contra Heſſen, die Marburgiſche Suc⸗
ceßion betreffend; in cauſa Baben ı contra
Baden.
Rs
abe . Bien, wie es
Wiener Adel, Sitten ud
Sinnlichkeit.
Auſtria alias dicitur Comitum, Baro.
num, Nobilium & novorum hominum
* admiranda officina, unde etiam in Au-
firia tam fuperiore, quam inferiore ad
utramque, ripam Danubii Comitum, Ba-
ronum -&c. arces & preedia numeravi ,
nifi quod interdum pulcherrimam illam
feriem Jeſuitæ interrumpant, id quod
Auſtriæ Dominos minus commode ferre
audio. Solent Auftriaci, quod gulee mo-
dum excedant, convitio ab aliis nominari
Pa/chales , Paſchaler.
Auftriacos fertur Pafchales nomine di-
ci, |
Pafchata quod celebrent femper , jeju-
nia nunquam.
Hoc nxvo etiam plurimi e Dominis &
Nobilibus laborant. Nam plerique ho-
xum femper hærent Vienn® in aule Cæ-
ſareæ facie, ibique hilares dies fumunt.
vor hundert Jahren war. 267
Prefertim tempore æſtivo cum virginibus
pulcherrimis in amœniſſimo „loco prope
Viennam , undique Danubio circumfluo ,
guem vocant den Prater , jucundifime
una vivunt, & cum venuftifimis nym-
phis junfi choreas ducunt, & alterno
pede terram quatiunt, ut inter corylos
denfas me abfcondens non femel adipexi.
Bellaria , faccharum & melliti globuli
cum vino Italico, Hifpanico, Hungarico,
Hippocratico &c. ibi proram & puppim
faciunt. '
Vinum Rhenenfe , decus & gloria
menf&, ultimum locum occupat. Ibi ma-
nu candida cantkiarus dulciferus propina-
tur fuaviflima amicitia, neque eft alius
alii odio , nec moleftis, nec morologis
iermonibus utuntur, & accepta a pueri$
patera, Hunc,. inquiunt, florem: liberi
propitiis virginibus tibi, amice, propino.
Bene vivas! Quando ex fylva ifta vefperi
in urbem redeunt, itur ad coenas dubias,
in quibus cibi fingularibus guftibus: ad
fymphoniam fcinduntur , atque lacerun-
Rz
262 Wien, wie es
tur, ut putares Darium Hydraule can-
tante pugnare. Minuti pifces, allium &
galline, quæ fundus & fundamentum
epulorum erant apud veteres , ibi ne cu-
rantur quidem. In fumma : epulæ po=
nuntur, quas nec Efurio, nec Saturio
fpernat, & in quibus Lex Licinia & Fan-
nia obfervantiam plane perdidit. Quan-
do in feram nodtem bonæ horz eum in
morem funt collocate , & unus conviva-
rum forfan moneat alium: Videsnes ut
hic Hefperus nos moneat de difceflu? al-
ter refpondet: quid Hefperus ? ejusmodi -
Endymiones Luna deducet, Si alius:
Certe multa nox elt, & tempus abeun-
di; alter ait: Non ago, homo triobuli
fum, fi id faciam. Si hofpes per dex-
tram , fidei pignus, 'tandem oratur, ut
miflionem concedat: Non, inquit, fi per
hauc fororem laevam quoque : furgit, dein
hofpes plane commotus: Hæc quidem vis
& confpiratio eft, adfedite faltem, dum
haec patera circumfertur. Accepta pate-
3a amicum intuens : Hanc ita fpumantem
vor hundert Jahren war. 263
in falutem omnium convivarum ! Ebibi-
ta & amico tradita: Ne gravare, inquit ,
unius cyathi res eft. Poftquam ultimus
accepit, iterum hofpes calicem facundum
fumens : Hunc fupremum fcyathum, in-
quit, libemus Dionyfio & fomno; ein
Stlafirunf. Poft hauftum demum affur-
gens, alius in convivio omnes invitat,
ut proxima luce ad fe veniant omnes.
Ita femper convivia in orbem eunt, or-
bis rurfus in orbem vertitur, & fic vita
Vienne truditur. Vera funt, quæ narr
to, provoco ad experientiam. Quin &
Aufrii ignobiles funt valde molles &
delicatuli : peregrinationes non adeo a-
mant, nec magnos progreflus in ftudiis
faciunt , atque hinc eft, quod exteri iis
preferantur. Vienn® quoque artes me-
chanice non adeo excellunt, unde Impe-
rator, fi quid elegantius elaborandum,
id omne vel Auguſtæ, vel Norimberge
conficiendum curat.
264 Wien ‚wie ed
Jeſuiten.
Jefuite , generis humani peſtis, fibi
nimia Cæſarum muäificentia multos ni-
dos in Auftria componunt. Relatum mi-
hi a cive Viennenfi, quod nebulones illi,
fub titulo Jefu ingentes tragoedias agen-
tes , in conventu Linzienfi in fuperiori
Auftria, quia tet praedia in illa regione
pofliderent , non fecus ac reliqui Praelati,
fefionem ac fuffragium in provincialibus
conventibus poftularint : repulfam tamen
illos tulifle, Praelatosque cum Nobilibus
contra illud attentatum fuifle proteftatos,
Ülisque hoc denegatum ad evitandam
malam in aliis locis confequentiam. Sed
quid non tendant ifti Orci galea tecti Pa-
tres? Cxl[arem ipfum quafi in manu fua
ac pöteftate tenent, dixerim fere Omni-
potentes in aula Imperatoris funt, Pa
tremque Milllerum, qui bene inaurat, ſe-
lici navigat aura. — Illi fere regnum
Viennæ pofhident, tria habent ibidem cœ-
nobia: 1) bei den untern, ubi eorum col-
. ‘
vor hundert Jahren war. 265
iegium ; 2) bei ben obern, ubi eorum
fplendidiflima domus Profeflionis, dad Pros
ſeß⸗Haus; 3) bei St. Martin, ubi do-
mum habent probationis , dad Probiers
Haus ; fimul ac’ enim quis in Collegio
“ bene informatus recipitur in eorum focie-
tatem , in hac Lydia domo prius proba-
tur, an optimus Antichrifti difcipulus eva-
fürus fit, & quando rigidam hanc pro-
bam fuftinuit, in domo Profeflionis man-
cipio & nexu fefe ‚hisce magnis fociis in
perpetuum addicit. Quum ega Viennæ
adhuc hasrerem , numerus Jefuitarum ad
250 excreverat. Imperatarem ne quidem
in prandio & cœna fuas res fibi habere
finunt,, multaque pr&dia ab eo dona ac-
eipiunt , indeque eft, quod in Bohemia
& Auftria tam-fuperiore, quam inferiore
adeo potentes exiftant Lojolitz. Vienna.
adhuc multas privatorum domos co&munt,
indeque coenobia extruunt, non fine mur«
mure civium. |
| R 5
66 Wien, wie es
Geiſtliche Gerichtsbarkeiten in
Wien. ”
Notatu. quoque dignum.eft, quod in
hac urbe quatuor relfideant poteftates ec-
clefiaftice, nempe Epifcopi Paflavienfis ,
‘ Epifcopi Viennenfis, qui tum erat Comes
Breunerus, Academis, cujus jurisditio
late admodum extenfa, habetque fenatum
fedecim perfonis conſtantem, & Capituli
Cathedralis Eccleſiæ S.Stephani, cui præ-
funt Rector & Decanus.. Papa Romanus
quoque in hac urbe habet fuum Nuntium
Apoftolicum, nimirum Vaticanus ille Ju-
‚piter , precipue a Clare & Germanis
noftris, facinorum adverfus Germaniam
admifforum confcientia adaftus, magno-
pere fibi metuit,, adeoque per emiflarios
fuos Vienne & Coloniæ Agrippine, in
Germaniæ illa Roma, follicite admodum
inquirit, quid rerum in Germania agatur,
ac Jefuite omnibus ungulis annituntur ,
ne Papalis & Patris Generalis ſui Respu-
blica quid detrimenti capiat.
vor hundert Jahren war. 267
Politifche Derhältniffe mit Baiern
und Pfalz.
Prx&ter majorum gentium Deos — fa-
vent Auftriaci Czefares Bavariæ Ducibus.
Olim quidem quum Ludovicus Bavarus
& Friderieus Pulcher Auftriacus electi ef-
fent fimul Cxfares, femina non obfcuri
odii inter Auftriacos & Bavaros fparla,
quæ in tantum ob captum Miündelheimi
in Bavaria Fridericum radices egerunt,
ut juxta Maximiliani I. Cxfaris effatum,
Auftriacus & Bavaricus. fanguis in una
eademque olla coqui fimul haud potue-
rt. Cæterum falutare matrimonii vincu-
lum aliquoties poftea repetitum inter An-
nam Auftriacam & Ludovicum Roma-
num, Bavarie Ducem, inter Albertum
IV Auftriacum & Johannam An. 1390.
Cunigundam Auftriacam & Albertum Ba-
varie Ducem An. 1487. Carolum Du-
cem Styrise & Mariam Bavaram An. 1570.
Annam Caroli V fillam & Albertum Ba-
varum An. ı5g0. Ferdinandum II Imp.
268 Wien, wie es
& Mariam Annam An. 1600. Mariam
Annam & Maximilianum Eletorem. Al-
‘ta mente repoftum illud odium , fi non
penitus extinxiffe , tamen fopiviffe vide-
tur, unde etiam Ferdinandus II Elefto-
ralem dignitatem huic domui & fuperio-
rem Palatinatum contulit, id quod Pace
Monafterienfi poftea An. 1648 confirma-
tum eft. Potentiam tamen Auftriacorum
cum aliis Bavari habuere femper fufpe-
ftam, eamque etiamnum ffne dubio tan-
quam proximi vicini præ aliis fecreto re-
formidant. — Hodiernus Bavarix Ele-
&tor ob affinitatem cum Sabaudo contra-
&am in praeteritis Belgii Hifpanici turbis,
fine dubio ob potentiam auri Gallicani in .
aula Bavarica magis Gallis, quam Hiſpa-
nis favit.
Domui Palatinæ hactenus non adeo
faverunt nonnulli Auſtriaci Imperatores.
Patet hoc in bello Bavarico, ob teſta-
mentum Georgii Divitis Bavariæ Ducis
exorto, ubi Maximilianus I Imp. cum
- alüs Ruperto Virtuofo Palatino, Philippt
vor hundert Sahren war. -269
Ingenui filio, ingentia damna intulit, que
ab Imperio oppignorata erant Palatinis,
tecuperavit, & Advocatiam Provincialem
Alfatie ſuæ adfcripfit genti. In gratiam
tandem receptus Eleftor, filius Ruperti,
pars aliqua avitæ haereditatis inter Na-
bum & Danubium, qui Neoburgenfis Prin-
cipatus, five junior Palatinatus dicitur, .
conceſſa. Faflus autem dicitur Impera-
tor Au. 1518 , fe Palatinis feciffe inju-
riam, & pollicitus reftitutionem, vedtigal
aliquod , quod aureum appellatur, attri-
buit. Cæterum Ruperti filii, Ludovicus
Pacificus & Fridericus fapiens rurfus in
deliciis fuere Auftriacis Imperatoribus, ac
in tolerabili ftatu res Palatine wmanfe-
runt, donec An. 1618 & 1619 infelici re-
ceptione Bohemic® coron® quadyata fue-
re mutata rotundis. Zum enim ira Fer-
dinandi II Cæſaris in Electorem Palati-
num Fridericum V valido fragore deto-
nuit, evihratoque profcriptiosis fulmine
Elector omnibus bonis fpoliatus tandem
patria extorris mortuus ; fed eandem fi
270 Wien, wie es vor 100 J. war.
" lius, Serenifimus Dominus Carolus Lu-
dovicus, hodiernus Eleftor, pace Mona-
fterienfi ejusque executione, quamvis mi-
nus plene reftitutus, effufam tamen Im-
—” . e
peratoris gratiam rurfus collegit, quæ ut
vires perpetuas tandem acquirat, omnes,
qui in Elettoralem Palatinam domum pro-
‚ pendent , optant, & nefcio. qua permoti
animi divinatione, non defperant. Si re-
ligio non obftaret, Serenifimus Princeps
Carolus, Electoralis dignitatis haeres, ma-
trimonio cum facratiflimi Imperatoris Leo-
poldi forore omnia fere in priftinum re-
ftituere poffet fiatım : cæterum Heidel-
berg® providebitur, quid e re Palatina-
tus fit. | | .
ef |
IX.
Herzbaftes und herzvolles
Bedenken
von
Kanzler und Raͤthen
Herzog Friderich Wilhelms
zu Sachſen⸗Weimar,
den
zerruͤtteten Zuſtand des Hof⸗ und Kammer⸗
Weſens betreffend.
vom 22. Mai 1590.
*
u »
Aus des Hrn. von Piſtorlus Amoenitatibus Hiftonico-
Juridieis. VI. Theil, ©. 1775
Daran Friderich Wilhelm zu Sachſen⸗Wel⸗
mar , der zugleich Adminiſtrator der Kur⸗
Sachfen war, wird von allen Saͤchſiſchen Ges
ſchichtſchreibern wegen feiner Weiöheit, Ein⸗ |
ſichten und vielen andern Fürften » Tugenden
in die Wette gelober 3 daß er aber in frühern
Sahren ein fchlechter Haushälter gewefen, das
yon legt nachfolgende Bedenken fo uͤberzeugen⸗
de That» Sachen dar, daß ſolches zu laͤugnen
vergeblich ſeyn wuͤrde.
Es iſt dieſe Kabinets⸗ Predigt aus ber Fe⸗
ber des ſtattlichen Weimariſchen Kanzlers, D.
Marz Gerſtenbergers; was an Politur ber
Schreibart und feinen Lebens: Urt darimı aba
gebt, wird durch den koͤrnichten Innhalt reiche
lich erſezt; der Herzog, fein Herr, maß auch
in ber Folge von der veinen Treue dieſes kas
piern Mannes ſich völig überzeugt, und bei
Befolgung feiner Ermahnungen ſich wohl bes
funden haben, weil er ihm fein Vertraueu
bis and Ende feines Lebens unvberruͤckt beides
Past. Archiv, Il. Theil, S
274 Bedenken über das Weimar.
halten, ihm noch auf feinem Todbette fefrie
Prinzen anbefohlen, und zu dieſen geſagt hat:
Sie follten den Schwarzkopf wohl in
Aacht Cin Ehren) haben, weil er mehr
bei ihm getban, als er und feine Söhne
ibm verdanken Fönnten. Gerfienberger
hielt aud) bei den Söhnen feined geweſenen
Herrn treulich aus, und als nach Herzog Fris
derich Wilhelms Tod im Jahre 1603 die Lande
getheilt wurden, und diefe das Altenburgifche,
der Bruder H. Frid. Wilhelms, Herzog Jo⸗
banned, aber den MWeimarifchen Randes » Ans
theil bekam, trat er in Altenburgifche Dienfle,
aus welchen er in Kur⸗Saͤchſiſche berufen wors
den, und An. 1613 ald Geheimer Rath in
Dresden geſtorben iſt.
Abber auch dieſer Patriot mußte ben gewoͤhn⸗
lichen Undank der Hoͤfe erfahren, da ihm, nach
Verlaſſung der Weimariſchen Dienſte, von der
Gemahlin und nachherigen Wittib H. Johann⸗
ſens alle Schand und Spott nachgeſagt, ihre
Soͤhne gegen ihn aufgehezt, und ſogar ein fis⸗
aliſcher Prozeß gegen ihn erhoben, und ihm
die Belehnung mit feinen im Meimarifchen ges
v
Hof: and Kammer⸗Elend. 275
legenen Gütern verfagt worben, gegen welche
Mißhandlungen ihn jedoch der Kurfürft mit
Nachdruck vertreten, Gerftenberger aber ber
weiblichen Mache nur mis feinem Tode das Ziel
geigt hat, wovon ich in dem Verfolg dieſes
Werkes umſtaͤndlichere Rathrichten liefern zu
koͤnnen a verhoffe.
a —
P. P. |
E. ſind Ihro Fuͤrſtlichen Gnaden ofes and
vilmahls von und unterthaͤniger Wohlmeinung
erinnert worben, bed großen Unraths, darein
3J. F. G. plözlih kommen, das haben J.
F. G. zwar jederzeit ganz gnaͤdig ver⸗
merket und aufgenommen, es iſt aber
geichwohl noch Zur Zeit keine Aende⸗
ung gemacht, dahero dann erfolget, daß
J. F. ©. innerhalb dreyen Jahren uͤber drey
Tonnen Goldes in Schaden gerathen, laut
der Verzeichniß; So weiſet das juͤngſt uͤber⸗
reichte Verzeichniß, daß man diſen Sommer zu
allen Einkommen, Lands und Trans Stener
| über 50000, fl. borgen muß, und iſt wohl vers
| Ä & |
3
—
276 Bedenken uͤber das Weimar.
muthlich, es werde nach Michaelis nicht beſſer
und gewißlich das Aufnehmen groͤßer werden.
Soll man nun alle Jahre eine Tonne
@oldes zubüßen, oder Schuld machen,
ſo muß 3.5.®. endlid) Verderbniß dar⸗
auf folgen, dann das ganze Ordinari⸗Eiu⸗
kommen wird nicht zureichen, daß man allein
die Summen verzinfe, woher wollen dann bie
Unterhalt des Hof Wefens Herzog Sohannfens,
der Fürfllihen Wittwen Frauenzimmers, Rath⸗
Stubens , Canzley, Rentherey, Küch = uud
Eammers Schreiberd-und anders unzehlichs ges
aommen werden? Soll man dann allein
die arme Landfchaft gar in Steuren eu
fchöpfen, fo will dabey zu bedenken feyn
Gottes ſchwehre Straf und Ungnade, fo
über Herr und Knecht ergehen wird; fo
His ungewiß, obs bey den Leuten zu erhalten,
dann Herzog Johann Wilhelm hochloͤbl. Ges
daͤchtniß war ed Un. 70. rund abgefchlagen,
barzu man jezo vil mehr Urſache hat; "und
obs die Leut gern thäten, fo vermögen
fie es nicht mehr. SR auch J. F. G. bey
diſem Zuſtand mit ſolcher Stener gar nichts ges
v
‚Hof: und Kammer: Elend, 277
holfen; dann wann die Termin kommen, iſt
alles zuvorn verwieſen, und kommt an Bezah⸗
lung der Schuld nichts zu ſtatten.
Soll man dann das Armuth mit Jagd⸗
Geldern, Bau⸗Steuer, Dienſt⸗Geldern, dop⸗
pelten Trand s Öteuer beſchweren, fo wird
Bott Urfach gegeben, feinen Zorn defto
heftiger wider Uns aus zuſchuͤtten, dann
es heißt: Quando duplicantur lateres, ve-
nit Moifes liberator. So wollte. auch J. F.
G. hoͤchſte Nothdurfft erfordern, uf Herzog
Sohannes. 2c. ein fondere vornehme Aufacht zu |
haben, dann mit demſelben haben fih J.F. G.
verglichen, daß bey dieſer Regierung J. F. G.
das Land mit keinen Schulden beſchweren wol⸗
len. Sollten J. F. G. dieſes Aufnehmen er⸗
fahren, wie nicht nachbleibet, ſo werden J. F.
©. deſto ehe auf eine Sonderung dringen, bey
derſelben werden J. F. G. diſer Vergleichung
nicht allein erinnert werden, ſondern es iſt auch
die rechte Haupt⸗Urſach, dadurch Bruͤder pfle⸗
gen in Mißverſtand zu gerathen, wie J. F. G.
on deren Herrn Water und Herzog Johann Fri⸗
derichen ein domeſticum exemplum haben.
S3
278 Bedenken über das Weimar.
Es vermag dad väterlihe Teſtament, daß bie
Herrn Brüder gleich theilen , und einer vor dem
andern durchaus Feinen Vortheil haben fol:
hieraus wollte folgen, daß in folcher Theilung
ber junge Herr das Land, ber Ueltere aber bie
Schulden bekaͤme, und würde bes Aeltern Herrn
Antheil Landes fo vil nicht ertragen, daß die
Schulden verpenfioniret, vil weniger abgelegt
würden, dadurch würden J. F. G. um dero
Fuͤrſtl. Reputation, Trauens und Glanbens
kommen, dann wie ed andern Benachbarten bey
ſolchen Haͤndeln/ ergehet, erfahren J. F. G.
taͤglich mit Schmerzen. Ingemein würde
man mit J. S.® ein Mitleiden haben,
fed invidia praeftat miferigordiee, den Raͤ⸗
then und Dienern aber würde man übel
nachreden und fagen: Sie hätteng bei
fer verftehen, und diefe Dinge verhuͤten
folten . fie hätten aber J. S. ®. daran
nicht erinnert. I. S. ©. hätten fleißig
Inborirt, täglich Audienz gegeben, und
dergleichen „ die Käthe aber wären ſo
untreu geweßt, und 3. S. G. als ein
junger gerr, der ſich auf die Raͤthe vers
Hof: und Kammer-Elend. 279
laſſen, und ihnen getrauet, wäre von
imen nicht gewarnet, unterdeflen häts
ten fie ihrer felbft wenig vergeffen, fich
bereichert , und was dergleichen ver,
gebliche Reden mehr feynd, die ſich ſon⸗
derlich auf den LandsTägen zu finden
pflegen. Deme allen zuvor zu kommen wers
den J. F. ©. vor. ſolchem Unheil nochmals
sum Ueberfluß untertbäniger Wohlmeis
mung gewarnet, damit unfern Pflichten:
vor Bott und J. F. G. ein Genuͤgen ger
ſchehe. |
Ed Fan aber diefem Unrath mit Einem Wort
geholfen werben, bad heißt: Parfimonia, Spars
famfeit oder Hanshältigfeit; non enim intel-
ligunt homines, quam magnum fit vecti-
gal’parfimonia, und ift gewiß, daß alle Lands
und Tranck⸗Steuer fo viel nicht tragen, ald
bife einige Tugend, dann Bott feegnet die
Saushaltung und keine Steuren. Es
wird auch dafür gehalten, daß viler Fuͤrſten
Reichthum allein durch Haushaͤltigkeit geurfas
het, welche Gott feegnet.
S4
ago Bedenken über das Weimar.
Zu ſolcher Tugend gehören vornehmlich zwen
Haupt⸗Stuͤcke: das eine if: Vermehrung der
Einkommen, dad andere: Abfehaffung der Aus⸗
gaben, Wann diefe Dinge nicht weislich ges
führer, iſt unmöglich, daft I. 5. ©. in deu -
Rentherey Geld behalten koͤnnen; dann Die Renz
therey ift gleichwie ein Teich, darein alle Eins
kommen bed Landes als ein Fluß geführt, wie
nun ein Teich verdrudnet, wanu bie Einfluß
abgeführet, ober ber Ausgang zu groß iſt, alfe
wenn ber Renthmeiſter zu wenig Ginnahm bat,
oder ihme zu viele Ausgaben zugewieſen, Fan
ex bey Geld nicht bleiben,
Ben dein Punet der Einnahme iſt wohl zu
erwegen, daß vermög ber Portion Aufchläge
J. F. ©. jährlih 72000. fl. Einkommen haben
folten, darüber find bie Praecipua, ald Amt
- Saalfeld, Zella, Koͤnigsberg, Halbaliſtadt,
Ronnenburg, Dießleben, daß alſo J. F. G. bil⸗
lig über 8Z0000. fl. jährlich aus den Aemtern
einfommen follte. Es geben aber bie Extrakt
der Renterey Rechnung, daß zu gemeinen Jah⸗
ren nicht viel über 39000. qus den Aemtern
in die Reuterey kommt, dann bie Amts⸗Guͤter
werben vielen Leuten and Gnadoen erlaflen, bie
machen etlich Jahr Reſt, bitten Erlaſſung, ver⸗
bauens und machens, daß es aufgeht; die
Schoͤßer, weil man keine Rechnung von
ihnen nimmt, machen gleichergeſtalt
große Reſten, und wann dann der Rentmei⸗
ſier anf die Gelder dringt, wird er mit unnuͤ⸗
zen Briefen bezahlt; die Hofmeifler und andere
verwuͤſten J. F. G. Güter; wann derfients .
meift mit ihnen redet, wird er vers
lacht und verlaͤumdet. Das Getrayde in
den Aemtern wird jährlich vor die Diener und
Hofhaltung verbraucht, wann gleich shenre
Jahre einfallen, haben J. F. G. in den Aem⸗
gern nichts zu verkaufen, wie J. F. G. dann
hener geſchehen. Auf allen Aemtern wird faſt
gebauet, ober hält etliche Hof⸗ Laͤger daſelbſt,
warn dany die Schoͤßer zur Rechnung kom⸗
men, ſo bringen ſie Bettel⸗Geld in die Rente⸗
rey. Fa es muͤßen viel Aemter aus der Reus
therey mit großen Summen Geld verlegt wer⸗
den. In Summa: 3.5. ©. haben aus etlis
deu Aemtern in dreyen Sabren fo viel in dig
Rentherey, als in Einem Jahr auf die Diener
f © 5
⸗
283 Bedenken über das Weimar.
geht. Darum muß in puncto der Einnahme
dahin gefehen werben, daß man zum wenigſten
den Portion⸗Tax, welcher fehr gering ift, jährs
lich erreiche, ſonſt muß folgen, daß man nicht
wohl haushalte,
Bei dem Punct der Ausgaben muß man
erftlich im Hof Wefen anfangen, darinnen wohl
rathfamer , daß man Koſt⸗Geld gebe, ald fpeis
fe. Es muß aber eine Reformation vorher ges
ben, und vom Öefinde, fo viel moͤglich, abges
fchafft werden, deun Koft ift ein heimlider
Dieb, wie das Spruͤchwort lautet, wann man
das Geſind alles foll behalten, fo will nicht viel
zu erfparen fern. Dabey auch zu bebenden
ſeyn, ob man wochentlich mit dem baaren Gels
de folgen koͤnne, dann wanna nicht aefchähe,
fo würden J. F. ©. den Zweck mit Schimyf
müßen fallen laffen, und das Speiſen wieder
anfähen. Diefem Punct wollten anhäugen die
vile Stuben und Gemach im Schloß, welche
nicht allein des Holzes und Geleuchtes, fondern
des Abzugs und Winckel⸗Zehrung halb ſehr
ſchaͤdlich und Feuers halb ſehr gefaͤhrlich. Wie
wir und daun beduͤncken laſſen, daß anf Dreßler
Hof⸗ und Kammer »Elend. 283
und Mahler ein großer und nundthiger Koſten
aufgewandt, ber fih.an Koſt, Kleidung, Be⸗
foldung, Feuerwerk, Geleucht und anders auf
etlich hundert Gulden erſtrecket. Es iſt / aber
damit nichts ausgericht, dann wann gleich jaͤhr⸗
lich 4000. fl. zu erſparen, als noch ungewiß,
was waͤre das zu ſolchem großen Unrath? Da⸗
rum muͤßten J. F. G. ferner den Punct der
Ausgaben einziehen, und erſtlich von ſich
ſelbſt den Anfang machen, daun es geben
die Verzeichniß, daß J. F. G. faſt in Einem
Jahr über 83000. fl. allein yon erlangten Gel⸗
dern zu fich genommen. Wann nun J. F. G.
etwas davon verliehen, wie taͤglich Anlaufens
iſt, ſo bekommen Sie gemeiniglich nichts wie⸗
dee, unterdeſſen muͤßen J. F. G. die Gelder
ſchwerlich verzinſen. Wann J. F. G. etwas
davon verſchencken, verbauen, vor Pferde ge⸗
ben, verſpielen, Goldſchmieden, Kraͤmern und
andern Ausgaben, das alles iſt uͤberaus großen
Unrath, weil man das Geld nicht in Vorrath
hat. Gleiche Gelegenheit hat es mit dem Kuͤch⸗
and Cammer⸗Schreiber, deren Ausgaben müfs
ſen, ſo viel immer moͤglich, abgeſchnitten wer⸗
284 Bedenken über das Meiner.
ben,. dann die beybe in Einem Jahr goooo. fl.
aus der Rentherey fchleifen, was il vor Geld
drinnen bleiben?
Nach Ihrer eigenen Perfon nn man ſich
umfehen nad) ben. von Haus and beftellten Dies
nern und Rittmeiftern. Denn weil diefelb SS.
F. G. nichts nüze feyn, fo iſt wohl zu bedencken:
ob um ihrentwillen 3. F. ©. ſich in ein endlich
Berberben fleden wollen? Bey Herzog Sohann
Wilhelms Zeiten hatt e8 viel ein ander Geles
genheit, weil man aud Franckreich jährlich über
20000, fl. zu gewarten, wann man felbige
wieder bekäme, Tönnten ſolche Leut wohl wieder
beſtellt werden.
Darnach nehmen J. F. G. dad Hof⸗Diener⸗
Buch vor ſich, und beſehen derſelben, auch
Kanzlar, Raͤthe und Diener Beſoldung, und
ſehe zu, wie es aufs genaueſte allenthalben zu be⸗
ſtellen, dann es wird kein ehrlichermann
begehren, feines Herrn Verderben eine
Urfache zu ſeyn. Nach dem Hof befehen J.
F. ©. die Aemter auf dem Lande, und wad das
ſelbſt mie Einem Diener zu verrichten, dazu
follen nicht 3. oder 4. gebraucht werben. Hiebey
Hofe und Kammer⸗Elend. a85
des Jaͤger⸗Amts nicht zu vergeffen, darinnen
dile Unkoſten mit Dienern, Zehrung, Fuhrlohn
und andern wohl zu erfparen, fonderlich und},
daß fie von Hans aus beflelle werden. Dann
wann ein Hirſch 100. fl. koſtet, ſo wird aus der
Luft ein Verluſt, welches die Poeten mit der
Fabel weislich und höflich bebenten und warnen
wollten. Go klagt jedermann über die vile
Wildbret uf dem Eiteröberge, welches J. F. G.
angehörig, großen Schaden zugefügt, daß zu
beforgen , es werde aus dem Herrfchaftlichen
Holz eine Wiefe werden; was dad Urmurh au
Getrayde vor Schaden leydet, und woher fie
Binfen, Steuer und anderd nehmen, ſolches iſt
leichtlich zu erachten.
Beneben demſelben muß man auch das
Bauen eine Zeitlang gar einſtellen, und wäre
wohl gut, baß J. 5. ©. hätten ordentlich über
den Weymarifchen Bau beſſer Math gehalten,
dann derfelbe ift vor eine Luft zu viel, zum ers
ſten nichts nüze, und wird 3: F. G. zeitlich ges
zeuen, wo ed nicht allbereit gefcheben. Weil
auch unmoͤglich iſt, diß Orts eine gewiße Ve⸗
ſtung zu machen, fo werden über beu fo koſtba⸗
„A
286 Bedenken uͤber das Weimar.
reu und andern dergleichen Gebaͤnden viel ſpi⸗
zige Reden gefaͤllet. Amt Weymar hat ohne
das fo viel Gebaͤude, daß man von demſelben
nichts in die Mentheren belommt, ohngeachtet
es jährlich über 17000. Gulden renten follte.
Können fih auch J. 5. ©. wohl übriger
Goftereyen, Hin⸗ und Wieder» Reifen, Bey⸗
läger und dergleichen mäßigen , dann burch fols
che Sachen ift der Vorrath erfihöpft, daß man
nun Wein und anders mit großen Unſtatten
kaufen muß. Es kaufen J. F. ©. ſtetigs viel
Pferde mie großem Gelde, die mehres theils
verſchenckt werden ,. Dagegen kommen bie gute
Georgen Thäler weg, daß deren wenig in Statt
ober am Hofe, bie J. F. ©. wieder zu erlangen,
gefunden werden; wir achten auch bafür, daß
ein jedes junged Pferd 3. F. ©. 300, Thaler
toft, und verderben bie meifle, ehe fie zugerit⸗
ten und gebraucht werben. Daß ift alled großer
Schade und Unrath, fonberlich jeziger Zeit, da
biefe Unsgaben alle von erlangtem Geld genoms
men, dann fonft J. F. ©. hiemit nicht zu bes
mähen. Soll man aber alle Ausgaben an Ber
foldung, Koſtgeld, Bauen, Gnabens Geld,
Hof: und Kanimer- Elend. 237
Kaufen und dergleichen von erborgtem Gelbe
halten, was will hieraus anderſt folgen „dann
ein gewiſſer verberblicher Untergang. Dann
wärden J. F. ©. alle Ihre Mißguͤnſtige uud
MWidermärtige erfreuen, fhimpfliche Nachreden
bey Ihren Freunden und männiglich auf ſich
Inden , fich ſelbſten und derſelben hochloͤbliche
Gemahl and Fürfiliche Kinder (deren wir von
Sotted guädigem Seegen noch viel erwarten)
in die hoͤchſte Noth und Mangel ſezen. Ja es
wuͤrden villeicht J. F. G. dem jungen
Seren muͤßen in die gaͤnde ſehen. Darum
wird J. F. G. nochmals treulich erinnert und
um Gottes willen gebeten, dieſe Bedencken in
gute Acht zu nehmen, denn es iſt hohe hohe
hohe Zeit.
Werden J. F. G. wenden, und ht in
der gaushaltung gar umkehren, wie
dann vonnöthen und hohe Zeit, fo wird
Gott feegnen , die Landſchafft willig
feyn, und der Bruder fich bey %. S. ®.
brüderlich 3u gedulten Urfach haben; es
werden auch die Diener dabey wacker,
munter und luſtig werden, 3, 5.8.1103.
233 Bed. uͤb. d. Weim. Hof⸗u. K. El.
zu fördern, und es darinn an. allem
Fleiß und Vermögen nicht mangeln laſ⸗
fen. Wenn man aber alfo fortfährt, fo
wird Bott ftraffen, 3.5. G. Mangel und
Noth leiden , die Landfchafft unwillig
‚werden, und der Bruder auf eine Theis
lung dringen, und J. F. G. das wenigfte
davon bekommen, bie Diener aber, wel⸗
chen ihr Amt ein Ernſt iſt, und ſich mit
dieſer Sorge zu Bette legen und wieder
- auffteben die werden ſich entweder ih;
res Lebens oder Dienfts verzeihen müß
fen, dann Sanct Paulus jagt: Wer ein
Amt hat, der ſorge; Sorge aber frißt
Marck und Bein, Leib und Leben, wie
jedermann weiß , der es verfücht hat.
Signatum den 22. May Anno 1590.
Dieterich Vizthum von Eckſtedt.
Schweibold von Brandtſtein.
M. Gerſtenberger. D.
x On
X.
Der
Politische Buß» Prediger.
Rede |
Balthafar Venators,
Hofraths zu Bweibrüden,
an |
Seine Kollegen, die Räthe daſelbſt,
gehalten ums Jahr 1646.
”.
Rn. ”
Aus dem Lateiniſchen Original in Joannis Mifcellis Hi-
ſtoriae Palatinae p. 187. ins Deutſche uͤberſezt.
Patr. Archiv, III. Chi. X
.
N. Verfaſſer diefer herben Bußs Predigt,
Balthaſar Denator, war im Sahre 1594
zu Weingarten in ber Pfalz gebohren, er hatte
das Schickſal vieler großen und guten Men⸗
(den, in der Schule. der Truͤbſalen und Uns
Ichtung gebildet worden zu ſeyn, da feine Juͤng⸗
lings⸗ und männliche Sahre juft in die Zeiten
helm, als vom Jahre 1622 an die Pfalz ber
Schauplaz eines erſchrecklichen Innern Krieges
und ber traurigften Verwuͤſtungen warb, wels -
de ihn perfünlic fo fehr mit betrafen, daß
man bie Befchreibung feined audgeflandenen
Elendes noch jezo nicht ohne Rührung leſen Fan.
Nachdem er unter vieler North, Sorgen und
Kummer aus einer Stadt und Land ins andere
getrieben worden, befam er im Sahre 1631
vom Pfalzgrafen Sohann II zu Zweibruͤcken
den Ruf, Hofmeifier feines Älteften Prinzen
Friderichs zu werden , und felbigen auf Meis
ſen zu begleiten. Nachdem er feinen Prinzen
durch die Schweiz, Frankreich und die Nieder»
| Ta
292 Der Politiſche
lande gefuͤhret, kamen ſie Au. 1633 wieder
nach Zweibruͤcken zuruͤck. Venator wurde nun
in ſeinen guten Einſichten und Eigenſchaften
dem Landesherrn noch bekannter, und auf die
Zuſage, ſtets in Zweibruͤckiſchen Dienſten ver⸗
bleiben zu wollen, ward er An. 1639 zum
Lanbſchreiber zu Meifenheim beftellt, im Sahre
2646 aber als wirklicher Hoſrath nad Zwei⸗
bruͤcken berufen.
Um dieſe Zeit war es dann, wo er feinen
Patrioten⸗Mund aufthat, und in der Antrittös
Mede feines Amtes (dann diefed fcheint der
ganze Aufſaz zu feyn) die in Trägheit, Fuͤhl⸗
loſigkeit, Gleichguͤltigkeit, Menfchen » Furcht
und Gefälligkeit hinträumende Räthe, feine
Kollegen, zu trenerer und ernfllicherer Erfuͤl⸗
Yung ihrer Pflichten zu erwecken ſuchte. Daß
ein Mann, der fo denkt und fpricht, „nach eben
diefen Grundſaͤzen gehandelt habe, laͤßt ſich
eben fo gerne glauben, als für bekaunt anneh⸗
men, daß er durch feine reine Treue und Freis
mütbigkeit ben Haß, Neid und Verfolgung
aller Augendiener, Schmeichler und Achſeltraͤ⸗
ger nur um fo mehrers gegen fich gereizet haben
Buß: Prediger. 293
werde, Der Erfolg bewährte ſolches audy in
der That, ber befchwerliche Hofprediger wurde
An. 1652, mit Beibehaltung feiner Rath⸗—
|
Sielle, von Haus aus nach Meiſenheim zurüds
fpedirt, wo er ald Ober» Ammann Gutes thun
konnte, ohne baß ſich das Auge feiner Kollegen
| an ihm aͤrgerte.
So lange ſein Herr, Herzog Friderich, leb⸗
te, ward er noch zuweilen nach Zweibruͤcken
berufen, auch in Verfertigung von Gutachten,
Deduktionen und andern Staats⸗Aufſaͤzen ges
braucht, ald aber diefer mit Tod abgieng, warb
der alte Diener mit in dad auszumuſternde In⸗
ventarium gefezt. Che er noch die Eutfcheis
dung feined Schickſales wußte, fihrieb er An.
1661 an einen Freund: Principi integrum
| et, me nolle fuum, aut velle aliter fuum
eſſe: forfan prius mihi non nimis noxium
erit; pofterius plane adverfum. Confilii
Bipontini focietate libenter abflineo , nec
cauſas dico, nifi quod etiam alibi primus,
quam illic effe malo tertius; quamquam
nomen hoc cum re exercui, antequam hi,
qui nunc fünt ‚ elle coepiffent, quod funt.
"RZ: 5
294 Der politifche
Sed haec ad ambitionem, nihil ad meam
temperantiam. Honorem modicum non
detrefto, notabiliorem.non appeta. Faci-
lius de mediocribus, quam de magnis ne-
gatlis ratio redditur.
Es war aber für diefe feine Sorge, mies
ber nach Zweibruͤcken berufen zu werben, von
den Matadors der nenen Megierung geforgt.
Der Landes Nachfolger, Herzog Friderich Luds
wig, begegnete dem alten Manne, wenn er
nad Zweibräden Fam, guädig, ja mit einer
anſcheinenden Vertraulichkeit, wie es die Fürs
ſten gemeiniglich. gegen diejenige, denen fie am
menigflen Gutes zu thun im Sinne haben, zu
halten , und fie mit ſchoͤnen Worten, freunds
ligen Geſichtern, auch wohl zuweilen einem
gnaͤdigſten Spaße abzufiuben pflegen. Venator
ward nicht nur nicht mehr gebraucht, und zu
. Math gezogen, fondern konnte in feinen alten
Tagen nicht einmal feine Befoldung bezahlt bes
kommen. Cr fühlte das erleidende Unredit
und Undank lebhaft, und führte deßwegen bei
feinem neuen Herrn und feinen Freunden bittere
Klagen, Un einen dieſer leztern ſchrieb er
“
Buß- Prediger. 295
den „ten Sept. 1661: Scripfi ante dies pau-
culos ad Serenifimum Principem de fala-
ri mei reliquiis, fimulque D. Paftorio mifi
epiftolam ad amicum, de laboribus & pe-
riculis meis, quibus annis fuperioribus fa-
ne quam ærumnoſis defundtus fum, non
alio confilio, quam ut oftendam, quam
iniquum foret, fi mercedula mea excide-
rem. Sed exprimi non potuerunt omnia.
Perparum fuit, quod mihi deftinatum fuit
in premium : quod in onus, fane pluri- .
mum & gravifimum. Ut cætera taceam,
pro Confiliarii munere munus nullum. At
id mihi haud quaquam otiofum. Nam ab |
initio quidem deliberationibus frequens
vacavi, & iistam mentem, quam manum
impendi. Evocatus deinde Bipontum ,
trimeftrem mei prafentiam fingulis annis
perfeveravi. Domo etiam fubinde de con- _
troverfiis variis fententiam perſcripſi. — —
Cetera omitto. Hæc autem eo fufius re-
cenfui , ut faltem conftaret, mihi nomen
illud Confiliarii non pro phaleris, fed fa-
tis negotiofum ( nuda Principis gratia &
0 T4
296 Der politiſche
familiaritate excepta) fine omni emolu-
mento fuifle. Si nihil aliud obtineo, fal-
tem Princeps Sereniflimus intelligat, quæ
fides mea in arando, qua fterilitas in me-
tendo, quotquat ludos fortuna agat, dum
ſæpe inertes aut femioccupatos praemiis
beat , labariofos & ‚boni publici caufa
omnia fufcipientes inter ergaftulorum mi-
ferias deltituit. Libere & jufte queror,
ſed neminem accufo, prxter invidiam, au-
larum comitem, quæ mihi, ut faepe n0-
tavi , etiam fimplicem & indotatam gra-
tiam invidit.
06.2 und wie viel dieſe Klagen geholfen
haben ? davon findet ſich Feine Spur ; wenn
ed aber vor hundert SSahren ſchon war, wie
beut zu Tage, fo wird ein: Ponatur ad
"Ada, die Refolution darauf geweſen feyn ;
der Welt Lohn war zu allen Zeiten einerlei;
dem flegenzigjährigen Greis blieb aber nicht:
viele Zeit mehr übrig, neue Klaglieder zu fins
gen, ben „zien Febr. 1664 gieng er zu Mein
ſenheim in feine Ruhe und in ein beffereö Les
ben über,
Buß: Prediger. - 297
Man bat noch von ihm eine anonyme
Schrift, unter dem Titel: Traum» und
Nacht» Beficht, in 4to. worinn unter ents
lehnten Namen die damalige Herren auf ber
Regierung in Zweibrüden nach bem Leben ges
ſchildert feyn follen. Einem Manne, der viel
anf einmal ſieht, das er befler zu feyn wuͤnſcht,
und es doch nicht beffer machen Fan, wieder⸗
führe: es leicht, folche wachende Träume zu
haben, und auf dem Gebiete der Satyre find
die Phnfioguomen ohnehin zu Haus. Wenas
tor8 Freunde , Opiz und ber unter dem Nas
men Philanders von Sittenwald verſteckte Mo⸗
ſcheroſch waren von gleichem Schlag, anuch ſſe
predigten den Großen ber Welt die Wahrheit
in Fabeln und Geſichtern; heut zu Tage bes
barf es folcher Ceremonien und Neben » IIms
flände niche mehr, zu Viſionen feine Zuflucht
zu nehmen, man barf die Wahrheit laut und
moerbluͤmt fagen „ die Lacher find auf ihrer
Seite, und bie ſich getroffen finden koͤnnten,
find galans oder verfloct genug; ihr von felbft
and bein Wege zu gehen,
x5.
298 Der politiſche
*
Hochgeehrteſte Herren.
Beſorgen muß ich zwar allerdings Sie
werden denken, daß ich mich um Dinge be⸗
kuͤmmere, welche außer dem Horizont meines
Amtes liegen , und baß ich, ald ber jüngfle,
ganz Ordnungswidrig mic) unterſtehe, ven dis
tern Herren Raͤthen vorzugreifen, wenn ich
Sie jezt auch nur auffordere, in unferm Jam⸗
mer guten Mash zu geben, — denn ich felbft
will ihn nicht geben — zumalen ich auch von
Suchen zu reden habe, wobei ich bie Unge⸗
wißheit des Nuzens, aber ‚die Gewißheit des
Haſſes und Neides voraus ſehe. Jedoch, da
es ein großes, noͤthiges, wichtiges, und mit
dem Einſturze unſers Staates verbundenes Ge⸗
ſchaͤft iſt, welches auf uns liegt, da es dabei
auf das Wohl unſers Fuͤrſten und Vater⸗
landes, oder — Gott ſei dafuͤr! — leider!
Untergang ankoͤmmt, und Sie, meine Her⸗
ven, wenn dieſer Staat in: Schaden geräth,
entweder von ihrem Amt Nechenfchaft geben,
ober vor aller Welt und Nachwels bie Schande
P}
L |
Buß: Prediger. 299
tragen muͤßen, daß fie Schuld daran freien,
ba die Nachkommen unfere Namen in ben dfs
fentlichen Akten diefer Zeit nur mit Wergers
niß lefen, und dabei unfere Knochen noch vers
fluchen werben, da jedermann ald fichere Wahr»
heit annehmen wird, daß mir entweder tums
me Schafs⸗Koͤpfe, oder faule Efel, oder böfe
Buben, oder furchtfame Hafen, oder Schmeich⸗
ler und Speichelleder , ober überhanpt bie
Rathgeber verberbliher Handlungen gewefen
fenn : fo babe ich meines Theils für beffer ges
halten, meinen Mund aufzuthun, mid), dem
Hop und Neid blos zu flellen, Gnade und
Gunſt zu verachten, ungegründeten Zabel zu
leiden, als durch ein laͤngeres Stillfchweigen
die böfen Sitten und Gebräuche zu billigen.
Denn Sie ſehen, wenigſtens hören Sie es
täglich , und zwar, glaube ih, nicht ohne
Schmerz und Seufzen , wie ſowohl im geifts
als weltlichen Stande alle gute Ordnung im⸗
mer mehr umgekehret wird, wie fehr dad Heis
lige entheiliget wird, wie wenig die Raͤthe
Rath zu fchaffen fih befümmern,, welcher
Wirrwarr in den Anfhlägen und Oefinnuns
3
300 Der politiiche
gen herrichet, wie unzufammenhängend bie Bes
rathſchlagungen find , tie voll Widerfpräche
die Befehle, wie fehänblich die Gerechtigkeit
befleckt iſt, wie giftig die Heilmittel gegen die
Krankheiten find, daran mir niederligen, wie
verwirrt und unausgemacht die Prozeffe vor
ben Gerichten ſchweben, wie groß die Schuls
benlaft ift, welche Gefahren deßwegen droben,
wie viele Hofbediente ba find, welche Koſten,
welcher ganz fchranfenlofer Aufwand ſich dabei
findet, und wie endlich gegen alle diefe Uebel
gar Feine Hilfsmittel vorhanden find. |
- Wenn unfre alte Fürften die Regierung
antraten, fo hielten fie die Bekanntmachung
ber Verordnungen, die Gottſeligkeit und gute
Sitten betreffend , die Sorge für Polizei,
Kirchen und Schulen, und daß die geiftlichen
und weltlichen Bedienten ihre Gebühr befäs
men, für ihre erſte Pflicht. Was thaten wir
beim Unfange diefer Regierung? — Bon dem
allen Nichts! So weit haben wir uns von den
guten Gebräuchen unferer Alten entfernet, daß
unſer böfes Beiſpiel audy den übrigen. ein
Scandal iſt. Für die guädigen. Rettungen
Buß⸗Prediger. 301
Gottes in unſern vorigen Noͤthen ſind wir ſo
undankbar, daß wir ſie aufs neue verdient
haben. Bei der gemeinen Armuth ſind wir
Schwelger, und, als ob wir Gott ein Soͤhn⸗
opfer fuͤr die Rettung braͤchten, werden wir
taͤglich unbaͤndiger.
Den Pfarrern entziehen wir nicht nur die
ſchuldige Liebe, ſondern, wenn ſie uns die
Wahrheit ſagen, ſo haſſen wir ſie ſogar. We⸗
nige, welche aus Furcht oder Gunſt unſere
Geſchwuͤre nicht beruͤhren moͤgen, und mit dem
Knaben Abſolon fein ſaͤuberlich umgehen, fin⸗
den wir noch ein wenig ertraͤglich, insgeſamt
aber halten wir ſie fuͤr Unrath, Bettler und
leere Schwaͤzer. Denkt man denn gar nicht
daran, welches wichtige und in der That goͤtt⸗
liche Geſchenk es iſt, daß wir dieſe Gottes⸗
Geſandten hören duͤrfen? Erinnern wir uns.
nicht, daß Gott von und weiche, fo. oft die vom
und zu gehen gebrungen,, oder zurücgerufen -
werden , welche und den Willen Gottes erklaͤ⸗
ven? Wir wiſſen endlich wohl, wie wenige
Pfarrer wir nod) haben, und daß wir bald gar
Feine mehr haben werben; aber wir merken ed .
02 Der politifche
nicht, baß ihr Abgang auch bie Hofnung, ans
bere wieber zu befommen, vernichte.
Denn, wo find die Schulen, aus welchen
diefe nothwendige Werkzeuge Gottes kuͤnftig
koͤnnen bergenommen werden ?_ wo find bie
geiftlichen und Kloflers Güter, bie wir ehedem
zu andern Behufe fo fehr gemißbrauht has
ben, daß wir in Gefahr ſtehen, fie Eüuftig
gar nicht mehr nad) ihrem Zweck recht gebraus
hen zu Eönnen ? und doch noch immer fort _
laſſen wir die Knechte Gottes mit ihren Frauen
und Kindern Hunger leiden, amd fih mit
Lumpen decken. Mit den für fie geflifteten
Gefällen nähren wir einen Haufen müßiger
Leute, Pferde und Hunde; die im Lande für
fie wachfende Früchte nehmen wir ihnen vor
dem Munde weg, was fie aus Holland und
‚ fonften ber zu ihrer Erhaltung befommen, mißs
gönnen wir ihnen. Wir befhweren und, daß
ihnen von Ausländern Befoldungen gegeben
werben ,„ und ſchaͤmen und nicht , ihnen Feine
zu geben. Wir nennen es Mißbraud ber
Wohlthaten, wenn die Armen heimlic die ih⸗
ven angebotene Wohlfhaten annehmen, und.
Bu Prediger. 303
glankın nicht, daß biefer Mißbrauch auf uns |
fere Rechnung gefchrieben werden muß, ba
wir fie zwingen, fie auswaͤrts zu fuchen und
anzunehme. Dem gäbe man ihnen, was
man ihnen ſchuldig ift, fo hätten fie nicht noͤ⸗
thig, anderdwo zu ſuchen, was man ihnen nicht
ſchuldig ift, und umſonſt giebt. Es verdrieße
zınd, baßdiefen Männern etwas gegeben wird,
weil wir das, waß fie und geben, gering ſchaͤ⸗
zen. In Wahrheit, nur das Aeußere ber
Frömmigkeit liegt und an, and ein menig nur
find wir mit der Religion uͤbertuͤncht, ja oft,
leider! nicht einmal das, Dieß iſt der wahre
Grund jener mißgänftigen Klagen. Die Kir⸗
chen werden Steinhaufen werben , niemand
mag eine einflürzende Kapelle herſtellen, nie
Ziegel oder Walken einziehen. Ja, wir mas
hen und Fein Gewiſſen, manches davon weg⸗
zunehmen. Weil wir daun Gott weder un⸗
ſere Herzen, noch Kirchen erhalten; was Wun⸗
der, wenn er — ach! daß es nicht geſchehe! —
“mit feiner Gnade von und weichet, da wir ja
doch ihm die Herberge verfagen ? Denn alle
Ausgaben halten wir für wohl angelegt, nus
'
-
304. Der politiiche
die nicht, welche wir Gott fehulbig find. Deßs
wegen werden auch biefe Koſten, gleich ben
übrigen faſt allen, dem Wolfe aufgebürbet,
und wir fragen wenig darnach, wie fehr jene
Kriegs⸗ und Küchen Auflagen bie armen Leute
erfchöpfen.
Einige wenige Sauren» Gemeinden . —
auch darauf muß ich kommen — naͤhren un⸗
fern zahlreichen and prächtigen Hoſſtaat, ins
dem fie ſelbſt Bloͤße, Mangel, oft bittern
Hunger leiden müßen, damit Diejenigen ſich
Eoftbar Eleiven und mäften koͤnnen, welche herr⸗
lich leben und Pracht treiben von dem, was
fie antern ausgezogen haben. Die Noshwens
bigfeit zu befriedigen iſt ihnen nicht genug, ihre
Waͤnſte und Blafen müßen von ber Meberfüls
Yung berſten, und die Thraͤnen, welde Tro⸗
pfenweis dem Volke auögepreffet werben, vers
ſchlingen die Praffer Stromweiſe. Je mehr
Gaͤſte zum Schmauſe kommen, beflo mehr er»
gözen wir und an unferm Verberben. Wil
einer weggehen , fo verfchließt man ihm bie
Thuͤre, damit ja fein bald Daranf gehe, was uns
faft Laft if, andern aber Ihränen verurſachet.
Bei
Buß Prediger. gos
Bei ſolchen Wohlluͤſten und betanbendem Ler⸗
men werben bie verzagten Bitten der Suppli⸗
kanten weder gehöret, noch geachtet. Weber die
Hirte der Soldaten Hagen wir, aber wir fahs
ven darum doch immer auf unfere Weiſe fort
Da jene immer mehr fordern, fo enthalten wie
und kaum, auch anfere Forderungen su vers
mehren. Noch ehender laſſen ſich jene erbitten,
etwas uachzulaſſen, als wir. Staͤdte and Land
ſind darum voll Klagen und Geufzer.
So gehts am Hofer — Wie dann bei und
Rathen ? Selten find wir einig, immer uns
einig, mit Reib und Seele uneinig. Denn wie
fizen nicht zufammenz in allen Winkeln ſteht
man, halt da Rath, beſchließt und macht Ver⸗
ordnungen. Ploͤzlich fälle einem etwas ein,
ploͤzlich iſt eine Verordnung da. Wetrachteb
man die Gruͤnde, ſo ſind es meiſt Irrthuͤmer.
Aber beſſern — will niemand, Jeder ſtreitet
für feine Meinung, und will der Kluͤgſte ſeyn⸗
Manchem behaget das ı Si libet, licet, das
iſt: Sch mag, Ich darf, Kein Eifer iſt
ba, das zu befchleunigen, befien Aufſchub uns
endlich ſchadet. Mancheu Kleinen Schaden
Patr. Archiv, III. Theil. U
— — — — — — —
306 Der politifche
Eönnten wir Teiche heilen, ben unfer Zaudern
groß macht. Wo wir langfam feyn follten,
da find wir's nicht. Schnell erlaffene Befehle
heben wir manchmal eben fo ſchnell wieder auf,
‚ohne und beffen zu ſchaͤmen, was und gereuet.
Dazu koͤmmt, daß unfer Kollegium aus zu
wenigen Männern beſtehet. Den Arbeitern
fehlen Hände, den Prozeßen ber erfahrne Sachs
walter, Stärke, Alter und Gefundheit, allen
“ aber der Kohn, obne welchen body weber die
alten Diener erhalten, noch nene Angenommen
werben koͤnnen. Alle verrichten ihr Amt un⸗
gern, verbrießlich und obenhin, weil fie fehen,
daß Faullenzer die Maſtung, fie aber weder
- Mehl nody Kleien bekommen, nicht anderſt, ala
ob die, fo nicht zum Hofe gehören, ed für eine
Gnabe halten müßten, wenn fie nur, auch ohne
Lohn, dienen duͤrfen.
Und die Schwazhaftigkeit — welcher Feh⸗
ler? Nicht nur — durch wer weiß wen? —
kommen wichtige und unwichtige Sachen aus;
fondern fo gar ſelbſt durch deu werben fie oft
uͤͤber Tafel und in Gefellfchaften bekannt, wel⸗
chem am meiften daran liegt, daß diefer Feh⸗
|
Buß: Probier - 307
fer in feinen Schranken gehalten werde. Nichts
if doch bei Gericht und Raths⸗WVerſammlun⸗
gen noͤthiger, ald Vertraulichkeit, und daß
alles geheim bleibt. Wenn der Fuͤrſt nicht das
für vorzüglich forgt, und bie Fehler verbeffert,
fo fan er weder feine Würde, noch feine Erb⸗
guͤter behalten. |
Feinde beunvuhigen und, Gläubiger ta
ben und in die Enge, Vetter drängen, Ver⸗
wandte verrathen, Nachbarn plünbern, Zaͤn⸗
ker aͤngſtigen und, und ba wir ziemlich trozig
fie behandeln, Feinem gute Worte geben, Fein
nes Freundſchaft ſuchen, noch erhalten, fo bea
wafnen wir fie alle mit neuem Haß zu unſerm
Verderben. Wenn bei ſolchen Schwierigkei⸗
ten noch eine Mertang moͤglich iſt, wo iſt fie
za ſachen, als bei vielen, klugen und getreuen
Raͤthen 2 -biefe find bier Haupt and Seele.
Hat ein Fürft ſolche Wehre nicht, fo hat en
nichtz, was er zu haben meint. Hat er ſolche
Raͤthe, verachtet ſie aber, and folgt feinem
Kopfe, ſo muß es ihm gehen wie dem, der die
Vruͤcke verachtet, ſeichte Derter ſucht, und
dariunen erſaͤuft. | |
| Da
308 . . Der polltifche
Alles das nub noch mehr — dann wer |
kan alles zählen? — wiffen, verſtehen, ſehen
wir, aber unebel fchweigen wir bazu. Unter⸗
heffen meint der, welcher in biefen Irrſalen fich
befindet, bei’ dem Mangel eruflliher Warnuns
gen, daß er anf. dem rechten und guten Wege
fei, und wandelt baranf fort zu feinem offens
baren Untergange:
Sch fage nicht, dag Sie, meine Herren,
ihre Pflichten, Sorge und Liebe für das Was
terland außer Augen fegen, fondern nur, daß
Sie nicht frei genug reden. Solche Beſcheiden⸗
heit iſt Löblich bei Dingen, um welche Sie fi
- nicht zu befümmern haben, und bie dad gemeine
Beßte nicht betreffen. Wenn Gie aber gewahr
werben, daß die Fundamente ber Frömmigkeit,
Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und ded gemeinen
Nuzens erfchästert werben, bad gemeine Beßte
in Gefahr koͤmmt, heiſame Geſeze abgefchaft,
die beßten Gewohnheiten aufgehoben, die Wors
theile bes Fuͤrſten gehinbert , feinen Angelegen⸗
heiten Verderben und Schande bereitet, das
Vaterland mit den Bürgern zu Grunde gerichs
tet, Gotted Born nub Strafe gereizet werden;
\
/
Buß: Prediger. 309
dann iſt's ihre Pflicht, nicht nur die bevorfles
ſteuden Webel vorher zu fehen, fondern auch mit
gemeinfchaftlichem Rathe mündlich und fchrifts
{ih dem Irrenden feine Irrthuͤmer anzuzeigey,
befern Rath zu geben, und bie drohende Peft
von den Haͤuptern bed Herrn und bed Vaters
lardes ans allen Kräften abzuhalten.
Wenn aber, während ihres Zauderns,
Schweigens und Nachfehens, Kirche und Staat
unwiederbringlichen Schaden leiden, wenn dad
Volk die Laflen abwirft, und ſich verläuft,
Verodung folget, die alten Beſizungen ensriffen,
den Släubigern die Pfänder überlaffen werben,
wenn die Gelegenheiten, unfere Rechte geltend
zu machen, unbenüzt voräber gehen, wenn aufs _
Schwelgen ber Mangel eintritt, wenn Gott
darum, Daß wir ihn und bie Tugend verachten
ten, und wieber verächtlich macht, und und das
unftige durch gerechte Strafen anfreibet, alle
Gelbfrüchte verderbet, und flatt ber Früchte
jenes ſchwarze Pferd, uud flast bed Getraͤnkes
ne Schale der Offenbarung Johannis fendet:
ſo wird nicht nur der Pöbel, fondern auch der
hanze Sof, ja ſelbſt der, deſſen Sie jezt fo Äbel
— ug
gro Der politifhe Buß Prediger.
ſchonen, die Urſache folhen Ungläda in Ihrem
Schweigen ſuchen, und Gie feiner Ungnade
werth achten, Der Herr muß demnach, and
wider feinen Willen, von ihnen erhalten wers
den. Erinnern Sie ſich, daß Sie Väter find,
and handeln Sie auch wie Väter. Rufen Sie
dem Sohne, gleich den Eltern, auf der fchlüpfris
gen Jagendbahne zus
Fleuch die gähe Felſen, Gruben, Schlünde,
Teuer,
wiſe Thier und Ottern, Hund und Unge
| heuer,
Das Regenten a Leben iſt dad Gefahrvolleſte.
Jede Gelegenheit das Wuterganges locket ihm
Boͤſer Rath, böfe Rathgeber, eigene Under
dachtſamkeit, Begierben, ber Luxus, bie Schmeis
cheleien: und tauſend andere Gefahren drohen
ihm, Verzeihen Sie, wenn ich frei rede, and,
wenn ich vieles verſchweige.
Verlohren iſt das Vaterland, wenn Sie
nicht als Vaͤter ihre Pflicht beobachten,
XI.
Des berůhmten und gottfeligen Theologen
D. Phil. Jakob Speners
Gewifens- Prüfung
en
Regenten und Obrigkeiten:.
6?
und wie fern die Klagen über das verberbte
Chriſtenthum auch fie betreffen?
vom Jahre 1685
u
'.
|
Nm u koͤrnichte, tiefgebachte Aufſaz iſt ala
ein Anhang bei einer Kleinen’, fehr feltenen
Schrift des feligen Mannes befindlich, welche.
anter dem Titel: Der Bingen über dag
verdorbene Chriſtenthum Mißbrauch
und rechter Bebraudy, An. 1685 zu Franke
fürt am Mayn herausgelommen if.
Alſo gerad vor hundert Jahren!
Dieſer Spiegel iſt fo rein und Eryftallen⸗ |
lar, daß er noch jezo Die treuſten Dienſte dem,
P fi darinn beſehen mag, leiſten wird.
Wie viel iſt aber indeſſen zu wünfchen hin⸗
zugelommen? und wie viel wird erſt noch uns
ſern Nachkommen übrig bleiben?
4
Erſtuch, was hohe Standes. Perfonen
betriſt, deren hat jeber über folgende Gtuͤcke ſein
Gexiſſen zu unterſuchen
Ob er exkenpeʒ daß er, obwohl In ber Welt
| hech, ws vor Goit nichts mehr fei, ala der
43
314 D. Spen. Gewiffens⸗Pruͤfung
geringfte feiner Unterthanen und aͤrmſte Bett
ler, ja ald ein armer Erdwurm vor der hohen
Majeftät Gottes? |
Ob er fein Amt und Gewalt erkenne, allein
von Gott zu haben, bem er dafür Recheuſchaft
geben müße, ober ob er in etwas glaube, eine
eigene Macht’ zu haben, bie er nach eigenem
Willen führen und brauchen dörfe?
Ob er ohne Unterlaß, als feiner Untuͤch⸗
tigkeit wiflend, Sort um feine Gnade und Weiss
heit anrufe.? (wie. ein [hön Formalar im B.
der Weisheit Rap. g fleht) und nichts in feinen
Regierungda Geſchaͤften anfange, ohne vorher
Gotted Gnade innbruͤnſtig erbeten zu habın ?
Sa, ob er auch bete für die Unterthanen ?
Odk er all fein Vertrauen in feiner Regies
zung auf Gott allein von ganzem Herzen fee?
oder ob ex ſich auf feine Macht, große Lande,
Kriegsvolk, Feſtungen, Bundesgenoſſen vers
laſſe, und alſo Abgoͤtterei treibe, damit aber
Gottes Gericht auf das Land ziehe?
Ob er alle feine Renierung, Leben und Amt
führe, als vor Gottes Angeſicht, mit Erinne⸗
zung ber. kuͤnftigen Rechnung, und alles deſ⸗
der Regenten. 315
ſen, was im B. der Weisheit Rapı 6 gedros
bet wird, folglich mit gleicher Furcht und Ehrs
erbietung vor Gott, ald ex von feinen Unters
thanen erfordert „ gegen ihn in feiner Gegens
wart zu geſchehen?
Ob er glaube, daß er, mie hoch er in der
Welt ſtehe, dennoch an alle die Regeln Chri⸗
ſti, die er den Chriſten, was ihr Leben anlangt,
vorgeſchrieben hat, und von ihnen die Verlaͤug⸗
nung ihrer ſelbſt, Sanftmuth, herzliche Des
muth, Nuͤchternheit, Maͤßigkeit, Keufchheit,
Fleiß, Wahrheit, Gerechtigkeit, Geduld und
dergleichen fordert, gebunden ſeyn, nicht aus
ders, als der geringfle andere gemeine Chriſt,
oder ob er fich einbilde, daß er von ſolchen Res
geln, oder aufs wenigſte von etlichen derfelben,
Difpenfation habe, und, ob er ſich ſchon ders
felben nicht befleiße, dennoch ein gottgefalliger
Chriſt ſeyn moͤge?
Ob er mit gottſeligem und anfiräfligem
Leben nach allen Stüden ben Unterthanen vors
leuchte „ fie damit erbaue und aufmuntere ,
auch damit shätig bezeuge, baß. feine aͤußerli⸗
he Sorge für die wahre Religion, und waq
'
316 D.Spen. Sewifiens: Prüfung
er für Ordnungen in dein Geifllihen den Uns
tertbanen vortragen, auch barüber halten Läßt,
aus einem gottöfürchtigen Herzen herkomme,
nicht aber nur in einer Staats Raifon beſtehe,
(welches, fo es gemerkt wird, fie nur deſto
mehr aͤrgerte) ſo dann durch dergleichen Leben
ihm ſelbſt eine Verficherung gebe, daß er tuͤch⸗
tig fei, ein Tempel des heiligen Geiſtes zu
feyn, und ſich deſſen Weisheit in der Regierung
gu getröflen ?
Ob er mit gottſeligem Leben uͤber das Land |
Segen bringe , ober ob durch feine Bodheit
göttliche Gerichte über feine Regierung gezos
gen, und er alfo vieles Jammers Schuld wor⸗
den fei? |
Ob er bafür halte, daß die Unterthanen
um feinetwillen fein, damit er groß und ihm
wohl wäre? ober ob er erkenne, daß er um ber
Unterthauen willen ſei, Damit ihnen deſto beffer
wäre ; bahero auch, wo diefe beide einander
entgegen flünden, er Lieber feinen Unterthanen
als ſich wohl ſeyn laſſen wollte? indem er ja
für der Unterthauen Heil auch fein Leben auf⸗
zuopfern hat.
— —
der Regenten. ‘817
Ob er feine Einkünften ſuche zu erhöhen,
und dergleichen Unfchläge von den: Seinigen
gern annehme, davon feine Kammer ſich mehr
bereichert, aber an welchen dirette oder indi-
recte bie Unterthanen Nachtheil haben, und
aufs wenigfte-ihnen Vortheile entzogen werben,
die ihnen billig gebühreten ?
Ob er feine Unterthanen mit einiger weis
sen Laſt von Geld⸗Auflagen, FrohnsDienften
und dergleichen belege, bie nicht die Wohlfahrt
deö gemeinen Weſens und die Rothdurft des
Regiments erfordere?
Ob er derſelben Freiheit mehr einfchränfe,
und ihnen, offentlich oder unvermerkt, einige
Rechte, welche ihnen ſonſt gehoͤrten, entziehe,
ohne Noth oder Nuzen des gemeinen Weſens
ſelbſt, ſondern allein zu Vergroͤßerung ſeines
Staates oder Hauſes, und zu anderm lleiſch⸗
lichen Zwecke?
Ob er mit demjenigen, was er von den
Unterthanen erhebt, ſo ſparſamlich umgehe,
daß er einem gottſeligen Chriſten (deſſen Ur⸗
theil noch bei weitem ſo ſtreng nicht gehen kan,
als die Rechnung Gottes gehet) davon Rech⸗
318 D. Spen. Gewiſſens⸗Pruͤfung
nung zu thun getrante, naͤmlich nicht anders
angewendet zu haben, ala zu Erhaltung des
gemeinen Weſens, zu Nothdurft der Negies
rung, 38 feinem und der Seinigen nöthigen
Unterhalt, und einem allein zu Erhaltung ber
nothwendigen Authoritaͤt redlich, als vor Gott
erforberten Anſehen?
Ob ex hinwieber jemals eiwas besjenigen,
wad feinen Unterihanen faner geworden iſt,
und er von ihnen empfangen hat, unmüzlich
vertban, zu überflüßigem Kleider Pracht, Vans
queten, Valleten , Taͤnzen, Komoͤdien, Feuers
werfen, prächtigen Auf⸗ und Einzuͤgen, Luſt⸗
gebaͤuden, uͤberfluͤßiger Hofhaltung an Be⸗
dienten, Traktamenten, Pferden, Hunden,
und dergleichen?
Ob er ſeine Zeit fleißig anwende zu Gottes
Dienſt und Uebung der Gottſeligkeit, zu den
Regierungs⸗Geſchaͤften und Sergen, auch den⸗
jenigen Dingen, dadurch er je länger, je tüchs
tiger zu feiner Regierung werben koͤnne, ober
ob er nicht viele Zeit mit Schlafen, Tafelhalten,
Spielen, Jagen, und andern eiteln, und nicht
eben zur Geſundheit bed Leibes und ziemlicher
der Regenten. 319
Ermunterung des Gemuͤthes nöthigen Erluſti⸗
gungen unnuͤzlich zugebracht, und dafuͤr Gott
sicht Rechenſchaft geben koͤnne?
Ob er ſeine Regierung, ſo viel als einem
Menſchen moͤglich iſt, und in allen Stuͤcken,
dazu er eine Tuͤchtigkeit bat, befliſſen fei in eis
gener Perſon zu verrichten, ober ob er gern alles
auf Räche und Bediente ankommen laffe, um
die Verbrießlichkeit nicht zu haben? |
Ob er, weil er nothwendig Raͤthe und Bas
biente haben muß, allezeit am meiſten fich nach
ſolchen beſtrebe, wie fie David Palm 101
befchreibet , von denen er nicht weniger ihrer
Gottfeligfeit, daß fie Gott und den Unterthas
ven treu fepn würden, verfichert wäre, als
ihrer Geſchicklichkeit, und was die Welt au
ihnen fuchet ? oder ob er nur auf ihre Ges
burt, aͤußerliches Anfehen und dergleichen fer
be ; fonderlih, ob ihm mehr angelegen, fol
he Leute zu haben, bie in allen Stüden ſchmei⸗
cheln, ober mehr auf Vermehrung des Stans
ted und ber Einkünften fehen, ala die Ehrg
Gottes, des Landes Beßtes und die Gerechtig⸗
keit fehen werden? |
926 D.Spen. Gewiſſens⸗Pruͤfung
Ob er treuer Raͤthe guten Anſchlaͤgen und
Erinnerungen folge,ober aber feine Ehre dariun
ſuche, alles allein nach eigenem Kopf zu than?
oder ob er ach treue Raͤthe, wo fie frei die
Wahrhelt reden, mit Ungnäben anfehe, ober
wohl gar abſchaffe, and ſich uichts eingevebet |
haben wolle ?
Ob er auf folhe Rache und Bebiente fleißig
Acht gebe, und an die Redhenfchaft gedenke,
die Sort nicht nur von ihnen, fondern auch von -
ihm fordern werbe?
Ob er feine Hofhaltung alfo anrichte, baß
ſie ein Exempel der Gottſeligkeit und Tugend
bein ganzen Lande gebe? oder ob er daſelbſt ber
weltlichen Ueppigkeit, Ungenluft, Fleiſchesluſt
"and hoffärtigem Leben, oder allerhand Laſtern
ben Schwang laffe, daß, die am nächften um
ihn find, dasjenige ohne Straf begehen, was au
ben Unterthanen geflraft wird, ober um folches
Exempels willen auch.nicht geſtraft werben Fan,
daß alfo fein Hof der Brunnen werde, daraus
bie Sottlofigkeit und boͤſes Leben vermittelft des
ſcheinbaren Aergerniſſes in bas gene Land
ausbricht ?
8
der Regenten. . gar
Odb er diejenigen , wie vornehm bon Ges
ſchlecht, und wie lieb fie Ihm fonften find, fo
fich mit Laſtern vergreifen, ohne Schonen und
Anſehen der Perſon, gu deſto größerer Strafe
ziehe, als mehr Ihr Aergerniß fchader ?_ oder
ob er fie durchwiſchen, ia ſich gar von Ihnen
tegieren laſſe? bamit er alsdann ihre Suͤnde
auf fi) ladet (fieh 1. Koͤn, 20, 43.) und feine
Seele vor Gottes Gericht auſiatt des andern
ſtehen muß.
Ob er die wahre Reber, veinen Gonerdienſ |
and rechtfchaffene Gottfeligkeit bei feinen Unters
thanen eifrig und Eräftig befördere, mir fleißiger
Hanbleiftung und Aufficht auf das Predigtamt
(in demſelben die Saͤumigen und Straͤflichen
auch zu ſtrafen) durch alle chriſtliche Mittel, die
Ihm Gott gegeben, damit ex durch feine Gewalt
auch darinn desjenigen Ehre heilige, der fie
ibm verlieben bat, oder ob er Haube, daß das
Geiſtliche ihn nicht angehe?
Ob er neben. der Kirche and anf die Ihm
unterworfenen hohen ober niebern Schulen fleiſ⸗
fig Acht gebe, daß darinn mit ber Sügenb vo
umgegangen werde?
Patr. Archiv, IL The, X
323 D. Spen. Gewiſſens⸗Pruͤfung
Ob er ſowohl darüber eifere, da Gott und
defien Ehre beleidiget und angegriffen wird, ala
er thut, da ed feine Perfon betrift?
Ob er der Religion wegen jemanden verfols
get und Leids zugefüget , alfo ſich des Regi⸗
ments aber die Gewiſſen angemaſſet, und Sort
eingegriffen habe ?
Ob er inder Sorge für dad Seiftiöe and
feiner Dberaufficht auf daffelbige in feinen
Schranken bleibe, und nicht entweder dem Pres
bigtamte die ihm von Gott gegebene Gewalt
nehme oder bemme, alfo Gottes Diener zu feis
nen Dienern in Amtsſachen machen wolle, oder
ber Gemeinde das ihr eben ſowohl von Gottes
wegen gebührende Recht in dem Geifllichen ents
ziehe oder vorenthalte, und ſich alfo ber ſchaͤdli⸗
chen Caro -Papie ſchuldig mache?
Ob er die von Gott. anbefohlene Sorge für
die Kirche bazu gebrauche, davon Genuß zu
haben, oder ohne einigen Nuzen, allein zur Ebr⸗
Gottes und derſelben Beßten?
Ob er die zu dem Geiſtlichen heſtiſteren
Guͤter, Reuten und Einkünften treulich vers
walte, und für fich nicht einen Heller, ſondern
der Negenten. 333
alles an Kirchen, Schulen und Arme (dero
Sorge ſonderlich nicht zu vergeſſen) unter ſei⸗
ner genauen Obſicht zu dero Verpflegung ver⸗
wendet werben laſſe, ober ob er etwas ber.
ſelben zu feinem weltlihen Gebrauche, wohl
gar za Pracht, Ueppigkeit, Luft, anwende,
and mit folhem den Fluch auf feine übrige
Mittel, ja gar ganze Lande (welchen, eis
der ! biöher fo viele erfahren haben und noch
erfahren, ob fie es wohl’ nicht glauben ) auf
feine arme Seele aber die hoͤlliſchen Flammen
berbei ziehe?
Ob er in Entftehung deffen, daß die orbents
lichen geifllihen Einkünften und Stiftungen niche
zu allem erklecklich find, was die gemeine Er⸗
banung ber Untertbanen erfordert, von feinen
weltlichen Intraden zu ſolchem Nothwendigſten
anwende, und lieber an feinem Staate etwas
abgehen, als die Dinge verfänmen laſſe, fo zu
ber Seligkeit der Unterthanen noͤthig find? weil
er ja alle feine Einkünften, Gewalt, Kron und
Bepter von dem großen Könige Jeſu hat, und
alſo ſchaldig iſt, alles zu befien Ehren auzu⸗
wenden.
| & a
324 D. Spen. Gewiffens- Prüfung
Ob er bei dieſem Stuͤcke und allen unge
rechten Laſten, fo er den Unterthanen auferlegt,
ſich erinnere, daß ihm feine Sünden niemal güls
tig vergeben werben, er erflatte denn. Gott dem
Herrn in den Seinigen, und deuen mit Unrecht
Beſchwerten dad mit Unrecht Entzogene? weil
die Regel: Non remittitur peccatum, nifi
reftituatur ablatum , nicht nur andere,fondern
auch bie Großen der Welt angeher, and ihr
Raub fo viel erfchredlicher iſt, weil er unter
den Namen Gottes, das ifl, mit "Vorwand
der von Gott anvertrauten Bolhmaͤßigkeit go
ſchiehet.
Ob er jemanden ſeiner Benachbarten, oder
ter ber ſeyn mag, einige Lande, Orte, Güter,
echte mit Unrecht entzogen , entweber burd
ungerechte Kriegs⸗ and ſonſt offenbare Gewalt
und Verdrängung, ober durch Furcht, da ſich
die andern gu ſchwach wiſſend ſelbſt weichen muͤſ⸗
fen, oder unter dem Schein des Rechtens dur
Prozeffe, ober tie ed Namen haben mag? das
mit er ſich das göttliche Wild und obrigkeitlihe
Gewalt über dergleichen Acquiſiten, fo ehe Ent
nicht gegeben, ſelbſt geraubet.
der Negenten. 328
Ob er einigen unnoͤthigen Krieg angefangen,
oder ſich darein ohne Noth gemiſchet, und daB
Schwerdt anders gebraucht, als zu Vertheidi⸗
gung feiner von Gott aubefohlenen Unterthanen,
ſondern zu ſeiner Ehre und Glorie, zu Vermeh⸗
zung Land und Leute, und der. Einkuͤnften, zur
Rache und aus dergleichen fleifchlichen Urfachen®
wo er wiſſen muß, daß in ſolchem Falle alles
beiderſeits vergofiene Blut, alles Landverderben,
alle dadurch veranlaßte Suͤnden, aller erfolgte
Jammer anf feine Rechnung vor Gott komme,
nicht anders Als hätte er alle ſolche Dinge mit
eigener —— und liegen alſo vieler
tauſend gottloſer Leute Suͤnden wahrhaftig zu⸗
gleich auf ihm.
Ob er den Suͤnden und Laſtern bei finen
Unterthanen, ohne Anſehen ver Perfon, mit
ollem Fleiß und Ernſte, auch mit genugfamens
. Strafen, wo nichts anders helfen will, fleur,
ober das Boͤſe ungefchenet thun und überhanb
nehmen, daher das Land mit Sünden befledes,
and die göttlichen Gerichte (fo mit ernfllichen
Strafen abgewendet werben Eönnten) über al⸗
gezogen werden laſſe? F
æ 3
2:6 D. Spen Gewiſſe nus⸗Pruͤfung
Ob er in dem Straffen mehr auf ben davon
habenden Vortheil in den Geld Strafen fehe,
ober auf die. Bandhabung der Gerechtigkeit,
- WBerwehrung der Suͤnden, anderer Abſchreckung/
und der Suͤndigenden Wefferung:
Odb er fonft Recht und Gerechtigkeit, ohne
AUnſehen der Perfon und Suchen eined Nuzens,
aufs ſchleunigſte, aber mit wenigflen Unkoſten,
unter feinen Unterthanen adminiflrire, und vol
andern abminiftriven laffe, auch auf diejenigen,
welche ſolches thun follen, genau Acht gebe, daß
fie nichts wider die Gerechtigkeit thun, und durch
die Rechtöfachen und deren Schein die Unter
Chanen nicht berauden?
Ob er feinen Unterthanen einen freien Zus
gang zır fich Laffe, welche eine Sache, ſonderlich
aber Klagen haben über feine Bediente und uns
Kergefezte Befehlshaber, damit fie von bieſen
micht unterdruͤckt werben?
Ob er gutt Geſeze und Orduurhen bei PAR
nen Unterthanen nicht nur gemacht, fondern
ernſtlich, daß fie auch Im Schwang blieben, dar⸗
äber gehalten, oder aber feine von Gott habende
Authoritaͤt proſtituiret habe, da er zwar Gefrze
\ der Megenten. 327
laſſen einführen, aber keinen Fleiß zu beven Bes
wahruug angeivonder ?
Ob er, da er Rinder has, bie fonderlich eins
mal fuccediren follen, biefelbe alfo erziehen laſſe,
daß ſie lernen ben Herin fürchten, und von Sus
gend am nicht zu der Eitelkeit der Welt und ho⸗
hem Sinn, ſondern folchen Dingen angeführet
werben , welche ihnen zu ihrem Chriftenehum
und Löblichen Regiment dienlich feyn mögen?
Wo biefes nicht gefchiehet,, muß er Rechenfchaft
bafür geben, was ans folder Verſaͤumniß die
Nachkoͤmmlinge dermaleind fänbigen und 20
fd thun.
Ob er feine und feiner Vorfahren Säulen
nad) Vermögen bezahle, daß diejenigen, fo aus
gutem Glanben das Ihrige dargegeben, nicht
vor Gott über Unrecht zu fenfzen haben? denn
dieſed Seufzen druͤckt hart, und ift beforglich
die Urfache vieles deffen , daß ed bei Großen
nicht fort will, da fie fo viel Fluͤche auf ihren
Rentkammern liegen haben. |
Ob er in foldem Stande, da bie eaſt fol⸗
cher Schalden groß, lieber vieles von ſeinem
Staate ſo lang ablegte, bis andern das Ihrige
X 4
328 D. Spen. Sewiffen& Prüfung
wieder gegeben werde, ober ob er von fremden
Gütern prange, und Ip a auben das Shrige
liederlich verthue?
C(Ich muß hibel ſorgen, Pr bie meiſten
der Großen in der Welt, welchen dieſes gilt,
das allermeiſte nicht werden fuͤr noͤthig, ſon⸗
dern es für eine alberne Einfalt und abge⸗
ſchmacktes Weſen achten, daß man derglei⸗
chen Dinge, die ſogar von ihren gemeinen Ma⸗
zimen entfremdet, ihnen nur zumuthen ſoll⸗
te. Ich bitte aber um des Herrn, ja um ih⸗
zer von dem Herrn erlöfeten Seelen willen,
fie nehmen bie Geduld, und unterſuchen ſelbſt,
ob nicht alle dieſe Dinge, darüber fie ſich
zu prüfen erinnert werben , in Gottes Wort
völlig gegründet, und glauben alddann.in dem
Namen des Herrn nicht mir, ſondern ihrem
und meinem Herrn, daß fie nach ihrem ode
nicht nach demjenigen, was man fc} in- der
Melt für Freiheiten felbft genommen, ſondern
nach der fcharfen Hegel göttlicher Gebote müßen
gerichtet werben. Wohl allen, die ſich bei Zel⸗
sen folches vorfiellen))
der Regenten. 329
%s .
* * u
Zweitens : Andere Regiments⸗Perſo⸗
"nen, in Städten und fonften, fo nicht in eiges
nem Namen die Regierung führen, deren jeg⸗
licher prüfe ſich erſtlich nach allen den vorigen
Pruͤfuugs⸗Regeln, als viel derſelben ſich auch
auf ſeine Perſon ſchicken. Nebſt dem moͤchten
noch etliche folgende Stuͤcke zu ſeiner fernern
Pruͤfung dienlich feyn:
Ob er in fein Amt und Regentenflanb auf
rechtmaͤßige Ark gelommen, und.alfo von Gott
darein gefezet worben, oder ſich felbfi eingebruns
gen, und anf einige unziemliche Weiſe, durch
Gaben und ſonſten, dazu gelanget fei? welches:
fein Gewiffen auf die ganze Zeit verlegte
Ob er. in feinem Amte feine Ehre, Nuzen,
Luft und Bequemlichkeit, oder auch der Seinia
gen und feiner Familie zeitliche Wohlfahrt vors
nebmlich fuche, und denenfelben etwas ter ges
meinen Wohlfahrt nachfeze?
Ob er. alfo der gemeinen Einkünften zu der
Seinigen Bereicherung mißbrauche, und fich
au dbenfelbigen auf offenbare , Tanntlicdhe ober
geheimere Art vergreife ?
, * 5
330 D.Spen. Gewitfens Prüf. ıc.
Ob er in Amtsſachen, ſonderlich wo es bie
Gerechtigkeit, oder Beſtellung der Dienfle bes
tvift, einige Geſchenke und deren Verſpruch ans
nehme, und damit entweber beim Gerechten Uns
gecht gebe, ober ihm fein Recht, fo er umſonſt
haben und genießen foll, verkaufe, alſo auch
die, der Dienſte Wuͤrdige, ausfchließe, oder
zu ungebührlicher Vergeltung anhalte?
Ob er mit andern feinen Kollegen in freund⸗
licher Harmonie flebe, ober Factionen errege,
und ihm einen Anhang mache, alles nad) fels
nem Willen durchzutreiben ? ober auch ande
rer, benen er nicht gewogen iſt, Weinungen mit
Fleiß widerfpreche, und fie hindere, da fie der
gemeinen Wohlfahrt dienlich geweſen? |
Das Uebrige iſt alles and dem vorigen zu
wiederholen. j .
RE |
Merkwürdiges Beifpiel
eines
mit alt⸗Deutſcher Redlichkeit
freiwillig eingegangenen verbindlichen
Schulden⸗Zahlungs-Plans
Herrn
Heinrichs des Juͤngern Reußen,
Grafen und Herrn zu Plauen,
vom » Jan. 1613
”
* »
‚Aus einer Archlval⸗ Abſchrift.
N. vortrefliche Necker *) erzähle von ben
Schmerzens⸗Gefuͤhlen, die feinen fchnellen Ab⸗
fhieb begleiteten: J’aurai long-temps prefent
à Peſprit ce moment, oü m’occupant quel-
ques jours apr&s ma retraite, & clafler &
ä mettre de ’ordre dans mes differents pa-
piers,, jappergus ceux, oü javois track
mes diverfes id&es pour Pavenir — —
jene pus aller plus loin & rejettant tous
ces ecrits, comme par un mouvement in-
volontaire , je couvrois mon front de mes
mains & des larmes [enfibles coulerent de mes
yeux. Et cependant alors je ne prevoyois
pas tout: car lorfqu’apres tant de foins
donnés aux aflaires publiques , lorfqu’a-
pres de penibles vietoires remportees fur
fa propre fenfibilite, ou pour &tablir un .
plus grand ordre, ou pour fonder des regles
*) De l’adminifttation des Finances de France, 1784.
T. I. Intred. pag· 122,
334 Schulden⸗Zahlungs⸗Plan |
d adminiſtration, qu’on croyoit falutaires;
il faut re le [peflateur de V’abandon dum
partie de [es principes. — Ah! quon life un
fond de ma pen/te & que quelqu'un du moins.
‚uns plaigue un inflant! |
So gieng’3 au mir! nachdem ich an dem
Bilde des biedern wahrhaft edlen Heinrichs
mic) gelabet hatte, brach bie nugeheilte Wun⸗
de wieder auf, ich ſezte mich hin, um — mich
ſatt zu weinen; — und die Erinnerungen
eines fuͤnf und zwanzigjaͤhrigen Dienſtes mit
dem ganzen Trauer⸗Gefolge verlohruer Kraͤſ⸗
- te, vergeblider Arbeiten, mißkannter Treue,
verfpotteter Grundfäze, zerträmmerter Plane,
vereitelter Wünfche und verſchwundener Hoſ⸗
nungen an mir vorüber gehen zu laſſen. |
. Für gewiffe Schmerzen gibt's Beine Worte
mehr, nur Seufzer und Thraͤnen; obgleich
nur Seufzer eines. beruhigten Gewiſſeus, ob⸗
gleich nur Thraͤnen iammeruder uilladianr |
Liebe! | .
.
Heinrichs des Juͤng. Reußen. 335
” * ®
MN. Heinrich ber Sunger Reuß, Herr von
Planen, Herr zu Greitz, Erannichfeld, Geraw,
Shleiß vndt Lobenſtein, biermis vhrkunden
vndt bekennen, wiewohl wir allbereit vor die⸗
ſem, aus vunſerer Schoͤſſer vndt Diener Rech⸗
nungen, auch getreuer Raͤthe unbe Amptleute
muͤndlichen Bericht, vmbſtaͤndlich vernommen,
in was groſſen Vurath undt Schuldenlaften wir
BE dahin, durch fchedtliche unnöthige Käufe,
fo nicht aus trewen rath hergefloffen,
deögleichen erborgung vielfeltiger wichtiger vndt
gteoſſen Summen gelbe, welche zum Theil vn⸗
abgengklichen, zu erhaltung unferer Herrfchaffe
tn unbe andern eingefallenen nothwenbigen
Vmendungen, beſchehen mäffen, auch vber⸗
meſſige Soffhaltung onndt dergleichen
gedien, vndt das, wofern wir anderſt bermals
einſt aus ſolchen beſchwerungen, burdy Gottes
Huͤlfe, wiederumb zu gelangen gedechten, bie
eunſerſte notturfft erfordern wolte, das heil⸗
ame vndt zu ſolchem werd einzige
mittel der ſparſamkeit, as bie Haudt zu
936 Schulden⸗Zahlungs · Plan
nehmen, vnſere Hoffhaltung vf das engſte
einzuziehen, allen vbermeſſigen coſten⸗Zeh⸗
rung vndt vfwendung abzuſtellen, allen Bus
rath mit zeitigen Mathe zu begegnen, vndt eis
nig vndt allein dahin bedacht zu ſeyn, wie wir
and den einkuͤnfften deren vnns von Gott gne⸗ |
diglich beſcherten Herrſchafften, obernannte
ſchulden vndt erborgte geldere von Iharen zu
Iharen wiederumb abtragen moͤchten,
Wunde demnach zu ſolchem ende wir vnns
nicht allein gegen die Geſtrenge, Ehrnuheſte
und Hochgelarte, vnnſern Hauptmann Davidf
von Raſchaw, Doctor Heinrich Gebhardten,
tezo onferm Canzler, auch vnſerm Ammann
- Bun Lobenſtein vnnd Salburgk, Joachim
Friedrich von Kizſchern, zwar freywillig vndt
gnediglichen, doch vf vorgehabten viel
feltigen zeitlichen vndt reifen Rath,
wiſſentlich vndt wohlbedechtigklich, verpflichtet
vndt verbunden, son dannen ahn vf fünff
har, vnndt fo lange es unfere vnvermeidtli⸗
che notturfft erfordern möchte, unfere Hofhal⸗
tung alfo anzuflellen, damit wir mit ben eins
kuͤnfften der Herrſchafft Lobenflein oder Geram,
. er
EZ
Heinrichs bes Juͤng. Reußen. 337
(im fall vnns daſelbſt zu wohnen mehr belie⸗
ben möchte) zureichen, der obrigen Herrſchaff⸗
sen einkünfften aber alzumahl einig vnnd als.
lein zu ablegung ber vff vorgedachte fchuldens
poften , nothwendigen Sherlichen verzinfung,
vund wo muͤglich auch eins theils zu abtragk
der Capitalien angewendet werden moͤge, Son⸗
bern auch denſelben hienebenſt ober. ſolch vn⸗
ſer ſchuldenwergk vundt darzu deputirten drey
Herrſchafften, vnndt Einkuͤnfften auch die
Dicht vnndt Direction, uff gewiſſe maſ⸗
ſe (wie in folgender wiederhohlung geſchicht)
gnedig anvertrawet vmndt beuholen,
welche Verrichtung ſie dann auch vf vnſer ſon⸗
derbares gnediges begehren alſo vnterthaͤnig
vnndt gehorſamlich vff ſich genommen, vnndt
deroſelben durch Gottes huͤlff, alſo fuͤrgeſtan⸗
ben, daß wir mis ihrer trewe vnndt Fleiß
gnedig zufrieden fein koͤnnen, vnnd vnns une
ſerer vorigen beſchwerung vmb Sünff vndt
vierzig Tauſend Bulden erleichtert befun⸗
ben, verohalben wir folhe unfere anorbnang
anderweit fortzuſtellen vor heilfam vnndt nuͤz⸗
lich erachtet.
Patr. Archiv, UI. Theil. MD
N
338 Schulden-Zahlungs Plan
Damit aber dennoch alle unndt Jede zu
gemelten ſchuldenwergk gehörige vhrkunden,
Ada, Rechnungen vnndt dergleichen in einer
feinen richtigen undt guten orbnung bey vnndt
zufamntengehalten, ter Schöffer vnndt Dies
nere Rechnungen, Jedesmal zu rechter Zeit
vnndt ohne Verzugk, mit fleis eraminiret ,
dispungiret, vnndt juflificiver, auch fonflen
die Shenigen fachen,, fo keinen Vffſchub zur
Zufammenkunfft vnndt Berathſchlagung leiden
wollen , ober auch derofelben nicht fonderlich
bebürffen , deflo ſchleuniger befördert werden
koͤnnen, Als haben Wir vf fernern, mit ers
nenten vnndt anders vnnſern trewen Raͤthen,
gehaltenen Rath eine notturfft zu feyn befuns
ben, das zu dergleichen Expebition ( finter
mabl von vnns die obbemelte , ſonſten mit
andern geichefften genugſam beladen) eine fons
derbare Perfon, gleichſam an eines Mensmeis
ſters ſtadt verorbent werben möge, auch bes
zentwegen ben Achtbaren, wohlgelarten uns
fern Rath, Secretarien vnndt lieben ges
trewen, Magifter Johann Volkmarn, ihnen
alfobald adzungiret, vnndt Iufonderheit zu
. Ä u
Heinrichs bes Juͤng. Reußen. 339
augeregter Expedition beſtellet vndt angenoms
men. J
Wollen demnach gegen fie vnndt ihm
ſampt vnndt ſonders, vorige vnſere verpflich⸗
tung, hiermit wohlbedaͤchtig wiederhohlet,
vnndt ihnen ehiſt gedachte pflicht, vnndt Di⸗
rectlon von newen, In gnaden anbeuholen,
vnndt zu beruͤrten ende an fie, vornemblichen
aber an Seçcretarium Volkmarn, als deme
minmehro die Expedition oblieget, alle vnndt
ide onſerer dreyer vbrigen Herrſchafften,
Crannichfeld, Lobenſtein vnudt Salburgk,
Schoͤſſere, Flosbeampsen, korn⸗ vundt Forſt⸗
ſchreiber vnudt andern Diener, wie denn auch
vnſere Schöffer vnndt Sammerfihreiber albier
Dabidt Fabern vnndt Melchior Fingfchen genze
lich an fie gewieſen Haben, mit ausdrücklichen
dimds ernſten beuehlich, daß die Schoͤſſere,
alle Quartal Extracten vber ihre Einnahmen
vundt Ausgaben eingeben, unndt bie Rech⸗
nung vichtig gefchloffen , einen Monat nad)
Michaelis einſchicken, benente Dienere auch
Me dem Ihenigen was fie ingeſampt oder
auch Magiſter Volkmar abſonderlich, ihnen
N
340 Schulden⸗Zahlungs⸗Plan
vfftragen vnnd beuhelen werden, nicht anders,
ald ob wir ed feldflen Inſonderheit beuhelen,
gehorfamen vnndt nachkommen , auch obme
berfelben vorwiſſen, rath vnndt verorbnung,,
weder vnns noch den vnſrigen, vielweniger Je⸗
mandt anders, aus bemeldter dreyer Herr⸗
ſchafften, Einkommen, nicht das geringſte ab⸗
folgen laſſen ſollen.
Jedoch die Sagdten vnndt Weinwachs, Fo⸗
renbaͤche, vnnd das Salburgiſche Fiſchwaſ⸗
ſer, auch die Ochſenweyde vff den Saal
vnnd Franckenwalde ſo fern es die Trifft ohne
Abbruch der Lobenſteiniſchen Viehzucht leidet,
(welche wir vnns für vnſere Hoffhaltung fürs
behalten) ausgezogen; Sondern es ſollen
onndt wollen. mehrgedachte unfere verorbente
Mäthe vnndt Inſpectores alle vnndt Jede dies
ſer Herrſchafften nuzung, Es ſein auch geldt
oder andere Zinsſen, Lehnwaren, Landt oder
Trankſteuern, Geleithe, Bete oder Clawen⸗
ſteuer, Getreide, Viehe, waldt oder Holz⸗
unzung, Schuzgeld, Frohngeldt, Teich, Fiſch⸗
waſſer, wieſen, Hopffen Schefferey, oder an⸗
dere dergleichen nuzung, wie dieſelbe genennet
Heinrichs des Tüng. Reußen. 341
werden mag, vnndt entweder allbereit in
Vbung iſt, oder noch Fünfftig anderweit ans
geordnet werden kan, einig vnndt allein zu
bezahlung vorgedachter vnſer ſchulden, richten
vnndt anwenden, ſich auch beſten vnndt trewe⸗
ſten vermuͤgen nach, dahin bemuͤhen, damit
Iherlichen vor allen bingen bie Penſion vnndt
bernacher auch an ben Capitalien etwas erlegt -
werden möge.
Im Fall ſichs andy zuteuge, das wir aus
bewegenden Vrſachen, vnſer Hoffſtadt nad
Erannichfeld,, Lobenſtein oder Saalburgk vers
ruͤcken muſten, So fol was an Victualien,
Getreide vnndt andern aus ſolchen Uemptern
vor die Koffbaltung zukommen würde, ans
dem Amt Geraw in billihen Werth, mit
Gelde bezahle, Sonften aber , wenn wir in
nothwendigen gefchefiten dahin gelangeten ,
folhe Zehrung unter denen andern gemeis .
nen Ausgaben ber Aempter verrechnet wers
den. u.
Dieweil und fernen offtgedachte unfere vers
ordnete, and gemelbter Herrſchafft Rechnun⸗
gen abermahl ſo viel gruͤndlichen Bericht bey⸗
23
342 Schulden⸗Zahlungs⸗ Plan
bracht, daß die ganze nuzung ber Herrſchafft
Crannichſeld, zu Iherlicher verzinfung „ ber
darauf hafftenden fehulden ,„ bi aubero kaum
qugereichet „ bdeögleichen auch an ber andern
beiden Herrſchafften Srdentlichen einfommen z
nrach Abziehung unnumbgengliher Abrichtung,
auch Iherlichen Penſion vff die obrige ſchuld⸗
Poſten, ſich ein geringer Vberſchuß befindet,
ſo haben wir zu Ablegung der Capitalien,
Inſonderheit deputirt, alle vnndt Jede Floß⸗
geldere „ welche das Hauß Sachßen ⁊c. im
erafft der. mit demſelben vffgerichten Contra⸗
cten, vnns Iherlichen liefern laſſen wirdt,
ſampt den Reſt am Niederndorfiſchen Holze,
wie denn auch gleichergeſtalt alle vnndt Jede
vnſere Gegenſchulden, Adeliche vnnd andere
Leherseroͤffnung vnndt Bufälle, vndt was ſon⸗
ſten ſich, durch Gottes ſegen in vnſern Harrer
ſchafften an andern GEinkuͤnfften mehr ereige⸗
wen möchte, welche gefelle allzumahl zu nichtö
aunders ald babin e& gemelte unfere Inſpeeto⸗
208 verorbenen werben , abgefolget, Dagegen
‚aber der Floßverlagk wiederumb aus dem
Ampt Salburgk genommen werben fol. Da⸗
Heinrichs bes Jung. Reußen. 343
mit aber vielgebachte vnſere verorbente für ihre
Derfon der Mechnungen genzlichen befreyet,
vnndt fie vnndt ihre Erben befientwegen ein⸗
jiger gefehrde fich nicht zu beforgen haben mus -
gen, So haben wir die General vnnds
Hauptrechnung uber mehrgedachte der dreyer
Herrſchafften einkommen andy bemeldte Flos⸗
geldere, anbeuholen vundt vffgewagen,, den
Erbaren vnſern auch lieben getrewen Davidt
Fabern Schoͤſſern zu Geraw, welcher vber
alles vnndt Jedes, ſo entweder von gemelten
beyden Herrſchafften, oder auch der Herr⸗
ſchafft Crannichfeld (wenn ſolche Vberſchuß
tragen moͤchte) desgleichen auch an Flosgel⸗
dern, gegenſchulden, Lehenseroͤffnung, erbor⸗
geter geldern vundt anbern dergleichen, wie
es auch Nahmen haben magk ( bis vf bie
Amptes einkünfften vnndt Trankfteuer in der
Herrfhafft Geram , darüber ‚wir vor vnſere
Hoffhaltung einen fonderlichen Diener verord⸗
net) einkoͤmmet, oder ein vndt vfbracht, auch
hinwieder andgegeben wirdt, eigentliche rich⸗
tige vnndt vollſtaͤnbige Rechnung halten vnndt
leiſten ſoll.
N4
I
344 Schulden ⸗Zahlungs⸗Plan
Was nun dergeſtalt einkommen, bienow
ſoll ex zufoͤrderſt die Verzinſuug der Haupt⸗
ſummen, zu verſprochenen Zeiten, vnndt dau
mit der Vbermaß, die Ihenigen Capitalia,
welche vnſere Verordente abzulegen beuholen
werden, abzahlen, ſich derowegen richtig vndt
beſtendig quittiren laſſen, wohin oder an wel⸗
che oͤrter ſache geldere entrichtet, eine eben⸗
meſſige Generals und Haupt⸗Rechnung ſezen
vndt bringen, dieſelbe auch Iherlichen, von
vnuſern verordenten gebuͤrlichen juſtificiren vnnd
belegen, vnnd Jederzeit audgangd markts
eine richtige ſpecification uͤbergeben, was die
einkuͤnfften der Herrſchafften geweſen, was
dauon abgelegtt, vnndt weiter noch reſtire,
hierneben wir vnns der abhoͤrung ſolcher Rech⸗
nung, da vnns beliebte ſelbſten perſoͤnlichen
beyzuwohnen, fuͤrbehalten. Wir ſtellen auch
denſelben vnſern Verordenten mechtig anheim,
vnndt geben ihnen vollen gewalt, da ſie ih⸗
ren pflichten nach erachten wuͤrden ‚das in
einem ober. dem andern ſtuͤcke, entweder uns _
noͤtiger coflen einzuziehen , oder aber einziger
geftalt vnnd weile, wie ſolches mit fug vnnd
Heinrichs des Juͤng. Reußen. 345
rechten gefchehen möchte, die Herrſchaften in
böhern nuzen zu bringen , baflelbe beflem ih⸗
‚sen Verflande und vermögen nad) auch ohne
onfern ferneru vnnd fonderbaren beuhelich ,
von mennigliden unuerbindert, anzuordnen ,
doch bad mir deſſen mit ehiflem auch bes
richtes werben , vnndt wiſſenſchafft erlangen
mugen, 1W
Damit nun vber ſolchen allen ſteht, veſt,
vndt vnuerbruͤchlichen gehalten werben mag,
So verobligiren vndt verpflichten wir vnns,
crafft deſſen, mit vorwiſſen vnndt beliebung
der wohlgebohrnen zc. vnſerer freundlichen
herzlieben Gemahlin, auch vf vorgehenden ge⸗
pflogenen reiffen rath, mit dem wohlgebohr⸗
nen Herrn Caroll Guͤnthern, der vier Graf⸗
fen des Reichs, Graffen zu Schwarzburgk
vnndt Hoheſtein, Herrn zu Arnſtadt, Son⸗
dershauſen vnndt Leutenbergk, Lohra vnndt
Clettenbergk, Adminiſtratorn des Stiffts
Walkenriedt, vnſers freundlichen lieben Schwa⸗
gers, bruders vnndt geuatters, vnndt dann
Herrn Heinrich des Mittlern Reuſſen, Herrn
von Plauen, Herrn zu G. C. G. S. und L.
95 |
346 Schulden⸗Zablungs⸗ Plan
vnſers freundlichen lieben Vetters, bruders
vndt geuatters, deren Liebden allerſeits
trewen Raths wir ons diesfalls hoͤch⸗
lich getroͤſten, auch allen deme, ſo ſie
vnns ſchrifftlichen vnndt muͤndlichen,
wohlmeinende erinnern werden, gerne
folgen vnndt ſolches fuͤr eine ſonder⸗
liche freundtſchafft auf vndt amehmen
wollen, bey herrl. trawen vnndt glauben
vber dieſer vnſerer Verordnung vnuerbruͤchlich
zu halten, vor vnſere Hoffhaltung mit dem
obangezogenen einkoommen der Herrſchafft Ges
raw, gnedig unnbt genzlich beſetiget zu fein,
vnndt gemelden vnſern Verordenten in bie uns
zung ber andern Herrſchafften (auffer bie aus⸗
gezogene ſtuͤck) in wenigſten nicht einzugreis
ſen, noch dergleichen Jemandes den unfrigen
zu geflatten „ oder da wir auch 'oleich an ges
greibe vnndt anders , etwas für vnſere Hoff⸗
haltung beburffen wurden, baffelbe aus ber
Herrſchafft Geraw mit baaren gefde, nach
Erannichfeld ,„ Lobenftein ober Saalburgk in
billigen anfchlagE zahlen zu laſſen, damit uns
Mein Erebitoribus glauben gehalten vnd allers
!
Heinrichs des Juͤng. Reußen. 347
ſeits ſchimpff vnd nachtheil verhutet werden
koͤnne.
Bas fie auch dergeſtalt vnndt ſonſten beh
vnſern hiefiſchen Hofhaltungz wergk, vnns
enndt vnſern nachkommen zum beſten (wWol⸗
ches ſie dan in alle wege kuͤhnlichen
vnndt vngeſchewet zu thun befuget fein
follen.) anordnen, exinnern, vnndt verrich⸗
ten werden, das wollen wir alles zu
Gnaden wenden, onndt ſonderlich, da
ſie vber dieſer verordenung auch gegen
onns oder die vnſrigen ſelbſten fteif
vnndt veft halten, onnd demfelben zu⸗
wieder nichts einreumen wurden , fol
ches in Teinen ongnaden vermerten,
noch einen oder den andern an feiner
Wohlfahrt vnndt förderung hinderlich
ſeyn, Sondern onns “Jederzeit erin⸗
nern, 808 wir ihnen ſolchen Bewalt
freywillig vfgetragen, fie ſich auch an⸗
ders nicht, als auff vnſer gnedigs
vndt ſonderlichs begehren, darzu ver
muͤgen laſſen, vnndt hierunter nie⸗
mandes als vnſere vnndt vnſer nach⸗
348 Sculben-Zahlungs-Plan X.
kommen jelbft eigene Wohlfahrt, nuz
onndt Offnehmen gefucht, vnndt nebft
göttlicher Verleihung geftifftet werde;
Zu Vhrkunth vnndt ſteter vnwiederrufflicher
becrefftigung haben wir dieſes Reverſes alle
vnndt jede bladt mit eigener Handt vnterſchrie⸗
ben, vnndt mit vnſern herrlichen Handt Secret
zu ende bedruckt, Geſchehen zu Geraw den
2 Jannuary des angegangenen Sechszehen hun⸗
dert vnndt dreyzehenden Shares,
(L. S.)
Heinrich Neuß, Herr von Planen
der Juͤnger.
f R 8 —
1
XIII.
Drei Predigten
des
Fuͤrſtl. Anhalt⸗Zerbſtiſchen Conſiſtorial-Raths
und Predigers in Zerbſt,
Herrn Sintenis,
uͤber
die dortigen Armen⸗ und Bettel⸗
| Anſtalten,
von den Jahren 1783 und 1784.
.".
Nach dem Original: Drud.
Gelegenheitlich dabei einige Betrachtungen über
dad Außerlandsſeyn der Fuͤrſten.
[8
Mm je eine Volks⸗Rede Urkunden⸗Werth,
wenn je eine verbienet hat, in ein Patrioti⸗
ſches Archiv aufgenommen, und zur frohen
Theilnehmung redlicher Zeitgenoffen, ber Nach⸗
welt aber ald Denkmal von dem burch wärmfle
Menfcheuliebe angefenerten Muth eines Buͤr⸗
ges Freundes aufbehalten zu werben, fo find ed
gewiß die Predigten des würdigen Sintenie,
ber durch feine Vrenfchen, Sreuden und ans.
bere gefuͤhlvolle Schriften fhon vorhin Freund,
Lehrer, Tröfter und MWohlthäter vieler Mens
ſchen geworben war, und nun durch Thaten ges
zeige bat, was Lin Mann vermag, der mit
den weichen Herzen, mit der flarfen Seele,
mis der überwältigenden Kraft fein Amt zu
benuzen und ehrwuͤrdig zu machen weiß. ,
Es war nur Eine Stimme durch ganz
Deutfchland zum verbieten Lob bes braven
Mannes. Einige Sonrnale haben auch Aus⸗
güge dieſer Predigten geliefert, meines MWiffens
find fie aber noch in keiner Sammlung ganz
=
333 Gintenis Predigten
erfchienen, und ganz verdienen fie doch gelefen,
ganz der Nachwelt überliefert zu werden, um
fo mehr, da fie nicht in das Bücher s Commerg
gekommen, und fi daher bald vergreifen wer⸗
den.
Ich wandte mich, um ſie zu erhalten, an
einen Freund in Sachſen, und erhielt ſie durch
ihn mit Erlaͤuterungen, die fuͤr die Ehre der
Sache und fuͤr die Leſer allzubetraͤchtlich ſind,
um ſie nicht gleichfalls mitzutheilen. Hier iſt
alſo der Auszug dieſes Schreibens, ſo weit er
hieher gehoͤrt:
| „Magdeburg, den 1. März 1784.
Ich mache mir ein Vergnügen daraus, Ih⸗
sen die beiden Predigten des Herrn Sintenis
gu uͤberſchicken; noch größere Freude aber iſt es
‚ mir, Ihnen melden zu koͤnnen, baß ex alles,
was er wollte, gluͤcklich durchgefezet habe. Er
gieng raſch zu Werke, die Güte feiner Sache
machte ihn ſtark, ex fochte rechts und links um
fi ber, ließ reden, Tannegießern und fogar
prebigen gegen ſich, ward durch jeded neue Hins
derniß nur noch ſtaͤrker, räumte eins nach dem
andern auf die Seite, ‚ und — uͤberwand.
Feinde
j
Aber Armuth und Bettelei. 353
Feinde und Neider (follten Sie's wohl glaus
ben? ohne Zahl zog er ſich dadurch zu , aber
aux in feinem Waterlande, auswärts ehrte und
fegnete man ben thätigen Dienfchen, Freund als
Ienthalben dafür. Sie wiſſen dad Ungluͤck dies
ſes Landes, daß deſſen Fuͤrſt ſeit fo Langer Zeit
fi) von demfelben getrennt hat, Dadurch find
Suftiz und Polizei nicht nur in einen Zufland
gerathen, ber feined gleichen nur wenig haben
tan, fondern bie Erfchöpfungen, in weld;e das
Land dadurch gerathen, daß Jahr aus und ein
fo große Summen, aus feinem Sunerflen ges
zogen, auswaͤrts gehen, find eben wohl unbes-
ſchreiblich, und für dieß Voͤlkchen, das ſonſt
eines der gluͤcklichſten auf Deutſchem Voden
ſeyn koͤnnte, hoͤchſt bedauerlich. Noch waͤre
ihm zu helfen, wenn ber einige Gedanke in der
Seele dieſes Fuͤrſten erwecket werben Eönnte,
da zu leben, wo e8 ihm, zu leben, Schuldigkeit
iſt; fo lange dieß nicht geſchieht, verfällt dieß
Land von Jahren zu Jahren immer mehr. Es
iſt mir fuͤr gewiß verſichert worden, daß die
Diener des abweſenden Fuͤrſten ſogar aufgehoͤrt
haben, die Herrſchaftlichen Beitraͤge zu den
Par. Archiv, III. Theil. 3°
*
254 Gintenis Predigten
Armen» Kaffen entrichten zu laſſen, wodurch
dad Elend in dem unterfien Stande der Menfch«
beit bis zum Schrecken überhand genommen.
Jeder ſah's, Keiner ſprach. Sintenis fieng
an, leiſe zu reden, es half nicht; ex ſprach lau⸗
ter, es geſchah nichts; endlich ſprach er uͤberlaut,
das half. Ganz, als alleiniger Privat⸗Mann,
machte er fi einen Plan, und führte ihn,
Schritt für Schritt, ohne zu wanfen, aus. Die
Unter⸗Obrigkeiten fahen Ihm fpöttelnd zu, und
weiffagten Ihm, daß er nichts ausführen werde,
Diefe ihre Unthaͤtigkeit kam Ihm zu ſtatten, ins
dem er inbeflen Zeit gewann, fich fo feftzuftels
% .
Ien, daß fie ihn dann, da fie ihn ſchuͤttern woll⸗
ten, nicht bewegen konnten. Alled gieng gut,
und nun ſchaͤmten fie ſich, daß ein Geiſtlicher
bad that, mad fie als Väter des Volks laͤngſt
hätten thun ſollen. Sintenis fchafte die Ars
mens Beiträge ber Fürftfihen Kammer wies
ber herbei, bewog das ganze Publikum feiner
Stadt zum Beitrag, fehafte die offentliche Bet⸗
telei ab, bat fi ben wadern Brigabier von
Rauchhaupt zur Huͤlfe aus, erhielt ihn, und
mit ihm neue Thaͤtigkeit, loͤſete bei 1ooo Thaler
\
über Armuth und Bettelei. 335
and feinen Predigten, bradite die neue Armen⸗
Kaffe zum Belland uud Vorrath, kaufte eiw
Urmens Haus, half eine Arbeits⸗Anſtalt errich⸗
ten, ſchlug eine groͤßere Commißion zu Erhal⸗
tung ber in Ordnung gebrachten Sache vor, era
hielt fie ganz nach feinem Borfchlag, und blieb
felöft bei derſelben, wirkte Befehle an alle Uns
ter⸗Obrigkeiten and, baß fie ale endlich Haub
anlegen mußten — Und nun urtheilen Sie
felbft,, wie vein und groß die Freuden des Dans
nes ſeyn müßen, ber ed errungen, der es bol⸗
lendet bat. ,,
Wie vielen Antheil an diefen guten Auſtalten
bee Fuͤrſt des Landes ſelbſt genommen, wie viel
deſſen Geheime Raͤthe und Regierung mitges
wirket haben? davon fagt dad Schreiben meines
Correſpondenten nichtö, und Eonnte ed bamals
auch nicht ſagen. Die dritte und legte Predigt
d68 vortreflichen Mannes belehret und aber, daß
er auch bier and Felſen Waſſerquellen heraus⸗
geſchlagen, daß der regierende Fuͤrſt einen mo⸗⸗
natlichen Beitrag zur Armen⸗Kaſſe von 120
Thalern bewilliget, und ein Haus bazu geſchenkt
habe.
B >
Eintenis Predigten
Hiungegen erwaͤhnt mein Freund eineß an⸗
bern Umſtandes um fo deutlicher, welchen Herr
Sintenis and einer nicht zu tadelnden Paflos
ral⸗Klugheit in feinen Predigten verſchwiegen
hat, und bei der in manchen Landen für einen
Geiſtlichen leicht fehr gefährlich werdenden Allo⸗
trio⸗Epiſcopie verfchweigen muͤßen: daß naͤm⸗
Uich eine Haupt⸗Quelle des tiefen Elends und
Verfalls, und der allgemein gewordenen Ar⸗
muth in der nun ſchon uͤber zwanzig Jahre dau⸗
renden Entfernung ded Fuͤrſten von feinem Lan⸗
de zu ſuchen ſei, wodurch die ſonſt im Lande
circulirende baare Einnahme außerhalb ver⸗
ſchleppt wird, und dadurch der Brunnen, aus
dem man unaufhoͤrlich ſchoͤpft, allmaͤhligi in ſich
ſelbſt vertrocknet %),
29 Das zu Hamburg herauskommende politiſche Your
nal vom Monat December 1784 meldet: daB fi
diefer Fuͤrſt nach zzjähriger Abwefenheit wieder in
ſeinem Lande eingefunden babe; wenn ſolches auch
feine Richtigkeit hat, muß ed doch une auf eine kurze
Zeit geihehen fepn, weil bie offentlichen Zeitungen
ihn, unter dem angenommenen Namen Baron von
Wienzel, bei den Kaiſerlichen Kriegsvdllern in den
Miederlanden wieder erſcheinen laſſen.
über Armuth und Bettelei. 337
“tn BE
Der Fürft von Anhalt⸗Zerbſt tft nicht der
erfte, und wird nicht der lezte ſeyn, ‚den dieſer
Vorwurf und Zabel trift, die Sache felbft iſt
aber für Laͤnder⸗ und Unterthanens Wohl von
folcher Wichtigkeit und Folgen, daß einige do '
ssachtungen darüber hier juſt au ihrem vechten
Plaze feyn werben.
Es ift ein fehwered Ungluͤck für ein Laud,
keinen guten Regenten zu haben; gut aber, oder
nicht gut, ſo iſt es ein eben ſo großes, wenn der
Herr eines Landes lange Zeit ober wohl beſtaͤn⸗
big and bemfelben abwefend iſt. Daher ber
ſchmachtende Zufland mancher. Provinzen in
großen Monarchien. Gleichwohl iſt da ald noch
Rath zu ſchaffen, und wird durch andere Sur⸗
rogate der Verluſt in ſo weit gemindert, da |
durch den Aufwand der in den Provinzen anges
fiellten Statthalter und befondern LandedsKols
legien, durch die in biefelbe verlegte Regimen⸗
ter, durch den Aufwand des Adels, durch große
Fabrik⸗ und Mannfactur s Anflalten , durch
auswaͤrtigen Handel, und in viele andere Wege
die Eirculation erfezt wird, und immer wieber
3$%_
358 . Gintenis Predigten
‚ nene Erwerbs und Nahrungs» Zuflüße verſcha fft
werden; wie ſolches, wenigſtens biöhero noch,
von deu Oeſterreichiſchen Staaten geſagt wer⸗
den konnte. Oder, wenn bie ganze Einrich⸗
Sung ber iunern Staats⸗Verwaltung ſo harmo⸗
uiſch in einander gepaßt iſt, wie in ben Preufis
ſchen Staaten.
Auch bei Heinen Berfaffungen haben vers
flösdige und wohlbenfenbe Regenten Dlittels
"wege eingeſchlagen, um jene Beſchwerden mögs
lichſtermaſſen zu verringern. Zu Hannover wird,
der Ubwefenheis des Landesherru ohngeachtet,
ein beſtaͤndiger KHofflant unterhalten, die Mis
niſter und übrige Dienerfchaft bed erſtenRanges
werben reichlich, die übrigen gut bezahlt, und
große Summen Geldes anf innere Landes: Bere
beſſerungen unb raͤhmliche Anſtalten beharrlich
verwandt.
Der Prinz von Oranien iſ durch ſeine Ver⸗
haͤltniſſe und Verbindungen mit dem Staate der
sareinigten Niederlande eben wohl außer Stand
geſezet, in ſeinen Naſſauiſchen Deutfchen Lau⸗
den ſich aufzuhalten, er begnuͤgt ſich aber, mit
per wahrhaft vaͤterlichen Geſiunung, and bes
über Armuth und Vettelei. 359
|
zen Einkuͤnften nur eine überand gemäßigte
Summe für ſich zu beziehen, und aller, nad)
Abzug der Befoldungen und Etats» Yuögaben,
verbleibende Ueberſchuß wird wieder zum Innern
Beßten ber Lande verwendet. |
Ganz anders verhält ſichs bei Kleinen Fürs |
fienthumern und Ländern, deren Herren Feine
folhe mächtige anderwärtige Reffources , als
ein König von. Groß s Britannien, ober Erb⸗
Statthalter der Niederlande, haben, fondern
von dieſem ihrem Lande, wie jsder Edelmann
von feinem Gute, leben müßen. Wenn der vers
dorrte, vertrocknete, abgezehrte, Ihwindfüchtige
Zuftand mancher Deutſchen Provinzen , wenn
ihr an den lezten Lebendkraͤften vollends nagens
des Schulden⸗Weſen bis zu feinen erſten Uns
fängen verfolget wird , fo wird es ſich häufig
dariım finden, daß die Landesherren felbfl, oder
siner ihrer Vorfahren, oder mehrere nach eins
ander fi fehr lang außerhalb Ihrer Lande aufs
gehalten haben,
Wenn es ald nur nicht zu laug⸗ waͤhrt,
wenn bie Entfernung vielmehr loͤbliche Abſich⸗
ten: der Einſchraͤnkung und Erſparung übers
34
a60 - Sintenis Predigten
. flüßiger Hofſtaats⸗Ausgaben hat, dann iſt es
zwar allemal Aderlaß fürs Land, Verluſt deſ⸗
fen, was auswärts geht, .ed wird aber durch
diefe Aderlaß die größere Gefahr eines hizigen
Fiebers abgewandt. So lebte ber lobwuͤrdige
Marggraf Chriſtian Ernſt von Brandenburgs
Bayreuth ſechs Jahre lang mit ein paar Be⸗
dienten, als ein Privat⸗Mann, zu Genen, bis
ber größte Theil der bei feinem Regierungs⸗
Antritte vorgefundenen Schulden getilgt war.
So hält ſich jezo der gute Fuͤrſt von Naſſau⸗
Uſingen auf ein paar Jahre in Paris auf, um
päterliche und eigene Schulden deſto geſchwinder
gu ranzioniren.
Es koͤnnen auch andere Neben⸗Umſtaͤnde
eintreten, welche ein ſolches Betragen wo nicht
entfchuldigen, doch für das Land in feinen Fol⸗
gen unſchaͤdlicher machen.
Wenn ein Herr ald nur Will, und wollen
Tan und darf, fo weiß er auch in biefem-
Stuͤcke fi gar bald und leicht zu helfen. Der
lezte Graf von Hanau hatte beide Landes, Theis
le, bie in ber Wetterau gelegene Graffchaft
Hanau⸗Muͤnzenberg und bie am Rhein und im
über Armuth und Bettelei. 363
Eifaß liegende Grafſchaft Hanau s Lichtenberg
beiſammen. Beide hatten ſonſt Lange Zeit ihre :
befondere Herren, und jedes feine eigene ſchoͤne
Schloͤßer und Refivenzen gehabt. Der nun
Beflzer von beiden war, theilte feinen Aufent⸗
delt, brachte eine Helfte des Jahres in einer
jeden zu, und ließ auch fehr weislich einem jes
den Landes⸗Theile feine bisherige KRollegien und
Berfaffang. Nie hat ein Erbe eine ſchoͤnere
and georbuetere Erbſchaft angetreten, ald die
beiden Heßiſchen Fürſien, die ſi ichi in dieſe Lande
theilte.
Mo nun aber alle bieſe Umſtaͤnde, Ver⸗
haͤltniſſe und Geſinnungen nicht ſind, wenn ein
Herr ungluͤckſeliger Weiſe vor dem Lande feiner
Vaͤter einen Edel gefaßt hat, wenn er feine
Raubflände, Diener und Unserthanen, weil fie
fih ihm etwa in gerechten. Dingen entgegen
fielen müßen , haßt, und fie durch feine Ab⸗
weſenheit zus ſtrafen gebenkt, wenn’ er ein Wiens
fhenfeind, ober Menfchenfchen ift, und ſich vor
andern aud Gefühl feiner innern Schlechtigkeit
lieber außerhalb verbirgt, als in feinem Hauſe
mittheilt, lieber mit. Pöbel lebt, als den Fuͤrſtus
85
362 Eintenis Predigten
vorflellt, wenn er im Stricke des Verderben
verwickelt iſt, in welchen er ſeinem Lande ſicht⸗
bar zu ſeyn ſich noch ſchaͤmt, und den Ruͤgen
treuer Diener Lieber gu entfliehen ſucht, wenn
er ein von innerer Unruhe gepladter Mann,
ober ein Starrkopf iſt, wenn-er ſich vornehmer,
groͤßer, wichtiger, geehrter haͤlt, Offizier eines
Koͤnigs, als Fuͤrſt und Water. feines Landes
au ſeyn, „und übers biefem eitlen Dunſt nicht nur
feine Einkuͤnfte in fremden Landen verzehrt, ſon⸗
bern noch Schulden mit Schulden häuft, u. ſ. w.
dann iſt ein ſolches Haus und Land nicht nur
zu beklagen, wie man einen leidenden Patienten
beklagt , fondern man Fan es ihm vorrechnen
and auspımltisen, wie ed fich von Grad zu Gr
abs und andzehren werde, -, _
Alle obige. unterſtellte Faͤlle gruͤnben is
auf lauter Thatfachen des jezigen Jahrhunderts;
wer Deutſchland kennt, für den bedarf es keines
Commentars; wer mit. dem Geiſte der Höfe
minder befannt iſt, und doch Auslegung wuͤuſcht,
der nehme das naͤchſte beſte genealogiſche Hand⸗
Kuh, er wird fie mit Tauf⸗ aud Zunamen 0 alle
dariun laten. |
. über Armuth und Bettelei. 303
Warum es dann aber zu unferer Väter
Zeiten und den unfrigen-fo ergangen, und nach
und noch immer die nämlichen Klagen. bleiben
werben ? warum guter Math hierinn Immer
thener, und fehr oft gang vergeblich feyn wirb I
verdient noch einige nähere Beherzigung.
Die allerwenigften Regenten find ſelbſtſtaͤn⸗
dige Weſen, bangen, wie wir andere ſchwache
Menſchen, an fo vielen Fäden, deren wenigſte
fie Eennen, und noch weniger: von denfelben ſich
Iosmachen. koͤnnen oder mögen. Die von fi
ſelbſt die größte Einbildung haben, find vollends |
nur Montgolfierſche, mit Stricken feftgebuns
bene Luft⸗Kugeln, die ſich nicht erheben koͤnnen,
wenn fie auch wollten, noch erheben duͤrfen, bis
fo viel entzundbare Luft iu fie hineingepumpt
iſt, als die, fo Herrn der Kugel find, abs
dig finden.
Die ſchlechteſten und ſchlimmſten Leute ER
nicht im Lande, fie find um die Herren
felbft, von diefen werben fie belebt, inſpirirt
und regiert, biefe find es, bie jebe ihrer Leiden
Khaften anfachen und unterhalten, um fich ſelbſt
dadurch gefällig „ vothwendig und vunertbehrlich
364 Eintenis Prebigten E
zu. machen. Ein Hof iſt zuweilen reich an rechts
ſchaffenen, biedern, patriotiſchen, tapfern und
unerſchrockenen Maͤnnern, ja zuweilen iſt auch
nur Einer der Schrecken aller Schurken und
Schelmen, daß ein ſich einſchleichender Mari⸗
nelli nimmermehr feine heilloſe Abfich# errei⸗
chen kan, ſo lange er den Herrn von dieſen
nicht trennen kan. Stumm machen kan er
ſie nicht, ihnen bie Augen ausſtechen, vermag:
er nicht, fie zu ſtuͤrzen, dazu iſt er noch nicht
mächtig und ſtark genng, es bleibt alſo nur noch
das eine Mittel uͤbrig, ſie nicht vom Herrn,
aber den Herrn von ihnen zu entfernen. Erſt
alsdaun iſt er Meiſter, weil er alsdamm das
Ohr allein hat. Er huͤtet ſich wohl, den ges
zingfien Laut gegen die, fo ihm ein Dorn im
Auge find, von ſich hoͤren zu laſſen, er lobt fie
vielmehr, und preifet ben Fuͤrſten gluͤcklich,
Männer an ihnen zu haben, auf die er ſich fo
ganz verlafien könne. Er bringt ihm aber
allmaͤhlig einen Edel und Abneigung gegen fein
Rand bei, und dieß treibt ex durch ſtets abwech⸗
felnde Kuͤnſte und Wendungen fo laug, bis fih
felöft der Wunfch entzuͤndet: Wenn ich nur
über Armuth und Bettelei.. 368
erſt — wenn ich nur eine Zeitlang draußen waͤ⸗
ze! Alles nachfolgende giebt fi) alsdann von
ſelbſt.
Diieſe Rollen zu ſpielen, bedarf es aber nicht
allemal einen beſternten oder ſonſt hervorſtechen⸗
den Mann, ein Kabinets⸗Secretair, beim eins
Zünftige Excellenz im Kopfe ſteckt, ein Leibarzt,
der gern auf feines Herrn Koſten die Welt fes
hen möchte, ein Rammerbdiener, fo bei den Chas
tonll»- Rechnungen zu Hand nicht genug manfen
kan, find eben fo tüchtige Werkzeuge, zuweilen
confpiriven- diefe zufammen , um auf Einn
Zweck zu wirken.
Wenn alles dieß traurige Erfahrunga⸗
Wahrheit iſt, ſo iſt auf der andern Seite auch
nicht zu verſchweigen: daß die redlichſten, wuͤr⸗
digſten Maͤnner, in der reinſten, rechtmaͤßigſten
Abſicht, es zuweilen in der Art und Einklei⸗
bung ihrer Vorſtellungen verſehen, und auſtatt
einen ſchon auf dem Irrwege gehenden Herrn
zur Umkehr zu bewegen, ihn vielmehr auf die
andere aͤußerſte Ecke treiben, aus Uebel aͤrger
machen, und zu ſpaͤt bereuen, das kleinere Un⸗
gemach nicht mis mehrerer Schonung getragen
\
®
366 .Gintenis. Prebigten
gu haben. Ich erinnere mich einen folder
Schriftwechſel zwifchen einem nun verflorbenen
Fuͤrſten und feinen Geheimen Raͤthen gelefen zu
haben, bie würdige und ehrlihe Männer was
Der Fürft hatte zu feinen geheimen Aus⸗
gaben.abermals eine ſtarke Sunime Geldes ges
fordert , anflatt ihn zu vertroͤſten, ober ihm
etwas zu geben , ergriffen fie dieſe Gelegens
heit, eine fehr auge und pathetifche Vorflellung
an ihn ergeben zu laſſen, worinn ihin ſein gan⸗
‚ger Lebenſlanf abgemahlt, fein ganzes, damals
noch siomlich Heine, SundensRegifler vorge
zechnet, und alles dieß mit einer ganz Kanzel⸗
und Kanzlersmäßigen Ermahnung, mit dem
Anhange: daß fie weber Geld hätten, noch zu
Schaffen müßten, befchloffen wurde. Freilich
war alles wahr, freilich war der Fuͤrſt kein Kind
mehr, noch war ed die erſte, ober wohl zehnte
Vorſtellung diefer Urt. Er fchrieb aber an beu
Rand diefer MiniflerialsGermon:
„, Wenn die Herren fonft nichts zu fagen hats
ten, dieß alles habe ich ſelbſt gewußt.,
Es war noch höflich und beſcheiden genug, zw
uufern Zeiten würben fie anders bedient worden
über Armuth und Bettelei. 367
ſeyn, wuͤrde es geheißen haben: v &3 muß mögs
lich ſeyn. Was gefhah aber dadurch ? Der
Fuͤrſt fezt fich in feinen Wagen, reifet aus Un⸗
gebuld, wur um fich zu zerſtreuen, nach Ham⸗
burg, geräth da unter Schelmen, Spizbuben
und Goldmacher, bleibt viele Sahre in Ham⸗
burg fizen, findet da und von bort and in Hols
land Kredit, bringt einen abgefeimten Betrüger
von da zuruͤck, und durch denfelben eine ganze
Trouppe von Abentheuern, behänge ſich durch
fie mit Juden und Schelmen, Tonnen Goldes
gehen durch den Schornflein*), Schulen wers
ben mit Schulden gehäuft, ber von ber heillofen
Bande verſtrickte und verblendete Fuͤrſt iſt zu
ſchwach, ſich loszureißen, es finden ſich immer
*) Ein Beweis davon iſt der von dieſem Fuͤrſten An.
1717 aus vermeintlich alchymiſtiſchem Silber ger
prägte Thaler, mit der Umfchrifts Sie Dee placuit
in tribulationibus, Wenn ein Fürft weder Geld,
noch Kredit hat, fo iſt das freilich In feinen Augen
das größte aller Leiden; 3 und der ihm zu einem von
beiden verhelfen Tan, in feinen Augen ein Engel
Gotted. Gott laͤßt ſich aber nicht ſpotten, bee
Selbſtbetrug währte nicht lang, und es war bad
thenerſte Geld, das je in bie Kaflen dieſes Hauſes
gelommen iſt.
368 Sintenis Predigten.
neue Schurken ,. die ihm auf die beſchwerlichſte
Weiſe Geld und Kredit zu fchaffen wiflen, der
- Sohn und Nachfolger verweigert zwar feinen
Eonfens und Unterfchrift, Tan aber damit dem
Grexel der Verwäflung nicht fleuren, die Ge⸗
heimen Raͤthe ſeufzen, dad war ed, was ſie
noch konnten, dad Rand fenzt auch, und noch
viel lauter, und giebt dem ſonſt angebeteten Fürs,
ſten offentliche und ſchreckliche Zeichen von Vers
achtung, ber fo tief. gefunfene Fürft ſtirbt end⸗
lich ploͤzlich, und binterläßt, er allein, mehr
Schulden, als feine Vorfahren in anderthalb
hundert Sahren vorher gemacht hatten, ein ars
med audgefogened Land, und eine Schmach über
feinen Namen, bie kein noch fo unverfchämter
Roblügner je vertilgen wird.
Dieß Beifpiel mag flatt mehrerer, die ihm
beigefellet werben Eönnten, genug fun.
Was ber fogenannte Dienſt zu dem Außers
landsſeyn unferer Fürften und Fürftens Söhne
beitrage; wie viel ließ fich Davon fagen? wozu
. aber eine andere Gelegenheit kommen wird.
Alſo nur ein paar Worte: Daß die Monarchen
Fuͤrſten, Erb⸗ und andere Prinzen, die viel
Gel
N
über Armuth und Bettelet. 369
Geld zu verzehren hatten, durch Ertheilung
von Regimentern, Gonvernementd und militas
tifche Titel an ſich zu ziehen gefucht, war ihnen
nicht zu verdenken, baß aber Fürfien, die zus
weilen in ihrem eigenen Lande mehr Regimens
ter hatten , als ihnen in fremdem Dienfte zu
commandiren anvertraut worden, Dienft fus
hen mögen, baß Prinzen, bie mit ihrer Ap⸗
panage zu Haus ober anderwärts angenehm,
gluͤcklich, vergnügt leben koͤnnen, ſich um einen
Dienſt bewerben mögen, in weldem fie nicht
nur ihr Eigenthum zufezen, fondern ſich noch
muͤhſam behelfen, Schulden dazu machen, und
ſich tauſendfachen Zwang, Beſchwerden und Un⸗
annehmlichkeiten gefallen laſſen muͤßen, und
fruͤh oder ſpaͤt doch faſt alle zulezt froh ſind,
wieder quittiren zu doͤrfen „ihre im Dienſte
gemachte Schulden fi) von ihren Brüdern und
Vettern an ihrer Appanage wieder abzikhen
laſſen müßen, uud endlich, was fie früher und _
wohlfeiler vermocht hätten, Philofophen und.
Landwirthe werden, dieß war mir noch immer
ein nicht ganz aufloͤsbares Raͤthſel. Stets bin
ih dabei ſtehen geblieben: Es iſt das Ste⸗
Patr. Archiv, III. Theil, Aa
—
370 Sintenis Predigten
cken⸗Pferd unfers Jahrhunderts. Vielleicht
an fie mit Unfange bes Fünftigen alle Gold⸗
macher und Geifterfeher,, denn jedes Säculum
has doc, feine eigene Moden und Krankheiten;
wenigſtens helfen die immer wirthſchaftlicher
werdende Monarchen, die den Prinzen nicht
mehr, wie font, befonders zahlen, felbft das
zu, daß man fi) um ihren Dienfk weniger be⸗
wirbt, biejenige Kadeten und Söhne ber Ka⸗
- beten andgenommen , bie ihn fuchen müßen,
am, wo nicht juft ein Släd zu machen, doch
ihre Lage mwenigflend um fo viel, als ed num
iſt, zu verbeffern, ünd fich eine eigenthuͤmlichere
Exiſtenz zu verfhaffen, ald wenn fie zu Haus
am Hofe ihres Bruders ober Wetters überall
im Wege find, von einem fiolzen Guͤnſtlinge
fih uͤberzwerch anfehen laffen, und in dem Haus
fen von Kammerherren und Sunfern fih vera
liehren müßen.
Es giebt noch eine Urt außer Landes
su feyn, wenn ein Herr muB, nnd meiflend,
doch nicht allemal, iſt es Schule der Weisheit
geworden. Landgraf Philipp dem Großmuͤ⸗
thigen zu *öefen war feine langjährige Geſar⸗
über Armuth und Bettelei. 371
genſchaft mehr werth, als alle Siege und Ero⸗
berungen, es daͤmpfte den hohen allzuraſchen
Geiſt, machte ihm ſein Land und das Gluͤck,
deſſen Vater zu ſeyn, ſchaͤzbarer, dann vorhin,
und laͤuterte feine Begriffe von Kriegs » und
Helden Ruhm. Wer daran zweifelt‘, Iefe fein
Teſtament, wie beweglich ex darin feine Söhne
vor Ariegen und Einmifchung in fremde Händel
warnt, Der von feinem Lande mehr als eins _
mal verjagte wilde Herzog Ulrich von Würs
temberg warb zulezt auch kirr; Hering. Jo⸗
hann Sriderich zu Sachſen⸗Gotha farb
ald ein bußfertiger Suͤnder in feinem langen
Arreſte; und der fo trozige Herzog Karl Ceo⸗
pold zu Mecklenburg ward endlich. ſo ge⸗
ſchmeidig, daß, wenn er noch vier Wochen ge⸗
lebt haͤtte, die ſchon entworfene Submißjongs
Schrift an die Reichs⸗Verſammlung offentlich
erſchienen, und dadurch feine Regierung, Ents
ſezung wieber aufgehoben worden waͤre z meh⸗
rerer anderer Veiſpiele nicht zu gedenken, ton
von wenige Fuͤrſtliche Deutſche Haͤuſer ausge⸗
nommen ſeyn doͤrften, wohl aber die Geſchichte
noch gaug ardere Kuren Lsfert, ba ein ſolcher
Mas.
-
372 Gintenis Predigten |
anbändiger Fürft zwiſchen vier Mauern einges
fperrt worden, um ihm Muße zum Befinnen |
und Meue zu verfchaffen. |
Kurfuͤrſt Chriftoph zu Trier, gebobener
von Sötern, mußte zu Luxeuburg nnd Win
eine zehnjährige Gefaͤngniß durchleben, bis er
mit Sicherheit einer wahren Sinnes⸗Aende⸗
dung entlaffen werben konnte. Ein anderes
merkwuͤrdiges Beifpiel iſt dad von Herzog
Magnus zu Sachen » Lauenburg , wels
hen fein Bruder, der loͤbliche Herzog Franz II,
auf Kaiſerlichen Beſehl, wegen feiner liederli⸗
chen Aufführung und Friede ſtoͤrenden Berras
gins, In lebendlaͤnglicher Verwahrung einfpers
zen, und über die Gefaͤnguiß⸗Thuͤre folgende
merkwärbige Aufſchrift mit goldenen Bude
finden fezen laffen:
Ge auf der Römifch-Kaiferlichen Maje⸗
ſtaͤt allergnaͤdigſten Verordnung,
J — —————
and Herr, Herr Franz zu Sachſen, Ew
gern und Weſtphalen, Seiner Fuͤrſilichen
Grnuaden unfreunblichen Bruder, Berg
Maguet am fen vpſeeevdicch Wechelin,
über Armuth und Bettelei, 373
allen andern nachkommenden ger⸗
zogen zu Sachſen, ſo Gott nicht
fürchten, Shrftliche Tugenden und
Gerechtigkeit nicht vor Augen ha⸗
ben, das Gott unter Brüdern abwende!
31 einer Verwahrung, dieß Gemach
am Tage Viti 1588 verfertigen laffen,
mit herzlichen Wänfchen,, daß Gott ber
Allmaͤchtige dieß Fuͤrſtliche Haus, nad)
ſeinem gnaͤdigen Willen, für dergleichen
Exempel hinfuͤr behuͤten moͤge. |
Ad mala patrata, funt atra theätra
. parata.
Harter Stun erfordert angreifende und
durchbeizende Mittel, wenn fie dann als nur
helfen, ſo iſt es allemal Wohlthat fuͤr den Herrn,
und in einer gewiſſen Folge auch für ſein Haus
und ungluͤckliches Land.
Darüber lacht und ſpottet ein Hof⸗Publi⸗
ft, weifer auf die WahlsEapitulation bin, und
tröftet feinen Herrn: daß heut zu Tage dergleis
den wicht mehr gefchehen Fönne, weil ed nicht
mehr gefihehen doͤrfe. Daß es aber geſchehen
kͤune, und wirklich gefchehe, davon liegt das
YWaz
374 Sintenis Predigten
- neuefle Beiſpiel des auf zehn Sahre auf die
Feſtung Rönigflein eingefperrt geweſenen, und.
nad) tiefer Reue und Demürbigung, auf Ver⸗
ſprechen der Befferung, aus Bnaden früber
entlaffenen Regierenden gerrns in der Mit⸗
te. — Das war nur ein Graf! Thut nichts
zur Sache. Kaifer Joſeph iſt der Eine com.
pacijeirende Theil jenen National s Vertrages,
wird ihn fo gut zu verftchen und zu erflären
wiſſen, als die Concordata Nationis Ger-
manic®, und als die Ruffen den Frieden von |
Kainardgi. Es möchte feinem zu vathen feyn,
anf jenen Troſt allein es zu wagen, meil uns
glücklicher Dingen die übrigen hohen Compas
ciſcenten den Text juſt fo, wie der Kaiſer, vers
ſtehen, und gegen biefe authentifche Erklaͤrun⸗
gen, und in deren Gemaͤßheit treffende Auſtal⸗
ten alle Haus⸗Trouppen, Kreis⸗Contingente
und Univerſitaͤts⸗Reſponſen nichts helfen moͤch⸗
sen; anderer kuͤrzern, eben fo wirkſamen, und
noch immer gängs und gaͤben Hausmittel nicht
zu gedenfen, nn
Wenn dann aber ein Herr einmal fort, und
zum Sand hinaus iſt, wie geht ed za, daß er
über Armuth und Vettelei. 375
zutcht früher ober fpäter zuruͤck zu bringen iſt?
Wei vielen Herren gefchieht ed blos aus Eigen⸗
feun. Sie wollen, wenn fie ſich's auch inners
id, taufendmal felbfl bekennen, wenn fie ſich
auswärts noch fo viel Unbequemlichkeiten und
wohl gar unartige Behandlung gefallen. laſſen
muͤßen, nicht unrecht, nicht gefehlt haben ;
und je fehnlicher ihr Land nach ihnen verlangt,
je weniger find fie dazu zu bewegen; fie kaͤmen
erſt alsdaun, wenn ſie wüßten, daß fie durch
ihre Wiederkunft ihren Kindern, Vettern, Die⸗
nern und Unterthanen einen noch groͤßern Poſſen
ſpielten. Mit ſolchen Starrkoͤpfen iſt gemei⸗
niglich nichts anzufangen, als ſie ſich ſelbſt zu
uͤberlaſſen, man wird alles zulezt muͤde, ſogar
des Eigenſinnes, und wenn man ſie nur fuͤhlen
macht, wie tief ſie in der Achtung der Welt,
und der Liebe ihres Volks geſunken, wie voll⸗
ſtaͤndig fie nur ihre eigene Duͤpe ſeien, fo fans
gen fie endlich an, in ſich zu gehen, und kom⸗
men wieder, wenn Fein Menſch mehr an ihr
Kommen gebadht hat, und ſchaͤmen fich dann,
wenn ihr gutes Volk fie gleihwohl Wills
kommen! heißt, und Freuden⸗Thraͤnen weint,
\ Ua 4
376 Sintenis Predigten:
einen fo herzlieben Water wieder bei fi 3
feben. | on
"Eben die Xente aber, fo die Werkzeuge und
- Verführer zum Weggehen gewefen find, find
zugleich die Urfache be beharrlichen Außenblei⸗
bens, fo lange e8 ihr Intereſſe erfordert.
Hat jeder fein Ziel evreicht, feine Wuͤuſche ers
füllt, fo muß der Herr wieder nach Haus, er
mag-wollen, oder nicht. Hat fi der Mari⸗
nelli in der Gunſt feines Herrn fo feflgefezt,
daß er Feinen Sturz fo leicht befürchten zu müfs
fen glaubt, fo will er nun auch feine erworbene
Gunſt und Unfehen zu Haus fehen laflen, und
geltend machen, das in der Fremde nur immer
An einem engern Wirfungss Kreife geſchehen Fan.
Kat der Doctor gefeben, was er gewollt, dann
. ft jede Luft ungefund, wo fich-der Herr anfs
haͤlt, und keine reiner, ald die zu Haus. Ges
ben bie Geld » Rimeßen aus dem Lande fparfas
mer, muß der Herr auswaͤrts wohl gar Schuls
ben machen, und fich einfchränfen , fo ift der
Kammerdiener ber erfle, um feinem Herrn zu
fügen: Wir fizen fell, Gnaͤdigſter Herr, und
haben weder Gelb, noch Kredit mehr, wahrs
\
über Armuth und Bettelei. 377 |
haftig, Ihr Durchlaucht, wir muͤßen wieder
nah Haus. Da trägt das bloſſe Anmelden
und bie Garderobbe⸗Protektion leicht noch, mehr
ein, ald der Abfall einer ſchwindſuͤchtigen Rei⸗
ſe⸗Kaſſe. |
Eben fo ſtark, als dieſer alles, wirkt aber
auch die eigene Geſinnung der zu Haus bleiben⸗
den Dienerſchaft gegen ihren abweſenden Herrn.
Mancher Herr iſt wild, rauh, hart, ungezogen,
traktirt feine Minifler und Räthe, wie ein Kor⸗
yoral feine Moufquetiers, und feine Erfcheinung
iſt nur, wie die eined-böfen Hausvaters, deffen
Kinder ſich zurufen: Verſteckt euch! der Was
ser koͤmmt! Wer Lan diefen verbenfen, wenn
fie den Herrn, dem fie nun gleichwohl einmal
dienen müßen, lieber außer Landes, als-bei ſich
anter einem Himmel ſehen? Mag ed dem Lande
ſchaden, fo viel es will, ifl’3 doch nicht | ihrfand,
and ohnehin find die allermehreften nur Diener
ihres Herrn, und nicht feines Landes. |
Schlimmer ınd-gefährlicher, als dieſes, ift
aber, wenn die Schuld bei dem ober denen Mi⸗
niſtern haftet, welche des abwefenden Fuͤrſten
Stelle vernreten/ und ſtatt ſeiner das Land re⸗
Mas;
378 Sintenid Predigten
gieren follen, wenn biefe Feine durchaus ehrliche,
rechtſchaffene und gewiſſenhafte Leute find, fons
bern ihrem Chrgeize ober Geldgeize opfern,
froh find, nam ohne Hemmung den Meiſter fpies
Ien, und ihren Eigenunz oder Hochmuth befries
digen zu koͤnnen. Diefe werben Ihrem Herrn
nie anliegen, wieder zu kommen, fie werben ed
ihm vielmehr an nichtö fehlen Laffen , ihm Geld
ſchicken, fo viel er verlangt, ihn noch überdieß
mit erlogenen Projekten von Landes s Verbefles
rungen amüfiren, und, indem fie am erflen für
ſich ſelbſt, ihre Familien und Freunde forgen,
lieber das Land verfhulben, verfezen und ver
pfänden, damit nur der fo lang, als möglid,
wegbleibe, der ihre‘ Handlungen und geführte
Wirtſchaft felbft beleuchten, oder bei feiner Wies
berfunft durch andere ihr Leben und Xhaten ers
fahren, unb mit ihnen abrechnen Tönnte..
So viel zur Einleitung, oder, wenn man
will, audy als Poſtſcript. Hier folgen dann
bie Predigten des Herrn Sintenis.
" U)
über Armuth und Bettelei. 379
ZEIT IE IE
l.
Sür. die wahren Armen in der Stadt -
Zerbſt. u
Eine Predigt, gehalten am zten Sonntage nach
Trinitatis 1783. von Sintenis.
Meine Bruͤder!
gr olanbe gewiß, daß ich heute eine der wichs
tigften Predigten meines Lebens halte, Wenige
ſtens in den zehn Jahren, feit welchen ich heute
Prediger in diefer Stadt bin, die wichtigfte. Ad,
id kan heute Gutes fliften; ich werde heute
Gutes fliften. O wie glüdlich ifl ein Mann, der
für dad Beßte dev Menſchheit reden will, wenn
er gleich beim Anfange feiner Rede dieß tröftende
Vewußtſeyn hegen darf! Fa, ich Fan heute Gu⸗
tez ſtiften, denn ich rede über einer Gegenſtand
von wichtigſtem Belang. Sa, ich Werde heute
Gutes fliften, denn ich kenne einen großen Theil
meiner hier verfammelten Mitbürger, und liebe
fie wegen der Güte ihred Herzens. Sie werden
mich aufmerkfam anhören, meine Klagen, Wüns
3806 Gintenis Predigten
ſche, Gedanke und Vorfchläge prüfen, ihre Sees
len mit der meinigen auf einen Ton flimmen,
und am Enke meiner Rede mir zurufens Mann,
du thatſt recht daran, vor Gott und Menſchen
recht, recht vor Obrigkeit und Unterthanen, recht
. vor Menfchenfreunden und Menfchenfeinden,
daß bu heute fo zu und fpradjfl. |
Stärke du mid nun, Allmaͤchtiger, daß ich
mit Anſtrengung aller meiner Kräfte, die du
meinem Geiſte verliehefl, den Gegenfland bes
handle, für den ich jezt hier ſtehe. Lehre mich
verbinden biedern Wahrheitsſinn und befcheidene
Weisheit, männlichen Muth und fletes Umher⸗
(hauen auf Menſchen, Zeit und Umflände, uns
ter denen ich lebe. Segne den Erfolg meiner
Rede. Sesne ihn für viele Elende, daß ſie
ſich feiner nady Jahren noch freuen und tröflen.
Segne ihn für mic) ſelbſt, daß ich mich feiner
noch freue und tröfle, wenn einfl mein Abend
koͤmmt, und tu mich rufſt, und mein Geiſt zu
dir aufſchwebt, und mitten im Auffchweben noch
einen Ruͤckblick auf feine auf Erden ausgeuͤbte
Handlungen wirft, und fich Leztlich zur Rechen»
haft vor dir, Weltrichter, anſchickt!
über Armuth und Bettelei. 38:
Meine Brüber! Sch liefere heute die lezthin
angekuͤndigte Predigt. Sch rede für die eigents
lichen Armen unter und, für unfere blutarmen
Mitbuͤrger, welche ganz verlaſſen auf ihren
Jammerbetten liegen und ſchmachten, oder in
ihren Huͤtten aus Winkel in Winkel kriechen,
und an den erſten Nothwendigkeiten des Lebens
Mangel leiden. Ihre Zahl iſt groͤßer, als wir
denken. Ich habe in dieſer Woche Gelegenheit
gehabt, ihre Menge und ihren Zuſtand naͤher
kennen zu lernen. Schaudererregend wird mir,
fo lange ich lebe, das Andenken an gewiſſe Huͤt⸗
ten ſeyn, in die ich eingleng, an gewiſſe Fami⸗
lien, bie ich in ſelbigen antref, und an gewiſſe
Strohlager, neben denen ich fand — fland, wie: -
ein Zerknirſchter und Zerfchlagener — fland, mit
einem Vuſen, ber fid) eng zufammen zog, und
init einem Herzen, dad im zufammengezogenen.
Bufen mit Hammerfchlägen fhlug — ſtand,
wie hinfintend auf die Leidenden, und über ihr
ſchreckliches Elend fchier fprachlos, Hilf Gott,
wie tief find wir geſunken! wie tief find wir
geſunken! — — Ach, voller meine Ihränen
über dad Elend meines Vaterlandes, und über.
282 . Sintenis Predigten 2
den Verfall der Stadt, in der ih gebohren
warb, und die noch in der Stunde meiner Ges
durt eine der geſegneteſten, gewerbevolleften,
bluͤhendſten Städte Deutfchlandes war! Rollet,
meine Thraͤnen, rollet über den unfäglichen,
unzufchildernden Sammer fo vieler meiner ars
men leidvenden Mitbürger, die im Verborgenen
feufzen, und deren einige ſchon, aller menfchlis
chen Pflege und Wartung beraubt, verhungern
amd verfhmachten, und Keinen Wunſch, Fein
Gebet mehr. haben, ald — zu flerben und nicht
mehr zu ſeyn! ...
. „Aber warum wirfft du dich gerade
dazu auf, die Sache unjerer Armen zur
Seinigen zu machen ? „ |
Geſchieht diefe Frage wirklich an mic, oder
nicht? Sch thue wohl eine ganz unnöthige Ars
beit, wert ich fie beantworte. Sollte es mögs
lich ſeyn, daß es fo Falte, unempfindliche und
verſtimmte Seelen unter und gäbe, denen nicht
jeder Mann willlommen wäre, ber mit feiner
Waͤrme, die ihm bie Natur gab, und: wofür
> er fie ewig ſegnen wird, anbere Herzen um fich
ber noch mehr erwaͤrmen, fie im Guteöthun und
über Armuth und Bettelei. 383.
Mitleiden flärfen, und ihrem Mitleiden ſelbſt
eine edlere Richtung geben helfen will? — Doch,
die Menſchenkenntniß, welche ich mir fammelte,
fheint mir zuzurufen: antworte nur, antworte
ja ; du wirſt wirklich in dieſen Augenblicken
ſchon hie und da ſo gefragt. Wohlan denn, ſo
antworte ich |
Erſtlich: Das Elend unferer wahren Ars
men wird nun unansfprechlich groß. Hülfe man -
ihm ab, wäre ihm ſchon abgeholfen — o mohl
mir, role gern wollte ich ſchweigen, und meine
Kräfte heute nicht bis zum Exliegen anflrengen!
Aber fo feben und hören wir ed; viele erfahren
nichts davon, wollen nicht einmal etwas davon
wiſſen; einige unter denen, die es fehen und hoͤ⸗
zen, raunen einander wohl ind Ohr: Gott, wie
will dad noch werben ! was für ein Ende wird
bad nehmen ! und dieß iſt ed alles. Darüber
geht bad Elend ununterbrochen feinen Gang
fort, und führt bie und da ſchon an Abgründe.
Die Sache muß, fie muß nun unter und abges
macht werben. Jedem, ber Dazu beitreten will, .
reiche ich brüberlicy die Hand, umarme ihn mit
Umarmungen bes Himmels, und rufe ihm zus
384 Gintenis Predigten
„Willkommen, Lieber, Beßter! wir wollen ges
meinfchaftlich arbeiten an Erleichterung ber Zeis
den unferer Bruͤder, gemeinfchaftlich arbeiten
an Erträglichmachung ihrer legten Tage, gemeiu⸗
ſchaftlich arbeiten an ihrer Rettung vom Tode
aus Hunger und aus Mangel an Wartung und
Pflege. Wir wollen Bande fnäpfen, bie an
Schönheit und Würde alle andere übertreffen,
and deren Ungedeufen in ber Welt des Friedens
und noch befelige. „, Es koͤmmt ja wahrlich nicht
darauf an, wer der Mann fei, und wie er heiße,
der etwas Gutes bewirkt; bewirkt er ed nur, fo
laſſet ihn doch thun. ein Werk darf an bad
Licht kommen: denn ed ift in Gott gethan.
Zweitens : Es war gleich von Gründung
der chriſtlichen Kirche an ein Geſchaͤft der Geiſt⸗
lichen, daß fie ſich um die wahren Armen ihres
Orts befümmerten , fie fuchten, ihre Klagen
aufnahmen, fie Menfhenfreunden empfohlen,
und ihre Gemeinen zur thätigen Liebe‘ gegen fie
ermuntertem. Und da finde ich denn auch theils,
daß fich dieſes Geſchaͤft noch immer fehr gut mit
den übrigen Geſchaͤften eines Geiſtlichen verbin⸗
den laſſe, weil es genau mit ihnen verwandt iſt,
= und
über Armuth und Bettelei. 385
and dicht am fie grenzt; theils, Daß ich ald Pre⸗
diger auch Zeit genug habe ‚- ed zu betreiben.
Denn fürwahr, wenn ein Prediger weis
ter nichts thut, als daß er Sonntag für
Sonntag hintritt und predigt, und nes
benbei etwa einige Amtshandlungen
verrichtet , deren jede ihm noch: befons
ders bezahlt wird: ſo jage ich es frei
heraus, daß er zu denjenigen Dienern
im Staate gehöre... die zu hoch befoldet
werden, und zwifchen deren Einkuͤnf⸗
ten und Wirkſamkeit gar kein Eben⸗
maas iſt.
Drittens: So kan id denn nun nah mei⸗
nen in dieſer Woche gehaltenen Umgaͤngen durch
alle Straſſen unſerer Stadt und durch hundert
Huͤtten bed Elends, ohne Aumaſſung, Zubringe
lichkeit und Schein bed Stolzes behaupten, daß
ich einer von denenjenigen bin, die das
Blend unſers Orts wahrhaftig kennen.
Wie? und ich follte diefe Keuntniß in mid) vers
fließen, und nicht mittheilen ? Ich follte fie
befizen, und. wicht in Wirkſamkeit verwandeln? -
Weg mit jeber Kenutniß, die nicht thätig and
Patr. iD, IIl. Theil. 8%
386 Sintenis Predigten
muͤzlich wird!" Ich Fan, ich muß, ich will alſo
bei meinem Vorfaze beharren, und heute zufoͤr⸗
verſt eine Befchreibung von dem Elende vieler
unferer armen Mitbürger machen. Hernach
will ich die Quellen davon auſdecken, und zuleze
Linige Vorfchläge thun, demſelben entgegen zus
arbeiten. Habe ich je auf die Aufmerkfamfeie
tneiner Zuhoͤrer Rechnung gemacht: fo gefchiehe
es heute. Habe ich mie j je von der Guͤte ihres
Herzens viel verſprochen: fo thue ich ed heute.
. Wehlan denn, fo iſt mir weiter nichts übrig,
WS daß wir Gott gemeinſchaftlich am feinen
Beiſtand dazu anflehen, daß er und unfere ges
genwaͤrtige Unterhaltuig recht eindringend und
ewig unvergeßlich machen wolle. Schwebet um
mich her, ihr Wilder der Jammernden, bie ich
von aller Welt verlaffen fand, und bei deren
Anblick mein Gerz blutete, und umſchauert mich
mie Schauern der Menſchlichkeit und Bruder⸗
liebe, damit ich mit aller der Waͤrme rebe, wel⸗
‚de eure Sage ı von mir fordert‘!
Text: bie aemöhnfihe Sonntagbepifk
1. Petri 5.0. 6—L1.
/
über Armuth und Bettelei. 387
En EEE
Werfet eure Sorgen auf den zerrn,
denn er forget für euch — Herrliche Wors
te! Aber begnuͤget euch ja nicht daran, M. Br,
daß ihr fie euren auf das höchfle leidenden Mit⸗
bürgern zurnfet. ie find. wahrlich nicht bloß
dazu geichrieben, daß fie. die Elenden troͤſten,
fonbern daß fie. aucdy-Lie Zeugen: ihres Elendes
in menſchliche Thaͤtigkeit verfezen follen. Ja,
fie koͤnnen jened nicht thun, wenn ſie dieß nicht
erſt bewirkt haben. Wir ſehen ja nicht mehr,
daß in unſern Tagen außerordentliche Rettun⸗
gen ber Leidenden geſchehen. Hoft:ſendet jezt
keine Engel, um Menſchen zu helfen, weil Mens
ſchen genug da find, die dieſes Seſchaͤſt verrich⸗
‘ten koͤnnen. Die Leidenden werſer ihre Sorgen
auf den Herrn; dieß heißt nichts onders, als ſir
hoffen und. ſehnenſich darnach, Haß, Bois unter
ähren nicht leidenden Bruͤdern einige erwecken
werbe, bie ihr Elend erleiden. . Sollen fie in
dieſer ihrer Hofnung, in. dieſer ihrer Sehnſacht
getaͤnſcht werden ? Sollen nuſere aͤnßerſt elende
Mitbuͤrger: aufangen — nein, ich will ſagen,
fortfahren, fdpedlich zu klagen, Daß es um⸗
B
ba
88 : Gintenis Predigten
ſonſt fei, daß fie ihre Sorgen auf den Herrn
werfen, weil Menfchen,, denen Gott ed aufs
wägt, dieſe Sorgen über ſich zu. nehmen unb
abzumaden, ſie von ſich auf die Elenden zu⸗
ruckwerſen?....
Ach! wie bebt mein Herz vor ben erſten
Theile meiner Rede zuruͤck! Von Befchreibung,
Schilderung, Darſtellung, Sichtbarmachung
der Noth, des Elendes und bed Jammers, die
einige, viele von meinen aruen Mitbuͤrgern
| treffen! H
Schon lange Rand ich im Sallen ‚md ſah
den immer ſchwaͤcher werdenden Kräften nuſers
Staatskbrpers zu. Ich ſah, wie ein Glied
nach dem andernan ſelbigem gelaͤhmt ward, und
"wie Viele anferer guten Familien —. und wahres
Aich die wichreften davon ohne eigene Schuld —
immer tiefer ind tiefer fanden: Das fchien mie
Ddamals fehon-geoßes Ungluͤck nach Jahren zis
drohen. Die Gewerbe aller Arten wurden ums
ter und kaͤglich ſchwaͤcher. Da verlohren Hun⸗
derte ihre Nahrung, welche fie ſonſt durch Aus
wendung ihrer Kräfte und:durch Arbeit um Lohn
erworben hatten. Da mſe (HT EBIGT
“sn,
-
über Armuth und Bettelei. 389
thaͤtigkeit füch einſchraͤnken, und gerade zu einer
Zeit, in der ſich die Gegenſtaͤnde derſelben ver⸗
mehrten. Was Tan anders daraus erfolgen,
dachte ich, ald daß jene gute Familien, die jezt
ſhchon ſinken, einft in den Zuſtand verfezt wers
den, in welchen ihre Arbeiter find; und daß
diefe, da fie kaum eine Woche um bie anbere
Arbeit haben, erſt all ihr Eigenthum verfloffen
und verzehren, darüber alt werden, im Alter
betteln gehen , und wenn fie dieß im hoͤchſten
Alter nicht mehr thum Eönnen, aus Mangel au
Wartung und Lebensmitteln umkommen muͤſ⸗
ſen? — Traurige Ahndungen, ihr feib ſchon
am Rande eurer Erfüllung, und werdet ſchreck⸗
licher erfuͤllt werden, als je ein Patriot dachte,
wenn uns vollends die Natur verließ, uns kine
Mißernde gaͤbe, und Theurung des einfachſten,
unentbehrlichſten Nahrungsmittels, des taͤgli⸗
chen Brodes, bewirkte!
Ich will euch, meine Bruͤder, als ein Bie⸗
dermann, meine neuern und allerneueſten Er⸗
fahrungen über das Elend unferer Stadt mit⸗
theilen. Sch hoffe gewiß, daß fid ähnliche Ein⸗
druͤcke auf eure Herzen machen werben, wie fie
Dh 3
4
u \
390 : Sintenis Predigten
auf dad meinige machten. Die vor Gott wahre,
vielen unter und verborgene, von vielen zwar
gefannte, aber body unbeherzigte Lage unferer
Stadtarmen ift kuͤrzlich biefe: Es ift nun fo
weit in unferer Stadt gelommen, daß bereits
Menſchen, die Alters» Schwachheits und Krank⸗
beit halber nicht mehr vor unfern Thüren bets
teln koͤnnen, nichts mehr zu verkaufen, Keine
Verwandte and Freunde haben, die fie unters
flügen mögen, aus Mangel aller Pflege und
Wartung jümmerlich leiden, aus Mangel ber
Reinigung von Ungeziefern angefreffen werben,
und aus Mangel an Arzenei und — ach Gott,
ber Gerechte erbarmet ſich doch fonft auch fogar
feines Viehes — aus Mangel an Effen und
Trinken wirklich umlommen. - Sa, ja, dieß iſt
Wahrheit, fchaudervolle, Obrigkeit und Unsers
thanen bewegende, Wachende und Träumende
erſchuͤtternde Wahrheit. Sch muß fie freilich bes
weifen. Seit einem Vierteljahre etwa habe ich
befonderd das Elend in unferer Stadt mit
ſchnellen Schritten vorruͤcken gefehen. Eine Pers
fon aus dieſer Gemeine flarb wirklich aus Man⸗
gel menſchlicher Hülfe: Ich warb zu ſpaͤt zu
über Armuth und Bettelei. 39:
Ihr gerufen, und ber Arzt, ben ich. hernach ru⸗
fen ließ, kam alfo nody fpäter. Sie hatte ihre
entbehrliches Kopfkuͤſſen zur Herbeiſchaffung eis
niger Arzenei vor meiner Ankuuft nicht verflofs
ſen wollen, weil fie bieß gern, wie fie fagte,
ihrer Alteflen Tochter, da fie doch einmal flerben
mäße, hinterlaffen wollte. Sie war eine Diuts
ter von ſechs Kindern, und flarb unter Seufzen
über unfer Armenmefen. ine andere Perfon
and uns, die im böchflen Grade ſchlaglahm und
blutarm da lag, wollte ſich erhenken, und wuͤrde
ed gethan haben, hätte fie Kräfte genug bazu
gehabt. Sch muß gefiehen, daß an ihrem Jam⸗
merlager alle meine Gründe wider ben Selbſt—
mord ihre Kraft verlohren. Wo ſteht ed denn
befohlen, ſprach ſie, daß ich, wenn ich einmal
als eine von aller Welt verlaſſene ſterben muß;
einen Tod von drei Tagen aus Hunger leide,
da ich durch einen Zug am Strick von der Welt
tommen fan? Noch eine andere verlaffene Pers
fon genas von einer fehweren Krankheit durch
einige Arzneimittel, bie fie mit ihrem ganzen
Vermögen nicht bezahlen konnte. Noch eine
andere — alle aus unferer Gemeine — war dem
Bb 4
392 Gintenis Predigten
Tode ganz nabe, kam auf den Gebanfen, mid
zufen zu laffen, und iſt nun durch meine Fürs
fprache, durch die ich ihr Geld, Urzuei und
Pflege verfchafte, in Genefung, ifl eine Miuster
von vielen Kindern, hatte einen Säugling von
brei Wochen an der Bruſt, und ließ ihn in meiv
ner Gegenwart, mit Tobesängflen umgeben, bie
lezten Tropfen, war ed Milch ober Blur, Gott
weiß ed, ausfaugen.
Doc , was find biefe Erfahrungen gegen
bie allerneueften, welche id) in vergangener Wo⸗
che gemacht habe? Ich habe das Gluͤck genoffen,
Vertheiler einer Summe Geldes, welde mir
eine Geſellſchaft von Edeldenkenden in dieſer
Stadt einhaͤndigte, unter die hieſigen Nothleis
benden zu feyn *), Das Glück — fo wenn’
ich es; denn welche Freude, durch einen halben
Thaler ganze Familien anfbeitern zu Eönnen!
Welche Freude, mit einigen Grofchen. auf dem
einen menfchlichen Geficht Stroͤme von Jam⸗
*) Auf dem geſellſchaftlichen Theater der hieſigen
Nobleſſe ward eine Repraͤſentation zum Beßten der
Armen gegeben, und ber Ertrag davon war obige
Summe,
|
|
|
|
über Armuth und Bettelei. 393
merthränen zu srodnen, und auf dem andern
Ströme von Wonnethränen hervorzuloden !
Und bas war fremdes, mir nur anvertrautel
Geld, das ich austheilte. Ach ihr Begüterten,
ihr Reichen, was für Seligkeit müßet ihr, falls
ihr gefühlvolle Herzen habet,, empfinden, wenn
ihr ähnliche Summen aus eigenen Mitteln
oustheiler! Möchte ich euch auch ſogar das koͤr⸗
perliche Vergnügen ſchildern koͤnnen, welches ein
Menſch im Augenblid des Wohlthuns genießt!
da iſt Fein Nerve, der nicht mis fanfter Wohlluft
alsdenn gefchüttert würbe ! und doch iſt dieſe
Wohlluſt fo rein, fo unbefleckt. Denket ihr nun
vollends aldbenn den Gedanken hinzu — ich —
ich bin der Wohlthaͤter — ſo habet ihr das
hoͤchſte geiſtliche und das reineſte ſinnliche Ver⸗
guügen zugleich, und ſchoͤpfet mithin den vol⸗
Ieften unter allen Genäßen von Dafeyn und
Menſchſeyn. — Bei diefer Gelegenheit num
babe ich alle Gaſſen unferer Stadt durchwan⸗
dert, viele Haͤuſer, Hütten und Winkel der
Elenden durchfrochen. Gott, was habe ich
da alles geſehen! Weh mir, möchte ich fagen,
daß ich es that, und wohl mir, bad ich ed that!
by;
394 Gintenis Predigten
Weh mir — denn bad hätte ich nicht gebadyt,
daß das Elend unter uns fo unausſprechlich fei.
Sch habe mir immer flarte Begriffe von menfch»
lichen Leiden zu bilden gefucht, aber fo ſtarke
Begriffe von ihnen, von menfchlichen Leiden fu
anferer eigenen Stadt — wie hätte ich fie mir
bilden koͤnnen? Aber wohl mir auch, daß ich
es that; benn num kan ich barüber richtiger res
den, und, wie ich zu Gott hoffe, mit Segen
davon reden, j
Meine Brüder, meine ganze Redekunſt geht
nicht fo weit, euch dad alled zu fagen, was ich
gefehen habe. Wie viel elternlofe Waiſen ſah
ich, die, wenn ein Mienfchenfreund ihren Vers
pflegern eine Unterſtuͤzung für fie reicht, wenig⸗
ſtens auf einige Tage vor Mißhandlungen ders
felben ficher geflellt werben ! Wie viel Witts
wen, gleichalt und gleicharm, von guter Ab⸗
Zunft, einft in guten Umflänben, jezt burdys
Schickſal in ven Staub gefunfen, durch eble
Scham von aller Bettelei zuruͤckgehalten, von
ber Welt ſchon vergeffen, wie die Todten, und
in Thraͤnen ſchwimmend! Wie viel Kranke,
Verſchwollene, Gichtige, vom Schlage Gelaͤhmte,
|
über Arntirth und Wettölei. 395
ohne Arznei, Wartung und Nahrungsmittel !
Ich bin bei Menſchen geweſen, die auf faus
lem Stroh lagen, und nur täglich einmal ein
Kind aud dem Hanſe fahen, das ihnen frifch
Waſſer brachte. Ich habe Waſſer in Töpfen
gefunden , bad Elende tranken, welches eine
Haut hatte, mit allen Farben bed Regenbo⸗
gend bemablt, und älter ald acht und vierzig
Stunden feyn mußte. Sch habe eine Derfon
gefehen, alt wie dad lezte Jahrzehend aus dem
vorigen Jahrhundert, ohne alle Bedeckung,
ohne Bette und Stroh , ohne Geld und ohne
das allergeringfle Eigenthum — eine Krüde
audgenommen,. bie einfam in einem ſchwarzen
Winkel ihrer Kammer fland — in der Allge⸗
walt alles möglichen Ungeziefers, eins ber jäms
merlichflen Geſchoͤpfe auf Gottes ganzem Erd⸗
boden. Sie iſt nun ſchon todt; — ich hielt
ſie fuͤr ein Thier, als ich ſie ſah — ſo ſah ſie
aus — ſie iſt nun todt, und hat ausgelit⸗
ten. Noch hoͤrte und ſtammelte ſie, als ich
zu ihr kam. Geld wollte ſie nicht mehr; aber
noch ein Labſal wollte ſie. Sie bekams, und
ſtarb.....
396 Gintenis Predigten
Doch laſſet ench noch andy einige meiner Ses
ligkeiten erzäblen, die ich in dieſen Tagen genofr
fen babe. Wahrlich, ich rechne diefe Tage uns
ter die ſchrecklichſten, aber audy unter die fchöns
flen meines Lebens, Es kanfeyn, daß mein Merz
zu Empfindungen der Menſchlichkeit höher ges
ſtimmt iſt, als tanfend andere. Über laſſet mir
Diefen Vorzug. Wenn ic) Gutes durch ihn flife
te, wohl denn! Cr madyt mic oft Hölle, wo
andere keinen Schauer davon fühlen; aber er
keseitet mir auch oft Himmel, wo andere nur
Wuͤſte und Leere ſehen. — — Gott! melde
Thraͤnen bes Danks haben mich in den Hütten
der Elenden umfloſſen! Welche herzliche Haͤnde⸗
beüde habe ich von Wittwen und von Greifen
empfangen; won Greifen, beren lezte fierbende
Lebenskraft, wenn fie mir die Hand reichten,
ich mit der meinigen abwog! Wie haben ums
ſchuldige, verwaiſete Kinder fih an mich ges
ſchmiegt, und meine Füße umklammert ! Die
guten Kleinen! bie Abdruͤcke ber Güte ber.
menſchlichen Natur! Einige von ihnen habe ich -
auf meinen Urmen gehabt, um mich an ihren
offenen, trenberzigen und zufriedenen Blicken
über Armuth und Bettelet. 397
geweidet. Wie foreich fie fich fühlten, went
fie einige Groſchen in der Hand hatten — ſo
reich, wie noch nie, fo veich, ald wäre Die ganze
Welt ihre! Ach, koͤnnte ich euch euren Water _-
wiedergeben, dacht’ ich dann, und druͤckte ſie an
mein Herz, und blickte zu Gott, und ſeufzte —
du, du biſt es ja! Ich habe edle Anwendungen
der Wohlthaten, die ich vertheilte, auf der
Stelle geſehen. Ich habe geſehen, wie Rinder
dad Gelb, das ich ihnen gab, freiwillig in die
Hude ihrer Muͤtter trugen. Ich habe gefehen,
wie Muͤtter Handwerkölenten, die die nothduͤrf⸗
tigſten Kleidungoſtuͤcke für ihre Kinder verfers -
Sige. hatten, und in meiner Gegenwart hart deß⸗
halb mahnten, bezahlten. Sch habe gefehen, wie
arme Miethsleute ihre graufamen Wirthe wies
ber zufrieben flellten, bie fie and dem Haufe wer⸗
fen wollten, weil fie bie Miethe ihnen ſchulbig
waren. Ich babe gefohen, wie Wittwen ihre
anerzogenen Kinder mist dem empfangenen Gelbe
un Becker ſchickten, um ihre Brodſchulden zu
bezahlen, und neuen Kredit zu erhalten. ı ...
-D ſtellet euch in meine Lage. Nehmet an: mei⸗
nen, Frenden Theil. Da, da dachte ich an.bie
—
398 Sintenis Predigten
Reichen tieſer Welt, und pries ſie ſelig. Da,
da dachte ich an Gott, und rieft wahrlich, du
mußt der Allfeligfie feyn, denn im Grunde find
wir alle vor dir Hungrige, Durflige und Nas
ckende, und du fpeifeft, traͤnkeſt und kleideſt aus
alle. — „Aber auch manche ſchlechte Anwen⸗
dung wird von dem Gelde, das du austheilteſt,
gemacht werben. ,, Kan ſeyn! Beruhigung für
den Menſchen, wenn von ben Gaben, die er aus⸗
theile, hie und da -fchlechter Gebrauch gemacht
wird, da ſelbſt von Gottes Gaben fo oft der
allerfihlechtefle gemacht wird.
«. Aber woher diefer jammervolle Zufland eis
ned Theils unferer Mithäxger? Meine Brüber,
wer thut dieſe Frage niche$' wer Tau fie ſich aber
auch · nicht Besutworten % habe ich wohl noͤthig,
die Qeallen des beſchriebenen Elends erſt aufzu⸗
decken? Liegen fie nicht vor nuſer aller Augen
bloß? Doc, ich wuͤrde, wenn ich über biefen
Theill meiner Rebe binfehlüpfen wollte, mir den
WVerdacht der Menſcheuſchene zuziehen, dem ich,
ſo lange ich lebe, nicht auf mich kommen laſſen
werde. Alſo zur Sache.. Ich weiß, jeder Gut
denkende liebt mich dafuͤr; aund der Haß. der
v
‚über Armuth und Bettelei. 399
Schlechtdenkenden war von jeher dasjenige, was
mir nicht bie geriugfle Befümmerniß verurſach⸗
te! — Der langdauernde Krieg, welcher in dem
Fahren meiner erfien Sugend einen großen Theil
von Deutfchland verheerte, und auch unfer Bas
terlanb ausſaugte, legte den Grund zu unſerm
Verfall, Auf ihn folgte eine ſchreckliche Thens
zung. Auf die Theurung Sperrung des Ges
werbes aller Arten von Seiten unferer Nach⸗
barn. Da flanden viele unferer fleißigflen Ar⸗
heiter arbeitlos, zehrten fih auf, und kounten
für ihr Alter, oder wenn fie auch vor demſelben
ſtarben, doch für ihre Wittwen nichts beilegen.
Nun ſind dieſe, oder jene mit dieſen zugleich in
den durftigfien Umſtuͤnden. Ihre Verwandte
find größtentheils gleich arm, wie fie. Die Zahl
der Wohlthaͤter vermindert fi) auch unter und
in der Maſſe, in welcher bie Anzahl der wohls
habenden Familien unter uns abnimmt. — Das
| za koͤmmt denn die Öffentliche Betselei, welche
bei und recht auögelaffen betrieben wird. Jeder
gefunde Menſch, der auch noch Arbeit haben
koͤnnte, aber nicht mehr Luſt zu arbeiten fuͤhlt,
legt ſich, ſobald ex nur mit der Scham ed abge⸗
400 Gintenis- Predigten
macht hat, aufs Betten. Won diefen bat ea
denn freilic mancher beſſer, als viele unferer
arbeitfamflen Bürger, die ihm Ullmofen reichen.
Nun iſt in den mehreften unferer Käufer die
Einrichtung, daß Sonnabends, am allgemeinen
Betteltage, nicht allen Bettlern, die kommen,
„gegeben, fondern nur eine gemifft Summe aus⸗
getheilt wird. Iſt diefe erſchoͤpft: fo. kriegen
= alle, bie noch kommen, zur Antwort — es iſt
ausgetheilt. Da kommen deun natürlicher Weife
bie vafchen, gefunden Bettler, welche noch am
befien. laufen Tonnen, zuerfi, und nehmen den
Greiſen, den Schwachen, den Siechlingen, wels
che nachkriechen, das Brod weg, und dieſe gehen
ker and. Außerdem kommen auch die Woche -
hindurch noch zu viel fremde Bettler in unſere
Stadt. Sie reißen offenbar dad an ſich, was
unfere eigenen Armen nur haben falten, und
nerſplittern die Wohlthaͤtigkeit. Sie befezen fi
wohl bei und, und Eommen alddenn erſt in öfs
fensliche Bemerkung, wenn fie alt und krank
anf ihren Lagern eine Laſt des Staats werben.
Alsdaun iſt es freilich Pflicht gegen die Menſch⸗
heit, ſie zu hegen; fo wie eö B vorher Pflicht gegen
bie
/
über Armuth und Bettelei. 401
bie Mitbuͤrgerſchaſt war, fie nicht zu uns zu
laſſen. Sezet alödenn ben Fall, daß Leute unter .
and, bie ſich blos vom Betteln ernaͤhrt haben,
alt oder krank werden, und nicht mehr betteln
koͤnnen, was follen fie hun? Run ſchicken fie,
and laſſen für ſich Allmoſen holen. Aber wer
ſchickt der Betiler für ſich? Einen andern Bett⸗
ler. Dieſer bringt ihm nicht, was er em,
pfaͤngt, ſondern findet es fuͤr ſich ſelbſt brauch⸗
bar, ‘ober theilt ſich wenigſtens mit ihm. Nun
ſchmachtet der Elende in ſeiner Huͤtte. Wer
bringt ihm Unterhalt ins Haus? oder, wenn
dis auch auf einige Wochen geſchieht, wer bringt
ihm ſelbigen, wenn es noͤthig iſt, Jahre lang
ind Haus? — Da iſts denn auch ein Un⸗
gluͤck, daß wir bis auf dieſen Augenblick kein
Haus haben, welches auch nur der Schatten
eines Armenhauſes waͤre. Ich weis wenig⸗
ſtens, weun ich einen Ungluͤcklichen, der auf
einer unſerer Straſſen liegt, finde, im Fall,
daß ich ihn nicht in mein Haus mitnehme, kein
Haus, wohin ich ihn geradezu fuͤhren ſoll.
Hätten wir ein eingerichtetes Armenhaus: fo
würde die Zahl unſerer jezt herumgehenden Bett⸗
Patr. Archiv, III. Theil. Ce
5 402 Sintenis Predigten
ler auf die Hälfte alsbald zufammenfchmelzen;
denn jeber,, der nun noch arbeiten koͤnnte, würs
be wieder anfangen, in feinem eigenen Haufe
zu arbeiten, weil er fonfl in einem fremben uns
tee Aufſicht und Zwang arbeiten müfle. Ja
nicht einmal einen Fond haben wir, an den
man fich. halten kann, wenn irgendwo gröfle
Noth eintritt, der abgeholfen werden MUS.
Ich habe Gänge darnach gethan in bergleichen
. Fällen; da ich aber ein Feind von allen un⸗
nützen Gängen bin; fo werde ih mid
wohl hüten, fie roieber zu thun. Noch mehr
— ja nun kommt das Wichtigfle, das ic) fas
gen mind, weil mehr als hundert Arme mich
bei Gott und ihren Thraͤnen beſchworen haben,
es zu thun. either haben fich viele unferer
eigentlichen Urmen, bie wicht mehr arbeiten,
nicht mehr auögehen koͤnnen, und wohl gar auf
ihren Siechbetten jämmerlich barnieber liegen,
davon erhalten, daß fie auf gewiſſe Armen⸗
bücher, die ihnen gegeben waren, wöchentlich
oder monatlich eine beflimmte Summe Gelbes
| erhielten. Diefe befommen nun, wie fie mir
anser himmelanſteigenden Senfzern klagten, feit
J
|
über Armuth und Bettelei. 40 3
| vielen Dionathen fchon nichts mehr auf ihre Büs
her. Unterbefien haben fie alles verkauft und
verzehrt, was fie noch hatten. Wiele unter
ihnen haben kein Eigenthbum weiter, als das
Blut in ihren Adern, welches vielleicht auch
ſchon halb Eiter iſt. Was follen fie nun hun?
— Ah! mir beben alle meine Glieder. —
Es iſt nicht Sache für mih, den Zuſammen⸗
bang davon aufzufuchen, warum bie Zalung
auf diefe Armenbücher aufgehöret hat. Wer
ih bitte und flehe alle Diejenigen, Die dazu eis
gentlich wirken follten, ober auch nur mitwirs
ten koͤnnen, bei der göttlichen Barmherzigkeit,
oder auch bei ber Gerechtigkeit Gottes, — daß
fie diefelbe wieder in Gang. bringen; denn es
kommt bier auf menſchliches Leben an, und nicht
etwa auf ein einzelnes, ſoudern auf zehnfaches;
wicht anf zehnfaches, ſondern auf funfzigfaͤlti⸗
ges vielleicht. Und wenn ihre Kräfte dazu nicht
hinreichen, fo bitte und flehe ich fie, ſich Hoͤch⸗
ſten Orts dafür zu verwenden, und alles zu
thun, was bie Mienfchheit von ihnen heifcht,
um den fehredlichfien Todesarten vieler jaͤmmer⸗
liharmen Mitbewohner diefer Stadt zuvorzus
kommen. GCe 2
404 Sintenis Predigten
Ich muͤſte an Gott und Fürfehung zu zwei⸗
feln anfangen, wenn fie vergebliche Arbeit dar
mis thäten. Ach, meine Brüder, fehet mich
heute ganz als den Sachwalter der Verlaffenen
an, und verzeihet mir jeden Ausbruch, jede
Einfleidung meiner Empfindungen für fie, wie
mein Herz fie findet! Ich mus für fie reden.
Wohin gehe ih, um dis zu thun? Wo rede
ich für fie? Die Stätte, auf der ich reden darf,
ift diefe Kanzel. So foll es im Tode noch Troſt
fuͤr mich fein, nicht gefchwiegen zu haben, wenn
ich reden ſollte! — Wenn Jeſus Chriſtus
etwas recht wichtiges vorgetragen hatte, pfleg,
te er noch hinzuzuſezen: Wer Ohren hat zu hoͤ⸗
ven, der hoͤre! ...
"Sch babe mit Redlichkeit, bie bie erſte Eis
genſchaft des Geiſtlichen fenn foll, die Quellen
des hoͤchſten Jammers unſerer blutarmen Mit⸗
buͤrger angezeigt; laſſet mich noch einige Vor⸗
ſchlaͤge thun, bie Gewalt ihrer Ueberſtroͤmun⸗
gen wenigſtens zu hemmen und zu vermindern.
Sch vede jezt ald Mitbürger zu feinen Mitbürs
gern, und rufe ihnen zu: laſſet und num bie
Sache, wenn es einmal fo fein ſoll, fo gut
+
über Armuth und Bettelei. 408
wir Eönnen, unter und unter einander abma⸗
hen. Ich babe drei Vorfchläge: ber erſte
fol und muß heute noch ausgeführt werben;
ber zweite kann leicht andgeführt werben, wenn
meine Mitbürger nur wollen. Der dritte iſt
freilich der weitansfehendfle, aber boch aus⸗
fuͤhrbar.
Meine Bruͤder! Die außerſte Noth tritt
unter uns ein. Es verhungern ſchon Menſchen
nunter und, und kommen aud Mangel an Pfle⸗
ge um. Wir müffen Anſtalt machen, daß
dem Selbfimorde, dem Diebflahle,, und ben
ſchrecklichſten Todesarten unferer von aller Welt
verlaffenen Mitbürger vorgebengt werde. Dis
zu bewirken, maß von nun an immer Gelb
in den Händen eined ehrlichen Mannes ober
mehrerer ſeyn; wornach auf derStelle gegrifs
fen werben kaun, wenn ſchreckliche Noth irgend»
wo obwaltet. Denn dis iſt die Hauptfache,
daß alsdenn auf der: Stelle geholfen werbe,
Diefer Mann muß allgemein bekannt ſeyn. An
ihn muß fi jeder Jaͤmmerlichleidende felbft,
amd jeder Zeuge jämmerlicher Leiden fogleich
wenden koͤnnen. Ich breche jezt von bieſem
Ce 3
406 Gintenis Predigten.
Vorſchiage ab, weil ich hernach von anf
ihn zuruͤckkommen werbe.
Mein Zweiter Vorſchlag iſt der, haß wir
oͤſter ſolche Austheilungen am unfere wahren
Armen , wie in biefer Woche gefcheben, zu
Stande braͤchten. ie find von weſentlichem
Nutzen, und müflen immer zwedmäßiger aus⸗
‚fallen, je öfter fie gefchehen. Wir koͤnnten
fie leicht bewerkflelligen, wenn wir von nun
an mwenigfiens alle gefunde, junge und raſche
Bettler, und wenn fie auch ſtumm und. taub
wären, von unfern Thuͤren wieſen; denn Stumms
ſeyn und Taubſeyn hindert nicht an Arbeit. Das,
was dieſe ſeither unrechtmäßiger Weiſe ems
pfangen, koͤnnten wir von Zeit zu Zeit unſern
wahren Armen zufließen laſſen. Oder wem
wir dis nicht wollen: fo laſſet nnd wenigſtens
von nun an den fremden Bettlern, die die
ganze Woche hindurch nnfere Haͤuſer berennen,
nichts mehr reichen, und das, was fie ſonſt
raubten, unter unſere aufs hoͤchſte leidenden
Mitbuͤrger vertheilen. Wir haben warlich mit
dieſen genug zu thun, und muͤſſen den Kreis
unſerer Wohlthaͤtigkeit nicht eher erweitern,
über Armuth und Bettelei. 407
bis die naͤchſten Gegenſtaͤnde in ſelbigem verſorgt
find. Haben Wir die Stadtthore nicht in un⸗
ſerer Gewalt: ſo haben wir doch uͤber unſere
Hausthuͤren zu befehlen. Laſſet und dieſe
fuͤr die Stadtthore anſehen, und ſie allen frem⸗
den Bettlern verſchließen. Es iſt kaͤum zu
glauben, wie viel uns dieſe jaͤhrlich koſten.
Ja, es giebt ſogar Leute unter und, bie ſel⸗
bigen Liſten von allen Wohlhabenden unter und
reichen, damit fie fie in ber ganzen Stadt fins
ben Eönnen, Geld zufammen betteln und her4
nach einen Theil davon in ihren Haͤuſern vers
zehren. Diefen fage Ich es beute Öffentlich,
daß ich, ſobald bergleichen Fall eintritt, es
der Dbrigkeit anzeigen und fie um exemplari⸗
Ihe Beftrafung bitten werde.
Der dritte Vorfchlag wäre, daß wir der
ganzen öffentlichen Vettelei ein Ende machten.
Diefes würde am ficherfien gefchehen, wenn
die Wohlhabenflen unter und alle zuſammen⸗
träten, fich ein ewiges Gedächtnis ihres Nah⸗
mens flifteten , und eine öffentliche Armen⸗
and Arbeitsanſtalt einrichteten. - Ober, wenn
dis nicht geſchehen kann: ſo ſchluͤge ich vor,
ec g
4083 Sintenis Predigten
daß wir wach und nach alle unfere wahren Ars
men auffhrieben, am Ende den Ueberſchlag
machten, was fie zu ihrer Erhaltung brauch⸗
ten, und dieſe Summe monathlich zuſammen⸗
braͤchten. Da wuͤrden wir ſehen, daß wir
halb ſo viel Geld nur an die Armen auögäben,
old wir jejt vor den Thuͤren ausgeben. Mix
würden um einen wohlfeilen Preis we⸗
- fentlicheres Gutes ftiften.
Meine Brüder! ich bege heute vor Gott
ind allen Menfchen dad Zeugnis ab, daß die
Nation, in ber ich gebohren bin, eine weich⸗
müthige, duldſame, gutberzige, wohlthätige
Nation ſei. In unferer Stadt wird vielleicht
mehr Alwoſen gegeben, ald verhaͤltnißmaͤßig
‚an irgent einem Orte; .aber unfere Wohlthaͤe
tigkeit bot voch bie gehörige Richtung nicht.
Wir chun fehr viel Gutes, Leiften aber eben
darum, weil die Sache nicht zweckmaͤßig ein⸗
gerichtet wird, im Grunde ſehr wenig Gutes
damit.
Ich will mich gern zu allem hergeben, wo⸗
zu man glaubt, mid) brauchen zuföunen. Ich
verbürge mich dafuͤr, (ala wir die gauze oͤſfenta
über Armuth und Bettelei, 409.
liche Bettelei abſtellen wollten, alle wahre Ar⸗
me unſers Orts, die unſere Unterſtuͤtzung for⸗
dern koͤnnen, ausfindig zu machen. Ich ges
be mid) dazu hin, Austheilungen an biefe vom
ber Urt, wie die erfle in voriger Woche, gern
gu beforgen. Wenn denn aber dis alles nicht
geihehen kan; fo kehre ich zu meinem erffen
Vorfchlage zuruͤck, ‚and auf diefem beſtehe und
beharre ich als ein unbeweglicher Diann. Wir
muͤßen, wir mäßen Anſtalten treffen, da
kein Menſch aus Roth in unfre Haͤuſer einbres
de, Kein Menſch aus Mangel ſich ſelbſt ente
leibe; wir muͤßen Anſtalt treffen, daß keiner
unferer armen Mitbürger aus Mangel an alley
menfhlichen. Wartung und Pflege, an Are
mei, an Brod und Waller umkomme und
früher feinen Geiſt aufgebe, als die Ratur. es
will. Laſſet uns doch wenigſtens dem hoͤchſten
Grade des Elends unter und abhelfen! Ca
muß jemand ſeyn, wie ich vorhin fagte, in defs
ſen Händen jederzeit ein gewiſſor Vorrath am
baarem Gelde iſt, wornach auf der Stelke ge⸗
griffen werben kan, wenn groß Ungluͤck irgend.
‚m vei Meuſchen eintritt, die aller Huͤlſe bes .,
Cce5
410 Sintenis Predigten
raubt find. Wer willdiefer Mann feyn? Ich
will ed ſeyn. Und um euch die Möglichkeit
zu beweifen, daß eine ſolche Auſtalt für ganz
verlaffene Leidende zur Rettung auf der Stelle
errichtet werben koͤnne, fo erkläre ich hiermit,
daß dieſelbige Geſellſchaft von Edeldenkenden
in unſerer Stadt, welche in voriger Woche
durch mich Geld austheilen laſſen, mir die Er⸗
laubnis gegeben, fünf und dreißig Thaler davon
‚ In meinen Händen zu behalten, welche alfo
wirklich bereitd ber Anfang dazu find. Hier⸗
mit kann ich vor. der Hand ſchon viel thun.
ber ich erfuche nun alle wohlhabende Men⸗
fehenfreunde unſers Orts, mich dabei nicht zu
verlaffen. Ich babe noch nie betrogen, und
werbe nie betrügen. Mein gröfter Reichthum,
den ich aus Welt in Welt übernehmen will,
. fol feyn Bewuſtſeyn meiner Rechtſchaffenheit —
meine einzige Chrenftelle, deren ich mich ruͤh⸗
men will, Wohlgefälligfeyn der Gottheit durch
Menſcheuliebe. Ic) erbiete mich, jährlich ges
bruckte Mechenfchaft darüber. abzulegen, wie
ed nm meinen Fond ſtehe, und Einnahme,
Ausgabe und Vorrath gewiſſenſchaft beſtim⸗
über Armuth und Bettelet. 411
men. Ich erwarte, wie man diefen gemeinnuͤzigen
Vorſchlag aufnehmen wird. Und wenn in Geſell⸗
ſchaften auch nur Groſchenweiſe dazu geſammlet
wird: fo werde ich dankbar den dafuͤr umfaſſen, der
den Austrag davon an mich bringt. Werde ich
aber verlaſſen: ſo hoͤrt meine Unterſtuͤzung auf,
wenn die fuͤuf und dreißig Thaler erſchoͤpft And,
und es iſt mir alsdann nichts weiter uͤbrig, als
daß ich die Zaͤhne daruͤber feſt zuſammenbeiſſe,
daß mein menſchenfreundlicher Vorſchlag nicht
durchging, nicht vom Beſtande war. Meine
Bruͤder, bei euren Wuͤnſchen für das Wohl
euver Familien — bei dem Gegen Öottes, der
auf euren Hänfern ruhet — bei den Freuden
ber kuͤnftigen Welt, die nur durch das Ana
benfen guter auf Erden ausgeuͤbter Handluns
gen für und zum Himmel werden wird — bei
dem Keiden unferer blutarmen Mitbürger —
bei ihrem Yezten Röcheln im Tode — bei meis
nem Grabe und bei eurem Grabe — bei ber
Liebe Zefu Eprifli gegen und — — ich bitte,
flehe, ringe zu euch, laſſet mic) nicht ohne Uns
terffüzung dabei. Wir Einen uneuöfpreii
bed Gutes dadurch fliften - « »
r
412 Sintenis Predigten
Naun noch zwo Bemerkungen, welche id}
in dieſen Tagen auf meinen Wanderungen Durch
die Hütten der Elenden gemacht, und bie ich
ſchlechterdings nicht an mich halten darf, -
Erſtlich. Sch habe offenbar gefehen, daß
in unſerer Stadt bie fchredlihe Gewohnheit
einwiſſe, baß Kinder ihre armen, alten, ſchwa⸗
hen, kranken Eltern verlaffen, und verlans
gen, baß fie ihre Mitbürger und ber Staat
ernähren follen. Ich weiß ed vecht gut, daß
jede Familie mit ſich felöft zu thun habe, und
daß man das Sprichwort fehr zu benuzen ſu⸗
chen werbe, daß Eltern eher zehen Kinder,
als zehen Kinder ihre Eltern ernähren mögen.
Über wenn denn nun folche Kinder ihre El⸗
tern Noth leiden laſſen, welche fie doch wahrs
haftig unterflügen köͤnnten — da, da bebt mei⸗
ne ganze Seele! Wie? ihr thut doch hie und
da Gutes; find eure beduͤrftigen Eltern nicht
bie erſten Gegenflände eurer Wohlthätigkeit?
Ihr machet doch fo unnoͤthige Ausgaben —
unterſuchet nur eure Aufwaͤnde — und ihr wol⸗
let nicht etwa die Haͤlfte davon zum Beſten
derer einſchraͤnken, denen ihr alles zu danken
über Armuth und Bettelei. 413
habet? Kinder, die ihr fo unnatürlich handeln _
koͤnnet, laſſet mich erſt fanft mit end) reden.
Denket ihr denn nicht zuruͤck an die taufenbfas
den Ausgaben, Mühmaltungen, Sorgen,
Thraͤnen, die ihr in eurer Kindheit und Iugend
euren Eltern Eofletet? habet ihr es vergeflen,
wie fie alle ihre Bequemlichfeiten eurer Erhal⸗
tung uachfeßten, fich Lieber kuͤmmerlich behals
fen und in Zeiten der Theurung wohl den lez⸗
ten Biffen Brods mit end) theilten? Ach, wie
will es euch wohl geben koͤnnen auf Erden und
im Himmel, wenn ihr fo thut! Wie werden _
eure Kinder an Härte gegen euch einfl euch noch
übertreffen, da ihr fie Undankbarkeit gegen Ela
tern durch euer eigened Beiſpiel lehrer! Ruͤhrt
euch dieſe fanfte Rede nichts fo laſſet mich eis
un bärtern Ton anflimmen. Wifler, ihe
entartete Kinder ber Natur! in einer fernen
Weltgegend lebt ein wildes Wolf, welches feis
ve Eltern, wenn fie alt und zur Arbeit uns
fähig werden, auf einen zuſammengebanſeten
Holzſtoß trägt Ind verbrennt ... D fiele
end nicht, als ſchaudertet ihr vor dieſer Una
menſchlichkeit — ihr handelt weit ſchlimmer
414 Eintenis Predigten
noch. Was ifl granfamer, den Stundenmorb
. der Flamme an Dienfchen ausüben, ober den.
langen, Langen Mord durch Verhungernlaſſen,
Verſchmachtenlaſſen? . . Und jenes Volk,
welches tiefe abfchenliche Gewohnheit ausübt,
verleiht doch den Eltern dad Recht über Leben
und Tod ihrer Kinder in ber Jugend. Da
iſts, ald übte der Bruder an Vater oder Mut⸗
ter durch den Holzſtoß Rache dafür ans, daß
fie einem oder mehrere feiner Geſchwiſter in
ihrer Kindheit dad Genick einflieffen. Aber
wo haben unter euch Eltern dad Recht über Les
ben und Tod ihrer Kinder je gehabt? Und ihr
übet body jene heibnifche Rache an ihnen and,
die fie nicht verwirften? Ad, Entfezen! Ent⸗
ſezen! Kehret zuruͤck, kehret zuruͤck zu Em⸗
pfindungen der Menſchlichkeit, und befreiet
die Zuknuft eurer Tage vor Vorwuͤrfen der
Hoͤlle! O wie fo gern fpeifete und tränkge manı
cher Rechtfchaffene feinen Water oder feine Mut⸗
ter, und priefe fein Schickſal für Seligkeit,
benen wieder bei Tiſche zu dienen, die ihn ſo
Lange an ihrem Tiſche pflegen! Uber dis Heil
ſollte ihm nicht zu Theil werden; feine Eltern
über Armuth und Bettelet. 413
farben ehe er zu Brode Fam. Und ihr koͤn⸗
net Died Heil genieffen und floffet ed von euch ?
Zweitens. Ich bin:erfchroden, als mir
in dieſer Woche verfchledene Samilien, denen .
ich einiged Gelb reichte, zuriefen — nun mwols '
len wir auch am nächften Sonntage zum Tiſche
des Herrn geben. Ich ſtarrte fie an, und dach⸗
te — Gott, welde Verbindung von Ideen!
Warum nicht eher? fragte ih. Wir hats
ten Bein Beichtgeld — war die Antwort,
Ach! wie fühlte ich mich da in der traurigſten
Blöffe meines Standes! War es Wahrheit
ober Verflellung — es fei gewefen, was «8
wolle — genug, ein Geiſtlicher muß nichts
hören koͤnnen, dad ſeinen Muth mehr nieders
ſchlage, als fo etwad. Meine arme Mitbürs
ger, die ibr euch zu meinem Beichtſtuhle hals
tet, vergebet mir, wenn ich von einigen bon
euch feither noch Beichtgeld annahm. Ich Fans
te euch nicht alle, kenne euch noch nicht alle,
Über von nun au bitte ich ench, reiches mir
dergleichen nicht mehr; und weil ed allerlei Uns
bequemlichkeit mit ſich führt, es euch ba vor
allen andern, die dabei ſtehen, wieder zuruͤck⸗
416 Eintenis Predigten
zugeben: fo fei diefer Pankt eins für allemahl
unter und abgemacht, daß ihr mir andy bers
gleichen nicht einmahl mehr Hinleget. Ich
will euch allen das Übendmahl im Tempel und
in enren Wohnungen, too ihr ed fordert, uns
entgeldlich reichen.
Und fo flelle ich mich dein nun ſeierlich al als
den Mann hin, an den ſich von heute an je⸗
der hieſigen Orts, bei dem hoͤchſtes menſchli⸗
ches Elend eintritt, oder der Zeuge davon wird,
daß es irgendwo eintrefe, wenden Fan. Das
mit ich aber nicht misverſtanden werde und uns
nuͤzen Autritt habe: fo gebe ich folgende näher
. re Beflimmungen: Sclechterdings haben ſich
die öffentlichen Bettler aus meiner Kaffe kei⸗
nes Beitrages zu dem, was fie zufammen bets
teln, zu getröften. Wagen ſie es, mid) zu übers
laufen: fo gehen fie fo leer wieder. von mir,
als fie. zu mir kamen. Und) ſchicke man Feis
ne fremden Bettler etwa an mich, als an den
- Mann, ber allen giebt. uch Die fremden
Kolleftenfammler für Abgebrannte und Gefans
gene u. ſ. w. meife mir niemand zu; denn ich
fühle ed, daß meine Wirkſamkeit nicht eins
0: 0 mahl
über Armuth and Bettelei. 417
mahl fuͤr meine nothleidenden Mitbuͤrger hin⸗
reichend genug ſei. Wenn ihr aber ſehet, daß
irgend jemand, der aus unſerm Orte iſt, oder
doch einmahl hier lebet, in ſolch Elend geraͤth,
daß er ſich ſelbſt nicht helfen kan, keine Fami⸗
lie hat, die ihn unterſtuͤze, und Tod oder Ver⸗
derben, wenn nicht Menſchen zutreten, ber
Uusgang davon ſeyn muß, ſo rufet mich. Das!
hin gehören Leute, bie ſchlechterdings keinen
Unterhalt mehr haben, und in Gefahr find, °
hungers zu ſterben. Dabin gehören arme als
te, die ohne ale Wartung und Pflege find,
Dahin gehören Kranke, bie ohne Arzt, Ar⸗
zenei, Handreichung und Reinigung find. Das
bin gehören Menſchen, bie ein Glied ihres
Reibes zerbrochen haben, und nicht im Stan.
be find, ſich aus ihren Mitteln heilen zu laſſen,
Nur dem hoͤchſten Grade des menſchlichen
Elends kan ich vor der Hand vorzubeugen, abs
gubeljen ſuchen z damit nicht menſchliches Les
ben ferner aus Mangel am Beiſtande verſchuͤt⸗
tet, weggemworfen werde, Ich bitte alle Pres
biger, Aerzte, Wundaͤrzte, Wehmutter, Rraus
kenwaͤrter und alle. die, welche zu ſolchen Lei⸗
Patr. Archiv, ul. Theil. Mb
416 Eintenis Predigten
zugeben: fo fei diefer Pankt eins für allemahl
unter uns‘ abgemacht, daß ihr mir auch bers
gleichen nicht einmahl mehr hinleget. Ich
will euch allen das Abendmahl im Tempel und
in enren Wohnungen, vo ihr ed fordert, uns
entgeldlich reichen.
Und fo ſtelle ich mich denn nun feierlich ala
ben Mann bin, an ben fi) von heute an jes
ber hiefigen Orts, bei dem hoͤchſtes menſchli⸗
ches Elend eintritt, oder der Zeuge davon wird,
daß es irgendwo eintrefe, wenden Fan. Das
mit ich aber nicht miöverflanden werde und un
nuͤzen Antritt babe: fo gebe ich folgende nähes
. re Beflimmungen: Schlechterdings haben ſich
die öffentlihen Bettler aus meiner Kaffe kei⸗
nes Beitrages zu dem, was fie zufammen bets
teln, zu getröflen. Wagen fie es, mid) zu übers
Innfenz fo ‚gehen fie fo leer wieder. von mir,
ald fie. zu mir kamen. Auch ſchicke man Fels
ne fremden Bettler etwa an mich, als an den
- Mann, der allen giebt. Auch die fremden
Kollektenſammler für Abgebrannte und Gefans
gene u. ſ. w. weiſe mir niemand zu; denn id)
fühle er baß meine Wirkſamkeit nicht eine
mahl
über Armurh and Bettelei. 417
mahl fürmeine nothleidenden Mitbuͤrger hin⸗
reichend genug ſei. Wenn ihr aber ſehet, daß
irgend jemand, der aus unſerm Orte iſt, oder
doch einmahl hier lebet, in ſolch Elend geraͤth,
daß er ſich ſelbſt nicht helfen kan, keine Samis .
lie bas, bie ihn anterflüze, und Tod oder Vers
derben, wenn nicht Menſchen zutreten, der
Ausgang davon ſeyn muß, fo rufet mich. Das!
hin gehören Leute, bie ſchlechterdings Keinen
Unterhalt mehr haben, und in Gefahr find, °
hungers zu flerben. Dabin gehören arme als
te, die ohne alle Wartung und Pflege find,
Dahin gehören Kranke, bie ohne Arzt, Ar⸗
zenei, Handreichung und Reinigung find. Das
bin gehören Menſchen, die ein Glied ihres
Reibes zerbrochen haben, und nicht im Stans.
be find, ſich aus ihren Mitteln heilen zu laſſen,
Nur dem hoͤchſten Grade des menſchlichen
Elends kan ich vor ber Sand vorzubeugen, abs
zuhelſen ſuchenz damit nicht menfchlicyes Les
ben ferner aus Mangel am Beiſtande verſchuͤt⸗
tet, weggeworten werde. Sch bitte alle Pres
biger, Aerzte, Wundaͤrzte, Wehmutter, Rraus
konwaͤrter und alle. die, welche zu folden Lei⸗
Patr. Archiv, u. Theil. Dd
418 Gintenis- Predigten
denden gerufen werben, ober fie kennen, ſich
deshalb auf ber Stelle an mich zu wenden. Ich
‚behalte mir es aber vor, jeberzeis den Zuflaud
des empfohlenen Ungluͤcklichen — das Geld
in ber Taſche — erſt felbft zu unterfuhen.
Man rufe mic bei Tage ober bei Nacht; ich
komme. Aber did muß feyn,- ich muß erft
anterfuchen dürfen, nnd wenn mein befler
Freund, wenn ber angefehenfle Damm, wenn
feloft meine Worgefezten einen Elenden mir
empfehlen; denn begebe ich mich einmahl ver
Unterfuchung, fo würde fie mir zu einer ans
dern. Zeit. übel genommen werben; fo muͤſte
id) fie ganz unterlaffen, und fo wuͤrde ich oft
. betrogen und meine Kaffe von ſchlechten und
trägen Menſchen, an denen es nirgends fehlt,
bald erfchöpft werden. Vermehrt ſich der Fond,
baß ich mit der Zeit im Stande bin, auch eis
ne verlaffene Waife in meinen Wirkungskreis
aufzunehmen, für ihe Unterfommen, für ihre
Verforgung und Erziehung zu forgen, nnd fie
eine nuͤzliche Profeffion lernen zu laffen —
wie gern, wie fo von Herzen gern will ich das
"gu thätigfepn! Bin ich überhaupt im Stande,
-- — — — — —
über Armuth und Bettelei. 419
Ungluͤcklichen aller Art durch Rath und That
durch Fuͤrſprache nnd Fuͤrgang zu dienen: fo
verfichere ich hiermit Öffentlich meine Bereit⸗
willigkeit dazu. Ich will leben, fo Lange ich
Iebe, nicht nur für mich und für mein Haus,
fondern für fo viele Menfhen, ald ich kan,
Mein ganzes irrdiſches Dafeyn verftreiche un⸗
ger Ausuͤbungen des Wohlwollens und der Men⸗
ſchenliebe; damit ich, wenn mich mein Schoͤ⸗
pfer einſt in das beſſere Leben uͤberfuͤhrt, recht
vorbereitet und wuͤrdig in daſſelbe eingehen moͤ⸗
ge. O du Geiſt der Meunſchenliebe, Geiſt
Gottes und Jeſu Chriſti, erfuͤlle, belebe, er⸗
waͤrme mich immer mehr und mehr! Verlei⸗
he mir Thaͤtigkeit, Eifer, Unverdroſſenheit
und männliche ausdaurende Kraft, Ungluͤck⸗
Jichen meined Orts, wo ich fie finde, allent⸗
halben bie Hand zu bieten, meine leidenden
Brüder in ihnen zu erkennen, und ihr Elend -.
erträglicher zu machen. Laß mich in den Les
bangen bes Wohlshuns und der Uuterfiüzung
meine (hönfte Glüdjeligkeit und des Himmels
Vorſchmack finden. Liebe — himmlische, goͤtt⸗
liche Liebe, leite mich durch dad ganze Leben!
Dd 3 |
a" =
40 Eirntenis Predigten
Liebe — himmliſche, göttliche Liebe, walte
uͤber mir noch am Rande des Grabes! Liebe —
himmliſche goͤttliche Liebe, begleite meinen Geiſt
einft noch in die Wohnungen der Seligkeit,
‚and: werbe da an ben Strahlen ber Liebe Got⸗
tes und Jeſu Chriſti gegen und dergeflalt in
mir entzuͤndet, daß du in eine Glut
in mir ausbrecheſt, deren Flamme bie
Ewigkeit in allen ihren Tiefen nicht aus⸗
Löfchen möge!
Ihr aber meine Gutbenfenden and wohl⸗
habenden Mitbürger, - verfennet die Gemein⸗
muͤtzigkeit meinea Auſchlages nicht). und verlafs
fet mich nicht dabei, damit er nicht eben fo ſchnell
wieber zu Grunde gebe, ald er entſtand. Gott,
welch unausfprechliches Gutes Finnen wir durch
ihn fliftenz wenn wir machen, daß Fein Elens
der unter and von nun an mehr ohne Troſt
fei — kein Menſch in gröfler Noch anf Dieb⸗
ſtahl gerathe, ober ben ſchrecklichen Einfall gut
ſinde, ſich ſelbſt zu eutleiben — kein Menſch
‚unter und mehr aus Mangel an Wartung, Reis
nigung, Arzenei, oder gar an Brod und Wafs
ſer umkommen! Wie werben wir dafuͤr den Bei⸗
.
⁊
über Armuth und Bettelei. qax
fal Gottes und unfered eigenen Merzend und
den Segen aller Rechtſchaffenen nah und fern,
wen fie davon hören, empfangen! Wie wers
den die geretteten, getröfteten, gelabeten Elens
den ihr dankbares Herz für uns zu Gott aus⸗
ſchuͤtten! ! Wie werben fo manche Sterbende
noch mit Gebet fuͤr und in die Wohnungen des
Friedens ‚übergehen und ed da allen Seligen ers
zählen, was wir an ihnen auf Erden thaten
and wie viel wir ihnen im ihren legen Noͤthen
wurden!
Ach, meine Bruͤder! Laſſet mich eure Ser
ken recht in Bewegung ſezen. Wir leben bier
elle nur ein Feines, kurzes Daſeyn, — bie er⸗
fie Stunde von der Ewigkeit, zu der Gott
anfern Geiſt erſchuf. Wir alle kennen auch
nicht einmahl die Schickſale unferer und noch
bevorfichenden irrdiſchen Zukunft. Welch ein
Troſt wird es In unfern eigenen Leiden und
einft feyn, andern Leidenden geholfen zu haben!
Welch eine herrliche Vorbereisung anf das kom⸗
mende Leben wird ed geweſen fepn, wenn wit
and im gegenwärtigen in Zheilmehmung nnd
thäsiger Liobe geübt haben! Win nehmen einſt
Dd 3
——
422 Gintents Predigten
nicht mit hinüber unfere Reichthuͤmer, unfere
Ehrenfiellen und unfere übrigen aͤußerlichen
Vorzüge. Uniere Werke, nur unfere Werke
folgen und nad. Dis find die unverliehrbas
sen Schaͤze; die Schäze, welde die Motten
nicht freflen, der Roſt nicht zernagt und bie
Diebe nicht davon tragen können. — O wie
werben wir in ben fpäteflen Tagen unferd Les
bend und für die Mettungen noch ſegnen, bie
wir Elenden leifieten! Wie werben diefe Ans
erinnerungen und immer bie fanfteflen und füs
feften feyn! Wie werden fie uns noch troͤſten
in den bangen Stunden unferer eigenen lezten
Kämpfe! Da, ba werben und bie Bilder dies
fer Elenden umſchweben und und hinüber bes
gleiten in die Welt der Vollendeten. Mir
werben am Throne Jeſu Ehrifli diejenigen
wiederfinden, welche biefe Wilder trugen ; wers
ben fie wiederfinden erlöfet und befreiet, ohne
Leiden und Thraͤnen, von Gott begnadigt uud
erquickt, nicht mehr Gegenflände unferer Uns
terſtuͤzung, aber ewig Gegenſtaͤnde unferer Freus
de. Sie werden und entgegenfommen, ihre
Arme nach und audbreiten, und unfere Nahe
über Armuth und Bettelei. 423
men allen Seligen mit Entzuͤckung nennen.
Da werden wir einander noch feguen für die .
Eindruͤcke, welche biefer Tag auf und machte; ,
ihr mich, daß ich mit einer menfchenfreundlis
hen Anſtalt unter euch hervortrat, und ih
euch, daß ihr mir bei Ausführung derfelben
fo gutmuͤthig die Haͤnde botet. Gott fegne unb
begnadige euch alle dafür! er beanadige euch
nach jedem wieder gutgemachten Fehltritt mit
Vergebung, nad) jedem frommen Geber mit Era
hoͤrung — und in euren eigenen Leiden mit
Kraft und Muth: Er erbarme ſich meines
Vaterlandes wieder, und ber Stadt, in ber
ich gebohren ward ! Er vermehre wieder uns
ter und Nahrung und Gewerbe, verbinde une
fere Seelen immer mehr und mehr, und lafs
fe ed und an keinem wahren, unentbehrlichen
Gute bed Lebens gebredhen! Er trocdene bie
Thränen unferer Leidenden und gebe und eine
gefegnetere Erndte, als wir denken! —
(Eniend) Ach, Liebe, ewige, barmher⸗
zige Liebe! bier vor biefer Gemeine liege ich
vor dir mit bewegtem Herzen, und will dich
oft fo in meiner Einfamkeit darum „urufen,
Dd4
424 Sintenis Predigten
daß du meinen Mitbuͤrgern anädig feieft? All⸗
- mächtiger, du kanſt mehr thün, ala wir bieten
und verfichen; ad, oͤfne und Ausfichten beſſe⸗
zer Bufünfte, und führe fie und herbei! Son!
Son! Vater! Erbarmer! Begnadiger! hie
ve — hoͤre erhöre — erfuͤlle — mein
ganzes Merz drängt ſich nach bir bin — alle
seine Empfindungen werben in mir rege, er⸗
greifen, füttern, uͤberwaͤltigen mich — die
"Worte gebrechen mir — Boch du lieſeſt im Herzen
bed Dienfhen, wie ein Menſch nur in des andern
Augen lefon mag — ich blicke ſeſt nach bir bin —
ich ſuche dich, ich finde dich, ich Kaffe Dich nicht,
du ſegneſt mich deun. Ach, meine Kräfte ſind
erſchoͤpft — mein Geiſt finft unter des Gewalt
feiner Borfielungen und Empfindungen! Bas
fer, ein frommes Verfiummen vor dir if in
beinen Augen Fortſezung des Gebets. Ich fee
no dis — ich heilige dir ed — ich ſchweige ··.
über Armutbd und Bettelel. 425
ik
Ueber das Unheil, welches die öffenttiche
Ä Bettelei anrichtet.
Roh eine: air yon Siutenis
Meine Bruͤder!
GW die iſt jeder gute Vorſaz angenehme,
ſobald ihn der Menſch nur faßt. Uber du
willſt auch, daß unfere guten WVorfäze nicht
Kos Vorfäge bleiben, fondern fi in That vorm
wandeln follen. Die Stunde dazu iſt alsdenn
da, wenn win Kräfte genug, fie ind Werk
zu ſezen, fühlen, und- güuflige Umfkinde ger
nug dazu um und her erblicken.. Denn, denn
follen wis: mis allen: unfernr Kräften redlich
wirken, und Gegen dazu und Gedeihen vor
div erwarten. Gelingt und unſere Wirkſam⸗
keit x fo mögen wir hernach freudenvoll auf bie
vollbrachte gute: That zuruͤckſehen. Miskingk
fs une: fo. beruhige und der Gedanke, daß es
richt ſeyn ſollte. — Vater! da ſegneteſt mei⸗
25
426 Sintenis Predigten
ne erflern Bemühungen , welche ih für die
Armen biefer Stabt verwendete. Jezt thue
ich einen wichtigern Schritt für fie. Ach, leite
mich aud hierbei mit beiner allfeguenden Sna⸗
de) In beine Hände geb ich mein Werk. Iſt
ed von dir: fo wird ed mir gelingen. Und
gelingts mir: fo foll diefer kurze, juͤngſtver wi⸗
chene Zeitraum meined Lebens zu denjenigen
‚gehörigen, welcher ih mich in jener Welt am
liebſten erinnern will, Weberzeuge nur alle,
die mich heute hören, von ber Güte meiner
Sache; — doch davon muß fie ja ihre eigene
Vernunft und die Religion, zu der fie ſich bes
kennen, ſchon überzeugt haben; — wohlan
denn, fo überzenge fie auch von ber Redlichkeit
meiner Abſichten dabei, und gewähre mir den
ſuͤſſen Troſt, täglich von wenigern meiner eis
genen Mitbürger verfannt zu werben !
Freunde und Mitbürger! Ich bin nicht im
Stande, bie Empfindungen der Freude, des
Dante gegen Gott und der innigſten Zufries
denheit mit meinem Schickſal auszudruͤcken,
unter welchen ich jezt an meine: erſte Predige
zuruͤckdenke, die ich für die Armen anferer
t
über Armuth und Bettelei. 427
Stadt hielt. O wie hat ſie die Fuͤrſehung mit
ſo gluͤcklichem Erfolg geſegnet! Laſſet es mich
"en erzaͤhlen! Alle, denen darum zu thun
iſt, e8 zu wiffen, follen ed von mir erfahren 5 s
and fo feid ihr diejenigen, weldje das erfle Recht
baben, es zu hören,
Meine erfie Predigt, welche ich fuͤr die
Armen dieſer Stadt, und vielleicht fuͤr dieſe
Stadt ſelbſt hielt, enthielt drei Vorſchlaͤge.
Der erſte derſelben war, daß in meinen Haͤn⸗
den immer eine kleine Kaffe ſeyn möchte, aus
der ich jedem unter und, der in aͤuſerſter Noth
wäre, anf der Stelle helfen koͤnnte. Daß ich |
diefen Worfchlag durchſezen würde, wufle ih
mit Zuverlaͤſſigkeit; denn ich hatte, als ich ihn
that, ſchon eine Summe in Händen, die eine
gute Grundlage dazu war, und konnte mic
and auf die Werfprechungen einiger meiner
Freunde weiterhin verlaffen. Uber wohl mir }
Meine Mitbürger erkannten die Güte meiner
Anſtalt und unterflüzten, alles vielleicht nur
ja übereilten Gegenredens ungeachtet, mich red⸗
lich. Dadurch ift eö denn gefchehen, — o meis
ne Brüber, dad Ruͤhmen iſt ja nichts nuͤz, aber
428 | Sintenis Predigten
was ich jezt fagen werde, muß ich fehon derer⸗
wegen unter und fagen, die, weil ed ihnen ſelbſt
an nichts gebricht, nicht glanben wollen, was
fie doch täglich mit mir ſehen Eönnten, daß das
Elend in vielen unferer Hütten fo groß fi — —
Dadurch iſt es alfo geſchehen, daß nun wirds
Lich einer Perfon, die ohnedies hätte umkom⸗
men müffen, bad Leben gerettet ward. Sie
lag jämmerlich hülflos darnider und geht nun
fhon vor enren Uugen wieder umher. Eine
andere mufle zwar flerbens allein fie hat mie
in der Stunde vor ihrem Tode für bie Erleich⸗
ferungı.der lezten vier Wochen ihrer Leiden
Dank abgeflattet, ber Durch meine ganze Seele
drang, Sie bedarf nun unſerer Unterſtuͤzung
nicht mehr. Wohl ihr! Zehen andere, die
auf ihren Siechbetten liegen, erhalten durch
mic, Nahrungsmittel, Arzenei und Pflege,
und find verlaffen, wenn id} von ihnen bleibe
Dielen andern, die in befcheidener Werborgens
beit teiden, babe ich Huͤlfe leiſten Ebnnen. Und
wenn ich auch weiter nichts hätte bewirken fin
gen: fo wäre doch hierdurch (dom Gutes ges
‚Fifter gewefen In meinen Augen iſt menſch⸗
über Armuth und Bettelei. 429
liches Leben allenthalben, wo ich es finde,
menfchliches Leben 5 beim Nidrigſten, wie
beim Hoͤchſten, beim Aermſten, wie beim
Reichſten. Vielleicht‘ if dis nicht bie allgen
meine Denkart. Vielleicht ift in den Augen
mancher bad Leben ihrer Hausthiere mehr,
als daB Leben eines blutarmen ſchmachtenden
Mitbuͤrgers. Bei mir geht der Mienfch über
Pferd und Hund. Wie gluͤcklich ich mich durch
diefe Denkart fühle, kann ich nicht befchreiben 3
und inwiefern bad Andenken an jene Perfon, -
ber ich das Leben rettete, mir meinen eigenen
Tod erleichtern werbe, weis ich zwar noch
nicht, aber das weiß ich, daß es einfl meinen
nach Unſterblichkeit ſich fehnenden Geift in fets
nen legten Kämpfen in dem Glauben an ein
Tünftigeß Leben nuausſprechlich flärken werde.
Gott! Sort ! wie füs, wie zaubernd iſt die
Menfchenliebe! Jeſus Chriſtus, mein Kerr
und mein Meifter, befeflige mic, täglich mehr
durch deinen Tod in biefen Gefinnungep !
Doch, ich konnte mehr thun; ich kounte
auch meinen zweiten Vorſchlag durchſezen. Mei⸗
us wohlhabenden Mitbuͤrger festen mic) durch
430 Gintenis Predigten
ihre Freigebigleit dazu in den Stand. Am
erften Auguſt Eonnte ich eine Austheilung uns
ter fünfzig Handarme veranflalten, durch wel⸗
che fie wenigſtens freie Miethe erhielten. Mor⸗
gen, am erfien September, kan ich did wies
der, und Hoch beträchtlicher , hun, und ich
lade dazu jeden, ber feine Dürftigkeit bewei⸗
fen kann, ein. Auch dafür warmen Dank,
euch, meine Brüder ! befondern Dank auch
denen noch, welche bie einzelnen Groſchen von
mehrern ſammleten, und fie mir in Xhalern
aberbrachten! Sie nahmen Theil an meinen
Geſchaͤften und erleichterten fie mir.
„ Aber das‘ wäre mir nie in ben Sinn ges
“ Kommen, zu glauben, baß ich auch meinen lez⸗
ten Vorſchlag ausführen, und der Sffentlichen
Bettelei in unfrer Stadt einen Stos würbe
geben können. Dieſen babe ich ihre wirklich
beigebracht. - Geftern, meine Mitbürger, ha
be ich mehr als hundert Arme von euren
Thuͤren weggebalten. Sch lies fie zu mir kom⸗
men, und bot ihnen von Stund an, wenn fie
gutwillig zu betteln aufhören wuͤrden, taͤglich
einen Groſchen. Die mehreſten folgten mis
über Armuth und Beitelei. 431
gern; benu warum follte ein AUrmer nicht lies
ber nad) fieben Groſchen nur einen Gang thun,
als einen ganzen Tag lang nad) felbigen durch
die. ganze Stadt, und das oft in der rauheflen
MWirterung, umherlauſen? Und diejenigen;
welche ja anfangs ſich zu wiberfegen fchienen , |
gaben am Ende boch auch nad, als fie von
mir hörten, daß ich bie ganze Stadt bahin bes
wegen wollte, daß fie vor Feiner Thüre das ges
ringſte ferner erhielten. Woͤchentlich ſollen fie
ann, fo lange die Sache fo Kiegt, wie fie Liegt,
zu mir kommen, und ihr Geld von mir holen.
Iſt mancher von ihnen nicht im Stande, mit
dem, was ausgeſezt morben, zu reichen : fo iſt
ed allemal beffer, dem Armen hernach zuzules
gen, als ihn anfangs an viel zu gewöhnen und
ihm in der Folge abbrechen zu müflen. Has
bet ihr nun nicht die Ruhe gefegnet, welche ges
ſtern, als an dem gewöhnlichen Betteltage, auf
euren Gaſſen herrſchte? Habs ihe nicht den
Anſtand und die Würbe gefehen, welche unfere
Stabt dadurch empfing? Habt ihr nicht alle
in euren Häufern ungeflört eure Gefchäfte bes
treiben Binnen ? — daß ic) biefen Schrist shum
433 : Sintenis Predigten
dürfte, erwies ih mir fo: „Meine Mitbuͤr⸗
ger baben ſeither bie Bettley vor ihren Thuͤren
ernährt; es kann unmöglich ein Verbrechen
feyn, wenn ich jenen die Laſt abnehme, dieſen
aus einigen hundert Wegen nur einen mache,
und allen Aulauf auf meine einzige Hausthuͤre
leite.., Daß ich die aber thun konnte, darüber
geſtehe ich heute frei, daß ich dazu dar ans
ſehnliche Beiträge aus der Serne-in den
Stand gefezt ward. Meine Mitbürger wolle
te ich deshalb nicht auſprechen. Sch mwufle,
daß wir und iu einem ewigen Zirkel der Sa⸗
che wegen berumführten. Sie ſprachen: fo
bald die öffentliche Bettelei aufhört, wollen
wir genug geben; und ich erwieberte: fo bald
ihr genug gebet, kann die Öffentliche Bettelei
aufhoͤren. Mithin konnte auf dieſem Wege
nichts aus ber. Sache werden. Nun aber ey
pfieng id ‚von auſſenber eine betwächtliche
Summe Da war bie Stunde da, mein Vor⸗
haben ausführen zu koͤnnen. Ich ſchritt ſchnell
zur Sache, und ſie gelang mir.
Meine Mitbuͤrger! ich überzenge mich feſt
davon, daß ich euch dadurch einen Dienſt that,
| und
N
über Armuth und Bee 433
and rechne auf eure Zufelebenheit damit. Gibt
ed ja bie und da noch einige unter euch, welche
wider bie Sache find, fo rebe ich biefe alfo anz
Du, der du nicht ſowohl über dad, was geleis
ſtet iſt, als daruͤber misvergnuͤgt biſt, daß ich
es war, ber es leiſtete, ich bitte dich, kehre
dich doch an meinen Klahmen nicht. If
dir ein anderer Nahme lieber, ſieh, ic) habe.
nichts dagegen, mein bu biefen Namen an
meine Stirn ſchreibſt, und thuſt, als hieſſe ich
fo, oder ala hätte der, welcher dieſen Namen.
eigentlich trägt, bie Sache bewirkt. Du, ber:
da alles lieber immer beim Alten gelaflen has.
ben willſt, fei fo gefällig für das Publikum,
and denke bente mit mir darüber nach: ok:
es nicht beſſer fei, die Öffentliche Weitelei höre
auf, als daß fie. fortbaure. Vielleicht gelingt:
ed mir, did) zu Überzeugen, daß es Neuerums:
gen geben koͤnne, welche du auch billigen mufl, "
Du, der du ſprichſt —: die Sache hat keinen
Beſtand, — pruͤfe dich, was du eigentlich hier⸗
mir. fügen will !: Erſt ſprachſt du. Die:
Sache iſt niche möglich. Nun · ward ſie wiöge;
lich, un ſo ſprichſt du wieder — ſie wirh
Dart, Archiv, UL Theil, Ce
434 Sintenis Predigten
nicht beſtehen. Wenn fie nun beſtehen wird?
fo wirft du vielleicht ſprechen — fie iſt nicht
von ewwiger Dauer. Freilich, wenn wir alle
fpreihen wollen — fie beſteht nicht — fa kaun
fie nicht beſtehen. Wenn wir aber fagen —
fie ſoll beſtehen — und alle dahin arbeiten,
daß fie beſtehe: fo wird, fo muß fie den herr⸗
lishflen Fortgang haben, Und du, Mann mis.
zerbrochenem Schwerdt, der du aus mir ſehr
verſtaͤndlichen Gründen dich wider mich -unb
meine Sache ſtelleſt, ich bitte dich, ziehe we⸗
nigſtens nicht an deinem Schwerbdte, wenn ich
vor bir fiche. Ich zittre vor bir nicht zuruͤck,
denn. ich weiß einmal, daß dein Schwerdt ie
| weis iſt. — J
O Bruͤder, ich barf.ja gar nicht far meine
—* reben; fie redet ſelbſt lauter und durch⸗
deingonder für ſich, alt ich für ſie reder koͤnn⸗
te: Warlich, ed ſchmerzt midy DE und jenes
beute zu ſagen; nber:ich bin in der Lage, daß
ich eß ſagen muß. Ih weis von Jahren her,
daß mein Fuͤrſt der: oͤffeutlichen Wettelei ſeind
if, and daß ex fo Längft hat abgeſchaft viſ⸗
ſen wollen. -- Bon bieſem Serndlen ht ich
« * u,
% ’ »
*. PS 2
über Armuth und Vettelei. 35
beider Sache aus. Es iſt mic anch nie in den
Siun gekommen, irgend einer Obrigkeit das
darch im ihre Gerechtſame zu greifen; und
würbe mir dis auch nur hinter dem Rüden
nachgerebet — ‚Gott! welch ein Beifpiel ems
pfangenen Undaukls wäre ih! Meine theures
fen Misbürger, ich bin nicht allgegenwärtig,
Di, wo wiv.blefer: Worwurf ins Geſicht ge⸗
mache werben ſollie werde ich mich felbſt ver⸗
theidigen. Aber wi er mir hinter dem Ruͤ⸗
den gemacht · wird, ta bitte ich meine Freun⸗
de, und alle gute Menſchen, daß ſie fuͤr mich
soden. Es kann dem Mlanne, der Gutes im
Seöffen thun will; wicht gleichgültig feyn, wie
man ihn beurchrilb⸗ Genug, ich bezeuge heus
te vor einen der zahlreichſten Verfammlungen,;
daß mich am: wahrer Achtung für bie Obrig⸗
Ice niemand übertreffen ſolle. Sch weis, was
ih ihre ſchulbig Bin’: fo wie ich weis, was fig
dem Staate ſchuldig if: Der wahre Geſichts⸗
Punkt, aus dem 'ich zu betrachten. bin, iſt der:
daß ic) ihr Dorarbeite. Wen sis Haß
Ä eiroicden Tanz fo — habe ich weiter nichts,
heute wenigſtras weiter nichts, binzujufegen.
Era
Sintenis Vredigten
Ram aber, meine Brüder, koͤnnet ihr. Teiche
einfeben, daß ich, wenn ih auch im Stande _
bin, die Vettler auf eine Zeitlang von euren
Thuͤren wegzuhalten, dis doch nicht lange ſeyn
kaun, weyn ihr nicht hinzutretet. Ihr .habes
ſeither ſelbſt mit vieler Beſchwerlichkeit aus⸗
getheilt; ſolltet ihr nicht ohne alle Beſchwer⸗
lichkeit auch durch andere fortgeben wollen?
dieſes zu erfahren iſt nur. ein einziger Weg da,
vehmlich der Weg der-Subfäriysion; daß nehme
(id) jeder auffchreibe, wie viel er in Zukunft
monatlich gutwillig und mit Kortbauer zur Er⸗
Haltung der Armen ſteuern wolle. Dieſer Bars
ſchlag iſt wieder nicht Eingrif in die obrigkeite
Uiächen Gerechtſame, ſondern nur Vorarbeit.
Und um alle meine Mitbuͤrger dazu bereitwil⸗
Lg zu machen, will ich heute eine Prebigt
Ueber dns Unheil, weldyes die öffents-
halten. Vielleicht: bfue iche manche. Seite an
biefem. Gegenflande, welche noch nicht durch⸗
gängig genug beherzigt worden iſt. Und. wenn
nur denn dieſe Rede gelings : fo will ich mich,
für den. Geſundeſten, Rahßar und Sieden
Zu —
uͤbet Armuth und Bettelei. 437
ligſten unter euch allen halten. Du aber,
Gott und Vater meines Lebens, ſtaͤrke mich
dabei. Im deine Haͤnde befehle ich mein Werk.
Du wirft alles wohl machen. Ich handle nicht
ans mir felbfl. Ich warb durch Umftände in
die Sache gezogen. Ein: Umfland ſchuf den
andern. Bei keinem berfelben Eonnte ich mich
zueüch ziehen. Jezt bin id) fo verfettet, daß ich
von der Sache nicht ablaffen kann. Und fo
will ich nun andy verſuchen, alled zu leiſten,
was ich ald Prediger und ald Bürger biefeh
Staats zum Bellen meiner Vaterfladt leiſten
kann. Segne, Vater, ſegne mich! Iſts nicht
dein Wille: ſo werde mein ganzes Werk zer⸗
ſplittert! ...
Meine Bruͤder, die Barmherzigkeit iſt
eine unſerer erſten Pflichten. Unfer ſelbſt we⸗
gen muͤſſen wir fie ausüben, weil wir ihrer
vielleicht ſelbſt noch bebärfen koͤnnen. Unb
wäre dis auch nicht: fo find wir doch alle Glie⸗
der eines Leibes; und wenn ein Glied leidet: .
fo leiden die übrigen mit. Aber Gott will
nicht, daß wir und bie Ausübung irgend einer
Pipe ohne. Noth erſchweren follen. Leidet
Ä Ee 3
438 Sintenis Predigten |
nur bie Pflicht ſelbſt nicht Dabei: fo mögen
wir fie uns erleichtern; und gewinnet fie fos
gar dadurch: fo iſt und dis noch mehr erlaubt:
Das iſt offenbar der Sal in Unfehung unferer
Barmberzigfeitdansubung bei der. öffenslichen
Bettelei. Erinnert euch nur an die unnuͤzen
Laſten, welche fie feither für jeden von und mit
fih führte, der nur einigermaſſen wohlhabend
war, oder in einem Haufe. wohnte, von deſſen
Größe der Bettler fi etwas verſprach. Mas
für ein Aus und Ueberlauf von Leuten, ben
ihr zu dulden hattet ! Welch eine Störung in
enren Gefchäften und in eurer häuslichen Ruhe
dadurch! Wenn ihr dachtet, ihr wolltet arbeis
ten: fo Elopfte ein Bettler an eurer Thuͤr, und
ihr mußte alles ſtehen und Liegen laſſen, und |
aufmachen, oder doch wenigſtens nachſehen.
Gabet ihr nicht jedem Bettler: wie mishan⸗
beiten euch die oft in eurem eigenen Hauſe,
welche leer audgiengen? ober gabet ihre auch als
Ien-und gabet dem unverfhämten Bettler nicht
genug: welche Grobheiten fagte er euch ba?
Ja, waret ihr wohl mit eurem Eigenthum is
euren Däufern fiher ? Wie oft eutſtand Klage
h
r
Mus
w
über Armuth und Bettelel. 439
daruͤber, daß ein Bettler, welcher ſich herbei⸗
geſchlichen, ſtatt eine Gabe zu erwarten, ge⸗
vommen hatte, und zum Dieb gegen euch ges
worden war? . . . Und benfet an bie fonflis
gen Sonuabende, ald an die öffentlichen Bet⸗
teltage. Muſtet ihr da nicht den ganzen Mor⸗
gen über bereit fliehen, und den Bettlern aufs
warten 2 Oder, wenn ihr dis nicht felbft wolls |
tet, mußtet ihr nicht einen Menſchen darauf
halten, der bis that? ... Nun haltet ben
geftrigen Sonnabend dagegen. Welche Ruhe
in euren Käufern! Welche Ruhe vor euren
Thuͤren! Moͤchtet ihr nicht gern alle eure
kuͤnftigen Sonnabende fo ruhig zubringen, als
ben geſtrigen? O werfet die unnüze Lafl der
Barmberzigkeit von euch, ohne bie Barmher⸗
zigkeit felbft fahren zu laſſen! Wir dürfen dis
thun. Sobald wir nur geben, baffelbe geben,
Tonnen wir es auch geben felbft, ober durch
einen andern. Wozu foll ed dienen, daß wir.
und buch die Barmherzigkeit in unfern Ges
ſchaͤften ſtoͤren laffen, wenn wir fie gleich gut,
unb noch beſſer, wie ich hernady zeigen werde, _
andüben, und doch dabei arbeiten koͤnnen?
Ce 4
t⁊
440 Sintenis Predigten
Doc dis iſt vielleicht nur dad unbedentend⸗
ſte unter dem Unweſen, welches bie oͤffentliche
Bettelei anrichtet, daß ſie uns ohne Noth be⸗
laͤſtigt. — O meine Bruͤder, welch einen Ue⸗
belſtand empfängt eine Stadt dadurch, welche
fi) ſonſt vor ihren Nachbarn nicht ſchaͤmen
darf! Wie laͤſſet «8 denn wohl, wenn unfere
Blinden, Lahmen, Rrüppel, Siechlinge, faunz _
Wiedergenefene und abgemergelte Greife Haus
fenweife durch unfere Saffen herumkriechen uud
berumbinten? Könnte e8 nicht laſſen, als haͤt⸗
ten wir nicht Menſchlichkeit genug, fuͤr fie
eher zu forgen, als bis fie und in unfern Häus
fern anlaufen ? Wie laͤſſet es denn wohl, wenn
ſich mitten unter dieſe viel kraftvolle, gefunbe,
junge Muͤſſiggaͤnger einmifchen, welche alle noch
von ihrer Hände Arbeit fich nähren Einnten !
. .. Und geſezt, wir hätten: und an dieſen
Unblid gewöhnt, weil wir ihn an jedem Sons
mabend hatten, was mag der Fremde denken,
der aus einem Orte zu uns kommt, wo der⸗
gleichen Unweſen lange ſchon nicht mehr iſt?
Kann er nicht denken, daß wir unfere Armen
verhungern Laflen? Kann er nicht denken, daß
über Armuth und Bettelei. 445
wir Wohlgefallen am öffentlichen Muͤſſiggan⸗
ge haben! O meine Brüder, wer fein Vater»
land liebt, und die Stabt in ber er gebohren
ift, ober lebt, wuͤnſcht biefen Uebelſtand weg»
geräumt zn ſehen. Wer fein Vaterland liebt, _
nud bie. Stadt, in ber er gebohren ift ober
lebt, arbeitet entweder an Wegräumnng dieſes
Uebelſtandes mit, oder behindert doch den nicht,
ber daran arbeiten will. Und dis nicht bes
hindern ift gerade das Wenigfte, was
er dabei leiften kann, und deshalb auch
leiften muß.
Weiter, meine Brüder Alsdenn iſt ein
Körper krank, wenn einige Theile deffelben
nicht mehr ihre gehörigen Verrichtungen thum.
Und je mehr diefer Theile werben, welche nicht
mehr mitwirken, deſto kraͤnker iſt ex. Je meh⸗
rere feiner Bürger und Glieder lad und träge
werden, deſto gebrechlicher wird er. D vers
abſcheuet mit mir in dieſen Augenblicken die
Öffentliche Bettelei von ganzem Herzen! Nichts
verſcheucht den Geifl der Arbeitſainkeit mehr,
ald wenn jeder betteln kaun, mer will, Da
giebea deun ſchlechee Seelen in den niedrigen |
Ees
a2 . Sintenis Predigten
Ständen genug, die ben Spruch — bettle
und faulenze — weit fhriftmäßiger finden,
ald den, — bete und arbeite. Bon Kinds
beit auf an das feinere Ehrgefähl nicht ge
woͤhnt, überwinden fie auch bald die noch ubris
ge gröbere Scham, und nehmen den Bettel⸗
ſtab ungefchent in die Hand. Jeder fpriche
nun: Ich Habe Feine Arbeit. Cs kann
ſeyn; ed kaum auch uiche ſeyn. Ich bitte euch,
meine Freunde, nennet nicht jeben, den ihr ges
‚ Thäftlos herumgehen fehet, einen. Muͤſſiggaͤn⸗
ger. Wenn ihr unter zehen, die ihr fo nen⸗
net, auch nür einem einzigen, ber nad) Ars
beit umbergehet, dadurch Unrecht thätet:.
wie zerreiſſet ihr ihm fein Herz! Erſt muͤſſen
wir irgendwo Arbeit oͤffentlich hinlegen ; und
wer alsdenn nicht zugreift, nicht arbeiten will:
der erſt verbient den Nahmen eines Muͤſfſig⸗
gaͤngers. Wird aber ber öffentlichen Bettelei
ein Ende gemacht; wird jeder, der nicht mehr
arbeiten kann, durch beſtimmte Allmoſen, und
wer noch arbeiten kann, nur durch Arbeit er⸗
naͤhrt: ſo kehrt der Geiſt der Thaͤtigkeit in
bie niedrigern Staͤnde, und mit ihm Gegen
uͤber Armuth und Bettelei. 443
zugleich auf den ganzen Staat zuruͤck. Da
hat das Volk wieder zu thun, und ſinnet nicht
muͤßig auf allerlei Thorheiten. Da lernt es
wieber wirthſchaften, und zu Mathe halten,
weil es im Schweiße feines Angeſichts fein
Brod eſſen muß. Kurz, ed ift Pfliht, daß
jeder fo lang arbeite, als er arbeiten kann.
Wie follen die arbeitfamen Bürger eines Staats
dazu verbunden feyn können, für die faulen
mitzuarbeiten und fie zn ernähren?.. .. Wir
haben manches Probuft unſers Vaterlandes,
das mir roh ausfahren und unſere Nachbarn
verarbeiten laſſen, und verarbeitet ihnen wieder
abkaufen. Koͤnnten wir nicht den Gewinn der
Verarbeitung auch genießen und unſere Armen
damit befchiftigen ? Geiſt der Vaterlandsliebe,
waͤhe nnd nur recht allgewaltig an, fo iſt dies
fen Unheil bald abgeholfen! |
Nun kommt ein hoͤchſtwichtiger Umſtand,
meine Bruͤder. Wahre Unſittlichkeit im hoͤch⸗
ſten Grade, und alles das, was man luͤderli⸗
ches, zuͤgelloſes Leben nennt, wird offenbar
durch die Öffentliche Bettelei befördert. Wo
dad Wolf gut gemacht werben ſoll: da ifld die
N
44. Gintenis Predigten
erfle Regel, welche bie Weisheit giebt —
fchaffer das Betteln ab. Ich verbamme
anfere Armen nicht. Uber man fehe fie nur
an, wenn fie ſich, falls irgendwo eine folenne
Austheilung ifl, verfammeln. Was für Un
> Tag fie dabei vor der ganzen Stgadt treiben!
Man fehe fie an den gewöhnlichen Bettelta⸗
gen und in ihrem ganzen Wandel an. Pri⸗
vilegiren wir fie nicht gleichfam zur Deuchelei?
Muͤſſen ſie fih, um unferer VBarmherzigkeit
zecht gewiß zu feyn, ‚nicht krank, lahm, ges
brechlich, taub und ſtumm flellen ? Sind nicht
Fluͤche oft bie ihnen bekannteſten Wörter, wenn
fie nichts erhalten ? Verpraſſen fie nicht am
Abend oft an den Tüberlichflen Drten dad,
was fie den ganzen Tag über. erbestelten, dar⸗
am, weil es ihnen nicht faner warb ? Ergeben
fie fig nicht oft ben ſchaͤndlichſten Wollauͤſten |
unter einander, und hinserlaffen hernach eine
Dienge von Kindern, welche dem Staate zur
Laſt fallen? Und — wie nahe grenzt ber fans
Le, unverfchämte Wettler an den Dieb? hat
- ee mehr wohl noch, als einen Schritt" zu than,
um bis zu werden ? — — Wie? ſtiftet bie
über Armutd und Vettelei. 445
die Öffentliche Bertelei nicht Unheil — nicht
mansfprechliches Unheil? |
Asch bitte ic in Erwägung zu ziehen, daß
durch die oͤffentliche Bettelei natuͤrlicher Weiſe
die allerunrichtigſte, zweckloſeſte Vertheilung
unſerer Almaſed bewirkt werden muß. Hier
frage ich jeden; der feilher. den Vettlern vor
feiner Thuͤre gab: — giebft Su allen,ober
nicht allen?. — Gibſt du allens was thuſt
‚du damit ?. So giebſt du offenbar. auch übera
and gefuniben. und zugleich überaus fchlechten
Menſchen, :und beſtaͤrkſt fie dadurch in ihren
Faulheit. So thut Gott nice. Wer noch
arbeiten kann und eſſen will, ber nm: arbei⸗
sen, oder Cost laͤſſet ibn hier zu Lande ver⸗
hungern. Du wieſt mod; nicht geſehen haben,
daß zubereitete Speiſen oder Geld vom Hims
wel fallen, Giebſt du aber nicht allen: wen -
giebſt du unser ihnen ? dem Exfien, dem Bes
fen? — O bie wahren Elenden, bie nachges
ſchlichen und mithin zu ſpaͤt kommen, wie bes
daure ich fie! Wie muͤſſen fie den raſchen Bett⸗
ker, dee ihnen vorlief und die nur ihnen zus
Iommenbe Gabe ihnen aus der Hand wand.
446 .. Sintenis Predigten
für ihren Räuber :anfehen ! ‚Ober trifft ba aus
ter ben Gegenſtaͤnden beiner. Barmherzigkeit
eine Wahl nach Gründen? . Und woher aimmfl
bu in dieſem Fall deine Gruͤnde? Vom zer-
lappten Klitel etwa? von Thraͤnen, vom
Krummgehen?. Glaube mir, ‚jeber Bettler
legt am Sonnabend fo einen zerlappten Kits
tel an.’ Glaube mir, ber geradefle Muͤſſiggaͤn⸗
ger ſtollt fich kramm, iwenn er an dein Hana
kommt, kriecht, wenn er beine Gabe empfans
gen bat, um bie Ecke, ſtellt fich: wieder auf⸗
recht, uud: ſpottet deiner Leichtglaͤnbigkeit. Wird
aber das Bettelu aufgeholen und das Armeus
weſen in Drbnang'gebracit:: fo empfängt un
der, welcher es verdient, und jeder empfaͤngt
nur in der Maße, in welcher er verdient.
Act und tie geht es bei ber oͤffentlichen
Bettelei dem Armen, weiche nicht mehr betteln
Bönnen, ſoudern anf Ihren Siechbetten liegen?
Woarlich, das ifl.ein ſchreckliches Unheil, wel⸗
Geb die Bottelei ſtiftet, daß uͤber fie der aller⸗
elendeſten Menſchen, die ſie nicht mehr betrei⸗
ben koͤmnen, ganz vergeſſen wird. Man hat
mit den Veitlern vor ben, Thuͤren genug zu
über Armuth und Bettelei, 47
ihnn. Man vermißt die nicht gleich, welche .
nicht mehr Tommen können 5; und e
man ſich endlich an fis, ind. fragt nach ihnene
fo find fie gemeiniglich Kchon "begraben. .Dien |
fer Umſtand war die wirkendſte Triebfeber zu
meiner exfien Armenpredigt, und jo oft ich
an ihn deuke, fhanders mir. die Haus. Iſt
aber ‚eine öffentliche Armotanſtalt de, fo ſind
diefe Nothleidendſten nicht. nur vergeffen, fone
dern fte: find auch hiejenigen, auf welche das
erfte, Augenmerk gerichtet: wird. |
IH öfne eine nene Seite ber Sprache.
Sprecht, meine Brüder, iſt nicht der Gebane
ke, — wenn ich nichts mehr habe, fo ergreife
ich den Bettelſtab — bie lezte Stuͤze allec
ſchlechten Hauswirthe und Verſchwender in
den nidzigern Staͤnden? O glaubt ja nicht,
daß es :diefen Menſchen ſchwer werde - ber.
Bettelei fich zu ergeben... Wer erſt all: das⸗
Seinige: durchgebracht und aubere Leute fehom
häufig betrogen hat, nimmt gaukelnd den Beta
telfiekten in die Hand, und wandert au ihm
fort. . Sobald aber der Inderlihe Wirth und
der Verſchwender fehen, daß ſie, warn fie ganz
48 Sintenls Predigten
und gar verarmt ſind, zur Arbeit gezwungen
werden: fo arbeiten fie früher lieber, halten
das Shrige zu. Rashe ‚und bleiben in beſſern
Umſtaͤnden.0
.. Und wie kommen wir denu, bie wir freis
gebiger und milbehätiger find, dazu, daß mir
die Almofen allein hergeben fallen‘? Sollen
dena unfere Unbehäkflichen und Geizigen nis
and) dazu beitragen ?: In ber That, biefen iſt
gie öffentliche. Bettelei eine recht erwuͤuſchte
Sache. Sie riegeln ihre Hausthuͤren zu, weis
ſen den Bettler ab, ober ſchicken ihn gar ihren
meunſchlicherdenkenden Nachbarn zu, Iſt aber
eine eingerichtete Armenauſtalt das fo erfährt
die ganze Stadt, wer giebt und ‚nicht. giebt.
Da muß denn ber Geigige Schande wegen aud)
awas hergeben. Und ob er bis. gern thut,
"ober wicht, bavan liegt. nichts; wenn wir nur
von ihm erhalten. Man will fagen, daß au
manchen Orten Ion die Einrichtung: bed Ars
menweſens dadurch Hinderniſſe erhalten habe,
daß die Harten und Geizigen aus Furcht, daß
ie nun auch Staudes uud Vermoͤgens wegen
L Thaler — . was fage ich, wie follten
ſich
über Armuth umd Bettelei. 449
ſich ſolche Menſchen fü vergeben — nein, nur
‚ einen‘. halben Gulden monatlich beitragen muͤ⸗
ſten, dagegen geweſen waͤren. Sollte dis der
Fall hier auch ſeyn, fa wuͤnſche ih, daß Gore:
meine Predigt mit Herzklopfen ſegnen wolle,
Das ich in dieſem Augenblick. bereite,
Bo ifl auch irgend ein Unweſen, das nicht
ber wahren Religion Nachtheil bringe? Ganz. -
befonderd paßt dis auch anf die oͤffentliche Bet⸗
telei. Beim Geber und beim Nehmer verlichrt
da das Chriſtenthum. Diefes befiehlt uns,
daß wir Barmherzigkeit mit Luft ausüben
follen. Iſt es aber nicht der Fall bei der Beta
Kelei, daß wir nur darum geben, weil man
uns an, und nachfchreiet? Das Chriſten⸗
shum empfiehlt die Wohlthätigkeis im Stillen.
Müffen wir fie aber. nicht in diefem Fall auf.
freier Straße ausüben? Und in Unfehung bed
Nehwers bei der Öffentlichen Bettelei if der.
Misbrauch der Nefigion noch größer, Chri⸗
ſten, was ſoll uns heiliger und ehrwuͤrdiger
ſeyn, als dad Gebet? Wenn ich von Feiner öfs -
fentlichen Bettelei jemals gehört hätte, und
aan an einen Ort kaͤme, wo fie uͤblich wäre:
Patr. Archiv,III. Toeih Sf
450 @intenis Predigten
fo würde ich mir vorſtellen, daß die Bettler,
wenn fie vor meine Thür kämen, etwa, um:
mich zur Barmherzigkeit zu bewegen, ihr Ges
brechen anfzeigen ober mit einigen Worten fas.
gen würden: ich bitte um eine Gabe. ber
was thaten feither unfere Bettler? Sie miss
brauchten das Geber dazu. Ja, ſchaͤndlicher,
empoͤrender Misbrauch war es, den fie grös
flentheils damit trieben. Sie beteten unſchick⸗
liche Gebete; Gebete, an deren jedem Worte,
wenn fie ed andfprachen, man hörte, daß fie
eö:nicht verfianden, und nur leichtfinnig hins
plapperten. Wie kann man auch erwarten,
daß ein Menſch ein und baflelbe Gebet an eis
nem und demfelben Morgen vor hundert Thüs
zen hintereinander andächtig beten werde? Sch
weiß auch warlich nicht, wie mie wird, wenn
ich daran denfe, daß ein Menſch für einen
Pfennig feine Zunge gleich zu Abplapperung
eines Gebets in Thaͤtigkeit fezen koͤnne. Und
habt ihr viele unferer Bettler wohl je bei ih -
rem Beten recht beobachtet ? Ich that es oft,
und da warb mir, ald hörte ich in ber Hölle:
beten. Sie kamen an die Thür gelaufen, und .
über Armnih und Betilel. sr
beteten ſchnell, daß ſich bie Thür aufthun ſoll⸗
te. Die Thuͤr blieb verſchloſſen. Sie brumm⸗
ten uud beteten ſchnell noch eiuntal. Die Thuͤr
oͤfnete ſich noch nicht. Sie ſchimpſten, und
beteten zum. drittenmale. Sie empfiengen nicht
genug, oder gar' nichts. ‚Ham verwandelten
ſie ihr dreifaches Gebet in zehnfache Fluͤche uͤber
ben, für. den fie erſt gebetet hatten. Hier, hier
if eine:Stelle, wo der Freund Gottes nud der
Religion ſeine Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, bene *
er ſieht, daß under: freiem Himurel⸗auf offent⸗
licher. Straße, vor allen Menſchen ſo ein ⸗ab⸗
ſchenlicher Misbrauch von der ehrwuͤrdigſten
lung bed Chriſanhumg, vonr Gebet
macht werb J
Ich * jeber Menſch von elühl ents
port ich nun ſchon gegen die Öffentliche Bette⸗
kei, wie ich. Aber ich muß noch. etwas dage⸗
gen ſagen, welches für jeden Staat von der
Meräuperfien Wichtigkeit iſt. Sind nicht ein
großen Theil ter oͤffentlichen Betiler Rinder?
Ach, bei Gott und bei ber Nachwelt, meine:
Brüder, biefer Puult verdient unfere hochſte
Vehsrzigung, Was glaubet äh, wohl, te:
Sf: 2 00
3 Sintenis Predigten
ans Menſchen werden werde, die von Jugenb⸗
auf. bei der. öffentlichen Bettelei erzogen wer⸗
den? Warlich, die nichtowuͤrdigſten Bärger,
und ein Auswurf des Staats muͤſſen fio:einft
werben. Wachſen fie nicht roh, und ohn alle
wenſchliche Bilduitg, anb wie. bie Thiere auf
ben Felde, auf? bärfer ihr von: Leuten, die
von Kindheit an mäßig gehen, hoffen, daß fie
iu männlichen Jahren bie Arbeitſamkeit lieben
werben ?: Sehet ihr: dis. nicht täglich an ſol⸗
chen Nubern, daß fie, wenn ſie ja’ zu einem
Hanbwerk gebracht werden, aas bar: Lehre lan⸗
fon? Luͤgner und Heuchler bleiben ſir mur gar
gu leicht, To lange fie leben. Zum Died
werden fie vielleicht einſt am geſchickteſten feyu-
Zruntenbölde und Wolluͤſtliage; wir. die, uns
ser denen fie dad Bettelbrod von jeher vorzehr⸗
sen, werben fie groͤſtentheils ſeyn. Und wenn
fie einft: Straßenraͤuber werden s haben fie fih
nicht durch dad Betten in ihrer Kindheit dazu
oprbereiter ? Hier moͤgen bie Jnquiſttlondab⸗
ten ber Verbrecher für mich reden. Wie man
cher Ungluͤcklicher ſchrie noch vom Galgen herr
ab: — ich würde nie in eine Kirche ein⸗
über Armuth und Bettelei. 453
gebrochen feyn, wäre mir nicht von
Kindesgebeinen an durd) das Betteln .
vor den Zaͤuſern auch Tempel und Als
tar gleichgültiger geworden !
. Wer alle diefe Gründe wider bie offentli⸗
che Bettelei erwaͤgt und noch ein Herz hat, das
für Leidende, für Tugend und Ehrbarkeit, für
Gott und Menſchen zugleich ſchlaͤgt, wird mit
mir ausrufen: warlich, es ift Zeit, daß fie auch
anter und aufhöre! — Meine Brüder, ih
habe end) geflern bie Diöglichkeit hiervon gezeigt:
Ich habe eher wider bat Unmefen der, Vettelei
gewirkt und gehandelt, als ich Dagegen re⸗
dete. Dadurch, daß ich die Sache fo angrif,
glaubte ich meiner Jezigen Predigt den ſtaͤrkſten
Nachdruck zu geben. O wie leer von Bettlern
waren geſtern eure Straſſen! Wie wurdet ihr
duch diefen Vorgang überrafht! Wie wills
kommen auf allen Seiten mufle er euch ſeyn!
Aber wenn ich auch der Mann war, ber ohne
wer Zuthun die Sache anfangen Tonnte: fo
bin ich doch derjenige nicht, ber fie ohne emer
Buthun Lange fortfezen kann. Darum ſag⸗
te ich gleich anfange, daß ich den Weg ber
8f3
454 ‚Gintenis Predigten
Sabſkription einſchlagen, und meine Mitbuͤr⸗
ger, welche ſonſt vor den Thuͤren gegeben
haben, bitten wuͤrde, nun aufzuſchreiben, mas
jeder von ihnen aus gutem Willen und mit
Fortdaner monathlich zur Erhaltung unſerer
Armen beitragen will. So werben mir in kur⸗
zem uͤberſehen koͤnnen, wie viel wir branden
und wie viel wir dazu haben. Ich glaube’fefl,
baß, wenn alles in Orbuung koͤmmt, wir mehr
haben werben, ald wir brauchen. Ich bin er⸗
boͤthig, Die Subſtkription anfangs ſelbſt zu bes
forgen, und werbe gleich nach dieſer Predigt
den erfien Gang deſshalb zu dem Herrn Fire
thun; einem Manne, deſſen jeber neue Lebens
tag ein Segen für unfere Stadt ifl, und ber
viele unſerer arbeitfamften Familien ernähtt.
Meine Brüder! ihr gabet ſonſt nor euren ei⸗
genen: Chüren; es iſt euch erlaubt, das, was
ihr Teither vor einigen hundert Thuͤren gabe,
vos :einer einzigen Thuͤr nur von num an zu ge⸗
ben. Ihr habe mir fo oft gefagt, bag ihr mit
Freuden enre Beiträge reichlich Leiften molltet,
wenn nur bie Sffentliche, euch fo Läflige und und
fo beſchimpfende Bettelei aufhört. Nun iſt
über Armuth und Bettelei. 455
biefer Fall eingetreten. Ich halte euch. bei eu⸗
sen Worte; und wer nun von ber Subffrips
tion ſich zurüdziehen wollte: dem wäre ed um
die gute Sache nie ein Ernſt gewefen. Und
fo iſt meine lezte Bitte an euch diefe, daß ihr
von nun an keinem unferer. Bettler vor euren
Thuͤren mehr etwas reichet, fondern fie alle an
mich weifer. Hierdurch allein koͤnnen wir bie
Sache zwingen. Wollen alsdenn ſchlechter⸗
dings einige beim Alten bleiben und-vor ihren
Thüren fortgeben : fo mögen fie bie Bettler,
welchen fie geben, aud) ganz ernähren. Ich
gebe dieſen, denen fie geben , fdhlechterbings
nichts. — Feft num überzeugt, daß mein Fuͤrſt
das, was ich folchergeflalt jezt Leifte, Längft bat
‚geleiftet voiffen wollen, gehe ich als ein Mann,
aud als der, der ba weis, daß er allgemeines
Gutes besoirkt, meinen Gang fort, und fehene
weber Arbeit, noch Hinderniß, noch Gefahr.
Mund follte es möglich feyn, daß ich andy bie
ober ba beöhalb Leiden muͤſte, ich will ed Eins
nen, — blidet mir ins Geſicht — ja, Ich
will es können. Leiden bei Dienfchen für eine
gute Sache find Seligkeit bei Gott. Doch folls
3f4
,
456 Eintenis Predigten
to dis zu weit geben; fo orklaͤre ih, fo wahr
sh Menſch und freier Daun bin, heute auf dies
fer Ronzel, daß ichs den Meinigen, ber x
und meinem Fuͤrſten ſelbſt ſchuldig zu ſeyn glah-
ben werde, alles, was ich gethan, was für und
wider mic, deshalb gefcheben, und wie warın
oder wie Lals ich mis dem Guten, das ich ſtiſ⸗
tete, aufgenommen warb, Öftentlich drucken zu
laſſen. Es iſt dem Karakter eines redlichen
Mannes angemeſſen, in ſolchen Fällen vorher
zu ſagen, was man nachher thun will. So
weis jeder, wie er ſich mit mir zu benehmen
bat, und au, warum er ſich fü mit mir zu;
benehmen babe.
D meine Brüder, dieſer Tag iſt ganz bes
ſonders dazu gemacht, daß wir und:an ihm zu
dem Guten entkhlieffen, bad wir. win than
Können. Wir feiern heute die Feſte ber Geburt
unferer Landeöberrfchaft. Laflet und an bie
ſem Tage ben Grund zur Ausführung eine
Werks legen, worüber unſere Herrſchaft und
Beifall gebe, mir ſelbſt und frenen, unfere Ars
men und fegnen, und jeber, Des bavon hört,
uud lobe Keil alöbenn biefem Tage! gel
über Armutih und Bettelei. 457
Ahm, wenn wir, indem wir dem Schöpfer für
das erhaltene Leben unferer- Landesherrichaft
danken, von unfren aͤrmſten Mitbuͤrgern dem
Dank für unfere Fuͤrſorge für ihre Lebenser⸗
Haltung zugleich empfangen. Nur der an recht
zuverfichtlic und recht auf Erhoͤrung boffend
für feinen Fuͤrſten beten, welcher das Flehen
der Elenden, die um ihn her an feinem Orte
leben, ſchon erbört hate. O laſſet und ganz
das feyn, was wir ſeyn follen! Ganz Unters
thanen! Ganz Mitbürger ! Redlich auf allen
Seiten! — Fürft Friebrich Anguſt ſei geſeg⸗
net — geſegnet mit Geſundheit und Staͤrke,
mit Zufriedenheit und Heil! Fuͤrſtin Friderike
Auguſte Sophie — o ihr Name ſei mir hei⸗
lig — Sie ſei geſegnet und beſize das ſchoͤnſte
Erdengluͤck, und ihr zum Wohlthun immerdar
geſtimmtes Herz genieſſe in den Ausuͤbungen
deſſelben jene Freuden ſchon, welche einſt der
Vollendeten Erbe find! Allmaͤchtiger — fege
ne, ſegne fie beide! Ihr aber, meine Brüder,
betet, betet für fie, und machet- biefen Zag
durch Gebet fuͤr eure Obrigkeit und durch red⸗
liche Fuͤrſorge für die Armen unter euren Mite
Sfs
455 Einen regen.
bärgern zu einem ber (hönften; unvergeßlich⸗
fin Tage in den Sahrbägern bed Vaters
‚Yandes ! |
III.
Dritte und lezte Predigt |
fiber die Derforgung der Armen inder
| Stadt Zerbft,
yon Gintenis. 1784. 9
un und güfiger Water! ! du haft una Diens
ſchen fo eingerichtet, daß mir, wenn wir für
die Wohlfart anderer forgen, und ſelbſt zugleich
dadurch glücklicher machen. Die Handlungen
ber Menfchenliebe gewähren und nicht nur die
v) Die Predigt warb am grünen Dounerftage, ald am erſten
allgemeinen Bettage bes Fuͤrſtenthums Anhalt⸗Zerdſt,
gehalten. Der dazu vorgefchriebene Text war
Matth. 27. v. 33 — 4. Ihr Druck ſoll bienen
sur fortdaursnden Ermunterung meiner Mitbürger,
Ontes zu thun uud nicht müde zu werden ; und
zur Ergaͤnzung der Gefdkhte ber Sade für das aus;
wärtige Podlitum.
aber Armuth und Bettelel. asp
yeineften Freuden, während daß wir fie ande
üben; fondern nad) Jahren iſt and auch ihr
Angedenken noch fanft nnd füß. Bei jeber
neuen Anerinnerung an fie genießen wir wieber
einen Xheil derjenigen Zufriedenheit mit und
felbft ; welche wir einft in der Stunde ihrer
Vollbringung genofien. Unausſprechlich lohnt
die Meuſchenliebe; — auch im Tode noch
lohnt fie. Da, da wird ed und erfl ein recht
Himmlifched Vergnügen gewähren, auf ein gans
308 Leben voll häufiger Ausuͤbungen des Wohls
wollens und bed Erbarmens zurüdzufehen. Der _
Augenblick, in welchem wir und nicht mehr hel⸗
"fen koͤnnen, wirb und einzig und allein durch
das Bewuſtſeyn erheitert werben, baß wir vors
ber Undern oft. geholfen haben. O Gott und
Vater, mache ums auch benfelben einſt hier,
durch Teiche und froh! — —
Meine Brüder ! der gute Menſch, der
Freund der Wienfchen har immer Troſt;
und wenn er äußerlich noch fo viel leiden muͤſte.
In feinem eigenen Herzen entſpringt eine ber
reichhaltigſten Quellen deſſelben, welche ihm
alle vereinigte Gewalt von anßenber nie verfios
460 Siutenis Prebisten.. -
fen mag. Verkennen, unbelohutlaffen, Ean
man ihn ; man kan ihn verleumben, verfolgen,
ja gar unterbräden und mit Fuͤſſen treten.
Her — dad Bewuſtſeyn, daß er Mienfchens
freund fei, und den Beifall feinea Gewiſſens
daruͤber, baß er dis warb , Fan ihm eine ganze
Welt nicht rauben, Ed iſt alſo nur ein einzis
ger Fall möglih, in dem er ohne Troſt ſeyn
würde; nehmlich der, — wenn er fein Ges
daͤchtniß verlöhre. Jedoch in dieſem Falle
- bedarf er aldbanıı auch Feines Trofles. mehr.
Andere Menfchen Können ihn wenigflens nie
troſtlos machen. Sa, wenn auch undankbare
Zeitgenoffen ihm ben lezten Troſt, den er and
fich ſelbſt fchöpft, zu verbittern wagen; fo bes
wirken fie dadurch doch weiter nichts, ald daß
fie Dazu beitragen, daß er die Suͤßigkeit deffels
ben nur noch höher empfinde, — Ein Gedan⸗
ke, der ſich in ber Gefchichte des leidenden Je⸗
ſus vortreflich beſtaͤtigt hat. Er, dieſer groͤſſe⸗
fe, ſchuldloſeſte, liebendſte und liebenswuͤrdig⸗
ſte zugleich unter allen Leidenden ſah ſich zus
lezt von einer ganzen Welt, ſelbſt von ſeinen
vertrauteſten Freunden verlaſſen. Ja, ſogar
über Armuth und Bettelei. 46x
die oberſte Gottheit uͤberlies ihn ſeinem Schick⸗
ſale und feiner Beſtimmung. Da rief ihm ſein
Herz zu — du haft Andern geholfen —
and nun ertrug er auch feine: lezten Kaͤmpfe
mit der ihn auszeichnenden und beiſpielloſen
Seelenſtaͤrke, welche, ſo lange es Menſchen
geben wird, die Gefühl und Stun für wahre
Schönheit und Größe haben, ein heiliger Ger
genftand ihrer Bewunderung ſeyn wird, Scha⸗
denfrohe Feinde rieſen ihm zwar. ſpottweiſe zu
— ſeht: vch, det andern half, vermag ſich ſelbſt
nicht zu helfen; aber ihr umüberlegter Spots
verwandelte fich auf ihren Lippen in ben erhas
benfien Lobſpruch für den größten Sterbenden.:
Haste ersvorher dad Bewuſiſeyn andgeübter
Menſchenliebe Thon ſuͤß für fü gefunden: fo,
faud' ex. € noch dreimal ſuͤſſer, da ihm ſelbſt
feine Feinde dad Zeugniß derfelben öffentlich.
gaben, Cost, wie ſegnend muß es ſeyn, in
ber Sennbe, .wo man ſich felbſt nicht helfen
tan, an viel ſolcher Stunden: zuruͤckdenken zu
Tonnen, in. denen man um ſich her Hülflofe ſah,
zueilte und ſie rettete! Muß es doch ſeyn als⸗
dann, als wenn die Wilder derſelben und ums
462 Sintenis Prebiglin:
ſchwebten, und darüber jammerten, daß fie uns
aicht leiſten können, was wir ihnen geleifter has
ben! Muß es doch feyn, als wenn eine Stimme
vom Simmel une zuriefe — du kauſt nie |
verlaſſen ſeyn; Gott wird bir hun, was du |
deinen Brüdern thateſt! O feligfier unter allen
Gedanken zulezt — er hat: andern gehol⸗
fen und Tann ſich ſelbſt nicht Helfen —
werde du bie ſchoͤnſte Grabſchrift auf jeden gu⸗
ten Mann, aufjeben wackern Meufchenfreund!
- Werde du fein fanftefter Nacruhmden Tode,
ben er in jene Welt hinäber noch hoͤre:
So viel über den beutigen Text; nun zur
heutigen Sache! _
Meine Bruͤder! Wir haben feither
auch andern geholfen. — Wir, — dad
heißt nicht, Ich, ſondern wir alle; wie wir
bier beifammen find. O wie. freue id,
sich, ald Prediger diefer Stadt heute dis Zeugs,
nis unferer Obrigkeit und unferer ganzen Mit⸗
buͤrgerſchaft oͤffentlich geben zu kbuneu! I, mir
haben ſeither recht andern geholfen. Durch di
Freigebigkeit unferer Lanbeshersfchäft und durch
die: milden. Beptraͤge des hiefigen Publiknms⸗
über Armuth und Vettelei. 463:
iſt es geſchehen, daß bie erſte Augelegenheit
jeder chriſtlichen Stadt, die Verſorgung der
Armen, auch unter uns auf einen beſſern
Fuß geſtellt worden iſt. Es iſt geſchehen,
daß dem Elende in den Huͤtten der aͤußerſten
Duͤrftigkeit bei uns, und an ben Lagern unſerer
blutarmen Kranken, welches ſchier allen menſch⸗
lichen Glauben uͤberſtieg, wenigſtens eine
menſchliche Grenze gezeichnet worden iſt. Es
iſt geſchehen, daß in dieſem Winter, der vielleicht!
einer der firengften und anbaltendflen war, die
in dem laufenden Jahrhundert Deutfhland tra⸗
fen, Feiner unferer Armen, wie fonft wohl ges:
ſchehen ift, und heuer auch anderwaͤrts geſchah,
den Tod durch Erſtarrung fuͤr Kaͤlte fand.
So viel ich nun auch im vergangenen Jah⸗
re uͤber die Aufrichtung unſers Armenwe⸗
ſens ſprach: fo fand ich doch laͤngſt für noͤthig,
noch einmal uͤber die Fortdauer deſſelben zu
reden. Mit Waͤrme des Herzens ergreife ich
daher die Gelegenheit, welche mir der heutige
Tag dazu giebt; an dem es allen Predigern 2
diefee Stadt zur Pflicht gemacht worden fl,
fih deshalb durch ruͤhrende und nachdruͤckliche
462 SintenisPrebigken: -..
ſchwebten, unt darüber jammerten, daß fie uns
sicht leiften konnen, was wir ihnen geleiſtet han
ben! Muß es Hoc ſeyn, ald wem eine Stimme
som. Himmel una zuriefe — bu kauſt nicht
gerlaffen feyn 5 Gott wirb bir than, was bu
deinen Brüdern thateſt! O feligfler unter allen
Gedanken zulezt — er hat: andern gehol
fen und Tann ſich felbft nicht helfen —
werde du bie fhönfle Grabſchrift anf jeben gus
ten Mann, aufjeden wadern Meufchenfrennd!
Werde du fein fanftefter Nachruhm im Tode,
den er in jene Welt hinuͤber noch hoͤre:
So viel uͤber den beutigen Text; nun zur
heutigen Sahe! .
.. Meine Bruͤder! Wir haben feither
auch andern geholfen. — Wir, — das
heißt nicht, ich, ſondern wir alle, wie wir
bier beiſammen find. O wie freue ich
mich, als Prediger dieſer Stadt heute dis Zeug⸗
nis unferer Obrigkeit und unſerer ganzen Mit⸗
buͤrgerſchaft oͤffentlich geben zu koͤnnen! Ja, wir
haben ſeither recht andern geholfen. Durch die
Freigebigkeit unſerer Landesherrſchäft und durch
die milden. Beytraͤge des hiefigen Publikums:
über Armuth und Vettelei. 463;
iſt es geſchehen, daß bie erfte Angelegenheit
jeder: chriſtlichen Stadt, die Derforgung der
Armen, auch unter und auf einen beſſern
Suß geftelle worden if. Es iſt gefchehen,-
baß dem Elende in den Hütten ber aͤußerſten
Dürftigkeie bei und, und au den Lagern unferer-
biutarmen Kranken, welches ſchier allen menſch⸗
lichen Glauben überflieg, wenigſtens . eine.
menfchliche Grenze gezeichnet worden iſt. Es
iſt geſchehen, daß in dieſem Winter, der vielleicht’
einer der ſtrengſten und anbaltendften war, bie
in den Iaufenden Jahrhundert Deutſchland tra⸗
fen, Feiner unferer Armen, wie fonft wohl ges:
ſchehen iſt, und hener auch anderwärts gefchah,;
den Tod durch Erſtarrung für Kälte fand.
So viel ich nun auch im vergangenen Jah⸗
ve über die Aufrichtung unferd Armenwe⸗
ſens ſprach: fo fand ich doch laͤngſt für noͤthig,
noch einmal uͤber die Fortdauer deſſelben zu
reden. Mit Waͤrme des Herzens ergreife ich
daher die Gelegenheit, welche mir der heutige
Tag dazu giebt; an dem es allen Predigern
dieſer Stadt zur Pflicht gemacht worden iſt,
ſich deshalb durch ruͤhrende und nachdruͤckliche
a4 . Sintenis Predigten
Borträge au. Ihre Gemeinden zu: verwenden,
Es gehet mid) nichtd an, wie andere Männer
meines Standes diefen Befehl in Audaͤbung
‚ bringen werben. Mir giebt ih mein eigenes
Herz; und darum werde ich fo über bie Sache
reden, baß ich nun nie wieber über fie zu reden
noͤthig babe, ſondern mich auf jeben Fall, &
gehe ihr, wis e& wolle, nur anf meine heutige
Predigt besufen dürfe, welche Sort allen mel⸗
nen Zuhbbrern unvergeßlich machen wolle!
Mein Vortrag zerfällt ganz natuͤrlich in
zwei Theile. Wir haben ſeither andern
geholfen — oder ich will erzählen, wadnun
feit meiner zweiten Armenprebigt für die Sa⸗
che der Armen wirklich geleiftes worden iſt.
Laſſet uns auch ferner andern helfen —
ober wir wollen überlegen, was wir weiter zu
thun haben, wenn biefe gemeinnuͤzige Sache
fortdauren, und immer vollfommener werden
fol. Und diefe Fortdauer wuͤnſcht ihr doch
wohl nun jeder unter uns. Der Menſchen⸗
freund wuͤnſcht ſie gewiß mit mir aus Liebe
für die Leidenden, und ber Kaltſiunige doch me
nigſtens aus Liebe zu feiner Huldgoͤttin Ge⸗
| maͤch⸗
!
über Armuth und Bettelei. 463
maͤchlichkeit, weiler nun von deu Armen Fels
nen Veberlanf mehr hat. 0
So höret mich denn alle heute seht aufe
merkfam und gutmuͤthig an. Sch thue den
lezten Schritt bei der Sache, und bin feſt übers
zeugt, daß jeder Rechtfchaffene unter und bag,
was ich fagen werde, von fich felbft denke, zu
feinem Vertrauen im Stillen fpreche, und auf
diefer Kanzel, wenn er in meiner Lage, wäre,
und Gott ihm eben den Grad von Muth:vers
liehen hätte, den er allgnädig mir verlieh, eben
fo laut fpvechen würde, als ich.
Gott! dein Segen ruhe auf meinem Vors
trage, und vereinige unfere Seelen Immer mehr
und mehr zum Fortfahren im Gutesthun
und Segenftiften für unfere wahrhaftig arıne
Stadt! — —
Alſo zufoͤrderſt, was fuͤr unſere Armen big
jezt wirklich geſchehen iſt; oder — wir haben
ſeither andern geholfen.
Es liegt mir ſehr am Herzen, hiervon eins
mal öffentlich und ausführlich zugleich Rechen⸗
{haft abzulegen. Denn jeder meiner Mitbürs
ger. hat Recht, nach berfelben zu fragen, und
Dart. Archiv, III. Theil. Gg |
466 . Eintenis Predigten
«3 war doch feither nicht möglich, fie einem je
den beſonders zu geben. Wielleicht gelingt es
mir. auch, baburch zu bewirken, daß mandıer
Vorwurf der Sache nicht weiter gemacht wer⸗
de; wenn diejenigen, welche ihn feither mad»
ten, nun fehen, daß er — ungegründet war.
Arme. hatten wir in Menge. Gebettelt
follte nicht. mehr werden ; weil Betteln nichts
als heillofen Unfug fliftet, Auch würde, wenn
baflelbe weiter erlaubt geweſen wäre, ben in
beſcheidener Verborgenheit leidenden Armen,
bie ſich nie in die Reihen unferer Bettler miſch⸗
. sen,unb ben kranken Armen, welche nicht mehr
betteln konnten, damit nicht geholfen geweſen
ſeyn. Michin mußte nun eine Kafle errichtet
werben, aus ber die fäntlichen Dürftigen un⸗
. fered Orts erhalten würden. Solcher Kaſſen
mußte aber auch nur eine hier ſeyn. Wenn
in einer Stadt, wie die unfrige iſt, mehrere
Armenkaſſen find, deren Rechuungsführer fid
noch dazu die Liſten derer, welche von ihnen
empfangen, nicht einmal mittheilen: fo entſteht
natürlicher Weiſe daraus der Machtheil, daß
mancher Arme, der nur dreiſt genng iſt, ſich
über Armuth und Vettelei. 467
allentbalben zu melden, von drei, vier oͤffent⸗
lihen Austbeilern erhält.‘ Wenn biefer num
nody obendrein aud vor ben Thüren bettelez
fo lebt ex herrlich und in Freunden; während
daß ein anderer, der did zu. thun ſich fchämt,
and bei jenen Feine Empfehlung hat, auf daB
elendeſte darben muß. ine foldye allgemeine
and einzige Armenkaſſe iſt bei uns feit ſechs
Monaten wirklich errichtet. Unſere Landed⸗
berrfchaft giebt monatlich in felbige Hundert und
zwanzig Thaler. Ein wahrhaftig fürftlicher
Beitrag! das Publikum, ober wir Mitbürger,
zufammen, tragen bis jezt noch monatlich hun⸗
dert und fiebenzig Thaler dazu bei.
Durch diefen beträchtlichen Fond find wir
nun in den Stand gefezt, über zweihundert und
fehzig Arme, die wir jezt haben, zu verforgens.
Noch vermehrt fi immer bie Zahl berfelben,
and wir koͤnnen deshalb um fo weniger jebem,
‚re fih um Allmoſen meldet, fie blos darum
gleich zugeſiehen, weil er ſich um ſie meldet.
So viel mir wiſſend, iſt kein wahrer Armer
zurückgewieſen worden. Was menſchliche Aus
gen beurtheilen koͤnnen, iſt geſchehen. Dias
Og2
468 | ESmtenis Predigten
cher warb anfangs ganz zurücgewiefen, uns
trat hernach, wenn ex feine Duͤrftigkeit beſchei⸗
nigt hatte, in den Genuß der Allmoſen ein.
Manchem ward das Armengeld nur waͤhrend
feiner Krankheit, oder den Winter über, zuge⸗
fanden. Lebt bier und da jemand, der dar⸗
am noch Fein Almoſen empfängt, weil ex ders
gleichen nicht von ber Kommiſſion annehmen _
will: fo feufze er wenigflend nicht über biefe,.
ſon dern über ſich. — Diefe ganze neuere Eins
richtung hat denn aber unleugbar- viel Gegen
- geftiftet. Einer Dienge unferer guten Armen,
bie vorher aus Feiner Kafle erhielten, and noch
weniger unter bie Öffentlichen Bettler ſich mild»
“ ten,‘ ob fie gleich elenter leben mußten, als dies
ſe, ward dadurch Beiſtand geleiſtet. Sie wurs
Ben: aufgefucht und unterſtuͤzt. Ein mefentlis
her Nuzen unferer Anſtalt, meine Bruͤder;
verfenner ihn nicht $ denn ed giebt Menfchen,
die, wenn fie wiffen, baß bier oder da etwas
zu erhalten ift, hundert Zungen / Hände und
Fuͤſſe gleihfam haben, um darnach zu laufen
und zu greifen, und für fich zu reden; aber ed
giebt auch andere, denen es fo ſchwer wird für
“
über Armuth und Bettelei. 469
ſich ſelbſt auch nur ein Wort zu ſprechen, daß
fie, ehe fie dies thun, lieber die jaͤmmerlichſte
Armuth dulden. Ferner erhalten eine betraͤcht⸗
liche Anzahl Kinder, welche vorher in der Irve
herumllefen und ein abſcheuliches Menſchenge⸗
ſchlecht geworben ſeyn würden, nun eine menſch⸗
lichere Erziehung. Alle unfere Bettler find
don dem umherſchweifenden luͤderlichen Reben
abgezogen worben, weldem fie fonft bis zur
Yusgelaffenheit ergeben waren. Und unfere
Franken Urmen — o dieſen, dieſen ift body
wohl recht unausfprechlich nun geholfen? Taͤg,
lich habe ich Gelegenheit bie Segnungen zu
bören, welde felbige bafüx ihrer Dbrigkeit und
ihren Mitbürgern ertheilen ; und fo oft ich fols
che böre, freue ic) mich .anf6 neue ber guten
Sache. Nur die ehemaligen Bettler haben -
dabei ihren Gedanken nach verlohren und mur⸗
xen deshalb. Diefe hatten offenbar fonft weit
mehr, als jezt, und Eonnten dabei ſchwelgen.
Über das ſchadet nicht. Wenn ber Reiche
nicht einmal ſchwelgen foll, wie vielweniger ber
Arme! Indeſſen empfangen. fie denn doch,
was Ihnen ausgelezt iſt, jezt auf den Tag rich⸗
Ög3
| 470 Sintents Predigten
eig, und bürfen nur einen Gang darnach thuns
ſtatt, daß fie ſonſt Tage lang vor vielen hun
bert Thüren umberlaufen mußten. Wie wohl⸗
thaͤtig ihnen dis fei, haben fie in biefem ſtren⸗
gen Winter erfahren. Wir, meine Freunde,
haben offenbar bei ber Sache gewonnen. &
werben fehr wenig unter und ſeyn, welche jest
fa viel an die Allmoſenkaſſe geben, ald fie fon
vor den Thüren austheilten. Rechnet nur eins
mal nach, was bie fremden Bettler euch ſonſt
koſteten. Dieſe haben ſich ſeit der Zeit groͤ⸗
ſtentheils weggewendet; und kommt zuweilen
einer oder der andere: ſo iſt er ohne euren ei⸗
"genen Willen euch nicht mehr zur Laſt. Er if
alddann zwar da, und will leben, aber ihr wiſſet
anch alle, wo er, ohne daß ihr ihm reichen duͤr⸗
fet, empfängt. Mit dem Rechnungs weſen bei
biefer Kaffe habe ich mich einſtweilen und bis
jezt befchäftigen müffen. Bis Ende vorigen
Sahres find mir meine Rechnungen abgenoms
men und bie monatlichen Extracte gedruckt wors
den. Wir hatten am lezten December fchon
. einen Vorrash von zweihundert Thalern. Bon
nun an wird Die Rechnung nur jährlich, aber
-
_ über Armuth und Bettelei: 477
ganz ausführlich, abgedruckt werden. Da ſol⸗
let ihr leſen, wer von und zur Kaffe beiträgt
und nicht beiträgt; was jeder anfangs dazu
gab und mod) giebtz wer empfängt, und wie
viel er empfängt: fo, daß jeder unfere ganze
Stade mit allen ihren freigebigen und Fargen
Gebern, mit allen ihren armen und bintarmen
Nehmern uͤberſehen möge,
Nenerlich iſt denn auch von der crͤßern
niedergeſezten Kommiſſi ion eine Arbeitsanſtalt
errichtet worden." Sie beſteht zur Zeit and eis
ner Flachſſpinnerei. Meine Brüder, bie gan⸗
ze Sache iſt noch nicht ſo vollkommen, als ſie
noch werden kan; mithin dieſer ihr wichtigſter
Theil auch noch nicht. Indeſſen iſt auch hier⸗
bei geleiſtet worden, was zur Zeit geleiſtet wer⸗
den konnte. Wer denn nun nicht glauben woll⸗
te, daß ed unter und au Arbeit fehle, der ſah es
izt wenigſtens. An hundert Arme wurden bald
durch und in Thaͤtigkeit geſezt, und eben fo viel
würden noc, Arbeit gern genommen haben,
wenn wir fie ihnen hätten fchaffen können. Da
ich hernach anf. biefen Punkt. noch einmal zus
rückomme, fo breche ich izt davon ab, Ges
6,4
- 472, Gintenid Predigten
nug, unfere Kaffe bat auch bei dem, was wir
leiſten Eonnten, gewonnen. Wir konntem jes
ben Armen, dem wir Arbeit gaben, wöchents
lich zwei Groſchen abziehen. Die Urmen felbfl
haben babei gewonnen, Sie koͤnnen nun flatt
ber abgezogenen zwei Groſchen durch Arbeit
drei verdienen. Der Staat hat babei gewons
nen; denn er giebt fein Allmoſen nun nicht
* an Muͤſſiggaͤnger.
Ganz zulezt iſt fuͤr das Armenweſen ein
Haus erkauft worden. Freilich kann daſſelbe
nur im Kleinen dazu erſt angelegt werden.
Vielleicht bauet uns Fuͤrſt Friedrich Auguſt
einſt ein groͤſſeres. Inzwiſchen moͤgen wir uns
jezt an demſelben genuͤgen laſſen; und dis nm
ſo mehr, da zu der Summe, wofuͤr es dezahlt
worden iſt, fo viel ich weiß, keiner von und eis
nen Thaler hergegeben hat. — O wie [hwer
wird ed dem Dankbaren, feinen Empfindungen
freien Lauf laffen zu Einnen Daß ſich mein
Herz bier ergieffen dürfte! Doch, es ifl
auch Pflicht, zu ſchweigen, wenn der Wohl
thaͤter, oder bie Wohlthäterin gebeut — du
fol mich nie nennen. Seele, die du in mir
-
über Armuth und Bettelei. 473
denkſt, und fo gerne betefl, bete, bete in dieſen
YAugenbliden im Stillen für den Gegenfland,
befien Andenken dich izt ſo ganz erfuͤllt! Ge⸗
wis, gewis beten viele deiner Zuhoͤrer mit ....
So viel iſt bis jezt fuͤr unſere Arme ge⸗
ſchehen; oder ſo haben wir ſeither andern gehol⸗
fen. — Doch, es iſt mir, als vermißten mei⸗
ne Zuhoͤrer noch etwas, und als laͤſe ich auf
vielen ihrer Geſichter die Fragen: was haſt
denn du nun im Stillen für unfere Armen ge⸗
than? Wie viel hat der Drud deiner Predigs
ten eingebracht ? Wie haft du das Geld vers
wendet? Willſt du uns hiervon nicht auch Mes
henfchaft ablegen? — Sa, ich will ed, meine
Brüder! aber — eine Bitte — exlaubet mir,
dis zulezt zu thun. Sch bin ſouſt nicht Buͤrge
dafür, daß der Strom meiner Empfindungen
mich fo mit ſich fortriffe, daß ich alles das,
was ich nun noch zu fagen habe, ſchuldig blies
be. Und dis ift ja doch ſehr wichtig.
Gaffet uns ferner andern helfen! —
oder wir wollen nun überlegen, was wir zu
than haben, wenn anfer eingerichtete Armene
| Ö95
44 Sintenis Predigten
wefen fortdauern und durch Fortdauer noch im⸗
‚mer volllommener werden fol, _ |
- Mitbürger und Freunde! die Sache flieht
nun. Ich frage euch, foll fie fortdauern? —
— Saget mir, erforderts nicht das Wohlund
Weh der leidenden Mienfchheit unter uns, ers
forderts nicht die Ehre unferer Stadt, daß fie
von und fortgefezt werde?" Wozu hätten wir
fie angefangen, eingerichtet, wenn wir fie nihe
forterhalten, vollfommener machen wollten ?
Was follten alle Auswärtige von und denken,
wenn fie je bavon hörten, daß wir fie, da wir
fie fo weit hatten, wieder hingeworfen hätten?
— Alſo fie foll fortdauern!
| Dis kann fie aber alsdann nur, wenn bie
Beiträge, and welchen fie erwuchs, ferner zu
ihr geſchehen. Diefe find ihr einziger Grund.
Nehmet euren Käufern den Grund, fo fallen
fie ein. Es kommt mir nicht in den Sinn, zu
fürdten, daß unfere Landeöherrfchaft uns ih⸗
ven Beitrag je entziehen werde. Wir haben
Beweiſe genug, daß fie das herzlichfle Mitleld
mit Armen und Elenden babe, Aber auch
wir, bie wir das Publikum ausmachen, müß
”
\
t
über Armuth und Bettelei. 473
font fortfahren, unfere monatlichen Beiträge an
die Kaffe zu reichen. Der füherfie Weg, die
Sache zu flärzen, iſt fonfl der, daß wir jene
ihr ganz entziehen; und der ficherfle Weg, die .
Sache zu verfrüppeln und zu verflämmeln, iſt
der, daß wir jene zum Theil oder zur Hälfte
zurüdzichen. Noch iſt die gute Sache Fein
Sahr-alt, und dennoch iſt beides von einigen
sinter und fchon gefchehen. She, die ihr dis
aus Armuth thatet, empfanget unfern herzliche
fien Dank dafür, daß ihr zur Allmofenkaffe
wenigſtens fo lange beitruget, ald ihr konntet.
Werfezt euch das Schickſal in eine foldye Lage,
daß ihr ſelbſt beduͤrfet: fo kommet und mels
det euch. Ihr gabet und — ihr follet wieder
von und nehmen. : Mit diefer Hofnung muß
jeber jezt zu unferer Kaſſe beitragen Eönnen,
daß gr, wenn er einfl ein Beduͤrfender werben
follte, auch von ihr unterflügt werde. Ihe
aber, die ihr nicht aus Armuth ung enren
Beitrag bald wieder entzoget ober verringertet
— ſagt euch euer eigenes Herz nicht in dieſem
Augenblick alles: was ſoll ich euch ſagen!
Doch nur einige Vorſtellungen laſſet mich euch
476 Sintenis Predigten
han. Wer beſtimmte denn ehren Veitrag?
Wer ſchaͤzte euch? Woret ihre es nicht ſelbſt?
Subſtkribirtet ihr nicht freiwillig? Gabet ihr
mir nicht zu erkennen, daß ihr dis gern thaͤtet?
Laſet ihr nicht auf meinem Aufſaze, daß ihr
das, was ihr unterzeichnetet, unter der Bu
dingung geroiffer Sortfezung unterzeihne
set? Und wenn dis auch nicht darauf geflaus
ben hätte, muͤßtet ihr nicht felbft dieſe Bedin⸗
gung end) dabei. gedacht haben? Wer fänge 0
etwas auch wohl. ald ein Spiel au, das et
ein Paar Monate hindurch mitfpielen will?
Kinder bauen ein Häuschen und werfen es wie
der ein; wenn es aber Maͤnner bauen: fo
bauen fie zum Feſtſtehen und zum Lapgeſeſtſte⸗
ben. Ran es and) wohl mit der Achtung vers
einigt werben, bie man fich felbft ſchuldig ifl,
wenn man vor einer ganzen Stadt heute
etwas zufagt und nach einiger Zeit eben fo vor
einer ganzen Stadt es wieder bricht? Legt
mir nicht, fobald ich mein Wort darauf
gegeben habe, dis mein gegebenes Wort nun
eine. wirkliche Verbindlichkeit dazu auf, wenn
id) auch vorher dergleichen nicht dazu hatte?
über Armut und Bettele 477
Ermäget denn noch die Eindruͤcke, welde ener
- gegebened Beifpiel anf eure Mitbürger machen
muß. Es iſt doch bei Gott nicht recht, andern
auch nur einen Vorwand zu reichen, mit bem
fie nun, wenn fie auch weniger gut, als ſonſt,
handeln wollen, ihr Verfahren ummänteln
koͤnnen! O bei ber Liebe zum Vaterlande —
bei der Sache ber Urmen, die die Sache Got⸗
tes und Sefn iſt — laſſet die befcheidene maͤnn⸗
liche Bitte eined Predigerd etwas auf eure
Herzen wirken, und gebet und wieder, was ihr
uns verſprachet, anfangs ˖ wirklich gabet und
hernach wieder entzoget. Gelaͤnge es mir, eis
nen und den andern von euch hlerzu zu bewe⸗ |
gen — tie wollte ich die Stunde feguen, .in
der ich euch darum anfprah! — — Laſſet
und unfere Beiträge nicht zurücdgiehen, meine
Brüder! Vielmehr wuͤnſchte ich herzlich, bag
lieber bie und da noch Erhöhungen derſelben
gefhähen. Dffenbar geben viele unter und nicht
nur in Vergleich mit andern ihres gleichen, ſon⸗
dern auch in Betracht ihres banren und liegen⸗
ben Vermögens, ihrer Befoldungen, Einfünfs
te, Nahrungen und Gewerbe zu wenig. Die
478 Sintenis Predigten
Sache ſoll ja Erſparniß fuͤr uns ſeyn, beſten
Freunde. Über iſt ed denn nicht genug, wenn wir
die Hälfte erſparen? Wollen wir drei Vier⸗
geile, fieben Achttheile, eilf Zwoͤlfttheile ers
waren: wie ift es möglich, daß die Sache Das
bei beftehen koͤnne? Wenn ber Bürger, der
noch in guter Nahrung ifl, monatlich zur Kaffe
zwei Srofchen, ber Kaufmann, ber einen offes
nen Raben hat, vier Grofchen, ber Mann, der
in guter Beſoldung flieht, nicht viel mehr beis
traͤgt: fo möchte ich fie' darüber hören, wie fie
daB, was fie fonft den Armen gaben, und das,
was fie jezt zur Kaffe geben, mit einander "bes
vechnen, nud ob fie mit dem, was fie jezt mos
natlich beitragen, fonft auch wohl eine Woche
ober gar nur eine halbe Woche audreichten ?
Spredet nicht — bie Öffentliche Bettelei wird
doch noch zumellen betrieben. Meine Brüder!
ihr werdet Feine Stadt in der Welt finden,
wenn fie. auch das eingerichtete Armenweſen
hätte, in ber nicht Bann und mann dergleichen
doch vorfiele. Warlich, die Obrigkeit kann dis
allein nicht zwingen. Wille Einwohner ber
Stadt muͤſſen dabei gemeiuſchaftliche Sache mit
.
a‘
über Armuth und Bettelei. 479
ibe machen. Dis Tann aber nur bergeflalt ges
ſchehen, daß Fein Einwohner ſich «8 zum Ges.
ſchaͤft mache, Bettler zu hegen, ober fie gar in
feinem Haufe zu verbergen, wenn ihnen nach⸗
gefezt wird; daß Fein Einwohner vor den Thuͤ⸗
ren etwas mehr reiche, fondern den fremden
eingefchlichenen Bettler an die Behörbe weife,
wo ex empfängt; und daß, wenn non unfern
eigenen Armen jemand beitelt, Unzeige davon.
gehörigen Dxtö gethan werde, damit er, wenn
er dis blos aus Luͤderlichkeit thut, beſtraft,
wenn ihn aber die Noth dazu triebe, aus der
Kaſſe reichlicher ausgeſteuret werden koͤnne.
Hier iſt der Ort, wo.ich am beſten allen hieſi⸗
gen Innungen und Gewerken meinen Dank das
für abftatten kann, daß fie ſich gleich anfangs .
aus Kiebe zur Orbuung an mich anfchloffen,
dem Fechten ihrer einwandernden Befellen wehrs -
ten, und biefen, falld fie Feine Arbeit hier bes
Tommen Tonnten , ein nothbürftiges Zehrgelb _
ausfezten, Sch bitte fie alle, hierinn auf das
loͤblichſte fortzufahren. — : Endlich diebt es -
auch noch einige unter und, bie, ungenchtet fie;
bemittelte Rente find, dennoch bis auf diefen
480 Sintenis Predigten
Augenblick nichts zur Kaſſe beitragen wollen.
Ich uͤberlaſſe ihnen zu uͤberlegen, wie ſie dadurch
handeln, bitte ſie das achte und neunte Kapitel
im zweiten Brief an die Koriuther zu leſen, ge⸗
be ihnen zu bedenken, daß gemeinſchaftliche Las
ſten auch gemeinfchaftlich getragen werben müfs
fen, nnd feze endlich hinzu, daß ich an ihrer
Stelle nicht ſeyn möchte, weil id, fo oft ich
andgienge, denken würbe, daß alle meine Mit⸗
buͤrger mit Fingern auf mid, wiefen. Nun iſt
zwar das mit Fingern auf und weifen an ſich
nichts ſchlimmes; aber die Sache muß nurfein
und loͤblich feyn, derentwegen die Finger nad
uns bingeredkt werben - » - +.
Soll unfere Auſtalt fortdauren und in ihs
ver Foridauer vollkommener werben: fo ifk fers
ner nötbig , daß mir nun einander alle unfere
Kenntniffe von Armen mittheilen. Es iſt uns
möglich, daß eine ſolche Stadt, wie bie unfrige
iſt, von einem Dann, oder auch von zwoͤlf
Maͤnnern überfehen werden koͤnne. Vielleicht
empfaͤngt jezt mancher aus der Allmoſenkaſſe,
der nichts empfangen ſollte, oder er empfaͤngt
doch zuviel. Vielleicht lebt hier und da man⸗
cher
über Armuth und Bettelei. 481
her wahrere Armeß der noch nichts erhält, oder
Boch zu wenig erhält: Laffet un alle recht an
der Vervollkommung ber Sache arbeiten. Die
Kommiſſion felbft will alles ſelbſt dazu beitras
gen, und deshalb mit Ende diefes Monats noch⸗
mals mit Zuziehung vieler des Volks kundigen
Männer eine Unterfüchung ſaͤmtlicher Armen,
bie aus der Kaffe erhalten, anftellen. Aber jes
der meiner Mitbuͤrger biete ihr nun and das |
bei die Hand.
Lieben Freunde! es iſt mannigfaltig feits
her unter uns die Rede geweſen, daß Arme em⸗
pfiengen, die es nicht beduͤrften, und daß andere
leer ausgiengen, bie doch weit beduͤrftiger waͤ⸗
ren. Aber warum blieb denn did nur Rede
Hinter unferm Rüden? Wäre es nicht weit
rechtſchaffener gehandelt, weim man folche Ber
ſchwerden, ſobald fie gegründet find, de⸗
nen ind Geſicht fagte; “die ihnen abhelfen koͤn⸗
nen? Ab, ein Wort ins Geſicht geſagt, hat
48 mehr Anftand, Würde und Kraft, als hans
dert Worte hinter dem Rüden gefprodyen. Ich
erklaͤre demnach hiermit im Nahmen der gan⸗
zen Armenkonmiſſion; daß es jedem unter uns
Patr. Archiv, III. Theil. Hh
Sintenis Prebigten
frei ſtehe, feine Einwenbungen von biefer Seit
entweber ber geſamuten Kommiſſion, oder eins
zelnen Mitgliedern berfelben zu entdecken, uns
eines befiern gu belehren, und zu glauben, daß
er unſern wärmeflen Dank dafür erhalten ſolle.
Wird es bewiefen, daß hie ober da jemand All⸗
mofen ‚erhält, ber ihrer nicht beduͤrftig iſt: fr
fol ex anf der Stelle gefirichen werben. Wird
es bewiefen, daß hie oder da noch jemand Icht,
ber Fein Allmoſen bekommt, und deſſen doch bes
darf: fo foll er auf der Stelle aufgenommen
werden. Mehr kann beun aber. warlic die
Kommiſſion nicht thun, am allgemeine Zus
friedenheit mit der Sache zu bewirken; un
wenn denn nad) diefer Öffentlichen, Erklaͤrung
noch jemand feine Einwenduugen von biefer
Art blos hinser unferm Rüden , ohne damit
and Licht. zu treteu, fortmacht, und auöbreitet:
fo iſt dis ein Beweis, daß er nur einen Vor⸗
wand ſuche, unter dem er ſich vom Beitrag,
den ex verſprach, nud der ihn nur ans Eis
gennuz renet, los marken koͤnne.
Soll die eingerichtete Armenſache fertdan
ren und immer vollkommener werden: fo muß
h
;
über Armuth und Bettelet. 483
ferner ‘auch. bie getroffene Arbeitanſtalt erhal⸗
ten und erweitert werben. Dis, dis ifl ein recht
wichtigen Punkt babei. Meine Brüder! es iſt
ein weſentlicher Fehler bei-jeder Armenverſor⸗
gung, wenn bei derſelben weiter nichts geſchieht,
als daß — Geld ausgerheilt wird. Kür Arbeit,
für Arbeit muß vorzüglich geforge werden.
Durch das blofe Hilmofenaustheilen wird nur
der gegenwärtigen Armuth geholfen; durch bas
mit verbundene Arbeitanſtalt wird aber auch
der künftigen vorgebengt. Die unterfien Staͤn⸗
de werden dadurch in Thaͤtigkeit erhalten; man
verhindert ihre Sittenlofigkeit und trägt offene .
bar zur allgemeinen Rechtfchaffenheis im Stans
te bei. Iſt dieſe Vorſicht bei irgend einer Ars.
menanſtalt nöthig: fo ift fie ed bei der unſri⸗
gen; weil in unfter Stadt alle Gewerbe tägs
lich tiefer ſinken, und der Arbeit immer weni⸗
ger wird. Wie ich vorhin ſagte, in einer kur⸗
zen Zeit hatten wir ſaſt hundert Flachsſpinner,
und koͤnnten jezt noch einmal fo viel haben,
wenn wir Flachs für fie hätten. Gott, wie
bat es mid) oft geſchmerzt, Leute unter den bit⸗
terfien Thraͤnen von mir weggehen zu fehen, die
| ao“
484 Sintenis Predigten
mich vergeblich um die einzige Barmherzig⸗
keit baten, ihnen Arbeit zu geben! — Und doch
waren biefe Art von Leuten nur ein Theil uns
feres Volle. Was thun nun die vielen Rinder
wafrer Armen, die mit der Arbeit, die wir jezt
für die Auflalt haben, fich nicht einmal: befchäfs
tigen koͤnuten, wenn wir beren auch genng für
fie hätten ? Was machen unfere zahlreichen
Tagelöhner, die ſich in ben langen Winternäde
sen. rein auszehrten, flarke Familien baben,noh
nirgends Handarbeit genug erlangen koͤnnen und
Son det jegigen Theusung des Brods noch oben⸗
beein gedruͤckt werden? Was nehmen unfere
Profeſſioniſten vor, von denen immer einer nes-
ben dem andern auf-feiner Werkſtaͤtte müßig
fie? — Hilf Himmel, wie geht alles mit mir
umher, wie wirrt und wogt alles in mir, wenn
ich hieran denke! — — Ihr, die ihr bier
obrigkeitliches Anſehen haber, Staatsmaͤnner
von jedem Range, vereiniget euch doch alle im
. beiligften Patriotiſmus, und ſinnet darauf,
wie ihr hie und da einen unter uns abſterben⸗
ben Nahrungszweig wieder. gruͤnend machet,
wie ihr dieſem ober jenem Gewerk wieder aufs
über Armuth und Bettele. 485
heifet, oder auch nur blofien Tageloͤhnergewinn
unter die nach Arbeit feufzende Volksmenge
bringe. Wohlhabende, einfichtövolle Mitbuͤr⸗
ger, helfet dazu beitragen! Vaterlandsliebe
und Weltkenntniße bahnen den Weg hierzu —
Freudigkeit über zu fliftendes Gutes wird Kraft
Dazu geben, |
Soll endlich das eingerichtete Armenmefen .
bei und fortdanren: fo muͤſſen wir nun dad das
zu erkaufte Hans, fobald ald moͤglich, einzus
richten fuchen. Dis foll nicht blos dazu dienen,
baß darinn audgetheilt werde. Cs foll auch
dienen zu, einen Aufenthalte unferer Franken
Armen, welde jezt bei allem Gelbe, daß fie
koſten, noch elend verpflegt werben ! damit fie
nicht ferner umlommen, wie ber Kifer, wenn
er zu früh aus der Erde hervorkriecht, und
nicht ferner vom Ungeziefer aufgezehrt werben,
wie im ſchwuͤlen Sommer dad Gras auf dem
verfengten Unger: 3 fol dienen zur Auf—⸗
nahme derjenigen Unglüclihen unter unſern
Urmen, die ihre Vernunft verliehren, aber das
‚bei doch immer unfere mitleidenswärbigfien
Hh 3
486 Gintenid Predigten
Bruͤder bleiben; damit fie leben können, ohne
Selbſtmoͤrder und Mörder unſchuldiger Kin⸗
der zu werden, ohne ihre Nachbarn in Feuers⸗
gefahr zu ſezen, und ohne jeder ſeinen beſondern
Waͤrter zu brauchen. Es ſoll auch dazu die⸗
nen, daß darinn ein Saal angelegt werde, in
welchem hundert Arme arbeiten und eben ſo
viel im Winter ſich noch waͤrmen koͤnnen. Das
Haus ſelbſt haben wir nun. Die Baumate⸗
rialien dazu haben wie Hofnung zu erhalten.
Aber woher nehmen wir dad Geld zum Arbeits⸗
lohn für bie Bauleute dabei? — Meine Brüs
ber! bie Kollekte, welche heute auf Befehl in
ben Becken an unſern Kirchthuͤren gefammlet
wird, diene dazu! O laſſet und doch biefe Ges
legenheit ergreifen, Wohlthaten, ohne ums
jern Namen nennen zu dürfen, an das
Armenweſen auszutheilen! An jedem Orte,
wo eingerichtetes Armenweſen iſt, wird derglei⸗
chen Kollekte als eine Quelle betrachtet, aus
der daſſelbe mit unterſtuͤzt wird. Bei der Eh⸗
re unſrer Gemeine, laffet fie reichlich ausfallen!
Soll id) euch etwa den gewöhnlichen Beweg⸗
gruud dazu geben, daß Bott es end) reich⸗
/
über Armuth und Bettelei. 487
lich wieder vergelten werde? Nein —
mein ganzes Herz empört ſich gegen dieſen.
Was daͤchtet ihr wohl von einem Geber, der
unter der Bedingung am Groſchen gäbe, daß -
ihm dafür ein Thaler wieder werden follte?
Alſo lieber chriftlich bei ber Sache gefpros
den — gebet, daß Me nichts dafür hof⸗
fet! Euer eigened Herz lohne euch dafür, vers
gelte ed euch durch frohes Bewuſtſeyn, recht⸗
ſchaffen gehandelt zu haben, und fegne end, mit
den überfchwenglichen Gefühlen einer Seele, bie
Sort nachgeahmt ba! —
So Iaffet und nun anbern weiter helfen!
Oder dis haben wir gu thun, wenn bie gufe
Sache unter und beſtehen und immer vollkom⸗
mener werben fol. — Geradezu geſagt,
fie wird alſo fo lange beſtehen, als wir alle zu⸗
ſammen wollen, daß fie beſtehen ſolle. Sie
wird Reihen von Jahren hindurch fortdauern,
wenn dis nuſer Wille iſt, und wird in vier Wos
chen wieder zerfallen, wenn bis auch unfer Wille
if. Meine ſaͤmtlichen Mitbuͤrger wollen dies
fer Worherfagung jederzeit eingeben? bleiben;
weil ich in jebem vorkommenden Falle mir ed
u 254
488 | Sintenis Predigten
ſelbſt ſchuldig ſeyn werde, mich auf felbige vor
der ganzen auswärtigen Welt zu beru⸗
fen. Ich rede, wie oben ſchon gefagt, heute bie
lezten Worte über die Sache von biefer Stätte.
Goͤnnet mir nun, meine lieben, die Mus
be, wenu ich fie ſuche, wenn mein Geiſt,
oder meine aͤuſſerliche Weltlage mir es zus
Pflicht machen, daß ich fie ſuche. Unter
ben Augen ber Kommiſſion, bei ber ich bin,
. wird die Sache doch aufs befle fortgeſezt wer⸗
den. lach vollbrachter Arbeit fol je
gut ruhen ſeyn. Beſchuldiget mid nicht
der Untreue im Worthalten; ich habe mehr ger
leiſtet, ald ich verſprach. ‚ Beichuldiger mich
ichs des. Muͤdewerdens im Thaͤtigſeyn: ihe
thätet fonft einer Seele Unrecht, die- vielleicht
shätiger iſt, als fie ſeyn follte, wenn langes
Erdenleber ihr einziges Dichten und Trachten.
wäre!
Dauk, heiligen, chrfurchtsvollen Dank um
ſerer Landesherrſchaft für ihren edelmuͤthigen
Zutritt zur Sache! Ohne fie hätten wir nichts
fchaffen mögen. Heiſſes Erflehen der ſchoͤnſten
Seguangen, die der Himmel nur bat, dafür
a N
über Armuth und Bettelei. 489 -
über fie, fo lange ich bin! Dank allen hiefigen
obrigfeitlichen Perfonen, die früher oder fpäter
ſich für die gute Sache thätig bewieſen, Dank
allen meinen Mitbürgern, die fie unterflüzten !
Dank auch denen, die mic) deshalb, daß ich
unverkennbares Gutes fliftete, aufeinden
tonnten. Ich bin ihnen mehr ſchuldig, als ih
anfangs glaubte. Wie haben mich Weltflugs
heit gelehrt, an der ed einem Manne, wie mir,
ber ohne Umſchweif handele, bismal zum,
Gluͤck noch gebrach. Sie haben mich offen⸗
bar moraliſch beſſer gemacht. Sie haben mei⸗
ve Kenntniffe von meiner eigenen Vaterſtadt
ausgebildet; benn, fo wie ich manchen meiner:
Mitbürger nun nach unternommener Sache hoͤ⸗
ber ſchaͤze, den id) ſonſt gewiß nicht genug ſchaͤz⸗
te: fo weis ich nun auch, bag ih manchen ans
dern hochgeſchaͤzt habe, ber nie ein Gegen⸗
ſtand meiner Achtung zu ſeyn verdiente. Wol⸗
Ien fie ferner einen Gegenſtand ihres Haſſes
haben: fo bitte ich fie, daß fie, da fie nur zwis
ſchen der Sache und mir zu wählen haben, lie⸗
ber mich dazu nehmen. Ich glaube, daß ich.
ed eher aushalten koͤnne, ald jene. Ich kann
265
.1
490 Gintenis Predigten
für mid) reden; aber bie Sache kann e8 nicht
für ſich.
Und nun, meine Brüder, zum Shtluſſe?
— Der Druck meiner beiden Predigten, wel⸗
che ich für das hieſige Armenweſen hielt, hat
bis auf diefen Tag nahe an tauſend Thaler eins
gebracht. Diefe Summe erwuchs theild aus
den Verkaufe der Predigten ſelbſt, theils durch
Beiträge, welche inns und anslaͤndiſche Men⸗
ſcheufreunde mir übermachten. Ich konnte das
‚Geld austheilen, wie ich wollte. In Anſehung
der and meinen Prebigten geldfeten Summe
war dis narkrlich, weil ed im Grunde Ertrag
meiner eigenen Arbeit war. Und bie freiwilli⸗
gen Beiträge , deren Geber ich nur zum Theil
dem Nahınen nach Fenne, wurden mir ganz zu
meiner freiwilligen Difpofition überlaffen, daß
ich fie nach meinem Gewiſſen austheilen follte,
Jezt iſt die ganze Summe ausgegeben; ja id
bin ſchon im Vorſchuß. Ich finde mic, beds
halb nicht für verpflichtet, vor irgend einem der
gewöhnlichen Richterftühle darüber Rechen⸗
(haft abzulegen. Uber id) habe fie doch abs
gelegt; abgelegt vor einer Gefellfhaft meiner
über Armuth und Bettelei. 493
Mitbürger, an deren Redlichkeit Fein Zweifel
iſt; und jezt iſt meine lange, darüber geführte
Rechnung in einer gewiſſen Hand, in die ich
fie laͤngſt fchon wuͤnſchte. Inzwiſchen bin ich,
da ich das Driginal von ihr felbft noch befize,
erböthig, fie jedem, der fie fehen will, zu zeis
gen, unb werbe mich recht freuen, wenn viele
fie ſehen wollen; damit meine Mitbuͤrger fi
überzeugen, wie feit ſechs Monaten mein Les
ben nichts als ein immerwährender Umtrieb
im Theilnehmen an fremden Leiden und in Ers
leichterung derfelben geweſen iſt. Mit diefer
betraͤchtlichen Summe habe ich ſeither alle auſ⸗
ſerordentliche Unterſtuͤzungen beſtritten. In
ben Rechnungen der Armenkaffe iſt weiter kei⸗
ne Ausgabe von mir aufgeführt, ald was in
den ausgetheilten Büchern ben Armen feflges
ſezt iſt. Ich fage bis wohlbedaͤchtig, um allen
nachtheiligen-Meben, mit welchen ſich verfchies
dene unter und die Zeit vertreiben, ein Ende zu
machen. Sc babe damit bie Kaffe iu Vor⸗
rath gebracht, habe Leben gerettet und Todes⸗
angft erleichtert, und unfern Armen durch Ans
auf vielen Holzes einen ber ſchrecklichſten Wins
‘
-
492 . Gintenis Predigten
ter erträglich gemadt. Diefen legten Segen,
den ich geſtiſtet, raubt mir ja wohl mein ums
verſoͤhnlichſter Feind nicht....
|
Meine Brüder! mein Hans war felt einis
ger Zeit eine Freiflätte, wohin unfere Leidens
ben flohen. Im der Stube, in der ich wohne,
find unzählbare menſchliche Thraͤnen gefloffen.
Ach! wie koͤnnte ich beffen je vergeſſen! Wie
oft habe ich, wenn Elende mit Jammerthraͤnen
zu mir Famen, und mit Freudenthränen von
mir giengen, ihnen meine Dankthraͤnen gegen
Gott im Verborgenen nachgeweint, der mid
fo begmadigte, daß ich ihnen helfen konnte! Uns
audfprechlich iſt meine Arbeit von Gott gefeg
net worden. Und wem mir nun auch nie
wieber etwas gelingt: fo will ich denken, daß
ich recht reichlich hierdurch vom Schickſal abge⸗
funden ward. Ich bin belohnt — belohnt
durch glüdlichen Erfolg. Möchte ich jeben,
der Gutes thun kann, anreizen, es zu thun!
Moͤchte ihn allemal auch nur halb der Gegen
babei treffen, ber mir zu Theile ward! Fa,
id) habe gefehen, daß ſich noch Gutes auf Er⸗
N
über Armuth und Vettelei. 493
den genug thun laſe, daß die Welt noch nicht
fo gar im Argen liege, wie manche Menſchen
vorgeben, uud daß eben dieſe vielleicht am tiefe
flen nur barinn liegen. So länge ich lebe, foll
es mid) freuen,. daß ich im männlichen Alter,
wo die Welt am .meiflen von uns zu fordern
berechtigt ift, Kräfte, die ich in mir fühlte, nicht
furchtſam, wie andere, verbarg; ober träge vers
grub, fonderu mit ihnen frei bervortrat und
wirkfam ward, Sch will e8 mir. zur Pflicht
machen, recht oft und laut von ben Frenden
ber Menſchenliebe zu reben, da ich fie num-fe
ans Erfahrung Eenne. In jedem Unglüd, das
Gott noch über mich verhängt, foll ed mich troͤ⸗
fin, daß ich für Leidende ſprach, gieng und
wirkte. Das Buch, in welchem ich Alles, was
ich einnahm und ausgab, auffchrieb, foll unter
allen Büchern noch das lezte ſeyn, in dem ich
blättere, und mein ältefler Knabe foll es einſt,
als meinen fhönften Nachlaß, aus meinen
Händen empfangen und ed wieber feinen Kins
bern laſſen; damit es bleibe langer Reiz zur
Nachahmung und zum Segenſliſten meinen
Nachkommen u
494 Sint. Pred. uͤb. Arm. u, Bettelei.
Habe ich bei euch, meinen Mitbuͤrgern,
durch dieſe meine Handlungen gewonnen? —
bei Auswaͤrtigen gewann ich — — um ſo
mehr wohl mir! Gonnet mir ferner eure Lie⸗
be: Ich will ihrer Immer würbiger zu wers
den ſuchen. Trennet und das Schickſal: ſo
ſegnet mein Andenken! Finde ich — ach, die
Wege der Fuͤrſehung find dunkel — bei end
ein frühes Grab : fo lieber au meiner Statt
meine Hinterlaſſenen! Rufet mir im Tode
nichts weiter nah, ald — er half andern
gern! Mein Geift wird zwar alsbaun, wenn
ihr dis fprechet, ſchon in feligern Geftlden ſeyn,
wo er Feines Troſtes mehr bebarf; ; aber auch
da hinüber folk ihm dieſer euer ra noch
als Silberton Enger ....
Von bem | —
Mittrlmaͤßigen
bei ’
WVerwaltung eines Staats,
“
* .
Gedanten eines Königlichen Staat⸗ ⸗Miniſter
un. Gr. W.
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497
E. iſt in der Mechanik ein auf Erfahrung
gegruͤndeter Saz, daß zu kleinen Maſchinen
keine großen Raͤder, oder Federn müffen aus
getvenbet werben. Die Natur giebt uns hier⸗
zu ſelbſt Anleitung 5 die geringfien Mittel
bringen, in eingeſchraͤnktem Veryaͤltniß ‚ben
bewaͤhrteſten Effect.
Sn ber politifchen Mafhine, iſt eine ‚ges
wiſſe Mediocritaͤt für” ein wahres Gluͤck der
Vorſehung anzuſehen: wann der Kreis, worin⸗
nen der Verſtaud arbeiten ſoll, enge beſchraͤnkt iſt.
Ein kleiner Fuͤrſt, ein regierender Biſchoff,
welche das Genie eines Friedrichs, oder Six⸗
tus V. haͤtten, wuͤrden das Verderben ihres
Landes ſeyn. Hoͤchſtens entſteht hieraus Per⸗
ſonal⸗ Größe: ſolche disharınonive nur gar
zu oft mit der Local» Bröße, 3.8. einem
Rudolf von Habsburg hat es gegluͤckt, ſich und
ſeine Familie zu erheben. Allein ſein Vatere J
Patr. Archiv, III. Theil. Ji
498 Bon dem Mittelmäßigen
land, die Schweiz, litte gewaltig durch feine
Größe. Alſo ift die Mediocrität der Res
genten für Pleine Staaten eine wahre
Gnade Gottes.
Nun iſt die Frage:
Muß deswegen Alles mediocre in ſolchen
Landen ſeyn?
Ich bin der ganz entgegen gefezten Mei⸗
nung: ſchwache Staaten können fidy nur durd
Eröftige Rathgeber erhalten. Wo die Maſſe
. an fih auf feſten Pfeilern ruht, wie z. B. in
Frankreich, da kann dad Mtiniflerium manch⸗ |
mal (doc) nicht zu lange) ſchwankend, mittel
mäßig, ja wohl gar verdorben feynz aber bei
Eleinen Staaten, die der erfie Wind ummirft,
müffen fletd Leute vom größten Gewichte für
die Öffentliche Sicherheit wachen — wohlver⸗
flanden, daß ſolche Miniſter nicht Sully, Ris
chelich. Kaunitze, ſeyn wollen — Die aber,
welhelts auch zu bemerken, bei ihren vielleicht
aͤngſtlich Heinen Negotiationen, Anordnungen,
Rentirnügen, Juſtizſachen, u. d. m. eben ſo viel
bei Berwaltung eines Staats, 499
Fleiß, Xalente, j je wohl gar kKopf, ‚ls; jen |
Genies, beweifen muͤßten.
F Lieber Himmel! höre ich jemanden fagen,
wo in aller Welt koͤnnen wir eine foldie Ans
zahlt Männer finden! — und haben wir fie
auch gefunden, wie ift es möglich, daß fie bei
diefer Arbeit ihre Spannfraft beibehalten, ober.
wäre.aud) biefes, durch was: vor Mittel wife .
fen: wir folcde Leute bei und gu fiziren A«.
Dhme mich in weitkäuftige Widerlegung bies
fed Sazes einzulaffen, begnuͤge ich mich zwei:
Beifpiele anzuführen,‘ wo immerwaͤhrende fefle
Siſteme Minifterien erhalten, fo nie ausſter⸗
ber. Das erfte exiflire feit 600 Sahren wes
nigſtens: es iſt das Conclave der Kardinaͤle zu
Roms dad andere macht. den Grund der Groͤße
des Hauſes Deflerreichd ; feit 300 Jahren era
halt es ſich blühend durch fein. Miniſterium.
Rom und Wien fanden befländig Leute von
andgebreitetem Verdienſt, durch weldyeihreSous -
veraine alle Capricen des Schickſals befiegten.
Ji⸗ 2 |
gco Vondem Mittelmaßigen
Matuͤrlich / iſt es, daß ich ‚hier die größten
Monarchen Europend nicht in ihrer jezigen
Hoheit anfuͤhre, ſondern von dem Anfange
und erſten Fortgange ihrer Betriebſamkeit rede,
wodurch ſie endlich ſo hoch geſtiegen. Daher
auch das Spruͤchwort: kein Papſt, kein
Kaiſer ohne rRath, eine goltene Senten;
worden iſ.
\
SE Ha war auch helchchen, daß ein Di
nifter ein gu weis ausſehendes Genie hat, wos
durch er auf einige Zeit ein Land verwirren
Tann: Branvella, Mazarin, geben hieven
Proben; allein biefes ereignet ſich felten, oder
auf Eurze Zeit in Beinen Staaten. Oppen⸗
heimere und Süße und Daehne find balt
geflürze worden. Solches gefchieht aber nicht
bei Megenten, deren Ehrgeiz weit über die
Stärke des Staats gefpaunt, feinen Ton auf
folgende Generationen ausbroitet, und ſelbſt
dadurch was nuͤzliches, ober großes zu thun den⸗
ket — ein Gedanke, der nie in des Miniſters
Sole Wurzel faßt. Iſt er ein ehrlichen
j
|
. bei Verwaltung eines Staats. or
verftändiger Mann, fo arbeitet-er für -
den Staat mehr, als für die Perfon des -
Sürften: und im Gegenfaze iſt et ein Wage⸗
hals, der für ſich allein exiſtirt, danwihat ex
doch Augenblicke, wo ihm fuͤr ſein Vermoͤgen,
feine Kinder, ſeine Reputation „oder ‚feinen
Kopf, bange wird; ein Lenitif, welches mans
he abentheuerliche, ober. raſche Handlung zus
ruͤckhaͤlt, ſonderlich in Heinen Landen, wo das
Verhaͤltniß des Gewiſſens, gegen den bes Vers
luſtes, mehr Gefahr als Gluͤck Värbietet.
.%
L
Webe dem Lande, wo der Allein
herricher aus Mißtrauen oder Ehrſucht
alles thun will. Solches wiegdedadurch fo
heruntergeſezt, daß ſelten dieſe, gyzipungeng,
Scheingroͤße ſich bis auf den Tod des Defpos
ten erhält, und nie auf feine Nachfolger ſich
ererbt. Denn hätte auch erflerer, Burdk ein
kaum zu glaubendes Ungefähr, ein Wuiverfal«‘
Genie: fo Fan er doch unmöglich zu Wen Zei⸗
ten aller Orten feyn, nnd dann Wo- bleibt bei’
ſolcher mechauiſchen Regierung ber Ttieb zum:
Ä Ji 3 |
303 Von dem Mittelmäßigen:
Erhabenen, ‚wann Untexgebene unaufhoͤrlich
Subalternen bleiben follen ? Da formirt ſich
feine Pflanzſchule zu Eünftigen Stuͤzen de
Staates. Das Handwerk der Ja⸗Herrn er—
ſchlaft: alle Spannkraft. Da, wo Viemand
widarſprechen darf, bleibt dem freien
Willen kein Eigenthum: und wo alle
Handlungen vorgeſchrieben find, erloͤſcht
des Trieb zum Großen.
ilein wie ſoll der Fürft fi num helfen,
ſonderlich wann er ſo iſt, wie ich es von allen
wuͤuſche, von nicht uͤberſpannten Geiſtesgaben?
Wie kann er ‚gute Rathgeber finden?
Freilich ME’ dieſes hoͤchſt ſchwer: dem hat
er auch ein ehrliches Herz und ſucht feines Gleis
gen, ſo ſo if dieſes nicht hinreichend. |
E⸗ würde von mir eine abenthenerlche
Praͤterſi ien, ober einen unnuͤzen Schulwiz vers
rathen, wenn ich mich Hier unterſtaͤnde, bie ers
forderlichen Eigenſchaften eines Miniſters zu
entwerfenn — Auch wuͤrde ed manchem Re⸗
bei Verwaltung eines Grassk 503
genten zu abflract feyn. Um alfo leichten von
der Sache zu kommen, wage ich ed, einige wen
gative Aualitäten herzufezen, durch welche man
den mediocren Verfland erkennen und ald uns
tauglid) verwerfen kann.
In bieſe Categorie gehoͤrt
Der Mann, der Niemanden anhoͤrt: fiets
von ſich, feinen Gefhäften, feinen Thaten redet?
der fich einbildet, oder andere weismachen will,
alles gefehen, geprüft, verſucht zu haben.
Der andere, ber tollite! gegen alle erhabe⸗
ne Ideen ſchreit: der das alte Herkommen zur
Grundlage ſeiner Handlungen macht.
Der dritte, der mit Üblerdaugen alles auf
den erſten Blick durſchauen will: jede Sache,
die er nicht begreift, für. Non-Sens: jede Mei⸗
nung, bie er nicht verfteht, für Vorurtheil: jer
de Verfaſſung, ſo ihm im Wege ſteht, fuͤr land⸗
verderblich anſieht.
Der vierte, den weder Freude noch Leib
bewegt: ter feinen ledernen Stuhl im Conſeil
Sig
504 Bon dem Mittelmäßigen
für einen Thron hält, von bem er die Wiens
ſchen richtet. und alles, was vor ihm ſich nice
beugt, als nichts anſieht: den man durch
Schmeicheleien uͤber ſeine Verdienſte hinreißt,
daß er alsdann ſein Herz eben ſo in ſeinen Haͤn⸗
den traͤgt, als der heil. Dionyſius fin abges
ſchlagenes Haupt.
Der fünfte, ber hören, begreifen und ride ⸗
Gen, für eine und dieſelbe Sache anfieht.
"Der fechfle, der nur das dunkle, compficits
ve, diffuſe, verwickelte liebt: das ſimple, plane,
gerade, ſchlichte, verachtet:
Der fiebende, der mnaufhörlih beſorgt,
man möge ihn bercägen, bevorthejfen, compro⸗
mitiren.
Der achte, der das Wort Nein zu ſeinem
Wahlſpruch erkießt, und ſich etwas beſonders
"baranf einbildet, unzaͤhliche Sontrabietionen das
ber zu orgeln. | |
Der neunte, ber nur in einem Fade fat
telrecht iſt: feine Schwäche in andern kennet,
mb um ſolche zu verbergen, eine offenbare Vers
x
bei Verwaltung eines Staats. sos
achtung gegen ſelbige aͤußert, dem ohnerachtet
aber mit Rieſen⸗Haͤnden alles in fein Fach zus
fammendrängt, ed mag fich ſchicken, oder nicht.
Der. zebende, ber gegen allen Sim unb
Verſtand / die Rolle eined Hofſchranzens fpielt,
alles mitmacht und Ueppigkeiten, Verſchwen⸗
dung und Zeiterfäumnifle da einfährt, wo Tu⸗
gend, Fleiß und Arbeit Statt finden ſollten.
Der eilfte, der ſechs oder ſieben unterfchier
denen Reputationen nachjagt: Ruhm, fo ans
dere erwerben, ald eine Beleidigung gegen ihn
anfiehet,, folchen hingegen für fih zum Mono⸗
polium macht und auf feine Perfon alles im
Staate concentrirt. |
Der zwoͤlfte, der ein paar fremde Laube ges
‚ feben bat, und ein jedes, was vorkommt, nad
diefem Maaßſtabe mißt: der Gewaͤſche für Ges
lehrſamkeit hält, Memorie ſtatt Verſtand aus⸗
giebet und einfeitige Erfahrung au der Stelle
Gedanken ruͤhmt. ,
- iz
506 Bon dem Mittelmaͤßigen ec.
Haß gegen gewiffe Stände, Handwerks⸗
neid, Emporbringung feiner eignen Familie,
ober Eriechende Ergebenheit gegen andere, Geld⸗
geiz und dergleichen Niedertraͤchtigkeiten mehr,
führe ich hier nicht an; indem ich fo viel einem
Megenten zutrane, daß er Leute, welche damit
gebrandmarke find, nie einer Achtung wuͤrdi⸗
gen wird, und fie daher nicht in die Concur⸗
renz Tommen Finnen.
XV.
Von
Stonomifchen
Geſell ſchaften,
insbeſonder
der Fuͤrſtlich Baadiſchen zu Carls
ruhe und denen in den Oeſter⸗ |
rreichiſchen Erblanden,
DJ man bie Geſchichte von Leben, Tha⸗
ten und lezten Stunden der deutſchen bkonoml⸗
fchen, patriosifchen, Ackerbau⸗ kameraliſch⸗ phis
fikaliſchen und anderer Geſellſchaften, ver Lands⸗
Dekonomies Deputationen, Land» Commipßios
nen und wie fie weiter heißen, beiſammen haͤt⸗
te, fo würde fie einerfeitd ruͤhmliche Denkmahle
von Menfchens und Vaterlands Liebe aufflels
Ten, andererfeitd aber auch fehr demuͤthigende
nnd traurige Veweiſe von dem ewigen Con⸗
flict des menfchlichen Verſtandes und Willens,
von dem ewigen Kampf ber Rechtfchaffenheit
mit Bosheit, Neid, Dummheit, Eigenlicbe unb
Eigennuz, von ber nervloſen Schwäde ber
meiften guten Vorſaͤze der Regenten und von
der alten und allgemeinen Erfahrung darlegen:
daß es immer leichter fei, Gutes zu hindern
und zu zerflören, als Gutes zu thun; daß
ſcheinbar gute Anflalten gemeiniglih nur fo
Lange dauern, ald Eigennuz, Anſehen und ans
dere Neben s Übfichten dev Theilnehmenden das
e
Bann man bie. Geſchichte von Leben, Tha⸗
tem und lezten Stunden der beusfchen bkonomi⸗
fchen, patriotifchen, Ackerbau⸗ Fameralifchs phis
fikalifchen und anderer Gefellfehaften, ber Zander
Dekonomies Deputationen, Land» Commißios
nen und wie fie weiter heißen, beiſammen haͤt⸗
$e, fo würde fie einerfeits rahmliche Denkmahle
von Drenfchens und Vaterlands⸗Liebe aufftels
Ten, anbererfeitd aber auch fehr demuͤthigende
and traurige Veweiſe von dem ewigen Cons
flict des menſchlichen Verfioudes und Willens,
von dem ewigen Kampf der Rechtfchaffenheit -
mit Bosheit, Neid, Dummheit, Eigenliebe und
Eigenunz, von ber nervloſen Schwäde ber
meiften guten Vorfäze der Regenten und von.
der alten und allgemeinen Erfahrung darlegen:
daß ed immer leichter fei, Gutes zu hindern
und zu zerfiören, ald Gutes zu thun; daß
fyeinbar gute Anflalten gemeiniglih nur fo
lange bauern, ald Eigennuz, Anfehen und aus
dere Neben» Übfichten der Theilnehmenden das
e
si Von dkonomiſchen
Unterthanen um neue Abgaben, oder gutherzi⸗
ge Kapitaliſten um ihr Geld belügen und bes
fiften, den Söhnen, Schwiegerfühnen und Vet⸗
tern deiner Obern aber zu Dieufl, Brod, Com⸗
mißionen und andern Bortheilen helfen kauſt,
uͤbrigens deinen Namen und Einfaͤlle ſie ſo
ſelten, als moͤglich, leſen machſt. So, pur fo,
kanſt du in dem Land, ſo dein Vaterland iſt,
leben und alt werden; iſt dir diß zu wenig, ſo
geh vier Wochen in die Refidenz, höre und ſehe
unb machs meinetwegen, wie andere. Kommſt
du aber irgendwo in ein Land, wo Menſchen⸗
und Ränderwohl das Stecdenpferd deines Herrn
oder feines Miniſters iſt, fo thue mit frohem
. Eifer alle daB Gute, was du nach Zeit und Ge⸗
legenheit thun kanſt, und bir zu thun erlanbt und
befohlen wird, vechne aber nie auf vielen Dank,
noch weniger anf dauerhafte zeitliche Süd,
thue felbfl des guten nie zuviel auf einmal,
fhone der Schwachen, denen bein Eifer Vor⸗
| wurf, ſchone fogar ber Böfen, denen du gans
zer Menſch, wie du gehft und ſtehſt, Dorn in
Auge biſt; den Spruch Davids: „Verlaß
„did nicht anf Fuͤrſten, ſie ſind Menſchen, die
bins
/
Geſellſchaften. 813
„kbuuen ja nicht helfen“ laß die unter Glas
in ein vergoldtes Raͤhmgen faſſen und haͤnge
es Äber deinen Arbeitstiſchz wann du dann ala
Ted Jahrelang mit thätigfter Treise gethan haft,
laß dichs nicht befremben, wann du zulezt
gleichwohl als ein Ignorant, Lügner und Bes
‚sräger bei deinem. Herru angegoßen wirſt,
wann ſelbiger, weil ex zu ſchwach ober zu faul
iſt, zu prüfen, ben Verlaͤnmdern blindlings
glaubt, dich aber aus erheblichen Urfachen
caßirt, dann nimm, wann bu Fanft, deinen
Stab in die Hand, gehe auf Gottes Erdboden
weiter, mach dich gefaßt, baß dirs überall fo
ergehen koͤnne, Laß dich feiner guter Handlung
fe gereuen, handle immer und überall mit glei⸗
chem Eifer und Treue und bedenke: daß man
Der kranken Welt auch wider ihren. Dauk und
and Willen Gutes thun, uber auch ihren von
je ber gewohnten‘ Lohn ſich gefallen laſſen und
der Beit erwarten muͤſſe, wo ber, fo ind Ders
borgene ſiehet, jedem vergelten wird Öffentlich,
je nachdem er gehandelt habt bei Leibes Leben
gut ober boͤs.
patr. Archiv, DL. Theil. ME
514: Don oͤkonomiſchen
Iſt dieſes der. Hintergrund , der flärkfii -
Schatten im Gemählde, giebt es noch Gottlob!
deutſche Lande, wo man ohne Gefahr aͤhnli⸗
her Behandlungen Patriot ſeyn nud zwar
nicht juſt alles, aber doch manches Gute thun
Tan, fo bleibt doch das Eingangs gefagte von
den Schietfalen gefchloßener Gefellichaften wahr,
weil eö-Teine ſchwermuͤthige Traͤumerei, ſon⸗
den traurige Thatſache von fo. vielen bereits
entihlafenen, noch in legten Zügen liegenden,
am Innern unheilbaren Gebrechen hinſchmach⸗
senden Anſtalten diefer Gattung iſt.
Es iſt weder mein Zweck, noch geſtattet
der Plan dieſes Werks, ein ſolches Todten⸗
und Krankenregiſter zufammen zu tragen,doh
konnte und wollte ich auch biefe traurige Bu
meierkungen nicht zurüchalten, da fie mir bei
Gelegenheit der Geſchichte einer Geſellſchaft
beigegangen find, beren man vor vielen andern
‘Reben, Geſundheit, Waͤchſsthum und Gedeihen
hätte zutrauen dörfen und follen. Ca iſt ſol⸗
ches bie von dem jeztregierenden Herrn Mary
grafen zu Baden Un. 1765 gefliftete, von
dieſem Fuͤrſten und deſſen Herrn Bruder in
Geſellſchaften. 515
ſelbſt Perſon beſuchte, mit verſtaͤndigen und
thaͤt igen Männern beſezte, und gleichwohl in
ihrem erften Lebensjahr ſchon wieder verborrte
und getrennte Geſellſchaft der nuͤzlichen
Wiſſenſchaften zu Beförderung des ge⸗
meinen Beſten. |
Deren Entſtehung und Miräticber ‚ben
Plan ihrer Bekanntmachung und fih vorgeſez⸗
ten Beſchaͤftigungen und⸗ ihre Schickſale kan
man in Herrn Regierungsraths Schlettmein
Archib vor den Menfchen und Bürger, 1 Band,
S. 450 ausfuͤhrlich nachleſen; ich begnuͤge
wich, davon nur folgendes‘ anzuführen; welches
die fehlerhafte ftamina vita biefes oͤkonomi⸗
{hen Kindleins and daher unvermeidlich ges
worbene Auszehrung ganz offenherzig vorlegt:
„Die Wirkungen der Karlsruher Geſellſchaft
gienge im Anfange nach Wunſch. Wuͤrklich
wachte der Geiſt des Nachdenkens und der This‘
tigkeit im ande fehr auf, und verfchiebene wuͤr⸗
dige Männer, geiſtliche und weltliche, uͤberſen⸗
deten ber Societaͤt über mancherlei nüzliche
Gegenſtaͤnde ſchoͤne, leſens⸗ und beherzigungs⸗
wuͤrdige Aufſaͤze. Das Land Di nothwen⸗
| F |
516 Bm demomifchen
big von Jahr zu Jahr vervielfältigten Ges
gen son ben Bemühungen der Godetät, bie
eine fo vorzuͤgliche Situation hatte, ‚ enpfins
den mäflen, wenn ihre Fortdauer beſtimmt
geweſan wäre . Über dad war nie. Un⸗
ser den Gliedern der Geſellſchaft waren nur
rin Paar, die wuͤrklich arbeiteten, aber fie was
zen mig praftifchen Gefchäften beladen, und
Bonten nicht bie allwwächentliche Verſammlun⸗
gen der Gefellfhaft in Thaͤtigkeit erhalten.
Daher wurden fchon gegen bad Ende des Jahrs
"265 bie Zuſammenkuͤnfte der Societät mehr,
malen ausgeſezt, wenn biefe Arbeiter gerade
nichts vorzulefen hatten, und auch ans dem
Lande nichtd eingegangen war. Diefe Unters =
brechung ber Societätd » Verfammlung wurde
fogleih Landkundig, und der Eifer, vor bie
Gefellfhaft zu arbeiten, wurbe fo Kalt, als
Nfammend er im Anfang gewefen war. Die
Verſammlungen der Geſellſchaft wurden nicht
weiter angeſagt, und ſo hatte die Societaͤt ein
viel zu frühes Ende, Die von ihrem Stifter zur
Bildung eined gemeinnuͤzigen Volkogeiſtes ge⸗
weihet worden war.“
Geſellſchaften. 8317
Geſchleht das am grünen Holz, was voirbs
am bürren werben? - F
Ueber dem duͤrren Holz fallen mir die von
der hoͤchſtſeligen und menſchenfreundlichen Kai⸗
ſerin Königin Maria Therefia in faſt allen
ühren deutſchen Provinzen geſtiftete und zum
Theil reichlich dotirte patriotiſche und Ackerbau⸗
Geſellſchaften und mit denſelbigen basjenige
ein, mas ein angeſehener Staats⸗Beamter im
einer der wichtigften Defterreicytfchen Provin⸗
zen, welcher Direktor einer folchen Geſellſchaft
war, Graf von® * vor nun 15 Jahren über
feine Lage an mich gefchrieben hatte. Es iſt
zu fehr ähnliches Schickſal mehrerer Bieder⸗
männer, als daß es nicht Troſt wäre, feinew
Klagen: zuzubören. Im Ian. 1771 ſchrieb
er noch: „Das Beſtreben, die gemeine Gläde
feligfeit zu befördern, verbindes ganz gewiß im
einem watürkichen Band zufammen alle Pa⸗
teloten, welche von fo eblen Gefinnungen eine
genommen find ; ber Zwiſchenraum fo vieler.
Provinzen, bie biefelbe abfondern, die verſchie⸗
bene Sitten und Gebräuche, welche fo unters
ſchie dene Volterſchalten beleben, koͤnnen dieſes
Rk3
E18 Won dkonomiſchen
| Band am fo weniger auflöfen, als der Ends.
zweck des Patriotend, feine eigene Entdeckun⸗
gen und Erfahrungen zum. Nujen des Ganzen
mitzusbeilen, baffelbe nur mehr und mehr bes
bevefliget. . Cw. zc. kennen aber bie Deflers
reichiſche innerliche Verfaſſung allzugut, als
daß ich mit weitlaͤuftigen Beweiſen erſt darzu⸗
thun hätte, daß bei und bie Landes Verbeſ⸗
ſerungen immer nur auf der Schneckenpoſt *
vollbracht werden.
Den 16 Sept. eben. dieſes Jahrs 1771
mußte der edle Mann dad hofnungdlofe Bes
kaͤnntniß thun: „Die Geſinnung, welde ic
bei Uebernehmung ber aud Handen Ihro Mais
ber Raiferin ſchon vor 9 Jahren erhaltenen Die
rektion der Ackerbau⸗Geſellſchaft, nebft andern
oͤkonomiſchen Auſtraͤgen geſezt habe, war rein,
rechtſchaffen und pflichtmaͤßig, das Schickſal,
fo mich dabei betroffen, war alſo auch benfels
ben glei und nun muß. ich ganz offenherzig
befennen, daß mein Muth endlich zu ſinken
anfienge, daß mein Eifer immer um das Beſte
bed Staats gegen die maͤchtigſte Widerſprecher
*) Dieſe iſt nun in extra⸗Poſt verwandelt,
’
Geſellſchaften. 519
zu flreiten, und daß ich nunmehro meine aufs
gehabte fämtliche Bedienſtungen Ihro Maje⸗
ſtaͤt zu Fuͤßen zu legen, gleichſam gezwungen
war. Mir wuͤrde unmöglich geweſen ſeyn,
ein Amt laͤnger beizubehalten, in welchem, ohn⸗
geachtet meiner eifrigen und pflichtmaͤßigen Be⸗
ſtrebungen, das Wohl des Vaterlands in voll⸗
kommener Maas werkthätig zu befördern, ime
mer nur ald ein eitler Wunſch anzufehen und
wobei mit ‚meiner Pflicht and Denkensart zu
vereinbaren nicht vermochte, daß Vorfchläge
mit Vorſchlaͤgen überhäufet, bie Thaͤtigkeit und
Vollſtreckung hingegen niemals erfüllt und
faſt alles in dem vorigen Stand leblos gelaffeni
wurde. Nunmehro befinde ich mic) ganz ru⸗
Dig auf meinem Landgut, allwo mir jene ſchon
fo oft mit vollem Hals vergebens geprebigte
Grundfäze bei meiner Landwirtfchaft, zwar in
einem engern Zirkel, gluͤcklich audzuüben ges
lingen, welche man hoͤhniſch ansfpottete, vor
Hirngefpenfter, Abentheiter und Träume ans
fahe. Nichts iſt vermögend, in meiner Ruhe:
mich zu flören, die jedoch mit vielfältigen eins
zeln Geſchaͤften begleitet iſt, ald des Gedanke,
| Kk4
0 Won deomomifthen
daß ich uunmehro vor ben Staat, vor mein
werthes Vaterland und hoͤchſten Landesfuͤrſten
'annüz und müßig leben muß. Diefer Gebaus
Ze wäre fähig, mich ala ber beftigfle Strom,
zu meinem Verderben, öfters hinzureißen, wen
meine vernünftige und sugendhafte Gemahlin
mich, ald eine weife Gehauͤlfin, nicht zuräd und
aufrecht hielte. Sehen Sie, wuͤrdigſter Freund,
daß allbier, wie dorten, eben auch politifche
Krankheiten vorhanden find. Ungluͤcklich aber
diefe Gegenden, mo man geſchickte Aerzte nicht
gu finden weiß, ober nicht gebrauchen mag. Die
in einem gewiſſer Bezirke taͤglich vornehmende
Abaͤnderung ber Aerzte follen und ja mit Grund
hoffen machen, daß bach einmal einige ergiebige
Heilungs⸗Mittel vor die vielfältige Gebreꝛ;hen
des Staatokoͤrpers würden ausfindig gemacht
werden, allein ſo lang nicht ein ſolcher Proto-
Medicus geſezt ſeyn wird, der die Schaͤdlich⸗
keit der immerwaͤhrenden Brech⸗Purgier⸗ und
Ausſaugungs/-WMittel eines theils erkennt, an⸗
bern theils hingegen den Zufluß der gebeihlichen
Lebendſaͤfte befoͤrdert und bie Vermehrung ber
vielfältigen gefunden Nahrungsarten ſtandhaft
. Geſellſchaften. 5
an die Hand nimmt, fo lange verzweifle ich
Sinmer an ber Heilung bed hinliegenden Staats⸗
Förpers st i
Es war aber den Anti» Patrioten nicht ges
ung, ben thaͤtigen und rechtichaffenen Vorſteher
muͤde gemacht und weggedruͤckt zu haben, «8 -
mußtie ihm auch noch gewohnter Lohn und Dantl
gu Theil, ex mußte auch noch verlaͤumdet und
augeſchwaͤrzt werden. Mit fihtbarer Weh⸗
muth ſchriebe er mir daruͤber den 16 Mai 17722
„Daß die Niederlegung meiner obgehabten
Dienſte allerhoͤchſten Orts begnehmiget worden,
verurſachet mis nicht die mindeſte Unruhe, baum
ich unternahme biefelbe mit vollſtaͤndiger Ueber⸗
legung und beſtem Abſehen; allein daß Ihro
Majeſtaͤt die Kaiſerin wegen meinen von hoͤ⸗
bern Orten abgedrungenen Schritten auf mich
ungnaͤdig feye, ſchmerzet mich um fo mehr, als
mein gehabter Dienfl von mir ohne mindeften
Eigennuz, noch Ergoͤzlichkeit durch zehen Jah⸗
ze mit allem Eifer und unausgeſezten Fleiß
betrieben worden, folglich ich niemals biefe
ſchwere Zuͤchtigung verbienet habe. Die Haupt⸗
arfachen der Abtretung meiner Bedienftungen
#5
\
2 Von dkonomiſchen
babe ich in einem beſondern Schreiben an Ihre
Majeſtaͤt die Kaiſerin unmittelbar allerunter⸗
thaͤnigſt vorgeſtellt, ich bewieſe in. demſelben
durch untruͤgliche Urkunden, daß ich mit deu
übrigen anfgehabten Sffenslihen Verwaltun⸗
gen aud) dad Directorat der Aderbaus Ges
ſellſchaft Ihro Majeſtaͤt zu Füßen zu legen bes
müßiget feie, ich flellte vor, daß meine Pfliche
mir nicht verſtatte, ein Amt läuger beizubes
halten, in welchem. ohngeachtet meined pflichts
mäßigen Eifer, dad Wohl des Vaterlauds,
nah Ihro Majeflät preiswürdigften Willens⸗
Meinung, in vollkommener Maas werkthaͤtig
zu befoͤrdern, alles nur immer eitler Wunſch,
die Vollſtreckung aber nie erfuͤllet worden. Mei⸗
ne Entfernung vor ſich allein wuͤrde bei der ge⸗
rechteſten Monarchin den wider mich gefaßten
Unwillen nimmermehr haben hervorbringen
koͤnnen, wann nicht geheime Triebfedern hie⸗
bei einen Einfluß gehabt hätten, und was iſt
bei denen befannten Umftänden leich⸗
ter, als einen Wann zu verfchwärzen,
oer eines theild mit den Lieblingen
nicht im mindeften verfchwägert, nies
⁊
Geſellſchaften. 323
mals zu der Quelle durch Neben⸗Ka⸗
naͤle gewandert und nach dergleichen
Unterſtuͤzungen geluͤſtert hat, andern
theils hingegen in ſeinen Wohlmeinun⸗
gen jederzeit die Sprache eines ehrlie⸗
venden Manns geführet, in den Be⸗
richten wider die Misbraͤuche und Vor⸗
urtheile als ein Patriot geeifert, in den
Vorſchlaͤgen die reine Wahrheit gepre⸗
digt?* folglich find mir all jene feind
geroorden, welchen die Larve der Un⸗
wiſſenheit, des Aberglaubens und Ei⸗
gennuzes abgeriſſen wurde; eine un⸗
geheure Zahl von Menſchen in unſern
Caͤndern! mithin muß ich das nicht
verdiente Schickſal der hoͤchſten Un⸗
gnade auf meinem But in der Stille
mit Bedult ertragen.“
Nun auch biefer edle Mann hat audges
duldet und iſt bereitd vor einigen Fahren zu
feiner ewigen Ruhe eingegangen 5 und fo viel
mag genug feyn, um bad Eingangs gefagte mit
einem weitern Beifpiel bewährt zu haben,
4 Don dkonomiſchen
Schlußfolge und Nuzauwendung vom die⸗
ſem und allen ähnlichen iſt vielleicht: Eine
Geſellſchaft, fie heiße nun bkonomiſch, phiflos
cratiſch, patriotiſch oder wie fie wolle, bie fich
bei Leibes Leben Lange erhalten will unb nicht
bas Gluͤck bat, einen weifen mis eigenen
Augen und Ohren fehenden und hörenden Fürs
fen zum Beſchuͤzer, oder ein erleuchteted, vor
Menſchenwohl gefühlvolles, vom kameraliſti⸗
fchen Defpotifinus unangeſtecktes, thätiges Mi⸗
niflerium zum Freund und Borfprecher zu has
ben, muß fich lediglich mit einer kleinen, nies
Drigen, elenden Politik bebelfen, viel Theorie
in die Welt-hineinhlafen, mit allgemein guten
Raͤthen, frommen Wuͤnſchen, und utopiſchen
Vorſchlaͤgen paradiren, ſich aber dabei ſorg⸗
faͤltig huͤten, dis allen Knechten und Maͤgden
bekannte, in allen Dorfſchenken befeufzte, von
jedem Unterthan ſchmerzlich empfindende Feh⸗
ler und Gebrechen der Staats » Werwaltung
ihres Landes felbft zu entdecken, ober auch nur
anf diefelbe anzufpielen, ihre Schriften muͤſſen
ſich fo gut auf Corſica und Peufolvanien, ala
Geſellſchaſten. 525 |
anf bau Land vaßen, deßen Aerzte und Woehl⸗
thaͤter zu ſeyn ſie vorgeben, am allerwenigſten
muͤſſen fie die Schlechtigkeiten, Schelmereien
and Bedruͤckungen der hohen und niebern
Staats⸗ und Landes-Bedienten fo kenntlich
ſchildern, daß allenfalls jeder Käufer des Buchs
die Namen babei ſchreiben koͤnnte, muͤſſen Fels
ne Derbefferungs « Vorfchläge ber einfachen
amd einfältigen Urt thun, wobei das Intereße,
Eigennuz, und jeder Vortheil der Diener⸗
ſchaſt Schaben und Verkürzung leiden muͤß⸗
te, überhaupt aber das das C Cand druͤcken⸗
de Uebel nie mit ſeinem wahren Ramen
nennen, toͤdtliche Krankheiten nur vor leicht
voruͤber gehende und allgemein gewoͤhnliche
Unpaͤßlichkeiten ansgeben und ſich an die Ma⸗
xime gefaͤlliger Hofaͤrzte halten: Ihren Herrn
eſſen ‚zu laſſen, was ihm ſchmeckt, und leiden
zu laffen, was er Fan: So auch zwiſchen Herrn
und Rand, zwifchen dem Staat und ben gepries
fenen Verwaltern und Dienern des Staats,
Auf diefem Weg werben fie beflehen und ges
deihen, dem Land zwar wenig, ſich aber beflo
26 Bon dkonomiſchen Geſellſch.
mehreren und. größeren Nuzen fchaffen, wenig
Segen, aber deſto mehr. Wind hinter ſich laſ⸗
fen, durch diß aeroſtatiſche Gaukelſpiel von bes
nen, bie ihnen zuhören und nachſehen, Geld
und Ruhm erwerben, und am Ende flatt bleis
bender Thaten, wenigſtens bie Wahrheit des
Spruͤchworts: Selbſt eßen macht fett, I be⸗
flänigen.
xvi.
Kabinetsſtücke.
.
I.
. Churfürft Cudwigs VI zu Pfalz duͤrſt⸗
vaͤterliche Ermahnung an feinen Sohn
und Nachfolger, Churf, Friderich IV: fo.
er nicht lange vor feinem An. 1583
‚erfolgten Too in fein Bebetbud) eins
geſchrieben. )
hriſtus iſt mein Leben. Sterben iſt mein
Gewinn. Phil. 1. Lieber Sohn. Bis (ſei)
gottesfürhtig, bet fleißig, . Morgens und
Abends, gebendh, daß alles glüdh und uns
gluͤckk von Gott koͤmbt, vnd baldt ein Endt
nimbt. Erkhenn dich fuͤr ein Suͤnder. Glaub
dem Sohn Gottes Iheſu Chriſto, das er dich
hab mit ſeinem Tod erloͤßt. Beharre darauf
vnd bekhenn es bis ans Ende, ſo wird er dich
wieder bekhennen vnd ſich deiner annehmen vor
ſeinem himmliſchen Vater. Halt vber deinem
Stand ehrlich, ſey wahrhafft, halt, was du.
2) in Reigers ausgeloͤſchten Chur : Pfalz s Simmeriiden
Stamms⸗-Linie, Ausgabe von 3735, ©, 55, .
Patr. Archiv, Ul. Theil, gi
530 Kabinetoſtuͤcke.
duſageſt vnd ob bir Leib und Gut drauf gieng.
". Dann wann du leugſt in Schimpf oder Erunſt,
fo bift du ein Tenffelös Kindt, der if ein Vat⸗
ter der Lügen. Sey auch züdhtig mit Wors
sen, Gedanckhen vnd Geberben: ſchendt nies
mandt Weib ober Kinds, fey Fein Balger aber
wann man bie Fendlin fliegen left, dann biß
kekh und fleuch nit. Es iſt beßer, ehrlich geflorben,
dann ſchendlich geflohen. Sey nit verthulich,
biß auch kein karger Filz, zu Ehren ſpar nichts.
Red niemand vbel, gedenckh allzeit an dich ſelbſt,
baß du auch ein armer Menſch biſt, nit Handel
felſchlich mit den Leuthen, handel frey vnd runde,
das beſteet am laͤngſten. Doch lehre die Leute
wol erkhennen, dann gegen einen frummen
muſtu wieder frumb ſein. Vor einem falſchen
huet dich, vnd red gegen ihm deſto langſamer.
die nottuͤrftigen Armen laß dir befohlen fein.
Schmaichler, Gotsleflerer und Schalckhs⸗Nar⸗
ren laß dir nit wohlgefallen. Mer dich ſtrafft
und bir wohl räch, den hab lieb. Treue Kir⸗
chen » und andere Diener hab ſehr lieb und loh⸗
me ihnen nad) deinem Vermoͤgen. Wntrene
Diener laß mit Gunft von die kommen, behalt
Kabinetsſtuͤcktke. 531
fie nit, Jedermanns Schand Hilf decken, doch,
wann du regierſt, fo ſtraf das Ubel. Biß des
nen, die unter. dir ſeynd, ein Water, nit bes
ſchwer beine Vnderthanen wider Billichkeit,
dann dieſelbig Narung hab ich oft ſehen vbel
geratten. Halt vber dem frommen vnd ob im
ſchon bißweilen ein Thorheit widerferth, fo firaff
in, aber mit Vernunft, fo vil dir gebuͤrt. Huͤt
bich vor Zutrinckhen, dann daraus, ſpricht
Sanet Paulus, kumpt ein unorbentlich Leben,
— Suͤnd, Schand und Laſter.
2.
Der Monarch, im Bilde görtlidher
Gnade,
Sꝛaf Khevenhuͤller erzehlt in ſeinen Fer⸗
dinandiſchen Annalen *) von Kaiſer Ferdinand
11. folgenden herrlichen Zug: „die Mährer haben
ſich auf Gnad und Ungnad ergeben, unter wels
hen Ständen Graf von Achot, Kaiſerl. Mai. _
Kämmerer, zum Pfalzgrafen ( Friderich V,)
gefallen, und dort Kammerer worden, aud)
5‘ im I. Band der Ganterjsiten ©. 44.
LZ12
diſcurrirt: wie der Kaiſer auf ber Jagd koͤnnte
leichtlich gefangen ober aufgerieben werben, und
ald einſmals nad) erhaltenem Pardon fih Ihre
Majeſtaͤt gegen ihne von Achot ganz gnaͤdigſt
erzeiget , ein auberer hoher Dfficier gefragt :
wie Shre Raiferl. Mai. einen folden, der Sie
fo hoch beleidigt, lieben und trauen koͤnnt ? dem
haben Sie geantwortet ; Wann ich einem
pardonirt, jo the ichs mit ſolchem
treuen Seren, daß ich nimmermehr
was Böfes von ihm gedende, und ift
mir gleichfam, als wann er nie nichts
wider mich gethan hätte,“
3
Republifaner » Stolz gegen Bonigo⸗
Stolz.
u bem Reife Journal des jezigen Herrn
Faͤrſten Reuß durch Fraukreich im Jahr
1741. lieſet man: „Der Kardinal von
Polignac fagte, daß, ald er ehebeffen franzöfi is
fer. Sefandter in Holland geweſen, umb bie
*) in Hrn. Buͤſchings Bepträgen zur Lebens⸗ Ge⸗
ſchichte dentwuͤrd. Perſonen. I. Theil, ©, 71,
'
Kabinetsſtuͤcke. 533
Bolländer über franzoͤſiſche Trouppen einige
Vortheile erhalten hätten, unterfchiebene ihm
ins Gefiht gefagt: que c’&toit aux Repu-
bliques, de mettre les Rois ä- la raifßn ; u
er habe ihnen aber vorgefiellt, daß diejenigen,
welche fo ſtolz fprächen, eben die Leute wären,
an welchen Gottes Vorfehung ihre allgemeitie
Oberherrſchaft nachdruͤcklich auszuüben pflege,
wie dann auch die Holländer Eurz darauf fols
des empfunden.“
4
Gottes befter Seegen über den, ſo diß
gefchrieben Hat.
Herr Reg. Rath Schlettwein hat indem
erflen Band feines Archivs für den Menfchen
und Bürger ©. 85. einen Auszug aus dem
Math eines reblihen Manns an einen Fuͤrſten
über deſſen nachbarliche Zwiſtigkeiten eingeruͤckt,
worinnen folgende vortrefliche und wichtige
Stelle befindlich iſt: „Es giebt wohl Rathge⸗
ber, welche es bisher als eine gute Politik ge⸗
predigt haben und noch predigen; daß man
in den Faͤllen, wo man nicht nach der
| 213
334 Nabinetöftäce.
Gerechtigkeit auskommen koͤnne, ſchwei⸗
gen, das Unrecht nach aller Moͤglichkeit
bedecken, den Intentionen der andern
ausweichen, und ihre Forderungen ih⸗
nen durch Zuruͤckhaltungen, dilatori⸗
ſche Verhandlungen und Zuſammenwe⸗
bungen vieler Schwuͤrigkriten verdries⸗
lich machen muͤße. Alleiu, gnaͤdigſter Herr,
ſolch eine Politik, die nur in der Schickane, in
Raͤnken, in liſtigen Zuruͤckhaltungen und Be⸗
ruͤckungen ihr Weſen hat, koͤnnen Sie, das
weiß ich, unmoͤglich annehmen. Diß iſt die
falſche Staatskunſt, die Gott braucht, um Län
bee zu firafen. Gerechtigkeit ift die Baſis
der wahren politifchen Weisheit. Die Natur
and ihr Stifter, Gott, fordern die Gerechtig⸗
keit in allen Fällen, in allen Berathſchla⸗
gungen, und in aller Gängen, die Die Regen
ten machen. Plane hingegen, um nur andere
zu bleaden, find Raͤnke; Natur und Gott
verbieten fie bei unausbleiblicher Strafe, des
Vertrauens ber Menſchen unwuͤrdig ünd ders
luſtig zu werden, fich ſelbſt immer mehr von
den eruftlichen ruhigen Unterfuchungen ber
Kabinetsſtuͤcke. 535
Wahrheit zu entfernen und wie ein Kind, das
durch willkuͤhrliches Schielen fchielen lernt, eine
überwiegende Difpofition zu Raͤnken, zur Uns
gerechtigfeit und zum Verderben der Gefells
ſellſchaft ſich zuzuziehen. Da Fommt nun
in allen Befchäften, dieman vornimmt,
Yrislingen und Yinfegen, und die Län,
Ser ſinken in Iauter Calamitaͤten unter.“
Weber der Fürfk, dem. diefer treue und
wahrhaft weife Rath gegeben worden, noch defs
fer Land, noch der rebliche Mann, fo den Rath
gegeben hat, noch die Zeit, wann er gegeben
worben? find benannt, am allerwenigften aber,
ob der gute Rath mit gefegnetem Eindruck und
wuͤrklichem Erfolg belohnet worden? Man -
wuͤrde alſo verſucht werden, den ganzen Auf⸗
ſaz vor ein gutgemeintes Ideal zu halten, wann
nicht Warnung und Bitte des redlichen Manns
mit lebendigen neuen und neueſten Thatſachen
allzugenau zuſammen traͤfen und man nur die
Rubriken der Reichsgerichtlichen Urtheile und
Verfuͤgungen und die ſich immermehr haͤufen⸗
de geſezloſe Recurſe an bie Reichöverfammlung
anfehen barf, um ſich zu überzeugen, daß das
| 214 |
536 Kabinetöftücke. -
Bild im lebenden Original darzu vorhanden ges
wegen ſeyn mäfle- D koͤnnte Herr Schlettwein
den Fuͤrſten nennen, der Reſpekt vor dieſe
Propheten » Stimme gehabt, jeder gute biebere
Deutfche follte den Namen dieſes Regenten fegs
nen und fi Einwohner des Lands zu feyn
wünfchen, in welchem. eine folche Gerechtig⸗
Peit wohne. Es iſt gu fürchten, daß er bie
Aruntwort auf dieſe Unforderung werde ſchuldig
bleiben müffen. Geſegnet fet aber ber rechts
fchaffene,, der gewiſſenhafte Ehrenmann, ‚ wer
Er immer feie, der Muth genug hatte, diefe
theure derbe Wahrheit feigem Fürften vor bie
Stirne hin zu fagen ; denn der Weg zu ſei⸗
wem fo genannten Gluͤck Eonnte eine ſolche Pre⸗
digt von der Gerechtigkeit und Gericht
niemals werden, ſo wahr auch immer dieſer
Fuͤrſt keinen treuern Freund je gehabt ha⸗
ben mag, als der ihm aus dieſem Ton ge⸗
ſprochen hat. — Aber, leider! ſie ſchielen
alle, auch die gute ſchielen, weil man ſie ſchie⸗
len macht, weil das Intereße des Unfehens,
Credits, Unentbehrlichkeit, des Beutels zc. bes
rer fie umgebenden unaufhoͤrlich darauf arbeis
Kabinetsſtuͤtke. 537
set, fie, wo nicht ſtodblind, doch ſchief ſchend
zu machen.
Der uͤbrige Jnnhalt dieſes ganzen leſens⸗
wuͤrdigen Raths, hauptſaͤchlich die Stelle:
„Wann Ewzc. wie es in manchen Stuͤcken
geben wird, die Gerechtigkeit in den For⸗
derungen der Nachbarfchaft einfehen, ſol⸗
Ien Sie nicht warten; ob ** feine ges
zechte Auſpruͤche auf * * betrieben wird,
Sondern göchftdiefelbe werden dies
fen Sorderungen mit Berechtigkeit "
‚ entgegen gehen müflen “
iſt nun freilich fo gethban, daß vom Minifter
an, durch alle Reihen von geheimen, geheimen
Hof⸗ Recurss und Regierungd s Räthen, ges
heimen Referendarien,! biö zum lezten bes Pu⸗
bliciftens Volks und Dienerfhaft nur Kine
Stimme den Ratbgeber vor einen Träumer
Schwaͤrmer, Phantaflen, wo nicht kurzweg
vor einen Narren erklaͤrt haben wird; weil
bei einer ſolchen Denk⸗ und Handelsweiſe ihr
Herr zwar die Ehrenkrone eines gerechten
Sürften erworben, zugleich aber auch in einer
hoͤchſtnatuͤr lichen Folge ein halb duzend Raͤthe
x 5
⸗
838 Kabinetsfküde,
aller Farben, welche gleichwohl auf rechts und
links ſtudirt, darauf geheirathet haben und
blos davon leben muͤſſen, erſpart haben wuͤrde.
5 .
Beſtallungs⸗Brief Jerzog Friederichs
zu Wuͤrtemberg vor M. Cucas Oſian⸗
der, zum politiſchen Rath und Aufſeher
uͤber die Laboranten, vom 10 Ju⸗
lii 1596.
Aus dem Original.
Von Gottes gnaden Wir Friderich Hertzog
zu Württemberg vnnd Teckh, Graue zu Mum⸗
pelgartt ꝛc. Thun hiemit khundt: Das Wir
den Wolgelerthen vnnſern lieben Getreuwen
Magiſter Lucæ Oſiandern den Juͤngern zu
vnnſerm Politiſchem Rath angenohmmen
vnd beſtelt haben. Nehmen Sue an vnnd bes
ſtellen Inne hiemit alſo vnnd dergeſtalt, das
er und zuvorderſt getrew vnnd holdt fein, vnn⸗
ſern Schaden vnnd Nachtheil warnen, wen⸗
den, dargegen frommen vnnd Nuzen befuͤrdern
vnnd ſich ſonderlich In Ime bewußte ſachen
und worzu wir Sune ferners, es ſey mit Rai⸗
Kabinetsſtuͤcke. 539
fen ober ſonſten gebrauchen werben, Alſo ger
trew vnnd fleißig verhalten foll, wie wir zu.
Ime das gnedige vertraumen haben,
Dan auch weil wir, wie Ime bewußt, ets
Liche Laboranten haben, die eines getreuwen,
fleißigen und vnuerdroßenen Vffſehers ober In-
ſpectors woll bebürftig, Soll er uff Sie fein
fleißige Achtung vnnd Sufpection haben, bamit |
durch diefelbige treuwlich gehaußet vnnd vns
dißortz nichz verabſaͤumbt werde. Wie er dann
dieſem allem, ſeinem habendten Verſtandt vnnd
Experientz nach woll der gebir vorzuſtehen
wiſſen wuͤrdt.
Dagegen wollen wir J Ime Iherlich nnd
eined eben Jars, fo lang er gehörtter geſtalt
von und vor ein Politifchen Rath gebraucht
wärbt, zur Befoldung raichen vnnd geben Laffen.
Nemlich an Gelt — Achtzig Gulden.
Rockhen — — Zechen.
Dinckhel — Acht vnnd zwanzig Scheffel.
Habern — Acht.
Wein — — Sechs Aymer.
Stro — — Ein Fneder.
Holtz - — Zwölff Claffter.
540 Kabinetöftücke.
Kleyder — — 3wey.
Liber — — wie andern Officierern
zuſambt dem Haus Zinß von der Behaufung,
darinnen er albereit fein Wohnung hat. Vund
fol folche feine Befoldung uff Ulrici den 4 Julii
an- und ermeltten tag Jedes Jars wider vß⸗
gehen.
Getreuwlich vnnd ohne Geuerde. Zu Brs
khundt haben wir und mit Eigenen baunden
underfchrieben vnnd vnſer fuͤrſtlich Secret hiers
nieden truckhen vnd geben laſſen. Zu Stutt⸗
gartt den zehenden Julii Ao zc. 96.
Friderich ppm.
(L. 8.)
#*
©» *
Diefer politifche Herr Rath und Magiſter
- war 25 Jahr alt, ald er diefen Conftdenz » Pos
ſten erhielt, der mit Herzog Friderichs im Jahr
1608. erfolgten Ableben, wo nicht noch ehens
der, ein Ende nahm. Ex ward 1616 Abt zu
Maulbronn und 1620 Probft und Kanzler zu
> Zübingen, allwo er 1638 mit Tod abgieng,
”
nachdem er in den damaligen theologiſchen Zaͤn⸗
kereien eine nicht unbetraͤchtliche Rolle gefpielet;
6. | Ä
Die Sandfchreiber, wie ‚fie sur Zeit
Pfalsgrafens Friderichs I. ums Jahr
| 1541. beſchaffen geweſen ”)
Pfalzgraf Friverich II. nachheriger Churs
fürft , war ber ſchlechteſte Haushaͤlter feiner
- Zeit, um fo reicher aber immer an Hofnungen
und abentheuerlihen Projekten. Ex hatte eine
Tochter des nachher. von feinen Unterthanen
abgeſezten Koͤnig Chriſtierns in Daͤnnemark
zur Gemahlin, die eine Nichte Kaiſer Karlo V.
und eines prachtvollen Lebens gewohnt war, das
ſich zu dem kleinen damaligen Deputat des
Pfalzgrafen nicht ſchickte. Nie waren aber
zwo Eheleute von fo aͤhnlicher Liebe zu Auf⸗
wand und Verſchwendung zuſammen gekommen.
Endlich wuchs die Laſt der Schulden ſo ſehr
an, daß der Pfalzgraf ſich genoͤthiget ſahe, das
Land zu verlaſſen, um dem Anlauf der Glaͤu⸗
— — — — — — ——
*) aus Hubert, Thom. Leodii Vita Fridor. L. XI. n. xu.
542 Kabinetsftüce.
biger zu entgehen, wobel er bofte, daß er von
K. Karl V. eine Statthalterfchaft in Spanien
erhalten würde, die ihm mehr als fein pfälzie
ſches Landes s Untheil eintrüge. Sein Brus
der, Shurfärft Ludwig, begleitete ihn bis Strass
burg und gab ihm feinen Segen. Der Pfalzs
graf nahm feine Gemahlin mit, die zwar nur |
zwo Dames und. die närrifche Chriftine,
zu ihrer Rurzweil bei ſich hatte, das übrige Ges
folg beſtand aber and 70 Perfonen zu Pferde,
So prächtig begleitet kam ber arme Mann zu
Paris an, wurde mit allerhand Feſten bewir⸗
thet, die Geld koſteten, aber nicht einbrachten.
Ehe er’ die weitere Reife nach Spanien forts
fezte, redete ihm fein treuer Secretarins und
Geſchichtſchreiber, Hubertus Thomas, beweg⸗
lich zu, fein Gefolge zu verringern, indem Lens
se barunter ſeien, bie ſchlechterdings zu nichts,
als zum Effen und Trinken taugten, und noch
dazu täglich fünf Mahlzeiten; nemlich Fruͤh⸗
ſtuͤck, Mittagsmahl, Veſperbrod, Abendeffen und
Schlaftrunk verlangten, welches in dem nuͤch⸗
ternen Spanien nicht einmal zu erhalten ſeyn
wuͤrde. Der Pfalzgraf hatte vor feiner Ab⸗
|
Kabinetsftücke, 543.
reife‘ aus Paris von feiner Tante, K. Karls
V. Schweſter, ber Königin Eleonore, 2000 Kro⸗
nen geſchenkt befommen, mit melchen er die
ganze Welt durchreifen zu koͤnnen glaubte,
In Spanien warb er ald ein dem Kaifer:
fo nahe verwandter Reichsfuͤrſt mit aͤußerſter
Unterſcheidung empfangen und von dem fonft
fo filzigen Karl V. 1300 Dufaten zu feinem
and feiner gefräßigen Deutſchen Unterhalt ges.
ſezt. So gieugen vier Monathe vorbey, aber
ohne mindefle Hofnung einer bleibenden Vers
forgung , ohmgeachtet etliche Statthalterfchaften
ledig wurden. Der Pfalzgraf richtete alſo
von neuem feine Hofnung auf Frankreich oder
Engelland und bate den Kaiſer um Urlaub
zur Abreiſe. Dieſer wünfchte ihm fogleiheine
gluͤckliche Reife und ließ ihm 7000 Dukaten
als einen Zehrpfennig auszahlen. Als der
ehrliche Thomas ſeinem Herrn dis Geld in ei⸗
nem Haufen auf die Tafel hinſchuͤttete und Ent⸗
zuͤckungen von Freude von ihm vermushete,
fagte der Pfalzgraf mit dem kaͤltſten Phlegma:
Er koͤnne fich nicht einbilden, wie die Leute das
Gold fo lieb haben koͤnnten, er habe & zwar
344 Kabinetsſtuͤcke.
auch gerne, aber nicht zum Aufheben, ſondern
zum Audgeben. Der gute Muth wuchs dem
Pfalggrafen dadurch fo, daß er noch eine uns
nöthige Reife nach Compoſtell that und fünfs
mal mehr Gepaͤcke mit aus Spanien nahme,
als er hineingebracht hatte. |
Mit ſolchen Geſinnungen kam ber Pfalzs
graf wieber nach Paris, er mar wuͤrklich krank,
Hubertus Thomas gab aber zu erkennen, daß
ber Siz ber Kraukheit mehr im.Bentel,ald
im Körper fele, ber König gab zur ſchnellern
Genefung 2000 Kronen und bie Königin der
Pfalzgraͤfin eben fo viel, welche diß Geld fos
gleich vor Geſchmuck und andere Galanterien
verpuzte und ben Sparfamleit predigenden
treuen Diener damit abfertigtes daß fie nicht
ruhig ſchlafen könne, fo lange noch ein Heller
von ben 2000 Kronen uͤbrig feie. — In als
Ien feinen andern Hofunngen: getäufcht, ſegelte
er nach Engelland, K. Heinrich VIIL bewir⸗
thete ihn ſtattlich und beſchenkte ihn, um nur
nicht ganz mit leerer Hand abzureiſen, mit
6000 Kronen; fo zoge der Pfalzgraf nach
Deutfchland zuruͤck.
In
Kabinetsſtuͤcke. 545
In Bruͤßel fans er feinen Kanzler, D. Hart⸗
mann, der ihm entgegen gereißt, um Ihro
Fuͤrſil. Gnaden die unterthaͤnigſte Anzeige zu
thun: daß die Schulden in der bisherigen Ab⸗
weſenheit ſo aufgewachſen waͤren, daß endlich
daruͤber das Fuͤrſtenthum verlohren gehen wer⸗
de, waun der Pfalzgraf nicht unverzuͤglich wies
der heimkaͤme. Hubertus Thomas ſchuͤttelte
hierzu ſehr den Kopf und ſagte zum Kanzler:
Ihr habt. ja darum den Fuͤrſten mit feinem
Hofſtatt aus dem Land getrieben, daß ihr.als
Tein indeßen beffer haushalten wolle? Der -
Kanzler hingegen verfezte: Der Fürft habe
auch verfprochen, daß er mit großem Geld zus
ruͤckkommen wolle. Nach einem langen Worts
wechfel ward endlid) die Schuld von dem Kanz⸗
ler auf die untreue Candſchreiber geſchoben,
die des Fuͤrſten Einkuͤnfte zu verwalten hatten:
Dieſe ſchlimmen Leute ſaugten ihrem
Zerrn, wann fie nur koͤnnten, das Blut
aus. Sie burten, fie föffen, fie ſchmauß⸗
ten, fie Fleideten fich prächtig auf des
Sürften Unkoſten, und dennod) gefie⸗
ken. fie dein. Sürften. am meiften, und
Patr. Archiv, IL Theil... Mm
”
546 Kabinetoſtuͤcke.
wuͤrden von ihm geliebt, gelobt und
beſchenkt. Die allein haͤtten zu gebie⸗
ten und anzuordnen und machten alles
recht. Man wuͤrde aber in kurzem ſe⸗
hen, welchen ſie durchſtochen haͤtten.
Sie ſchaͤmten ſich nicht zu ſagen; wenn
man ſie zu mehrerer Sparſamkeit er⸗
mahnte: Was gehts mich an? ich die⸗
ne dem Fuͤrſten, nach dem ſage ich zu
ihm: Lebe wohl! ich kann mir ſeib⸗
ſten ſchon helfen.
Quantum difamus ab illis?
.
Zum Beleg, daß in allen Landen und zu
allen Zeiten fchlechte Waare unter den Beam⸗
ten eines Landes gefunden werbe, Tan nach⸗
ı folgendes and einer beglanbten Übfchrift genoms
menes Ütteflat dienen, welches der Herzoglich
Würtembergifhe Spechal s Superintenbent
Baͤßler im Wildbad dem nachhero caßirten
Vogt Burgundifh zu Neuenburg Un. 1739
“in einem erflatteten Amts⸗Vericht gegeben hat:
Kabinetsfiüde. 547
Eft homo, carbone magis quam atramens»
to notandus, five delendus potius, puer
verius quain vir, pueriliter et infantiliter,
id eft fine religione et ratione agens, ani-
mal rationale et irrationale, vecors &
acors, ignavum pecus, prodigium igno-
ranti® in foro juris et rerum agendarum,
Junda tamen prefumtuola ambitione: in’
omnes fapientiores adverfus omnia jura et
: leges ftolidifiime graffans: illufforius con-
temtor curie feu mandatorum Ducalium,
juratus et profeflus perfecutor minifterii ;
hirudo civium, fabbathi profanator, & po-
tator fcandalofiflimus: Uxoris avarifim&;
imperiofifima, libidinofifim®, vaniſſimæ
et faftuofifim® , etiam quod res officii
mancipium flagitiofifimum & nequiflimo-
rum hominum quieftuofum afylum, pro»
borum vero vexator tyrannicus: ftuprator
jufitie, miraculum impudentie, menda-
ciorum fraudumgue ftupendum : nullius
nec privata nec public fidei: fervus af-
fettuum carnalium coecus et impudentifli-
mus, uno verbo colluvies malorum, mon-
Mm a
\
548 -Kabinetsflücke.
firumqus politicum & imperare ee parere
neſcium.
7.
Wer ſoll dann hernach arbeiten!
Nach dem Ableben Marggrafen Frides
richs zu Brandenburg » Baireuth galt es reblis
chen Patrioten darum, bem ſchwachen Landes⸗
Nachfolger, Marggrafen Friderich Chrifkian,
ſolche Männer an bie Seite zu bringen, die
ben beforglihen ſchaͤdlichen Einflüßen feines
Guͤnſtlings Schröder die Waage halten koͤnn⸗
ten. Sn der disfalld gehaltenen Sonferenz war
in Anfebung diefer Hauptabfiht Ein Herz und
Stun, ald aber verfchiedbene brave Maͤnner
“ bürgerlichen Standes in Vorſchlag gebracht
wurden, fand fi an jeden was andzufezen ;
der alte Geheime Rath * * imerkte endlich das:
warum? und fagtes Ey nun! fo wollen
wir alle Stellen mit Adelichen befezen.
Mit Rebhaftigkeit verfezte der Miniſter: Wer
ſoll dann hernach arbeiten $
Kabtnetäflüdee 549
8.
Der unverlezte Miniſterial⸗Greis⸗
Als der Sachſen⸗Gothaiſche Premier⸗Mi⸗
niſter und Geheime Raths⸗Direktor, Freiherr
Bachof von Echt, An. 1712 daß ſiebenzigſte
Jahr ſeines Alters, nachdem er nuter dreien
DHerzogen die geheime Rathöftelle bekleidet, er⸗
zeicht hatte, warb eine Medaille auf ihn ges
prägt, berem eine Seite fein Bruſtbild, die ans
dere aber ein Schiff auf dem Meer vorftellte,
in deſſen Wordertheil die Gerechtigkeit und die
Klugheit am Steuerruder fizen, mit der ſchoͤ⸗ |
nen Umſchrift: Integra fortuna et fama.
Das war aber auch 'in Gotha, wo ſichs
immer gut alt werden ließe.
O.
Die Excellenz abgedankter Miniſters.
Ein Kuͤnſtler, der einem Miniſter viele
Jahre laug gearbeitet hatte, wollte ihm auch
nach feiner Entlaffung und Abzug fein dans
bares Andenken bezeugen 5 da er mit feinem
Meifel beffer ald mit der Feder umzugehen
Mm 3-
850 Kabinetoſtuͤcke. a
wußte, befragte er ſich bei einem feiner Nach⸗
barn: wie man Excellenz ſchreiben muͤſſe?
Diefer fezt ſich hin und ſchreibt: Ex⸗Elends;
und fo gieng dann auch ber Brief an ben Ex⸗
Minifter ab, welcher herzlich baruͤber lachte
und verficherte: daß biefes das ſchoͤnſte Stud
Arbeit wäre, fo er je von dem Hof⸗Ebeniſten
‚erhalten babe,
IN
Was ich thate, würde ich Heute noch
Ä thun.
Herr Necker, Fraukreichs geweſener
Freund, Rath und Lehrer, ſagt in der Erzeh⸗
lung feiner Leidens⸗Geſchichte: *) Lorsqu'
après avoir combattu felon vos forces, le
moment fera venu, ol vous &tes perfua-
de, que vous ne pouves aller plus loin,
fans vous avilir, OU fans perdre des mo-
yens, qui font indifpenfables pour faire le
bien, quittes avec courage, & qu un exem
ple honorable devienne votre dernier fereie.
a —— —
*) de I’ Adminiftration des Finances dp la Franc’. 1784.
Tıl Intred, P: 155.
Kabinetöftädke. 551
On ne vous ötera jamais tout, fı vous
pouves vous repoler tranquillement fur
votre vie paffee, fi vous pouves lever hau-
tement les yeux devant les hommes, &
fi vous receuillant dans votre retraite, vous
pouves vous dire à vous même: cs que j ai
fait, je le ferois entore.
Amen! Amen!
II.
Sof⸗ Predigers » (leid.
Ein alter elenber Dofprebiger beklagte ſich
gegen ben Dlinifier. feines Herrn: daß se
feinen Predigten die Moflicdye immer fo leer,
"Hingegen bed Herruhuthiſch gefiunten Stadts
prebigerd Kirche fo-voll wäre; worauf diefer
erwieberte : Er wolle ihm ein Mittel jagen,
wodurch feine Kirche eben fo voll und bes Stadt⸗
pfarrers fo leer, wie die Seinige würde; ex
folle in der Stadtkirche prebigen und dem Stadt»
pfarrer die Hofkapelle einräumen.
Mit ſolch gefalzenem Spott muͤſſen Lohns
Inechte abgefertigt merben.
mg
552 Kabineröftäck,
I.
Xon der faltchen Prudenz eines
Bof⸗ Predigers.
In ben lezten Stunden des Au. 1704. fe.
Yig verfchiedenen vechtfchaffenen H. Würtembers.
gifhen Hof⸗Predigers Hedinger liefet man:
„Er mußte einen harten Kampf auöhalten, ba
ihm in feinem Gewiflen der Sof fehr bange
gemacht, bei welchen er einer falichen Pru⸗
denz von feinen Gewiſſen befchuldiget wor⸗
ben, baß er demfelben ehemalen und im Ans
fang viel zu vielgeheuchelt, und die Wahr⸗
heit nicht Bürr und troken genng unter bie Aus
sen gefagt, wozu er fi) durch andere verleiten
laffen, welche ihn fehr gebesen, fachte zu ges
hen. Er ermahnte. darauf ſeinen Bruder und
die damalen anweſeunden Freunde herzlich und
inſtaͤndig: ſie ſollien ſich doch fuͤr falſcher Pru⸗
denz huͤten und ihres Gewiſſens ſchonen, und
ja nichts in ihrem Amt und ganzen Leben uns
terlaffen, wozu fie ihr Gewiffen vor Gott ven
pflichte. Vichts gebe ihm jezo beſſere
Freudigkeit und Dergnügen auf feinem
KRabinetäftide. 553
Krankenbette, als was er in göttlis
ch er Parrheſie und Kifer-für die Ehre
Gottes wider alter Menfchen Urtheil
gethan und geredet: fo daB dasje⸗
nige, welches von andern am mei⸗
ften beurtheilt, geläftert und vor thoͤ⸗
rigt ausgerufen worden, ihn am als
Terbeften in jeiner Seelen befriedis
ge. Kr hätte bis daher mit Einem
Schwerdt drein gefchlagen, wann ihn
Gott follte wieder aufkommen laſſen,
jo wolle er mit zwey Schwerdtern
drein fchlagen und gleich 898 erftemal
fo fcharf predigen, daß man ihn druͤ⸗
ber abſchafe
13.
Kanzel⸗Philoſophie.
Den 16 Dec. 1742. *) wurde mittelſt
eines Mefcripts des Ober » Confiltorii zu Dres⸗
ben ben Ephoris jeder Didces anbefohlen, ihr
ren untergebenen Prebigern bekannt zu mas
*) Ada hiftor. oceleſ. 36 Theil S. 31.
| Mmz,
554 Kabinetsſtuͤcke.
chen: „Es habe bad Collegium aus benen
jum Confiftorio eingefendeten Lehrarten wahr⸗
nehmen muͤßen, daß viele unter den Beift-
fichen moraliſiren und den Zuhörern
ihre eigene Bedanten vortragen, im
Gegentheil aber die Schrift ganz ver
geßen; finde daher nöthig, an den Ephorum
zu tefcribiren, baß er die ihm untergebene Geifls
liche anweifen folle, daß fie ſich auf der Kan»
sel des Philoſophirens enthalten, viel
mehr bie Prebige bed Wortes Gottes lauter
unb rein vortragen und alfo ihr Abfehen auf
nöthige Erbauung ihrer Zuhörer richten follen.*
| 14
Die Freimaͤurer unter den Roͤmern.
Daß Cicero ein Freimaͤurer aus der älter
ſten und Achten Schule geweſen, beweifen vers
ſchiedene feinee Schriften, worunter ſich vor
andern fein. vortreffliches Werk de Divina-
tione audzeichnet. In bemfelben klagt er vers
ſchiedentlich, daß ſchon zu feiner Zeit falfche,
durch den Geiſt bed Eigenunzes geleistete und
NN
Kablnetouce. 555
mit niebrigen Vetuglänften ich abgebenbe Br
der, ſich eingefchlichen. Um fie zu Khildern,
ſteckt er ſich hinter einen alten Meiſter vom
Stahl, Ennius, der fie mit folgenden 36
gen gezeichnet: 5
Non habeo denique nancĩ Marfum Au-
gurem,
Non vicanos harufpices, non de Circo
Aftrologos,
.Non Ifiacos conjefiores,, non interpretes
fomnium:
‘Non enim funt ii aut fcieutia, aut arte
Divini,
Sed fuperfitiofi Vates impudentesque Ha-
rioli,
Aut inertes, aut infani, aut quibus ege-
ftas imperat ;
Qui [ui quasfins cauſu fiftas ſuſcitaut fen.
reostias,
Qui fibi [enitam non ſapiuut, alteri mon-
firant viom, -
Quibus divitias pollicontur, ab iis drachmam
peiunt,
*) Cicero de Divinatione L. I. c. 56.
5 NRabinetöftäde.
De dioitils deincant druchmam,, reddant
caetera.
Da⸗ ſonderbare dabei iſt, daß noch jezo nach
18o0o Jahren Menſchen leben und unter und
wandeln, denen dieſes Bild in feinem ganzen
Umriß fo vollkommen gleicht, als ob fie dazu
gefeßen hätten, bie ebenfalls Rauch vor Licht
verkaufen, welche Dummheit und Fuͤrwiz der
Leichtglaubigen eben ſo gut als jene zu benu⸗
zen wiſſen, ſich ſelbſt aber bei dieſem Rauch⸗
Handel, bis ihn, dad Gott bald gebe! bie
Sonne ber Wahrheit vertrieben haben wird,
treflich wohl befinden.
1 5.
Pfarrer und Freimaͤurer.
Com» Braumfehroeigifche Verordnung
des Conſiſtorii zu Sannover dd. 14 Son.
- 1745. *)
Unfere fresmibliche Dienfle zuvor! _.
Ehrwuͤrdiger, Zeqhelahrter ‚ günfliger guter
Sreund. -.
Wir geben Euch hiemit zu vernehmen, was
maßen ein gewißer Prediger in hieſigen Landen
25) Ein durch neuern Gebrauch abgeſchaftes Geſez.
Kabinetsſtuͤcke. 557
ſich unterſtanden, in die ſogenannte Freymaͤu⸗
rer⸗Geſellſchaft ſich zu begeben, Gleichwie
aber einem Prediger uͤberhaupt nicht anſtehet,
etwas zu thun, welches an ſich zwar indifferent
feyn möchte, wenn dadurch ein Aergerniß ober
Anſtoß bei der ihm anvertrauten Gemeine oder
auch bei andern veranlaßet wird, ſondern felbiger,
vermoͤge der heiligen Schrift und ſeines Gewiſ⸗
ſens verbunden iſt, ſolche Sachen zuunterlaffen,
ſo iſt er am allerwenigſtens befugt, einer Socie⸗
taͤt, deren Leges nnd Statuta er nicht vorher
weiß und einfiehet, mit eidlichen oder fonft fein
Gewißen verbindlichen Verpflichtungen ſich zu
aBociiren, wann auch gleich vorgegeben werben
möchte, dad vornehmfle Abfehen der Socierät
beftehe in einem vinculo charitatis:; allers
maßen die Chriften in der heil. Schrift ein fo
ſtarkes vinculum charitatis haben, daß fie
keines andern bedürfen : So iſt diefem Predts
ger fein Verfahren nicht nur nachdrüdlich vers
wieſen, fondern auch anbefohlen worden, aus
folder Geſellſchaft fi wiederum los zu machen
und denen dabey üblichen Gebraͤnchen zu re⸗
nuntiiren.
558 Kabineteöeſtuͤcke.
Damit inzwiſchen andere durch dergleichen
ungebuͤhrlichen Vorwiz ſich nicht ebenfalls rei⸗
zen laſſen, in ſolche Geſellſchaft zu treten: fo
begehren, Namens Ihro Koͤniglichen Mas
jeſtaͤt, unſers allergnaͤdigſten Herrn, wir hie
mit, She wollet allen und jeden unter der Euch
auvertrauten Infpection ſtehenden Predigern,
mittelſt dieſes Reſcripti per Circulares an-
befehlen, daß ſie, bey Vermeidung nachdruͤck⸗
lichen Strafe, in die Freymaͤurer⸗Geſellſchaft
fich nicht begeben wollen.
Wie diefed gefchehen, baräber wollen Wir
enren Bericht innerhalb 4 Wochen erwarten
und find Euch zu freundlichen Dienſten geneigt.
Dannover ben 14 Januar. 1745.
Königlich) Groß⸗ Britannifche zum Chun
fuͤrſtlich Braunſchweig⸗ Luͤneburgiſchen
Conſiſtorio verordnete Director, Conſiſto⸗
rial⸗ und Kirchen⸗Raͤthe. |
Joh. Peter Tappen.
| 16.
Chur⸗Pfalz⸗Bairiſches Verbot der Sreis
maͤurer⸗Conwentikeln yoma Merz
1785. *)
Mir Karl Theodor zc, Uufern guädigfien
Gruß und Kurfürftlihe Gnade jedermann zus
vor. Uns Fan nicht anderſt, als fehr mißfäls
Lig und empfindlich fallen, da Wir vernehmen,
wie wenig Unfer bereitö auterm 22 Junii lezts
verwichenen Jahrs wider alle unbeflättigte und
unzuläßige Communitäten ergangenes Generals
Verbot von verfhiebenen in Unfern Landen
noch befindlichen Loſchen der fogenannten Frey⸗
mäurer und Slluminaten geachtet wird, indem
fie fowohl ihre heimlichen Zuſammenkuͤnften,
als eigenmaͤchtige Collecten, und Anwerbungen .
neuer Mitglieder immerhin fortfezen, ſohin ihre
ſchon fehr hoch angewachſene Anzahl je Länger
je mehr zu verſtaͤrken ſuchen. |
Gleichwie Wir aber eine folde, zuma⸗
len von ihrem allererften Snftitut all
zuweit abgeartete Geſellſchaft fewohl in
geiſt⸗ als weltlich⸗ und politiſchem Betracht für
vom Jahr 1785. *)
560 Kabinetsſtuͤcke.
allzubedenklich finden, als daß Wir ſolche In
Unſern Landen ferner gedulden koͤnnten, aner⸗
wogen hieraus nichts als Verwirr⸗ und Un⸗
ordnung, allgemeines Mißtrauen in publico,
Fattiones in Collegiis und mehr andere auf
bie Religion, Sufliz, gute Sitten und den
ganzen Staat überhaupt großen Bezug haben
de böfe Folgerungen zu gewarten hat, und
gröfteneheils ſchon wuͤrklich verſpuͤrt: So fchafs
fen Wir ſolche auch hiemit gaͤnzlich ab, und
verbieten derſelben alle weitere Conventicula,
anmaßliche Collecten und Anwerbungen neuer
Mitglieder. Befehlen auch allen Obrigkeiten,
gute Obacht darauf zu haben, und bei verſpuͤ⸗
rendem Ungehorſam Uns die geheime Anzeig
daruͤber zu thun.
Das durch obige ſo eigenmaͤchtig⸗ als unzu⸗
laͤßige Collecten zuſammen gebrachte Geld und
Gut declariren Wir für confiſcabel, and wol⸗
len, daß die Haͤlfte der Armenkaſſa, die ande⸗
re Haͤlfte aber dem Aufbringer, wenn er gleich
ſelbſt ein Mitglied waͤre, zu Guten gehen, und
ſolcher keineswegs geoffenbaret, ſondern in ge⸗
heim gehalten werden ſolle.
So
Nabine toͤſtuͤcke. 361
So lieb nun einem jeden unfere Gnad und
feine feloft eigene Chr und Wohlfarth iſt, fo
guverſichtlich erwarten Wir hieriun allenchals
ben die ſchuldigſte Solgleiflung, bamit Wir ans
berweiter unbeliebiger Mansnehmung entuͤbrigt
bleiben mögen. Gegeben in Unferer Haupt⸗
und Reſidenz⸗Stadt München ben sten März
1185 .
Karl Theodor, Kurfuͤrſt.
(L.S.) Ve. Fr. d. Rreittmapr.
Karl von Kleßing, Kurf geh, Sekr.
| 17.
Staats» Alugheit, Staats » Chorbeit,
Sreiheit zu denken, Preß⸗Freiheit.
Er
Schreiben eined deutſchen Staalsmanns an eis
son Staatös Gelehrten dd. Wien deu
BG Febr. 1769
Em. ic, Gedanken und Plan von ber Bears
beitung der beutfchen Staatös Klugheit und bes
ven Geſchichte habe ich mis ſolchem Vergnuͤgen
. und Begierde gelefen, baß ich gewuͤnſcht, fie
möchte ſchon wuͤrklich in Lebensgröße da ſtehen,
Patr. Archiv, IL. THE, Na
562 Kabinetsſtuͤcke.
mit aller ber Rechtſchaffenheit des Herzens,
Einſicht und Vaterlandäliebe, deren diefer Ges
genfland würdig iſt und die ſich Ihnen einges
prägt haben, gedacht und gefchrieben ſeyn, und
daß an dem Tag, ba der lezte Bogen in ber
Preße fertig würde, der Verfaßer, gleich dem
Propheten Habacuc, an den Schopf feines
patriotifhen Haupts durch einen mohlthätigen
Geninm an die Susquehanna oder boch nad)
Penfilvanien geführt würde, um daſelbſt vor
ben Plazregen der Caͤſariner und Fürftenerier
vorerſt gefichere zu ſeyn, feinen ehrlichen und
Chriftens Namen vor miniſterial⸗ und gelehrten
Schurken ind trocdene zu flellen und die 30.
ober 70 prophetifchs politifche Wochen allda abs
zumarten, welche diß Senfkorn einer patriotis
ſchen Formula Concordix vonnöthen haben
mödfte, um durch Zod zum Leben hindurch zu
Dringen. |
Der Plan ift ſchoͤn, fo (hin, daß deſſen
Ausführung mehr Nachdenken, mehr Eindrud
and an die Bruft fchlagen machen würde, ald
die eiskalte Faflenpredigten der akademiſchen
Kanzelreden publiciflifcher Generation. Abet
)
Kabinetoͤſtuͤcke. 563
wie geſagt, mein hochgeſchaͤzter Herr, nur erſt
ein Gebirge Ararat und eine Arche, um ſich
drinnen, in quantum opus, vor einer politi⸗
ſchen Suͤndfluth zu verbergen.
Wann ein ſolches Werk pragmatiſch bear⸗
beitet und kein Voltairiſcher Roman einer po⸗
litiſchen Candide ſeyn ſolle, wie wollen Sie auf
dem Fleck deutſcher Erde, wo Sie wohnen,
es wagen, die Triebfedern der Conſpiration
tes Staats⸗Miniſters von Fuchs, und des
alten Cocceji gegen bie Reichſsgeſeze, die Mo⸗
tifen des Halliſchen Ranzlars v. Cudewig und
das Wehen des Geiſtes, ſo den Baron Ilgen
und ihn inſpirirt, die Perfonalien zwiſchen Koͤ⸗
nig Friedrich Wilhelm in Preußen und dem .
Reiche s Vices Kanzlar v. Schönborn und
den Einfluß, ben all dieſes per bonam confe-
quentiam auf bie bebrödtete Apoſtel und Mifs
fionarien des neuen Staats» Rechtö gehabt hat,
zu entdecken und anderer Geitd mit gleicher
Wahrheitsliebe und Freimuth zu beſchreiben:
wie die Reichs⸗Miniſters, Reichs⸗ und Hof⸗
Kauzlere, Reichſs⸗Hofraͤthe, Reichs Meferens
darien ꝛc. bald einmal einen Stein aus ber
Ä In 2
564 KRabinetsftüce,
Krone, dann ein Städ vom kaiſerlichen Man⸗
tel verkauft haben und aus ber. Reichs » “Tus
fti3 » Pflege eine Commercien⸗ Deputa⸗
tion geworden iſt.
Darf ich in ber zwiſchen und hergebrachten
Aufrichtigkeit ſagen, wie mirs ums Herz iſt:
laſſen ſich Ew. ꝛc. feinen guten Vorſaz je reuen,
keinen patriotiſchen Gedanken je in ſich erſti⸗
cken, denken Sie, ſchreiben Sie, was Ihnen
beigeht und verſchließens entweder als Schaz⸗
geld in ein gruͤnes Gewoͤlbe, oder ſtreuens ins
Publikum, wie ſich die Gelegenheit macht und
barbietet und fo lang und fo viel Ihnen dar
zu Gelegenheit gelaßen wird, rechnen Sie
aber nie auf Dank und Belohnung der Zeite
genoßen, und wann ein Norbfchein von Billige
keit und Erkenntlichleit fo helle um Sie mad,
baß Sie bei Nacht gefchriebened leſen zu koͤn⸗
sen glanben, fo rechnen Sie zugleich baranf,
daß es nur Vorboten eines nachfolgenden noch
ſtaͤrlern Froſts und Erflarrung feien.
Ich habe nun feit zwmö-f und mehr Jahren
alle deutfche politiſche Secten durchkrochen und
waͤhnte zulezt, bie wahre patriotifche Kir⸗
Kabinetoſtuͤcke. 565
che allhier gefunden zu haben. Mein Ens
thuſiasmus hat mich fo weit verleitet, Ruhe,
GSemächlichkeit, Freiheit aufzuopfern, um nur
zu ben Thoren diefes politiichen neuen Jeruſa⸗
lems einzugeben. Ich bin hineingefommen,
glauben Sie es aber auf mein Wort: Unfere
Gaßen find fo kothig, wie andere auch und ein -
jeder hilfe in feiner Urt treulich dazu, daß mau
immer tiefer hinein ſinke. Joſeph IL. iſt ein
Monarch, der zehen Kronen verdiente, wenn
man fie durch perſoͤnliches Verdienſt erwerben
koͤnnte, ein Menſchenfreund, ein Freund des
Vaterlands, der Gerechtigkeit und der Geſeze,
ein Kaiſer, juſt wie er zum Gluͤck Deutſchlands
vom Himmel erbeten werden koͤnnte *) Es
fehle aber ſehr viel, daß feine Gehülfen und
Rathgeber von gleichen Geiſt befeelt wären.
Gewiße Fehler pflanzen fid fort, wie die Erb⸗
fünde und dann iſts am Ende eins: ob fie
durch Inoculation, Sufpiration ober durch Uns
fieden in die Welt gefommen, Wir werben
bier unferd hohen Orts treulich dazu thun, daß
Fürften und Stände des Reichs über unfere
*) Geſchrieben An, 1769- -
| Rn z
> 566 Kabinetöftüce.
Staats⸗Klugheit ſich zu beſchweren Feine Urs
ſache befommen. Fahren Sie indeffen fort,
redlicher Mann, zu mebitiven und zu belehren
und, wann Sie und viel fchönes und fatt wahs
res vom ber Staats Kiugheit gefagt has
ben, fo erlauben Sie mir einfl, Supplemente
von ber Staats » Thorheit beizufügen, und
meine nenere und neueſte Erfahrungen dazu
zu benuzen.
18.
Tu ne cede malıs, [ed contra anden-
tius 1lo.
„ Ob wir wohl darinnen eind find , daß
ein Schriftfteller feine Feder niemals durch uns
anftändige Perfonalitäten entehren folle, fo
glauben wir doch, fo verfihern wir, daß ed eis
ne Pflicht ifl, ohne Schonung mit den Blizen
ber beredten Wahrheit jeden zerflörenden Mißs
branch, jedes verberbliche Vorurteil, jebe Ders
einigung anzugreifen , wenn ihr Dafein der
Ordnung zuwider, den Sitten, ter Vernunft,
ber Regierung und der Gefellfchaft nachtbeilig
. iſt. Dieſes iſt die Are zu Fämpfen, welche
erleuchteten, muthigen und freien Männern
Kabinersftüce. ‚367
anfteht. Alle andere Waffen, ſelbſt die Wafr
fen der Mäßigung, der Sanftmuth und der
Gedult, die allein alddann nöthig find, wenn
ed Darum zu shun iſt, Coloßen mit. tönernen
Füßen, eitle metaphyſiſche Schattenbilder ums
zufloßen,, werden flumpf auf den: goldenen
Panzern ber Bampiren, die von dem reinen
Blut der Voͤlker fett geworden find. “*).
et |
„ Ein Scriftfleller ift der Sprecher des
großen Haufens, das iſt, der Unglüdlichen. —
Die Pflicht eines Gelehrten ift, feine Stimme
wider alles zu erheben, was die Menfchheit ,
erniedriget oder fehändet, dem Defpotifmus zu
fleuren, der Tyranuei die Spize zum bieten, die
ſich unter fo mancherlei Geſtalten verkappt, ſich
für die gemeine Sache anfzuopfern, fich bes
geringfien Bürgers anzunehmen, und fein Uns
wald wider ben Uebermuth ber Macht zu wer»
den.“ =) |
*) Ephemeriden der Menfchheit 1776. fiebentes Stuͤck,
©. 33.
Mercier Nachtmuͤnze. 1. v.
Nu 4
SE Kabinetsſtuͤce. | |
19.
Seligkeiten der Leiden des rechtſchaf⸗
fenen Manns,
*%
= =
» Gegrünbeter Widerſpruch ſoll einem recht⸗
ſchaffenen Manu ſtets willkommen ſeyn. Cr
fuͤhrt ihn näher zur Wahrheit, die über alles
liebendwuͤrdig ifl; und Verfolgungen, fo hart
fie auch brüden, werden zulezt auch Quellen
von Freuden, wenn der Weiſe fie mit Much
beſiegt hat, ober wenn, follte ex nutergelegen
haben, er fi dad Zeugniß ertheilen Tan, nur -
für die Rechte der Wahrheit und der Tugend,
ohne uidsige Mebenabfichten gekämpfs zu has
ben. Teble ihm auch biefer Troſt, and haben
Ehrgeiz, Eiferfacht, Geldgeiz, Ruhmbegierde
ihn auf Abwege verleitet, fo dankt der geprüfte
Manu dem Himmel für feine Leiden; fo ver⸗
ebelt er, dadurch von der gefährlichen Bahn,
anf ber er ſich befand, abgerufen, die Trieb;
febern feiner Handlungen, reinigt feine Ausſich⸗
ten, und iſt fiher, mach einer Meue, die ibn
uicht gereuen wird, höhere Freuden in dem Ge⸗
nuße_ der Wahrheit und: in dem Gefühle der
Liche zu finden, durch die allein er ein Maun
von Religion, ein wahrer Weiler und ein wahe
zer Chriſt ſeyn kan.“ *)
| 20. 2
Beleg zu der Lehre Chrifti: Seegnet,die
euch fluschen, bittet für die, fo. eud) bes
leidigen und verfolgen, Matth. 5,44
Die Leiden, Verfolgungen und Errettung
des unflerblihen Grotius find weltkundig.
Der große Diann fahe fih, zu Rettung feiner
Ehre und guten Namens , ıgendthigt, denen
Loaͤſterungen feiner Feinde diejenige Schuzfchrift
entgegen zu fezen, welche unter bem Titul: Apo-
logeticus eorum, qui Hollandie prafue-
runt , in Paris 1622. 8. herausgekom⸗
men, nun aber.unter höchftfeltene Schriften ges
hört. Das berrlichfle und herzruͤhrendſte das
von iſt der Schluß, womit der edle Mann im
wahren Geifl des Chriſtenthums fich mis feis
nen Feinden und ber ganzen Machwelt lezet:
Iſelin In ben Ephem. ber Menſchheit, 1782. 2tes St.
S. 182. v
Mu 5
572 Anhang.
Mdwig Rubolphs und den ergangenen Reichs⸗
Hofraths⸗Concluſis enthalten find.
3. Das biöhero ungebrndte Lenferifche Re-
ſponſum Juris; von welchem ich nar vorläus
fig bemerke, daß foldyes nicht von ber gefamms
ten Juriſten⸗ Facultaͤt zu Helmſtaͤdt ertheilet,
fondern von Lerfern auf [pecial- Befehl Her
zog Auguſt Wilhelms und Compagnie erſtat⸗
tet worden. |
4. VBerfchiebene in der Zujohe zur Ehren⸗
zeitung angeführte von H. Auguſt Wilhelm an
ben Seh. Rath von Muͤnchhauſen erlaffene
Handſchreiben und
5. einige Briefe von bem etc. von Campen,
nebſt
6. Vater Luthers cehrſägen von Bekannt⸗
machung heimlicher Briefe wider des Verſaſ⸗
ſers Willen.
Dieſe Schriften ſollen dann in einem der
folgenden Wände dieſes Archivs erfcheinen;
wann Gott mein mit fo mannichfaltigen
Schwachheiten und Leiden ringendes Leben bid
dahin friften follte, um deſſen Ausgabe noch
ſelbſten beſorgen zu koͤmen. Wird mir in⸗
Anhang. = 573
deſſen bie ewige Ruhe zu Theil, fo werde ih
doch nicht der lezte patriotiſche Todtengräber
in Dentfhland gewefen und auch vor mein
Grab noch eine Rofe übrig geblieben feyn.
Indeſſen bitte ich vorläufig, in ber im 2tem
Band ©. 316. abgebruften Specie facti fols
gende wichtige Druckfehler zu verbeffern. -
Seite. Lin. anſtatt: leſe:
318 6 geſtanden getreten
ss 16 xavyiſcirten explicirten
ss 19 rwerfiten renverfiren
321 18 Zeigen zwingen
323 14 ÖGerechtigfeit Gerichtsbarkeit
328 3 muß die ganze Stelle alfo lauten:
zumahlen wenn fie über dem in anderer
Herrn Dienſten ſtehen: daB wirb wohl
nicht leicht ein Herr, dem an redlichen
Bedienten etwas gelegen ift, billigen,
voch ein vochtfchaffener Dinifer foutent |
zen wollen.
330 3 gefehlen gehehlen. _
3 . \
*
Nun vor dißmal noch Ein Wort: Als ich
S. 233. ded Leyſeriſchen Reſponſi gegen Herrn
574 Anhang.
von Muͤnchhauſen gedachte, ifl es mis ber bes
badytefien Vorſicht und anf eine fo ehrliche, bil,
lige, unpartheiifje unb WBahrbeitliebende Weis
fe geſchehen, daß id) mir gewiß nimmerwmiehr
beigehen laffen Tonnte, daß ſolches ald eine
Schmaͤhung auf den ganzen Orden alabemis
ſcher Rechtsgelehrten würde gebentet werden
wollen und koͤnnen; dam welcher Stand deö
gemeinen Weſens hat nicht feine faule Glie⸗
der ? und fo lang ed zu fagen erlaubt und wahr
iſt, daß es böfe und ungerechte Fürfien, niebers
traͤchtige Augenbiener unter dem Miniſter⸗Ge⸗
ſchlecht, Negers uud Banditen unter dem zahl,
Iofen Volk der Fürflendiener giebt, fo wirds
boch wohl Fein Hochverrath feyn, ſich auch nn
ter Profefloren und Facultiſten fchlechte und
eigennäzige Mienfchen zu gedenken. Was geht
das redliche Männer an, wann. Ein Kollege
unter ihnen ein Schurke iſt? Doch um alles
etwa gegebene Uergerniß, fo viel an mir ifl,
abzuwenden und zu zeigen, daß ber nehmlide
Leyfer, fo dad Refponfum ertheilet, von den
Berführungs » Künflen der Höfe und den
Schlechtigkeiten, fo bei Einholung von Facul⸗
Anhang. 575
taͤts⸗ Urtheln vorgehen, nicht nur eben fo ges
dacht, ſondern noch viel flärker darüber geſpro⸗
chen, fo will ich noch deßen eigene Worte *) bier
beifügen: Non poflum tamen, quin publi-
ce hic profitear, errare magnopere, qui
transmiflionem actorum remedium tutifli-
mum efle.credunt, atque fic rectam fem-
per, feu, ut loquuntur, impartialem fenten-
tiam obtineri putant. Mirifice profe£to,
qui hoc fibi perfuadent, blandiuntur ſibi,
nec artes hominum aularumque fatis no-
runt. Subtiliores hæ ſunt, quam ut præ-
videri caverique poflint. Nolo vero com-
memorare, quod acta fubinde mutila &
manca mittantur, & ea, quæ ad defenlio-
nem rei. maxime pertinent , omittantur.
Hoc non inter artes collocandum, fed fal-
{um manifeftum & dolus eſt. Dicam ergo
-de aliis. Solent nonnunquam, qui fen-
tentiam requirunt, per litteras declarare,
qualem optent, & tantum non formulam
prafcribere, aut certe reum, quem dam-
*) in Miniftro Principis delinquense, Witebergae edit.
de 1735. 4. pag. 163.
876 Anhang.
nari cupiunt, tanquam hominem peſſimum
depingere, & novis, qua in actis non re-
periuntur, indiciis & facinoribus onerare,
atque ea, qua is in defenfione fua attulit,
refutare. Praejudicant ergo caufam, nec
fententiam Jurisconfultorum expetunt, fed
fuam,quam hi fequantur, proponunt. Non
longe ab his difcedunt Principes, qui mi-
niftrum quendam fuum fimul cum Actis*)
ad collegium Jurisconfaltorum mittunt,
atque huic mandant, ut fingula Collegü
membra adeat, & fuggerat, quæ ad reum
gravius onerandum pertineant. Alii, an-
tequam afta publice pro fententia ferenda
mittunt, clam fuper illis collegia varia
confulunt, refponsaque obtinent, & tandem
illi ordini, qui maxime ex ipforum fen-
tentia refpondit, caufze cognitionem com-
mittunt,. Iterum alii Acta a collegio re-
miffa clam refignant, fententiam, fi mitior
ee — — — —
H Verſteht ſich mit den Beilagen. Dieſes iſt noch in
dei jezigen goger Jahren auf einer der deruͤhmte⸗
ſten deutfhen Univerfitäten geſchehen, da es dans
bieß; quis potoſt tefiltere tot asmatis ?
vide-
Anhang. _ 577
videtur, occultant, aliud deinde collegium
confulunt,hocque tam diu continuant, do-
nec talem, qualem volunt, impetrent, Te-
&ius alii acta quidem figno collegii muni-
ta non aperiunt, fed collegium, ut, dum
acta remittit, exemplum fententi& extra-
acta fecum communicet, per literas mo-
nent, inde fcilicet ftatuturi, conveniatne
fibi, fententiam publicari, an pr&ftet ſuppri-
mi. Taceo alias, qu& transmiflionis be-
neficium inane reddunt, artes.
Diß ſchriebe im Nom 1721 eben ber.
Mann, der fieben Jahre hernach fich dazu ges
brauchen ließ, einen würdigen Miniſter unehrs
lich und unglädlich zu machen. Go ſchwach
find wir Menfhen Es folge ja nicht, daß
ed allemal Hollaͤndiſche Meuter oder goldene
Friederichs und Ludwigs feien, womit ein Ges
lehrter beftochen wird, bei einem eiteln und
hochmuͤthigen Mann thus das Blat Papier
eines gnaͤdigſten Handfchreibend das, was ein.
Beutel voll Dukaten nie über ihn. vermocht
hätte.
Pott, Archiv, II Teil, 8 o
578 Anhang.
#
* %
Das dieſem Band geeignete Portrait lies
fert das von Ziefenis Meifterhand entworfes
ne Bild des um fein Zeitalter und um eine
fpäte Nachwelt hoͤchſtverdienten unvergeßlichen
Patrioten, des ſeligen Churbraunſchweigiſchen
Premler⸗Miniſters von Muͤnchhauſen,
Goͤttingens Pflegevater. Ich erhielt es von
Ihm ſelbſt unterm 6 Sept. 1760 mit folgen⸗
dem Schreibens „Ew. 2. — haben mein Por⸗
trait — — verlangt; ber mir von Ihnen zu
feiner Zeit recommenbirte geſchickte Mahler,
zen nun der König mit einem Gehalt von 500
Thaler in Dienfle genommen uub welder aufs
fer dem nicht weniger Beifall, ald großen Ders
dienft bier findet, hat folches verfertiget. Ein
Bild von einem alten Mann, bei bem bie ru-
ga fenilis allenthalben hervorblicket, hat je
fo wenig annehmliche, als es folches jemals
gehabt. Hätte noch der Mahler die Ew. ıc,
gewibmete anfrichtige Verehrung und Freund
fhaft bartun ansdräden koͤnnen, ſo wuͤrde id
bloß deshalb damit zufrieden ſeyn, allein auch
les
578 Anhang.
#
* %
Das biefem Band geeignete Portrait lies
fert das von Ziefenis Meifterhand entworfe
ne Bild des um fein Zeitalter und um eine
fpäte Nachwelt hoͤchſtverdienten unvergeßlichen
Patrioten, des ſeligen Churbraunſchweigiſchen
Premier s Miniſters von Muͤnchhauſen,
Goͤttingens Pflegevater. Ich erhielt es von
Ihm ſelbſt unterm 6 Sept. 1760 mit folgen⸗
dem Schreiben: „Ew. zc. — haben mein Por⸗
trait — — verlangt ; der mir von Ihnen zu
feiner Zeit recommendirte geſchickte Mahler,
den nun der Koͤnig mit einem Gehalt von zoo
Thaler in Dienſte genommen nub welcher auſ⸗
ſer dem nicht weniger Beifall, als großen Ver⸗
dienſt bier findet, hat ſolches verfertiget. Ein
Bild von einem alten Manu, bei dem bieru- -
ga fenilis allenthälben hervorblicket, hat jezx
fo wenig annehmliches, als es ſolches jemals
gehabt. Haͤtte noch der Mahler die Ew. x,
gewibmete anftichtige Verehrung und Freund
{haft dariun ausbräden können, ſo wuͤrde id
bloß desſhalb damit zufrieden ſeyn, allein auch
Anhang. E 579
dieſes findet ſich nicht, mithin bleibt mir an⸗
ders nichts übrig, ald in Erfüllung dero Wils
Iens meine Satisfaftion zu fuchen ꝛc.“ Das
Verdieuſt der Gleichheit wird jeber, fo ben vor⸗
trefflihen Mann gekannt, willig zugeſtehen
und aus diefen Zügen einen Theil des Geiftes
leſen, ber diefen vor Deutſchland fo wichtigen
edlen Greis beliebte. Er beehrte auch mich mit
feiner Freundfchaft, Vertrauen und einem faſt
zwanzigjährigen Briefwechfel, welcher vor bie
Geſchichte unferer Tage eben fo intereßante, als
vor feine durchaus gefezmäßige und vaterläns
diſche Geſinnungen hoͤchſtruͤhmliche Bemerkuns
gen und Beweiſe enthaͤlt, die um funfzig oder
hundert Jahre weiter hin unbedenklicher, dann
jezo, bekannt gemacht werden duͤrften. Indeſ⸗
fen war mir Pflicht ber Dankbarkeit, das Ans
denken biefes patriotifchen Helden zu ehren und
durch diefes Denkmal zu erneuern.
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Innhalt
des dritten Bandes.
ben Fuͤrſten Wolfgangs au Anhalt; geb.
1492. gefl. 1566. .
Seite,
L harakteriftifche Düge and dem Se
II. Leben Herzog Eberhard Ludwigs zu |
MWürtemberg, geb. 1676. gefl. 1733.
Aus dem gefchriebenen Aufſaz des H.
Wuͤrtemb. Geh. Raths Renz.
. HI Teflamens Herzog Eberhard Ludwigs
zu Würtemberg vom 11 Febr. 1732.
ſamt deffen Codicilken und H. Carl Ale⸗
xanders Commißorium zu Pruͤfung
deſſen Rechts ⸗ Veſtaͤndigkeit vom 9
Merz 1736.
Aus glanbhaften Handſchriften.
IV. Koͤniglicher Kabinets⸗ Juſtiz ⸗Mord
vom Jahr 1730.
V. Politiſcher Charakter Herm Philipp
Wilhelm, Grafens von Boineburg,
geweſenen Chur⸗Mainziſchen Stadt⸗
halters zu Erfurt.
VI. Lebenslauf Herrn Rochus Friderich,
Grafeus zn Lynar, K. Daͤniſchen Ger
21
177
Innhalt des dritten Bandes,
Sei
heimen Konferenz ⸗Raths zc. geb
1708. gefl. 1781. \
Aus deßen Perfonalien. 209
VII. Sefinnungs » Aehnlickeit In Relis
giond» Sachen K. Marimilians Il. mit
Kaifer Joſeph II. in vier eigenhändigen
Schreiben beffelben an Herzog Chris
ſtoph zu Wuͤrtemberg, von 1557 und
1558.
Aus Hrn, Sattlers Geſchichte des |
Herzogthums Würternberg. 233
VII. Wien, wie es vor hundert Jahren war.
Aus Conftantini Germanici Itine-
‚rario politico. | 249
IX. Herzhaftes und herzvolles Bedenken
von Canzler und Raͤthen Herzog Fride⸗
rich Wilhelms zu Sachſen⸗Weimar,
den zeruͤtteten Zuſtand des Hof⸗ und
Rammerwefend betr. vom 22 May
159%
Yus Hrn. v. Piſtorius Amoenitafi-
bus Hiftorigo - Juridicis. 271
X. Der politifche Bußs Prediger. Rede
Balthaſar Venators, Hofratho zu Zwei⸗
bruͤcken, an ſeine Collegen, die Raͤthe
daſelbſt, ums Jahr 1646. J
unhalt |
Innha Seite.
Anus Joannis Mifcellis Hiftoriae Pa-
‚ latinae. 289
XI. D. Speners Gewiffend» Prüfung ber
Megenten und Obrigkeiten: ob? und
wie ferne die Klagen über das verberbs
te Chriſtenthum auch fie betreffen? 311
XII. Merkwärdiges Beiſpiel eines mit
alt» deutſcher Redlichkeit freiwillig eins
gegangenen verbindlichen Schulden⸗
Zahlungs⸗Plans Herrn Heinrichs bes
Juͤngern Reußen, Grafen und Herrn
zu Plauen vom 2 Jan. 1613.
Aus einer Archival⸗Abſchrift 331
XII. Drei Predigten des F. Anhalt⸗
Zerbſtiſchen Conſiſt. Raths Hrn. Sins
tenis, uͤber die dortige Armen⸗ und
Bettelauſtalten von den Jahren 1783
und 84 349
Gelegenheitlich dabei einige Betrach⸗
tungen über das Außer Lands feyn
der F uͤrſten.
XIV. Von dem Mittelmaͤßigen bei Ver⸗
waltung eines Staats. Gedanken eines
Koͤnigl. Staatsminiſters. 497
.®
des dritten Bandes.
XV. Von oͤkonomiſchen Geſellſchaften,
insbeſondere der Fuͤrſtl. Badiſchen zu
Carlsruhe und denen in den Oeſterreei
chiſchen Erblanden. | 509
XVI. Kabinetsſtuͤcke. |
7. Churfuͤrſt Ludwigs zu Pfalz Fuͤrſt⸗
‚ värerliche Ermahnung an feinen Sohn
Chrurfuͤrſt Friderich IV. von 1583. 529
2: Der Monarch, im Bilde göttlicher |
Snabe. 531
3. Republikaner s Stolz gegen Koͤnigs⸗
Stolz. 532
4. Gottes beſter Segen äber ben, ſo dis
| gefhrieben hat. 833
3. Beltallungds Brief H. Friderichs zu
Wuͤrtemberg vor M. Oftander, zum
politiſchen Rath und Anffeher über bie
Laboranten von 1590. 558
6. Die Landfchreiber, wie fie zur Zeit
Pfalzgrafens Friderichs II. ums Jahr
1541 beſchaffen geweſen. 541
7. Wer fol dann hernach arbeiten? 48
8. Der unverlezte miniflerials Greid, 349
9. Die Excellenz abgedankter Minifterd. 549
eite.
Innhalt des dritten Bandes.
eite.
10. Was ich thate, wuͤrde ich heute noch
thun.“ 550
11. Hofprebigers⸗Neid. 531
12. Von ber falſchen Prnden; eines Hofs
predigers. 552
13. Kanzel⸗ Philoſophie. 553
14. Die Freimaͤurer unter ben Römern, 554
15. Pfarrer und Freimaͤurer. 556
16. Churpfalz » Bairifches Werbof ber
Freimäurer s Konventifuln vom 2
März 1785. 559
17. Staats⸗Klugheit, Staats⸗Thorheit, |
Freiheit zu denken, Preßfreiheit. 561
18. Tu ne cede malis, ſed contra au-
dentius ito ! 566
19. Seligkeiten der Leiden des rechtſchaf⸗
- fenen Manns, 568
20. Beleg zu ber Lehre Chriſti: Segnet,
die euch fluchen, bitter für die, fo euch
beleidigen und verfolgen! - 569
Anbang: Anzeige, die von Muͤnchhan⸗
ſiſche Dienſt⸗ Geſchichte betreffend. 57x
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